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Zwei junge Bühnenpoeten, wie sie unterschiedlicher kaum sein können, erkunden gemeinsam die Ewige Stadt. Das Ergebnis ist eine poetisch-unterhaltsame Reiseerzählung mit Fußnoten. Ein ungewöhnlicher Blick auf die Stadt: informativ, versponnen, augenzwinkernd sowie mit litarischem Feingefühl verfasst. Jeder deutsche Schriftsteller, der etwas auf sich hält, sollte einmal eine Italienreise gemacht haben. Da geht es Alex Burkhard nicht anders als promintenteren Kollegen wie Johann Wolfgang von Goethe oder Patrick Salmen. Da Goethe schon tot ist, fliegen die beiden zu zweit los - ein Duo, das von seinen Gegensätzen lebt: Der eine hat Haare und Bart, der andere mehr die Frisur von Julius Cäsar. Der eine ist studierter Schöngeist aus München, der andere selbsternannter Schreiner aus dem Ruhrgebiet. Der eine ist Freund der literarischen und historischen Anspielung, der andere isst Pasta. Doch beide sind sie ausgezeichnete Bühnenkünstler und fasziniert von der Ewigen Stadt. Alex Burkhard erzählt mit Verve und Augenzwinkern von klassischen Eindrücken beim Schlendern, ge- fährlichen Strandausflügen und den unvermeidlichen Begegnungen mit anderen Deutschen. Patrick Salmen kommentiert das Geschehen nonchalant per Fußnote.¹ Und natürlich ist fast alles genau so passiert und gar nicht übertrieben.
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Seitenzahl: 140
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ALEX BURKHARD
MIT FUSSNOTEN VONPATRICK SALMEN
EIN LITERARISCHER REISEBERICHTAUS DER EWIGEN STADT
E-Book-Ausgabe Juni 2015
© Satyr Verlag Volker Surmann, Berlin 2015
www.satyr-verlag.de
Cover: Marvin Ruppert
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über: http://dnb.d-nb.de
Die Marke »Satyr Verlag« ist eingetragen auf den Verlagsgründer Peter Maassen.
ISBN: 978-3-944035-52-9
Vorwort
Prolog
Tag 1: Das Drehbuch
Tag 2: Vom Essen
Tag 3: Skip the Lines
Tag 4: Yes
Tag 5: Die Mafia
Tag 6: Hic forum est
Tag 7: »Every day, all night long«
Epilog
Danke
»Mit Abstand das Langweiligste, was man überhaupt lesen kann, ist ja das Reisetagebuch. Reisetagebücher sind zum Sterben langweilig.« (Jochen Malmsheimer)
Jochen Malmsheimer hat recht. Es kann sehr ermüdend sein, die Erlebnisse einer Reise nacherzählt zu bekommen, die irgendjemand irgendwann mal irgendwohin gemacht hat. Es gibt Spannenderes als die Information darüber, was der Reisende in welchem Restaurant gegessen hat und durch welche Straßen er in welcher Stimmung gelaufen ist.
Die erste Reaktion von Patrick Salmen, meinem Freund und Begleiter durch die römische Welt, nach dem Lesen der ersten Fassung dieses Werkes war: »Also, ich finde es ja lustig – aber halt weil ich dabei war. Aber wer soll das außer mir lesen? Für wen schreibst du das?«
Nun, in erster Linie habe ich es für mich geschrieben. Mitte des zweiten Tages ist mir aufgefallen, dass ich mir bereits sehr viele Gedanken und Begegnungen notiert hatte, also habe ich weitergemacht und am Ende eine stattliche Anzahl Seiten gefüllt. Für mich war die Woche mit Patrick mehr als der angestrebte Erholungsurlaub: Vor allem war sie aus unterschiedlichen Gründen sehr emotional. Das in Worte zu fassen, hilft mir immer. Es ist der Grund, warum ich überhaupt vor mich hin künstlere. Manches davon habe ich in die Erzählung gepackt, manches hat dort nichts zu suchen und würde Sie tatsächlich eher langweilen.
