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Der Kampf gegen die Dunkelheit ist noch nicht entschieden!
Der Krieg zwischen den Gerechten und den Gefallenen scheint entschieden: Der teuflische König Nathair ist in den Besitz aller sieben Kostbarkeiten gelangt, sodass er nun ein Portal für Asroth und seine Dämonenhorden öffnen kann. Der einzige, der den fehlgeleiteten König aufzuhalten vermag, ist Corban – doch der befindet sich in Gefangenschaft der Giganten. Um am Leben zu bleiben, muss er neue Verbündete unter diesen schrecklichen Feinden finden. Denn wenn Corban fällt, ist auch das Schicksal der Verfemten Lande entschieden ...
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Seitenzahl: 1283
Veröffentlichungsjahr: 2018
Das Buch
Der Krieg zwischen den Gerechten und den Gefallenen scheint entschieden: Der teuflische König Nathair ist in den Besitz aller sieben Kostbarkeiten gelangt, sodass er nun ein Portal für Asroth und seine Dämonenhorden öffnen kann. Der Einzige, der den fehlgeleiteten König aufzuhalten vermag, ist Corban – doch der befindet sich in Gefangenschaft der Giganten. Um am Leben zu bleiben, muss er neue Verbündete unter diesen schrecklichen Feinden finden. Denn wenn Corban fällt, ist auch das Schicksal der Verfemten Lande entschieden …
Der Autor
John Gwynne studierte an der Brighton University, wo er später auch unterrichtete. Er spielte Bass in einer Rock’n’Roll-Band, bereiste die USA und lebte in Kanada. Heute ist er verheiratet, hat vier Kinder und führt in England ein kleines Unternehmen, das alte Möbel restauriert.Weitere Informationen unter: http://www.john-gwynne.comVon John Gwynne bereits erschienenMacht · Bosheit · Jähzorn · UngnadeBesuchen Sie uns auch auf www.facebook.com/blanvaletund www.twitter.com/BlanvaletVerlag
JOHN GWYNNE
Ungnade
Die Getreuen und die Gefallenen 4
Aus dem Englischenvon Wolfgang Thon
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Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel »Wrath – The Faithful and the Fallen 4« bei Pan Macmillan, London. Copyright der Originalausgabe © 2017 by John Gwynne Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2018 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlaggestaltung: Isabelle Hirtz, Inkcraft, nach einer OriginalvorlageUmschlagillustration: Paul Young represented by Artist PartnersKarte: © Fred van DeelenBL · Herstellung: samSatz: Uhl + Massopust, AalenISBN 978-3-641-17569-6V006
www.blanvalet.de
Für Edward, der die Verfemten Lande mit mir durchwandert hat und von Anbeginn bis zum Ende dieser Reise immer an meiner Seite gewesen ist. Ich liebe dich, mein Sohn. Und für Caroline. Du bist meine Liebe und der Grund, warum ich jeden Tag aufs Neue beginne.
»… Zorn und Rache eingeschenkt.«
John Milton, Das verlorene Paradies
VERADIS
Im Jahr 1144 des Zeitalters der Verbannten, Hundemond
Veradis fiel durch die Nacht, schwerelos. Er erblickte den Turm von Brikan, mit Calidus’ qualmenden Umriss am Fenster, und sah dann nach unten, auf den Fluss, der ihm entgegenzuschießen schien.
Als er auf dem Wasser aufschlug, raubte ihm die Kälte den Atem. Er geriet in Panik, weil er nicht wusste, wo oben und unten war. Um ihn herum war nur Dunkelheit und Eis. Dann packte etwas seine Haare, und er wurde hinaufkatapultiert, tauchte in einer Gischtwolke aus dem Wasser auf und sah Alcyons bleiches breites Gesicht, das ihn anstarrte.
»Sie werden Jagd auf uns machen!«, übertönte der Gigant das Rauschen des Flusses, während die Strömung sie ergriff und sie von dem lauten Getrampel von Stiefeln davontrug, als Soldaten über die Brücke rannten. »Das Wasser wird uns weit von ihnen wegbringen.«
Veradis erkannte die Logik in diesen Worten, aber seine Hände und Füße waren bereits betäubt von der Kälte. Er bemühte sich zu schwimmen, entfernte sich von Brikan, von Calidus – von den Kadoshim. Der Gedanke traf ihn wie ein Schlag.
Sie bogen um eine Krümmung im Fluss, und die Festung verschwand aus ihrem Blickfeld. Dunkelheit umschlang sie.
Das weiche Grau des Morgens drang bereits durch den Baldachin der Zweige über ihren Köpfen, als Veradis Alcyons Blick erwiderte. Sie verständigten sich wortlos und schwammen beide zum Ufer. Es war schwieriger, gegen die Strömung anzukämpfen, und Veradis bemerkte, wie erschöpft er war. Aber schließlich spürte er Schlamm unter seinen Füßen und hielt sich an den Schilfrohren fest, zog sich aus dem Wasser und ließ sich auf den Rücken fallen. Er keuchte, und seine Gliedmaßen fühlten sich an, als wären sie aus Blei.
Als er sich umdrehte, sah er Alcyon dreißig oder vierzig Schritt flussaufwärts am Ufer. Der Gigant taumelte müde auf ihn zu, bevor er sich mit einem lauten Stöhnen neben ihm zu Boden sinken ließ. Wasser tropfte aus seinem Schnauzbart.
»Danke«, sagte Alcyon.
»Wofür?«
»Für alles. Vor allem jedoch dafür, dass du meiner Familie geholfen hast, aus Brikans Verliesen zu entkommen.«
Seine Frau und sein Kind. Wie lange muss er es noch ertragen, sie nicht sehen zu können? Und wie sehr muss er gelitten haben, weil er wusste, dass sie Calidus’ und Lykos’ Gefangene waren?
»Und dafür, dass du das Abbild zerstört hast, das Calidus von mir hatte«, fuhr Alcyon fort. »Du hast mich befreit.« Er schüttelte sich und lächelte dann. »Ein Schatten ist von meiner Seele gewichen. Ich fühle mich wie neugeboren.«
»Wenn du damit meinst, dass du dich so schwach wie ein neugeborenes Kind fühlst«, murmelte Veradis und kippte das Wasser aus seinem Stiefel, bevor er versuchte, ihn wieder anzuziehen, »dann geht es mir genauso.«
»Das habe ich nicht gemeint«, brummte der Gigant und sah Veradis ernsthaft an. »Du hast Raina und Tain befreit, und du hast mich befreit. Ich schulde dir mehr, als du dir vorstellen kannst.«
»Du schuldest mir gar nichts«, antwortete Veradis. »Ich habe die Abbilder aus einem Impuls heraus ins Feuer getreten. Ich wusste nicht wirklich, was es war oder welche Macht sie über dich hatten.«
»Aber du hast es vermutet?«
»Ja. Fidele hat da etwas gesagt …« Er dachte an Nathairs Mutter und hoffte, dass sie es in die Freiheit geschafft hatte, zusammen mit seinem Bruder Krelis, mit Maquin und Alben. »Und deine Frau und dein Sohn – ich habe sie befreit, weil es das Richtige war. Es gab keine andere Möglichkeit.«
»Oh doch, Treuherz. Die gibt es immer.«
Veradis zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls gibt es zwischen uns beiden keine Schuld, die beglichen werden müsste. Du bist mein Freund.«
Und wie sich herausgestellt hat, habe ich davon nicht allzu viele. Verbittert dachte er an Nathair und die Offenbarungen, die Veradis so erschüttert hatten. Er erinnerte sich an Calidus’ Geständnis, dass Nathair Aquilus getötet hatte, seinen eigenen Vater. Wut und Scham durchströmten ihn. Es hatte so viele Anzeichen gegeben …
Wie konnte ich mich so lange täuschen lassen? Ich bin ein Narr.
»Wie lange?«, fragte Veradis ihn. »Wie lange bist du Calidus’ Gefangener gewesen?«
Alcyons Lächeln erlosch. »Sechzehn Jahre.«
»Das ist eine lange Zeit.«
»Das stimmt.« Alcyon ballte die Fäuste so fest, dass seine Gelenke knackten. »Ich hätte ihn töten sollen.«
»Immerhin haben wir beide es ernsthaft versucht. Ich habe ihm ein Messer in den Bauch gerammt und ihn ins Feuer geschleudert, und du hast seine Brust mit einem Streithammer zerschmettert.«
»Kadoshim sind schwer zu töten.«
»Da kann ich nicht widersprechen. Kann man ihn denn überhaupt töten?«
»Vielleicht, indem man ihm den Kopf abschlägt. Auf diese Art können jedenfalls die anderen Kadoshim getötet werden.«
»Die anderen?«
Alcyon sah die Frage in Veradis’ Augen »Die Jehar … sie sind von den Dämonen besessen, von den Kadoshim. In Murias …«
»Die Jehar.« Veradis schüttelte betreten den Kopf. »Ich war so blind.«
»Du hast deinem König vertraut, deinem Freund.« Alcyon zuckte mit den Schultern. »Es gibt schlimmere Makel.«
Tatsächlich? Ich habe mein Leben einer Lüge geweiht.
Schweigend saßen sie nebeneinander, während ihnen das Wasser aus den Haaren und der Kleidung tropfte.
