Frostnacht - John Gwynne - E-Book

Frostnacht E-Book

John Gwynne

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Beschreibung

Die Fortsetzung der großen nordischen Fantasy-Saga – noch nie waren Wikinger spannender!

Wie eisiger Frost legt sich eine neue Weltordnung über das Reich Vigrið: Lik-Rifa, die wütende Drachengöttin, ist nach dreihundert Jahren unterirdischer Gefangenschaft auferstanden und sucht erneut die Welt der Menschen heim. Um eine unbesiegbare Armee aufzustellen, ruft sie nun alle Vaesen an ihre Seite. Doch nicht nur die böse Göttin ist ins Leben zurückgekehrt – verzweifelt erwecken die Sterblichen weitere Götter, um sich gegen die Drachin wehren zu können. Waffen, Klauen, Zähne und möglicherweise nicht einmal die Blutgeschworenen werden ausreichen, um Lik-Rifa zu zähmen ...

Alle Bänder der Saga der Blutgeschworenen:
Nordnacht
Frostnacht
Blutnacht (in Vorbereitung)

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MOBI

Seitenzahl: 1052

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Buch

Wie eisiger Frost legt sich eine neue Weltordnung über das Reich Vigrið: Lik-Rifa, die wütende Drachengöttin, ist nach dreihundert Jahren unterirdischer Gefangenschaft auferstanden und sucht erneut die Welt der Menschen heim. Um eine unbesiegbare Armee aufzustellen, ruft sie nun alle Vaesen an ihre Seite. Doch nicht nur die böse Göttin ist ins Leben zurückgekehrt – verzweifelt erwecken die Sterblichen weitere Götter, um sich gegen die Drachin wehren zu können. Waffen, Klauen, Zähne und möglicherweise nicht einmal die Blutgeschworenen werden ausreichen, um Lik-Rifa zu zähmen …

Autor

John Gwynne studierte an der Brighton University, wo er später auch unterrichtete. Er spielte Kontrabass in einer Rock’n’Roll-Band, bereiste die USA und lebte in Kanada. Heute ist er verheiratet, hat vier Kinder und führt in England ein kleines Unternehmen, das alte Möbel restauriert. Nach seiner preisgekrönten Saga »Die Getreuen und die Gefallenen« und der daran angelehnten Reihe »Blut und Knochen« beginnt mit »Nordnacht« Gwynnes nächste große Fantasy-Serie: die »Saga der Blutgeschworenen«.

Von John Gwynne bereits erschienen:

Macht. Die Getreuen und die Gefallenen 1

Bosheit. Die Getreuen und die Gefallenen 2

Jähzorn. Die Getreuen und die Gefallenen 3

Ungnade. Die Getreuen und die Gefallenen 4

Die Zeit der Schatten. Blut und Knochen 1

Die Zeit des Feuers. Blut und Knochen 2

Die Zeit der Finsternis. Blut und Knochen 3

Nordnacht. Die Saga der Blutgeschworenen 1

Frostnacht. Die Saga der Blutgeschworenen 2

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John Gwynne

Frostnacht

Die Saga der Blutgeschworenen Band 2

Deutsch von Wolfgang Thon

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel »The Hunger of the Gods (The Bloodsworn Saga 2)« bei Orbit, an imprint of Little, Brown Book Group London. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Copyright der Originalausgabe © 2022 by John Gwynne Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2022 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München Redaktion: Waltraut Horbas Umschlaggestaltung: Anke Koopmann | Designomicon Umschlagmotiv: Shutterstock.com (Duda Vasilii; shimonfoto; KHIUS) Karte: Tim Paul IllustrationBL · Herstellung: sam Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-641-27361-3V001www.blanvalet.de

Für meinen Liebling Harriett.

Es gibt sicher keine Tränen mehr auf der ganzen Welt,

denn wir haben sie alle deinetwegen vergossen.

AUSSPRACHEHILFE

ð klingt wie das englische »th«. Guðvarr wird »Guthvarr« ausgesprochen.

Y klingt wie »i«. Brynja wird »Brinja« ausgesprochen.

ø klingt wie »ö« in »Vögel«. Røkia wird »Rökia« ausgesprochen.

WAS ZUVOR GESCHAH

Orka: Orka lebt zurückgezogen mit ihrem Mann Thorkel und ihrem zehnjährigen Sohn Breca in den Hügeln. Sie haben sich ein Haus in der Wildnis gebaut und handeln mit Fellen und Häuten, die sie in einem nahe gelegenen Dorf verkaufen, wenn sie Vorräte brauchen.

Bei einem Jagdausflug entdecken sie ein ausgebranntes Gehöft, in dem zwei Menschen ermordet wurden. Der Sohn des ermordeten Paares ist verschwunden.

Orka meldet dies im Dorf Fellur dem Drengr (Krieger) Guðvarr, einem Neffen der örtlichen Herrscherin Jarl Sigrún.

Breca, Orkas Sohn, findet im Wald ein verwundetes Tennúr (ein magisches Wesen mit einer Vorliebe für Zähne) und bringt die weibliche Kreatur nach Hause.

Orka, Thorkel und Breca nehmen an einem Althing teil, einer Versammlung, zu der alle Bewohner des Herrschaftsgebiets von Jarl Sigrún einberufen werden. Auf dieser Versammlung erfahren sie, dass Jarl Sigrún der Königin Helka, einer mächtigen Frau mit Ambitionen auf die Herrschaft über ganz Vigrið, den Treueeid geschworen hat. Es kommt zu einem Holmgang-Duell zwischen Virk, einem Fischer aus dem Dorf, und Guðvarr. Virk gewinnt zwar, verstößt aber gegen die Holmgang-Regeln und wird deshalb von Jarl Sigrúns besessener Krieger-Thrall erschlagen.

Nach ihrer Rückkehr beschließen Orka und Thorkel, dass es für sie an der Zeit ist, weiterzuziehen und anderswo eine neue Heimat zu finden. Orka sucht die Froa (den mächtigen Baumgeist und die Wächterin des Eschenbaums) auf, um sie um Rat zu fragen, findet sie aber tot vor, vernichtet von Feuer und Äxten. Als sie zu ihrem Gehöft zurückkehrt, steht ihr Haus in Flammen, ihr Mann Thorkel wurde im Kampf getötet und ihr Sohn Breca ist verschwunden. Sie verfolgt die Entführer, holt einige ein und tötet sie, verhört einen von ihnen und findet heraus, dass der Mann, der ihren Sohn entführt hat, Drekr heißt.

Sie kehrt nach Hause zurück, begräbt ihren Mann, schwört Rache und gelobt, ihren entführten Sohn wiederzufinden. Sie bewaffnet sich und schleicht sich nachts in das Dorf Fellur, wo sie Mort und Lif, die beiden Söhne von Virk, an einen Pfosten gefesselt vorfindet. Sie warten auf ihre Bestrafung wegen des Angriffs auf Guðvarr – ein gescheiterter Versuch, ihren toten Vater zu rächen. Orka befreit sie, bricht dann in die Halle von Jarl Sigrún ein, verwundet die Jarl und verhört ihre besessene Krieger-Thrall, eine Frau namens Vafri, in deren Adern das Blut von Ulfrir, dem Wolfsgott, fließt. Vafri erzählt Orka, dass sie nach einem Mann namens Drekr suchen soll, der sich in der Festungsstadt Darl befindet. Es kommt zu einem Kampf. Orka entkommt und flieht mit Mort und Lif in einem Boot aus dem Dorf Fellur.

Sie machen sich auf den Weg nach Darl, wobei Mort und Lif sich bereit erklären, Orka zu rudern, im Gegenzug für eine Ausbildung im Waffenhandwerk. Als sie Darl erreichen, verlässt Orka die beiden Brüder und rät ihnen abzuwarten, bevor sie nach Fellur zurückkehren, um sich an Guðvarr zu rächen.

Orka sucht nach Drekr und findet ihn schließlich bei einem geheimen Treffen mit Prinz Hakon, dem Sohn von Königin Helka. Sie kämpfen, aber der Kampf wird durch das Eingreifen der Stadtwachen unterbrochen. Lif und Mort können Orka gerade noch rechtzeitig in Sicherheit bringen.

Orka erfährt, dass Drekr Darl verlassen hat und zum Grimholt unterwegs ist, einer Turmfeste, die einen Pass durch das Knochenmassiv bewacht. Zur gleichen Zeit erscheint Guðvarr, der Orka, Mort und Lif wegen ihrer Vergehen im Dorf Fellur jagt. Sie verlassen Darl, um Drekr zu verfolgen, während Guðvarr ihnen auf den Fersen ist.

Orka, Mort und Lif erreichen den Grimholt, und bei einem Kampf gegen einige Frostspinnen und zwei riesige Raben werden sie von Skalk, dem Galdurmann, und Kriegern des Grimholt gefangen genommen. Sie werden in den Turm gebracht und verhört, wobei sich herausstellt, dass Drekr einen geschäftlichen Handel mit Prinz Hakon getroffen hat. Guðvarr kommt mit seinen Drengr, stürmt in den Turm und tötet Mort, der in Ketten liegt. Währenddessen hört Orka den Schrei eines Kindes und vermutet, dass es sich um ihren Sohn Breca handelt. Hoffnung, Angst und Wut bringen ihr Wolfsblut in Wallung, denn Orka ist eine Besessene, eine Úlfhéðnar, mit dem Blut von Ulfrir, dem Wolfsgott, in ihren Adern. Sie bricht aus und hält blutige Ernte. Zuerst wehren sich die Wächter des Grimholt, aber sie können ihrer wilden Wut nicht standhalten, geben auf und fliehen.