Die Frage, wer das Buch lesen soll, beschäftigt meinen werten Verleger vermutlich mehr als mich – aber mit dem Erwerben des Buches haben Sie ihm eine erste Antwort gegeben. Der nächste Schritt dürfte sein, sich einfach einzulassen auf die Perspektive eines Literaturfreundes und Künstlers, der versucht hat, seine persönlichen Eindrücke dieser Stadt und ihre Wirkung auf ihn aufzuschreiben. Und auf die Perspektive von Patrick, der versucht hat, seine persönlichen Eindrücke dieser Seiten und ihre Wirkung auf ihn in Fußnoten zu packen.1
Vielleicht finden Sie das Ganze ja auch lustig oder einfach nur unterhaltsam und lesenswert, obwohl Sie nicht dabei waren. Dann würden wir uns alle freuen: Patrick, mein Verleger, Jochen Malmsheimer – und ich.2
1 Tach!
2 Und grämen Sie sich nicht, wenn Sie manche Dinge nicht verstehen. Mir ging es ähnlich – und ich war dabei! Das liegt definitiv an Alex, nicht an uns.
Es war ein heißer Tag an der Biegung des Flusses. Das träge Gras wartete auf einen erfrischenden Windstoß, der niemals kam. Die wenigen Bäume spendeten nur unzureichend Schatten.
Er zog an der Zitze, als hinge sein Leben davon ab. In gewisser Weise tat es das wohl auch. Gierig und unersättlich sog er die Energie in sich hinein. Als er endlich abließ, kippte die Wölfin erschöpft zur Seite und atmete schwer.
»Was zur Hölle sollte das denn?«, fragte der andere Anwesende, mit dem sich der Gierige und die Wölfin das provisorische Lager teilten.
»Ich hatte heute Nacht einen prophetischen Traum«, kam die Antwort des exzessiven Trinkers. »Ein Mann wird an diese Stelle kommen auf der Suche nach Inspiration und Antworten, wird kommen in der Hoffnung auf abenteuerliche Geschichten und atemberaubende Schönheit. Er wird unzählige Schritte gehen in diesem Gebiet, um zu bestaunen die Zeugnisse von Aufstieg und Zerfall, Würde und Intrige, Glanz und Zerstörung. Sein Herz wird reichhaltige Kultur aufnehmen, neuartige Gedanken und ungebändigtes Leben.«
»Das war aber ein ziemlich detaillierter Traum«, merkte der Andere an.
»Und ich will dafür sorgen, dass er Wirklichkeit wird«, antwortete der Erste. »Lass uns eine Stadt bauen, die ihm all seine Sehnsüchte erfüllt.«
»Hast du deshalb so viel getrunken?«, fragte der Andere.
»Wir haben keine Zeit zu verlieren«, sprach da der Erste. »Es kann sich nur noch um gut zweitausendsiebenhundert Jahre handeln, bis er hier aufkreuzt. Am besten wir fangen sofort an!«
Als das Fahrwerk Kontakt mit dem Boden herstellt und das Gewicht des Flugzeugs durch mir unerklärliche hydraulische Sätze zu dämpfen vermag, kann ich meine Vorfreude kaum noch unterdrücken. Ich wollte unbedingt mal wieder nach Italien. An geheimen Plätzen meines Gedächtnisses liegen seit vielen Jahren Gedankenschätze vergraben, die von Sommerurlauben in diesem Land erzählen. Von Zeltplätzen, Kinderanimation und Sandstränden. Auch den Schiefen Turm von Pisa habe ich, glaube ich, schon einmal live gesehen. Aber viele Jahre des Verdrängens und des Wegschauens haben diese Zeit verblassen lassen, und so sind die Familienfahrten in den Süden nur noch in kaum zuzuordnenden Umrissen erkennbar: als wären sie überbelichtete Fotos im unübersichtlichen Album meiner Erlebnisse.