»Und was jetzt?« Veradis stellte diese Frage sich selbst. »Es fühlt sich an, als hätte ich mein ganzes Leben Nathair und seinem Anliegen verschrieben. Was soll ich jetzt machen?«
Alcyon betrachtete ihn ernst, dann stupste er mit seinem dicken Zeigefinger gegen Veradis’ Brust. »Was sagt dir denn dein Herz?«
»Dem Herz möchte ich nicht trauen. Du siehst ja selbst, wohin es mich bis jetzt geführt hat«, erwiderte Veradis säuerlich.
»Aber jetzt sind dir die Augen geöffnet worden.«
Veradis holte tief Luft. Er war vollkommen erschöpft. »Was würdest du denn an meiner Stelle tun?«, fragte er den Giganten.
»Meine Familie suchen. Meine Raina und Tain.« Er lächelte, als er ihre Namen aussprach.
Familie. Mein Vater ist ermordet worden, ebenso tot wie mein Bruder Ektor. Nur Krelis ist noch übrig. Plötzlich wünschte er sich verzweifelt, seinen älteren Bruder zu sehen.
»Wir suchen unsere Familien«, wiederholte er. »Ein sehr guter Anfang.«
Etwas kreischte, und im nächsten Moment flogen einige Waldtauben aus den Bäumen auf und strichen flügelklatschend über ihre Köpfe hinweg.
»Wir sollten weiter.«
Wir brauchen eine Deckung.
»Ja. Zu den Bäumen«, sagte Veradis, während er aufstand und ein Stöhnen unterdrückte.
Sie hatten die Lichtung zur Hälfte überquert, als Alcyon unvermittelt stehen blieb und zum Ufer zurückblickte.
An einer fernen Biegung des Weges tauchten Gestalten auf. Schatten im Dämmerlicht unter dem Blätterdach des Fornswaldes. Schwarze Schatten mit Krummsäbeln auf dem Rücken.
»Kadoshim«, knurrte Alcyon.
Veradis zählte mindestens sieben. Sie bewegten sich wie ein Rudel Wölfe mit langen Sprüngen schnell vorwärts und hatten sich zwischen dem Ufer und der Baumgrenze zu einem Halbkreis aufgefächert.
Sie jagen uns. Sie müssen die ganze Nacht gerannt und das Flussufer nach unserer Fährte abgesucht haben.
Eine der Gestalten hielt inne, und die anderen kamen neben ihr zum Stehen. Sie hob den Kopf, als wittere sie in der Luft, dann stieß sie ein an- und abschwellendes Heulen aus und sprang weiter. Ihre Schritte wirkten energischer.
Sie haben unsere Witterung aufgenommen.
Furcht durchzuckte Veradis. Er hatte sich Giganten gestellt, Draaken und Kriegerhorden, aber das Wissen, dass die Dämonen der Anderwelt ihn jagten, jagte ihm einen Schauder über den Rücken.
Kadoshim. Calidus’ Sippe. Mein Feind. Er dachte an Calidus, den er für einen Ratgeber und Verbündeten gehalten hatte, und sah vor sich, wie er aus dem Feuer in Brikans Turm getreten war. In Flammen gehüllt und knurrend. Er hat Nathair üble Gedanken eingepflanzt und mich all die Zeit getäuscht. Er ist der Urheber all dieses Bösen.
Furcht verwandelte sich in kalte Wut, und er griff zähnefletschend nach seinem Schwert.
»Beweg dich!«, knurrte Alcyon und rannte los. Veradis zögerte einen Moment und verspürte den unerklärlichen Wunsch, zu bleiben und gegen diese Kreaturen zu kämpfen. Aber Alcyon zog ihn weiter, und einen Herzschlag später waren sie nur noch ein paar Schritte von der Baumgrenze entfernt. Jetzt erst bemerkte er, dass der Gigant unbewaffnet war. Er trug weder Streithammer noch Streitaxt auf dem Rücken und hatte auch kein Schwert umgeschnallt. Nicht einmal ein Dolch steckte in seinem Gürtel. Sie brachen durch die erste Schicht des Unterholzes und tauchten in das Zwielicht einer Welt aus Stacheln und Dornen ein. Alcyon bahnte einen Weg durchs Dickicht und knurrte, wenn Zweige gegen seinen felsartigen Oberkörper schlugen.
Die Dornen peitschten auch auf Veradis ein, während sich gleichzeitig Kletterpflanzen um seine Stiefel schlangen. Sehr lange konnte er nur seinen eigenen Herzschlag, seinen keuchenden Atem und den dumpfen Tritt von Alcyons Füßen hören. Dann vernahm er auch andere Geräusche hinter sich, zuerst schwach, wie Wind, der in den Blättern raschelte. Aber schon bald wurden sie lauter, schrille Schreie, die um sie herum ertönten.
Sie liefen platschend durch einen Strom, und etwas Schlangenartiges glitt unter Veradis’ Füßen dahin. Er stolperte.
»Sie haben uns fast eingeholt«, rief er Alcyon keuchend zu.
Es ist besser, sich umzudrehen und mit einem Schwert in der Hand zu kämpfen, als auf der Flucht zu sterben.
»Ich weiß«, sagte der Gigant und wandte sich schwer atmend um.
Veradis zückte seine Klinge, während sie sich mit dem Rücken an einen riesigen Baum pressten und den Blick auf den kleinen Fluss gerichtet hielten.
Gestalten huschten durch die Dämmerung und tauchten aus einem Vorhang aus Schatten und dichtem Laubwerk auf. Eine war den anderen ein ganzes Stück voraus. Sie trug den dunklen Kettenpanzer der Jehar und hatte bleiche, von dunklen Adern durchzogene Haut. Die Kreatur sah sie, sprang in den Fluss und griff nach Veradis, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, ihr Schwert zu ziehen.
»Denk dran, du musst ihnen die Köpfe abschlagen«, knurrte Alcyon, als er sich von dem Baum abstieß und auf den heranstürmenden Kadoshim warf. Es klang, als würden bei dem Aufprall Knochen brechen, und die beiden stürzten zu Boden.
Veradis sprang vor, hob das Schwert mit beiden Händen und ließ es so schwer auf den Arm des Kadoshim niedersausen, dass dessen abgetrennte Hand in hohem Bogen davonflog. Das Blut, das ihm zäh aus dem Stumpf sickerte, war dunkel wie Öl. Dann rollten die beiden Gestalten über den Boden. Alcyon knurrte vor Schmerz, dann hockte er sich auf die Knie, die Arme um den Oberkörper des Kadoshim geschlungen. Er presste dem Geschöpf die Arme an die Seite.
Die Kreatur warf den Kopf hin und her, und ihre Adern traten hervor, als sie sich zu befreien versuchte. Alcyons Gesicht rötete sich vor Anstrengung, und seine verschränkten Finger lösten sich allmählich.
»Worauf … wartest … du …?«, keuchte der Gigant. Veradis schlug zu und hackte sein Schwert in den Hals der Kreatur. Dunkles Blut spritzte aus dem halb durchtrennten Nacken, und der Kadoshim kreischte vor Wut. Alcyon brüllte wegen der Anstrengung, die es ihn kostete, die Kreatur festzuhalten. Veradis riss sein Schwert heraus und schlug erneut zu.
Der Kopf des Kadoshim flog durch die Luft und landete mit einem Klatschen im Strom. Sein Körper sackte zusammen, und er trommelte mit den Beinen, während Alcyon ihn losließ und sich zur Seite rollte. Ein schwarzer öliger Nebel stieg aus dem Hals des Kadoshim auf, zischte und sammelte sich wirbelnd über der Leiche. Er bildete einen menschlich aussehenden Umriss mit zerfetzten Schwingen aus Rauch, die er weit ausbreitete. In der Mitte glühten rote Augen wie Kohlen. Veradis starrte die Kreatur regungslos an. Sie stieß einen wilden Schrei aus, dann löste sie sich auf und wurde von einem schwachen Wind verweht.
»Was bei allen Dämonen war das?«, keuchte Veradis.
»Runter!«, schrie Alcyon, ehe er vom Boden aufsprang und seine Faust gegen das Kinn eines heranspringenden Kadoshim schmetterte. Die Kreatur überschlug sich und landete im Unterholz. Aber kaum hatte sie den Boden berührt, war sie auch schon wieder hochgeschnellt und drehte sich wie eine Wildkatze in der Luft. Veradis hob das Schwert und spreizte die Beine, um sich gegen den Aufprall zu wappnen. Im nächsten Moment krachte ihm etwas seitlich gegen die Rippen, und er flog durch die Luft. Die Arme eines weiteren Kadoshim schlangen sich um seine Taille. Veradis sah, wie Alcyon von diesen Kreaturen bestürmt wurde, dann krachte er auf den Boden. Schmerz brannte in seiner Schulter, und sein Schwert schlitterte klappernd über den Boden. Er rollte sich herum, schlug auf seinen Angreifer ein und blickte ihm einen Moment lang in die schwarzen seelenlosen Augen, bevor sie gemeinsam in den Fluss rutschten. Er legte dem unter ihm liegenden Kadoshim die Hände um den Hals, drückte zu und versuchte, dieser schwarzäugigen Missgeburt das Leben aus dem Körper zu pressen.
Die Kreatur bockte unter ihm wie ein wilder Hengst und wühlte das Wasser auf, aber Veradis ließ nicht locker. Er spürte, wie die Kräfte des Geschöpfs nachließen, wie seine Lebensenergie zu schwinden begann. Doch dann packten ihn von hinten Hände und zogen ihn zurück. Er musste sein Opfer loslassen, als er ans Ufer gezerrt wurde. Ein anderer Kadoshim stand über ihm und zog sein Schwert aus der Scheide auf dem Rücken. Gleichzeitig tauchte der Kadoshim aus dem Fluss wieder auf.
