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Sie dachten, der Krieg sei vorüber. Doch nun wissen sie, dass sich der wahre Feind erst gegen sie erhebt ...
Die Welt der Menschen steht auf Messers Schneide: Drem und seine Freunde wurden Zeugen, wie sich einfache Menschen in reißende Bestien verwandelten und sich ein Dämon von den Toten erhob. Dessen Hohepriesterin Fritha ist den Gefährten nun auf den Fersen. Doch nicht nur von ihr droht Gefahr: Riv hütet ein Geheimnis, das die hochmütigen Ben-Elim stürzen könnte. Werden die jungen Helden ihr Land retten angesichts der sich erhebenden Dunkelheit?
Alle Bücher der Serie:
Die Zeit der Schatten. Blut und Knochen 1
Die Zeit des Feuers. Blut und Knochen 2
Die Zeit der Finsternis. Blut und Knochen 3
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Seitenzahl: 758
Veröffentlichungsjahr: 2020
Das Buch
Die Welt der Menschen steht auf Messers Schneide: Drem und seine Freunde wurden Zeugen, wie sich einfache Menschen in reißende Bestien verwandelten und sich ein Dämon von den Toten erhob. Dessen Hohepriesterin Fritha ist den Gefährten nun auf den Fersen. Doch nicht nur von ihr droht Gefahr: Riv hütet ein Geheimnis, das die hochmütigen Ben-Elim stürzen könnte. Werden die jungen Helden ihr Land retten angesichts der sich erhebenden Dunkelheit?
Der Autor
John Gwynne studierte an der Brighton University, wo er später auch unterrichtete. Er spielte Bass in einer Rock’n’Roll-Band, bereiste die USA und lebte in Kanada. Heute ist er verheiratet, hat vier Kinder und führt in England ein kleines Unternehmen, das alte Möbel restauriert.
Weitere Informationen unter: http://www.john-gwynne.com/
Von John Gwynne bereits erschienen
Macht * Bosheit * Jähzorn * Ungnade
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JOHN GWYNNE
Die Zeit des Feuers
Blut und Knochen 2
Aus dem Englischen von Wolfgang Thon
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Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »A Time of Blood – Of Blood and Bone 2« bei Pan Macmillan, London.
Copyright der Originalausgabe © 2019 by John Gwynne
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2020 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Covergestaltung: Isabelle Hirtz, Inkcraft,nach einer Originalvorlage von Macmillan Publishers
Coverillustration: Paul Young represented by Artist Partners
Karte: © Fred van Deelen
BL · Herstellung: sam
Satz und E-Book: GGP Media GmbH, Pößneck
Für James,in Erinnerung an eine Zeit, als Bücher uns so viel bedeutet haben. Wenn ich mich recht erinnere, so war es vor allem Arabels Raven. Ich hoffe, dir gefällt dieses Buch jetzt ebenso wie diese Geschichten von einst.
»Dunkles Blut kostete er, aus dem Quell der Dämonen.«
Die Völsunga-Saga
DREM
Im Jahr 138 des Zeitalters der Kunde, Wolfsmond
Drem riss sich aus dem einlullenden Rhythmus der Schritte seines Pferdes und blickte zur Sonne hinauf, deren blassen Schein er durch die kahlen Zweige und die Schneewolken über den Bergen vor sich sah. Nur kurze Zeit später senkte sich das Zwielicht wie ein Leichentuch über sie.
Wir müssen bald rasten, sonst riskieren wir, dass die Pferde lahmen.
Er sah zu Cullen, der rechts neben ihm ritt, den Mantelkragen hochgeschlagen, das Gesicht im Schatten. Keld jedoch an ihrer Spitze schien nicht an Rast zu denken. Der vernarbte Jäger durchdrang das Dickicht im lockeren Galopp, beinahe so mühelos wie sein Woelvenhund Fen.
Der Kummer treibt ihn an. Hass. Und Furcht, wenn er denn menschlich ist.
Drem versuchte mit einem Blinzeln die Erinnerung an Gulla zu vertreiben, als der Kadoshim heftig zuckend auf dem blutigen Tisch in der Mine gelegen hatte, bevor er sich verwandelt erhob, mit langen schimmernden Zähnen und Augen rot wie glühende Kohlen.
Es fühlte sich wie ein Traum an, ein Albtraum, obwohl es vor nicht einmal einem Tag und einer Nacht passiert war. Sehr lebhafte Erinnerungen an die Schlacht bei der Mine schossen immer wieder in all ihrer Brutalität durch Drems Verstand. Gulla, der seine Zähne in den Hals eines seiner Akolyten grub; wilde Kreaturen, halb Mensch, halb Bestie, die fauchend mit ihren Klauen um sich schlugen; geflügelte Mischlinge, die voller Bosheit brüllten; und Fritha, wunderschön und so kalt wie der vereiste Wald, ein schwarzes Schwert in der Faust. Und die Erinnerung an Sig, die Gigantin, die Freundin seines Vaters.
Meine Freundin.
Die jetzt tot ist. Meinetwegen.
Er spürte eine kaum beherrschbare Unrast. In so kurzer Zeit war so viel geschehen, und er hatte so gut wie nie Gelegenheit gehabt, seinen Empfindungen nachzuspüren. Stattdessen hatte er einfach nur reagiert und versucht, am Leben zu bleiben. Jetzt jedoch waren sie die ganze Nacht und den größten Teil des Tages geritten, und er hatte Zeit zum Nachdenken gefunden.
So viel hat sich verändert. Ich wünschte, ich würde mit Pa zusammen Fallen aufbauen, draußen, an den Knochenhöhen, nur wir beide. Aber er ist jetzt auch tot.
So gefährlich ihre Lebensweise auch gewesen sein mochte, sie war Drem so vertraut wie ein alter Umhang und hatte ihm ebenso gut gepasst. Jetzt war alles so anders, so neu. Er war aufgeregt, wie damals, als seine Beine wuchsen und schmerzten und er einfach aufstehen und herumgehen musste. Jetzt jedoch gab es nichts, was er dagegen hätte tun können, und er konnte auch nicht zu dem Altvertrauten zurückkehren, das ihm jetzt auf einmal so tröstlich erschien.
Unwillkürlich legte er die Hand an den Hals und tastete nach seinem ruhigen, beruhigenden Pulsschlag.
Eins, zwei, drei, begann er zu zählen.
»Wir lagern hier.« Keld tauchte aus der Dunkelheit auf und schlug mit dem Schaft seines Speeres ein Loch in das Eis eines überfrorenen Flusses.
Eine gute Stelle, dachte Drem und sah sich unter den Bäumen um, die sie umgaben. Da war der Fluss, die riesigen Felsbrocken rechts von ihnen, die sie vor dem kalten Wind schützten, der von den Knochenhöhen herabpfiff und ihnen außerdem ein gewisses Maß an Schutz vor Raubtieren bot.
Ob sie nun zwei oder vier Beine haben mögen.
Schweigend schlugen sie ihr Lager auf. Cullen führte die Pferde zu einer freien Stelle, fesselte ihre Knöchel, nahm ihnen die Sättel ab und rieb sie trocken. Drem suchte eine Stelle für das Feuer, nahm seine Faustaxt aus dem Gürtel und hackte durch die dicke Eisschicht, schob dann den weicheren Schnee zur Seite, bis er den gefrorenen Boden erreichte. Er sammelte Steine, schlug Feuerholz von einer toten, vom Blitz getroffenen Eiche und errichtete eine kleine Feuerstelle. Bevor er das Feuerholz entzündete, schnitt er dünne Zweige von einer Weide neben dem Fluss und verwob sie zu einem geflochtenen Zaun, mit dem er eine Seite der Feuergrube schützte, die er gegraben hatte. Als Sichtschutz vor neugierigen Augen, die ihnen vielleicht aus dem Osten gefolgt sein mochten.
Er nahm Kienspan aus einem Beutel an seinem Gürtel, schlug mit dem Feuerstein und Eisen Funken und blies vorsichtig darauf. Kurz darauf züngelten die ersten Flammen im Schnee, zischend und gierig.
Als der Boden in ihrer Nähe erbebte, blickte Drem auf und griff nach dem Scramasax an seinem Gürtel, dem Messer mit dem Knochengriff. Ein Schatten von der Größe eines Felsbrockens bewegte sich in der Dunkelheit, aber trotzdem nahm Drem wieder die Hand von der Waffe. Hammer, die riesige Bärin, trottete auf die kleine Lichtung.
Hammer war Sigs Kriegsbärin gewesen und hatte sie aus dem blutigen Chaos der letzten Nacht weggetragen. Drem, Keld und Cullen hatten auf ihrem Rücken gesessen, während das gewaltige Tier durch das Dickicht gebrochen war und dabei kleine Bäume umgerissen hatte. Sie hatten keinen Gedanken an Verstohlenheit oder daran verschwendet, ihre Spuren zu verwischen. Sie waren vorwärtsgetrieben worden von der Gewissheit, dass sie entkommen und so viel Abstand wie möglich zwischen sich und Gulla legen mussten.
Hammer war bis zur Erschöpfung gerannt und hatte sie in der Hälfte der Zeit zu Drems Gehöft zurückgebracht, die sie für die Strecke mit Pferden benötigt hätten. Dort waren sie abgestiegen, hatten Hammer Sattel, Harnisch und das an vielen Stellen zerfetzte Kettenhemd abgenommen und es in Taschen und Satteltaschen verpackt. Dann hatten sie sich um die verletzte Bärin gekümmert und ihr etwas von dem abscheulich riechenden Brei verabreicht, den Keld Broth nannte. Anschließend waren sie mit Hammer und frischen Pferden trotz der Dunkelheit aufgebrochen. Sie wussten, dass sie nicht bis zum Morgengrauen warten konnten.