Außerdem habe ich italienische Vorfahren, die sich durch meinen Großvater mütterlicherseits in mein Blut geschlichen haben. Niemand aus meiner Kernfamilie kennt ihn persönlich, es ranken sich nur Gerüchte um sein kurzes Auftauchen im Leben meiner Großmutter. Mein Leben hat er vor allem durch unsere gemeinsamen Gene beeinflusst. Ich habe mal irgendwo gehört, dass die eigene Körperbehaarung auf den Großvater mütterlicherseits zurückzuführen ist, und mein Haupthaar ist in dieser Hinsicht ein Thema für sich. Wenn man Fotos von mir aus den letzten gut zehn Jahren chronologisch hintereinanderschneidet, könnte man meinen, man sähe die Zeitrafferaufnahme eines Gezeitenwechsels: Mein Haarmeer zieht sich zurück und gibt den Blick frei auf einen von den abschwappenden Wellen zerfurchten Stirnstrand, man könnte freigelegte Ohrmuscheln sammeln gehen, es fehlt eigentlich nur noch, dass permanent Möwen über mir rumfliegen und mir vergammeltes Treibholz ins Gesicht geschwemmt wird. Das alles habe ich also von einem Mann geerbt, den ich nie kennengelernt habe, und vielleicht ist diese Rom-Reise auch eine Möglichkeit, mich auf irgendeiner seltsamen Ebene mit diesem Teil meines Stammbaums zu versöhnen.
Weil ich mich an Flughäfen immer gerne möglichst frei und gedankenleer bewege, habe ich außer einer Zeitschrift und meinem Ausweis wie üblich alles eingecheckt. Den Preis dafür zahle ich nun, da ich seit einer Stunde handy- und auch sonst ablenkungslos vor dem Gepäckband lümmle. Die Zeitschrift war zwar interessant, aber zweimal muss ich auch nicht lesen, wie Santorin vor dreitausendsechshundert Jahren zerstört wurde, und der Typ, der mich von meinem Ausweis anschaut, ist auch nicht gerade unterhaltsame Gesellschaft. Ich bin etwas nervös, habe mich innerlich noch nicht an den Urlaubsrhythmus gewöhnt, in dem es im Optimalfall keine Zeit zu geben scheint. Stattdessen rede ich mir ein, dass ich es bei diesem unübersichtlichen Gepäckband gar nicht mitbekäme, wenn jemand meine Reisetasche klauen würde. Gut, mir blieben die Zeitschrift und mein Ausweis, aber es wäre schon schade. Mein Geist begibt sich in eine dieser bei mir so beliebten Situationen, in denen ich unmöglich abwägen kann, ob ich bleiben soll, wo ich bin, oder mich lieber auf die andere Seite des sprichwörtlichen Zaunes begeben will, in diesem Fall auf die andere, gefühlt Hunderte Meter entfernte Seite des Bandes, dort, wo die ganzen grüneren Koffer rauskommen. Aber in der Zwischenzeit würde ich die Tasche vielleicht verpassen, wie sie an meinem jetzigen Aufenthaltsort vorbeigeschlendert kommt. Ich bitte den überraschten Urlauber neben mir, mir eins mit der zusammengerollten Zeitschrift überzuziehen. Danach geht es wieder. Meine Reisetasche kommt, niemand reißt sie mit wilden Augen vom Band und haut damit ab, und so trete ich fast völlig entspannt aus den milchig abgetönten Türen.3
Patrick ist etwas früher von Düsseldorf aus geflogen. Ich hatte ihm im Frühjahr, damals noch halb im Spaß, eine Nachricht geschrieben und gefragt, ob er im Juni mit mir nach Rom kommen wolle, und kurz darauf ein »Ich hab eh nix anderes zu tun« zurückerhalten. Und weil das der höchste Grad an Zuneigung und Begeisterung war, den ich in dieser Phase erfahren habe, ging das klar.