Veradis rollte sich herum und sah, wie eine Handvoll Angreifer Alcyon umzingelte. Der Gigant war auf ein Knie gesunken und blutete aus einem Dutzend Wunden. Veradis versuchte, durch den Schlamm zu seinem Freund hinüberzukriechen. Alcyon hielt einen Kadoshim umklammert. Mit einer Hand packte er ihn am Kiefer und schlang ihm den anderen Arm um die Brust. Mit einem heftigen Ruck riss Alcyon den Kopf der Kreatur herum. Veradis hörte, wie das Genick des Kadoshim brach, dann das widerliche Geräusch von zerreißender Haut und wie Alcyon trotzig brüllte, während er dem Kadoshim den Kopf von den Schultern riss. Er schleuderte den Leichnam zu Boden, und aus der klaffenden Halswunde der toten Kreatur stieg der Nebel auf.
Einer seiner Gegner zog Veradis das Schwert über den Schenkel. Ein stechender Schmerz zuckte ihm durchs Bein, und er fiel zu Boden. Dabei blickte er zu den beiden Kadoshim am Ufer zurück. Sie gingen ihm nach und spielten mit ihm. Der mit dem Schwert schnitt Veradis in den schützend erhobenen Unterarm. Die Wunde brannte wie Feuer.
»Ich glaube, wir lassen dich eine Weile bluten«, erklärte der Kadoshim höhnisch. »Und zahlen es dir heim, dass wir dich so lange haben verfolgen müssen.«
So sollte es nicht enden. Die Frustration verlieh Veradis neue Kraft. Er rollte sich herum, sprang auf die Füße und richtete sich auf.
Der Kadoshim vor ihm grinste, dann jedoch hielt er inne und neigte den Kopf zur Seite.
Aus der Dämmerung tauchten Gestalten auf. Veradis schöpfte Hoffnung, aber sie wurde sofort enttäuscht, als er die Neuankömmlinge erkannte. Sie trugen schwarze Brustpanzer auf der silberne Adler prangten.
Die Adlerwachen. Zweifellos hatte Nathair sie geschickt, damit sie sich davon überzeugen, dass seine Monster ihre Aufgabe auch erledigen.
Erst waren es zehn Männer, dann zwölf und schließlich fünfzehn. Einer von ihnen war sehr groß und breitschultrig. Veradis blinzelte; die Gestalt kam ihm bekannt vor.
»Willkommen, kleiner Bruder!«, brüllte der Mann und grinste.
Einen Moment lang war Veradis verwirrt, dann jedoch durchströmte ihn Erleichterung.
Krelis!
Im nächsten Moment stürzten sich Krelis und seine Männer auf die Kadoshim. Krelis trennte einer der Kreaturen mit einem gewaltigen Schlag seines Langschwertes den Kopf vom Hals.
Ein anderer Krieger tauchte auf. Er trug nicht die Farben von Tenebral, dafür hielt er in jeder Hand ein Messer. Er trat neben Krelis, und zusammen griffen sie die beiden Kadoshim vor Veradis an.
Maquin. Maquin und Krelis.
NATHAIR
Nathair stand in der Großen Halle von Drassil und starrte auf das Skelett des Giganten auf dem Thron. Die Knochen seines Brustkorbs waren von einem Speer mit sehr dickem Schaft durchbohrt. Das Holz war dunkel und hell geädert. Von dem schwarzen Eisen der Klinge war nur ein kleiner Teil sichtbar. Der Rest steckte in dem Großen Baum von Drassil.
Das ist also Skald, Hochkönig der Giganten, und das hier ist der Sternenstein-Speer. Skald, der Letzte, der ein vereintes Reich regierte, in dem Giganten und Menschen in Frieden zusammenlebten. Werde ich der nächste König sein, der diese zerschmetterte Welt vereint? Das Skelett war von gelbbraunen Flecken überzogen und uralt. In der breiten Stirn klafften schwarze Augenhöhlen, die Nathair fragend anzustarren schienen.
Bist du denn würdig? Bist du fähig dazu?
Er seufzte. Die Geschichte wird über mich richten. Nichts und niemand sonst.
Jemand berührte seine Schulter. Caesus stand vor ihm, dahinter fünf Dutzend Adlerwachen. Nachdem Veradis verschwunden war, hatte der junge Krieger vor kurzem als Erster Hauptmann das Kommando über Nathairs Kriegerhorde übernommen.
Ach Veradis. Bist du tot oder lebst du noch, alter Freund? Es kommt mir nicht richtig vor, dass du nicht hier bist, um diesen großen Sieg mit mir zu feiern. Man hatte ihn über Veradis’ Verrat informiert, über seinen Mordversuch an Calidus und über seine und Alcyons Flucht.
Veradis, wie konntest du deinen Treueeid brechen und mich verlassen? Er blickte auf die weißen Narben auf seinem Handballen. Eine davon war ein Zeichen der Blutsbrüderschaft, die er und Veradis sich auf einem mondbeschienenen Hügel in Tenebral geschworen hatten. Das schien schon ein ganzes Leben her zu sein, und ihm war, als hätten andere Menschen diesen Eid geleistet.
»Mein König«, sagte Caesus. »Calidus fragt nach dir.«
Nathair warf einen letzten Blick auf das Skelett, ehe er sich umdrehte und durch die riesige Kammer ging. Die Toten der Schlacht vom Vortag wurden immer noch weggeschafft. Blut befleckte den Steinboden, und überall waren die Leichen zu stinkenden Haufen aufgeschichtet worden. Es waren Hunderte – Kadoshim, Jehar, Vin Thalun, Adlerwachen, Giganten der Benothi und viele andere. Der Preis für die Eroberung von Drassil war sehr hoch gewesen, viel höher, als er erwartet hatte, wo doch das Überraschungsmoment auf ihrer Seite gewesen war.
Aber Sieg ist Sieg. Die Festung gehört uns, und wir haben unserem Feind das Rückgrat gebrochen. Allerdings waren viele entkommen. Ständig kamen Meldungen von erbitterten Kämpfen, die immer noch vor den Mauern von Drassil ausgefochten wurden.
Im Vorbeigehen sah Nathair nach rechts, zu einer offenen Falltür, die so breit wie die Tore von Jerolin war. Den Stein davor verschandelte ein dunkler Blutfleck.
Meicals Blut.
Der Kopf des Ben-Elim schmückte jetzt einen Speer, den man in den Boden des Innenhofs vor den Toren von Drassil gerammt hatte. Und es war nicht der einzige.
Aber was ist mit Corban, ihrem strahlenden Stern? Wo ist er? Er warf einen misstrauischen Blick in den dunklen Tunnel. Ihm war klar, dass Meical diese Stelle für seinen letzten Kampf gewählt hatte, um Zeit für all jene zu gewinnen, die durch diesen Tunnel geflohen waren.
War Corban einer von ihnen?
Niemand hatte gemeldet, dass Corban während der Schlacht gesehen wurde. Ist er überhaupt hier gewesen?
Es war eine lange Nacht, und Nathair war so erschöpft wie noch nie zuvor in seinem Leben. Hinter ihm erteilte Caesus einen scharfen Befehl, und die Adlerwachen nahmen Nathair schützend in die Mitte.
»Drassil ist noch nicht gesichert«, bemerkte Caesus, als er Nathairs fragenden Blick sah.
Auch auf dem Hof waren noch Spuren von der gestrigen Schlacht zu erkennen. Überall lagen Leichen herum, Fliegen summten, und in der Luft lag der metallische Gestank von Blut. Einen Moment glaubte Nathair, ein Woelvenjunges zu sehen, das am Bein eines toten Kadoshim zerrte, aber als er genauer hinsah, erkannte er einen kleinen Hund mit weißem Fell.
Als sie um eine Ecke bogen, sah Nathair die hohen Außenmauern von Drassil hinter den Steingebäuden, die unter einem Flechtwerk von dicken Ästen lagen.
Das ist ein wahrhaft bemerkenswerter Ort.
Über ihm ragten turmdicke Äste auf, eng umhüllt von Gebäuden aus Stein und Eisen.
Dieses Gebilde sieht fast lebendig aus: Der Baum ist das Knochengerüst und die Festung das Fleisch darauf.
Das schabende Geräusch einer Klinge, die aus der Scheide fuhr, erregte seine Aufmerksamkeit, und er sah einen schwarz gekleideten Krieger, der sich aus dem Schatten eines Durchgangs stürzte. Caesus schrie, als noch mehr dunkle Gestalten auftauchten. Eisen schimmerte. Die Adlerwache reagierte. Mit einem Knall schlossen sich die Schilder zu einem undurchdringlichen Panzer, der ihm die Sicht raubte.
Blut spritzte auf Nathairs Gesicht, als vor ihm eine Adlerwache zusammenbrach. Ein schwarz gekleideter Jehar glitt durch die Lücke im Schutzwall und stürzte sich auf Nathair.
Nathair zog sein eigenes Schwert. Furcht und Wut, seine ständigen Begleiter, flammten in ihm auf. Die Schreie und der Kampflärm ebbten ab, und seine Welt bestand ausschließlich aus dem Krieger der Jehar vor ihm. Es war eine Frau. Ihr dunkles Gesicht mit den prominenten Knochen wirkte fast zerbrechlich.