Sie waren übereingekommen, nach Westen zu reiten und die Deckung des Waldes zu nutzen, um sich vor Blicken von oben zu schützen. Sie hatten einen Bogen um Kergard geschlagen und waren südlich weitergezogen, bis sie den westlichen Rand der Knochenhöhen erreichten. Drem hatte seine Sorge um die Bevölkerung von Kergard zwar geäußert, aber es war klar, dass sie den Menschen dort nicht helfen konnten. Niemand in der Stadt hatte ihm zuvor geglaubt, und außerdem wusste er nicht einmal, ob in Kergard überhaupt noch jemand lebte, den man hätte retten können. Zu Drems Entsetzen waren Dutzende Bewohner in der Mine aufgetaucht, als geheime Akolyten der Kadoshim. Einschließlich Ulfs, des Gerbers, den Drem einst für seinen Freund gehalten hatte.
Also hatten sie sich stattdessen darauf beschränkt, so schnell wie möglich zu flüchten. Denn es war sehr wahrscheinlich, dass man sie von der Mine aus verfolgt hatte, und sie mussten ihre knappe Zeit nutzen, um Dun Seren und den Orden des Strahlenden Sterns zu erreichen.
Am Anfang hatte Drem die Führung übernommen, weil seine Ortskenntnis es ihm erleichterte, sie durch die Dunkelheit zu leiten. Als die fahle Sonne am Himmel emporstieg, waren sie auf ihre Pferde gestiegen, und Keld hatte die Spitze übernommen. Sein Woelvenhund Fen kundschaftete voraus. Hammer war ihnen trübselig brummend gefolgt. Sie hatte sich in den Wald zurückgezogen, war aber nie so weit entfernt, dass sie sie nicht gehört oder sogar gesehen hätten.
Sie trauert um Sig, genauso wie Cullen und Keld. Vielleicht sogar mehr. Sie waren schon länger Reiter und Reittier, als Cullen auf der Welt ist. Wahrscheinlich sogar länger, als selbst Keld gelebt hat.
Keld ging zu der Bärin und löste die Satteltaschen von ihrem Rücken. Dann untersuchte er ihre Wunden und klopfte ihr auf den Hals. Sie rieb ihren riesigen Schädel an dem Jäger und hätte ihn dabei fast umgestoßen.
»Ah, Mädchen, wir vermissen sie auch.« Keld zog am Ohr der Bärin. Das schien ihr zu gefallen, und sie brummte traurig.
Fen stürmte auf die Lichtung. Seine Augen glühten im Licht des Feuers. Der schiefergraue Hund ließ einen Hasen vor Kelds Füße fallen.
»Also gibt es heute Abend eine warme Mahlzeit. Den Sternen sei Dank, denn ich habe allmählich genug von Broth«, sagte Cullen. Sein Hochgefühl bei dieser Vorstellung war ansteckend.
Keld häutete den Hasen und nahm ihn aus, dann spießte er ihn auf einen Stock und legte ihn über das Feuer. Das Fett tropfte zischend in die Flammen. Flügelschlagen kündigte die weiße Krähe an, die von den Zweigen herunterflatterte und auf Cullens Schulter landete.
»Ich habe mich schon gefragt, wo du steckst, Rab«, begrüßte Cullen die Krähe.
»Rab passt auf, beschützt Freunde«, krächzte der Vogel und hüpfte von Cullens Schulter zu dem kleinen Haufen von Innereien, der von dem Hasen übrig geblieben war. Dann machte er sich daran, die Köstlichkeiten lautstark zu verzehren.
»Aber deine Liebe zu Schleim und ekligen Dingen hat dich zu uns zurückgeführt«, bemerkte Cullen.
»Alle müssen essen«, krächzte der Vogel, bevor er einen Augapfel verschlang.
»Gutes Argument«, sagte Cullen.
Nur die Toten essen nicht mehr. Drems Gedanken kreisten um seinen Vater Olin und um Sig, und eine Welle der Trauer stieg in ihm auf, begleitet von großer Erschöpfung. Sein ganzer Körper schmerzte, er hatte Tausende kleiner Schnitte und Prellungen von dem Kampf an der Mine, und auch aus der Zeit davor. Er rieb sich die Narbe am Hals, die er davongetragen hatte, weil man ihn zweimal an einem Baum in seinem eigenen Hof aufgehängt hatte. Ein Bild von Frithas Gesicht blitzte in seinem Kopf auf. Die süße, freundliche Fritha mit ihren blauen Augen und den Sommersprossen. Es war ein Gesicht, dem er vertraut hatte, das er sogar angefangen hatte zu lieben.
Diese Empfindung war in etwas ganz anderes umgeschlagen.
Ich hasse sie und werde sie töten für das, was sie getan hat.
Zorn brannte in seiner Brust; er war tief unter dem Schmerz des Verlustes und der Erschöpfung dieser letzten paar Zehn-Nächte vergraben, aber niemals verschwunden. Ein großer Teil dieses Zorns war gegen ihn selbst gerichtet, wegen seiner Dummheit, dass er geblieben war, wegen der Entscheidungen, die er getroffen hatte, Entscheidungen, die zum Tod seines Vaters geführt hatten, dem Verlust des Sternenstein-Schwertes und dem Tod von Sig.
Die Ungeheuerlichkeit der Ereignisse drohte ihn zu überwältigen.
»Drem, fang auf!« Die Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Cullen hatte ihm etwas zugeworfen, und in einem Reflex fing Drem das lange Bündel auf. Es war sein Schwert, in der Scheide und mit dem Schwertgurt umwickelt.
Das Schwert meines Vaters, das jetzt mir gehört. Er blickte auf den abgeschabten Ledergriff, die Hülle, zog es ein Stück aus der Scheide und betrachtete den vierzackigen Stern, der in die Klinge eingeätzt war, unmittelbar unterhalb der Parierstange. Mein Pa, ein Krieger des Ordens des Strahlenden Sterns.
Seine Welt hatte sich in so kurzer Zeit so stark verändert, dass er das Gefühl hatte, auf dem schwankenden Fundament seines Lebens zu taumeln.
»Komm jetzt.« Cullen zog sein Schwert aus der Scheide an seinem Waffengurt.
»Was denn, sind sie schon da?« Drem spürte Panik in seinem Bauch, während er suchend in die Schatten starrte.
»Nein, Jungchen.« Cullen grinste, denn er war jünger als Drem. »Wir tanzen den Schwerttanz, solange unser Abendessen brät.« Dann machte er eine Pause und wurde für einen Moment ernst. »Ich habe auch Trauer erlebt«, fuhr er fort, »und weiß, was sie mit dir machen kann, hier oben.« Er tippte sich mit dem Finger an die Schläfe. »Dasselbe sehe ich jetzt bei dir. Der Schwerttanz hat mir immer geholfen. Vielleicht hilft er dir ja auch.«
Der Schwerttanz. Das traditionelle Schwerttraining des Ordens. Drem hatte in seinen einundzwanzig Sommern nur selten ein Schwert angefasst. Das Leben eines Fallenstellers erforderte sehr viel Übung im Umgang mit dem Speer, dem Messer und der Faustaxt, wenn man in der Wildnis überleben wollte. Ein Schwert jedoch war die Waffe eines Kriegers, mit der man gegen andere Krieger kämpfte. Und in der weiten Wildnis der Ödnis und der Knochenhöhen traf man nicht auf allzu viele Krieger. Erst knapp fünf Monde waren verstrichen, seit Olin Drem das erste Mal mit einem Schwert vertraut gemacht und ihm die Grundlagen des Umgangs beigebracht hatte. Seitdem hatte Drem mit dieser Waffe schon getötet. Es war ein schreckliches Wissen, das ihm tief in den Knochen steckte, eine schmerzende Traurigkeit, die auf ihm lastete. Drem hasste es zu kämpfen, und ihm missfiel die Anwendung von Gewalt. Aber sie lebten in gewalttätigen Zeiten, und sein Pa hatte gesagt, es wäre besser, derjenige zu sein, der lebt, als derjenige, der tot ist.
Seufzend folgte Drem Cullen zu einer freien Fläche. Keld blickte von der Feuergrube hoch und beobachtete sie.
»Falke im Sturzflug«, sagte Cullen und hob sein Schwert mit beiden Händen über den Kopf.
Drem zog seine eigene Waffe und ließ die Scheide in den Schnee fallen. Seine Gestalt warf lange, verzerrte Schatten über die Lichtung.
Falke im Sturzflug, hörte er die flüsternde Stimme seines Vaters in seinem Kopf.
*
Drem leckte sich das Fett von den Fingern. Die Wärme der heißen Mahlzeit breitete sich langsam im ganzen Körper aus. Er atmete langsam durch und genoss das Gefühl. Cullen neben ihm schmatzte laut, und Keld warf Fen einen Knochen zu. Das Tier schnappte ihn aus der Luft und zermalmte ihn dann zu Splittern.