Patrick ist ein feiner Kerl, wie er mich jetzt in Carhartt-Cap, weinrotem Carhartt-V-Shirt und lehmbeigen Carhartt-Hosen angrinst, als hätte er gerade einen Carhartt-Gutschein geschenkt bekommen. Patrick ist ein Freund, den ich auf zahllosen Poetry Slams kennen und mögen gelernt habe. Er kommt aus Wuppertal, aber weil ihm das nicht schön genug war, lebt er jetzt in Dortmund. Er hat ein verschmitztes Grinsen im Gesicht, und wenn man ihn googelt, bekommt man vermutlich mehr Treffer, als wenn man es nicht tut. Außerdem war er mal Deutschsprachiger Meister im Poetry Slam. Seine Bartfarbe pendelt gerade irgendwo zwischen rostfarben und hellbraun, denn es ist Frühsommer.
»Na, alter Racker«, begrüßt er mich, »alles gut?«
»Jemand hat mich mit einer Zeitschrift verprügelt«, sage ich. »Sonst ja. Bei dir?«
»Heute Morgen war Chaos auf den Autobahnen, schlimme Unwetterfolgen, überall Bäume und Kühe und Kamerateams. Ich bin eine Minute vor Schließung des Check-ins am Flughafen angekommen; dann habe ich erfahren, dass mein Flug zwei Stunden Verspätung hat«, sagt er. »Sonst ja.«
»Jemand hat mich mit einer Zeitschrift verprügelt«, sage ich und schaue wie ein Hund, den man mit einer Zeitschrift und so weiter.
Wir schlängeln uns durch die Mitankömmlinge und Abflugbereiten und folgen den Zeichen, die wir für Zugsymbole halten, um in die Stadt zu kommen. Wenn Edmund Stoiber die ersten der zahlreichen Haltestellen der Bummelbahn miterleben könnte, die uns zum Bahnhof Trastevere bringen soll, der unserer Residenz für die nächste Woche am nächsten liegt, würde er vermutlich so lange »Transrapid« rufen, bis sie ihn abtransportieren. Ich weiß eh nicht, worüber er sich damals so aufgeregt hat. Als wäre er auch nur ein einziges Mal mit der S-Bahn zum Flughafen gefahren, der alte dienstwagennutzende Dummschwätzer.
Der Zug ist nicht übermäßig voll, hat aber die dampfende, unangenehme Luftfeuchtigkeit eines Stadtbusses im Berufsverkehr an einem Regentag. Eine Frau verteilt abgegriffene Zettel, die auf Englisch und Italienisch verkünden, dass sie Hunger und außerdem mehrere Kinder zu versorgen habe, und nachdem wir bei ihrer Rückkehr nicht den Geldbeutel zücken, sondern nur peinlich berührt den Kopf schütteln, greift sie über unsere prall gefüllten Reisetaschen hinweg und nimmt den Fetzen wieder mit. Ich fühle mich sehr schlecht, wenn ich einer bedürftigen Person kein Geld gebe. Andererseits habe ich ausredensuchenderweise auch immer die Dreigroschenoper im Hinterkopf und rede mich oft damit heraus, als selbst mal wochenlang Nudeln essender Student und Künstler auch nicht jedem Einzelnen etwas geben zu können, der mich nach finanzieller Unterstützung fragt. Da bin ich ganz BAföG-Amt. Es sind einfach zu viele. Andererseits kann ich mir offenbar eine Rom-Reise leisten. Es ist also Jammern auf nicht ganz niedrigem Niveau. Es ist immer sehr anstrengend, wenn meine hochstrebenden Ideale auf die reale Welt treffen. Man weiß nie genau, was rauskommt.4
Die einschläfernde Atmosphäre des Zuges hat meine Sinne abgestumpft, und nun entlassen uns die Flügeltüren des Bahnhofs Trastevere ohne weitere Vorwarnung in den Trubel des römischen Feierabendverkehrs. Als Erstes fallen mir die Vespafahrer und Straßenverkäufer auf. Als wir aus dem Bahnhofsgebäude treten, werden wir von Ersteren beinahe augenblicklich überfahren; Letztere versuchen, uns für die kommende Woche stilvoll einzukleiden.
