Die widerspenstige Braut - Deeanne Gist - E-Book

Die widerspenstige Braut E-Book

Deeanne Gist

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Beschreibung

Virginia, 1643: Der Tabak-Farmer Drew O'Connor sucht eine Frau, die sich um den Haushalt und um seine kleine Schwester kümmern soll. Als ein Schiff aus England mit sogenannten "Tabakbräuten" einläuft - Frauen, die auf ein besseres Leben in Amerika hoffen, wird er fündig. Doch die kratzbürstige Rothaarige stellt Drews Geduld auf eine harte Probe ... Ein wundervoller Roman über Liebe, Glaube und Vertrauen.

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Über die Autorin

Immer wieder schafft es Deeanne Gist, mit ihren Büchern die Bestsellerlisten zu erklimmen. Ihr Erfolgsrezept: gründlich recherchierte historische Romane in Verbindung mit viel Humor und Liebe. Bislang wurde sie für vier RITA-Awards nominiert – eine renommierte Auszeichnung für Liebesromane – und gewann zwei Christy-Awards. Sie hat vier mittlerweile erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann in Houston, Texas.

Prolog

Deptford, EnglandApril 1643

„Bei allen Heiligen, Mädchen! Was machst du hier?“, schimpfte der in Ketten gelegte Mann.

Lady Constance Morrow eilte einige weitere Schritte über das Oberdeck. „Bitte, Onkel Skelly, schimpf nicht mit mir. Ich konnte dich einfach nicht wegfahren lassen, ohne mich von dir zu verabschieden.“

„Es ist doch nur für sieben Jahre. Jetzt verschwinde sofort von dieser verfluchten Schaluppe.“

Völlig außer sich griff sie sich an den Hals. Sie konnte doch nicht einfach gehen. Er war für sie immer wie ein Vater gewesen. Viel mehr als der Earl. Vielleicht schämte er sich der Ketten, die sich eng um seine Handgelenke und Fußknöchel legten.

Ihr Herz zog sich zusammen. Er sah um zehn Jahre älter aus als vor drei Monaten, als sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Wenn er sie nicht angesprochen hätte, hätte sie ihn wahrscheinlich überhaupt nicht erkannt.

Eine ungesunde graue Blässe hatte die gewohnt rosige Farbe seiner Wangen verdrängt. Der weiße Vollbart, der immer sein ganzer Stolz gewesen war und den er immer peinlichst genau gepflegt und gekämmt hatte, wuchs wild über sein ganzes Gesicht.

Aber seine grünen Augen waren immer noch kristallklar und blickten sie im Moment unübersehbar zornig an.

„Aber Amerika!“, rief sie aus. „Das ist so weit weg und so wild und heidnisch.“

„Lieber nach Amerika als einen Kopf kürzer“, knurrte er. „Mädchen! Dieses Schiff ist nicht nur an Männern interessiert. Die Kolonisten brauchen Frauen, um ihren Nachwuchs zu sichern, und der Kapitän hat eine ganze Ladung verurteilter Frauen genau zu diesem Zweck im Laderaum eingesperrt. Du hast hier an Bord nichts verloren. Wo ist deine Zofe?“

„Es war ein Leichtes, ihr zu entkommen. Außerdem würde der Kapitän es nicht wagen, die Tochter eines Earls anzurühren.“

„Er wagt noch viel mehr, sage ich dir. Alle anderen Angehörigen haben das Schiff schon längst verlassen. Es ist niemand an Bord, der ihn daran hindern kann, das zu tun, wenn er will.“ Er vernahm eine Stimme und wandte sich erschrocken um. Als er sich wieder zu ihr umdrehte, sprach nackte Panik aus seinen Augen. „Schnell“, rief er. „Er hat dich gesehen!“

Wer?, dachte sie. Der Kapitän? Sie nahm ihre Röcke in die Hand, sah ihn aber noch einmal an und konnte sich nicht vom Fleck rühren. Sie ließ ihre teuren Seidenröcke wieder los und umklammerte Skellys Hände. Seine Eisen klirrten.

„Oh Onkel. Ich kann das nicht ertragen.“ Tränen traten ihr in die Augen. „Ich werde die Briefe an das ,Tagebuch‘ nicht unbeantwortet lassen. Ich werde dafür sorgen, dass es weiterhin herausgegeben wird, während du fort bist. Es wird auf dich warten, wenn du zurückkommst. Ich gebe dir mein Wort.“

„Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Du musst augenblicklich verschwinden. Der Kapitän dieses Schiffes ist ein Schurke und ein Feigling. Wenn er uns zusammen erwischt, wird er dafür sorgen, dass ich das bereue – und ich bin nicht wild darauf, ausgepeitscht zu werden. Jetzt geh endlich!“

Sie erblasste. „Oh! Das tut mir leid. Das wusste ich nicht.“

Constance warf einen Blick über das Oberdeck. Die riesige Silhouette des Kapitäns kam näher. Sein strammer Gang verriet nichts vom Schaukeln des Schiffes. Ihre Nackenhaare richteten sich auf. „Ich habe dich lieb, Onkel Skelly“, flüsterte sie nervös. „Meine Gebete werden dich begleiten.“

Sie nahm ihre Röcke wieder in die Hand, wandte sich um und lief zur Landungsplanke.

In diesem Augenblick pfiff der Kapitän durch die Finger. Ein ungepflegter Matrose, der nur wenige Meter von ihr entfernt stand, machte zwei lange Schritte und packte sie am Unterarm.

„Lass mich sofort los!“, befahl sie.

Das dunkle, ledrige Gesicht des Mannes verzog sich zu einem höhnischen Grinsen. „Wohl kaum, mein Fräulein.“

Sie verstärkte ihren Widerstand. Jetzt ergriff er auch ihren anderen Arm. Als sie versuchte, sich von ihm loszureißen, wurde sein Griff erneut fester. Sie trat mit ihrem Absatz auf seine Stiefelspitze, doch ihr Absatz brach ab.

Er knurrte, packte sie um die Taille, hob sie mühelos vom Boden hoch und drückte sie an seine Seite.

„Was soll das, Cooper?“ Die tiefe Stimme drang in ihrer Panik kaum zu ihr durch. Constance konnte nicht glauben, dass diese Männer so unverschämt waren.

Sie wand sich. Nichts geschah. Sie trat um sich. Auch dies half nichts. Sie biss ihm in den Arm und hätte sich bei dem abstoßenden Gestank seines Ärmels fast übergeben.

Nun lockerte sich sein Griff endlich. Von diesem kleinen Erfolg ermutigt, schlug und trat sie mit ganzer Kraft um sich. Der Mann fluchte. Plötzlich blieb ihr die Luft weg.

Die Schaluppe schaukelte. Die Takelage ächzte.

„Was hast du da?“

„Weiß nicht genau, Käpt’n“, antwortete der Mann, der sie festhielt. „So wie es aussieht, ein kleines Vögelchen, das davonfliegen will.“

Der Kapitän griff nach ihren Haaren. „Und noch dazu ein rotes.“

Constance riss ihren Kopf von seiner Hand los. „Dafür werden Sie hängen!“ Ihre Drohung klang armselig und schwach. Sie rang verzweifelt nach Luft. „Lass mich los, du unverschämter Lümmel! Ich bekomme keine Luft.“

Der eiserne Griff des Matrosen lockerte sich jedoch nicht. Vor ihren Augen verschwamm alles. Sie hatte Mühe, das Bewusstsein nicht zu verlieren.

„Arman!“, rief der Kapitän.

Bei diesem lauten Befehl riss sie trotz ihrer Benommenheit die Augen auf.

„Herr?“, ertönte eine andere Stimme von der Landungsplanke.

„Steht ein Wagen im Hafen?“

Ihre Lunge brannte. Keuchend öffnete sie den Mund. Nun bekam sie ein wenig Luft, aber sie brauchte mehr. Viel mehr.

„Nur eine gemietete Droschke, Herr“, ertönte die Antwort.

„Sitzt jemand darin?“

„Der Fahrer. Sonst niemand, Herr.“

Ihre Augen weigerten sich, noch länger offen zu bleiben. Ihre Finger, Zehen, Arme und Beine wurden eiskalt und taub. Aber ihr Gehör funktionierte noch einwandfrei.

„Bring sie nach unten zu den anderen.“

Die Worte des Kapitäns erfüllten sie für einige Sekunden mit blankem Entsetzen, bevor alles um sie herum in Dunkelheit versank.

Kapitel 1

Kolonie Virginia Zwei Monate später

Das Kleid, das man ihr gegeben hatte, war viel zu eng und spannte. Mit demütigender Deutlichkeit zeichnete sich ihre Figur ab, aber vielleicht diente das sogar zu ihrem Vorteil. Sie hatte so stark abgenommen, dass zweifellos kein Farmer Geld in eine so krank aussehende Frau investieren würde.

Mehrere Tabakpflanzer waren schon an Bord gewesen, um sich die „Ladung“ anzuschauen. Auf einer Seite des Oberdecks waren die Männer angekettet, auf der anderen die Frauen. Die Männer wurden je nach Höhe ihres Strafmaßes für sieben oder vierzehn Jahre als Schuldknechte verkauft.

Die Frauen hingegen mussten eine lebenslängliche Strafe verbüßen. Sie sollten als Bräute verkauft werden. Eine Braut im Tausch für 120 Pfund Tabakblätter, die Währung der Kolonie.

Alle Frauen mit Ausnahme von Constance, die alleine oben auf dem Halbdeck stand. Ihre Handgelenke und Knöchel waren angekettet, während der Erste Maat rechts hinter ihr stand und sie bewachte. Für sie verlangte der Kapitän zweihundert Pfund Tabak. Lächerlich.