»Ich kann einfach nicht fassen, dass Sig tot ist«, flüsterte Cullen und blickte in die Flammen. Drem sah die Träne, die eine Spur auf Cullens schmutziger Wange hinterließ. »Ich habe sie mein Leben lang für unsterblich gehalten, so solide wie der Stein und das Holz von Dun Seren. Sie war schon eine Legende, bevor sie sich mit meinem Urgroßvater zusammengetan und den Orden gegründet hat.« Er ließ den Kopf hängen.
Keld knurrte etwas Unverständliches, während er sich mit seinem Wetzstein hinsetzte und sechs Messer sowie drei Faustäxte und sein Schwert vor sich ausbreitete.
»Arme Sig«, krächzte Rab traurig auf einem Zweig über ihnen.
»Ich werde Gulla den Kopf abschlagen und meinen Met aus seinem ausgekochten Schädel trinken, während ich auf einem Hügel seiner toten Halbblutwesen und Akolyten stehe!«, knurrte Cullen. Drem hatte sich allmählich daran gewöhnt, dass Cullen mit seinen Gefühlen nie hinter dem Berg hielt, ganz gleich, welche es auch sein mochten.
»Rab wird Gulla auch das andere Auge aushacken«, krächzte der Vogel.
Cullen lächelte die weiße Krähe an.
»Ja, Junge, Sig war die Beste von uns«, erklärte Keld leise. »Mehr noch, sie war meine Freundin und hat mir öfter das Leben gerettet, als ich zählen kann.« Er spuckte in die Flammen. »Sie wird uns verdammt fehlen.« In dem folgenden Schweigen hörte man nur das Schaben des Wetzsteins auf Stahl, das Knistern der Flammen und das Knarren der Zweige. »Du wirst deine Rache bekommen, mein Freund.« Keld blickte immer noch in die Flammen. Und Drem wusste nicht genau, ob der Jäger zu ihm oder Cullen sprach.
»Es tut mir leid«, flüsterte Drem.
Keld und Cullen blickten ihn abwartend an.
»Dass ich meine Nachricht nach Dun Seren geschickt und euch beide und Sig hierhergeholt habe.« Er ließ den Kopf in die Hände sinken. »Ich wünschte, ich wäre gestorben, nicht Sig. Oder dass ich mit meinem Pa weggegangen wäre, als er sagte, wir sollten flüchten. Ich wünschte, ich hätte Fritha niemals gesehen. Wäre ich nicht gewesen, würde mein Vater noch leben. Und auch Sig.«
»Du hast weder Olin noch Sig getötet«, knurrte Keld. »Das waren dieser geflügelte Mistkerl Gulla und seine Brut.«
»Aber wenn …«
»Nein!«, fuhr Keld dazwischen. »Es ist leicht, alles zu bewerten, wenn man auf dem Pfad, den man gegangen ist, zurückblickt, und wer das versucht, ist ein Narr.« Er hob den Blick von dem Messer in seinem Schoß und sah Drem an. Etwas Wildes, Ungezähmtes lag in seinen Augen. »Dich trifft keine Schuld oder Schande, Drem. Stell dir nur vor, was wohl jetzt geschehen würde, wenn wir diese tödliche Zeremonie gestern Nacht nicht mit angesehen hätten?«
Drem dachte mit gerunzelter Stirn darüber nach. »Gulla wäre trotzdem transformiert. Als Wiedergänger, so hat Fritha ihn genannt.«
»Und sie bräuchten nicht den halben Tag darauf zu verwenden, ihre Toten zu begraben oder zu verbrennen, und das ist eine Tatsache«, setzte Cullen hinzu.
»Cullen und Keld sind mächtige Krieger«, brabbelte Rab. »Und Drem«, fügte er mit einem Nicken seines Kopfes in Drems Richtung hinzu.
Bemüht sich diese Krähe etwa, meine Gefühle nicht zu verletzen?
»Ja, das stimmt«, pflichtete Keld ihm bei. »Gulla hat etliche seiner Akolyten in widerliche Kreaturen verwandelt, die ihm gleichen«, fuhr er dann nachdenklich fort. »Das ist Teil des Plans der Kadoshim für den Langen Krieg. Also frage ich dich noch einmal, Drem, was würde jetzt passieren?«
»Er würde seine Armee aufstellen«, antwortete Drem. »Sig hat gesagt, die Kadoshim wären zu wenige, um einen Krieg gegen die Ben-Elim zu gewinnen, und dass sie noch mehr Leute bräuchten, Krieger.«
»Das stimmt«, erklärte Keld. »Und auch ihre Akolyten reichen nicht. Sie haben in dieser Mine experimentiert, dunkle Magie benutzt, um wilde Menschenbestien zu erschaffen und jetzt diese neuen Kreaturen, diese Wiedergänger. Sobald Gulla genug davon hat, wird er wie die Pest in die Verfemten Lande einfallen.«
Drem schüttelte den Kopf. Insgeheim hatte er das natürlich gewusst, aber im Wahnsinn der Schlacht, wegen der Trauer um Sig und der darauf folgenden Erschöpfung während der Flucht hatte er die Auswirkungen all dessen nicht ganz begriffen. Jetzt jedoch fügte sich allmählich alles zusammen.
»Ohne dich hätten wir nicht das Geringste darüber in Erfahrung gebracht.« Cullen drückte Drems Schulter.
»Ja. Wir haben lange nach Gulla, dem Ersten Hauptmann der Kadoshim gesucht. Er ist nur Asroth unterstellt, und du hast uns zu ihm geführt. Du hast der Menschheit eine Chance gegeben«, erklärte Keld. »Natürlich können sie uns immer noch erwischen und uns im Schnee verbluten lassen, oder diese wilden Kreaturen zerbrechen unsere Knochen und saugen uns das Mark aus. Allerdings werde ich etliche von ihnen mitnehmen, bevor ich mich in mein Schicksal ergebe.« Keld tätschelte liebevoll seine Axt und grinste fast manisch. »Aber wenigstens haben wir jetzt eine Chance, und zwar deinetwegen. Olin wäre stolz auf dich.«
Bei diesen Worten breitete sich ein warmes Gefühl in Drems Brust aus, auch wenn sich Trauer hineinmischte, die er immer empfand, wenn er an seinen Pa dachte.
»Allerdings wäre er darauf nicht so stolz.« Keld deutete mit einem Nicken auf Drems Scramasax.
»Was denn?« Drem legte eine Hand auf den Knochengriff an seinem Gürtel.
»Oh lieber Elyon im Himmel!«, stieß Cullen hervor.
»Kannst du das Messer überhaupt aus der Scheide ziehen?«, erkundigte sich Keld.
Drem versuchte es, aber die Klinge steckte fest. Er sah genauer hin. Das Blut hatte die Scheide an der Stelle verklebt, wo sich Knochengriff und Leder trafen. Er zog und zerrte, und schließlich gelang es ihm, den Scramasax herauszubekommen. Es war ein großes Messer und ähnelte eher einem Kurzschwert. Die Klinge war so lang wie sein Unterarm, dick und hatte nur eine Schneide, die sich am Ende zu einer Spitze verjüngte.
»Pah.« Keld verzog missbilligend das Gesicht. »In Dun Seren hättest du dir dafür eine Zehn-Nacht Latrinendienst eingehandelt.«
Mit vor Scham gerötetem Gesicht machte sich Drem daran, die Waffe zu säubern. Er nahm einen Bimsstein und etwas Öl aus einem Beutel an seinem Gurt. Die Klinge hatte neue Scharten, eine Erinnerung an den Kampf in der Mine. Und in der Blutrinne in dem Stahl war das Blut geronnen. Drem kratzte es heraus und rieb mit dem Bimsstein daran herum.
»Darf ich mal sehen?«
Drem reichte dem neben ihm sitzenden Cullen den Scramasax. Der Griff war abgewetzt und glatt von Drems Händen und passte perfekt in seine Faust.
Cullen wog die Waffe in der Hand und spürte dem Gewicht nach, dann wirbelte er sie zwischen den Fingern herum. Im Licht des Feuers glänzte sie rot. Anschließend betrachtete er die Waffe genauer, und auch Keld beugte sich neugierig näher. Cullen gab den Scramasax an den Jäger weiter.
»Hat Olin diese Waffe geschmiedet?«, fragte Keld.
»Ja, das hat er.« Drem erinnerte sich noch daran, wie sein Pa in der Schmiede in Kergard während ihres ersten Winters in der Ödnis die Waffe gefertigt hatte. Das war vor fünf Jahren gewesen.
Keld fuhr mit dem Daumen über die Schneide. Blut quoll aus einem kleinen Schnitt. Er ließ ein paar Tropfen auf die flache Seite der Waffe fallen und verschmierte sie darauf. »Nochtann«, sagte er, und der Stahl der Klinge schien zu schimmern und sich zu kräuseln.
Drem blinzelte verblüfft. Eingravierte Runen wurden überall auf dem Stahl sichtbar. Er beugte sich vor und blickte ungläubig darauf.
»Woher sind die gekommen?«, murmelte er.
»Sie waren schon immer da.« Cullen lächelte.
»Ja, Junge«, bestätigte Keld. »Olin hat sie darin eingewirkt, als er die Waffe geschmiedet hat.«
»Aber wie? Und wieso habe ich sie dann nie gesehen?«
»Wir lernen in Dun Seren mehr als nur Fechtkunst.« Keld zwinkerte ihm zu.
»Nur ich nicht, noch nicht!«, warf Cullen mürrisch ein.