Ich habe mir genau aufgeschrieben, wie wir zur Unterkunft kommen. Auch wenn ich in Deutschland unterwegs bin, schaue ich mir immer den Weg zum Hostel genau an und schreibe mir Straßenbahnzeiten und -linien minutiös heraus, wofür ich schon viele hämische Kommentare über mich ergehen lassen musste. Doch ich fühle mich meist sehr wohl, wenn ich weiß, wie ich von A nach B komme.5 Mein Smartphone hat sich seinen Titel an irgendeiner rumänischen Universität gekauft, sodass es keine wirkliche Hilfe darstellt – schon gar nicht hier in Rom.6
Nach einem kurzen Blick auf meine Unterlagen teile ich Patrick mit, dass wir nur vier Stationen mit der Linie 8 fahren müssen und diese auch innerhalb der nächsten Minuten auftauchen sollte. Patrick sprüht jedoch plötzlich vor Tatendrang.
»Wenn die Straßenbahn jetzt hier gewartet hätte, okay, dann hätte ich sie vielleicht genommen«, erläutert er. »Aber jetzt warten? Nee, lass uns laufen!«
Und so verzichten wir auf unsere elektrische Transportmöglichkeit und stampfen vorfreudig durch die sich unterhaltenden und in ihrer Zielstrebigkeit trotzdem entspannt wirkenden Römer die Viale de Trastevere entlang.
»You want to pay less?«, fragt etwas später die Empfangsdame unseres B&B und schreibt zwei Zahlen auf einen Zettel, von denen eine kleiner ist als die andere.
»Ähm«, sage ich.
»Because then we delete your reservation in the internet, and you only pay to us.«
»Hm«, überlege ich. Sie will uns also finanzielle Unterstützung anbieten.
Die junge Frau deutet noch mal energisch und verführerisch zugleich auf die kleinere der beiden Zahlen und grinst uns an.
»No, thanks«, sagt Patrick. »We prefer to pay more money.«
Patrick ist ein sehr erfolgreicher Künstler. Er zahlt gerne mal mehr. In diesem Fall aber ist es okay, wie er mir später erklärt. Ich habe das brüchige Englisch der Dame nämlich erst im Nachhinein wirklich verstanden und hätte in meiner Unwissenheit vermutlich kein Problem damit gehabt, ein paar Euro weniger zu zahlen und dafür die Leute vom Online-Buchungsportal um ihren Anteil zu bringen. Ich bin nämlich nicht so erfolgreich mit meiner Kunst.7
Die junge Frau hat einen Namen, den ich hier nicht nenne, weil ich noch nicht weiß, was ich auf den nächsten Seiten so alles schreiben werde. Wir könnten sie Flavia nennen, aber was brächte das schon.
Sie führt uns durch ihr B&B, was sehr schnell geht, da es nur sehr wenige Zimmer gibt, und zusätzlich noch einen kleinen Frühstücksraum, der seinen Namen allerdings nicht verdient; die Tische stehen enger zusammen als in einem überfüllten Großraumbüro, und insgesamt erinnert er an einen dieser O2-Wohnwürfel vor der Studentenstadt, wo die Leute auf knapp zwanzig Kubikmetern leben, man alles je nach aktuellem Bedarf aus- und einklappen kann und keine Ecke ungenutzt bleibt. In seiner nicht gerade einladenden Art ist der Raum folglich mehr eine Örtlichkeit, um Espresso zu sich zu nehmen. Genau genommen betreibt die gute Frau also ein B&Ö, was ich ihr aber nicht sage, weil ich nicht weiß, was Örtlichkeit auf Englisch heißt. Da gibt’s ja auch keine Umlaute, das wäre zu kompliziert.
