Die Winterpostille - Wilhelm Löhe - E-Book

Die Winterpostille E-Book

Wilhelm Löhe

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Beschreibung

Der evangelisch-lutherische Theologe Wilhelm Löhe veröffentlichte im Jahre 1858 seine aus zwei Teilen bestehende Epistelpostille mit Predigten für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Die Winterpostille umfasst dabei Predigten vom Beginn des Advents bis Pfingsten, nebst einigen kurzen Lektionen dazu.

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Seitenzahl: 1160

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Die Winterpostille

 

Advent bis Pfingsten

 

Episteln für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

 

WILHELM LÖHE

 

 

 

 

 

 

Die Winterpostille, W. Löhe

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849661731

 

Quelle: https://de.wikisource.org/wiki/Epistel-Postille_(Wilhelm_L%C3%B6he)

 

Der Text dieser Ausgabe folgt dem Original aus dem Jahre 1858 und wurde in der damaligen Rechtschreibung belassen.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

INHALT:

Vorwort1

Am ersten Sonntage des Advents.3

Am zweiten Sonntage des Advents.18

Am dritten Sonntage des Advents.32

Am vierten Sonntage des Advents.46

Am ersten Weihnachtstage.59

Am zweiten Weihnachtstage.71

Am Sonntage nach Weihnachten.82

Am Neujahrstage, als am Beschneidungsfeste des Herrn.95

Am Sonntage nach dem  Beschneidungsfeste des Herrn.111

Am Erscheinungsfeste.127

Am ersten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.137

Am zweiten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.152

Am dritten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.168

Am vierten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.184

Am fünften Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.196

Am sechsten Sonntage nach dem Erscheinungsfeste.212

Am Sonntage Septuagesima.223

Am Sonntage Estomihi.250

Am Sonntage Invocavit.263

Am Sonntage Reminiscere.280

Am Sonntage Oculi.293

Am Sonntage Lätare.308

Am Sonntage Judica.321

Am Palmensonntage.334

Am Abend des Gründonnerstages.347

Am Charfreitage.354

Am heiligen Osterfeste.362

Am Ostermontage.380

Am Sonntage Quasimodogeniti.391

Am Sonntage Misericordias Domini.402

Am Sonntage Jubilate.412

Am Sonntage Cantate.427

Am Sonntage Rogate.438

Am Himmelfahrtstage.449

Am Sonntage Exaudi.461

Am Pfingsttage.471

Am zweiten Pfingsttage.483

Kurze Lectionen zu den sonn- und festtäglichen Evangelien des Kirchenjahres.493

 

 

Vorwort

 

Seitdem die Evangelienpostille des Unterzeichneten erschienen ist, wurde er von Freunden und auch von dem Verleger oftmals gebeten, in ähnlicher Weise eine Epistelpostille zu veröffentlichen. Nicht deshalb, weil er selbst so großen Drang gehabt hätte, ein Buch der Art zu liefern, sondern ganz einfach, um seinen Freunden zu Willen zu sein, nahm er mehrmale den Anlauf, Epistelpredigten auszuarbeiten. Es wollte jedoch niemals gelingen, da kein hinlänglicher treibender Eifer zur Sache in seiner Seele vorhanden war. Da fügte es Gott im Spätsommer des vorigen Jahres, daß er durch leibliche Leiden verhindert wurde, die Kanzel zu besteigen. Es zeigte sich bald, daß die körperliche Anstrengung, die mit dem Predigen verbunden ist, seinem leiblichen Zustande für längere Zeit nicht zuzumuthen sein würde. In dieser Noth entstand in ihm der Gedanke, ob nicht der Gemeinde vielleicht damit gedient werden könnte, daß ihr schriftlich abgefaßte Vorträge des erkrankten Pfarrers vorgelesen würden. Nach reiflicher Berathung mit verständigen Freunden gedieh der Gedanke zum Entschluß und kam zur Ausführung. Die Vorträge wurden jedoch von mir nicht eigenhändig geschrieben, da ich die Anstrengung des Schreibens nicht minder, wie die des Sprechens zu vermeiden hatte. Ich konnte nichts thun, als diktiren und die diktirten Vorträge in die Hände meiner theuren Vertreter niederlegen. Sowohl meine näheren Freunde, als der Verleger waren der Meinung, daß die gelesenen Vorträge vielleicht dem Bedürfnisse derer, welche eine Epistelpostille von mir gewünscht hatten, dienen und gedruckt werden könnten, und daß es auf diese Weise zu der versprochenen Epistelpostille kommen würde. Daß ich nun der Ansicht meiner Freunde folgte, und einwilligte, eine diktirte Postille erscheinen zu laßen, wird man hie und da als Hochmuth oder sonst auf eine Weise ausdeuten, die mir zum Tadel gereichen kann. Vielleicht aber begreift auch einer und der andere, daß in dem Gehorsam gegen die Ansicht meiner Freunde etwas Selbstverläugnung liegt. Es ist am Tage, daß bei einer anderen Entstehungsweise dieses Buches meine Leistung eine bessere, also auch der Tadel, den ich erndten werde und voraussehen kann, und damit das Weh für meinen alten Adam geringer geworden wäre. – So wie ich stehe, habe ich es für nöthig erachtet, die Entstehungsweise des Buches anzuzeigen, und meine Kühnheit zu entschuldigen; die Beweggründe meines Entschlusses, das Buch, so wie es ist und sein kann, Denen zu geben, die es wünschten, befehle ich dem Herrn, der mir gnädig sei.

Um eine gewisse Aehnlichkeit dieser Epistelpostille mit meiner vor zehn Jahren zum erstenmal erschienenen Evangelienpostille herzustellen, habe ich aus dem Jahrgange 1842 des Nördlinger Sonntagsblattes die kurzen Evangelienlectionen, welche ich damals lieferte, abdrucken lassen. Die dort fehlenden wurden neu geschrieben.

Es ist mir hie und da der Vorwurf gemacht worden, daß ich mich in meiner Evangelienpostille nicht genug an diejenige Gedanken- und Ausdrucksform gehalten habe, welche in der lutherischen Kirche die herkömmliche ist; manche sind der Meinung, daß die Sprache und Gedankenfügung des sechszehnten Jahrhunderts für alle Zeiten maßgebend sei; sie wittern Ketzereien, wo ihnen der gewohnte Ton nicht entgegen kommt. Wie weit man nun ein Recht habe, denselben Vorwurf (wenn es nemlich wirklich ein Vorwurf ist) auch auf dieses Buch anzuwenden, wird sich zeigen. Jedenfalls aber lebe ich der Ueberzeugung, den Ergebnissen der Reformation, den desfalls vorhandenen symbolischen Bestimmungen, insonderheit aber der theuren Lehre von der Rechtfertigung allein aus Glauben, welche ich persönlich am allerwenigsten entbehren kann, getreulich anzuhangen. Sollte ich trotz dieser Ueberzeugung hie und da wirklich gefehlt haben, ohne es zu wißen oder zu wollen, so verhüte Gott, daß ich einen mir nachgewiesenen Fehler festhalten oder vertheidigen wollte. Ich kann wohl mit Augustinus, dem großen Lehrer, in Beziehung auf alles, was ich je und je gesagt und geschrieben habe, sprechen: „Domine DEUS unus, DEUS Trinitas, quaecunque in his dixi de tuo, agnoscant et tui: si quae de meo, et tu ignosce, et tui. Amen.“ Zu deutsch: „Herr Gott, einig im Wesen, dreifaltig in Personen, alles, was in diesem meinem Buche von dem Deinen genommen ist, das laß auch Deinen Kindern gefallen; was aber von dem Meinen dabei ist, das verzeihe mir Du und laß mirs auch Deine Kinder verzeihen.

Amen.“

Neuendettelsau,

St. Johannis des Täufers Tag 1858.

Wilhelm Löhe.

 

 

 

Am ersten Sonntage des Advents.

 

Röm. 13, 11–14.

 

11. Und weil wir solches wißen, nämlich die Zeit, daß die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, sintemal unser Heil jetzt näher ist, denn da wirs glaubten; 12. Die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbei kommen: so laßet uns ablegen die Werk der Finsternis, und anlegen die Waffen des Lichts. 13. Laßet uns ehrbarlich wandeln, als am Tage, nicht in Freßen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid: 14. Sondern ziehet an den Herrn Jesum Christ, und wartet des Leibes, doch also, daß er nicht geil werde.