Drem schüttelte den Kopf. Er hatte in den letzten Monaten viel verarbeiten müssen, vor allem, dass sein Vater sehr viel mehr war, als er geahnt hatte. Es schmerzte Drem immer noch, dass Olin so viel vor ihm verheimlicht hatte, aber ihm war klar, dass sein Vater das nur getan hatte, um ihn zu beschützen. Erst als er seinem Vater geholfen hatte, das Sternenstein-Schwert zu schmieden, hatte er erlebt, über welche geheimen Kenntnisse Olin verfügte. Er hatte Runen in die neu geschmiedete Klinge gewirkt und sie mit einem mächtigen Zauber belegt. Das war ein ziemlicher Schock für ihn gewesen.
»Ich kann zwar lesen, aber das hier kann ich nicht entziffern«, sagte Drem. »Ich verstehe es nicht. Welche Sprache ist das? Und was bedeutet es?«
»Das ist die Erste Zunge«, antwortete Keld. »Einst wurde sie von Giganten und Menschen gemeinsam gesprochen, aber jetzt nennt man die Sprache Gigantisch. Die Runen bedeuten: Dilis cosantoir. Treuer Beschützer.«
Mein Pa hat mein ganzes Leben lang versucht, mich zu beschützen. Und selbst jetzt noch von jenseits des Grabes schwebt seine schützende Hand über mir.
Drem spürte, wie ihm Tränen in die Augen stiegen, und einen Moment hatte er fast das Gefühl, als säße sein Vater mit am Lagerfeuer.
»Das sind mehr als nur Worte«, fuhr Keld fort. »Diese Klinge wird niemals zerbrechen, und ich vermute, dass man sie auch nicht besonders oft schärfen muss.« Er gab Drem den Scramasax zurück.
»Wo du es erwähnst, nein, man muss sie nicht schärfen«, bestätigte Drem. Dann betrachtete er die Waffe staunend, und während er hinsah, verblassten die Runen und verschwanden schließlich ganz. Er fuhr mit seinem Wetzstein ein paar Mal über die Schneide, mehr brauchte es nicht. Dann machte er sich daran, die Scheide von dem getrockneten Blut zu reinigen. Danach kümmerte er sich um die Faustaxt in seinem Gürtel, und die Trauer, die sich während ihrer Reise über ihn gelegt hatte, wurde von Kelds und Cullens Worten ebenso gemildert wie von dem Gedanken an seinen Pa.
Die drei Männer verfielen in ein behagliches Schweigen. Hammer, die riesige Bärin, setzte sich in ihre Nähe und legte sich dann hin. Nach wenigen Herzschlägen schnarchte sie so laut wie ein Steinschlag in den Knochenhöhen.
»Wann erreichen wir Dun Seren?«, erkundigte sich Drem.
Keld fuhr sich mit der Hand über seinen kahl rasierten Kopf. Mit dieser Frisur war es dem Jäger und Cullen in der Sternenstein-Mine gelungen, sich unter die Akolyten zu mischen.
»Wir haben zwei Zehn-Nächte gebraucht, um hierherzukommen«, murmelte er. »Aber wir werden länger brauchen, um zurückzukehren, wenn wir die Wälder und die Knochenhöhen nutzen, um unsere Spuren zu verwischen.«
Bei dem Gedanken an die Kadoshim und die Wildlinge, die Menschenbestien, erschauerte Drem. Der Kampf letzte Nacht hatte etwas Albtraumhaftes gehabt, ein Teil davon war verschwommen und fast unwirklich, andere Teile jedoch schienen ihm viel zu lebhaft und blutrünstig. Er vertrieb die Gedanken mit einem Kopfschütteln und griff an seinen Hals, suchte nach dem Schlag seines Herzens, der ihn stets beruhigte.
»Was es auch kosten mag, wir müssen nach Dun Seren zurückkehren«, sagte Keld. »Unser Erster Hauptmann Byrne muss von den Ereignissen erfahren. Von Gulla, den Wiedergängern, den Wildlingen und dem Sternenstein-Schwert.«
»Ja«, stimmte Cullen ihm zu. »Und wir müssen ihr von Gunil berichten.«
»Gunil?«, hakte Drem nach.
»Ja«, knurrte Keld. »Der Gigant, der für Gulla gekämpft hat. Er gehörte einst zum Orden und ist der Bruder von Varan, dem Gigantenlord des Jotun-Clans. Varan wurde vor über sechzehn Jahren getötet, und wir hatten angenommen, dass auch Gunil gefallen wäre.« Keld schwieg einen Moment, in Gedanken verloren. »Gunil und Sig … standen sich nahe.«
Und doch hat Sig in der Mine gegen ihn gekämpft. Das muss sie geschmerzt haben. Drem spürte einen Funken kalter Wut in seinen Eingeweiden, ein weiteres Unrecht, das gesühnt werden musste. Er setzte Gunil auf die Liste jener, die er für ihre Taten zur Rechenschaft ziehen wollte.
»Warum hat er für Gulla gekämpft?«, erkundigte sich Drem.
Keld zuckte mit den Schultern. »Er war immer … zurückgezogen, in sich gekehrt. Aber ich hätte ihn niemals für einen Verräter gehalten.« Er knirschte mit den Zähnen und tätschelte den Kopf seiner Axt. »Dafür wird er sich meiner Axt gegenüber verantworten müssen.«
»Also müssen wir Dun Seren erreichen«, schloss Drem. »Wir dürfen nicht scheitern.«
»Ja«, stimmte Keld ihm zu. »Ich denke genauso. Rab, ich möchte, dass du nach Dun Seren vorausfliegst. Erzähl Byrne, was passiert ist, erzähle ihr von Sig und von allem, was wir gesehen haben. Und bitte sie, uns ein paar Schwerter entgegenzuschicken. Wahrscheinlich werden wir Hilfe brauchen.«
»Rab kann nicht fliegen.« Die Krähe klang entsetzt. »Rab passt auf euch auf, Rab beschützt euch.«
»Und du machst deine Sache ausgezeichnet«, ergriff jetzt Cullen das Wort. »Aber es ist wichtiger, dass Byrne erfährt, was hier passiert.«
»Das weiß Rab.« Der Vogel nickte. »Aber Rab will die Freunde nicht verlassen.«
»Komm zu uns zurück, wenn du mit Byrne gesprochen hast«, sagte Cullen. »Und führe diejenigen her, die sie uns zur Unterstützung schickt.«
»Ja, Rab wird Hilfe holen.« Die Krähe klang einigermaßen besänftigt.
»Gut«, sagte Keld. »Brich morgen bei Sonnenaufgang auf.«
*
Drem wachte auf, weil Schnee sanft auf sein Gesicht fiel. Er setzte sich auf und schob einen der dicken Umhänge zur Seite, den er eingepackt hatte, als sie kurz an seinem Gehöft haltgemacht hatten. Der Morgen graute bereits, die Dunkelheit hellte sich zu einem matten Grau auf. Hammer war verschwunden, und auch Kelds Bettmatte war verlassen. Der Jäger war nirgendwo zu sehen, aber Cullen lag zusammengerollt und schnarchend unter einem Umhang aus Bärenfell. Rab schlummerte neben dem rothaarigen Krieger, den Kopf unter einen Flügel geschoben. Als Drem aufstand und sich streckte, schien es keine Stelle an seinem Körper zu geben, die nicht schmerzte. Die Krähe zog den Kopf unter ihrer Schwinge heraus und betrachtete Drem mit einem blanken, intelligenten Auge.
»Rab erinnert Olin«, sagte der Vogel. »Olin war nett zu Rab.«
Drem blinzelte. Es war sonderbar, mit einer Krähe über seinen Vater zu sprechen.
Andererseits sollte mich das nicht verblüffen, nicht nach allem, was ich über ihn erfahren habe.
»Er war auch gut zu mir«, antwortete Drem.
Keld tauchte zwischen den Bäumen auf. Sein Woelvenhund war ein undeutlicher Schatten tiefer im Wald.
»Von Verfolgern ist weder etwas zu sehen noch zu wittern. Trotzdem sollten wir aufbrechen.« Keld stieß Cullen mit dem Stiefel an und schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Er ist ein guter Junge und sehr nützlich, wenn man in ein Scharmützel gerät, aber er würde selbst das Ende der Welt verschlafen.«
»Ich bin hellwach.« Cullens Stimme wurde von seinem Umhang gedämpft. »Ich schone nur meine Augen.«
»Rab, du solltest jetzt nach Dun Seren aufbrechen.«
»Rab sieht sich erst um und überzeugt sich, dass keine Kadoshim in der Nähe sind.«
»Gut, dann flieg los.«
Sie brachen ihr Lager ab, während Rab über die Gipfel der Bäume hinwegflog. Als die weiße Krähe zurückkehrte, waren die Pferde gesattelt, und sie waren bereit zum Aufbruch.
»Rab sieht nichts hinter uns«, krächzte der Vogel.
»Gut«, sagte Keld. »Dann mach dich auf den Weg.« Er warf einen Blick auf die Bäume hinter ihnen und zog tief die Luft ein. »Und flieg schnell.«
Cullen setzte sich auf und warf der Krähe etwas zu, einen Rest vom gestrigen Abendessen. Die Krähe fing es mit einem kurzen Schnappen ihres Schnabels auf.
»Gehabt euch wohl, Rabs Freunde«, krächzte der Vogel, als er aufflatterte, immer höher stieg und schließlich verschwand. Der Himmel leuchtete mittlerweile hell zwischen den Zweigen hindurch.
»Brechen wir auf«, sagte Keld.