»Wahrheit und Mut!«, schrie sie und hob ihr Krummschwert.
Funken stoben, als ihre Waffen aufeinanderprallten. Die Wucht des Schlags der Kriegerin schmerzte in seinem Handgelenk und erschütterte seinen Arm bis in die Schulter.
Nathair wusste, dass er so gut wie tot wäre, wenn er zurückwich, und griff sie an. Er versuchte, ihre Deckung zu durchbrechen und in den Nahkampf zu gehen, bei dem sein Kurzschwert ihrer längeren Klinge überlegen war. Sie prallten aufeinander und verhedderten sich, als sie zu Boden krachten. Sie rangen, schlugen, traten und bissen, während sie über die gepflasterte Straße rollten. Derweil tobte der Kampf um sie herum weiter.
Die Jehar streifte ihn mit einem Schlag, bei dem ihm alles vor den Augen verschwamm. Dann rammte sie ihm ein Knie in die Lenden, und er sackte zusammen, als der Schmerz in heftigen Wellen durch ihn hindurchströmte und ihm jede Kraft nahm. Sie löste sich von ihm und erhob sich, während er hustend auf dem kalten Stein lag und ebenfalls versuchte, sich aufzurichten. Er wusste, dass er sterben würde, wenn es ihm nicht gelang.
Furcht und Wut loderten in ihm auf und erfüllten ihn mit neuer Energie.
Das hier wird nicht mein Ende sein.
Mit erhobenem Schwert und triumphierend leuchtenden Augen stand die Jehar über ihm.
Dann krachte jemand gegen sie und schleuderte sie zu Boden. Sie versuchte, sich aufzurappeln, aber ein Stiefeltritt erwischte sie am Kinn und schickte sie erneut zu Boden. Die Gestalt des Neuankömmlings war irgendwie verschwommen, und eine summende Wolke wirbelte um sie herum. Hände packten ihn und zogen ihn hoch, Caesus’ besorgtes Gesicht tauchte vor ihm auf. Dem Hauptmann lief das Blut aus einer großen Schnittwunde auf der Stirn über das Gesicht. Nathair blickte an ihm vorbei und sah, wie sein Retter ein Schwert aus der Scheide auf seinem Rücken zog und es über die bewusstlose Jehar hob.
Ein Kadoshim.
»Nein!«, rief Nathair. Die Kreatur drehte den Kopf in seine Richtung, und die summende Wolke teilte sich.
Fliegen! Jetzt erkannte Nathair den Kadoshim. »Nein, Legion. Ich will sie lebendig.«
Der Kadoshim betrachtete ihn einen Moment mit seinen kalten schwarzen Augen.
»Besser tot«, sagte die Kreatur.
»Ich will sie lebendig!«, fuhr Nathair sie an. »Calidus hat vielleicht Fragen an sie!«
»Dann danach Tod«, antwortete der Kadoshim und schob das Schwert in die Scheide zurück. »Calidus will dich sehen.« Die Haut auf seinem Gesicht und seinem Hals wölbte sich, als wäre etwas in ihm eingeschlossen, was unbedingt herauswollte.
Um sie herum schien die Schlacht fast vorüber zu sein.
Nathair ließ den Blick über die Straße schweifen. Die fünf oder sechs Angreifer der Jehar waren zwar tot, aber sie hatten fast zwei Dutzend seiner Adlerwachen mit ins Grab genommen.
»Dieser Teil von Drassil sollte eigentlich gesichert sein!«, schnarrte er. »Wie sind sie hier hereingekommen?« Er warf einen Blick auf die bewusstlose Gestalt der Jehar, die zu Füßen von Legion lag.
»Nehmt sie mit!«, befahl Nathair, ehe er davonmarschierte.
Als Nathair den Hof vor Drassils Toren betrat, hörte er ein dumpfes Grollen aus einer der vielen Stallungen, die den Hof säumten. Er warf einen liebevollen Blick auf die Türen, hinter denen sein Draaken war.
Calidus stand vor den geschlossenen Toren von Drassil. Rechts und links neben ihm hatte man einen Wald von Speeren in den Boden gerammt, von denen die meisten mit einem Kopf dekoriert waren. Eine Handvoll Krieger der Vin Thalun war gerade dabei, neue Speere in den Boden zu pflanzen, während hinter ihnen Kadoshim durch den Schatten des Hofs schlichen. Vor Calidus kniete eine zerlumpte Gruppe von Leuten, die an Handgelenken und Knöcheln gebunden waren; über dreihundert Gefangene von der gestrigen Schlacht. Adlerwachen standen über ihnen auf Drassils Mauern.
Meine Krieger.
Von den Truppen, die Drassil erstürmt hatten, waren sie die diszipliniertesten. Die Kadoshim und viele von Lykos’ Vin Thalun machten angeblich vor Drassils Mauern Jagd auf ihre verstreuten Feinde, aber Nathair vermutete, dass die meisten von ihnen die Festung durchstreiften, plünderten und sich betranken.
Die Kadoshim machen noch ganz andere Dinge, zum Beispiel fressen sie ihre Opfer …
Lykos stand hinter Calidus. Ein Dutzend Vin Thalun umringten ihn. Harte Männer mit muskulösen Körpern, wettergegerbter Haut und vielen Narben. Lykos hob einen Wasserschlauch an den Mund und nahm einen großen Schluck.
Ich könnte darauf wetten, dass in dem Schlauch kein Wasser ist.
Der Vin Thalun sah ihn und nickte grüßend. Nathair verbarg seinen Ekel.
Er und meine Mutter …
»Ah, Nathair«, sagte Calidus. Als er das Blut auf Nathairs Gesicht sah, hob er fragend eine Braue, doch dann fiel sein Blick auf Legion, der die Jehar an den Füßen über den Hof zerrte.
»Calidus.« Nathair nickte. Sein alter Ratgeber sah alles andere als gut aus. Ein Teil seines Gesichts war pechschwarz verbrannt, die Haut schälte sich ab, und sein silbernes Haar bedeckte nur noch an einigen Stellen seinen Kopf. Der Rest bestand aus versengten Stoppeln oder war vollkommen verbrannt.
»Wie es aussieht, sind die Straßen von Drassil noch nicht komplett von unseren Feinden gesäubert«, erklärte Nathair gereizt, als Legion die Jehar-Kriegerin vor Calidus fallen ließ und sie an der Schulter festhielt, während sie sich stöhnend auf die Knie hochstemmte.
»Wie ist dein Name, Kind?« Calidus betrachtete sie mit kaltem Blick.
Sie spuckte Blut vor Calidus’ Füße und sah ihn finster an. »Ilta«, antwortete sie. »Und ich bin kein Kind.«
»Wohlan, Ilta, ich stelle dir dieselbe Frage, die ich eben deinen Kameraden gestellt habe. Wo ist Corban?«
»Du wirst ihn noch früh genug sehen«, sagte eine der Gefangenen. »Er wird schon bald zu dir kommen.«
»Und dann«, Ilta blickte von Calidus zu Nathair und dann zu Lykos, »wird er euch alle töten.«
»Er ist nur ein Junge, eine Marionette. Euer wahrer Meister wurde bereits getötet.« Calidus deutete ärgerlich mit der Hand auf Meicals Kopf.
»Da irrst du dich«, widersprach Ilta. »Corban ist unser Lord. Er hat deinen besten Kämpfer, Sumur, im Zweikampf getötet. Wir haben es alle mit angesehen. Und dasselbe wird er mit dir machen.«
»Sumur?« Calidus runzelte die Stirn. »Ich habe gesehen, dass sein Kopf euer Tor schmückt …«
»Corban hat ihn getötet!«, rief jemand. Die Stimme kam Nathair vage bekannt vor. Eine der Gefangenen richtete sich auf. Das schwarze Haar hing der jungen Frau schlaff ums Gesicht. »Er hat Sumur den Kopf abgeschlagen, und er wird sich deinen auch holen!«
Ah, Cywen.
»Nichts wäre mir lieber, als wenn er käme und es versuchte«, sagte Calidus seufzend.Seine Miene war spöttisch, allerdings bemerkte Nathair noch einen anderen Ausdruck in seinen Augen. Zweifel?
»Aber bis jetzt scheint er keine Lust dazu zu haben«, fuhr Calidus fort. »Vielleicht sollten wir ihm eine Botschaft schicken, damit er etwas schneller zu uns kommt.« Er sah den Kadoshim an. »Legion, such dir einen Gefangenen aus und spieß ihn auf einen Speer«, befahl er.
Legion schnappte sich Cywen, die sich gegen seinen Griff wehrte, und zerrte sie zu einem Speer.
»Die nicht.« Calidus winkte mit der Hand.
Legion packte einen anderen Gefangenen. Seinem Aussehen nach war es ein Gefolgsmann von Isiltir. Der Kadoshim hob ihn mühelos hoch und setzte ihn dann langsam auf den aufrecht im Boden steckenden Speer.
Der Mann begann zu schreien.
Als der Kadoshim mit ihm fertig war, sah der Gefangene wie ein Eichhörnchen am Spieß aus, das gegrillt werden sollte. Wie von Sinnen brüllend, wand er sich auf dem Speer, während das Blut unter seinen Füßen eine Lache bildete. Nathair widerstand dem Drang, sich die Ohren zuzuhalten.