 

 Mancherlei Jahre hatte man früher, meine lieben Brüder, mancherlei Jahre haben wir auch jetzt noch. Die Juden hatten und kannten von Alters her ein gemeines Jahr, welches im Herbste den Anfang nahm; sie hatten dann aber auch seit dem Auszug aus Aegyptenland ein heiliges Jahr, welches im Frühling begann. Wir haben ein gemeines Jahr, nach dem wir alle Dinge des gewöhnlichen Lebens bemeßen: es beginnt, wie wir Alle wißen, am 1. Januar; für die Geschäfte unsres Staates gibt es gleichfalls ein besondres Jahr, welches vom 1. Oktober ausgeht; und die christliche Kirche hat für ihre gottesdienstlichen Geschäfte und Uebungen, für ihr gesammtes geistliches Leben auch ihr besonderes Jahr, welches vier Sonntage vor Weihnachten, also je nachdem dies hohe Fest auf einen Wochentag fällt, am Sonntag vor oder nach dem Gedächtnistage des heil. Apostels Andreas den Anfang nimmt. So haben wir mancherlei Jahre und leben unsre Zeit nach Abschnitten dahin. Man könnte wol sagen, es bedürfe der Abschnitte nicht, zumal, wenn sie willkürlich gemacht werden, und der Mensch werde mit dem Leben ebensowol fertig, wenn er in den Tag hinein lebe und keines Abschnitts achte; allein das könnte man doch nicht anders, als eine rohe Ansicht von unsrem Leben nennen. Es ist ein tiefes Bedürfnis der Seele, das Leben nicht als eine abschnittlose Reihe des Daseins anzusehen, sondern von einem Abschnitt zu dem andern zu leben, von einem auf den andern rückwärts und vorwärts zu schauen und zu rechnen, und ob wirs versuchen wollten, wir würden es bald für unmöglich und unerträglich erachten, unsre inneren und äußeren, zeitlichen und ewigen Geschäfte ohne Rücksicht auf das Maß unsrer Zeit, auf Tage und Wochen und Monden und Jahre zu vollbringen. Wir bedürfen den Wechsel der Zeit, im Wechsel werden und reifen wir für Zeit und Ewigkeit, und selbst unsre Ewigkeit wird nichts andres sein, als ein ungetrübter, freudenreicher Wechsel einer unendlichen Zeit. Das liegt schon in der Schöpfung: der Herr schuf die Tage und Alles nach Tagen, Er selbst stiftete an Seinem ersten Sabbath die heilige siebentägige Woche; Er setzte Sonne, Mond und Sterne an den Himmel, zu geben Zeiten und Zeichen und Tage und Monden und Jahre, und es kann daher niemand die Abschnitte unsrer Zeit verachten, ohne die Schöpfung der Zeit zu verachten, und den allerheiligsten Schöpfer zu beleidigen. Wolan denn, freuen wir uns eines jeden Tages, einer jeden Woche, jedes Monats, jedes Jahres und treten wir auch heute mit bedachtsamer ernster hoffnungsvoller Freude in das Kirchenjahr ein, dessen Ankunft wir seit dem gestrigen Abend begrüßen. Es beginnt ein neues Jahr der Feier und des Andenkens der großen Thaten Gottes in Christo Jesu, ein neues Jahr der Lektionen,der Predigten, der Gebete, der Gesänge, der heiligen Uebungen, ein neues Jahr der Gnade und des Erbarmens, der Kräfte des gütigen Wortes Gottes und der zukünftigen Welt, und wer weise ist, der beachtet’s. Die Jahre kommen, aber sie gehen auch, es ist, als flögen sie davon, und eines ist das letzte hier, das erste dort, und bringt uns die große „Veränderung“, von welcher Hiob spricht. „Lehr’ uns bedenken, Herr, daß wir sterben müßen, daß wir davon müßen, laß uns weise werden, unsre Zeit auskaufen und sonderlich dies Jahr.“ So laßt uns beten und, Brüder, wenn unsre vergangenen Kirchenjahre uns den Segen nicht nachgelaßen haben, den sie konnten, wenn wir mit einer geringen Ernte unsrer vergangenen Jahre an der Schwelle dieses Jahres stehen, so werde es jetzt endlich einmal Ernst mit dem Kirchenjahr und der Benützung der reichen Güter, die es in sich hält und bringt. Zwanzig Jahre hab’ ich euch gerufen, eingeladen, vermahnt, gebeten, genöthigt, reich zu werden von den Gütern des Hauses Gottes, die ich unter euch feil habe und ohne Kosten biete; wie wenn ich nichts zu bieten hätte, wie wenn ich ein Bettler wäre, bin ich mit dem Reichtum Jesu Christi vor euren Thüren pochend und rufend gestanden. Ich will nicht sagen, wie ihr den Reichtum Jesu Christi an- und aufgenommen, nicht strafen, nicht schelten, nein, aber ernstlich und dringlich, mächtig, wenn ich könnte unbeweglich, möcht ich euch zurufen heute und immer wieder im Lauf des Jahres, das nun anhebt: Jetzt benützet die Zeit für eure Ewigkeit.

 Mit dieser Ermahnung treffe ich hoffentlich den Sinn der Kirche, welcher sich in der Wahl der heutigen epistolischen Lektion ausspricht, denn diese ganze Lektion handelt von nichts anderem als von der Beachtung der Zeit und ihrer Benützung.

Ich will mich daher mit euch in diesen Text vertiefen und euch sagen zuerst, wie ihr nach den Worten des heiligen Apostels die Zeit beachten sollet, in der ihr lebet, dann zweitens, wie ihr sie benützen sollet, und am Ende drittens will ich einen Punkt absonderlich hervorheben, der mir hart auf meiner Seele liegt, die Trägheit nämlich, welche den Menschen so schwer dahin kommen läßt, zu beachten und zu benützen seine edle Zeit.

 

I.

 

Mit dem 11. Verse des 13. Kapitels an die Römer beginnt unser Text. Zehen Verse gehen voran, welche, sowie das 12. Capitel des Briefes von einzelnen Ermahnungen des Apostels überfließen, Ermahnungen der eingreifendsten Art, samt und sonders aber auf die christliche Lebensgerechtigkeit gerichtet. Unser Text bildet den Schluß des Capitels und gibt allen den einzelnen Ermahnungen großen Nachdruck dadurch, daß er die Zeit hervorhebt, oder den Zeitpunkt, in welchem sie geschehen. „Weil wir solches wißen, nämlich die Zeit,“ übersetzt Martin Luther. Enger anschließend ans Wort des Apostels heißt es: „Und dieses, – dies alles, wozu ich euch ermahnt habe, thut, weil ihr den Zeitpunkt kennet und wißet.“ O es liegt ein starker Nachdruck für die Verpflichtungen, die wir haben, für die Ermahnungen, die man uns zu denselben gibt, in der Berücksichtigung des Zeitpunkts, da sie geschehen. Es ist ganz etwas anderes, wenn ich zur Vollführung meiner Pflichten noch eine lange weite Zukunft vor mir sehe, und ganz etwas anderes, wenn die Zeit zusammengeht, und die Sanduhr verrinnt und die Aufgabe gelöst sein soll und die Rechenschaft vor der Thüre steht! Ein jeder von euch hat das in einzelnen Fällen schon an sich selbst erfahren, will ich hoffen, und keiner wird sein, auf welchen nicht dann und wann die Rücksicht auf die flüchtige Stunde gehörigen Eindruck gemacht hat. Und das soll auch sein, das liegt in der Absicht Gottes und in dem Wort der Apostel: die Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre, die da kommen und gehen, sollen und wollen beachtet sein. – Was nun den Text anlangt, den wir gerade vor uns haben, so erinnert der Apostel nicht bloß an den Zeitpunkt, in welchem er schreibt, sondern er beschreibt ihn auch näher. „Die Nacht ist vergangen,“ sagt er, „der Tag aber herbeikommen.“ Dem Wortlaut nach eine sehr bestimmte Rede. Es ist, wie wenn ein Mann des Morgens die Augen öffnet, und zum Fenster hinaus sieht, dort geht am Walde westlich der fahle Mond mit der Nacht unter, und im Osten erscheint die goldene Sonne; die Nacht ist vorüber, der Tag ist da, Morgen ist’s, die Morgenlüfte wehen. Aber das alles ist in unsrem Texte nur Gleichnis: was ist denn die Nacht, die vergangen ist, und der kommende Tag und der vorhandene Morgen? Unterder Nacht können wir nicht schlechthin das alte Testament verstehen; denn wenn man es auch eine Nacht nennen könnte, so wäre es doch keine tadelnswerthe Nacht. Der Apostel aber redet von einer tadelnswerthen Nacht; nicht von einer Nacht, die Gott gemacht hat, wie das alte Testament, sondern von einer Nacht, wie sie die Menschen gemacht und unterhalb der lichten, hehren Gestirne ausgespannt haben, wie ein finsteres greuliches Gezelt, eine böse Hütte Kedar. Er redet ja auch bald von Werken der Finsternis, von Werken der Nacht, verwirft und verdammt sie, da kann die Nacht kein göttliches Geschöpf bedeuten, nicht die ehrliche Pracht des Königreichs Gottes im alten Testamente. Vom alten Testamente heißt es: „Auch die Finsternis ist Licht vor Dir, die Nacht leuchtet, wie der Tag.“ Dagegen die Nacht, von der St. Paulus spricht, ist grauenvoll, ein böses Menschenwerk, vollbracht unter Einfluß und Führung der Dämonen, ein teufelisch-menschliches Werk, das böse Werk von Anfang her, das Heidentum, die Abgötterei, ihre Blindheit, ihr finstrer Sinn, ihre Bosheit, ihre sittliche Versunkenheit, ihre Oede und Leere der Herzen, ihr unaussprechlicher, großer, weher Jammer. Das ist die Nacht, von der St. Paulus spricht: „Die Nacht ist vorgeschritten.“ Und der Tag? Der Tag ist das Gegenteil. Er ist das volle, helle, liebe, lichte Reich des Königs Christus, in dem es keine Abgötterei, keine Blindheit des Geistes, keine sittliche Versunkenheit, keinen Jammer und kein Unglück mehr gibt, wo die Erkenntnis Gottes das Land bedeckt, wie die Waßer den Meeresgrund, guter Wille die Menschheit führt, wie selige Winde, Fried und Freude die Herzen erfüllt, wie Frühlingswonne. Ha, wie mein Geist die Flügel regt, wenn ich des Tages gedenke, und seines wundervollen seligen Lebens! Ha, wie man fröhlich ist, wenn man die Fenster öffnen und rufen kann: Der Tag ist nahe gekommen! Aber ist man denn nicht am vollen Tage, meint der Apostel nicht, daß der Tag des lieben lichten Reiches schon zu der Zeit da gewesen sei, in welcher er diese Epistel schrieb? Nein, meine Brüder, das, was er den Tag heißt, ist der volle Mittag des Reiches Christi. Es ist dasselbe, was er in den Worten unseres Textes sagt: „Das Heil ist jetzt näher gekommen, als da wir gläubig wurden.“ Dies Heil und der Tag, der mit ihm gleichbedeutend ist, können nicht die Zeit bedeuten, in welcher der Apostel lebte; sonst könnte der Apostel nicht sagen: „Der Tag ist herbei gekommen, das Heil ist näher.“ Der Tag und das Heil sind der vollkommene Gegensatz der Nacht und des Heidentums, sind das vollkommne Reich des Herrn, das erscheinen wird erst dann, wenn der größte Triumph des Satans, das vollendete Heidentum der antichristlichen Zeit in den Abgrund gestürzt sein wird durch den, der da kommt, dessen Advent wir feiern, dem Seine Braut so sehnlich Hosianna singt und: „Komm bald, Herr Jesu.“ Wenn der Herr wird sitzen auf Seines Vaters David Thron, wenn die Zeit des Reiches David und Israel da sein wird, von welcher Er am Auffahrtstage zu den Aposteln spricht: „Es gebührt euch nicht zu wißen Zeit oder Stunde, welche der Vater Seiner Macht vorbehalten hat“: dann ist’s Tag, ein siegender mächtiger Tag, gegen welchen auch der letzte Kampf Gog’s und Magog’s nicht gelingen und nicht mehr siegen wird die alte Nacht. – Wenn nun aber das die richtige Deutung ist von Nacht und Tag, was ist dann die Zeit, in der St. Paulus schreibt, und die er beachten lehrt? Der Morgen ist’s, lieben Brüder, wo Tag und Nacht sich scheiden, die Stunde, wo man Ursach hat vom Schlafe aufzustehen. Die apostolische Zeit, das ist der frühe Morgen, der dem Tag vorangeht und der beachtet und geehrt sein will durch wache Sinnen. Und unser Zeitpunkt, unsre Zeit, das ist der späte Morgen, an dem sich wache Sinnen um so mehr geziemen. Warum wache Sinnen? Die Nacht ist schier hin, der Tag rückt heran. Warum ziemen uns die wachen Sinnen mehr? Weil der große Tag Christi und das Heil, das unter Seinen Flügeln aufgeht, uns um so viel näher ist, denn dem Apostel, als mehr Jahre und Tage hingegangen sind, seit jene ersten Väter entschliefen. Advent ist’s also, Morgen und Advent ist eins: die Zukunft Christi ist näher, als zur apostolischen Zeit, später Morgen ist es. „Auf, ermuntert eure Sinnen, denn es rinnt die Nacht von hinnen,“ so singen die Wächter nach 1800 Jahren. Laut singen sie durch die Straßen der Gemeine, dazu krähen die Hähne und das Licht wird stark, das von dem kommenden Christus weißagt. Gebt Acht auf die Zeit, in der ihr lebet! Der Herr ist nahe, und wenn der Apostel den Römern zuruft: „Schon ist’s Zeit und Stunde vom Schlafe aufzustehen,“ denn so sagt er; so mußich Wächter auf der Zinne in meiner Zeit so ernst den Morgen verkünden, daß ich sage: Schon ist bald nicht mehr Zeit, vom Schlafe aufzustehen! Höchste Zeit ist’s, wer erwachen will! Bald geht der Morgennebel auf, der die Nacht noch einmal will bringen, der Nebel des Antichristus; aber die Sonne steigt, der Mittag kommt, es geht mit der Welt zur Vollendung! Ernste Zeit, ernste Jahre, alle Jahre ernsterer Advent, – ernste heilige, bedenkliche Adventzeit auch jetzt, meine Brüder, da wir dies Kirchenjahr, dies heilige Vorbereitungsjahr auf Christi Wiederkunft beginnen! Das beachtet und wer Ohren hat zu hören, der höre.