Drem stampfte mit den Füßen auf und rieb sich die behandschuhten Hände, dann stieg er in den Sattel. Unter dem leisen Klirren ihrer Harnische ritten die drei Männer durch den Schnee davon.
RIV
Riv flog mit rauschenden Schwingen durch den Himmel. Der Wind ließ ihre Augen tränen, und die Freude sprengte ihr beinahe die Brust. Sie durchquerte eine Wolkenbank und jubelte laut, als sie einen Schwarm Gänse überholte.
Hier oben bin ich frei, weit weg von der Welt und ihrem Tumult. Hier ist alles so einfach und sauber. Ein kurzer Gedanke, und ihre Schwingen legten sich enger um ihren Körper. Sie flog eine Schleife und tauchte ab, weg von den Wolken und dem fahlen Schein der Sonne, dem endlosen grün-braunen Baldachin des winterlichen Waldes entgegen. Dann flog sie wieder zurück, zu einer Hügelkette, die unter dem undurchdringlichen Fornswald verborgen lag. Die uralten Bäume schienen sich zu erheben, um sie zu begrüßen. Noch ein bisschen näher, dann wurde die Lücke im Wald sichtbar, ein Spalt, eine Straße, auf der kleine Gestalten auf sie zuritten.
Ihre scharfen Augen sahen ein Dutzend Reiter, unter ihnen die unverkennbare Gestalt ihres Freundes Jost, der groß und dünn war und nicht gerade die beste Figur auf einem Pferderücken abgab.
Es sieht aus, als hätte man einen Getreidesack auf den Sattel gebunden. Riv grinste.
Dann sah sie einen anderen Reiter, der ein ganzes Stück vor den anderen hergaloppierte, fast eine halbe Wegstunde entfernt, und Rivs Grinsen verstärkte sich.
Bleda.
Sie flog auf ihn zu und sank dabei immer tiefer, bis sie unmittelbar über der Straße war und ihrem eigenen Schatten nachjagte. Die gewaltigen Bäume des Fornswaldes erhoben sich links und rechts neben ihr. Bleda rief ihr etwas zu, aber seine Worte wurden vom Rauschen des Windes verschluckt. Sie breitete kurz die Flügel aus, wurde langsamer, wendete und tauchte zwischen den Bäumen hinab, in eine Welt der Schatten. Sie sank in einer Spirale zwischen den winterkahlen Ästen der Bäume hinab, wand und drehte sich, bis die Muskeln in ihrem Rücken schmerzten, weil sie ihren neuen Schwingen immer mehr abverlangte. Sie spürte brennenden Schmerz, als die scharfen Enden der Zweige ihre Schultern aufkratzten und ihre Wange erwischten. Aber es kümmerte sie nicht, weil sie vollkommen vom wilden Pochen ihres Herzens erfüllt war. Dann tauchte sie unter Knacken und Rascheln von Zweigen und trockenen Blättern und lautem Gelächter wieder auf der Straße auf, unmittelbar vor Bleda.
Er war ein hervorragender Reiter, und es gelang ihm, sein scheuendes Pferd zu beherrschen. Er verhielt es nur mit den Knien aus vollem Galopp und brachte es zum Stehen, als wäre das ein Manöver, das er jeden Tag noch vor dem Sonnenzenit ein Dutzend Mal übte. Obwohl Riv ihn nicht hören konnte, sah sie die Flüche, die über seine Lippen sprudelten. Daraufhin lachte sie noch strahlender.
Sie schwebte über Bleda und grinste, als der finster zu ihr hinaufsah. Sein verschwitztes Pferd dampfte und stieß gewaltige Atemwolken in der kalten Luft aus.
»Du solltest nicht so weit vorausfliegen, es ist nicht sicher«, sagte Bleda.
»Dann solltest du schneller reiten«, gab Riv immer noch grinsend zurück.
»Huh.« Bleda schnaubte, beugte sich im Sattel vor und tätschelte die Schulter seines Tieres. »Meine Stute ist schnell, aber sie ist nicht der Wind.«
»Aber ich«, erwiderte Riv.
»Ja«, pflichtete Bleda ihr bei. »Du bist so schnell wie der Wind.« Jetzt lächelte er, als sein normalerweise so regungsloses Gesicht vor dem Ansturm ihrer guten Laune kapitulierte. »Wie fühlt es sich an, so schnell fliegen zu können? Dieser Galopp … schon er befreit mein Herz, aber so zu fliegen, wie du es kannst …« Er schüttelte fast neidisch den Kopf.
»Es ist wundervoll«, bestätigte sie. Sie schlug mit ihren Schwingen, als sie herabsank und mit den Füßen sanft auf dem Boden aufkam.
»Das gelingt dir jetzt schon viel besser«, bemerkte Bleda. »Ich weiß noch, dass du dir beim ersten Mal fast die Knie gebrochen hättest.« Er lachte bei der Erinnerung und schwankte ein wenig im Sattel hin und her.
Es hatte tatsächlich sehr wehgetan; Riv war von ihrem ersten Flug zurückgekehrt, vollkommen ekstatisch nach dieser Erfahrung, aber sie hatte die Geschwindigkeit ihrer Landung falsch eingeschätzt und endete als zusammengekrümmter Haufen auf dem Boden. Ihre Beine brannten vor Schmerz. Aber schließlich hatte sie in so kurzer Zeit mit so vielen Dingen fertigwerden müssen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie einfach nur eine Kriegerin sein wollen, sich den elitären Weißschwingen von Drassil anschließen und den Ben-Elim und ihrer heiligen Sache dienen wollen. Doch als ihr diese Schwingen wuchsen, hatte sich all das geändert. Nicht zuletzt durch die Erkenntnis, dass sie ein Halbblut sein musste, was bedeutete, dass über ihr die Drohung der Todesstrafe schwebte. Aber nichts davon konnte die Freude des Fliegens dämpfen.
»Ich kann die Freude verstehen, die du empfindest, das Gefühl von Freiheit.« Bleda richtete sich auf und wischte sich eine Lachträne aus dem Auge. »Aber du solltest dennoch näher bei uns bleiben. Du bist nicht die Einzige in den Verfemten Landen, die Schwingen hat, und du hast Feinde.«
»Das stimmt.« Ein Bild von Kols vernarbtem und dennoch attraktivem Gesicht schoss ihr durch den Kopf, als er, sein blondes Haar zu einem festen Zopf zurückgebunden und die weißen Schwingen hoch über seinem Rücken ausgebreitet, Israfil, den Lordprotektor der Ben-Elim, ermordete. Dann hatte er seine Klinge in Rivs Mam Dalmae gebohrt, als die versuchte, sie zu beschützen. Riv sah immer noch die leblosen Augen ihrer Mam, trübe und leer, und spürte einen scharfen Stich in der Brust, als das Bild ungebeten in ihr aufstieg.
Ich schwöre, dass ich ihm den Kopf abschlagen werde.
»Aber selbst wenn ich näher bei euch flöge, was könntet ihr schon tun, wenn ich von Ben-Elim in der Luft angegriffen würde?«, erkundigte sich Riv ruhig.
Bleda klopfte auf die Lederhülle mit dem geschwungenen Bogen an der Seite seines Sattels und fuhr anschließend mit den Fingern über die Fiederung eines Bündels Pfeile in einem Köcher, der neben dem Bogen befestigt war.
»Ich kann einiges tun.« Seine Worte waren weder stolz noch prahlerisch, sondern schlicht und einfach nur eine Feststellung.
Und Riv zweifelte auch nicht daran. Sie hatte gesehen, wie er damit umgehen konnte.
»Dann werde ich dichter bei euch bleiben«, versprach Riv mit einem kleinen Lächeln und senkte den Kopf. »Aber ich bin jetzt hungrig, also lass uns etwas essen, während wir auf die anderen warten.«
»Sie waren doch unmittelbar hinter mir.« Bleda drehte sich stirnrunzelnd im Sattel herum, um auf die Straße zurückzublicken, die sich durch die Hügel schlängelte.
»Du warst fast eine halbe Wegstunde vor ihnen.« Riv schnaubte belustigt. »Sie werden noch eine Weile brauchen.« Sie nahm den Zügel von Bledas Pferd und führte ihn zu einem kleinen Flecken Gras neben der Straße, der von hohen Bäumen beschattet wurde. Auf dem Boden wuchs ein dichter Teppich von purpurfarbener Heide und Thymian. Sie durchwühlten Bledas Satteltaschen und setzten sich dann mit einem Laib Brot, einem runden Käse und einem Wasserschlauch mit kaltem Quellwasser hin. Die Stimmung zwischen ihnen war behaglich, und Riv trank genüsslich das Wasser und beobachtete, wie Bleda aß.
Er brach ein kleines Stück Brot von dem Laib ab, legte es zur Seite und zog ein kleines Messer aus seinem Gürtel. Dann schnitt er ein Stück Käse ab und legte es sorgfältig auf das Brot. Mit offensichtlichem Vergnügen biss er hinein. Riv lächelte unwillkürlich, als sie daran dachte, dass sie vor noch gar nicht allzu langer Zeit Bleda für hartherzig und hochmütig gehalten hatte. Mit seiner dunklen Haut und den mandelförmigen Augen sah er fast aus wie eine andere Spezies. Jetzt bemerkte sie all das kaum noch, sondern fand seinen Anblick nur sehr angenehm.
»Du siehst aus, als würdest du es genießen.« Sie fröstelte, und die Federn ihrer Schwingen raschelten leise, als sie sich damit umhüllte.