Varg: Varg ist auf der Flucht. Er ist ein Thrall, der vor Kurzem seinen Besitzer, einen wohlhabenden Bauern, getötet hat und geflohen ist. Vargs Schwester wurde ermordet, und er sucht entweder einen Galdurmann oder eine Seiðrhexe, die für ihn eine Akáll durchführen sollen, eine magische Anrufung, in welcher die letzten Momente der Toten offenbart werden. Varg möchte auf diese Weise herausfinden, wer oder was seine Schwester getötet hat. Varg erreicht den Handelshafen von Liga, wo er herausfindet, dass die berühmten Söldnerkrieger, die Blutgeschworenen, in der Stadt sind, und dass sich eine Seiðrhexe unter ihnen befindet. Aber sie setzt ihre Magie nur für die Blutgeschworenen ein. Deshalb nimmt Varg an einem Turnier teil, bei dem er gegen einen der Blutgeschworenen kämpft, um sich das Recht zu verdienen, sich ihnen anzuschließen. Er wird bewusstlos geschlagen und an den Ufern eines Fjords zurückgelassen. Als er erwacht, versorgt er seine Wunden und macht ein Feuer. Dann wird er von Leif Kolskeggson und seinen Leuten angegriffen, dem Sohn des Hofbesitzers, den Varg getötet hat. Varg wird gefangen genommen, aber von den Blutgeschworenen gerettet. Sie nehmen Varg als einen der ihren auf, allerdings unter Vorbehalt. Das heißt, Varg muss das Waffenhandwerk erlernen und den Blutgeschworenen seine Loyalität und Vertrauenswürdigkeit beweisen, bevor die Seiðrhexe Vol die von ihm gewünschte Akáll ausführt.

Als die Blutgeschworenen Liga verlassen, werden sie von Prinz Jaromir von Iskidan und seinen berittenen Druzhina angegriffen, die verlangen, einen der Blutgeschworenen, einen Mann namens Sulich, wegen Verbrechen, die er im weit entfernten Iskidan begangen haben soll, an sie auszuliefern. Glornir, der Anführer der Blutgeschworenen, weigert sich jedoch. Es kommt zu einem kurzen und blutigen Kampf, der durch die Ankunft von Ligas Stadtwachen unterbrochen wird. Auch Königin Helka mit Gefolge läuft auf drei Langschiffen in den Hafen ein.

Die Königin heuert die Blutgeschworenen für einen Auftrag an. An der nordwestlichen Grenze ihres Reichs verschwinden immer wieder Menschen oder werden tot aufgefunden. Sie möchte, dass die Blutgeschworenen aufdecken, wer oder was dahintersteckt, und die Verantwortlichen töten. Sie schickt ihren Galdurmann Skalk und seine beiden Drengr-Wachen mit den Blutgeschworenen los.

Im Knochenmassiv entdecken die Blutgeschworenen eine alte Mine, die von einer Gruppe von Kriegern und Vaesen – Skraelinge und einem Troll – ausgebeutet wird. Sie haben die örtliche Bevölkerung versklavt und zwingen sie, dabei mitzuarbeiten. Es kommt zu einem Kampf mit den Blutgeschworenen, bei dem ein Drachengeborener (aus einer Blutlinie Besessener, die von der Drachengöttin Lik-Rifa abstammen und als ausgestorben oder gar als Sagengestalten galten) mit einem Knochen der toten Adler-Göttin Orna in der Faust aus der Mine auftaucht. In einem brutalen Kampf tötet Varg den Drachengeborenen, wird aber selbst schwer verletzt.

Als Varg erwacht, erfährt er, dass die Blutgeschworenen Beweise gefunden haben, die darauf hindeuten, dass es sich bei der Mine um die Kammern von Rotta, dem Rattengott, handelt, der hier angekettet und von seinem Bruder und seiner Schwester zu einem Leben voller Schmerzen und Folter verdammt wurde. Es werden kopierte Fragmente eines Galdur-Buchs namens Raudskinna gefunden.

Vol versorgt Vargs Wunden, und während sie bei ihm ist, dringen Skalk und seine beiden Drengr-Wachen in den Raum ein. Sie schlagen Vol bewusstlos, töten Vargs Freund Torvik und stehlen das Knochenfragment der Göttin Orna zusammen mit anderen wertvollen Gegenständen, die in der Höhle gefunden wurden. Skalk stellt Varg vor die Wahl, mit ihm zu gehen, und bietet ihm an, die Akáll auszuführen, die Varg sich so sehr wünscht, doch stattdessen stürzt sich Varg auf den Drengr, der seinen Freund getötet hat, und reißt ihm im Blutrausch mit den Zähnen die Kehle heraus. Skalk schlägt Varg bewusstlos. Als Varg wieder zu sich kommt, entdeckt er, dass Skalk mit Ornas Kralle und einer Truhe voller Reliquien entkommen ist und darüber hinaus auch noch Vol als Gefangene mitgenommen hat. Von Svik und Røkia von den Blutgeschworenen erfährt er, dass er ebenfalls besessen ist und das Blut des Wolfsgottes Ulfrir in seinen Adern fließt. Und nicht nur das, er erfährt auch, dass alle Blutgeschworenen besessen sind und sie ihn wegen seiner Blutlinie rekrutiert haben. Das ist zunächst ein Schock für Varg, aber bald findet er sich damit ab und schließt sich den Blutgeschworenen an, die sich auf die Jagd nach Skalk machen und schwören, Torvik zu rächen und Vol zurückzuholen.

Sie folgen Skalks Spur zum Grimholt. Hier erwartet sie eine grausame Szenerie des Todes: Orka sitzt blutüberströmt auf den Stufen des Grimholt. Tote Feinde stapeln sich zu ihren Füßen. Kinder haben sich um sie geschart.

Glornir, der Anführer der Blutgeschworenen, kennt Orka. Sie war bekannt als Schädelspalter, die berühmteste Kriegerin von Vigrið und einstige Anführerin der Blutgeschworenen. Thorkel, Orkas getöteter Ehemann, war Glornirs Bruder. Orka ist untröstlich, weil sie ihren Sohn Breca nicht gefunden hat.

Elvar: Elvar ist eine junge Kriegerin, ein Mitglied der berühmten Kriegerhorde der Schlachtgrimmen, und sie ist darauf aus, sich einen Namen zu machen, ihren eigenen Schlachtenruhm zu erringen.

Die Schlachtgrimmen landen mit ihrem Langschiff auf Iskalt, einer vulkanischen Inselgruppe vor der Nordwestküste von Vigrið. Sie jagen einen Mann namens Berak, von dem man annimmt, dass er besessen ist, ein Berserkir mit dem Blut des Bärengottes Berser in seinen Adern. Ihre Jagd führt sie zu einem Dorf, wo es einen Kampf gibt, und dann weiter hinauf in die Berge, wo sie Berak schließlich einholen, als er mit einem Trollbullen kämpft. Elvar sieht ein Kind sowie eine Frau, die ein Buch in ein Lavabecken wirft.

Agnar, der Anführer der Schlachtgrimmen, befiehlt seinen Kriegern, den Trollbullen zu töten, bevor er Berak verletzt oder gar tötet, und es kommt zu einem kurzen, blutigen Kampf, in dem Elvar dem Troll den Todesstoß versetzt. Berak wird daraufhin überwältigt, gefangen genommen und angekettet. Seine Frau und sein Kind werden ebenfalls gefangen genommen. Seine Gefährtin Uspa entpuppt sich als Seiðrhexe.

Die Schlachtgrimmen verlassen Iskalt mit ihren Gefangenen und machen sich nach Snakavik auf, zu einer Festung, die im Schädel des toten Schlangengottes Snaka errichtet wurde. Hier herrscht Jarl Störr, der dafür bekannt ist, dass er eine Leibwache versklavter Berserkir-Krieger kommandiert.

Er ist auch der Vater von Elvar. Die beiden sind sich nicht besonders gewogen. Elvar hat ihre Familie verlassen und ihr privilegiertes Leben aufgegeben, um sich nicht den Plänen ihres Vaters beugen zu müssen und sich einen eigenen Namen zu machen.

Jarl Störr kauft Agnar den Berserkir Berak ab. Während die Schlachtgrimmen noch in Snakavik sind, geraten sie in einen Hinterhalt, und Bjarn, der Sohn von Berak, wird von Ilska der Grausamen entführt, die Anführerin einer Söldnerbande namens Rabenfütterer ist. Uspa, die Seiðrhexe, geht daraufhin einen Handel mit Agnar ein: Wenn er einen magischen Blóð Svarið ablegt, einen Blutschwur, ihren Sohn zu retten, führt sie die Blutgeschworenen zum sagenumwobenen Schlachtfeld von Oskutreð, wo einst der Krieg zwischen den Göttern ausgetragen wurde und Schätze jenseits aller Vorstellungskraft zu finden sein sollen.

Zusammen mit Grend, ihrem treuen Schildmann, und einigen anderen schwört auch Elvar den Bluteid und macht sich mit auf den Weg nach Oskutreð. Dort stoßen sie auf einen Schwarm Tennúr, eine magische Brücke und einen Wald voller längst verstorbener Götter. Während der Reise beginnt Elvar mit Biórr, einem jungen Krieger der Schlachtgrimmen, eine Liebesbeziehung.