 

II.

 

Kann man aber, lieben Brüder, die Zeit beachten, ohne sie zu benützen? Oder, wenn jemand die Zeit beachten wollte und nicht benützen, würde man ihn nicht im Widerspruche mit sich selber finden? Wirkt nicht die rechte Beachtung der Zeit so unzweifelig und unaufhaltsam auch die rechte selige Benützung, daß man fast den Ausdruck „die Zeit beachten“ gleichbedeutend mit dem anderen gebrauchen könnte „die Zeit benützen?“ Und hängt nicht die rechte Benützung der Zeit ganz und gar von der Erkenntnis und Beachtung derselben ab? Ich denke, meine Brüder, hierin sind wir einig, und ihr werdet es nicht bloß für erklärlich, sondern für gerechtfertigt finden, wenn ich bei einer solchen Verwandtschaft der Beachtung und Benützung unsrer Zeit, nachdem ich von der Beachtung gesprochen, auf die Benützung übergehe. Das fordert auch mein Text, und weil jeder Prediger und jede Predigt ein menschlicher Wiederhall ist für einen göttlichen Klang, so muß ich von der Benützung der Zeit zu euch reden.

Die Nacht ist vergangen, der Tag ist nahe gekommen, Morgen ist es, früher Morgen zu St. Pauli Zeit, später Morgen jetzt. So stehts mit unsrer Zeit, und dem entspricht auch die Benützung. Weil die Nacht vorüber ist, und der Tag vorhanden, so erwacht man, und steht auf vom Schlafe. – Das ist eine wunderliche Sache mit dem Schlaf und dem Erwachen. Kein Mensch wird sagen, daß bloß das Auge den Einfluß der Nacht und des Tages erfährt, daß nur das Auge schläft und wacht. Es schläft, es wacht der ganze Mensch. Und doch äußert sich so Wachen wie Schlafen am kenntlichsten und mächtigsten im Auge und am Auge. Im Schlafe sieht einmal das Auge nicht; sehe im Menschen, was will, das Auge sieht nicht. Wenn aber der Mensch erwacht, dann sieht das Auge. Ein waches Auge ist des Morgens Zeichen, und das Auge schließen, wenn dir der Schlaf es nicht zudrückt, ist ein Beweis, daß du krank bist oder böse. Wenn du deine Zeit erkennst, daß es Morgen ist, mußt du Nacht und Schlaf und Traum nicht halten wollen, sondern sinken laßen, und mit hellem Auge deinen Tag anschauen. Das ist die erste nöthigste Benützung der Morgenstunde. Wolan denn! Die Nacht, von welcher hier die Rede ist, ist das Heidentum und die Abgötterei mit ihren heillosen Versuchen, die Seele mit etwas anderem zu sättigen, als mit dem lebendigen Gott, mit ihrem unseligen Bemühen, etwas anderes für recht und wahr zu finden, als Sein heiliges Wort. Ist’s bei dir Morgen und dein Auge offen, steckst du in keiner Weise in den Banden und Träumen der Dämonen und ihres Dienstes, so läßest du die Nacht versinken und erkennst, was kommt, den Tag, von welchem deine Zeit ein Morgen ist, das Reich des Herrn Jesus Christus, und Ihn selber, deinen Herrn. Es hat zu keiner Zeit sehr viele Menschen gegeben, die das aus der Ewigkeit hereinbrechende und am Ende die Welt und alles Heidentum ganz und völlig überwindende Reich des Herrn als das allein wesenhafte und wahre, als helles Sonnenlicht und alles andere als Nacht erkannten. Gar manche unter denen, die die Erkenntnis und das tageshelle Auge zu haben scheinen, haben es nicht in der Wahrheit. Es ist eine Seltenheit und ein großes Glück, wenn einem der Tag, der da kommt, und das ewige Reich des Herrn, das da kommt, durch’s Auge des Verstandes tief in die Seele hineinschaut, und der Abgrund des Geistes von der mächtigen, königlichen, herrschenden Ueberzeugung ihrer nahenden Zukunft bewältigt wird. Es ist wahrlich nichts mit allen Abgöttereien und ist kein Gott, als der eine, der dreieinig ist, und am Ende auch keine Familie, kein Staat, keine Kirche, als allein das geistliche Königreich der Kinder Gottes und ihres Hauptes Christus. Warum aber ist diese Ueberzeugung und dies selige Glück so selten, da doch die Nacht des Heidentums dahin eilt und verwelkt vor der kommenden Sonne des jüngsten Tages und in den Gnadender pilgernden und streitenden Kirche das helle Licht dieses Tages bereits vom Himmel fällt? Warum? Weil die erste Benützung der Zeit fehlt, weil du die Nacht und Finsternis lieber hast, als das Licht, weil du die Erkenntnis des Reiches Gottes verschmähst und die Augenlieder deines Geistes schließest vor dem schönen Licht des ewigen Reiches. Es wird dir ja gepredigt, was ewiges Heil bringt, widersteh nicht, erkenn deine Zeit, daß die Stunde da ist, aufzustehn vom Schlafe, allem Greuel des Heidentums abzusagen und dich dem Reiche Gottes hinzugeben. Nur du selbst hinderst dein Glück, deine Seligkeit, weil du den Morgen nicht benützest und am Tage schläfst.