»Hoch mit dir!«, sagte Calidus zu Ilta. »Geh und erzähle Corban, was mit seinen Anhängern passiert. Schildere ihm genau, was ich hier tue. Und sage ihm, dass ich nicht aufhören werde, bis er sich mir stellt.«
Legion stieß die Jehar an, und sie stolperte vorwärts, während rumpelnd die Torflügel aufschwangen. Sie warf einen Blick zurück und rannte los. Das Tor schlug hinter ihr wieder zu.
Calidus rief einen Befehl, und die restlichen Gefangenen wurden abgeführt. Cywen sah Nathair durchdringend an, als sie in der Reihe an ihm vorbeiging. Der Hass strömte ihr aus allen Poren.
»Wir müssen uns unterhalten«, sagte Calidus zu Nathair und Lykos. »Zum Sonnenzenit in der Großen Halle.« Damit ging er davon.
Lykos hob eine Braue und hielt Nathair den Wasserschlauch hin. Ohne nachzudenken, nahm Nathair ihn und trank. Dann hustete er, weil er sich an dem Inhalt fast verschluckt hätte.
»Ist das …?«
»Met, ganz recht«, beendete Lykos den Satz für ihn. »Ich habe ein Dutzend Karren mit vollen Fässern von diesem Zeug gefunden.«
Nathair reichte ihm den Schlauch zurück, und Lykos lachte leise in sich hinein, während er, gefolgt von seinen Vin Thalun, davonging.
Nathair nahm die breite Treppe, über die man auf Drassils Mauern gelangte, und stieg bis ganz nach oben. Über den großen Toren blieb er stehen und blickte auf die Welt jenseits der Mauern. Am Himmel stand keine Wolke, und die Sonne beschien die breite Ebene um die Festung herum. Sie erstreckte sich bis zum Saum des Fornswaldes, wo er Ilta gerade noch zwischen den hohen Bäumen verschwinden sah. Hinter sich hörte er die Schritte von Caesus und seiner Adlerwache. Sie blieben in respektvollem Abstand von ihm stehen.
Hier oben waren die Schreie der Aufgespießten im Hof weit weniger deutlich zu hören und klangen nur noch wie erbärmliches Gewinsel. Er wünschte sich, er würde einfach sterben.
Wie bin ich bloß zu so jemandem geworden? Aber es dient dem größeren Ziel. Wenn ich den Krieg gewinnen will, muss Corban sterben. Wenn ich den Verfemten Landen Frieden bringen will, muss Corban sterben. Seine Entschlossenheit kehrte zurück, aber die Schreie der Menschen klangen ihm immer noch in den Ohren, erinnerten ihn an andere Schlachten, an andere Tote. Alles im Namen dieses höheren Zieles.
Und jetzt folge ich dem Pfad der Kadoshim, dem Pfad der Dämonen, dem Weg von Asroth selbst.
Er erinnerte sich an Calidus’ Worte in Murias, die damals so überzeugend geklungen hatten. Als er Calidus zugehört hatte, war ihm alles so logisch erschienen. All diese Allianzen hatten einen Sinn ergeben, ebenso wie die Lügen. Eine Täuschung wurde an die andere gereiht, bis sie sich zu einer endlosen Kette auffädelten.
Aber die Wahrheit ist einfacher, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf.
In seinem Innersten wusste er es. Es war alles viel einfacher, wenn man hinter die Dinge blickte. Hinter Calidus’ überzeugende Argumente und die philosophischen Diskurse über Gut und Schlecht, Richtig und Falsch. Hinter die schwammige Bedeutung seiner wohlfeilen Worte. Hinter die Politik, die Machtkämpfe und die Diskussion, wem was zustand. Die ehrliche Antwort war sehr viel einfacher als jede dieser komplizierten Debatten, und nach seinem kurzen Kampf mit der Jehar-Kriegerin besaß sie noch mehr Gültigkeit als zuvor:
Ich will nicht verlieren.
CORALEEN
Coraleen saß mit dem Rücken an einen Baum gelehnt und starrte in die Dämmerung des Fornswaldes. Gedankenverloren ließ sie ein Messer zwischen den Fingern kreisen. Hinter ihr lagen die schlafenden Gestalten von etwa sechzig Überlebenden, mit denen sie aus Drassil geflüchtet war; unter ihnen auch Brina. Ihr graues Haar lugte unter ihrem Umhang hervor. Neben ihr lagen die großen Gestalten von Farrell und Laith dicht aneinandergeschmiegt. Sie sah den Jehar Akar, der auf der anderen Seite ihres Lagers Wache hielt. Sie war vollkommen erschöpft, und in vielerlei Hinsicht wäre es wunderbar gewesen, sich dem Schlaf hinzugeben. Aber das konnte sie nicht. Ihre Gedanken überschlugen sich, in einem Wirbelwind aus Trauer, Furcht und Wut, während vor ihrem geistigen Auge Erinnerungsfetzen an den Vortag vorüberzogen. Ein Gedanke jedoch tauchte immer wieder auf.
Wo ist Corban?
Erneut setzte ihr die Müdigkeit zu, wollte sie überwältigen, aber sie wusste, dass sie nicht schlafen würde. Dazu waren der Schock und das Entsetzen über die gestrige Schlacht noch zu frisch.
Sie hörte leise Schritte hinter sich, dann trat jemand neben sie.
Ghar.
Der Lord der Jehar sah sie an. Sein ansonsten so undurchdringliches Gesicht war von Sorgenfalten durchfurcht. Er hatte ein dunkles, mit Blut besudeltes Kettenhemd an. Auf dem Rücken trug er einen Krummsäbel, und in seinem Gürtel steckte eine Wurfaxt. Nicht mal er war unverletzt. Seine Stirn war mit einem blutigen Verband umwickelt.
»Sturm ist bei ihm«, sagte Ghar, als könnte er ihre Gedanken lesen.
Anscheinend kann ich sie ebenso wenig verbergen wie er die seinen.
Sturm.
Diese Vorstellung tröstete sie. Coraleen wusste, dass die Woelven ein besserer Wächter war als ein Dutzend Schildwachen. Trotzdem …
»Wir werden ihn finden«, versicherte ihr Ghar.
Coraleen hatte Sturms Pfotenabdrücke im Tunnel entdeckt, weshalb sie ihn an dieser Stelle verlassen hatte. Nach kurzer Suche hatte sie noch mehr Spuren gefunden, die zum Kamm der Anhöhe geführt hatten. Aber dann war es dunkel geworden, und ganz gleich, wie frustrierend es auch sein mochte, es war sinnlos, in der Finsternis herumzustolpern.
Aber wo kann Corban sein? Er muss doch den Schlachtenlärm aus Drassil gehört haben, selbst wenn er so weit von der Festung entfernt gewesen ist.
Unvermittelt kam ihr etwas in den Sinn, was sie schon die ganze Nacht hindurch zu ignorieren versuchte.
Was, wenn er tot ist? Denn was sonst hätte ihn davon abhalten können, nach Drassil zurückzukehren? Furcht breitete sich in ihrem Bauch aus, aber sie weigerte sich, weiter darüber nachzudenken. Er lebt. Er muss leben.
Sie nickte. Als sie aufstand und das Messer in die Scheide zurückschob, machten sich all die kleinen Schnitte, Prellungen und Zerrungen bemerkbar. Die Schmerzen schienen miteinander um ihre Aufmerksamkeit zu konkurrieren, doch sie ignorierte sie alle und sah Ghar an. »Wir müssen weiter.« »Ja«, stimmte Ghar ihr zu. Er starrte weiter auf die Falltür. »Ich hatte gehofft, dass Meical uns finden würde. Dass er entkommen ist …«
Coraleen erinnerte sich an ihren letzten Blick auf den Ben-Elim, wie er breitbeinig in Drassils Großer Halle stand und mit beidhändig geführtem Schwert ihren Rückzug in den dunklen Tunnel deckte. Eine Wolke aus Blut hatte ihn umgeben, während er seine Klinge in tödlichen Bögen schwang und den Feind zurückhielt. Er hatte sie beschützt und ihnen Zeit zur Flucht verschafft.
»Er wäre längst gekommen. Wenn er es gekonnt hätte«, erwiderte Coraleen.
Ghar seufzte und nickte.
Coraleen neigte lauschend den Kopf zur Seite und blickte den Hügel hinab. Etwas bewegte sich durch das Unterholz, kam auf die Falltür zu.
Ghar sah es ebenfalls. Ohne ein weiteres Wort trennten sich die beiden und verschwanden im Schatten, während sie lautlos den Eindringling umgingen.
Das Buschwerk raschelte, ein Zweig knackte, und Coraleen erhaschte einen Blick auf dunkles Haar. Sie wusste, dass er es nicht sein konnte. So ungeschickt ist nicht einmal er.
Eine Gestalt tauchte aus dem Buschwerk auf. Ein junger Mann in Leder und Wolle. Sein dunkles Haar war zerzaust, und auf seiner Stirn klaffte eine eitrige Schnittwunde. Er erschrak, als er Coraleen sah, und griff hastig nach einer Waffe an seinem Gürtel.
»Ich kenne dich«, sagte Coraleen. Allerdings konnte sie sich nicht an seinen Namen erinnern.
»Dein Vater ist Atilius.« Atilius, ein ehemaliger Rudersklave auf einer Galeere der Vin Thalun, war ein fähiger und bescheidener Krieger gewesen.
Der Junge nickte, und seine Lippen zitterten.
»Pax, was machst du hier?« Ghar trat lautlos aus dem Schatten heraus. Der junge Krieger zuckte erneut zusammen.