Ihr Blick wanderte über die Schuldknechte. Onkel Skelly war natürlich nicht darunter. Wie sollte er auch?

Nur zweimal während der gesamten Überfahrt hatte der Kapitän den Frauen erlaubt, aufs Oberdeck zu gehen, um frische Luft zu schnappen. Beim ersten Mal war sie auf dem Mitteldeck an Onkel Skelly vorübergegangen. Mit einem Kragen aus Eisen um den Hals hatten sie ihn nicht nur an ein Brett, sondern auch noch an drei der abstoßendsten Kreaturen gekettet, die sie je gesehen hatte. Einer dieser drei litt an hohem Fieber.

Als sie das zweite Mal an Deck durfte, war Onkel Skellys Platz an dem Brett bedrückend leer gewesen. Der Erste Maat, Cooper, hatte ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Skelly Morrow war gestorben.

Constance schluckte die Tränenflut mühsam hinunter, die ihr bei der Erinnerung an diesen schmerzlichen Verlust auch jetzt wieder die Kehle zuschnürte.

„Schau nicht so finster, Mädchen. Hier kommt jemand“, knurrte Cooper.

Sie versteifte sich, als ein junger Farmer von höchstens zwanzig Jahren sich dem Halbdeck näherte. Er sah Cooper an, nickte leicht und wandte sich dann an sie.

Sie wich zurück, als er eine ihrer Haarsträhnen zwischen seine langen, von der Feldarbeit rauen Finger nahm. Der Kapitän hatte ihr nicht erlaubt, an diesem Morgen ein Kopftuch zu tragen.

Diese Zurschaustellung war reine Blasphemie. Die Haare einer Frau waren heilig und ein Symbol dafür, dass sie noch unberührt war, und sollten nur offen getragen werden, wenn sie ihr Ehegelübde ablegte.

Sie hatte sich in ihrem ganzen Leben noch nie so nackt gefühlt. Ihre Haare waren nicht weich und seidig wie die von anderen Frauen. Sie waren wild und dick mit vielen kleinen Löckchen, die sich zu vermehren schienen, wenn sie nicht zusammengebunden waren.

Der leichte Wind in der Bucht wurde stärker und wehte ihr die Haare ins Gesicht. Sie versuchte erneut, sich vom Griff dieses Mannes zu befreien.

„Ruhig, mein Fräulein. Ich tue dir nicht weh“, versuchte dieser sie zu beruhigen.

Seine Stimme war freundlich, genauso wie seine Augen. Er beleidigte sie nicht mit unverschämten Blicken und behandelte sie auch nicht grob. Aber falls er auf die Idee kommen sollte, ihre Zähne sehen zu wollen, indem er sie in die Wange kniff, würde er erleben, dass sie ausgesprochen unkooperativ sein konnte.

In diesem Augenblick erregten zwei Männer, die unter ihr standen, ihre Aufmerksamkeit. Einer war ein dunkelhaariger Farmer, der einen Strohhut in der Hand hielt. Der andere hatte blonde Haare und war bereits während der Überfahrt an Bord des Schiffes gewesen. Er war weder ein Gefangener gewesen noch hatte er zur Schiffsmannschaft gehört. Sie hatte gehört, dass er einen hohen Preis für die Überfahrt in die Kolonie bezahlt hatte, wo er angeblich zu Hause war.

Die beiden Männer entschieden sich für Mary, die Frau, die während der Überfahrt neben Constance angekettet gewesen war. Sie sprachen mit Mary, kontrollierten ihre Zähne und ließen sie der Länge nach über das Deck und wieder zurück gehen.

Der Kapitän trat zu ihnen. Worte wurden gewechselt. Das Feilschen hatte begonnen. Nach wenigen Minuten wurden Mary die Fesseln abgenommen, und sie verließ mit dem blonden Mann das Schiff, während der dunkelhaarige Farmer für den Kapitän einen Beleg unterschrieb.

Constance hatte Mühe, ihre Panik zu unterdrücken. Mary war mehr als eine Mitgefangene für sie gewesen. Sie war ihre einzige Freundin.

Plötzlich deutete der Kapitän zu Constance und der Farmer wandte sich in ihre Richtung. Er kniff die Augen zusammen und beendete in Ruhe sein Geschäft mit dem Kapitän, bevor er sich zum Halbdeck begab.

Sie konzentrierte ihre Aufmerksamkeit wieder auf den jungen Mann vor ihr. Er hielt ihre Haare immer noch in der Hand, sprach aber mit Cooper.

„… eine echte Dame ist sie“, erklärte der Erste Maat dem Interessenten gerade.

„Warum wurde sie dann hierher gebracht?“, wollte der Mann wissen.

„Haben wir nicht gefragt. Es ist nicht unsere Aufgabe, Fragen zu stellen.“

Sie verdrehte die Augen.

„Haben Sie Papiere für sie?“

„Nein, hat er nicht“, mischte sich Constance ein.

Cooper ergriff ihren Arm. „Sei still, Fräuleinchen, oder du wirst es bitter bereuen.“

„Bist du auf der Suche nach einer Braut, Gerald?“ Der dunkelhaarige Farmer hatte das Halbdeck betreten.

Der Mann, der augenscheinlich Gerald sein musste, ließ rasch ihre Haare los und sprang einen Schritt zurück. „Drew! Nein, das käme doch gar nicht für mich infrage.“

„Steht sie zum Verkauf?“, erkundigte sich der Dunkelhaarige bei Cooper.

„Ja.“

„Als Tabakbraut?“

„Ja.“

Der Dunkelhaarige wandte sich wieder zu Gerald herum und zog eine Augenbraue in die Höhe.

„Nein, Drew, es ist nicht so, wie du denkst. Ich war nur neugierig.“

„Du hast das Recht, neugierig zu sein, aufgegeben, als du meine Schwester geheiratet hast.“

Geralds Gesicht lief dunkelrot an. „Eigentlich hatte ich an dich gedacht“, stotterte er.

Jetzt zog der andere beide Brauen fragend in die Höhe.

Gerald schluckte. „Ich, äh, dachte nur, wenn du eine finden würdest, die, äh, akzeptabel wäre, würde dich das vielleicht interessieren.“

„Und du hältst diese Frau für akzeptabel?“

Gerald schwieg kurz. „Sie soll eine Adelige sein, Drew.“

„Sie hat rote Haare und ich verabscheue rote Haare.“

Constance versteifte sich und warf ihm einen wütenden Blick zu. Auch Geralds Gesicht glühte. Obwohl ihre Haare eher goldbraun waren, waren Geralds Haare fast orange, so sehr leuchteten sie.

„Entschuldige. Das wusste ich nicht.“

„So, so, so. Was haben wir denn hier? Auf der Suche nach einer Braut, Master O’Connor?“ Ein dürrer, schlampig gekleideter Mann mit mehr Zahnlücken als Zähnen betrat schwankend das Halbdeck.

Die Spannung, die zwischen den drei Männern herrschte, war beinahe greifbar. Drew setzte seinen Hut auf, sah Constance an und tippte an seine Hutkrempe. „Wenn Sie uns entschuldigen würden, Miss.“ Zusammen mit seinem Schwager schritt er an ihr vorüber und an dem Mann mit den Zahnlücken sowie an zwei anderen Farmern vorbei, die jetzt auf das Halbdeck kamen.

Der dürre Mann schaute ihnen nach und spuckte etwas Tabakfarbenes auf die Holzplanken, während er ihnen mit zusammengekniffenen Augen nachblickte.

„Emmett“, grüßte einer der näher kommenden Farmer ihn. Er und sein Begleiter hatten beide einen dicken, buschigen, schwarzen Bart, ein fröhliches Gesicht und einen runden Bauch. Vielleicht waren sie miteinander verwandt.

„Woodrum“, entgegnete Emmett mit einem Nicken. Dann drehte er sich zu ihr herum, griff ihre Wangen und drückte so fest, dass sie unweigerlich den Mund öffnete. „Schaut euch nur diese Zähne an! Sie hat einen ganzen Mund voll davon. Wie ist der Rest von ihr, Cooper? Hast du sie angefasst?“

Constance wich zurück und versuchte, seinen Arm zurückzudrängen, aber die Ketten um ihre Handgelenke und ihren Leib schränkten ihre Bewegungsfreiheit ein. Der Gestank, den er verbreitete, raubte ihr schier den Atem.

„Beschädige die Ware nicht, Mann, solange du sie nicht gekauft hast“, knurrte Cooper. „Du kannst sie anfassen, so viel du willst, aber hinterlasse ja keine Spuren.“

Constance versteifte sich erneut. Emmett ließ sie los und versetzte ihr einen unsanften Stoß. Sie wäre nach hinten gefallen, wenn der kräftige Mann, den der Erste Maat mit „Woodrum“ angesprochen hatte, sie nicht am Ellbogen festgehalten hätte. Sobald sie wieder festen Halt unter den Füßen hatte, lockerte er seinen Griff und ließ sie schließlich ganz los.

Emmett ließ seinen Blick anzüglich über ihren ganzen Körper gleiten und rieb mit der Hand nachdenklich über seine mickrige Brust. „Warum ist sie hier oben und nicht unten bei den anderen Bräuten?“

„Sie ist eine Adlige“, antwortete Cooper. „Und sie kostet dich ein paar Tabakblätter mehr als die anderen.“

„Kannst du das beweisen? Das ist doch eine bloße Behauptung. Ich sage dir, sie ist nicht mehr als eine Schwalbe, die in Londons Gassen eingefangen wurde.“ Er beäugte sie erneut. „Sie hat eindeutig das, was sie für diese Arbeit braucht, aber ich werde bestimmt nicht ein ganzes Fass Tabakblätter für gebrauchte Ware bezahlen.“ Woodrum kratzte sich am Kopf. „Wie viel verlangst du für sie?“

„Zweihundert Pfund“, entgegnete Cooper.