Flavia überreicht uns dann noch einen Schlüsselbund, an dem vier unterschiedliche Schlüssel hängen: einer mit grüner Schutzumrandung, einer mit orangefarbener und zwei blanke Metallschlüssel, einer rund und einer in der Form eines flachen Sechsecks.8 Der ist für das Hoftor, der ist für die Haustüre, der ist für die Türe zum B&Ö und der ist für die Zimmertüre, erklärt sie und springt dabei mit ihren feinen Fingern zwischen den ausgefächerten Schlüsseln umher.
»Okay«, sagt Patrick.
»Eh klar«, sage ich.
Wir diskutieren kurz, ob wir den Rest des Urlaubs einfach auf dem Zimmer bleiben sollen, um uns die Sache einfacher zu machen, aber dann treibt uns die frühabendlich murmelnde Straße doch nach draußen.9 Wir legen also kurz unser Gepäck ab und stürzen uns – wir haben die Zimmertüre schon beim dritten Versuch zusperren können – in die abwechslungsreichen Verlockungen, die diese aufregende Stadt uns verspricht.
»Ich bin ja mehr so ein Gewohnheitsmensch«, sagt Patrick, als wir wenig später beim Italiener sitzen (haha!) und unseren Reisehunger zu stillen versuchen. »Hier könnten wir jeden Tag essen.«
Ich selbst bin noch begeistert davon, wie billig stilles Wasser hier im Vergleich zu einer deutschen Kneipe ist, und bestelle überschwänglich drei Karaffen voll. Dann essen wir sehr gute Pizza und genießen den lauschigen Platz mit seinen Schatten spendenden Bäumen und der majestätischen Kirchenfassade, an die er grenzt.
Die Fenster des grob verputzten Hauses, auf das mein Blick fällt, wenn er nach halb rechts gerichtet ist, erinnern mich an Hans Christian Andersens Erzählung Skyggen, in der ein dänischer Gelehrter nach Südeuropa reist und dort seinen Schatten verliert, weil er diesen eines Nachts losschickt, um die Gemächer jenseits des geheimnisvoll wehenden Vorhangs der Wohnung gegenüber zu erkunden, woraufhin der Schatten nicht mehr zurückkehrt. Solch unerforschte Vorgänge vermute ich in der einsetzenden Abenddämmerung auch hinter der leichten Gardine eines Fensters im ersten Stock, ich hoffnungslos in einer ständigen Metaebene gefangener, postmoderner Schreiberling.10
»Seid ihr Deutsche?«, fragt die Frau vom sehr nah stehenden Nachbartisch plötzlich. Verdammt: Keine zwei Stunden in Rom, und schon sind wir enttarnt.11 Dabei hatten wir uns extra mit italienischem Akzent unterhalten.
»Ja«, antwortet Patrick mit italienischem Akzent.
»Und ihr seid Künstler?«, fragt die Frau weiter. Sie hat die Stimme einer in vermeintlicher Würde gealterten Varieté-Sängerin, die in ihrem Leben das eine oder andere Glas Cherry zu viel getrunken hat.
»Ja«, antworte ich mit italienischem Akzent. Bis jetzt schlagen wir uns ganz gut.
»Was macht ihr?«
»Wir sind Schriftsteller«, sagt Patrick.
So ganz kann ich mich an diese Berufsbezeichnung noch nicht gewöhnen. Aber dann lächle ich selbstbewusst und lege die Hand wie zu meiner eigenen Bestätigung auf mein Notizbuch.
»Mhm«, nickt die Frau, als hätten wir ihr soeben eine seit Tagen gehegte Vermutung bestätigt. »Schreibt ihr für den Film?«
»Nein, für die Bühne«, sagt Patrick.