Indes, wenn einer am Morgen, nachdem die Nacht von hinnen, nichts thun wollte, als die Augen öffnen und sehen, und beim steigenden Tage das Schauen und Wachen des Auges die einzige Benützung der Zeit sein sollte, so würde doch jeder Verständige ob einem solchen Beginnen den Kopf schütteln, jedermann müßte es misbilligen. Die Benützung der Zeit erfordert mehr. Du liegst auf deinem Lager bei Nacht, bist ausgezogen oder hast dein Nachtkleid an, deine Decken und Betten liegen über dir und hüllen dich ein. Könntest du aber so wie du daliegst, aufstehen und hinausgehen und dich sehen laßen vor den Leuten? Nicht wahr, du könntest nicht, du wolltest nicht, du würdest dich schämen. So ist man wol bei Nacht; aber wenn der Morgen kommt und der Tag anbricht, da merkt jeder, „er müße ehrbarlich wandeln und umhergehen als am Tage.“ Darum wäscht und schmückt und kleidet er sich, und wenn er ein Kriegsmann ist, zieht er die Waffenrüstung an, die sich fürs Licht geziemet. So thut jedermann am Morgen, so geht jedermann dem Tag entgegen. An der Hand des Gleichnisses lehrt nun der Apostel weiter, wie man seine Zeit benützen und dem Tage der Ewigkeit, dem ewigen Reiche Gottes entgegengehen müße. Und zwar bleibt der Apostel nicht streng bei unsrem Gleichnis, nicht bei den Nachtkleidern und bei der Ruhe; sondern er geht ein in den Misbrauch der Nacht und in all das Böse eines nächtlichen Lebens, das für den Tag noch weniger paßt, als Nachtgewänder, das man ohne Zweifel dem wolgeziemenden und anständigen Tagesleben für weit widersprechender und widerstrebender erkennen muß, als das nachläßige und mangelhafte Gewand des Schläfers. Es werden manche unter euch, ach, es ist jämmerlich zu sagen, mit dem Apostel nicht zusammenstimmen, wenn er nun nach einander ansagt, welcher Wandel wol mit der Nacht des Heidentums, aber nimmermehr mit dem Morgen und Licht des ewigen Tages und Reiches Christi zusammenstimmt. Was er für heidnisch, für unchristlich, für verwerflich, für ungeziemend erkennt, das wollen viele unter euch rechtfertigen oder doch entschuldigen, oder mindestens nicht als so ganz und gar verwerflich anerkennen, nicht als so gar ein heidnisch nächtlich Leben. Man sollte es freilich nicht denken, wenn man die Namen hört, diese deutschen Namen, die am Ende, so tief aus dem Schwarzen sie Luther gegriffen hat, doch theilweise noch ehrbarer klingen, als die griechischen Worte St. Pauli. Man sollte es nicht denken, daß „Freßen und Saufen, Kammern und Unzucht, Hader und Neid“ nicht für heidnisch, nächtlich, verwerflich und verdammlich erkannt, sondern übersehen, gering geachtet, entschuldigt und gar gerechtfertigt werden. Man sollte es nicht denken, aber es ist so. Und es ist so bei den Menschen von der verschiedensten Bildung. Der rohe Stallknecht und der fürstliche Kammerjunker, die niederträchtige lüderliche Dirne, wie sie auf dem Lande so oft zu finden ist, und das Edelfräulein im Palaste, und was ich alles für Gegensätze möchte finden und erdenken, Gegensätze der Erkenntnis und Bildung, des Vermögens und des Standes, es bleibt sich doch überall gleich, und findet sich bei verschiedenen Ständen und Klassen dasselbe nächtliche Wesen unter verhüllenden Namen. Sie wollens nicht leiden, daß es so ist, sie wollen Unterschiede finden, die Reichen und Gebildeten und Edlen. Bei gleichen Sünden, bei Freßen und Saufen, in Kammern und Unzucht, bei Hader und Neid, wobei sie’s vor Gott verschulden, wie irgend wer, sind sie doch noch Pharisäer, die beßer sein wollen und weit erhaben über die stinkenden nächtlichen Pfützen des gemeinen Volkes in Städten und auf Dörfern, das demselben Belial huldigt. Aber leid es nicht, duld es nicht, sag’s ihnen allen und jeden, mal ihnen ihre Werke der Nacht mit Farben der Nacht, schrei ihnen die derben Namen des Apostels in ihre Ohren, denn sie hören hart, und es ist kein Wunder. Es ist wahrlich kein Wunder; denn man mußte ja auch die Gemeinde zu Rom, die erste Christengemeinde dort selbst, diese Gemeinde voll Gaben,geleitet von welchen Männern! noch belehren und sie mahnen, diese alten nächtlichen heidnischen Werke abzulegen, weil sie für den Tag des Evangeliums nicht passen. Es muß Christen in Rom gegeben haben, die solche nächtliche Werke verübten, und es muß bekannt geworden sein von Rom bis nach Corinth, bis zum Apostel Paulus, also über Berg und Thal und Meer hin, sonst würde nicht ein Apostel, sonst würde nicht Paulus, der in Rom noch fremd ist, über Berg und Thal und Meere herüberrufen und schreien und schreiben: „Laßt uns ehrbarlich wandeln, als am Tage, nicht in Freßen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid.“ Das ist ein Elend mit dem menschlichen Geschlechte, auch mit den Christen. Wie hängt uns das heidnische Wesen an, und wie schwer legen wir’s ab. Und doch muß es abgelegt werden, denn es ist ja die Nacht vergangen und der Tag herbeigekommen und das Heil der Ewigkeit näher als am Anfang. Es muß doch ein Ende nehmen mit den Werken der Nacht, denn was will’s werden, wenn wir mitten aus ihnen heraus vor Sein Angesicht gerufen werden, oder Er selbst und Sein Tag uns in nächtlichen Werken überrascht? Ach hilf doch, Herr Jesu, und laß wohl gelingen. Hosianna Dir und Deiner Macht! Laß uns doch ablegen die Werke der Nacht, und laß uns anlegen die Waffen des Lichtes.

Waffen des Lichtes: von den Werken der Nacht zu den Waffen des Lichts ist kein Uebergang. Wer mit den Waffen des Lichtes angethan ist, hat nicht bloß das Nachtgewand abgethan und dafür das anständige Tageskleid angezogen, sondern er trägt auch über den Kleidern die glänzende Waffenrüstung, die strahlenden Schußwaffen, und in der Hand den blinkenden blitzenden Trutz des Schwertes. Das ist ein reiner Gegensatz. Da ist nicht bloß alles nächtliche Kleid und Werk abgethan und das Gegentheil angethan, sondern eine Feindschaft gegen die Nacht ist kundbar, ein Mistrauen, daß sie wieder kommen könnte, ein Bemühen, sich gegen ihre Wiederkehr zu schützen, ein ernster Wille, gegen diese Wiederkehr zu kämpfen und zu streiten. Wenn das nicht wäre, wozu redete dann der Apostel von einer vollen Waffenrüstung, die man anziehen soll? Die, welche sich der Nacht des Heidentums und heidnischen Sündenlebens entwinden und ehrbar wandeln wollen als am Tage, müßen, bis der Herr erscheint, als Streiter stehen. Er selbst erscheint zu letzten Kämpfen und Siegen, und wer Seiner Ankunft harret, der weiß, daß er gleich Seinem Herrn zu Kampf und Schlacht bereit sein muß; er steht auf seiner Hut, so lang es währt, und traut den Teufeln nicht, die von ihm ausgetrieben sind, die gern in siebenfacher Verstärkung wiederkommen und in ihr altes Haus am liebsten wieder eindringen, wenn es gesäubert und mit Besemen gekehrt ist, wenn nicht Wacht gehalten und Widerstand geleistet wird. Da haben wir also eine weitere Belehrung des Apostels, wie man die Zeit benützen soll, die man erkannt hat! Man öffnet nicht bloß die Augen, um zu sehen, man legt nicht bloß die nächtlichen Werke ab, nein, man kleidet sich schön und waffnet sich wohl und steht immer auf seiner Hut, kampfbereit und willig, bis der Herr kommt oder doch bis zum Tode die nächtlichen Gewalten zu bekämpfen, die nicht ruhen und die, je mehr der ewige Tag sich naht, desto eifriger die kurze Zeit benützen und über die Welt hinwieder die nächtlichen Decken und Gezelte heidnischen Denkens und Lebens ausbreiten wollen. Ach, es ist dem Menschen so widerwärtig, niemals sicher, niemals laß, niemals ruhig werden zu dürfen bis ans Ende, und bis zur Wiederkunft des Herrn in den Waffen stecken und das Schwert führen zu sollen. Da weiß man das Elend dieses Lebens nicht jämmerlicher zu schildern, als mit den Worten: „Ich kann gar meines Lebens nicht mehr sicher und fröhlich werden.“ Man will des Lebens sicher sein, des irdischen Lebens, nicht des ewigen, wenigstens auf eine Weile. Man begreift nicht, daß man bei dem vollen Gefühl der Unsicherheit dieses Lebens dennoch tiefe Seelenruhe besitzen kann, sowie man des ewigen sicher ist, daß man aber des ewigen Lebens gar nicht sicher sein kann, wenn man so abgöttisch an diesem Erdenleben und dem stillen Genuße des Erdenglückes hängt. Man faßt es nicht, daß gottverlobte, dem Tage der Ewigkeit entgegenstrebende Streiter bei aller Hut und Wacht und Waffenklang nicht bloß die beste sicherste Aussicht, sondern auch hier schon innerlich den süßesten Trost genießen, weil sie von den Kräften der zukünftigen Welt zehren und durch Brod und Wein ihrer ewigen Heimath gelabt und gestärkt werden. Das faßt man nicht und so mag man sich auch nicht dazuverstehen, in den Orden der gerüsteten Streiter Christi einzutreten und seine Zeit zu benützen. Viel lieber hört mancher ein anderes Wort unsres Textes, das auch den Gegensatz zur Nacht einhält, aber viel friedlicher und nicht so kriegerisch klingt, ich meine das edle Wort: „Ziehet an den Herrn Jesum Christ.“ Allein, meine Brüder, das ist ein großer Irrtum, wenn man dies Wort für friedlicher gegenüber allen nächtlichen Werken ansieht, als das andere von der Waffenrüstung. Wenn der Apostel zu den Römern, zu offenbaren Christen, denen er selber viel Anerkennendes und Lobendes sagt, vermahnend spricht, sie sollen Jesum Christum anziehen, so muß er das in einem anderen Sinne thun, als man etwa dieselbigen Worte einem über seine Sünde tief betrübten, mit Christo noch nicht verbundenen Heiden zurufen kann. Dem armen Heiden gegenüber bedeuten die Worte allerdings nichts anders, als: „Zieh an den Herrn Jesum Christum zur Bedeckung deiner Sünde und weil dich dein Herz verdammt und verdammen muß, so sei dir der am Kreuze Hängende anstatt aller Gerechtigkeit,“ wie das auch so Propheten wie Apostel lehren. Dagegen aber der römische Christ, der längst getaufte, hat in diesem Sinne Christum längst schon angezogen, und wenn ihm, gegenüber den nächtlichen Werken, die der Apostel nannte, die Worte zugerufen werden: „Ziehet an den Herrn Jesum,“ so ist das nicht mehr im Sinne der zugerechneten Gerechtigkeit des Herrn gesprochen, die ewigen Ruhm hat und behalten soll, sondern im Sinne der Verklärung unsres eignen Lebens in das Angesicht Jesu Christi. Es ist ein Christus, den wir als unsre Gerechtigkeit und als unsre Heiligung anziehen, aber es ist eine verschiedene Frucht, die Er uns in der Gerechtigkeit und Heiligung bringt, eine verschiedene Frucht, die wir aber nichts desto weniger dahin nehmen und uns aneignen müßen, eine wie die andere. Diese Aneignung aber, oder mit anderen Worten diese Verklärung unsrer Seele in das Angesicht Jesu ist in der Erfahrung und im Leben keineswegs eine Sache, die so gar ruhig und vergnüglich, so gar fleischlich stille und behaglich wäre. Der Herr gibt uns freilich alle Seine Gnaden, auch die der Heiligung, in großer Stille und fährt nicht mit Feuer und Schwert daher, wenn er die Seelen will heiligen und verklären; nicht Er streitet, sondern wir, wir halten Widerstand, wir haben Schäden, Gebrechen, Wunden, Striemen und Geschwüre, die auch seinerseits eine andere Thätigkeit hervorrufen, als die bloß friedlich gebende. Der Herr kann durch unsre Schuld nicht geben, ohne zu nehmen, nicht heilen, ohne weh zu thun, und es wird durch unsre Schuld aus dem Geschäfte der Heiligung ein Streit, ein Krieg, von welchem die oben gebotene Waffenrüstung und die Hut gegen das von außen nahende, aufs neue versuchende heidnische Wesen nur ein Theil ist. Weit entfernt also, daß in den Worten vom Anziehen Jesu weniger Krieg und Streit läge, als in jenen vom Anziehen der Waffen des Lichtes, schließen sie im Gegentheil mehr in sich und öffnen für den, der seine Zeit benützen will, eine weitere Bahn, weil Wachen und Kämpfen gegen den immer neuen Andrang des heidnischen bösen Wesens weitaus nicht alles einfaßt, was zur Nachfolge Jesu, zu unsrer Verklärung in Ihm, zum Anziehen Seiner Person und Seines Wesens gehört. Wie ganz im Sinne der Heiligung und Verklärung die Ermahnung zum Anziehen Jesu zu faßen ist, sieht man auch aus dem Beisatz, den sie hat, denn es heißt: „Ziehet an den Herrn Jesum Christ und wartet des Leibes, doch also, daß er nicht geil werde,“ oder „daß vor lauter Beachtung und Pflege des Leibes das Fleisch nur desto zärtlicher und lüsterner werde,“ durch lauter gute Pflege die Lüste desto mehr gehegt und gepflegt werden. Jesum anziehen ist also ein Gegensatz gegen alles weichliche, üppige, fleischliche Leibesleben. Wer Jesum anzieht, der erkennt nicht den Leib und sein Wohlsein als Absicht und Zweck des Lebens, sondern er hat höhere Ziele, denen auch der Leib unterthänig gemacht werden muß. Er sorgt schon für den Leib, aber so, daß er der Seelen Zweck nicht hindert, die Verklärung in Christi Angesicht nicht aufhält, er ordnet das ganze leibliche Leben so an, daß es dem Geiste dient, daß es bei Hut und Wacht und Kampf und Streit und Heiligung und Vorwärtsdringen zu allem Guten nicht hinderlich sei, sondern auch wo möglich förderlich.