Diese Flügel sind in mehr als einer Hinsicht nützlich, dachte sie, aber es braucht etwas Zeit, bis man sich an sie gewöhnt hat. Sie verlagerte ihr Gewicht und befreite dabei eine Flügelspitze, auf die sie sich gesetzt hatte.
»Es schmeckt gut«, antwortete Bleda. »Hier, koste mal.« Er wiederholte das kleine Ritual und gab das Brot mit dem Käse dann Riv.
Riv brummte genüsslich, als sie das Aroma des Käses und des Brotes in ihrem Mund schmeckte. Dann lehnte sie sich zurück, schob eine Schwinge zur Seite und stützte den Ellbogen auf einen Flecken von purpurfarbenem Thymian. Ein schwacher erdiger Geruch stieg davon auf.
»Früher habe ich den Wald gehasst.« Bleda sah sich um. »Er war so anders als meine Heimat, das Grasmeer. Damals hatte ich das Gefühl, er würde mich ersticken.« Er sah von den Bäumen zu Riv. »Jetzt fange ich allmählich an, ihn zu mögen.«
»Du bist hier so anders«, erwiderte Riv. »Ganz anders, als du in Drassil warst.«
»Du meinst meine kalte Miene?«
»Ja. Das und noch anderes.«
Bleda sah sie einen Moment schweigend an und holte dann tief Luft.
»In meinem Clan werden wir dazu erzogen, unsere Gefühle zu verbergen, noch bevor wir sprechen können«, antwortete er. »Aber das ist nicht unsere einzige Seite. Dieses Gesicht aus Stein ist unseren Feinden vorbehalten. Nein, das stimmt nicht ganz; wir zeigen es jedem, der nicht zu unserer Familie gehört, jedem, dem wir nicht ganz vertrauen können. Man bringt uns bei, dies hier zu behüten«, er legte eine Hand auf sein Herz, »stark zu erscheinen, keine Schwäche zu zeigen. Aber die Sirak sind mehr als nur die kalte Miene.«
»Das sehe ich jetzt auch«, gab Riv zu.
»Wir sind ein leidenschaftliches Volk«, fuhr er fort. »Und als ich noch bei meiner Familie war, habe ich sehr viel gelacht, bis …« Er verstummte und schien in die Ferne zu blicken. Riv wusste, woran er dachte, an den schrecklichen Tag, als sein Bruder und seine Schwester abgeschlachtet worden waren und die Ben-Elim ihn seinem Clan entrissen hatten, um ihn als Mündel bei sich zu behalten, als Geisel, um seinen rebellischen Clan unter Kontrolle zu halten.
Bleda holte tief Luft und schüttelte den Kopf. Dann richtete er seinen Blick wieder auf Riv.
»Ich war so lange in Drassil, ein Fremder in einem fremden Land. Aber sieh mich jetzt an: Ich scheine immer nur zu lächeln. Selbst nach allem, was passiert ist.« Bleda sah Riv mitfühlend an. »Wenn wir mit denen zusammen sind, denen wir vertrauen, dann lächelt mein Clan und lacht, weint und kämpft.« Er dachte nach. »Aber dieses Geschenk dürfen nicht alle sehen. Es ist ein Privileg, das man sich durch Vertrauenswürdigkeit erwirbt.«
»Du hast mich immer so genervt«, gab Riv zu und lächelte etwas verlegen. »Weil dich anscheinend nichts bekümmern oder aufregen konnte. Das ist nicht normal.«
»Du hast mich auch genervt.« Bleda grinste. »Weil dich alles zu bekümmern oder aufzuregen schien. Das ist auch nicht normal.«
Sie lachten, herzlich und aufrichtig.
»Danke.« Riv pflückte aus einem Impuls heraus eine Thymianblüte und hielt sie Bleda hin.
»Wofür?«, fragte er.
»Weil du mir das Leben gerettet hast. In Drassil.«
Bledas Miene wurde ernst. »Du bist meine Freundin«, sagte er und sah sie feierlich an. »Und du …« Sie saßen da, und das Schweigen dehnte sich aus. Riv spürte, dass Bleda noch etwas sagen wollte. Die Welt um sie herum schien zu verblassen, schrumpfte zusammen, zu Bledas Gesicht, zu seinen dunklen Augen, dem Schwung seiner Lippen. Einen scheinbar zeitlosen Moment lang hatte sie das Bedürfnis, sich vorzubeugen und ihn zu küssen. Der Gedanke fuhr wie ein Schock durch ihren Körper und hinterließ ein erregtes Kribbeln, in das sich Furcht mischte.
Plötzlich krächzte eine Handvoll Krähen auf, als sie von den Zweigen über Riv und Bleda aufflogen.
Bleda blickte über die Schulter zur Straße.
»Sie werden bald hier sein«, sagte Riv, und Bleda nickte.
»Und …?«, drängte Riv ihn. Sie wollte wissen, was er noch hatte sagen wollen.
»Und …« Seine Miene veränderte sich. Sein Mund wurde weicher, und um seine Augen bildeten sich Fältchen. »Diese Welt wäre ein viel dunklerer Ort ohne dich, Riven ap Lorin.« Er benutzte ihren ganzen Namen zum ersten Mal. »Und ganz bestimmt erheblich langweiliger.« Er nahm die Thymianblüte und betrachtete sie, während er sie zwischen Daumen und Zeigefinger drehte. »Autsch.« Er lächelte. »Sie ist wie du. Stachelig.«
Die Hufschläge wurden lauter, und schon bald kam ein Dutzend Reiter in Sicht, die sich ihnen näherten und schließlich vor ihnen anhielten. An der Spitze ritten zwei junge Männer. Ihr kurz geschorenes Haar und die schwarzen Kürasse mit den geprägten weißen Schwingen wiesen sie als Weißschwingen aus – und Rivs Freunde. Der große dürre Jost hüpfte auf seinem Sattel hin und her, und neben ihm ritt der bullige Vald. Mit seiner massigen, muskulösen Gestalt unterschied er sich von seinem Freund wie ein Mastiff von einem Windhund.
Aus dem Augenwinkel beobachtete Riv, wie Bleda die Blume, die sie ihm geschenkt hatte, sorgfältig in einer Tasche seines Umhangs verstaute.
Zehn der zwölf Reiter waren Bledas Schildwachen vom Clan der Sirak, aus dem fernen Arcona. Sie waren durch einen Eid an den jungen Prinzen gebunden und beschützten sein Leben mit ihrem. Und sie alle ähnelten Bleda. Sie waren dunkelhäutig, trugen pelzgesäumte Manteltunikas und weite Hosen, die mit Tuchstreifen vom Knöchel bis zum Knie zusammengebunden waren. An ihren Sätteln hingen geschwungene Bogen, wie Bleda einen hatte, und auf den Rücken hatten sie kurze Krummschwerter geschnallt. Im Unterschied zu Bledas schwarzem Haar, das lang und wild herunterhing, hatten sie sich jedoch alle die Köpfe geschoren, bis auf einen dicken, geflochtenen Kriegerzopf. Bis vor Kurzem hatte Bleda ebenfalls sein Haar rasiert, so wie Riv, um das Äußere der Weißschwingen nachzuahmen, Drassils Krieger-Elite. Jetzt fuhr sich Riv mit der Hand über ihr blondes Haar. Seit dem Tag, an dem sie auf dem Waffenfeld zusammengebrochen war, weil ihr Schwingen wuchsen, war es gewachsen, und jetzt war es fast so lang wie Bledas. Und als sie darüber nachdachte, stellte sie überrascht fest, dass sie nicht länger den Drang verspürte, ja nicht einmal den Wunsch, es so zu schneiden, wie es dem Uniformstil der Weißschwingen entsprach.
Die Ben-Elim beherrschen mich nicht länger.
»Endlich – Elyon im Himmel sei Dank!«, stieß Vald hervor.
»Allerdings!«, stimmte Jost ihm keuchend und von ganzem Herzen zu. Er stellte sich in seine Steigbügel und rieb sich stöhnend das Hinterteil. »Wirklich, mein Arsch fühlt sich an, als hätte Balur Einauge mit seinem Streithammer darauf herumgetrommelt. Warum musstest du unbedingt so weit vorausfliegen?«
Riv grinste ihn einfach nur an.
Einer der Sirak lenkte sein Tier zu Riv und Bleda. Der ältere grauhaarige Mann überragte sie und wirkte fast wie ein windgepeitschter Baum. Seine dunkle Haut hatte tiefe Furchen. Das war Ellac, der Hauptmann von Bledas Leibwache. Die Zügel seines Pferdes hatte er um einen Lederhandschuh gewickelt, der an den Stumpf seines Handgelenks geschnallt war. Er hatte seine rechte Hand vor langer Zeit in einer Schlacht verloren. Jetzt sah er stirnrunzelnd auf die beiden herunter.
Riv spürte, wie ihr Lächeln allmählich erlosch. Der alte Mann hatte etwas zutiefst Einschüchterndes an sich. Sie warf einen Seitenblick auf Bleda. Er zeigte wieder seine kalte Miene.
»Du solltest nicht so weit vor uns vorausfliegen«, sagte Ellac zu Riv. Er sprach vollkommen sachlich, als würde er eine unwiederbringliche Wahrheit äußern.
»Das habe ich ihr gerade schon gesagt«, mischte sich Bleda ein.
Na, vielen Dank auch, dachte Riv.