Emmett schnaubte. „Zweihundert Pfund Tabak? Für dieses Flittchen bekommst du keine zweihundert Pfund.“

„Mann, sie ist eine echte Dame. Aber dich zwingt ja niemand, sie zu nehmen. Wir haben schon ein Gebot für sie.“

Emmett runzelte die Stirn. „Von wem?“

„Von Drew O’Connor.“

Woodrum und sein schweigender Begleiter sahen sich wortlos an. Aus ihren Mienen sprach eine unübersehbare Vorsicht. Emmetts Augen funkelten plötzlich und nahmen ein unnatürliches Leuchten an. Constance wusste nicht, was für ein Spiel der Erste Maat hier spielte, aber sie hielt es für das Beste, vorerst den Mund zu halten.

„O’Connor, sagst du?“, gab Emmett zurück. „Wie viel hat er geboten?“

„Zweihundert.“

„Warum ist das Mädchen dann noch hier?“

„Der Käpt’n akzeptiert die Bezahlung nur in Tabak. Keine Schuldscheine. Er lässt sie erst gehen, wenn er den Tabak für sie bekommen hat. Und O’Connor ist los, um seine Blätter zu holen.“

Ihres Wissens war das schlichtweg gelogen, aber ganz sicher konnte sie sich dessen nicht sein.

Die gnadenlose Sonne brannte heiß auf das Deck herab. Emmett lief der Schweiß über das Gesicht in seinen struppigen Bart hinein. „Das ist aber interessant.“ Er wischte sich die Hände an seiner Hose ab und schaute dann den Ersten Maat fragend an. „Darf ich?“

„Tu dir keinen Zwang an“, antwortete Cooper.

Emmett griff nach ihr.

„Wag es ja nicht, mich anzurühren. Sonst sorge ich dafür, dass du ausgepeitscht wirst, noch bevor die Sonne morgen am Horizont erscheint“, zischte Constance ihn an.

Emmetts Augenbrauen schossen regelrecht bis zu seinem Haaransatz hinauf. „Ho, ho! Hört euch das an! Die hat aber ganz schön viel Feuer.“ Mit einem blechernen Lachen rieb er sich die Hände.

Constance spannte sich an.

„Lass sie in Ruhe, Emmett“, sagte Woodrum und packte Emmett am Arm. „Jeder sieht doch, dass sie gesund ist, und du hast unter ihrem Kleid nichts verloren.“

Emmett schob die Lippe vor. „Was geht dich das an, Woodrum?“

„Entweder überbietest du Drews Gebot oder du lässt die Finger von ihr.“

„Ich gebe kein Gebot ab, solange ich die Ware nicht geprüft habe.“

Ohne die Augen von Emmett abzuwenden, reichte Woodrum seinem Begleiter seinen Hut, zog seine Jacke aus und drückte ihm diese auch in die Hand. Langsam begann er, die Ärmel hochzukrempeln.

Der Mann hatte zwar einen runden Bauch, aber seine Arme und seine Brust schienen stahlhart zu sein. „Du rührst sie nicht an, solange du dafür nicht bezahlt hast.“

Die Farmer auf dem Oberdeck sahen, dass sich eine Rauferei anbahnte, und begannen, sich dichter um die beiden Männer zu scharen.

Langsam ließ Emmett beschwichtigend die Hände sinken. „Zweihundertzwanzig, Cooper. Ich gebe dir zweihundertzwanzig Pfund für sie.“

„Zweihundertfünfundzwanzig“, erhöhte Woodrum das Gebot.

Es war Zeit, etwas zu sagen. „Meine Herren“, mischte sie sich ein. „Das ist wirklich völlig unnötig. Ich bin keine Tabakbraut. Ich bin die Tochter eines Earls. Der Kapitän hat mich entführt und will mich unrechtmäßig verkaufen. Sobald der Gouverneur an Bord kommt, werde ich mit ihm sprechen und zweifellos freigelassen werden. Dann fahre ich umgehend nach London zurück.“

Ihre Erklärung, die sie in einem jener unglücklichen Momente verkündete, in denen alle Umstehenden aus welchen Gründen auch immer gleichzeitig schwiegen, war über die gesamte Breite des Schiffes zu hören.

Die Stille, die ihrer Ankündigung folgte, verriet einen gewissen Schock. Eine Sekunde später ertönte jedoch lautes Gelächter und Gejohle, das beängstigende Ausmaße annahm. Selbst Woodrum war belustigt.

„Oh, die ist ja wirklich zäh“, grölte Emmett. „Wo ist der Käpt’n?“

Die Menge teilte sich, und der Kapitän kam, zwei Stufen auf einmal nehmend, aufs Halbdeck. Woodrum und sein Freund zogen sich in die Menschenmenge zurück.

Emmett schlug in die Hand des Kapitäns ein. „Ich gebe Ihnen ein ganzes Fass für sie, Käpt’n. Bis mein Knecht es hierher gerollt hat, werde ich drüben im Versammlungshaus feiern.“

Der Kapitän verzog einen Moment die Lippen, dann begann er, breit zu grinsen. „Also gut. Für dreihundert Pfund kannst du sie haben. Meine Herren, Goodman Emmett hat sich soeben eine adlige Braut gekauft.“

Unter lauten Beifallsrufen kamen die anderen Männer näher und drängten sich um Emmett. Er malte ein X auf den Zahlschein und tauschte ihn gegen eine Quittung vom Kapitän. Die Aufregung steigerte sich. Die Männer zogen Emmett vom Halbdeck und damit weiter von ihr weg. Er drehte sich noch einmal zu ihr herum. Das widerliche Versprechen in seinen Augen bohrte sich tief in ihre Seele.

Galle stieg Constance in die Kehle. Sie würde sich übergeben. Meine Güte, sie würde sich hier und jetzt übergeben.

Hilf mir, Herr, hilf mir. Wo ist der Gouverneur? Wo bist du, Herr? Bitte, bitte. Hilf mir.

Geschlossen zogen die Männer vom Schiff ans Ufer und dann weiter ins Versammlungshaus, um zu feiern.

Eine eisige Kälte ergriff ihren Körper und jagte ihr eine Gänsehaut über Arme und Beine. Dann versetzte eine alles verzehrende Wut über die unglaubliche Ungerechtigkeit dieser ganzen Situation ihr Blut in Wallung. Ihre Entschlossenheit kehrte zurück und sie konzentrierte sich auf den Kapitän.

„Wie können Sie es wagen?“, schrie sie ihn an. „Sie werden damit nicht durchkommen. Ich warne Sie, wenn Sie mir nicht sofort eine Audienz beim Gouverneur verschaffen, werde ich einen so großen Tumult veranstalten, dass man darüber Geschichten schreiben wird.“

Der Kapitän machte sich nicht einmal die Mühe, ihr zu antworten. „Sperr sie wieder ein, Cooper“, rief er über die Schulter, während er die Stufen hinabstieg.

Constance holte tief Luft und hatte die Absicht, einen so lauten Schrei loszulassen, dass man ihn nicht ignorieren könnte. Aber bevor sie einen Ton über die Lippen brachte, kniff der Erste Maat sie so fest zwischen ihren Nacken und ihre Schulter, dass ein durchbohrender Schmerz ihren Schrei erstickte und sie in die Knie gehen ließ. Sie sank zu Boden. Cooper ließ sie nicht los, sondern beugte sich nach unten. Sie wimmerte und versuchte, sich aus dem folternden Schraubstock, in dem er sie festhielt, loszureißen.

Sein heißer, stinkender Atem schlug ihr ins Gesicht. „Kein Ton, Täubchen. Kein einziger Ton.“

Kapitel 2

Constance lag zitternd und allein im Laderaum. Dunkelheit breitete sich aus. Es war schon nach Mitternacht, aber bis zum Morgen würde es immer noch ein paar Stunden dauern.

Sie war sicher, dass das Festgelage der Männer vorüber war, denn die Tabakbräute waren bereits alle abgeholt worden. Alle bis auf sie.

Sie hatte Mühe, sich nicht von ihrer Verzweiflung zermürben zu lassen. Falls der Gouverneur auf dem Schiff aufgetaucht war, dann war das geschehen, nachdem Cooper sie wieder unter Deck gebracht und an die Wand gekettet hatte. Sie wusste, dass sie keine zweite Chance bekommen würde, wenn sie diese verpasst hatte. Wenigstens nicht so bald. Und bis sie den Gouverneur endlich sah, wäre es zu spät.

Dann würde sie einem Mann gehören. Einem verhassten, vulgären Mann, der in ihr nichts als grenzenlose Übelkeit, Abscheu und abgrundtiefen Ekel hervorrief. Einem Mann, der in den Augen dieser Kolonie die völlige Herrschaft über sie besäße. Der das Recht hätte, mit ihr zu machen, was er wollte.

Ihr Magen zog sich zusammen. Sie schob sich von den rauen Planken hoch und musste sich erneut übergeben, obwohl sie schon lange nichts mehr im Magen hatte.

Es war ihr gelungen, ihre Ängste zu verdrängen, bis die letzte Braut geholt und ihrem Schicksal übergeben worden war. Als die Falltür hinter dieser armen Frau zufiel, war Constance zum ersten Mal seit über acht Wochen völlig allein. Das machte ihr Angst. Das dunkle, feuchte, übel riechende Deck, das so beengend und überfüllt gewirkt hatte, thronte jetzt stumm und unheilvoll über ihr.