Hiemit, lieben Brüder, vollendet sich die apostolische Unterweisung zur Benützung der wolerkannten Zeit. Wachen, die Nachtgeschäfte laßen, in Christi Streit gegen alle Nacht und alles Böse eintreten, den Christus, den man zur Gerechtigkeit schon in der Taufe angezogen, nun auch alle Tage zur Verklärungund Heiligung anziehen und, wolgemerkt, den Leib nicht also halten, daß er die Seele hindre und Lüste in ihm wuchern, das heißt die Zeit benützen. – Zärtlinge, die ihr seid, Wächter eures Fleisches und des Fleisches eurer Kinder, die ihr mit der Erziehung, welche ihr euch selbst und euern Kindern gebt, nicht dem Leibe, dem ewigen Genoßen der Seele, sondern dem vergänglichen verderblichen Fleische Ehre thut und fröhnet: merkt das letzte. Wenn der Apostel von dem hohen Gedanken des Anziehens Jesu zur Misbilligung eurer leiblichen Gewöhnung und Erziehung übergeht, so ists freilich, wie wenn er von einem hohen lichten Gipfel in eine wüste Lache oder Pfütze niederführe; aber der Uebergang ist ganz recht, seine praktische Weisheit erfordert ihn. Es wird bei vielen Römern gewesen sein, wie bei euch, bei manchen unter euch, daß über dem üppigen fleischlichen Leben des Leibes alle Fähigkeit und alle Kraft verloren geht, die vergängliche Zeit zu benützen und auszubeuten. Wie sollen die, die ihre Glieder der Sünden nicht tödten, die im Waßerbade dargestellten Glieder des neuen Menschen waffnen mit der Waffenrüstung Christi und stählen, die steile Bahn der Heiligung zu gehn? Das bedenket und laßt euch also doch den Schluß des Apostels in unsrem Texte und den letzten Theil seiner Ermahnung zur Benützung eurer Zeit gefallen.

 

III.

 