»Und du solltest nicht so weit vorausreiten.« Ellac richtete seinen ausdruckslosen Blick auf Bleda.
»Genau das habe ich Bleda gerade auch schon klargemacht«, erklärte Riv.
Gib, wie du nimmst, intonierte Riv stumm einen Spruch aus Elyons Kunde.
Bledas Lippen zuckten.
»Du solltest deine Sippe nicht mit Verachtung behandeln«, fuhr Ellac an Bleda gerichtet fort. Er starrte ihn an, und der Anflug von Humor in Bledas Gesicht war wie weggewischt. Er ließ den Kopf hängen.
»Daran trage ich die Schuld«, gab Riv zu. Sie schlug einmal mit ihren Schwingen und spreizte sie, sodass sie mühelos aufstehen konnte.
»Aber nicht allein«, widersprach Ellac. Er holte zischend Luft. »Es ist jetzt schon über eine Zehn-Nacht her, seit du erwacht bist«, sagte er zu Riv. »Und fast ein Mond ist verstrichen, seit Kol Israfil tötete. Die Welt verändert sich, und wir sind immer noch hier.« Er sah sich in dem schweigenden Wald um, der sie umgab. Die Zweige seufzten im kalten Wind, und aus dem Schatten des Fornswaldes drang das Krächzen der Krähen. »Als du erwachtest, sagtest du, du würdest alles wieder ins Lot bringen.«
»Das habe ich gesagt.« Riv erinnerte sich an den Moment, und erneut durchströmte sie die Wut bei dem Gedanken an den Tod ihrer Mam und an Kols mörderische Rebellion. »Und das werden wir auch.«
»Wann? Und wie?«, fragte Ellac unverblümt.
»Bald!«, knurrte Riv und erhob sich in die Luft. Sie schlug heftig mit ihren Schwingen, und der Luftzug ließ Ellac im Sattel wanken. Dann stieg sie in einer engen Spirale in den Himmel empor.
»Nein, nicht schon wieder!«, hörte sie Jost stöhnen.
»Zurück zu Fias Blockhütte!«, schrie Riv zu ihnen hinab. Aber noch während sie in den Himmel emporstieg, spürte sie die Last auf ihren Schultern.
»Ich werde alles wieder ins Lot bringen!«, zischte sie den Vögeln und Wolken zu.
Ich wünschte nur, ich wüsste wie.
*
Fias Blockhütte kam in Sicht. Eine kleine Rauchsäule wies Riv den Weg, lange bevor sie die kleine Lichtung sah, die den Ort markierte, an dem die alte Holzfällerhütte stand. Der Flug zurück nach Hause war nicht gut gewesen, nicht in ihrem Kopf. Ellacs Drängen hatte sie dazu gebracht, über die Zukunft nachzudenken, aber auch über die Vergangenheit. Eine Unmenge an Fragen ging ihr im Kopf herum, und sie alle waren unmöglich zu beantworten.
Wer ist mein Vater?
Ihre Mutter und ihre Schwester hatten Riv immer weisgemacht, dass der Name ihres Vaters Lorin war und er ein Krieger der Weißschwingen gewesen wäre, der unter Dalmaes Einhundert gedient hatte. Angeblich war er in einer Schlacht auf einem Feldzug im Süden gestorben, bevor Riv geboren wurde.
Aber das muss eine Lüge gewesen sein. Mein Vater war ein Ben-Elim. Meine Mam hat mich belogen.
Dieser Gedanke ließ erneut Wut in ihr aufkeimen, eine Wut, die aus Schmerz geboren war, aber auch aus Frustration und Scham. Sie war frustriert, weil sie ihre Mutter niemals deshalb würde zur Rede stellen können, und sie schämte sich, weil sie solchen Zorn auf ihre Mutter empfand, die bei dem Versuch gestorben war, sie zu beschützen.
Trotzdem, sie hat mich belogen.
Wusste Aphra davon? Vielleicht, denn sie war kein Kind mehr, als ich geboren wurde. Sie war schon siebzehn Sommer und selbst eine Kriegerin bei den Weißschwingen. Hat sie mich auch mein ganzes Leben lang belogen?
Riv schob diesen Gedanken beiseite. Sie hatte ihre Schwester immer vergöttert, hatte sie als das Ideal dessen gesehen, was zu werden sie sich erträumt hatte: eine Kriegerin, eine Anführerin, weise, respektiert und geliebt von all den Kriegern unter ihrem Befehl.
Aphra, meine Schwester, wo bist du jetzt? Hast du gegen Kol gekämpft? Schmachtest du in einem Verlies, oder steckt dein Kopf schon auf einem Spieß? Brauchst du mich?
Als sie zu ihrem Ziel hinabsank, überzeugte sie sich mit einem Blick über die Schulter, dass Bleda und die anderen dicht hinter ihr ritten.
Riv landete in einem kleinen Wirbel aus trockenen Blättern und Nadeln und blieb ruhig stehen, während die Blätter um sie herum zur Ruhe kamen.
Vor ihr stand eine Holzhütte, die halb von Efeu überwuchert war. Um sie herum waren Dutzende von kleinen steinernen Cairns, den Begräbnishügeln ihrer Spezies. Darin lagen die Leichen zahlloser Halbblut-Babys, die Kol und die anderen ihm loyal ergebenen Ben-Elim in den letzten hundert Jahren gezeugt hatten. Ein schreckliches Geheimnis, das durch deren Tod gewahrt geblieben war.
Geheim gehalten durch Mord.
Und genau das hätte auch mir widerfahren sollen. Meine Mam muss meine Geburt irgendwie verheimlicht haben, sonst wäre ich exekutiert und neben all diesen anderen Kleinen verscharrt worden.
Als Riv diese kleinen Steingräber zum ersten Mal gesehen hatte, hatte sie geglaubt, der Tod der Babys wäre auf natürliche Weise eingetreten, während der Geburt. Fia jedoch hatte ihr die Augen geöffnet: Die Ben-Elim hatten darauf bestanden, dass ihre Sprösslinge starben, und ihre schmutzigen kleinen Geheimnisse waren unter diesen Steingräbern begraben.
Bei dieser Ungeheuerlichkeit tanzten erneut vor Wut rote Funken vor ihren Augen, und sie atmete tief durch und beherrschte sich, so gut sie konnte.
Fia trat auf die hölzerne Veranda heraus und hob grüßend die Hand. Sie war groß und blond und ebenfalls eine Weißschwinge. Genauso geschickt im Umgang mit den Waffen und zäh wie alle anderen, und Leutnant von Aphra, Rivs Schwester. Sie hielt ein Baby an der Brust, einen Jungen, und dieser Junge war der Grund, weshalb Fia hier war. Deshalb hatte sie die Weißschwingen verlassen und versteckte sich hier im wilden Fornswald.
Denn auch das Baby in ihren Armen ist ein Halbblut wie ich, und Fia hat beschlossen, ihm das Leben zu schenken, ihn nicht zu töten und in ein kaltes Steingrab zu legen.
Riv sah sich um und betrachtete die Holzhütte und die bemoosten Gräber.
Wie viele sind auf Kols Befehl hierhergekommen, um die Früchte zu töten, die seine Kameraden und er in so vielen Bäuchen gesät haben? Fia war nur eine weitere in einer langen Liste. Ihr Baby sollte eigentlich längst in einem Loch im Boden liegen.
Riv lächelte Fia an, stolz über ihren Mut und ihre Kraft, den Ben-Elim zu trotzen. Das war für eine Weißschwinge von Drassil keine Kleinigkeit. Sie alle betrachteten die Ben-Elim als allwissend und mächtig, behandelten sie fast wie Götter, respektierten sie und beteten sie an. Noch vor kurzer Zeit wäre allein der Gedanke, einem von ihnen zu trotzen, für Riv vollkommen unmöglich gewesen, wie ein schreckliches Verbrechen.
Aber so empfinde ich nicht mehr.
Unter lautem Hufgetrappel galoppierten Bleda und die anderen auf die Lichtung.
»Zeit zu reden«, sagte Riv zu Fia, als das Dutzend Reiter abstieg.
*
»Wir können uns nicht für immer hier verbergen«, stellte Ellac fest.
Riv, Bleda, Fia, Jost, Vald und Ellac saßen auf Holzstämmen in einem weiten Kreis zwischen dem Blockhaus und den Steingräbern. Bledas Schildwachen kümmerten sich entweder um die Pferde oder schlichen wachsam wie immer in den Schatten zwischen den Bäumen herum.
»Wir sind hier in Sicherheit«, erklärte Fia.
»Wie kannst du dir da sicher sein?«, wollte Ellac wissen. »Wenn ihr hier seid, dann wissen die Ben-Elim das ganz gewiss.«
»Ich habe es euch doch schon erzählt«, sagte Fia ungeduldig. »Die Ben-Elim wissen nichts von diesem Ort. Sie sind zu überheblich und mächtig, als dass sie den Wunsch verspüren würden, Einzelheiten zu erfahren. Oder zu wissen, wo dieses Hier überhaupt ist. Sie befehlen uns lediglich, Drassil zu verlassen, bevor man uns ansieht, dass wir mit einem Kind schwanger gehen, und zurückzukehren, wenn …« Sie warf einen Blick auf die kleinen Grabstätten.
»Woher wisst ihr denn dann, wie ihr hierherfindet?«, erkundigte sich Ellac.