Die Eisen um ihren Leib und ihre Handgelenke zogen sie mit ihrem Gewicht nach unten. Sie brach auf den Brettern zusammen und nahm nur vage das Rascheln einer Ratte wahr, das von den leeren Wänden widerhallte. Erneut liefen ihr Tränen über die Wangen. Hast du mein Schreien gehört, Herr? Hast du meinen Feind zerstört? Bin ich deshalb immer noch hier?

Wie als Antwort drang das Quietschen der Falltür an ihre Ohren. Gleichzeitig blendete das Licht einer Laterne sie. Constance hielt sich den Arm über die Augen. Das Klirren ihrer Ketten hallte laut in dem leeren Raum wider.

Die schweren Schritte eines Mannes, der die Treppe hinabstapfte, versetzten ihren Herzschlag in einen wilden Galopp. Sie rollte sich zu einer Kugel zusammen. Bitte. Bitte. Verschone mich, Herr. Rette mich. Bitte!

Der Geruch des Matrosen erreichte sie schon lange, bevor er bei ihr ankam. „Es ist so weit, Frau. Auf mit dir. Dein Mann ist gekommen. Er kann es gar nicht erwarten, dass du ihm gehörst.“

Da kann er lange warten, dachte Constance. Eine große Ruhe legte sich über sie. Langsam löste sie sich aus der Stellung, in die sie sich zusammengerollt hatte, und setzte sich auf. Sie schaute nach oben, um zu sehen, wer in dieser Schicht Dienst hatte. Arman. Ein Ungeheuer von einem Mann.

Er entfernte das Schloss, mit dem sie an der Wand festgekettet war, und zog an der Kette, die um ihr Handgelenk gebunden war. Er packte das Eisen und zerrte sie auf die Beine. Der Raum schien sich um sie zu drehen, aber Arman ließ ihr keine Zeit, sich an den schwankenden Schiffsboden zu gewöhnen.

Constance taumelte. Er versetzte ihr einen Stoß nach vorne. Sie landete unsanft auf den Knien. Schmerzen schossen ihre Beine hinauf bis zu ihrem Rücken und Nacken.

„Steh auf“, knurrte er und zerrte sie wieder auf die Beine. „Mit mir kannst du deine Spielchen nicht spielen, Fräulein. Cooper kannst du vielleicht etwas vormachen, aber für diesen ungeduldigen Gockel da oben bist du nicht mehr als eine Henne, und wenn du glaubst, du könntest ihm oder mir Schwierigkeiten machen, wirst du dafür büßen.“

Ihr Gesicht blieb ausdruckslos, aber sie würde sich weder Arman noch dem Gockel da oben fügen, und sie war bereit, alles zu tun, um diesem Schurken zu entkommen.

Als sie auf dem Oberdeck ankamen, schaute sie sich nach diesem widerlichen Emmett um, der sie gekauft hatte. Er war nicht da. Stattdessen führte Arman sie zu dem dunkelhaarigen Farmer, der, soweit sie sich erinnern konnte, Drew O’Connor hieß.

Was tat er hier? Sollte er sie zu Emmett bringen? Aber nein, es war nicht zu übersehen gewesen, dass diese beiden keine Freunde waren. Sie war verwirrt.

„Nimm ihr die Fesseln ab“, befahl O’Connor.

„Das würde ich nicht empfehlen, Herr. Dieses Täubchen ist ziemlich aufmüpfig.“

O’Connor betrachtete sie mit kritischem Blick. „Ein starker Windstoß genügt, um sie umzuwehen. Ihr gebt den Gefangenen so wenig zu essen, dass sie zweifellos zu schwach ist, um sich groß zu wehren.“

Arman versteifte sich. „Sie bekam zu essen.“

„So? Lass mich raten: Erbsen und Brei?“

„Einmal am Tag.“

„Nimm ihr die Fesseln ab“, wiederholte O’Connor.

„Nehmen Sie sie ihr doch selbst ab.“

O’Connor nahm Arman die Schlüssel aus der Hand und griff nach ihren Handgelenken. Sie riss sie zurück.

Er hielt inne. Das Mondlicht spiegelte sich auf der Schiffsglocke und warf dunkle Schatten auf sein Gesicht. „Willst du denn nicht freigelassen werden?“

„Natürlich will ich freigelassen werden, aber nicht nur von diesen Ketten. Ich möchte meine Freiheit wiederhaben. Der Kapitän dieses Schiffes hat mich entführt. Ich kam nicht freiwillig als Tabakbraut hierher und ich bin auch keine Verbrecherin.“

„Wie kommt es dann, dass du in Ketten vor mir stehst?“

Die Eisen um ihre Handgelenke klirrten, als das Schiffsdeck sich unter ihren Füßen hob. „Mein Onkel war Gefangener auf diesem Schiff. Ich kam hierher, um mich von ihm zu verabschieden …“

„Lügen“, fiel ihr Arman ins Wort.

„Ruhe, Mann“, fuhr O’Connor den Matrosen an. „Ich will hören, was sie zu sagen hat.“

Ein kleiner Funke Hoffnung glomm in ihr auf. „Mein Onkel wurde zu sieben Jahren Dienst als Schuldknecht verurteilt, weil er sich der Souveränität des Königs nicht beugen wollte. Als ich von seiner Verurteilung hörte, befand er sich bereits an Bord der ,Randolph‘. Ich fuhr eilig zu diesem Schiff, doch der Kapitän ließ mich ergreifen und gefangen nehmen.“

„Was war mit deiner Begleitung?“

Sie zögerte. „Ich entfloh dem wachsamen Auge meiner Zofe. Wenn sie von meinen Plänen gewusst hätte, hätte sie es mir nie erlaubt.“

„Und die anderen Besucher an Bord? Irgendjemand hat diese Entführung doch sicher beobachtet?“

„Die letzten Besucher verließen gerade das Schiff, als ich eintraf und an Bord ging.“

„Hat dein Fahrer nicht gemerkt, dass du nicht zurückkamst?“

Sie seufzte. „Ich hatte mir eine Droschke gemietet. Mein eigener Fahrer ist meinem Vater treu ergeben und hätte mich nie zu Onkel Skelly gefahren. Der Kapitän hat den Fahrer sicher angelogen und weggeschickt.“

O’Connor zog eine Braue in die Höhe und sah sie skeptisch an. „Du warst allein?“

Sie wandte den Blick ab und nickte.

„Im Hafen?“

Als sie die Ungläubigkeit in seinem Tonfall vernahm, stieß sie stolz hervor: „Onkel Skelly war wie ein Vater für mich. Er hatte mich seit dem Tod meiner Mutter aufgezogen. Ich war damals kaum älter als ein Baby. Mein echter Vater interessierte sich erst für mich, als er mich für eine arrangierte Ehe brauchte. Eine Verbindung, gegen die ich mich geweigert habe.“

„Wer ist dein Vater?“

„Der Earl of Greyhame.“ Die Seile knarrten und ächzten unter den Wellen, hielten die Schaluppe aber sicher im Hafen.

O’Connor warf einen Blick zu Arman. „Ich will mit dem Gefangenen sprechen, den sie Onkel Skelly nennt.“

Arman schnaubte. „Es gibt niemanden mit diesem Namen.“

„Er ist tot.“ Die Worte kamen tonlos über ihre Lippen. Sie konnte es immer noch nicht ganz glauben. Constance zwang sich, den Kloß in ihrer Kehle hinunterzuschlucken, und blickte auf den weiten Ozean hinter dem dunklen Horizont. „Er hat die Überfahrt nicht überlebt.“

O’Connor kratzte sich am Hinterkopf und schob dabei seinen Hut zur Seite. „Habe ich das richtig verstanden? Du bist allein in den Hafen gekommen und auf ein Schiff mit Verbrechern gegangen, nur um deinem Onkel einen Abschiedskuss zu geben? Einem Onkel, der allem Anschein nach nicht existiert?“

Sie schaute ihn wütend an. „Er starb während der Überfahrt!“

„Wie praktisch.“ O’Connor rückte seinen Hut zurecht und ließ rasch einen zusammengekniffenen Blick über sie wandern, bevor er an ihrem Gesicht hängen blieb.

Sie tat es ihm gleich. Seine gebräunte Haut war zu dunkel, seine blauen Augen waren zu hell, sein Kinn war zu eckig.

Dieses Kinn wurde jetzt entschlossen vorgeschoben. „Ich nehme an, du erzählst mir jetzt gleich, dass Adlige sich nicht mehr so elegant kleiden wie früher.“

Sie berührte den Bund, der sich in ihre Taille schnitt. Das Mieder war viel zu eng. „Dieses Kleid gehört mir nicht.“

„Nein? Soll das heißen, dass du ein fremdes Kleid anhattest, als du an Bord kamst, um deinen berüchtigten Onkel zu besuchen?“

„Natürlich nicht.“

„Wo sind dann deine Sachen?“

Das war eine gute Frage. Bevor sie am Vortag angelegt hatten, hatten alle Gefangenen baden müssen. Auf dem Oberdeck. Im Freien. Sie hatte sich natürlich geweigert. Aber mithilfe eines zweiten Matrosen hatte Arman ihr ihre Sachen ausgezogen, sie in eine schmutzige Tonne gestoßen, einen Eimer mit Salzwasser über sie gekippt und sie dann an den Haaren herausgezogen.

Sie hatte um sich getreten und geschlagen, bis der Kapitän ihr ein fremdes Mieder mit Rock und Kopftuch in die Arme geschoben hatte. Keine Unterwäsche. Keine Strümpfe. Keine Schuhe.