Als sie Oskutreð erreichen, finden sie eine mit Asche bedeckte Ebene voller verstreuter Knochen toter Götter und den zerschmetterten Stumpf eines großen Baumes vor. Eine Froa namens Vörn stellt sich ihnen entgegen und verwehrt ihnen den Zugang zu dem Baum, erlaubt ihnen aber, die Schätze in der Ebene zu plündern. Bevor die Schlachtgrimmen dazu kommen, tauchen Ilska die Grausame und ihre Rabenfütterer dort auf. Agnar und Ilskas Schwertmeister, ein riesiger Mann namens Skrið, kämpfen in einem Holmgang, um zu entscheiden, wer Zugang zu Oskutreð bekommt. Agnar gewinnt, wird dann aber von seinem eigenen Krieger Biórr, der, wie sich herausstellt, ebenfalls besessen ist und zu Ilskas Mannschaft gehört, heimtückisch ermordet. Es war Biórr, der die Entführung Bjarns arrangierte und es Ilska und ihren Rabenfütterern überhaupt erst ermöglichte, den Schlachtgrimmen nach Oskutreð zu folgen.

Es kommt zu einer Schildwallschlacht zwischen den Schlachtgrimmen und den Rabenfütterern, doch gleichzeitig führt Ilska eine Reihe von Kriegern, die sich alle als Drachengeborene entpuppen, gegen die Froa und gegen Uspa. Nachdem die Froa und die Schlachtgrimmen besiegt worden sind, laden die Rabenfütterer viele angekettete Kinder von den Wagen ab und führen sie auf den zerschmetterten Stumpf der Weltenesche. Hier spricht Ilska mithilfe von Blutmagie und einem Galdur-Buch einen Zauber und zerbricht die magischen Fesseln, die die Drachengöttin Lik-Rifa in einer Kammer tief unter den Wurzeln des großen Baumes gefangen halten. Lik-Rifa bricht hervor und kämpft einen kurzen und blutigen Kampf mit ihren Kerkermeistern, drei geflügelten Schwestern, Kindern der Götter Ulfrir und Orna. Eine der geflügelten Frauen wird bewusstlos zu Boden geschleudert, die beiden anderen werden getötet.

Lik-Rifa vereint sich mit Ilska und den Drachengeborenen, die sie befreit haben, und führt sie nach Süden.

Elvar wird während des Kampfes gegen die Rabenfütterer verwundet und sieht voll Entsetzen und Ehrfurcht zu, wie der Drache davonfliegt und in der Ferne verschwindet.

Adler sollten ihre Krallen zeigen, auch im Tode.

Die Saga von Olaf Haraldsson

KAPITEL EINS

ORKA

Orka stand in einem Sturm aus Feuer und Rauch. Flackernde Flammen und Aschewolken umgaben sie wie eine Sturmflut. Der Gestank des Todes hing dick in der Luft und kratzte ihr in der Kehle. Das Knistern und Zischen des Feuers übertönte alle anderen Geräusche. Die Welt brannte. Ein Schatten flog über sie hinweg, und die Luft waberte wie vom Schlagen großer Schwingen. Dann drang der Schrei eines Kindes durch den Sturm; ihr Sohn Breca rief nach ihr! Sie fuhr herum, suchte verzweifelt, mit stolpernden Schritten, aber die Welt bestand nur aus beißenden Rauchwolken und den gierigen Fingern der hell lodernden Flammen. Sie stolperte über etwas, über eine Gestalt, die vor ihr auf dem Boden lag, blutüberströmt, mit starren, toten Augen. Thorkel, ihr Mann, ihr Gefährte. Ihre Liebe. Seine glasigen, leeren Augen bannten ihren Blick, und seine Lippen bewegten sich. Das raspelnde, schlangenartige Zischen des Todes entrang sich in einem Atemhauch seinem vom Feuer ausgehöhlten Leichnam.

»Sie haben ihn mitgenommen.«

Orka schreckte keuchend hoch, riss die Augen weit auf und sah einen Schatten, der sich im wolfsgrauen Licht über ihr abzeichnete. Ohne nachzudenken, schoss ihre Hand hoch, packte die Kehle des Schattens, während ihre andere Hand einen Scramasax aus der Scheide an ihrem Waffengürtel riss, der ihr zusammengerollt als Kissen diente.

Jemand gurgelte erstickt.

»Ich bin’s …« Ein Krächzen. »Lif.«

Orka erstarrte. Die scharfe Spitze des Scramasax war nur einen Fingerbreit von Lifs Auge entfernt.

Sie kämpfte gegen den Drang zu töten an, als der stille Sturm, der in ihren Adern geschlummert hatte, schlagartig zum Leben erwachte. Ein Zittern durchlief sie, sie stieß Lif grob beiseite, setzte sich auf und schob den Dolch in die Scheide.

Sie schmeckte das Blut in ihrem Mund, leckte sich über die Zähne. Sie waren verkrustet von geronnenem Blut. Orka spuckte aus und rappelte sich mit einem Stöhnen hoch. Ihr Körper schmerzte, Muskeln und Gelenke protestierten, das Gewicht ihres Kettenhemdes drückte sie nieder, und sie starrte Lif finster an.

»Was?«, knurrte sie.

Sie lagerten in den ausgebrannten Ruinen der Halle des Grimholt, einer Festung von Königin Helka, die einen Pass durch das Knochenmassiv bewachte. Blutgeschworene schliefen, in ihre Mäntel gehüllt, um sie herum, schnarchend und unruhig. Ein Mann stöhnte, gefangen in einem düsteren Traum. Das Herdfeuer war heruntergebrannt, war nur noch graue Asche in dieser grauen Welt. Es war Sólstöður, der lange Tag, von dem an die Nacht für dreißig Tage vom Himmel verbannt wurde. Aber dem zinnfarbenen Nebel nach zu urteilen, der durch das Dach der zerstörten Halle sickerte, dämmerte bereits der Morgen. Orka streckte sich, dass ihre Knochen knackten.

»Ich wollte mit dir reden«, sagte Lif. Im Halbdunkel sahen die blau gefärbten Lippen in seinem blassen Gesicht fast schwarz aus. In seinen Adern waren noch Reste des Frostspinnengifts. Er hielt etwas in seinen Armen. Orka bückte sich und hob eine langschäftige Bartaxt vom Boden auf. Sie hatte sie einem Krieger im Kampf abgenommen, ihn damit aufgeschlitzt und mit der hakenförmigen Klinge dann eine ganze Reihe anderer massakriert. Die Klinge hatte sie mittlerweile gesäubert, ebenso wie die Klingen ihrer beiden Scramasaxe und der Faustaxt an ihrem Gürtel. Ihr Körper war zwar noch überall mit geronnenem Blut bedeckt, aber sie hatte sich um ihre Waffen gekümmert, bevor der Schlaf sie überwältigt hatte. Sie legte die Bartaxt auf die Schulter, und ein Schauer durchlief sie bei dem vertrauten Gewicht. Sie liebte und hasste es gleichzeitig.

»Dann sprich!«, forderte sie ihn auf, ging zum Eingang der Halle und trat hinaus. Sie verbiss sich die harschen Worte, die ihr auf der Zunge lagen. Sie wollte mit niemandem reden. Der Klang von Brecas Stimme aus ihrem Traum hallte immer noch in ihrem Geist nach, wie ein Seiðr-Bann. Sie wollte nur ihren Sohn finden. Gestern hatte sie geglaubt, ihn gefunden zu haben, hatte geglaubt, ihn nach ihr rufen zu hören. Die Freude darüber hatte ein Feuer in ihren Adern entfacht. Sie hatte sich einen blutigen Pfad gebahnt, um zu ihm zu gelangen. Aber es war nicht Breca gewesen. Dafür hatte sie andere besessene Kinder gefunden, gefesselt wie Thralls. Drekr hatte sie alle entführt, für die toten Götter oder wofür auch immer.

Aber nicht mein Breca. Seine Abwesenheit hatte sie wie ein Schwertstreich durchbohrt, sie fast gebrochen. Der Kummer war aus ihr herausgeflossen wie Blut nach einem Stich mit einem Schwert. Jetzt war die Wunde wieder vernarbt und vernäht, ihr Herz kalt und hart. Sie würde weitersuchen. Sie würde Breca finden, wollte sich von nichts davon ablenken lassen. Von niemandem. Aber Lifs Gesicht war von Trauer zerfurcht. Er hatte seinen Bruder Mort sterben sehen, an eine Wand gekettet und von diesem Niðing, diesem Feigling Guðvarr, ermordet. Das war ein schlimmer Tod. Also biss Orka die Zähne zusammen und knurrte ihn nicht an, damit er sie in Ruhe ließ, als er ihr schlurfend folgte.

Ein kalter Wind zerrte an ihrem blonden Zopf, als sie die breiten, mit geronnenem Blut bespritzten Stufen hinunterging. Die Leichen waren weggeschafft worden und lagen jetzt in einem frisch ausgehobenen Graben im Hof. Trotz der Kälte hier im Gebirge tanzten die Fliegen bereits in einer summenden Wolke um die gestapelten Leichen. Der Hof war von einer Reihe von Nebengebäuden umgeben, die zu einem Fluss hinabführten. Ein Weg schlängelte sich den Hang hinunter zu den Mauern und einem vergitterten Tor. In der Nähe des Tores prasselte ein Kochfeuer, über dem ein Topf hing. Daneben sah Orka Glornir, den Anführer der Blutgeschworenen, der mit einer Handvoll seiner Krieger sprach. Einar Halbtroll war ebenfalls darunter, ein Fels von einem Mann. Er rührte in dem Topf und redete mit Jökul, dem Schmied. Der trug einen Verband um seinen Kopf, sein Haar war schütter und sein Bart noch grauer, als sie ihn in Erinnerung hatte. Sie berührte die bronzene Schnalle und die Beschläge an ihrem Gürtel und erinnerte sich, dass er sie für sie geschmiedet hatte. Sie sah noch andere Gestalten in den Schatten der Gebäude und an den Toren des Grimholt. Eine, ein Mann, sah sie an. Er war hager wie ein Wolf und hatte für einen Krieger der Blutgeschworenen sehr kurzes Haar. Sein Brynja schimmerte. Er hielt einen Speer in der Faust und trug einen Schild auf dem Rücken, und an seinem Gürtel hing ein Helm. Sie erwiderte seine Aufmerksamkeit mit einem ausdruckslos kalten Blick, und er sah weg.