Zwei Theile dieses meines Vortrags sind geschloßen: ein kürzerer, ein längerer; einen dritten schließ ich an, einen kürzeren, denk ich, den ich aber mit Nerv und Kraft, wenn ich es nur könnte, versehen möchte. Indem ich ihn einleite, habe ich euch etwas zu erzählen. Ich halte es eigentlich nicht für in der Ordnung, in der Predigt zu erzählen, was nicht in der Bibel steht, so ein großer Ernst es mir mit aller Geschichte und auch mit manchen Geschichten ist; aber eine Ausnahme hat am Ende jede Regel, und ich bitt euch, einmal eine Ausnahme machen zu dürfen. Die Geschichte, von der ich rede, hat sich im Jahr 386 zu Mailand mit einem Menschen zugetragen, mit einem Afrikaner, zu Tagaste geboren, dem es in seiner Jugend gewis niemand ansah und anmerkte, daß er am Himmel der Kirche als Hirte und Lehrer viele Jahrhunderte hindurch, und wol bis ans Ende der Tage als einer der hellesten Sterne glänzen würde. Sein Name heißt, euch allen wolbekannt, Augustinus, und ihr wißt, oder könnt wenigstens wißen, daß er als Bischof von Hippo-Regius in Afrika gestorben ist. Seine Mutter hat ihn gleich nach seiner Geburt unter die Katechumenen aufnehmen laßen, aber getauft wurde er nicht. Als er heranwuchs, fieng er an zu studieren, wozu er ausgezeichnete Gaben von Natur empfangen hatte. Auf dem Wege seines Studiums kam er in allerlei schwere Irrtümer und auf jammervolle Abwege des Wißens und Erkennens. Aber nicht das allein. Er fiel in ein luxuriöses fleischliches Leben und lüderliches Wesen, so daß er auch einen unehelichen Sohn erzeugte. Er selbst hat ein Buch unter dem Titel „Bekenntnisse“ geschrieben, darinnen er in der demüthigsten und zugleich würdigsten Weise seine Verirrungen und Sünden bekennt, und der ganzen Nachwelt ein Beispiel heiligen Beichtens gibt. Von den Irrtümern seiner Erkenntnis kam er allmählig zurück, Gott erhörte die Gebete und Thränen seiner heiligen Mutter Monika und brachte ihn nach Mailand zu den Predigten des großen Kirchenlehrers Ambrosius, die auch einen Geist voll Tiefe und Reichtums der Gaben, wie er in Augustinus war, überwältigen konnten. Dazu gerieth er auf das Studium der Briefe des Lehrers der Heiden, des Apostels Paulus. Sein Geist wurde überzeugt, aber das Joch des fleischlichen Wesens und der Wollust vermochte er nicht abzulegen. Er hatte einen Freund, den er liebte, wie sein anderes Ich, Alypius mit Namen, einen Afrikaner und Landsmann, von mehr weiblicher Seele, vermöge welcher derselbe den ganzen Gang Augustins in unwandelbarer Treue verfolgte und mitmachte. Mit dem gemeinschaftlich rang er nach Frieden von seinen Lüsten und nach der Macht des heil. Geistes, ein Kind Gottes zu werden. In der Zeit des innersten Kampfes erzählte beiden ein Freund, der sie besuchte und Christ war, wie zufällig das Leben eines Helden in der Weltentsagung, des wahrhaft großen und heiligen Einsiedlers Antonius. Wie schämten sie sich diesem Lebenslaufe gegenüber ihres eigenen Lebenslaufes voller Weltlust und Fleischessünden, wie rangen sie nach Freiheit. In diesem Kampfe giengen sie mit einander in den Garten, der an ihrer Wohnung lag und da riß sich Augustinus los und warf sich voll Kampf und Jammerunter einen Feigenbaum, voll Thränen und Sehnsucht, und seine ganze Seele rief nach Vergebung der Sünden und Freiheit. Da hörte er auf einmal eine singende Stimme, so wie die Knaben und Mädchen Psalmen recitativ zu singen pflegten, die rief ihm zu und wiederholte immer: „Nimm und lies, nimm und lies.“ Da er nun in der Geschichte des heiligen Antonius auch etwas von einer solchen himmlischen Stimme gehört hatte, so merkte er, daß auch ihm eine himmlische Stimme zurief, er sprang auf, gieng zu seinem Freunde Alypius, bei dessen Sitze er die Briefe Pauli hatte liegen laßen. Er nahm das Buch, griff hinein, um zu lesen, wo ers träfe, und was kam ihm da in seine Finger, was las er? Er traf und las den Schluß der heutigen Adventsepistel Röm. 13, 13. 14: „Laßet uns ehrbarlich wandeln, als am Tage, nicht in Freßen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid; sondern ziehet an den Herrn Jesum Christ, und wartet des Leibes, doch also, daß er nicht geil werde.“ Augustinus war später kein Freund jenes frevlen Beginnens, da man in allen möglichen Fällen des Lebens dem schweigsamen Herrn im Himmel dadurch eine direkte Antwort und Anleitung abzugewinnen sucht, daß man die Schrift notzüchtigt, in die Bibel greift und die nächste beste Stelle als göttliches Orakel behandelt, aber im Garten zu Mailand, da war es etwas anderes, das „Nimm und lies,“ hatte ihn ermächtigt, und der Erfolg bewies es, daß er recht gethan. „Ich wollte nicht weiter lesen und brauchte es auch nicht,“ schreibt er selbst, „denn mit jenen Versen drang ein klares Licht in meine Seele, das mich fest und sicher machte meines Weges, alle Finsternisse meines zwiegespaltnen Herzens und meiner Unentschloßenheit flohen dahin.“ – So wirkte der Posaunenton der heutigen Epistel auf Augustinus, der noch ein ungetaufter Heide war; eine solche Kraft lag und liegt in den Worten des heiligen Apostels, daß sie, obwol St. Paulus selber schon viele Jahrhunderte entschlafen ist, dennoch lebendig und mächtig in die Seelen dringen, und die Ketten der Heiden sprengen können, mit denen sie der Teufel an die Werke der Nacht gebunden hält. Ungetaufte Heiden erfahren solches. Die Römer aber, an welche der Brief geschrieben ist, aus dem St. Augustinus und wir heute gelesen haben, sind getauft und gläubig, daß, wie man Kapitel 1, 8 liest, ihr Glaube in der ganzen Welt verkündigt und besprochen wird, und dennoch muß man ihnen schreiben: Die Zeit sei da, vom Schlafe aufzustehen, die finsteren Werke, die Eß- und Trinkgelage, die frevlen Unzuchtssünden sammt Neid und Haß aufzugeben, und die Waffen des Lichtes anzuziehen. Man kann also nicht blos ein Mitglied der Gemeinde von Neuendettelsau sein, nicht blos einen armen Pfarrer des 19ten Jahrhunderts Jahre lang predigen hören, in der Gemeinschaft einer armen versunkenen Gemeinde dieser Zeit zu Gottes Tische gehen, und fort und fort in all den abscheulichen verdammten Fleischessünden leben, von denen der Apostel schreibt. Nein, man kann ein Römer sein, ein Römer der ersten Zeit, ein Genoße jener Männer, deren Namen im 16. Kapitel des Briefes Pauli aufgeschrieben stehen. Man kann ein Glied der berühmtesten Gemeinde der Welt mitten im Strome des heiligen Geistes und einer wunderbar gesegneten Gemeinschaft sein, und noch mit den heillosen Sünden kämpfen, welche der Heide Augustinus durch die Kraft der apostolischen Worte noch vor seiner Taufe überwand. O Herr GOtt, da stehe ich, und lese nun schon zum einundzwanzigsten Male unter euch die Epistel, die St. Augustinum und am Ende vielleicht auch die Römer befreite von ihren Fleischesketten. Wie ein Mann mit einem Brecheisen steht und Steine losmachen will, einen Bau zerstören, so stehe ich und bewege den gewaltigen, mächtigen, göttlichen Hebel der heutigen Epistel schon 21 Jahre lang, und kann den Bau des Teufels und die Sünden eurer Seelen nicht zerstören, welche der Apostel straft! Was ist denn das, daß mir der gewaltige Hebel, die eiserne mächtige Brechstange hier zu einer puren Nadel oder einem Federmeßer verkehrt wird, damit man keine Steine bricht! An welchem Stein wird mir denn all meine Mühe zu Schanden, und schier mein heiliges Gotteswort? Ich wills euch sagen, daß euch die Ohren gellen: der Stein, der stärker scheint, als Gottes Wort, ist eurer Seelen Trägheit; und der schwere Schlaf, der euch betrügt am späten Morgen, als wäre die Stunde noch nicht vorhanden aufzustehen.

Man predigt so viel gegen die Lüste, gegen die wirklichen Lüste, gegen die Erblust; aber man sollte die Trägheit, die selbst ein Teil der Erbsünde und nicht der kleinste von ihr ist, öfter, anhaltender undmächtiger angreifen, als man thut. Wäre die angeborne Trägheit nicht, hienge sie sich nicht an unsre Füße bis an’s Grab, könnten wir ihre Bleigewichte von uns werfen: es stünde alles anders. Diese faule, todte, nächtliche Königin, diese betrübte Herrscherin, die mit Centnersteinen alle unsre Kräfte niederzieht und unsern Geist, der ein Vogel ist, nicht auffahren läßt in die ewigen Höhen: die ist es, welche das Machtwort der Apostel und ihres Christus verhöhnt und das Reich des Teufels und aller finstern Werke hütet. Was kümmert sich diese Königin darum, daß die Nacht vergangen ist, der Morgen weht, der Tag herbei kommt, und das Heil der Wiederkunft Christi näher rückt! Sie, die Trägheit, hemmt den Gang derer, die da leben, legt sich über die Krankenbetten der Kranken und über die Sterbelager der Sterbenden und gönnt keiner Seele Erhebung und Flug zu der ewigen Heimath. Ihr fürchterliches düstres Reich lacht aller Arbeit, ruht schwer und sicher über den Landen und Herzen, bis der Herr kommt, der sie in den Abgrund versenken und sie ewiglich überwältigen wird.

 Ach meine Trägheit, meine Schmach! Ach, eure Trägheit, eure Ketten! Ach das Geheimnis so langer Sündenknechtschaft, diese Trägheit! Ach, dieser Grabstein ohne gleichen, der keine Auferstehung zuläßt! Ach und weh über unsre Trägheit, wehe im alten, wehe im neuen Kirchenjahr! Brüder, lieben Brüder, liebe Schwestern, es ist schrecklich mit der Macht der Trägheit, es ist alles wahr, was ich gesagt habe. Aber der Herr will ja doch nicht, daß wir in Trägheit untergehen. Es gibt ja doch eine Möglichkeit, von ihrer Last und Wucht frei zu werden, und sich unter ihrem Drucke hervorzuarbeiten. Wir sind doch getauft, dazu gespeist mit Gottes Wort und Leib und Blut. Es ist doch ein göttliches Leben in uns, ja es ist Christus in uns, und wenn wir uns dessen erinnern, dessen bewußt werden, und in der Angst unsrer niedergedrückten, schwerbeladnen Seele dies Leben und unsern Herrn Christus anziehen, mit Gebet und Flehen nach Seiner Aehnlichkeit ringen, so wird und muß ja doch geschehen, was geschrieben steht: „Wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe.“ Es müßen sich doch unsre Kräfte mehren, wenn unser neuer Wille Gottes dargebotne Kräfte anzieht. Es muß ja doch ein Genesen, ein Leben möglich sein für die Kinder des Lebens, denen Gott mit Wort und Sacrament nachgeht. Er höhnt mit dem Antrag Seiner Hülfe und Seiner Gnade die armen Seelen nicht. Nein, nein, Er hilft, Er ist der Helfer vor den Thüren, von dem man am Advent ruft und singt: „O sehet auf, ihr habet die Hülfe, vor der Thür.“ Trägheit ist Tod und Christus ist doch das Leben. Der Tod ist furchtbar mächtig, aber allmächtig bist Du, Herr, und der Du in uns die Sehnsucht, das Verlangen eines neuen Lebens und seliger Benützung unsrer Zeit gewirkt hast. Du kannst und willst auch das Vollbringen geben. Heiliger Herre Gott, heiliger starker Gott, heiliger allmächtiger Heiland, Du ewiger Gott, laß uns nicht versinken – in der schweren Noth der Trägheit, sondern laß in uns Dein Leben siegen! Amen.

 

 

 

Am zweiten Sonntage des Advents.

 

Römer 15, 4–13.

 

4. Was aber zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, auf daß wir, durch Geduld und Trost der Schrift, Hoffnung haben. 5. Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, daß ihr einerlei gesinnet seid unter einander, nach Jesu Christo; 6. Auf daß ihr einmüthiglich mit Einem Munde lobet Gott und den Vater unsers Herrn Jesu Christi. 7. Darum nehmet euch unter einander auf, gleichwie euch Christus hat aufgenommen zu Gottes Lobe. 8. Ich sage aber, daß Jesus Christus sei ein Diener gewesen der Beschneidung, um der Wahrheit willen Gottes, zu bestätigen die Verheißung, den Vätern geschehen. 9. Daßdie Heiden aber Gott loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben stehet: Darum will ich dich loben unter den Heiden, und deinem Namen singen. 10. Und abermal spricht er: Freuet euch, ihr Heiden, mit seinem Volk. 11. Und abermal: Lobet den Herrn, alle Heiden, und preiset ihn, alle Völker. 12. Und abermal spricht Jesaias: Es wird sein die Wurzel Jesse, und der auferstehen wird zu herrschen über die Heiden, auf den werden die Heiden hoffen. 13. Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, daß ihr völlige Hoffnung habet durch die Kraft des Heiligen Geistes.