Sie hatte die Sachen an sich gedrückt und gefragt, wo die Unterwäsche sei und warum dieses Kleid so schmutzig sei. Als Antwort hatte der Kapitän gedroht, ihr wieder alles abzunehmen und sie den Interessenten völlig nackt zu präsentieren.

Daraufhin hatte sie um die Rückgabe ihres Tagebuchs gebeten. Es steckte in der Tasche ihres alten Rocks. Der Kapitän hatte die Augen zusammengekniffen. Das Tagebuch bekäme sie zurück, wenn sie zu den Männern netter wäre, hatte er gesagt. Sie könne ja bei ihm anfangen.

Sie war klug genug zu wissen, wann sie nachgeben musste. Die Erinnerung an diese Situation verstärkte ihren Ärger. Sie deutete mit dem Kopf zu Arman. „Fragen Sie ihn.“

O’Connor wandte sich an den Matrosen. „Wo sind ihre Sachen?“

„Unten.“

„Bring sie mir.“

„Es sind Lumpen, Mann. Mit den Sachen kann kein Mann und kein Tier mehr etwas anfangen.“

„Die Kleidung der Dame, bitte.“

„Ich will auch mein Tagebuch zurück“, verlangte Constance.

Armans schwarze Augen durchbohrten sie regelrecht.

„Ich will alles sehen, was sie bei sich hatte, als sie an Bord kam“, erklärte O’Connor.

Arman drehte sich unwirsch um und ging zum Niedergang. O’Connor hielt ihn noch einmal zurück. „Sag deinem Kapitän, dass ich mit ihm sprechen will.“

Das rhythmische Klatschen des Wassers gegen die Schaluppe unterstrich die plötzliche Stille noch mehr. O’Connor schaute nicht in ihre Richtung. Er stand mit gesenktem Kopf da, ließ die Schultern hängen und rieb sich die Augen. Seine ärmellose Lederjacke lag über breiten, kräftigen Schultern. Die Bänder standen an der Brust offen und eröffneten den Blick auf ein abgetragenes Hemd, während eine Stofftasche vom Ledergürtel um seine schmale Taille baumelte. Seine Hose verengte sich unterhalb seiner Knie, wo lange Strümpfe seine muskulösen Waden bedeckten. Schlichte Bänder hielten die eckigen Schuhe an seinen Füßen zusammen.

Als er Arman zurückkommen hörte, hob O’Connor den Kopf und warf entschlossen die Schultern zurück. Der Matrose reichte ihm ein zusammengerolltes Stoffbündel.

O’Connor trat näher zur Laterne, rollte das Bündel auseinander und untersuchte das früher einmal schöne Seidenkleid, das sie an jenem längst vergangenen Tag, als sie entführt worden war, getragen hatte. Seine großen, kräftigen Hände erforschten die Umrisse des Kleides und glitten über die weichen Kurven, die nur für sie eingenäht waren. Das ausgebleichte grüne Mieder zitterte unter seinen geschickten, gebräunten Fingern. Constance spürte, wie eine unerwünschte Wärme ihren Hals und ihre Wangen überzog.

Schließlich ließ er den Rock aus seinen Händen auf das Deck gleiten. Sie riss die Augen von dem seidigen Bündel vor seinen Füßen los und sah zu, wie er ihr Mieder ausschüttelte. Eine weitere Untersuchung der Säume und der Form folgte.

Er hielt die Unterwäsche an den Schulterträgern hoch und schaute mit zusammengekniffenen Augen zu ihr hinüber. „Sind das deine Sachen?“

Sie nickte.

„Haben sie dir gepasst, als du auf das Schiff gekommen bist?“

Sie errötete erneut. „Ja.“

Er legte den Kopf nachdenklich zur Seite und betrachtete den Unterrock noch einmal. „Du hast einige Pfunde verloren.“

Sie sagte nichts. Neben seiner imposanten Gestalt sah das Hemd, das lose in seiner Hand hing, klein aus. Trotzdem hatte er recht. Das einzig Füllige, das sie noch am Körper hatte, befand sich an ihrer Brust, und auch diese hatte an Größe deutlich abgenommen.

Als könne er ihre Gedanken lesen, betrachtete er die fraglichen Körperteile. Sie widerstand nur mühsam dem Drang, sich mit ihren Händen zu bedecken. Sie hatte zu Hause Kleider getragen, die alle so tief ausgeschnitten gewesen waren. Trotzdem war sie deshalb nicht einen Moment befangen gewesen.

Nach einer Weile hob er das Kleid vom Deck auf und strich mit den Fingern über den fein gewebten Stoff. Nachdem er in die Taschen gegriffen hatte, klemmte er sich das Kleid unter den Arm. „Das Tagebuch?“

Arman reichte O’Connor ein kleines, abgegriffenes Buch. O’Connor verbrachte mehrere Minuten damit, sich dieses Buch genauer anzusehen. „Wo ist ihr Tagebuch?“

„Das ist alles, was wir gefunden haben“, antwortete Arman.

„Das hier ist das Tagebuch, von dem ich gesprochen habe“, erklärte Constance.

O’Connor schaute sie an. „Das ist kein Tagebuch. Das ist eine Sammlung von Unsinn.“

Sie wurde gereizt. „Das ist ein Almanach, der viele erquickende und unterhaltsame Details enthält.“

Er schnaubte. „Zu welchem Zweck?“

„Es liefert mir und vielen anderen Damen einen Reichtum an wissenschaftlichen Erkenntnissen.“

Drew schlug das Buch auf und blätterte darin. Dann hielt er es ins Laternenlicht und las einen Eintrag:

„Im strahlenden Morgenlicht in London sah ich klar,dass mein Stock genau in seinem eigenen Schatten war.Es war der zehnte Mai, wie ich im Kalender fand.Weißt du, welche Zeit die Uhr zeigte an der Wand?“

Er sah sie über den Buchrand hinweg an. „Das soll wohl ein Witz sein?!“

„Können Sie mir die Lösung sagen?“

„Neun Uhr, dreizehn Minuten und sechzehn Sekunden.“

Sie verdrehte die Augen. „Sie haben meine Antwort gelesen.“

„Deine Antwort? Du hast die Zahlen an den Rand gekritzelt?“

Constance zog die Augenbrauen zusammen und warf ihm einen bösen Blick zu. „Ja“, antwortete sie lapidar.

Er legte den Kopf in den Nacken und lachte. Beim tiefen, warmen, kräftigen Klang seines Lachens begannen ihre Ohren zu glühen. Sie atmete tief ein und sah ihn finster an.

„O’Connor“, rief der Kapitän. „Sie sind schon wieder da?“

O’Connor klappte den Almanach zu und schob ihn zu dem Kleid unter seinen Arm. Er reichte dem Kapitän die Hand. Der Mann schlug ein.

„Guten Abend, Käpt’n. Diese Frau sagt, sie sei unfreiwillig hier.“

Der Kapitän schaute ihn an. „Sie sind also hier, um sie abzuholen? Ich hatte schon gehört, dass Emmett sie heute Nachmittag beim Glücksspiel verloren hat, aber ich konnte es nicht ganz glauben. Sie haben den Beleg?“

O’Connor reichte ihn ihm.

Ihre Kinnlade fiel nach unten. Beim Glücksspiel? Sie hatten bei einem Kartenspiel um sie gespielt?

Sie machte den Mund wieder zu. War das deine Antwort, Herr? Das verstehst du unter „Freilassen“? Aber das ist nicht das, was ich gemeint habe, und das weißt du genau! Ich will frei sein!

Der Kapitän betrachtete das Stück Papier und gab es O’Connor dann mit einem breiten Grinsen zurück. „Zum Kuckuck, Emmett hat bestimmt eine Stinkwut. Noch dazu, weil er so viel Tabak für sie bezahlt hat.“ Er schlug O’Connor auf den Rücken. „Warum haben Sie so lange gebraucht, um sie abzuholen? Die anderen Männer haben ihre Bräute schon längst mitgenommen.“

„Ich hatte noch etwas zu erledigen.“

Ein vielsagendes Grinsen huschte über das Gesicht des Kapitäns. „Ah, ja. Das hätte ich ja fast vergessen. Sie haben sich heute Morgen ja schon selbst eine Braut gekauft, oder? Sie konnten es gar nicht erwarten, eine zu bekommen, und haben deshalb sogar Ihren Bruder bis nach England geschickt, damit er eine für Sie aussucht.“ Er stieß ein tiefes, raues Lachen aus. „Und Sie kriegen jetzt erst wieder Luft? Und haben beschlossen, die da auch noch auszuprobieren? Hoho! Emmett wird vor Wut durchdrehen, wenn er seinen Rausch ausgeschlafen hat!“

In Constances Kopf ging alles drunter und drüber. Sprach der Kapitän von Mary? Mary war mit dem blonden Mann weggegangen, aber dieser O’Connor hier hatte die Kaufpapiere unterschrieben. Oh, die arme Mary! Andererseits konnte O’Connor wohl kaum versuchen, Constance zu einer Ehe zu zwingen, wenn er bereits mit Mary verheiratet war.

„Ich habe die Frau, die mir mein Bruder empfohlen hat, nicht geheiratet, sondern sie nur gekauft“, knurrte O’Connor in Richtung Kapitän.

Constance stockte der Atem.