Orka erreichte den eiskalten Fluss, der wild aus dem Knochenmassiv herabrauschte. Ihre Schritte klangen hohl, als sie ein paar Schritte auf einen hölzernen Steg hinausging. Hier waren gestern noch zwei Snekkes vertäut gewesen. Sie ähnelten mit ihrem flachen Rumpf und den glatten Planken einem Drakkar, waren aber kleiner, mit jeweils nur Platz für ein Dutzend Ruderer. Jetzt waren sie weg, und die zerfetzten Taue, deren Enden im Wasser baumelten, zeugten von der Eile und Verzweiflung derer, die vor ihrer Rache geflohen waren. Sie waren vom Steg in die Boote gesprungen und hatten die Taue einfach durchtrennt, anstatt sich die Zeit zu nehmen, sie von den Pollern zu lösen. Sie spähte über den Rand des Piers und suchte die weiße Gischt ab. Die schäumte um Felsen, die wie schleimbedeckte, abgebrochene Zähne aus dem Flussbett ragten. Tief im klaren Wasser, zwischen den Felsbrocken, sah sie die Spitze eines hornigen, segmentierten Schwanzes. Er gehörte Spert, der nach dem gestrigen Kampf noch schlief. Sein Schwanz zuckte, als ob er träumte, und wirbelte eine kleine Schlammwolke auf. Ganz in der Nähe, am Flussufer, erblickte Orka die Gestalt von Vesli, dem Tennúr. Sie hatte sich im Schlaf zusammengerollt und einen dünnen ledernen Flügel wie einen Mantel über ihren haarlosen Körper gelegt. In ihrer blassen Faust hielt sie einen kleinen Speer.

Brecas Speer!

Orka legte ihre Bartaxt und ihren Waffengürtel auf die Holzbretter des Stegs, dann beugte sie sich vor, hob ihr Brynja hoch und streifte es wie eine Schlange, die sich häutet, ab. Sie zerrte sich die Stiefel und die gestrickten Socken von den Füßen, zog ihre Hose aus und dann gleichzeitig ihr Wollhemd und die Leinenunterwäsche. Schließlich stand sie nackt da, ihr Atem bildete Wolken, und eine Gänsehaut lief ihr über den Körper. Dann ging sie in die Knie und sprang in den Fluss.

Das eisige Wasser traf sie wie ein Hammerschlag und raubte ihr den Atem. Sie sank unter die Oberfläche und spürte, wie die Strömung an ihr zerrte. Sie strampelte mit den Beinen und glitt wie ein Lachs durch das Wasser, tauchte tiefer, fast bis zum Grund. Dann drehte sie sich um, und ihre Füße und Zehen versanken im Schlamm. Sie hielt einen Moment inne und sah sich um. Die Geräusche waren gedämpft, das Licht um sie herum fiel in gebrochenen Strahlen von oben herab, ein vielfarbiges Flackern wie das Glühen der Guðljós am nördlichen Himmel. Hier schien sich alles zu verlangsamen, der Lärm der Welt, die Wut und das Entsetzen, die in ihr tobten, alles kam für einen Moment zum Stillstand, wie gefroren und träge im eisigen Bergwasser. Ihre Brust brannte, sie wollte atmen, der Druck in ihrem Kopf stieg, aber sie harrte weiter aus, dankbar für diese Atempause von der Welt da oben. Schließlich, als ihre brennende Lunge es nicht mehr aushielt, stieß sie sich mit aller Kraft vom Flussbett ab, schoss dem Licht entgegen und brach in einer Gischtwolke an die Wasseroberfläche. Lif stand auf dem Steg neben ihren Waffen und abgelegten Kleidern und hielt etwas in seinen Armen. Mit kräftigen, geschickten Zügen schwamm sie zum Flussufer und blieb dort stehen, bis zur Taille im Wasser. Sie nahm einen Stein vom Flussbett und setzte sich auf die flache Seite eines Felsens. Dann begann sie, mit dem Stein das Blut und den Schmutz auf ihrer Haut abzureiben, den die Strömung nicht abgespült hatte.

Schließlich watete sie aus dem Fluss. Das Wasser perlte wie glitzernde Eisströme von ihr ab. Lif hielt ihr einen Wollmantel hin. Sie nahm ihn und trocknete sich damit ab. Dann warf sie einen Blick auf ihre Kleidungsstücke auf dem Steg, die steif und mit Blut und Schweiß getränkt waren.

»Hier.« Lif bot ihr das Bündel an, das er in den Händen gehalten hatte. »Ich habe es da drüben gefunden. Ich glaube, das hier war ein Lagerraum für die hiesige Garnison.« Es waren eine saubere Hose, eine leinene Untertunika und eine dicke Wolltunika. »Das war die größte, die ich finden konnte; ich denke, sie wird dir passen.«

»Danke.« Orka nahm die Kleidung und zog die Hose aus dicker Wolle an, dann die Untertunika aus Leinen und schließlich eine blaugraue Wolltunika. Sie lockerte ihre Schultern und dehnte das Leinen und die Wolle, die sich an ihre feuchte Haut schmiegten, dann holte sie ihre Socken und Stiefel vom Steg, zog sie an und nahm ihr Brynja. Es musste dringend gereinigt werden, bevor sie es wieder anlegte. Sie schnallte sich den Waffengürtel um die Taille, warf sich den Kettenpanzer über die Schulter, hockte sich hin und nahm die Bartaxt, auf die sie sich stützte wie auf einen Stab.

»Du wolltest reden?« Sie richtete ihren Blick auf Lif.

Er holte tief Luft und öffnete den Mund, aber die Worte blieben ihm im Hals stecken.

»Über drei Dinge«, murmelte er schließlich und klappte den Mund wieder zu. Unsicher trat er von einem Fuß auf den anderen.

Orka blickte in den Himmel, dann wieder zu Lif.

»Der Tag wartet nicht auf dich«, erklärte sie dann. »Und ich ebenso wenig.«

»Du bist besessen! Das Blut eines toten Gottes fließt durch deine Adern, als Relikt seiner Macht!« Die Worte sprudelten nur so aus Lifs Mund.

»Stimmt.« Orka nickte. Sie schob ihre Zunge in eine Zahnlücke, löste etwas, das dort feststeckte, und spuckte einen Fleischklumpen aus, ohne darüber nachzudenken, woher er stammte. Sie hatte gestern beim Kampf gegen die Krieger des Grimholt mehr als nur ihre Bartaxt benutzt. »Ich bin besessen«, bestätigte sie. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, als sie die Worte laut aussprach. Es war ein so streng gehütetes Geheimnis gewesen, von dessen Wahrung ihr Leben abhing. Sie sah Lif unverwandt an und wartete auf den Ekel und die Abscheu, auf die Angst und den Hass, die eine solche Enthüllung normalerweise hervorrief. Aber was sie in seinen Augen sah, war … Schmerz.

»Du hast es mir nie gesagt. Uns«, antwortete Lif. »All die Zeit, die wir zusammen gekämpft haben. Wir haben dir in Darl das Leben gerettet, dich vor Drekrs Axt bewahrt …«

Orka seufzte und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. »Ich bin es nicht gewohnt, so etwas laut auszusprechen«, gab sie dann zu. »So etwas könnte mir einen Thrall-Kragen einbringen, oder ich ende in einem Käfig, der von der Stadtmauer baumelt. Es war ein lang gehütetes Geheimnis.«

Aber Lif hat mir vertraut, ist mir gefolgt, und ich habe es trotzdem vor ihm verheimlicht.

»Ich hätte es Mort und dir sagen sollen«, räumte sie dann gleichgültig ein. »Du hast recht, ihr beide hättet es verdient gehabt.«

Lif nickte. »Das hätten wir«, sagte er. »Im Turm hast du gesagt, dass dieser Drekr die Kinder der Besessenen entführt.« Er hielt wieder inne und suchte nach den richtigen Worten. »Das wusste ich nicht, aber jetzt ergibt es natürlich einen Sinn. Breca ist also auch besessen?«

»Ja. Breca ist ebenfalls besessen. In seinen Adern fließt mein Wolfsblut.«

Lif nickte und dachte offensichtlich über das alles nach.

»Und die zweite Sache?«, wollte Orka wissen.

Lif blickte wieder zu ihr auf.

»Dieser Mann gestern, dieser kahlköpfige Graubart.«

»Das ist Glornir, der Anführer der Blutgeschworenen«, antwortete Orka.

»Er hat dich Schädelspalter genannt.«

Orka wandte den Blick ab, dann nickte sie langsam.

»Du bist Schädelspalter? Du sagtest doch, Schädelspalter wäre tot?«

»Schädelspalter starb an dem Tag, an dem ich die Blutgeschworenen verließ«, antwortete Orka. In ihrem Hirnkasten erwachten bruchstückhafte Bilder zum Leben. Sie wollte nicht darüber sprechen, hatte nie über diese Zeiten gesprochen, nicht einmal mit Thorkel. Sie hatten dieses Leben hinter sich gelassen, die Erinnerungen in eine Ecke ihres Hirnkastens geschoben und alle fassbaren Erinnerungen in einer Truhe tief in der Erde ihres Gehöfts vergraben. Lif betrachtete sie. Trauer und Ehrfurcht waren wie Runen in einem Schwurstein in sein Gesicht gemeißelt, und sie spürte den Stachel der Scham. Das Flüstern ihres alten Lebens klang wie ein Geisterwispern in ihrem Ohr. Sie holte tief Luft.