»Ihr müsst mitkommen, schnell!«, stammelte Pax. »Mein Pa, Corban, Giganten …«
»Corban?«, zischte Coraleen.
»Ja, wir müssen gehen.« Jetzt liefen Pax Tränen über die Wangen und zogen eine Spur durch das Blut und den Schmutz. »Er ist tot.«
Coraleen erstarrte und hatte das Gefühl, eine Faust hielte ihr Herz gepackt. »Ich bin weggelaufen«, sagte Pax. Er begann zu zittern, ein unwillkürliches Zucken, das immer heftiger wurde.
»Wo ist Corban?«, fragte Coraleen und versuchte, ihre Panik in den Griff zu bekommen. Sie packte den schluchzenden Jungen und schüttelte ihn heftig.
»Genug.« Ghar legte ihr eine Hand auf den Arm. »Pax, du musst uns alles erzählen, so klar und deutlich, wie du kannst. Wo sind Corban und dein Pa? Was ist passiert?«
Einige ihrer Gefährten kamen jetzt ebenfalls den Hügel herunter. Coraleen erkannte Dath und Kulla, eine Handvoll Jehar und hinter ihnen Laiths große Gestalt.
»Wir hörten Kämpfe und wussten, dass Corban da draußen war«, begann Pax stockend. »Wir haben ihn gefunden. Er kämpfte gegen Giganten und Bären.«
Was? Aber Nathair hatte vor Drassil keine Giganten bei sich!
»Pa hat einen Speer auf einen Giganten geschleudert. Dann sind wir alle weggelaufen. Wir dachten, wir hätten sie abgeschüttelt … Aber dann …«
»Sprich weiter«, sagte Ghar. Die ganze Gruppe hatte sich jetzt um sie versammelt und hörte schweigend zu.
»Sie kamen aus dem Nichts. Mein Pa …« Er rieb sich die Augen und atmete stöhnend aus. »Sie haben meinen Pa getötet. Corban hat mir befohlen wegzulaufen und Hilfe zu holen.«
»Wann ist das passiert?« Ghars Stimme klang gepresst.
»Gestern. Zwischen Sonnenzenit und Sonnenuntergang.« Pax’ Gesicht war bleich geworden, während er redete. Inzwischen sah er aus wie eine Leiche. »Ich bin weggelaufen. Dabei bin ich hingefallen und habe mir den Kopf gestoßen.« Er berührte unwillkürlich die Platzwunde an seiner Stirn. »Als ich zu mir gekommen bin, war es dunkel. Seitdem habe ich versucht, den Weg hierher zu finden.«
»Bring uns dorthin, sofort«, befahl Ghar.
»Ich versuche es.« Pax nickte. »Eine Weile hatte ich mich verirrt, aber ich weiß, in welche Richtung wir gehen müssen.«
Ghar stieß ein paar Befehle hervor, dann brachen sie auf. Coraleen übernahm gemeinsam mit Pax die Führung, während Ghar neben dem Jungen herlief und ihm helfend die Hand auf den Arm legte.
Corban und Sturm haben allein gegen Giganten gekämpft. Gestern. Sie schickte ein stummes Gebet zu Elyon, eines von vielen während des letzten halben Tages.
Lass sie noch am Leben sein.
Coraleen erreichte die Lichtung als Erste. An ihrem gegenüberliegenden Ende erhob sich ein schroffer Absatz, und sie hörten dahinter das Geräusch eines reißenden Flusses. Sie nahm sofort den Geruch wahr, den metallischen Gestank von Blut und Verwesung. Tod. Fliegen summten in großen Wolken um die Leichen herum, die auf dem Boden lagen. Es waren drei Giganten und Atilius, der mit einer riesigen Axt an eine große Eiche genagelt worden war. Corban oder Sturm konnte sie nicht sehen. Sie lief zu dem ersten Giganten, der auf dem Rücken lag. In seinem Bauch war ein Loch, und man hatte ihm die Kehle herausgerissen. Sein Handgelenk zeigte die verräterischen Spuren eines Woelvenbisses. Coraleen ging weiter und bemerkte nur am Rande, dass die anderen hinter ihr ebenfalls auf die Lichtung traten. Sie hörte Pax schluchzen, als er vor seinem Pa auf die Knie fiel, und spürte, dass Ghar neben ihr war. Die beiden anderen Giganten lagen dicht beieinander. Der aufgewühlte Boden war immer noch dunkel und klebrig von Blut. Einem hatte Sturm die Kehle herausgerissen. Der Wundrand war zerfetzt und ausgefranst.
Er ist nicht hier und Sturm auch nicht. Sie fühlte die Erleichterung im ganzen Körper, obwohl sie wusste, dass sie nicht in Sicherheit sein mussten, nur weil sie nicht hier waren. Sie mussten nicht einmal am Leben sein, aber es war klar, dass sie hier gekämpft und gesiegt hatten. Sie haben drei Giganten getötet, dachte sie mit unwillkürlichem Stolz. Sie wusste, dass man diese Geschichte noch in dieser Nacht am Lagerfeuer erzählen würde und dass sie bald eine der vielen Legenden sein würde, die sich mittlerweile um Corban und seine Woelvengefährtin woben.
Der andere Gigant lag auf dem Bauch. Begleitet vom wütenden Summen der Fliegen versuchten Ghar und Coraleen, ihn umzudrehen, doch der tote Krieger war schwer wie ein Felsbrocken. Farrell und Laith halfen ihnen, und zusammen gelang es ihnen, die Leiche auf den Rücken zu rollen. Dabei breitete sich der Gestank von Verwesung und Fäulnis wie eine Wolke aus.
»Er gehört zum Clan der Jotun!«, stieß Laith hervor, als sie sich aufrichteten und den toten Giganten anstarrten.
Was machen die hier?
Coraleen sah Eisen und Leder aus dem geronnenen Blut herausragen. Sie bückte sich und packte den Griff des Schwertes, das im Schenkel des Giganten steckte. Die Klinge war bis zu den Lenden in seinem Fleisch vergraben. Nachdem Coraleen das Schwert mit einem saugenden Geräusch aus der Wunde gezogen hatte, hielt sie es hoch, damit alle die Waffe sehen konnten. Der Knauf war einer heulenden Woelven nachempfunden. Die Erleichterung, die sie eben noch gespürt hatte, verflog und wich einer bedrückenden Furcht.
»Das ist Bans Schwert«, stellte Dath fest, der mit Kulla zu ihnen trat.
Coraleen starrte sie einen Moment an, und plötzlich empfand sie Mitleid mit ihnen.
Sie sind vor nicht einmal zwei Nächten getraut worden.
Ghar nahm ihr das Schwert ab und betrachtete es. »Ich war dabei, als Bans Pa ihm diese Klinge gegeben hat.«
»Auf dem Eschengrund in Dun Carreg«, sagte Farrell. »Ich kann mich auch noch daran erinnern.«
»Ich auch«, murmelte Dath.
Coraleen wandte sich ab und suchte den Boden nach irgendeinem weiteren Zeichen ab.
Er ist nicht hier. Und Sturm ist nicht hier. Sie sind entkommen, konnten aber nicht nach Drassil zurückkommen. Warum nicht?
Brina kniete neben dem Giganten. Die alte Heilerin hielt eine Phiole in einer Hand und ein Messer in der anderen. Damit kratzte sie Blut von dem niedergetrampelten Gras. Eine Seite von Brinas Gesicht war immer noch gerötet, versengt von der Explosion, mit der sie am Vortag die Kammer in Drassil erschüttert hatte.
Welche Erkenntnisse sich Brina auch immer vom Blut des Giganten versprach, sie konnte sich gern davon bedienen. Als Coraleen den Rest der Lichtung absuchte, fiel ihr Blick auf eine Stelle im zertrampeltem Gras, die mit Blut bespritzt war. Sie befand sich am Rand der Lichtung und führte zu dem steilen Abhang vor dem Fluss.
Als wäre etwas hierher geschleppt worden.
Sie folgte den Spuren und ging in die Hocke, um zum Fluss hinabzublicken. Weiter unten sah sie einen dunklen Fleck auf einem Felsen.
Blut.
»Sie sind in den Fluss gesprungen!«, rief sie. Ghar war als Erster bei ihr. Er sah die Spuren ebenfalls und packte sie am Handgelenk.
»Wir folgen ihnen«, sagte er.
Coraleen lief voran über den Kamm, der dem Flusslauf folgte. Während ihr Blick ständig zwischen dem Weg, dem sie folgte und dem Flussufer hin- und herging, wich sie dicken Bäumen und undurchdringlicher Vegetation aus.
Hinter einer scharfen Biegung des Pfades entdeckte sie eine Gestalt auf der Grasböschung. Das Fell war verfilzt und blutbefleckt. Coraleen blieb fast das Herz stehen.
Sturm.
Sie blieb auf dem Kamm über der Woelven stehen und bemerkte die großen Stiefelabdrücke im Gras. Dann kletterte sie über den Rand der Böschung, so hastig, dass sie Sand und Steinchen aufwirbelte, und ließ sich, Wurzeln und Kletterpflanzen umklammernd, zum Flussufer hinab.
Sturm lag regungslos da. Ihr gesamtes Fell war blutverschmiert, und oberhalb ihrer Schulter klaffte eine riesige Wunde.
Coraleen hockte sich hin und hatte Angst, sie zu berühren, weil sie nicht bestätigt wissen wollte, was sie zu sehen glaubte.