 

 Ganz adventmäßig, ja ganz eigentlich von der Wiederkunft des Herrn Jesus spricht das heutige Evangelium. Dagegen aber die Epistel, die wir soeben zum zweiten Male gelesen haben, wie paßt sie zum heutigen Evangelium und zum Adventsgedanken? Scheinbar spricht sie ja von etwas völlig anderem, von der Geduld mit den Schwachen, von der Behandlung derer, die in die christliche Freiheit nicht einzugehen vermögen und den Gefreieten des Herrn Jesus Aufenthalt, Mühe und Beschwerde verursachen. Allerdings, meine Freunde, ist in den letzten Worten der Hauptinhalt der Epistel angegeben, allerdings scheint dieser Inhalt dem Adventsgedanken fern zu liegen, aber er wird durch die Art und Weise, wie ihn der Apostel behandelt, und durch die Begründung, die er unter seinen Händen findet, ganz adventmäßig, und schlägt eine Saite aus der Offenbarung Gottes vom Ende der Welt und der Wiederkunft Christi an, die zwar nicht unter diejenigen gehört, welche häufig angeschlagen werden, die aber neben dem gewaltigen Donner des heutigen Evangeliums eine süße, helle Melodie von der Seligkeit der letzten Zeit anstimmt. – Schon wenn in unsrem Texte von der Geduld die Rede ist, von einem Gott der Geduld, kann ein Strahl von der Wiederkunft Jesu Christi in unser Auge fallen, denn die Geduld hat doch ihr Ziel und Ende, auch die Geduld Gottes. Sie ist an und für sich selber eine Tugend, welche nicht ohne Maß gedacht werden kann; das Maß aber für alle Geduld Gottes und Seiner Heiligen setzt der Advent des Herrn, auf den wir warten, die Wiederkunft Christi zur Vertilgung des Reiches des Antichristus und der letzten mächtigsten Bemühungen des Teufels. Wenn aber auch das Wort von der Geduld nicht in unsrem Texte stände, so kommt doch mehr als einmal, es kommt dreimal das Wort vor, welches die bestimmteste Beziehung auf den Advent Christi hat, das Wort „Hoffnung“, dieses Wort, welches man zwar im 18. und 19. Jahrhundert lieber auf die Hoffnung eines seligen Lebens der Seele nach dem Tode bezogen hat, das aber nach dem Sinne der Apostel auf gar nichts anders deutet, als auf die Wiederkunft des Herrn, und die Aufrichtung des Reiches David; denn das ist die liebste Hoffnung aller Apostel, welche ihr Sinnen und Denken beherrscht. Da sagt denn unser Text nach der lutherischen Uebersetzung: wir sollen durch Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben, oder genauer am Wort gegeben: wir sollen durch die Geduld und den tröstenden Zuspruch der heiligen Schriften die Hoffnung festhalten, nämlich die Hoffnung auf das Angesicht des ewigen Bräutigams und auf Sein Liebesreich, das alle Noth der Erde vergeßen macht. Und wie Gott im Texte ein Gott der Geduld heißt, so heißt er in demselben auch ein Gott der Hoffnung, der uns die gehoffte Herrlichkeit des Herrn Jesus Christus vorbehält, und zur rechten Zeit und Stunde gibt. Endlich und zum dritten Male will ja unser Text, daß die Römer in der Kraft des heiligen Geistes völlige Hoffnung haben, oder überfließen an Hoffnung, d. i. an der sicheren freudigen Aussicht auf das Ende der Weltperiode, in der wir leben und den Beginn eines ewigen Reiches der Herrlichkeit. – Wer nun also die doppelte und dreifache Wiederkehr der Worte „Geduld und Hoffnung“ in unsrem Texte überlegt, der vernimmt schon ein Vorspiel zu dem süßen Hohen Lied des Advents, das aus dem Zusammenhang des Textes tönt, auch wenn er diesen Zusammenhang gar noch nicht gefunden, begriffen hat. Es sei nun aber heute meine Sorge, euch den Zusammenhang darzulegen, und euch zu zeigen,

wie sich die Geduld des Christen durch die Hoffnung stärkt.

 Da sollt ihr also zuerst schauen die heilige Geduld, sodann die Hoffnung, von der St.Paulus schreibt, und am Ende euch selber überzeugen, wie solche Hoffnung auf die Geduld der Heiligen eine stärkende stählende Wirkung üben muß.

 

I.

 

Um euch nun, meine lieben Brüder, zuerst die heilige Geduld zu zeigen, von welcher der Apostel redet, müßt ihr mir erlauben, in das vorausgehende Kapitel des Römerbriefes zurückzugreifen. Ich bitte euch um Erlaubnis und ich wollte, ich bedürfte das nicht. Meine Bitte beruht auf einer Art von Höflichkeit, die mich antreibt, euch und eure Schwachheit zu schonen; denn ihr kommt in der Regel ohne Kenntnis des Textes, über den gepredigt wird, zur Kirche, und für eure Trägheit in geistlichen Dingen scheint es eine übermäßige Zumuthung zu sein, wenn man nicht blos eine Bekanntschaft mit den Textesworten, sondern auch mit dem voraussetzt, was vor und nach dem Texte steht. Es sollte wol ein Prediger von einer Gemeine, der er zwanzig Jahre gepredigt hat, so viel erwarten dürfen, daß sie mit dem Text und seinem Zusammenhang vor jeder Predigt, wenn auch nicht bekannt sei, doch aber sich gerne bekannt mache. Fleiß der Vorbereitung sollte man fordern können. Kann ich nun das nicht fordern, greif ich beim Zurückgehen in die dem Text vorausgehenden Kapitel in euch unbekannte Regionen, so verzeiht und erlaubt mir zu thun, was ich nicht laßen kann, wenn ich zu meinem Ziele gelangen soll.