»Damals war Breca noch in meinem Bauch, und ich wollte nicht mehr als Blutgeschworene leben. Nur Tod und Blut, ohne Ende. Thorkel empfand das Gleiche, also gingen wir fort.« Sie zuckte mit den Schultern. »Die Entscheidung fiel uns schwerer, als es sich anhört, und es gibt eine längere Geschichte dazu, aber jetzt muss die Kurzfassung genügen. Jedenfalls haben wir es getan. Während einer Schiffsschlacht sprangen wir ins Meer und schwammen ans Ufer. Die Blutgeschworenen dachten, wir wären im Kampf gefallen. An jenem Tag sind viele gefallen und wurden niemals gefunden. Ihre Gebeine liegen zweifellos noch immer in der trüben Tiefe.«

»Als ich dich gestern sah, begriff ich, was du getan hast«, sagte Lif. »Du warst … jemand anders.«

Orka atmete lange aus. »Ich habe Schädelspalter all die Jahre weggesperrt. Brecas Schrei … was ich für seinen Schrei hielt, sprengte die Gitterstäbe des Käfigs. Und dann fiel mir das in die Hände …« Sie musterte die Bartaxt in ihrer Faust und zuckte erneut mit den Schultern. »Schädelspalter ist jetzt zurück und wird mir helfen, meinen Breca zu finden.«

Stille senkte sich herab. Vesli wimmerte im Schlaf und wälzte sich auf dem Boden.

»Und die dritte Sache?«, fuhr Orka fort.

Lif warf einen Blick über seine Schulter auf die Überreste der Halle und des Turms und runzelte die Stirn. »Wirst du mir helfen, Mort von dort herunterzuholen und ihn unter einem Steinhaufen zu bestatten? Ich habe es versucht, aber er ist immer noch an die Wand gekettet.« Orka blickte zum Turm hinauf, zu dem, was von ihm übrig war. Der größte Teil des Daches war zerstört, und zwei Wände waren weggebrannt. Die geschwärzten Balken waren gekrümmt wie verdorrte Finger.

»Das werde ich«, antwortete sie.

Gemeinsam gingen sie zurück über den Hof, die Treppe hinauf und in die Halle. Die ersten Kämpfer rührten sich. Krieger wickelten sich aus ihren Mänteln. Orka ging an allen vorbei zum hinteren Teil der Halle, wo eine Tür zu einer Treppe führte. Das Holz knarrte, als sie hinaufstieg. Die Wände und der Boden waren von einer dicken Ascheschicht überzogen, und Orkas Füße wirbelten Wolken auf. Die Treppe ächzte und bewegte sich unter ihrem Gewicht. Sie gelangte in einen Korridor, in dem eine Wand weggebrochen war. Sie konnte über den Hof des Grimholt auf den Fluss hinausblicken. Vor ihr lag ein Raum, dessen Tür vollkommen verkohlt war, und sie ging vorsichtig hinein.

Überall lagen Leichen auf dem Boden herum, abgetrennte Gliedmaßen, geschwärzte, verkrümmte Hüllen.

Die Bodendielen knarrten, als Lif zu ihr trat. Sie blieben beide stehen und betrachteten die Toten. Mort lag an der gegenüberliegenden Wand, ein verkohlter Leichnam. Ein Arm war nach oben ausgestreckt und an die Wand gekettet. Der Rest seines Körpers war zusammengesunken und krümmte sich um die Schwertwunde in seinem Bauch.

Orka trat auf einen verbogenen, verkohlten Stab, der unter ihrem Gewicht zerbrach. Sie ging vorsichtig vorwärts und schwang ihre Bartaxt. Funken sprühten, als die Schneide in die Eisenkette krachte, die an der Wand befestigt war. Metall kreischte, als die Kette zerbrach und Morts Arm zu Boden fiel. Orka zog ihren Mantel aus, legte ihn neben Morts Leichnam und rollte ihn dann hinein. Lif half ihr.

Verkohltes Fleisch löste sich unter ihren Fingerspitzen, als sie ihn bewegten, und Lif wandte sich ab und erbrach sich auf die geschwärzten Dielen. Orka wickelte den Mantel um Mort, band ihn fest, hob seinen Körper an, der sich für sie nahezu gewichtslos anfühlte, und legte ihn sich sanft über die Schulter.

»Lass mich dir helfen«, sagte Lif, spuckte Galle aus und wischte sich die Tränen aus den Augen.

»Ich habe ihn schon«, sagte Orka.

Schritte ertönten im Treppenhaus, und das Gebälk protestierte knarrend, bevor ein Mann in der Tür erschien. Er war von mittlerer Statur, und sein rotes Haar war im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden. Ein silberner Ring hielt seinen geölten, zu zwei Zöpfen geflochtenen Bart. Er trug ein glänzendes Brynja, dazu ein Schwert und einen Scramasax am Gürtel und dicke Silberreife an den Oberarmen. Seine Hose war aus hellblauer Wolle, und dunkle Winnigas reichten vom Knie bis zum Knöchel.

»Schädelspalter.« Der Mann neigte den Kopf.

»Svik.« Orka nickte, hielt einen Moment inne, und die beiden Krieger betrachteten einander.

»Du siehst scheiße aus«, stellte Svik dann fest.

»Und du siehst aus, als wärst du für das Julfest frisch geschrubbt«, antwortete Orka.

»Es ist immer wichtig, so gut wie möglich auszusehen«, erwiderte er achselzuckend. »Wer weiß, was der Tag bringt? Und welche glückliche Dame mir über den Weg läuft?«

»Also immer noch ein Arschkriecher.« Orka schnaubte.

Svik lachte, und kleine weiße Zähne schimmerten in seinem Bart. Aber das Lachen erreichte seine Augen nicht. Er starrte Orka an, und langsam änderte sich sein Gesichtsausdruck. Sein Humor wich etwas anderem. Etwas Traurigem, einem flüchtigen Eindruck von Kummer und Schmerz.

»Du hast uns verlassen. Du hast den Eid geschworen und uns trotzdem einfach verlassen!«, murmelte er.

Orka starrte ihn nur an. Die Worte in ihrem Kopf fanden den Weg zu ihrer Zunge nicht.

Svik wandte den Blick ab. »Glornir fragt nach dir.«

Orka knurrte und ging weiter. Svik trat zur Seite, um sie durch die Tür zu lassen. Lif hob Orkas Bartaxt auf und folgte ihr, während Svik sich ihnen anschloss. Zu dritt gingen sie die Treppe hinunter in den Innenhof. Weitere Feuer waren entzündet worden, es blubberte in etlichen Töpfen, und Orka roch Haferschleim und Honig. Krieger der Blutgeschworenen tummelten sich im Hof und auf dem Gelände des Grimholt; einige wenige standen auf den Palisadenmauern im Norden und Süden. Glornir wartete auf sie. Sein Bart war jetzt mehr grau als schwarz.

Er betrachtete sie mürrisch. In seiner großen Faust hielt er seine Bartaxt. Ein Widerhall seines Bruders lag in seinen Augen, in den Linien und Kanten seines Gesichts. Orka zuckte bei der Erinnerung an ihren toten Mann zusammen. Sie erkannte noch andere Krieger, die um Glornir herumstanden. Einar Halbtroll, der die Sonne verdunkelte, Jökul Hammerhand, der Schmied. Edel, mit seinem geflochtenen Silberhaar, dem zerstörten Auge und den Wolfshunden, und Røkia, hager und hart wie eine Peitsche. Es gab andere, die Orka nicht kannte, die meisten von ihnen waren jünger. Ein dunkelhäutiger Mann mit einem langen schwarzen Zopf, der von seinem ansonsten kahl geschorenen Kopf herunterhing. Er trug keinen Vollbart, sondern nur einen Schnauzbart mit langen lederumwickelten Enden. An seiner Hüfte hing ein Krummsäbel, und er trug die weiten Reithosen von Iskidan. Eine goldblonde Frau mit einer platt gedrückten Nase und der Mann, den Orka vorhin gesehen hatte, als er sie beobachtete. Er hatte kurzes Haar, und sein Bart war kaum mehr als ein paar stopplige Büschel neben den geflochtenen Bärten der Krieger. Seine Ausrüstung jedoch war gut, sein glänzendes Brynja dunkel geölt. An dem Gürtel um seine Taille hingen ein Scramasax und eine Faustaxt, daneben ein feiner Helm mit Augenschutz. An einem Arm trug er einen silbernen Reif.

Orka ging auf Glornir zu, blieb stehen und legte Morts eingewickelten Leichnam behutsam vor seinen Füßen ab. Lif blieb neben ihr stehen und reichte ihr die Bartaxt. Svik ging weiter und stellte sich zu Glornir und den anderen Blutgeschworenen.

»Es gibt viel zu besprechen, Orka«, sagte Glornir. »Als wir dich gestern fanden, warst du Úlfhéðnar und bekümmert. Der Wolf war in deinem Blut.«

Sie nickte. So war es gewesen, auch wenn ihre Erinnerung nur aus einzelnen Fragmenten bestand. Sie erinnerte sich an Blut, an die Schreie der Sterbenden, daran, wie sie einen Schuppen voller Jungen gefunden hatte. Wie sie den Kopf zurückgeworfen und geheult hatte, als sie feststellte, dass Breca nicht unter ihnen war. Und wie Glornir an der Spitze der Blutgeschworenen ankam, als sie auf den Stufen saß, blutüberströmt und in ihr Elend versunken. Sie erinnerte sich, wie er sie in die Arme nahm.