Sie unterdrückte die Tränen und erinnerte sich daran, wie sie Sturm zum ersten Mal begegnet war. Damals hatte sie gedroht, die Woelven in einen Umhang zu verwandeln. Bereits da hatte sie das Band wahrgenommen, das zwischen Corban und seinem treuen und wachsamen Schatten bestand. Und seither hatte sie selbst eine Beziehung zu der Woelven entwickelt, die für sie eher eine Schwertschwester als ein Tier war.
Als Ghar neben ihr auftauchte, streckte sie zögernd die Hand aus und legte sie auf Sturms Körper. Sie fühlte nichts.
Nein. Bitte, Elyon im Himmel.
Mit zusammengepressten Augen drückte sie die flache Hand noch fester auf Sturms mächtigen Brustkorb. Sie wollte die Bewegung von Leben spüren, einen Atemzug, das Pumpen von Sturms Herz. Doch mit jedem Moment, der verstrich, erlosch ihre Hoffnung mehr und mehr, während sich Trostlosigkeit wie Tinte in Wasser in ihr ausbreitete.
Dann spürte sie es.
Ein Flackern, ein Herzschlag, tief in der Höhle von Sturms breiter Brust. Coraleen öffnete die Augen und sah, wie Sturm sie mit ihren gelben Augen betrachtete. Die Woelven winselte, ein schwaches, klägliches Geräusch, das aber trotzdem Freude in Coraleen auslöste. Und Sturm klopfte matt mit ihrem Schwanz auf die weiche Erde.
CORBAN
Corban ging durch eine graue Welt und merkte kaum, dass er neben einem breiten dunklen Fluss dahintaumelte. Etwas platschte, und Wellen kräuselten sich, ein Hinweis darauf, dass sich etwas Großes, Schlangenartiges in den Fluten bewegte. Über ihm drängten sich dunkle Wolken. In ihrem Inneren zuckten Blitze, und schwarze Schatten flogen hindurch, an denen gelegentlich Kettenpanzer und Eisen aufleuchteten.
Das ist die Anderwelt.
Sein Knie pochte vor Schmerz, und jeder Atemzug verursachte einen Stich in seiner Brust. Er richtete den Blick auf den Boden vor sich und konzentrierte sich auf jeden Schritt. In der Anderwelt hatte es bisher stets etwas gegeben, was ihn beruhigte, eine Gelassenheit, die sich in ihm ausbreitete, die ihm Kraft und Hoffnung gab. Diesmal jedoch war es anders. Die friedliche Stimmung wirkte irgendwie scheinheilig, falsch. Etwas lauerte am Rand seines Bewusstseins und wollte unbedingt aus seiner Erinnerung geholt werden.
Als er das nächste Mal aufsah, stürzte der Fluss rauschend in ein Tal. Hohe und abweisende Klippen säumten ihn, und ein Stück voraus mündete er in einen See. Je tiefer er in das Tal hineinging, desto leuchtender wurden die Farben, die die Landschaft erfüllten. Das Gras wurde grüner, der Fluss blauer, als zögen sie ihre Farben aus den Steinen darunter.
Ich kenne diesen Ort. Hier bin ich schon einmal gewesen.
Das grüne Tal und der tiefblaue See. Wellen schwappten sanft ans Ufer. Ein Geräusch in der Mitte des Sees erregte Corbans Aufmerksamkeit. Ein Platschen und sich kräuselnde Wellen, als wäre ein Stein ins Wasser geworfen worden. Eine Erinnerung nagte an ihm, und sein Blick glitt wieder zurück zum Seeufer, suchte nach etwas und schließlich sah er es – den rotblättrigen Ahorn, unter dem er einmal gesessen hatte. Ohne nachzudenken, ging er dorthin und ließ sich erneut mit dem Rücken am Stamm zu Boden sinken. Alles war ruhig, kein Windhauch störte das Gras oder die Blätter, keine Insekten summten. Die Stille war bedrückend. Plötzlich hörte er hoch über sich Flügelschlagen, das Geräusch erinnerte ihn an ein pochendes Herz. Er blickte durch das Gewirr aus Blättern und Zweigen und sah eine Gestalt, die sich vor den Wolken abhob. Sie war menschenähnlich, hielt einen Speer in einer Hand und wurde von breiten weißen Schwingen durch die Luft getragen.
Die Ben-Elim. Meical.
Meical …
Dann überkam ihn die Erinnerung wie eine Lawine.
Meical, wie er in der Großen Halle von Drassil stand und Corban von der Täuschung der Ben-Elim erzählte. Ihm sagte, dass die Prophezeiung nichts anderes gewesen sei als eine Strategie, ein Trick, um Asroth zum Handeln zu zwingen, um Calidus und die Kadoshim nach Drassil zu locken. Das Geständnis, dass der Strahlende Stern und die Schwarze Sonne nur eine Erfindung gewesen seien, ersonnen, um Asroth in seiner eigenen Falle zu fangen. Das mochte in dem großen Krieg zwischen den Ben-Elim und den Kadoshim, den Getreuen und den Gefallenen ja vielleicht als passable Strategie gelten. Nur spielten sie mit dem Leben von Menschen wie mit Bauern auf einem Spielbrett.
Das Leben meines Pas. Meiner Mam. Das Leben von so vielen anderen.
Erneut brandete Wut in ihm auf, getränkt von dem Verrat, als er sich an Meicals Geständnis erinnerte. Er wusste noch, dass er dem Drang widerstanden hatte, Meical zu schlagen, und von ihm fortgegangen war, weil er wusste, dass er seine Wut kaum noch kontrollieren konnte. Am Ende hatte er lange Zeit auf einem Hügel im Wald gehockt und darüber nachgedacht, was Meicals Worte für die Zukunft bedeuteten.
Dann waren die Giganten der Jotun gekommen. Ildaer, ihr Kriegshäuptling, der Tukul getötet hatte, Ghars Vater.
Bilder zuckten durch seinen Verstand. Ein sich aufbäumender Bär, aus dessen roter Schnauze Speichel flog. Wie er rannte, wie ihm die Blätter ins Gesicht schlugen, das donnernde Geräusch, als der Bär ihn verfolgte. Die Wunden an seinem Knie und an seiner Brust, ein Speer, der Sturm durchbohrte, ein Fluss, eiskaltes Wasser. Sturms Heulen, als die Giganten sie von ihm wegrissen.
Sturm.
Schmerz breitete sich in Corbans Brust aus.
Er konnte nicht atmen; seine Trauer war ein körperliches Leiden, das ihm den Atem nahm. Er taumelte zum See und fiel am Ufer auf die Knie. Dabei überfielen ihn in einer unaufhaltsamen Welle weitere Erinnerungen – an Drassil, das heftige Schmettern der Hörner und den Schlachtenlärm, der zu ihm herübergeweht war. Bilder von seinen Liebsten verschwammen ihm vor den Augen: Coraleen, Ghar, Cywen, Dath und Farrell, Brina, all die anderen.
Leben sie noch? Wer hat Drassil angegriffen?
Undeutlich nahm er eine Bewegung wahr. Das Wasser des Sees vor ihm veränderte sich, schäumte, und etwas erhob sich aus der Tiefe. Eine Gestalt tauchte auf. Das Wasser strömte an ihr herab und verbarg einen Moment lang die Kreatur darunter.
Dann stieg ein Mann aus dem See. Er trug einen tropfnassen dunklen Umhang, der wie Seetang an ihm hing, und näherte sich Corban. Auf seinem Gesicht lag ein interessiertes, liebenswürdiges Lächeln. Seine Haut war grau gefleckt und geädert wie die einer Leiche, sein Haar schwarz und glatt wie Öl. An seiner Hüfte hing ein Schwert in einer schwarzen Scheide.
»Sieh an«, sagte der Mann. »Ich bekomme nicht oft Besuch.« Seine Stimme klang wie ein Bach, der über Kiesel murmelt. »Was führt dich zu meinem Heim?«
»Ich … Ich bin schon einmal hier gewesen«, sagte Corban.
»Das weiß ich. Ich habe dich beobachtet.«
»Das hier ist die Anderwelt«, stellte Corban fest.
»Das ist sie. Und dieser See, dieser Baum und dieses Tal …« Der dunkelhaarige Mann machte eine ausgreifende Bewegung mit dem Arm. »… gehören mir.« Er hob die Schultern, auf die Wasser aus seinen Haaren troff.
»Bist du ein Ben-Elim?«, wollte Corban wissen.
Der Mann lachte. Es war wie ein feuchtes Ausatmen. »Diese aufgeblasenen Narren. Nein, obwohl ich zu meiner Schande gestehen muss, dass wir verwandt sind.«
»Ein Kadoshim?«, fragte Corban ängstlich.
»Schwerlich.« Der Mann schnaubte verächtlich. »Diese hündischen, verkommenen Perversen? Sehe ich aus wie einer von ihnen?«
»Nein«, gab Corban zu.
»Also. Ich bin einfach nur ich. Viathun.« Er hob die Hände zum Himmel und spreizte die Finger. Corban sah, dass sie Schwimmhäute hatten wie die Füße eines Froschs.
»Du kommst aus der Welt des Fleisches, hab ich recht?«, erkundigte sich der Mann.
Corban nickte misstrauisch.
»Und wie ist dein Name, Kreatur des Fleisches?« Viathun beugte sich unangenehm dicht zu ihm vor. Sein Atem roch feucht und faulig.