Der heilige Apostel Paulus hat seinen Brief an die Römer zu Corinth vor seiner letzten Reise nach Jerusalem geschrieben. Er hatte dazumal im Sinn in baldem über Rom nach Spanien zu reisen, wie er das im Briefe an die Römer selbst sagt. Nun wurde er zwar in Jerusalem gefangen genommen und Jahre lang in Cäsarea von den Landpflegern festgehalten; aber am Ende kam er, wenn auch durch Wege und Schicksale, die er nicht gewollt hatte, nach Rom. Schon zuvor, da er von Corinth aus seinen Brief an die Römer schrieb, sagte er von der Gemeinde zu Rom, daß man von ihrem Glauben in der ganzen Welt rede; also gab es ums Jahr 59, in welchem er seinen Brief schrieb, schon eine weltberühmte römische Christengemeinde. Als Paulus späterhin wirklich nach Rom kam, giengen ihm die Brüder entgegen, und das eine weite Strecke Landes, und es zeigte sich also wieder, daß eine rege, christliche Gemeinschaft, die St. Pauli apostolisches Ansehen erkannte, in der Hauptstadt der Welt war. Wer diese Gemeinde gestiftet hat, das ist in ein völliges Dunkel eingehüllt, und es hat nie jemand darüber eine sichere Kunde gegeben. Aber von Juden gestiftet oder doch von solchen, die, wie wir so häufig im Morgenlande finden, neben dem Evangelium eine Art Judentum beibehalten wollten, – von Juden oder judaisirenden Christen gestiftet kann sie nicht sein. Der Geist des freien Abendlandes, der die Bischöfe von Rom und ihre Gemeinde in den ersten Jahrhunderten durchdrungen und sie zu Gegnern alles jüdischen Wesens gemacht hat, läßt sich schon aus dem, was die Apostelgeschichte und der Brief an die Römer über die Gemeinde zu Rom enthält, in der Wurzel erkennen. Die Juden, mit welchen der heilige Paulus Apostelg. 28. in Absicht sie zu bekehren, umgeht, stehen dem Christentum so fern, als hätten sie nie von der weltberühmten Gemeinde zu Rom gehört: es ist, wie wenn die römische Christengemeinde mit den Juden längst schon fertig gewesen und ihren eigenen Gang gegangen wäre, und wie wenn andern Teils auch die zahlreichen römischen Juden, die sich nach dem Tode des Kaisers Claudius in der Weltstadt wieder angesammelt hatten, eine Verwandtschaft mit den zahlreichen Anbetern, die der Judenkönig zu Rom hatte, gar nicht mehr gespürt oder anerkannt hätten. Und doch gab es in der römischen Christengemeinde Leute, die in einer gewissen Weise judaisirten, und über das Verhältnis des alten und des neuen Testamentes nicht im Klaren waren, obwol man auf der anderen Seite wieder sagen muß, sie seien von den judaisirenden Christen im Morgenlande sehr verschieden gewesen. Bei der Verwandtschaft und zugleich Verschiedenheit dieser judaisirenden Christen zu Rom sind manche auf den Gedanken gekommen, es müßten diese römischen Unfreien und Asceten jüdische alttestamentliche Meinungen mit solchen vereinigt haben, welche aus dem Heidentum stammten. Wir lesen im fünften Vers des 14. Kapitels unsres Briefes, daß es in Rom Christen gegeben habe, die alle Tage für gleich geachtet, aber auch solche, die einen Tag dem andern vorgezogen hätten. Das scheint ganz der Gegensatz zwischen Juden- und Heidenchristentum zu sein. Dagegen lesen wir im zweiten Verse desselben Kapitels,daß die eine Partei in Rom alles gegeßen, die andre hingegen ganz und gar von Pflanzenkost gelebt habe. Diese letztere Partei gieng also weit über die jüdische Aengstlichkeit hinaus. Der Jude und Judenchrist vermied ja keineswegs alle Fleischspeise, sondern nur diejenige, welche Gott im alten Testamente für unrein und gemein erklärt hatte; hier aber finden wir eine Richtung, deren völlige Enthaltung von allem Fleischgenuße stark an gewisse heidnische Schulen erinnert. Indes das mag nun sein wie es will, der Grund, warum die ängstlichen Christen zu Rom nur Pflanzenkost genoßen, mag aus ihrem früheren Heidentum oder etwa aus dem Gegensatze gegen die Opferspeise hergenommen gewesen sein oder woher sonst: so viel ist klar, es gab in der römischen Gemeinde eine freiere und eine ängstlichere Richtung. Und auch das sehen wir aus dem 14. Kapitel deutlich, daß sich diese beiden Richtungen nicht ganz wol vertrugen, denn der Apostel sagt zu mehreren Malen, z. B. im 10. Vers des 14. Kapitels, daß die freiere Richtung die andere verachtet, dagegen aber die ängstlichere ihre Nebenpartei verurtheilt und verworfen habe. Es war also zu Rom ein Widerstreit, und zwar scheint es aus dem ganzen Kapitel hervorzugehen, daß die freiere Richtung die übermächtige, die ängstliche aber trotz ihrer eigenen Stärke dennoch durch die Uebermacht der andern Partei gedrückt gewesen sei. Die freiere Partei hatte ja wol auch das Recht, weil das Wort Gottes auf ihrer Seite, sie fühlte sich daher auch stark und mächtig, und es lag ihr nahe, ihre Gegner so zu ignoriren und zu verachten, daß gewissermaßen alles Verhältnis zu ihnen aufgelöst worden wäre. Denn so ists mit der armen Menschenseele, wenn sie sich eines unbequemen Gegners entweder nicht entledigen kann, oder ihn nicht auf die rechte Weise überwinden will, weil ihr dazu Inbrunst und Ausdauer der Liebe fehlt, so fängt sie an denselben nicht blos zu verachten, sondern zu vergeßen; sie thut, als wäre er nicht da und setzt sich damit, soviel es nur immer möglich ist in den unangefochtenen und bequemen Zustand der vollen Freiheit, welchen ihr doch Gott der Herr nicht hat verleihen wollen. Sie hat ein solches Wolgefallen an der eignen Richtung, daß sie eine andere, um sie nicht tragen zu müßen, wenn nicht aus ihrer Nähe, doch aus ihrem Herzen und Andenken austilgt. Gerade das aber ist der Tod der Liebe. Das Misfallen Gottes und Seiner heiligen Apostel ist über denen, die so handeln und sich also hemmen, und die Hirtenliebe des heiligen Paulus straft in unsrem Texte auch die Römer, die er selbst noch nie gesehen hat, um dieses Verhaltens willen. Er verweist die übermächtige Partei der Freien und Starken zu Rom auf das größte Beispiel, das er finden kann, auf das Beispiel Christi: der habe gewis in allen Stücken und gegenüber allen Menschen ganz alleine recht gehabt, sein Anspruch auf Beifall und Anerkennung sei der gerechteste und vollkommenste gewesen, den es geben konnte; dennoch sei er Seiner Meinung und Seines Rechtes nie so froh gewesen, daß er sich um fremdes Unrecht gar nicht gekümmert hätte, im Gegentheil, wie es im 10. Vers des messianischen 69. Psalmes heiße, seien die Schmähungen derjenigen, die Gott schmähten, auf Ihn gefallen, und Er habe als ein Lamm Gottes sich der Sünden aller Sünder angenommen und sie getragen. Das sei geschrieben im alten Testament, im 69. Psalm, und zwar zu unsrer Lehre, damit wir durch die Geduld, welche uns in der heiligen Schrift in Gottes und Christi Beispiel vorgelegt werde, und durch die Ermahnungen des göttlichen Wortes gekräftigt würden, gleichfalls in Geduld und in der Kraft des Wortes Gottes die Hoffnung fest zu halten und ihr entgegen zu gehen. Was predigt also der heilige Apostel Paulus in unsrem Texte den römischen Christen? Die Starken sollen nicht gleichgiltig auf die Schwachen sehen, sie nicht verachten und aus dem Andenken ihrer Liebe austilgen. Sie sollen sich ihrer annehmen, sie tragen, so lang sie in ihrer Schwachheit und Aengstlichkeit verharren, und in der Kraft der himmlischen Geduld, die ihnen gegeben werden kann, gestärkt durch die Vermahnung des göttlichen Wortes an ihnen arbeiten, sich ihrer annehmen, wie sich Christus der Sünder angenommen habe und wie er nach den Zeugnissen der heiligen Schrift die entgegengesetztesten Menschen, Juden und Heiden zu einer Gemeine zusammengebracht habe, und ferner zusammenbringen werde, so sollten sie auch die Gegensätze in der Gemeinde erst tragen, dann aber durch Kraft der Wahrheit überwinden und nicht ruhen, bis eine heilige Einmüthigkeit, einmüthiges Gotteslob, Friede und Freude aller hergestellt sei. Das alles, meine lieben Brüder, gehört nach dem Apostel zur Geduldund diese Geduld ist es, in welcher man dem Herrn Christo entgegengehen soll.

 Diese Geduld ist nicht eine träge Ruhe, nein, sie trägt, sie duldet, sie arbeitet, sie hat ihr Ziel; sie weiß, was sie soll, und das will sie, und zwar mit solchem Ernst und Eifer, daß sie das Angesicht des kommenden Christus scheut und sich vor Ihm fürchten würde, wenn sie von ihrem Werke abließe eher, als sie muß, eher, als die Nacht kommt, da niemand wirken kann, oder der Tag, der alles Wesen dieser Welt zu Ende bringt und eine andre Weltzeit beginnt. – Auch wir haben allerlei Gegensätze unter uns; auch unter uns gibt es Schwache und Starke; ja wir haben noch eine dritte heuchlerische und gleißnerische Partei, die weder schwach noch stark ist, aber wol weltlich und frech genug, sich ihre Fleischesfreiheit zur christlichen Freiheit und Stärke umzudeuten. Wahrlich, da gilt es dulden und sich gedulden zur Rechten und zur Linken, beten und arbeiten und nicht müde werden, bis entweder der Zweck erreicht, oder doch die Arbeit zu Ende ist; bis die verschiedenen Parteien zu einer werden, oder der Widerstand der Bösen sie aus den Pforten der Kirche hinausgeführt hat, oder wir von der thränenreichen betrübten Arbeit, die Widerstrebenden zu Christo einzusammeln, durch den Tod entbunden sind! Brüder, die wir von Gott ermahnt sind, heilige Hände ohne Zorn und Zweifel an allen Orten aufzuheben, laßt uns allenthalben Gott anrufen, daß wir aus dem Muth und Werk der Geduld nicht entfallen. Laßt uns doch keinen aufgeben, so lange es Tag heißt, laßt uns einander nicht aufgeben, uns nicht zur Verachtung des Bruders wenden, nicht zu der verdammten Gesinnung, die andern ihr grimmiges Racha und Narr zuruft. In aufrichtiger treuer Liebe laßt uns an einander arbeiten, ob wir vielleicht doch noch einmüthig werden, um einhellig den Gott und Vater unsres Herrn Jesu Christi zu preisen.

 

II.

 

Was der heilige Paulus unter der Geduld versteht, von der er redet, wird dem aufmerksamen Leser nun klar sein. Noch aber wird er vielleicht nicht begreifen, warum ich Eingangs behauptet habe, es singe diese Epistel eine süße Melodie mitten in die donnernden Ereignisse des Evangeliums hinein, sie handle in der lieblichsten Weise von der Hoffnung. Doch wird auch das begriffen werden, wenn der Leser noch eine kleine Aufmerksamkeit zu schenken willig ist. –

Es ist richtig, meine lieben Brüder, daß die Welt durch Feuer untergehen wird und daß diesem furchtbaren Ende der Welt schreckliche Dinge vorausgehen werden, wie sie im heutigen Evangelium und noch weitläufiger in der Offenbarung Johannis gelesen werden können. Aber dieselbige heilige Schrift, die uns so furchtbare Beschreibungen vom Ende liefert, beschreibt uns dies Ende auch mit lieblichen Zügen. Es kommt ja der Weltbrand nicht eher, als bis der Zweck der Welt erreicht ist. Gottes Absichten zur Seligkeit des Menschen müßen in Erfüllung gehen, sein Werk kann niemand hindern, sein Arbeit darf nicht ruhn, wenn er, was seinen Kindern ersprießlich ist, will thun. Der Zweck der Welt aber ist kein anderer, als die Sammlung der heiligen Kirche, die Erziehung und Bereitung der Braut Jesu Christi für die ewige Hochzeitfreude, und daher beschreibt uns auch die heilige Schrift das Ende unter dem lieblichen Bilde der beginnenden Hochzeit des Lammes. Können wir aber glauben, daß die Schrift ein Bild ohne Ursach brauche, ein Wort ohne Wahrheit? Wäre es möglich, daß von einer Hochzeit die Rede wäre, wenn auch die Kirche mit in den allgemeinen Strudel des Untergangs und des Verderbens gezogen würde? Und ist das nicht eine süße Melodie, die sich mitten unter dem Donner vom Weltuntergange kenntlich klar und deutlich vernehmen läßt für alle, die es angeht, wenn von der seligen Vereinigung Christi mit Seiner Braut für alle Ewigkeit gepredigt wird? Das geschieht aber in unsrem Texte, der, von der Bereitung der Braut und von dem seligen Gelingen dieses Geschäftes herrliche Reden führt.