Als sie ihn jedoch jetzt betrachtete, nahm sie sein eigenes Elend wahr, in seinem Blick, dem gebeugten muskulösen Rücken und seinen hängenden Schultern.

»Was ist los?«, fragte Orka.

»Vol.« Glornir fletschte die Zähne. »Sie ist entführt worden. Von einem feigen Galdurmann.«

»Skalk.« Orka berührte die blutverkrustete Beule auf ihrem Kopf, wo er sie mit seinem Stab getroffen hatte. »Er war hier«, spie sie hervor. »Mit einem Drengr und einem Gefangenen auf dem Rücken eines Pferdes.«

»Das sind sie.« Glornirs Antwort war kaum mehr als ein Knurren. Orka sah, wie der Berserkir in Glornir erwachte und in seinem Blut pulsierte. »Ich habe nach ihren Leichen gesucht, nach irgendeiner Spur von ihnen.«

Orka schloss die Augen, dachte nach und durchforstete die Bildfragmente des gestrigen Gemetzels. »Sie sind geflohen. Auf einer am Fluss vertäuten Snekke.« Sie nickte in Richtung des Stegs. Glornir und die anderen folgten ihrem Blick.

Vesli, das Tennúr, wälzte sich am Ufer des Flusses im Schlaf, zuckte und stieß einen hohen, durchdringenden Schrei aus. Orka schritt zu dem Vaesen hinüber. Vesli riss die Augen weit auf und setzte sich wimmernd auf.

»Die Leichenfresserin ist frei«, schnarrte sie und kauerte sich zusammen, während ihre kleinen Augen den Himmel über ihnen absuchten. Einige der Blutgeschworenen hoben ebenfalls suchend den Blick.

»Das war nur ein Traum.« Orka legte Vesli eine große Hand auf die Schulter, während sie sich an ihren eigenen Traum erinnerte, von Feuer und Asche und schlagenden Flügeln.

»Nein«, widersprach Vesli. »Lik-Rifa ist aus ihrem Käfig unter der Erde befreit worden.«

Orka runzelte die Stirn, und etliche Blutgeschworene murmelten unruhig.

»Ich habe letzte Nacht auch von einem Drachen geträumt«, ergriff schließlich einer von ihnen das Wort.

»Das sind nur üble Träume«, behauptete Glornir, obwohl er die Stirn runzelte und seine Miene sich verfinsterte.

Es plätscherte am Fluss, und Sperts Kopf tauchte aus dem Wasser auf. Das Vaesen dümpelte sacht in der Strömung und schaute sie alle mit seinen schwarzen Glupschaugen an. Sein graues Gesicht sah aus wie geschmolzenes Kerzenwachs.

»Vesli spricht die Wahrheit«, krächzte Spert. »Lik-Rifa ist frei.« Er leckte sich mit seiner dicken blauschwarzen Zunge über die Lippen. »Spert hungrig. Hat die Herrin Brei gemacht?«

KAPITEL ZWEI

ELVAR

Elvar sah zu, wie der fette Sighvat den letzten Stein auf Agnars Grabstätte legte. Ihr Gesicht verzerrte sich, als sie sich an das Entsetzen erinnerte, das sie am Vortag erfüllt hatte. Agnar hatte sie auf die Ebene von Oskutreð, der großen Weltenesche, geführt. Elvars Herz war zum Bersten voll gewesen, vor Freude über die Reichtümer, die sie dort erwarteten. Von dem Gedanken, dass sich ihr Schlachtenruhm wie eine Saga um die Welt verbreiten würde; wie Agnar und seine Schlachtgrimmen das sagenumwobene Oskutreð fanden, wo die Götter gekämpft hatten und gestorben waren, wo Gold und Silber und die Reliquien der Götter wie reife Früchte an den Bäumen hingen, bereit zum Pflücken.

Gefunden haben wir es, das schon.

Elvar stand auf einer grauen Ebene, in der eine sanfte Brise die Asche wie Schnee mit dunklen Flocken aufwirbelte. Sie war von buckligen Hügeln übersät. Viele von ihnen waren Skelette, große und kleine, und alle waren sie von einer dicken Ascheschicht bedeckt. Anderswo lagen frischere Leichen, weniger als einen Tag alt. Eine Handvoll Schlachtgrimmen, in Umhänge gehüllt, bereit für ihre Grabhügel, und dazu über ein Dutzend von Ilskas Rabenfütterern, die noch dort lagen, wo sie gefallen waren. Fliegen krabbelten auf ihnen herum, und Krähen pickten an ihrem Fleisch.

Aber wir fanden mehr, als wir erwartet hatten. Wir fanden Kampf und Blut. Wir fanden den Tod.

»Hier liegt Agnar Broksson, Krieger, Häuptling, Freund«, hob Sighvat mit seiner dröhnenden tiefen Stimme an. Das letzte Wort kam bebend aus seinem Mund. »Schlachtgrimme, Feuerfaust, Drachentöter.« Eine Träne lief über Sighvats Wange.

Alles wahre Namen, das wusste Elvar. Bei der Erinnerung an Agnars Holmgang mit Skrið, dem besessenen Drachengeborenen, stieg eine heiße, helle Woge der Angst und Freude in ihrer Brust auf. Skrið war ein furchterregender Gegner gewesen, gewaltig und schnell wie eine Schlange. Es war ein Kampf, von dem die Skálden auf der ganzen Welt singen sollten, denn Agnar hatte gegen einen Drachengeborenen gekämpft und ihn getötet, und Elvar hatte sich heiser geschrien angesichts der Waffenfertigkeit, des Mutes und der Kampflust ihres Anführers.

Die Schlachtgrimmen stimmten in Sighvats Knurren und Heulen mit ein, sogar Grend, der unerschütterlich wie ein sturmgepeitschter Felsen an Elvars Schulter stand.

Elvar kniete nieder, berührte einen der Steine von Agnars Steinhaufen und zog eine Grimasse. Selbst diese kleine Bewegung in ihrer Schulter rief Schmerzen hervor. Mit der anderen Hand umfasste sie den Trollstoßzahn, der an einem Lederriemen um ihren Hals hing. Agnar hatte ihn ihr für ihren Anteil an der Tötung des Trolls auf der Insel Iskalt geschenkt. Das fühlte sich an, als wäre es ein ganzes Leben her.

»Man wird dich vermissen, Agnar Schlachtgrimme«, flüsterte sie. »Du wirst bereits vermisst.« Nach einer Pause setzte sie hinzu: »Ich werde dich rächen. Biórr wird für seinen Verrat sterben.«

Allein seinen Namen zu flüstern ließ Elvar vor Wut erzittern. Biórr! Ihr Geliebter, dem sie vertraut hatte, gebunden durch Eide und Kampf und vieles, vieles mehr. Er hatte sie verraten, hatte sie alle verraten. Agnar auf die übelste Weise, indem er ihm einen Speer durch die Kehle stieß, als Agnar ihm vertrauensvoll den Arm reichte.

Sie erhob sich zischend vor Schmerz, und Grend stützte sie.

»Also, was tun wir jetzt?« Sighvat blickte in die Runde.

Sie standen schweigend da. Kaum mehr als dreißig von ihnen waren übrig. Sighvat starrte sie mürrisch und unsicher an. Rote Striemen verunzierten seine nackte Haut im Gesicht, an den Handgelenken und den Unterarmen, wo er von lebenden Ranken gefesselt worden war, die auf Befehl der Froa aus dem Boden gebrochen waren. Elvar blickte auf den geschwärzten Stumpf, der einst Vörn, die Wächterin der Weltenesche gewesen war. Ilska und ihre drachengeborene Sippe hatten sie mit ihrer Runenmagie in Brand gesteckt, und nun lag sie geschwärzt und verkrüppelt da, wie ein toter Ast, der ins Feuer geworfen worden war.

»Weswegen wir hergekommen sind.« Huld zuckte mit den Achseln. Sie war nach Elvar die jüngste der Schlachtgrimmen, dunkeläugig und immer zornig. »Wir haben uns den Schlachtenruhm verdient, jetzt holen wir uns den Schatz.«

»Ja«, bestätigte Sólín. Er war grauhaarig, drahtig und muskulös. Seine klaffenden Zahnlücken verdankte er der kürzlichen Begegnung mit einem Nest voll Tennúr. »Wir nehmen, was wir können, und verschwinden von hier. Das tun wir jetzt.«

Die anderen Schlachtgrimmen nickten und murmelten zustimmend. »Einverstanden«, sagte Sighvat. »Was wir finden und tragen können, behalten wir. Den Rest packen wir auf die Wagen und teilen ihn zu gleichen Teilen.«

Orv der Schleicher, so genannt wegen seiner leichtfüßigen Verstohlenheit, scharrte mit dem Fuß an einem kleinen aschebedeckten Hügel vor sich. Als er gebleichte Knochen zur Seite schob, glitzerte darunter Metall. Er hockte sich hin und zog einen Armring aus altersgeschwärztem Silber aus der Asche. Orv klemmte ihn sich an den Arm, sah auf und lächelte.

Die anderen Schlachtgrimmen begannen daraufhin ebenfalls, die Asche zu durchsuchen. Sie alle waren nach ihrem harten Kampf mit Ilskas Rabenfütterern zerschlagen und verwundet.