Corban wollte ihm seinen Namen nicht verraten. »Ich muss jetzt gehen«, sagte er stattdessen und stand auf. Mit einem Mal wollte er so weit wie möglich von dieser Kreatur entfernt sein.
»Das glaube ich nicht.« Viathun seufzte. »Ich denke eher, wir sollten dieses Gespräch an einem ungestörten Ort fortsetzen.«
Corban wich zurück und drehte sich um. Etwas umschlang seine Knöchel. Er blickte hinab. Ein Tentakel von Viathuns Umhang hatte ihn gepackt. Er bog sich wie ein Greifarm und schlang sich um sein Bein, während Viathun wieder zum See zurückging. Dann straffte sich der Umhang mit überraschender Kraft und zerrte Corban hinter sich her.
Einen Moment war Corban zu erschrocken, um sich zu wehren. Aber dann stemmte er den anderen Fuß in den Boden und griff nach seinem Schwert.
»Komm schon, trödele nicht!«, rief Viathun über die Schulter zurück, als er den See erreicht hatte. Er ging hinein und versank rasch darin.
Der Umhang schien sich zu teilen und bildete im Zerfließen eine Milliarde von Strähnen, die nach ihm griffen. Sie umschlangen seine Knöchel, seine Handgelenke und seine Kehle. Verschnürt wie eine Fliege in einem Spinnennetz wurde er zum Ufer gezogen. Und dann ins Wasser. Panik erfüllte ihn, als sein Kopf untertauchte, und er wehrte sich verzweifelt. Adern und Muskeln traten unter seiner Haut hervor, und mit unendlicher Mühe gelang es ihm, einen Arm zu befreien. Dann tauchte er aus dem Wasser auf, wurde hoch in die Luft gerissen und baumelte vor der Kreatur. Der dunkle Umhang, der jetzt eher einem Nest von Schlangen glich, hielt ihn hoch. Corban rang nach Luft, riss vergeblich an den Strängen des Umhangs, die ihn umschlangen. Viathun betrachtete ihn mit kalter Faszination.
»Nenne mir deinen Namen!« Ärger mischte sich in seine Stimme, die nun klang, als würden Wellen auf Felsen schlagen.
»Lass mich los!« Corban konnte nur keuchen, weil seine Brust zusammengepresst wurde.
»Du bist hier eingedrungen und hast meine Ruhe gestört«, blubberte Viathun, während er Corban dichter zu sich heranzog. »Dafür bekomme ich Antworten von dir. Und dann, danach … werde ich vielleicht feststellen, wie du schmeckst.« Eine faulige Atemwolke hüllte Corban ein, und sein Magen krampfte sich zusammen.
»Was bist du?«, würgte Corban hervor.
»Ich bin Viathun.« Der Mund der Kreatur öffnete sich und schien vor Corbans Augen immer weiter zu werden. Dabei entblößte er etliche Reihen von rasiermesserscharfen Zähnen, von denen Schleim troff. »Der Seelenfresser.«
Es zischte, und ein Speer durchbohrte Viathuns Umhang. Die Kreatur kreischte, als Ben-Elim aus dem Himmel herabsanken. Weitere Speere flogen durch die Luft und durchbohrten Viathuns Körper. Sein Schrei verwandelte sich in ein schmerzhaftes Wutgebrüll. Er richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf die Angreifer und ließ Corban unsanft zu Boden fallen.
Der wurde von Händen gepackt und erneut in die Luft gerissen. Rechts und links neben ihm waren Ben-Elim, die ihn mit gewaltigen Flügelschlägen in den Himmel emportrugen.
Nach wenigen Herzschlägen befanden sie sich hoch über dem Kampf im See. Viathun versank mit seinem lebendigen Umhang im Wasser. Ein Strang umschlang einen Ben-Elim und zog ihn unter die Oberfläche. Der Schrei des Ben-Elim verstummte abrupt, als sich das Wasser über seinem Kopf schloss.
Sie stiegen weiter auf und folgten dem Lauf eines sich windenden Tales. Dabei umflogen sie Gipfel und steile Klippen, bis Corban eine Festung in den Schluchten sah, eine Reihe von Türmen und Befestigungen. Sie waren aus dem knochenweißen Felsen herausgeschlagen und schienen zu leuchten, trotz der Wolken, die den Himmel verdunkelten. Über den Türmen erfüllten die Silhouetten von Ben-Elim den Himmel. Einige kreisten in den Wolken, andere, mit langen Speeren und Kettenpanzern, hielten Wache. Er sah, dass noch sehr viel mehr dieser Kreaturen auf den langen geschwungenen Mauern patrouillierten, und aus den riesigen Höfen zwischen den hohen Türmen drangen Kampfgeräusche bis zu ihm herauf.
Sie üben, so wie wir es in Drassil gemacht haben. Sie bereiten sich auf den Krieg vor …
Seine Retter landeten auf dem flachen Dach eines Turms und zogen Corban durch einen Torbogen. Dann führten sie ihn eine Treppe hinab und in eine riesige Kammer mit hoher Decke. Darin hatten sich Tausende Ben-Elim versammelt. Sie alle trugen glänzende Kettenpanzer und hatten weiße Schwingen. Es war eine dicht gedrängte Menge, die eine Gasse vor Corban und seinen Wächtern bildete. Federn und Kettenpanzer kräuselten sich elegant, während sie ihn mit ihren bleichen emotionslosen Gesichtern musterten.
Vor ihm führten breite Stufen zu einem Podest hinauf, auf dem ein großer knochenweißer Thron stand. Seine gespaltene Lehne war wie ein Paar gefiederter Schwingen geformt, die die Gestalt auf dem Thron einhüllten. Die hatte ihre eigenen weißen Flügel wie einen großen Umhang um sich gelegt. Die Federspitzen strichen über den Boden. Die Gestalt hielt den Kopf gesenkt, und ihr dunkles Haar verdeckte ihr Gesicht. Als Corban näher kam, sah die Gestalt auf. Ihr Haar teilte sich, und ein vertrautes Gesicht blickte ihm entgegen.
Meical.
Widerstreitende Emotionen stiegen in Corban hoch. Einerseits Erleichterung darüber, an diesem sonderbaren Ort das Gesicht eines Kameraden zu sehen, eines Freundes, aber gleichzeitig fühlte er die offene Wunde, die Meicals Verrat hinterlassen hatte. Corban spürte, wie sich seine Wangen vor Wut röteten, als Meical sich gerade aufrichtete. Auf seinem Gesicht zeigten sich Kummer und Schmerz. Der Ausdruck schien vollkommen deplatziert auf dem Antlitz einer dieser Kreaturen, die normalerweise so ausdruckslos wirkten, als wären sie aus Marmor gemeißelt.
Was ist los mit ihm?
Meical atmete bebend ein.
»Elyon sei Dank«, sagte der Ben-Elim. »Du lebst noch in deiner Welt des Fleisches. Wenn dein Geist hier ist, hat dein Körper überlebt.« Meical schien Schwierigkeiten mit dem Sprechen zu haben, als würde jedes Wort ihn schmerzen und eine Willensanstrengung erfordern. »Ansonsten hätte dein Geist die Brücke der Schwerter überquert.«
Corban blinzelte.
Meical hob die Hand und winkte Corban dichter zu sich heran.
Corban zuckte zurück.
»Fass mich nicht an!«, fuhr er auf, als er sich an die Große Halle in Drassil erinnerte.
Die große Lüge.
Corban hörte hinter sich ein wütendes Zischen im Raum. Meical hob eine Hand.
»Friede«, sagte Meical.
»Aber«, stieß einer der Ben-Elim hervor, »diese Kreatur des Fleisches hat Euch beleidigt, unseren Ersten Hauptmann, den Vertreter des Allvaters.«
»Dafür hat er einen guten Grund.« Meical senkte den Kopf und lehnte sich im Stuhl zurück. Corban sah, dass er bleicher war als je zuvor und an seinem Hals eine frische rote Wunde klaffte, aus der eine eitrige Substanz sickerte.
»Was ist mit dir passiert?«, wollte Corban wissen.
»Manchmal, wenn wir uns in der Welt des Fleisches eine besonders schlimme Wunde zuziehen, bringen wir einen Schatten davon mit uns zurück in die Anderwelt.«
Corban griff sich an die Brust. Der dumpfe Schmerz, den er bei jedem Atemzug spürte, war ein Echo seiner gebrochenen Rippen, wie ihm jetzt klar wurde.
»Und wovon ist das ein Schatten?« Corban deutete auf Meicals Wunde.
»Ich wurde geköpft, in Drassil«, erwiderte Meical.
»Was?« Die Hornsignale, der Schlachtenlärm, den ich gehört habe. Angst regte sich tief in Corbans Eingeweiden.
»Calidus, Nathair. Sie haben uns angegriffen.«
»Wie?«
»Die Tunnel«, antwortete Meical müde.
»Was ist mit meinen Freunden und meiner Familie? Meinen Leuten …?«
»Einige konnten entkommen«, sagte Meical leise. »Ghar hat den Rückzug durch den Nord-Tunnel angeführt. Ich habe die Kadoshim aufgehalten, solange ich konnte.« Er schüttelte den Kopf. »Drassil ist verloren.«
Die Festung ist gefallen, eingenommen von Nathair und Calidus …
Die Konsequenzen trafen Corban wie ein Schlag mit einer steinernen Faust.
Meine Kriegerhorde wurde besiegt. All jene, die mir folgten, mir vertraut haben, sind tot. Meine Freunde …