Der Kapitän grölte. „Das ist ja noch besser! Mann, ich kann es nicht erwarten, Emmetts Gesicht zu sehen, wenn er das hört.“

O’Connors Nasenflügel blähten sich auf. „Wo sind die Transportpapiere dieser Frau?“

Die Miene des Kapitäns wurde etwas ernster. „Sie kam mit gefälschten Briefen an die Gefangenen an Bord, um ihnen zur Flucht zu verhelfen. Wir haben sie gefasst, bevor sie ihren Plan ausführen konnte.“

Constance keuchte vor Wut. „Das ist nicht wahr!“

Sie sah einen Anflug von Misstrauen in O’Connors Gesicht. Er zweifelte doch sicher an der Aufrichtigkeit des Kapitäns und nicht an ihrer?

Meine Güte, sie musste den Gouverneur dieser gottverlassenen Gegend finden, und zwar sehr schnell. Erst dann konnte diese ungeheuerliche Ungerechtigkeit, die ihr angetan wurde, in Ordnung gebracht werden.

Ein deprimierender Gedanke begann sich in ihr festzusetzen. Was sollte sie tun, wenn es ihr endlich gelungen war, eine Audienz beim Gouverneur zu bekommen, und er ihr nicht glaubte? Sie war in dieser Kolonie, die verzweifelt darauf angewiesen war, dass sich die bisherigen Kolonisten vermehrten, nicht mehr als ein weiterer warmer, weiblicher Körper. Was wäre, wenn der Gouverneur sich weigerte, ihr Glauben zu schenken, nur weil es in seine Absichten – und in die Pläne der Krone – passte, dass sie hier war?

Dieser arrogante Provinzler war unter Umständen ihre einzige Chance auf Freiheit. Immerhin war sie jetzt offenbar sein Eigentum. Wenn er ihrer Geschichte Glauben schenkte, stünde es dann nicht in seiner Macht, sie freizulassen?

Der Kapitän betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen. „Wir bekamen den Befehl von Oberstleutnant Windem, sie zu behalten. Sie ist eine Rebellin, die nicht länger in England bleiben darf.“

„Wie können Sie es wagen!“, schrie sie. „Mein Vater …“

„Kann ich den Befehl sehen?“

Der Kapitän konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf O’Connor. „Der Befehl erfolgte mündlich.“

O’Connor kniff die Lippen zusammen. Er reichte dem Kapitän die Schlüssel. „Lassen Sie sie frei. Ich will sie mit nach Hause nehmen.“

Der Kapitän trat näher, um die Ketten aufzusperren. „Natürlich. Aber es tut mir fast leid, sie gehen zu lassen. Diese Kleine ist ein ziemlich lebhaftes Frauenzimmer und sie kann sich ganz schön aufregen. Zu schade, dass ich bei dem Kartenspiel nicht mitgemacht habe. Vielleicht hätte Emmett sie an mich verloren. Dann könnte ich in den nächsten Hafen fahren und sie dort noch einmal verkaufen!“

Constance versteifte sich und warf die Schultern zurück. Sie und O’Connor starrten einander über den gebeugten Kapitän hinweg wortlos an. Sie seufzte und beherrschte sich mühsam, während sie zuschaute, wie die Ketten abgenommen wurden.

„Miss Morrow?“

„Lady Morrow.“

O’Connor reichte ihr seinen Arm.

„Dann glauben Sie mir?“

Er sagte nichts, sondern schob nur den Strohhut zurück, der auf seinen langen, gewellten Haaren saß, und reichte ihr dann noch einmal den Arm.

„Ich muss mit dem Gouverneur sprechen. Werden Sie mich zu ihm bringen?“

Er nickte kurz. „Natürlich.“

Sie schaute auf seinen Ellbogen und dann wieder zu seinen Augen hinauf. „Wann?“

„Es ist mitten in der Nacht“, sagte er. Ein Anflug von Ungeduld flackerte über sein Gesicht. „Keine sehr gute Zeit, um beim Gouverneur ein mitfühlendes Ohr zu erwarten.“

Sie biss sich auf die Lippe. Er hatte natürlich recht. Constance hob das Kinn und sagte: „Ich werde Sie nicht heiraten, bevor ich nicht mit dem Gouverneur gesprochen habe.“

O’Connor zog eine Braue in die Höhe. „Habe ich dich gebeten, mich zu heiraten?“

„Nein, aber ich nahm an …“

„Nimm lieber nichts an.“

Sie betrachtete ihn einen Moment lang, dann legte sie zögernd eine Hand auf seinen Arm und begleitete ihn vom Schiff.

„Wir gehen zu Ihnen nach Hause?“, fragte sie.

Er nickte.

* * *

Sie ließen den Hafen hinter sich und gingen im Zickzack durch einen Wald mit hohen Bäumen, die mit jedem Schritt größer und eindrucksvoller wurden.

Allein schon bei der Menge an Bäumen verschlug es ihr die Sprache. Sie hatte gehört, dass die Kolonien reich an Holz waren, aber einen solchen Überfluss hatte sie nicht erwartet. Selbst der Vollmond leuchtete hier auf eine Weise, die sie noch nie zuvor erlebt hatte, und schenkte ihnen reichlich Licht.

Schließlich betraten sie eine natürlich gewachsene Allee, die von Bäumen gesäumt war, deren dicke Stämme vermuten ließen, dass sie zweihundert Jahre oder noch älter waren. Sie bildeten zusammen mit den Büschen eine Einheit und breiteten sich zu einem großzügigen Bogen über ihnen aus. Die Strahlen des Mondlichts drangen durch dieses Blätterdach und beleuchteten den Weg, der von üppigem Laub und den Bäumen flankiert war.

Constance schloss die Augen und atmete ein. Süße Gerüche, die sie nicht identifizieren konnte, erfüllten sie. Sie genoss den reinen, köstlichen Duft, stolperte aber im nächsten Moment über eine Wurzel.

Sie riss die Augen auf, als O’Connor ihren Ellbogen ergriff, um sie zu stützen.

„Danke“, sagte sie.

„Ist alles in Ordnung?“

Sie bewegte ihren Knöchel. „Ja.“

Sie stellte ihren Fuß vorsichtig auf die Erde und sah zu ihm auf. Ihre Blicke begegneten sich.

In diesem Augenblick flog eine Eule auf der Suche nach ihrem Abendessen nahe an ihnen vorüber, ohne ein Geräusch zu verursachen. Der Vogel krächzte, gereizt darüber, dass sie in sein Jagdgebiet eindrangen. Constance kreischte und machte einen Satz auf den Amerikaner zu, um sich vor dem durchdringenden Schrei in Sicherheit zu bringen. O’Connor stieß ein belustigtes Lachen aus.

Sie biss die Zähne zusammen. „Wann kann ich den Gouverneur sehen?“

„Sobald ich Zeit habe, dich zu seiner Plantage zu bringen.“

„Wann wird das sein?“

„Wahrscheinlich im November.“

Sie riss ihren Arm aus seinem Griff los und trat einen Schritt zurück. „November? Bis dahin sind es noch fünf Monate. So lange kann ich nicht warten. Ich muss ihn morgen sprechen!“

„Unmöglich.“

Constance keuchte. „Ich verlange es.“

„Du kannst verlangen, so viel du willst. Ich habe eine Tabakplantage. Das hat Vorrang vor einem zeitaufwendigen Fußmarsch mit ungewissem Ausgang. Ich schlage vor, dass du dich an die Tatsache gewöhnen solltest, dass ich dich nach dem Gesetz dieses Landes besitze und tun kann, was ich will.“

„Aber auf dem Schiff …“, stotterte sie. „Der Kapitän … Sie sagten … Ich dachte, da es keine Papiere für mich gibt, und … Also, Sie müssen mich morgen zu ihm bringen, damit ich mit ihm sprechen kann.“

„Ein Gespräch mit dem Gouverneur hilft dir überhaupt nicht weiter. Ohne meine Einwilligung lässt er dich sowieso nicht frei.“

„Dann geben Sie mir Ihre Einwilligung. Oder lassen wir ihn doch einfach aus dem Spiel. Ich bitte Sie, lassen Sie mich frei, und die Sache ist erledigt.“

O’Connor schüttelte den Kopf. „Ich bin doch nicht verrückt, kleine adlige Dame. Ich werde deinem sogenannten Vater eine Nachricht schicken. Falls und wenn ich von ihm höre, ist es noch früh genug, dich freizulassen.“

Sie schwieg. Sie hatte gehofft, dass es eine schnellere Lösung gäbe. Es würde eine halbe Ewigkeit dauern, bis ihren Vater eine Nachricht erreichte. Falls jedoch mit dem Schiff eine Nachricht zurückgeschickt würde, würde ihr Vater, wenn auch unter Murren, jemanden entsenden, sobald er von ihrer Situation erfuhr. „Sie wollen mich nicht heiraten?“

Er schnaubte. „Ganz sicher nicht.“

„Werden Sie der ,Randolph‘ eine Nachricht mitschicken, bevor sie wieder ausläuft?“

Er bedachte sie mit einem langen, aufmerksamen Blick, bevor er langsam nickte. „Das werde ich.“

Er wird es? Er wird es. Sie lächelte. Ein richtiges Lächeln. Es war das erste Mal, dass sie lächelte, seit dieser ganze Albtraum angefangen hatte. Sie reckte die Hände über ihren Kopf, hob das Gesicht zum Himmel hinauf und drehte sich im Kreis. Das Tuch, das sie um ihren Kopf geschlungen hatte, rutschte nach unten.

Sie schloss die Augen, hörte auf, sich zu drehen, und sprach ein Dankgebet aus. Als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie, dass O’Connor wie erstarrt auf dem Weg stehen geblieben war.

„Danke“, flüsterte sie. „Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar.“

Er verriet mit keiner Miene, dass er sie gehört hatte.