Elvar wandte sich ab und ging zu ihrem provisorischen Lager zurück, kaum mehr als eine Ansammlung von Wagen, einigen angebundenen Ponys und Umhängen als Kissen und Decken. Asche wirbelte um ihre Füße auf, und sie hörte Grends schwere Schritte, als dieser ihr folgte. Vor ihr an der Gezeitenlinie der gestrigen Schlacht lagen immer noch die Leichen ihrer Feinde und markierten die Stelle, an der die Schlachtgrimmen ihren Schildwall geformt und sich gegen Ilskas Kriegsbande gestemmt hatten. Elvar erinnerte sich an den Gestank, an die ohrenbetäubenden Schlachtrufe und das Klirren des Stahls, das Krachen und Scheppern von Schild gegen Schild. Ein Anflug von Stolz durchströmte ihre Brust – sie war mit den Schlachtgrimmen gegen eine solche Übermacht angetreten und hatte gesiegt. Es waren harte Männer und Frauen, diese Schlachtgrimmen, Schnitter und Hauer, vernarbt von vielen Kämpfen, aber ungebeugt. Und sie waren kurz davor gewesen, die Übermacht der Rabenfütterer zu bezwingen.

Bis der Drache in unsere Welt einbrach.

Sie schüttelte die Erinnerung ab, versuchte, sie wie Fliegen von einer offenen Wunde zu verscheuchen.

Uspa, die Seiðrhexe, saß auf der Ladefläche eines Wagens und starrte auf das große Loch, in dem der Stamm des Eschenbaums gewesen war. Riesige Splitter ragten aus dem Boden heraus, so lang wie die Rippen eines zerschmetterten Drachens. Dort war Lik-Rifa die Drachengöttin aus ihrem unterirdischen Verlies ausgebrochen und hatte sie alle wie Spreu im Wind verstreut. Uspas blondes Haar war zu Zöpfen geflochten und zusammengebunden, runenförmige Tätowierungen waren über dem Ausschnitt ihrer Tunika zu sehen und ringelten sich bis zu ihrem Kiefer hoch. Die Hände hatte sie zu Fäusten geballt, ihre Knöchel waren weiß, und die Finger arbeiteten krampfhaft wie eine Faust voller Nachtwyrm.

Eine Gestalt lag auf dem Boden zu ihren Füßen. Es war eine Frau mit großen rostfarbenen Flügeln und geflochtenem rotem Haar. Die Schwertscheide an ihrer Hüfte war leer, und sie war an Hand- und Fußgelenken gefesselt und noch immer bewusstlos. Niemand wusste wirklich, wer oder was sie war, außer dass Vörn, die Froa, sie als eine von drei Schwestern angesprochen hatte, die Wächterinnen des Drachens. Alle waren sich einig gewesen, dass es nicht klug wäre, sie einfach unkontrolliert aufwachen zu lassen, wenn sie dreihundert Jahre lang eine Drachengöttin bewacht hatte.

»Sie dürfte verärgert sein, dass Lik-Rifa entkommen ist«, hatte Huld festgestellt.

»Ja, und dass ihre Schwestern tot sind«, fügte Orv der Schleicher hinzu.

Elvar hatte ihnen zugestimmt, und sie hatten die geflügelte Frau mit Lederschnüren gefesselt.

»Wir müssen weiter«, sagte Uspa zu Elvar, als sie näher kam. Elvar ging zu ihrer Ausrüstung. Der zerbrochene Schild, ihr zerrissenes Kettenhemd mit einem blutigen Loch, wo ein Speer die Kettenglieder zerfetzt und sich in Elvars Schulter gebohrt hatte, lagen auf einem Haufen.

»Wohin sollen wir gehen?«, murmelte Elvar.

»Wir folgen meinem Bjarn.« Uspa kniff die Augen zusammen. »Ihr habt einen Eid geleistet.«

»Ja, deinen Sohn von Ilska zurückzuholen, nachdem du uns hierhergeführt hast, ich weiß.«

»Ich habe meinen Teil der Abmachung eingehalten«, sagte Uspa.

»Dass Agnar tot ist und ein leichenfressender Drache die Welt unsicher macht, war nicht Teil dieser Abmachung«, widersprach Elvar, während sie sich hinhockte und begann, ihre Ausrüstung zu durchwühlen.

»Ich habe euch gewarnt, dass es nicht gut ausgehen würde«, zischte Uspa.

»Ich hatte nicht erwartet, dass es bedeutet, gegen Drachengeborene und tote Drachengöttinnen zu kämpfen, die durch die Lüfte fliegen.«

»Sobald man eine Tür aufschließt, kann man nicht mehr kontrollieren, was hindurchkommt!«, spie Uspa hervor. Sie holte bebend Luft. »Doch das spielt sowieso keine Rolle. Wir haben einen Eid geschworen, und der ist bindend.«

»Viel Glück bei dem Versuch, sie davon zu überzeugen«, erwiderte Elvar und deutete über die Schulter auf die Schlachtgrimmen. Unter ihnen brandeten Schreie auf, wenn sie irgendwelche Schätze entdeckten. »Sie tun das, weswegen sie hierhergekommen sind, sie suchen nach Reichtümern.«

»Ihr habt einen Eid geschworen«, warnte Uspa sie.

»Das war, als Agnar noch lebte«, schnauzte Elvar.

»Du lebst noch, und du hast den Blóð Svarið geschworen«, antwortete Uspa, langsam und ruhig, aber mit zum Wahnsinn reizender Stimme. »Und der Blóð Svarið betrifft nicht die Toten, sondern ihn interessieren nur die Lebenden.«

»Manche Schwüre kann man nicht halten«, erwiderte Elvar, doch schon während sie diesen Gedanken hegte und die Worte über ihre Lippen kamen, flackerten Hitze und Schmerz in ihrem Handgelenk und Unterarm auf. Sie taumelte keuchend zurück und fiel zu Boden, wobei sie ihren schmerzenden Arm umklammerte. Die feinen weißen Narben, die Uspas Seiðr-Magie darauf eingebrannt hatte, als sie alle ihren Eid geschworen hatten, färbten sich rot. Die Haut warf Blasen und schied fette, zähe Tropfen von Flüssigkeit aus.

Grend knurrte, riss seine Faustaxt aus dem Gürtel und trat drohend vor Uspa.

»Mach, dass es aufhört«, knurrte er Uspa an und hob die Axt über ihren Kopf.

»Das kann ich nicht«, gab Uspa zurück. »Lebendig oder tot, ich kann nichts tun. Wenn der Blóð Svarið erst einmal geleistet ist, gleicht er der Flut des Ozeans; man kann ihn nicht zurückhalten oder eindämmen. Nur wenn Elvar den Schwur hält, kann sie ihn beenden. Wenn sie auch nur daran denkt, den Schwur zu brechen, merkt er es und handelt.«

Ich nehme es zurück, ich nehme es zurück, ich werde Bjarn suchen!, schrie Elvar in ihrem Kopf, und sofort ließ der Schmerz nach. Die Hitze in ihren Adern verschwand zischend, als wäre Elvars Arm frisch geschmiedetes Eisen, das sie in Wasser getaucht hatte.

»Siehst du.« Uspas Blick war voller Trauer und zeigte keinerlei Schadenfreude, wie Elvar es erwartet hatte. »Der Blóð Svarið ist wie ein lebendiges Wesen in dir, er kennt deine Gedanken, kennt dein Herz. Vor ihm gibt es kein Entrinnen.«

Ein Schmerzensschrei ertönte, und Elvar drehte sich um und griff mit der Hand nach ihrem Waffengürtel.

Sighvat umklammerte seinen Arm, taumelte und sank auf ein Knie. Selbst von hier aus konnte Elvar den Dampf von seinem Arm aufsteigen sehen und das Zischen des verbrühten Fleisches hören.

»Ich glaube, Sighvat hat auch Zweifel an unserem Schwur bekommen«, stellte Grend fest.

»Ich habe es nicht so gemeint, ich habe es nicht so gemeint, ich habe es nicht so gemeint«, brüllte Sighvat in den Himmel. Der rote Feuerschein in seinen Adern verblasste. Der massige Krieger blieb mit gesenktem Kopf und keuchend auf den Knien hocken.

»Keiner von uns kann sich ihm entziehen«, fuhr Uspa fort, »nicht Sighvat, oder du, Grend, nicht einmal ich. Wir alle haben den Eid geschworen. Gibt einer von uns auf, brechen wir diesen Eid und sterben. Unser Blut kocht in unseren Adern, hattest du das vergessen?«

»Selbst wenn ich es vergessen hätte, würde ich mich jetzt sehr gut daran erinnern!«, fuhr Elvar sie an und blickte von ihrem Arm zu Uspa. »Aber wie sollen wir deinen Sohn zurückholen, wenn er in der Gewalt von Lik-Rifa ist? Einer Gottheit? Es wäre schon schwer genug gewesen, ihn nur von Ilska und ihren Rabenfütterern zurückzuholen. Und jetzt ist auch noch Agnar tot …« Sie ließ den Kopf sinken, als Trauer und Frustration in ihr aufstiegen. Elvar unterdrückte die aufsteigenden Tränen mit einem Knurren. Das hätte nicht passieren dürfen. Sie hatte sich vorgestellt, Oskutreð zu finden, einen Hort des Reichtums, sich die Geschichten ausgemalt, wie sich ihr Ruhm in ganz Vigrið verbreitete und schließlich selbst ihrem Vater in seiner Halle im fernen Snakavik zu Ohren käme. Dann würde er wissen, dass sie die Kraft und den Willen besaß, auch ohne seine Hilfe erfolgreich zu sein. Dass sie Erfolg hatte, ohne so rücksichtslos zu sein wie er. Obwohl sie ihn verachtete, wollte sie, dass er es wusste.

Sighvats schwere Schritte näherten sich ihnen.

»Wie können wir uns von diesem Schwur befreien?« Er hielt seinen Arm hoch. Die Adern waren immer noch rot und wund und schwitzten Eiter aus.