»Das ist ein Geheimnis unter uns Weißschwingen. Unter denen, die sich mit …«
»Die sich mit den Ben-Elim einlassen«, beendete Ellac den Satz für sie.
Deshalb hat Aphra Bleda befohlen, mich hierherzubringen, dachte Riv. An diesen geheimen Ort, den nur sie und eine Handvoll anderer kennt.
Aber wenn Aphra jetzt verhört wird … oder gefoltert?
»Ja.« Fia nickte knapp.
Ellac brummte. »Trotzdem können wir nicht ewig hierbleiben.« Er sah zu Riv hinüber.
»Das weiß ich«, sagte Riv leise.
»Überall wird gerade Geschichte geschrieben. Die Welt verändert sich.«
Zum Schlimmsten, zweifellos.
»Ich sagte, dass ich die Dinge wieder ins Lot bringen werde«, erklärte Riv gereizt. Schließlich meinte sie ihre Worte ernst.
»Aber was bedeutet das überhaupt?«, fragte Jost. »Was genau ist das Richtige, wie sieht das aus?«
»Und wenn du es herausgefunden hast, wie wollen wir es anstellen?«, warf Vald ein.
Genau diese Fragen habe ich mir selbst auch gestellt, tausendmal am Tag.
»Ich finde ja, du solltest lieber darüber nachdenken, wie du den nächsten Mond überleben willst«, meinte Ellac. Als Riv nicht antwortete, sprach er weiter. »Ich bin alt, und ich habe nicht viel für viele Worte und blumige Sätze übrig. Ich spreche die Dinge so aus, wie ich sie sehe.«
»Das habe ich bereits mitbekommen«, erwiderte Riv etwas übellaunig. »Aber gut, sprich weiter.«
»Wir sind zu wenige, um gegen die Ben-Elim kämpfen zu können. Und meiner Meinung nach dürfte es dir sehr schwerfallen, im Land der Getreuen neue Freunde zu finden. Das Gesetz Elyons, das auf der Kunde beruht, nach der du gelebt hast, und das dieses Land regiert, erklärt dich zu einer Missgeburt, die von der Axt des Henkers ausgemerzt werden muss. Irre ich mich da?«
Eine Missgeburt. Ein Schauer durchlief Riv. Sie schämte sich, dass sie noch vor gar nicht allzu langer Zeit bereitwillig die Hinrichtung jedes Ben-Elim- oder Kadoshim-Halbblutwesens verlangt hätte. Sie hatte ohne jeden Zweifel an Elyons Gesetz geglaubt.
Und jetzt stelle ich fest, dass ich selbst ein Halbblut bin. Bin ich eine Missgeburt? Habe ich es verdient, wie ein Ochse geschlachtet zu werden? Ist mein Blut vergiftet, verdorben?
»Vorsicht.« Vald knurrte und legte die Hand auf den Griff seines Kurzschwertes. »Das Mädchen, das du da als Missgeburt beschimpfst, ist meine Freundin.«
»Bist du ein Idiot?«, fuhr Ellac den Jüngeren an und starrte Vald ausdruckslos ins Gesicht. »Nicht ich nenne sie so, sondern dein heiliges Buch von Elyon.« Er machte eine kleine Pause und blickte von Vald zu Riv. »Herz und Verstand machen eine Person aus.« Er berührte seine Brust mit der Hand, dann seine Schläfe. »Und die Taten, die sie vollbringt. Ihre Entscheidungen. Und nicht, ob sie helle oder dunkle Haut haben, Schwingen oder keine Flügel. Eine oder zwei Hände.« Ein flüchtiges Lächeln lockerte kurz seine kalte Miene auf. Er musterte Riv von Kopf bis Fuß. »Mir gefallen deine Schwingen. Vielleicht wünsche ich mir ja sogar insgeheim, ich hätte auch welche.«
Irgendwie mochte Riv den Alten Ellac plötzlich.
»Du hast recht«, sagte Fia. »Elyons Gesetz macht Riv zu einer Missgeburt, so wie meinen Sohn.« Sie drückte ihr Baby fester an ihre Brust.
»Also sind wir in einem Umkreis von tausend Wegstunden von Wesen umgeben, die euren Tod wollen«, fuhr Ellac fort.
»Klingt in etwa zutreffend«, gab Riv zu.
»Wir könnten euch nach Arcona bringen«, sagte Ellac. »Die Sirak würden euch Zuflucht gewähren.«
Riv sah Bleda an, der nickte.
Das ist seine Idee. Bleda muss mit Ellac darüber gesprochen haben. Sie würden mich in ihre Heimat bringen, mich unter den Schutz ihres Clans stellen. Aber sie müssen wissen, dass das einen Krieg auslösen würde. Wir waren alle dabei, als die Ben-Elim die Sirak zerschmettert und Bledas Volk unter ihre Knute gezwungen haben. Gefühle wühlten Riv bei dem Gedanken auf, dass Bleda so viel für ihre Freundschaft riskieren würde, für sie. Und Ellac gehorcht seinen Wünschen. Ein wahrhaft loyaler Schildmann.
»Was denn, und einen Krieg mit den Ben-Elim provozieren?«, meinte Riv verächtlich. »Wir alle wissen ja wohl, wie das beim letzten Mal ausgegangen ist.«
»Wir haben aus der Vergangenheit gelernt«, erklärte Ellac. »Nächstes Mal werden wir uns nicht so einfach übertölpeln lassen.«
Nächstes Mal? Weiß er etwas, wovon ich keine Ahnung habe?
Riv atmete tief durch und dachte über seine Worte nach.
»Das kann ich nicht, und das will ich auch nicht tun«, sagte sie. »Ganz gleich, ob wir den Krieg gegen die Ben-Elim gewinnen oder verlieren, sehr viele von eurem Volk würden sterben. Und sie werden nicht meinetwegen sterben. Diese Bürde will ich mir nicht aufladen.«
Was soll ich tun? Mein ganzes Leben lang habe ich Befehlen gehorcht, bin dorthin gegangen, wohin man mich führte. Mein ganzes Leben hatte ich nur den Wunsch, eine Weißschwinge zu werden, dem Gesetz Elyons und den Ben-Elim zu folgen. Folgen und Gehorchen ist so viel einfacher als zu entscheiden, was richtig ist.
Was soll ich tun?
Vor Frustration stieg Ärger in ihr hoch, und sie hätte am liebsten geschrien, stattdessen jedoch knirschte sie nur mit den Zähnen.
Welche Möglichkeiten habe ich? Soll ich etwa weglaufen, nach Arcona oder woandershin, mich mein Leben lang verstecken? Und was ist mit meinen Freunden, Bleda, Vald und Jost? Würden sie mit mir flüchten? Soll ich das zulassen? Würde es sie nicht ebenfalls zu einem elenden Leben verdammen? Sollte ich mich lieber entscheiden, zu Kol zurückzukehren, meinen Stolz zu schlucken und ihn um meiner Freunde willen um Vergebung bitten? Vielleicht hat er sich ja verändert, jetzt, da er vor Israfils Urteil sicher ist.
In Rivs Kopf stieg das Bild ihrer Mutter hoch, die nur eine Handbreit von Riv entfernt im Dreck lag, während das Blut aus ihrem Mund sickerte und ihre Augen leer waren. Über ihr stand Kol mit einer blutigen Klinge in der Hand.
»Nein!«, stieß Riv hervor. Jeder Gedanke an Flucht, an Verstecken oder an das Flehen um Verzeihung wurde von den Flammen ihrer Wut hinweggefegt. »Ich werde nicht weglaufen, ich werde mich hier nicht verbergen, und ich werde nicht vor Kol kriechen. Er hat meine Mutter getötet.« Die langen Jahre des Gehorsams vor Elyons Gesetz und den Ben-Elim waren von dieser einen Tat ausgelöscht worden. Und plötzlich fügte sich alles zusammen, stand ihr die Antwort so klar vor Augen wie ihre Freunde vor ihr.
Kol muss sterben.
»Kol ist ein Gift, das man aus dem Körper entfernen muss. Ich werde ihn töten, und dann werde ich herausfinden, was sich durch Israfils Tod verändert hat.« Sie stand auf, und ihre Schwingen zitterten, als hätte sie vor, ihren Worten auf der Stelle Taten folgen zu lassen.
Und es gibt noch einen anderen Grund, warum ich nach Drassil zurückkehren muss. Ich muss Aphra finden, sie retten, wenn sie noch lebt und wenn ich das kann.
Und ich muss sie fragen, ob sie weiß, wer mein Vater ist.
Sie betrachtete ihre Freunde um sich herum. »Ich werde nicht von euch verlangen, mich zu begleiten. Ich will nicht, dass ihr es tut; der einzige Tod, den ich verantworten will, ist der von Kol.«
Jost und Vald wechselten einen kurzen Blick. Riv sah ihren Gesichtern an, was ihnen durch den Kopf schoss. Die Bande der Freundschaft und miteinander konkurrierende Loyalität, die sie in verschiedene Richtungen zogen.
Sie haben ihr ganzes Leben lang davon geträumt, Weißschwingen zu werden, genau wie ich. Der Gedanke, einen Ben-Elim anzugreifen, öffentlich davon zu reden, ihn zu töten, wäre noch vor einem Monat undenkbar gewesen. Und sie haben weit weniger zu verlieren als ich. Sie haben keine Schwingen, man wird sie nicht anspucken und als Missgeburt hinrichten.
Ihr Blick glitt zu Bleda, der dasaß und zu Boden starrte.