Constance suchte auf der Erde nach ihrem Tuch. Sie würde eine halbe Ewigkeit benötigen, um ihre unzähmbaren Haare wieder zu bändigen. Sie hob das lose Stück Stoff auf und drückte es an ihre Brust. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. So Gott wollte, wäre sie an Weihnachten wieder zu Hause.

Sie hatte die Arme nach oben gestreckt, um sich das Tuch wieder um den Kopf zu binden, und trat auf O’Connor zu. Als er den unbedeckten Teil ihres Nackens betrachtete, verlangsamten sich jedoch ihre Schritte.

Er schwieg und richtete seine ganze Konzentration auf ihre Person. Constance versuchte verstohlen, ihr Mieder zurechtzurücken. Dabei schaute sie durch die Wimpern diesen Mann an und zuckte zusammen. Der Blick dieses ungehobelten Bauern enthielt eine äußerst beunruhigende Mischung aus Arroganz und Faszination.

Sie hielt inne.

Er betrachtete sie aufmerksam. Dann trat er zögerlich zwei Schritte auf sie zu und überbrückte die Distanz zwischen ihnen.

Die schwere, feuchte Luft erdrückte sie fast und brachte sie mit ihrer Wärme schier zum Glühen. Sie atmete tief ein. „Ist alles in Ordnung, Herr?“

„Wie alt bist du?“

„Neunzehn.“

„Du hast rote Haare.“

Sie blinzelte mehrfach verwirrt und hob unbewusst eine Hand an die Haarsträhnen, die einfach nicht unter ihrem Tuch bleiben wollten. „Meine Haare sind goldbraun.“

„Sie sind rot. Und du hast Sommersprossen.“

Constance keuchte und legte ihre Hände auf ihre Wangen. Diese lästigen Sommersprossen! Selbst im Schatten musste nur ein warmer Windhauch sie berühren, und schon tauchten sie auf wie ein Feuerwerk an einem dunklen Himmel. Trotzdem waren nicht einmal die Matrosen so unhöflich gewesen, sie darauf anzusprechen.

Seine Brauen zogen sich zu einem Runzeln zusammen. „Sie sind sogar auf deinen Händen.“

Sie ließ die Hände sinken und richtete sich auf. Dass er die Sommersprossen sogar im Mondschein erkennen konnte, machte ihre Demütigung nur noch schlimmer.

Sein Blick wanderte von ihrem Gesicht zu ihren Schultern und weiter zu der nackten Haut über ihrem Mieder. Nach einer fast endlosen Pause schüttelte er den Kopf und wandte sich wieder zum Gehen.

Sie atmete aus, obwohl ihr gar nicht bewusst gewesen war, dass sie den Atem angehalten hatte. Von allen unerzogenen, unverschämten, unzivilisierten Menschen auf der ganzen Welt ist dieser Kerl der schlimmste, dachte sie.

Constance sah ihm nach, wie er um eine Wegbiegung verschwand. Er war nicht so schmutzig und stinkend, wie Emmett es gewesen war. Er erfüllte sie auch nicht mit Abscheu und Angst, so wie Emmett es getan hatte. Aber die Wahrheit war, dass sie über diesen O’Connor überhaupt nichts wusste. War er vertrauenswürdig? Würde er ihrem Vater wirklich eine Nachricht schicken oder machte er sich nur über sie lustig?

Vielleicht sollte sie lieber zurückgehen. Zurück zu Arman und seinem Kapitän. Zurück zu Erbsen und Brei. Zurück in den feuchten, dunklen Schiffsrumpf, der jetzt leer und verlassen war.

Sie erschauderte. Nein, das konnte sie nicht. Sie wollte es nicht. Und wozu? Weil der Hauch einer Möglichkeit bestand, dass der Gouverneur an Bord kam und sich ihre Bitten anhörte? Die Bitten einer geflohenen Braut und möglichen Verbrecherin?

Der Kapitän würde sie womöglich wirklich zum nächsten Hafen bringen und sie dort noch einmal für ein Fass Tabakblätter verkaufen.

Sie betrachtete den Weg, den sie gekommen waren. Vielleicht sollte sie versuchen, unbemerkt zu verschwinden. Die überwachsene Allee wäre leicht zu finden, aber was dahinter kam, wusste sie nicht genau. Wohin sollte sie gehen? Was für wilde Tiere lauerten in diesen Wäldern? Was war mit den wilden Indianern, von denen sie schon so viel gehört hatte?

Constance stand noch einige Momente unentschlossen da. Was soll ich tun, Herr? Was soll ich nur tun? Doch sie bekam keine Antwort.

Das Krächzen, Heulen und Schreien der Nacht schien sich zehnfach zu verstärken. Einige Meter neben ihr knackte ein Zweig. Nein, sie hatte keine andere Wahl. Sie schob das Kinn entschlossen vor, nahm den Saum ihres Kleides in die Hand und folgte dem Weg, den dieser Drew O’Connor vor ihr eingeschlagen hatte.

Kapitel 3

Drew trat aus der natürlichen Allee in das helle Mondlicht. Erfüllt von einer tiefen Dankbarkeit für das, was sein Vater vor ihm hier geschaffen hatte, betrachtete Drew die Hütte, in der er aufgewachsen war. Er atmete tief ein und genoss das angenehme Gefühl, das diese Hütte in ihm auslöste, die auf einer Lichtung inmitten mehrerer großer Bäume stand. Ihre Wände bestanden aus geflochtenen Zweigen, die mit Lehm verschmiert waren.

Dünner Rauch stieg aus dem Lehmkamin auf, der sich am einen Ende des Hauses befand. Auf der anderen Seite war ein großer Stoß Feuerholz sauber gestapelt. Ein haarloses Kaninchenfell, das über das eckige Fenster gespannt war, bot denen, die darin schliefen, einen gewissen Schutz.

Sein Bruder saß auf dem Hackstock aus Eichenholz vor dem Haus und hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt. Drew lächelte bei sich. Josh war ein unverbesserlicher Optimist. Wenn zum Beispiel ein Gewitter aufzog, rechnete Drew mit einer Überschwemmung, Josh jedoch mit einem Regenbogen.

Drew dachte daran zurück, wie untrennbar sie als Jungen gewesen waren, ein Bruder die perfekte Ergänzung des anderen. Auch jetzt, da sie erwachsen waren, setzte sich ihre enge Beziehung in ihrem gemeinsamen Tabakhandel fort. Drew bearbeitete mit Leidenschaft und Ehrgeiz das Land, während Josh mit einer natürlichen Gabe als Tabakhändler Erfolg hatte, von der andere nur träumen konnten. Es war gut, seinen Bruder nach seiner letzten Fahrt nach England wieder zu Hause zu haben.

Josh nahm den Zahnstocher aus seinem Mund. Die dunkelblonden Haare lockten sich unter seinem Hut und fielen bis über seine Schultern. „Wo ist sie?“

Drew zuckte die Achseln. „Ein paar Meter hinter mir.“

Josh runzelte die Stirn. „Hast du ihr gesagt, dass sie auf dem Weg bleiben soll? Auch im Dunkeln gibt es hier immer noch genug Schlangen.“

„Was macht das schon? Ihre Überlebenschancen stehen sowieso sehr schlecht.“

„So schlecht sicher auch wieder nicht.“

Drew ließ Constances Kleidung und ihr Tagebuch auf die Bank neben der Haustür fallen. „Du vergisst, dass es nicht viele Frauen schaffen, wenn sie erst einmal hier sind. Nur jede Dritte. Nur die Zähen. Nur die Starken. In den meisten Fällen nur die Starrsinnigsten.“

Josh steckte sich den Zahnstocher wieder in den Mund und biss auf den dünnen Holzspieß. „Nur weil Leah hier nicht überlebt hat, heißt das nicht, dass jede Frau das gleiche Schicksal ereilen wird.“

Drew versteifte sich. „Leah hat nichts damit zu tun.“

„Das ist glatt gelogen, und das weißt du ganz genau. Seit ihrem Tod sind fast drei Jahre vergangen. Höchste Zeit, dass du darüber hinwegkommst.“

Drew nahm Constances Tagebuch in die Hand und blätterte darin herum. Es war natürlich zu dunkel, um darin zu lesen, aber das war gleichgültig, da Bilder von Leah vor seinem inneren Auge auftauchten. Ihre stille, blasse Schönheit, ihre steife, leblose Gestalt und die maisblonden, seidigen Haare, als sie sie in eine Kiste legten und diese sechs Fuß tief in die Erde senkten.