Elvar hielt ihren eigenen rot geäderten Arm hoch, und Sighvat blinzelte. Dann starrte er Uspa an.

»Du musst deinen Schwur erfüllen, das ist der einzige Weg«, sagte Uspa.

»Eine Drachengöttin läuft frei herum, Seiðrhexe«, brummte Sighvat. »Wie sollen wir deinen Sohn aus ihren Krallen befreien?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Uspa, »aber wir müssen es versuchen.«

»Unmöglich …«, begann Sighvat. Im selben Moment begann sein Arm zu zischen und zu dampfen, und die Adern verfärbten sich. Er packte ihn mit der anderen Hand und sank auf die Knie. »Ich versuche es, ich versuche es ja, verdammt! Ich versuche es!«, brüllte er. Als der Schmerz nachließ, sah er Uspa finster an. Schweiß rann ihm übers Gesicht. »Ich wusste, ich hätte den Eid nicht leisten sollen!«, knurrte er. »Jetzt ist Agnar tot …«, er schaute misstrauisch auf seinen Arm, »und ein Feuerdämon lebt in meinem Arm.«

»Nicht nur in deinem Arm«, verbesserte ihn Uspa. »Ich habe euch gewarnt, dass ein Bruch des Schwurs mit Schmerzen enden würde.«

»Es gibt verschiedene Arten von Schmerz«, murmelte Sighvat. »Ein angeschlagener Zeh. Ein Furunkel am Hintern. Dünnschiss nach einem schlechten Eintopf. Aber das hier fühlt sich an, als ob mein Fleisch und meine Knochen in meiner Haut kochen würden.« Er schüttelte den Kopf und setzte sich seufzend neben Uspa auf die Pritsche des Fuhrwerks. »Das ist eine üble Sache.« Er blickte Elvar und Grend an. »Also, was sollen wir tun? Wir brauchen einen ausgeklügelten Plan, um mit dem Leben davonzukommen – wir müssen ein besessenes Berserkir-Kind befreien, damit unser Blut nicht in unseren Adern kocht.«

»Ich hatte gehofft, du hättest ein paar Ideen«, sagte Elvar.

»Agnar war der große Denker. Ich habe nur auf das eingeschlagen, worauf er gezeigt hat.«

»Uspa erwartet von uns, dass wir Lik-Rifa und Ilska der Grausamen folgen und Bjarn einfach zurückholen«, stellte Elvar fest.

»Das hört sich für mich nicht nach einem tiefsinnigen Plan an.« Sighvat runzelte die Stirn.

Sie schwiegen.

»Die Chance wäre größer, wenn alle Schlachtgrimmen dabei wären«, stellte Grend schließlich fest.

»Aye.« Elvar nickte. »Aber sie haben den Schwur nicht abgelegt, nur wir vier haben das getan. Sie sind nicht verpflichtet, mit uns zu kommen, und es ist ja nicht gerade so, als ob sie Gold oder Silber jetzt noch brauchen würden. Wäre Agnar hier, würden sie ihm folgen, aber uns …« Sie sah sie alle der Reihe nach an. »Würdet ihr das tun?«

»Nein«, gab Sighvat zu.

Elvar seufzte. »Sollen sie doch ihre Schätze suchen«, meinte sie dann. »Wenn sie fertig sind, reden wir mit ihnen und überlegen, wie es weitergeht.«

»Das wird lange dauern, während mein Bjarn immer weiter weggeschafft wird«, gab Uspa zu bedenken.

»Ich bin durch diesen Eid gebunden, das erkenne ich an«, erwiderte Elvar. »Und ich werde alles tun, was ich kann, um ihn zu erfüllen und deinen Sohn zu befreien. Aber wie das geschieht, entscheide ich. Und ich sage, wir brauchen die Schlachtgrimmen. Man muss kein scharfsinniger Denker sein, um zu wissen, dass ihre Antwort ›Nein‹ lautet, wenn wir sie jetzt fragen. Also warten wir und fragen sie erst, wenn sie sich genug Silber in die Taschen gestopft haben.« Sie blickte in die Runde. »Einverstanden?«

»Ja«, sagten Grend und Sighvat. Uspa starrte Elvar an, dann nickte sie.

»Wir könnten auch versuchen, Schätze zu finden«, meinte Sighvat. »Wer weiß, vielleicht liegt hier ja sogar ein Drachentöter-Speer herum.«

»Das klingt schon viel besser«, stellte Uspa fest.

Elvar antwortete nicht, war jedoch Sighvats Meinung. Sie konnten auch auf Schatzsuche gehen. Ihr Schild war zerbrochen und ihr Kettenhemd von der Schlacht zerrissen. Vielleicht fand sie ja eine Kriegsausrüstung, die einem toten Gott gehört hatte. Wenn nicht, half es vielleicht, die Wagen mit so viel Schätzen zu füllen, wie sie finden konnten.

Vielleicht können wir damit eine Kriegerhorde von Drachentötern anheuern. Selbst wenn die Schlachtgrimmen nicht mit uns in unseren Kampf ziehen, ist hier genug Silber, um tausend hartgesottene Krieger zu dingen.

Elvar nahm ihren Speer, der über ihrer zerschmetterten Ausrüstung lag, und machte sich daran, den aschebedeckten Boden zu durchwühlen.

Jemand schrie. Sie sah, wie Orv der Schleicher sich hinhockte und etwas hochhob. Ein Recurve-Bogen, noch bespannt.

Wieso ist die Sehne in dreihundert Jahren nicht verrottet?, fragte sie sich. Dann begriff sie: Der Bogen hatte einer der geflügelten Frauen gehört, die den Drachen angegriffen hatten. Der Frau mit dem silbernen Haar und den weißen Flügeln. Lik-Rifa hatte ihr den Kopf abgerissen und ihren Körper zu Brei zermalmt. Aber Elvar erinnerte sich auch daran, dass Feuer aus der Drachenhaut aufgestiegen war, wo die Pfeile dieses Bogens den Körper von Lik-Rifa durchbohrt hatten.

War es ein mit Runen geschmiedeter Seiðr-Bogen, oder hatte es an den Pfeilen gelegen?

Wie auch immer, es war gut, dass ausgerechnet Orv ihn gefunden hatte; er war der Erfahrenste aller Schlachtgrimmen, was die Jagd anging.

Elvar suchte weiter. Ihr Speer blieb an etwas hängen, und ein scharfer Schmerz zuckte durch ihre Schulter. Sie war gestern im Schildwall von einem Speer durchbohrt worden, und Grend hatte sie aus der ersten Reihe gezogen. Nachdem Lik-Rifa davongeflogen war, und Ilska und ihre Rabenfütterer dem Drachen gefolgt waren wie Krähen einer Kriegerhorde, hatte Grend ihre Wunde gesäubert, zerbrochene Ringe von ihrem Brynja aus ihrem Fleisch gezupft, dann Honig in das rote blutende Loch geschmiert und es mit einem gebogenen Angelhaken zugenäht. Mit einer Grimasse korrigierte sie ihren Griff um den Speer und hob an, was sie gefunden hatte. Asche rieselte herab und enthüllte einen skelettierten Arm in einem Ringpanzer. An der Elle klirrten matte Silberreifen. Die knochige Faust umklammerte den Schaft einer Axt. Elvar ging in die Hocke, um die Axt zu befreien, und unterdrückte dabei einen Aufschrei. Der Stiel war etwa so lang wie Elvars Unterarm, mit Eisen beschlagen und vom Griff bis zur Klinge mit Silberdraht umwickelt; der Axtkopf war einschneidig mit einem Dorn, wie es Grend bevorzugte. In die Klinge eingeätzt waren Wolfsknoten, die Elvar noch nie an einer Bartaxt gesehen hatte, die für den Kampf bestimmt war. Was diese hier ganz offensichtlich gewesen war, angesichts der dunklen Blutflecken darauf. Davon abgesehen steckte sie in einem zertrümmerten Schädel.

»Grend!«, rief Elvar und blickte auf. Sie sah, dass er etwa zwanzig Schritte von ihr entfernt stand. Aber er suchte nichts, sondern starrte nur den Hügel an, den sie gestern begutachtet hatten, als sie gerade angekommen waren. Er betrachtete das Skelett von Ulfrir, dem Wolfsgott. Dessen Knochen waren mit Erde bedeckt, die Zähne so lang wie Speere. Im Tod hatte er den Kiefer weit aufgerissen.

Grend grunzte, drehte sich langsam um und sah sie an. »Die hier ist für dich«, sagte Elvar und zerrte an der Axt. Der Schädel zerbrach, als Elvar die Klinge herauszog und in ihre Linke nahm. Als sie alt genug gewesen war, einen Stock zu halten, hatte Grend ihr beigebracht, mit beiden Händen zu kämpfen, damit ihre linke Seite nicht schwächer war als ihre rechte. Die Axt war gut ausbalanciert, und sie warf sie Grend zu, als er auf sie zuging. Der alte Krieger fing sie geschickt auf. Dann wog er sie in der Hand, drehte sie einmal mit dem Handgelenk und knurrte anerkennend. Er ließ sie durch die Luft sausen, und die Schneide zischte wie eine Viper. Dann fuhr er behutsam mit dem Daumen über die Schneide.

»Immer noch scharf«, murmelte er. Er blickte auf Elvar hinunter, und der Anflug eines Lächelns umspielte seine schmalen Lippen.

Offenbar liebt er sie, dachte Elvar.

»Dieses Kettenhemd …« Grend deutete auf das Brynja, das sich um das Skelett wickelte. »Würde es dir passen?«

»Ich kann es nicht anheben«, sagte Elvar und zog eine Grimasse wegen der Schmerzen in ihrer Schulter, als sie es versuchte.