Ein großer Knoten bildete sich in seinem Magen. Er wollte nicht zuschauen, wie auch die Lebenslust und die Vitalität dieser Rothaarigen ausgelöscht wurden. Mit fester Entschlossenheit klappte er Constances Tagebuch zu. Er brauchte nichts anderes tun, als auf Abstand zu bleiben, dann würde es ihn vielleicht nicht berühren, wenn dieses Land ein weiteres Menschenleben forderte. Diesen Fehler hatte er schon einmal gemacht. Er würde ihn nicht wieder machen. „Die Frau ist tot, bevor der Winter kommt.“

Josh verdrehte die Augen. „Das weißt du nicht.“

„Wollen wir wetten?“

„Einverstanden“, willigte Josh ein. „Wenn sie nach dem Winter immer noch lebt, habe ich gewonnen, und du musst sie heiraten. Wenn sie tot ist, hast du gewonnen, und ich muss sie heiraten.“

Drew warf das Tagebuch wieder auf die Bank. „Sehr lustig und für dich auch eine sehr sichere Sache, wenn man bedenkt, dass deine Verlobte dich sehnsüchtig in England zurückerwartet.“

„Das stimmt.“ Josh rieb über die Stoppeln auf seinen Wangen. „Und, wirst du sie heiraten oder nicht?“

Drew runzelte die Stirn. „Nein. Sie muss einfach nur als Magd für uns arbeiten.“

„Aber sie ist keine Magd. Die Frauen auf der ,Randolph‘sollten als Tabakbräute verkauft werden, nicht als Schuldmägde. Das weißt du ganz genau. Aber du wolltest keine Braut, nicht wahr, Drew?“ Joshs Augen verrieten, wie wütend er war. „Nein, du hast den Frauen für immer abgeschworen, und deshalb hast du mich auf eine verrückte Mission nach England geschickt, um die Gefängnisse abzuklappern, bis ich eine Frau fand, die keine schlimme Verbrecherin war, aber trotzdem deportiert wurde, und gleichzeitig nicht als Heiratskandidatin zur Debatte stand.“ Er spuckte den Zahnstocher aus und schaute diesem nach, wie er im hohen Bogen auf die Erde flog. „Das habe ich getan, großer Bruder. Ich habe Mary Robins gefunden. Nur für dich. Und damit viele Wochen vergeudet.“

Drew weigerte sich, Josh anzuschauen. Er hatte diesen Wutausbruch verdient. Sein Bruder hatte seine Anweisungen befolgt, ohne Fragen zu stellen, aber jetzt machte er seinem Unmut Luft, und wenn Drew ehrlich sein wollte, musste er zugeben, dass Josh jedes Recht dazu hatte. Deshalb würde er hier stehen bleiben und sich anhören, was sein Bruder ihm an den Kopf warf – wenigstens eine Weile lang.

Josh biss die Zähne zusammen. „Und was machst du an dem ersten verdammten Tag, an dem ich zurück bin?“ Ein spannungsgeladenes Schweigen legte sich über die Lichtung. „Du spielst Karten und gewinnst am Ende eine Braut. Eine Braut, die man heiraten kann. Jetzt hast du zwei Frauen, während andere keine einzige haben.“ Er schüttelte den Kopf. Sein ganzer Ärger verrauchte. „Der Rat wird das nicht dulden, Drew. Du wirst diese zweite heiraten müssen.“

Drew starrte seinen Bruder mit leidenschaftslosen Augen an. „Nein.“

Josh stützte einen Ellbogen auf sein Knie und suchte in den Holzstückchen nach einem neuen Zahnstocher. „Warum nicht?“ Er betastete ein Stückchen, dann ein zweites und entschied sich schließlich für ein drittes. „Bist du es denn nicht müde, ledig zu sein? Findest du nicht, dass ein Mann mit achtundzwanzig Jahren schon längst …“

„Es reicht!“ Drew zog mürrisch seinen Hut vom Kopf. „Meine Überzeugungen gehen in eine andere Richtung als deine. Wenn du es so großartig findest, dich in England auszutoben, solange du dort bist, ist das in deinen Augen vielleicht das Größte, aber nicht für mich.“

Josh wandte den Blick ab. „Ich verurteile dich nicht. Mich ärgert es nur, dass du immer noch um Leah trauerst. Sie war schließlich nicht deine Frau – sie war deine Verlobte.“ Er rieb sich den Nacken. „Sie ist tot, Drew. Tot. Warum kannst du nicht endlich darüber hinwegkommen?“

Drew zwang sich, langsam einzuatmen. „Hast du vergessen, dass unsere Familie früher aus neun Leuten bestand? Hast du die Sterblichkeitsrate in dieser Siedlung vergessen? Hast du vergessen, dass wir ohne Eltern sind und nur noch Sally und Großmutter haben?“

„Vergiss Nellie nicht. Sie lebt auch noch“, sagte Josh leise.

„Das stimmt. Aber sie ist jetzt verheiratet und lebt nicht mehr unter meinem Dach.“

„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“

Drew strich sich abwesend mit den Fingern durch die Haare. „Hätte ich gern eine Frau, die zu mir gehört? Natürlich. Aber nach allem, was ich erlebt habe, sind sie alle nicht der Mühe wert.“

Unerwünschte Bilder von Constance tauchten vor seinem inneren Auge auf. Er hasste rote Haare und sie war wahrlich ein wandelndes Leuchtfeuer. Aber, der Himmel stehe ihm bei, als er sie an Deck gesehen hatte, und dann wieder, als ihr Tuch auf den Boden gerutscht war, hatte er die Auswirkungen bis in seine Zehen gespürt.

Und diese unansehnlichen Sommersprossen. Sie waren überall. Trotzdem hatte er dagestanden und sie angestarrt. Als sie ihr Mieder zurechtgerückt hatte, war er nicht imstande gewesen, sich zu bewegen, geschweige denn zu atmen.

Er warf Josh einen Blick zu. „Ich will keine Frau, wenn ich hilflos zuschauen muss, wie sie stirbt und dann auch noch unsere Kinder sterben.“

„Wenn du keinen Erben willst, warum bist du dann so erpicht darauf, ein großes Plantagenhaus zu bauen?“

„Was soll ich denn sonst mit all dem Bauholz machen, das Vater uns im letzten Jahr spalten ließ? Es ist jetzt trocken und kann zum Bauen verwendet werden.“

„Es gibt genug Leute, die es dir abkaufen würden.“

Drew setzte seinen Hut wieder auf und starrte zum Wald, der gleich hinter der Lichtung begann. „Ich musste Vater versprechen, dass ich es bauen würde. Nicht einfach irgendein Haus, verstehst du. Ich musste ihm versprechen, genau das Haus zu bauen, das er gezeichnet hat. Das Haus, für das er all diese Nägel gekauft hat. Das Haus mit drei Stockwerken und einem gemauerten Keller aus Ziegelsteinen.“

Nachdem er seinen Bruder einen Moment lang sprachlos angestarrt hatte, klappte Josh seinen Mund wieder zu. „Wann hat er dir denn dieses Versprechen abgenommen?“

Drew stieß einen langen Seufzer aus. „Als du fort warst. Er lag auf dem Sterbebett und wand sich vor Schmerzen. Ich konnte es ihm nicht abschlagen.“

Ein leichter Wind berührte sein Gesicht und bewegte die Blätter des Maulbeerbaums zu seiner Linken. Er pflückte eine Traube dunkelvioletter Früchte, die unter den schützenden, herzförmigen Blättern hingen.

Ein winziger Strom aus süßem Nektar tropfte von seinen Lippen. Er wischte sich mit dem Ärmel über das Kinn und steckte sich eine weitere Beere in den Mund. Das Vibrato eines Frosches erstarb plötzlich und eine ungewohnte Stille breitete sich über der Lichtung aus.

Josh schlug sich mit den Händen auf die Knie und deutete mit dem Kopf zu den Bäumen. „Sollte sie nicht inzwischen hier sein?“

Drew zuckte die Achseln.

Josh richtete den Blick auf den ausgetretenen Pfad und kniff die Augen zusammen. „Was hältst du von ihren roten Haaren?“

Drews Gesichtszüge verhärteten sich.

Joshs Augen funkelten belustigt. „Würdest du gern wissen, wie sie ist?“

Drew gab keine Antwort.

„Temperamentvoll. Sie ist sehr temperamentvoll.“

Drew riss den Stiel der Beerentraube ab.

„Natürlich wurden die Männer und die Frauen während der gesamten Fahrt auf getrennten Decks eingesperrt. Ich habe mit ihnen also nicht so viel Zeit verbracht wie mit den Männern. Und die Männer – du wirst wirklich zufrieden sein mit den Männern, die ich dir empfohlen habe. Mit ihrer Hilfe wirst du dein Haus gebaut haben, bevor ein Jahr vergangen ist.“

Drew weigerte sich, den Köder, den Josh ihm vor die Nase hielt, zu schlucken. Wo war sie nur? Sie sollte längst hier sein.

„Aber trotzdem“, sprach Josh weiter, „bin ich ziemlich oft unter Deck geschlichen, um sicherzustellen, dass Mary Robins genug zu essen bekam.“ Er streckte die Beine aus und schlug sie an den Knöcheln übereinander. „Sie waren nebeneinander angekettet, weißt du. Mary und deine Rothaarige.“

Drew schaute seinen Bruder finster an.

„Es stimmt. Ich bin also in der einmaligen Lage, genau zu wissen, wie temperamentvoll sie ist.“ Er schürzte die Lippen. „Ehrlich gesagt, ist sie mehr als nur ein wenig temperamentvoll. Sie ist ein richtiger Wildfang. Aber ich mag sie. Ehrlich.“

In diesem Moment stolperte Constance auf die Lichtung. Drew ließ seinen Blick von ihren teilweise bedeckten Haaren bis zu ihren nackten Zehen wandern. Ihr ausgebleichtes Kleid war mit Schmutz beschmiert und saß viel zu eng, um sie anständig zu bedecken.

Sein Bruder erhob sich und machte eine leichte Verbeugung. „Wie geht es Ihnen, Lady Constance?“

Diese ließ sich auf den Baumstamm fallen, den Josh gerade frei gemacht hatte, und blickte von einem Mann zum anderen. „Sie sind miteinander verwandt? Aber natürlich. Das hätte ich mir denken können. Und, wie geht es Ihnen?“

Joshs Mundwinkel zog sich nach oben. „Gut, Mylady. Und Ihnen?“

„Ermutige sie nicht, Josh.“ Mit gerunzelter Stirn drehte sich Drew zu ihr herum. „Wir benutzen in den Kolonien keine Titel. Du wirst genauso angesprochen wie all die anderen Knechte und Mägde hier, bis wir von deinem ‚Vater‘ hören, falls das je geschehen wird.“