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Es stehen dramatische Zeiten bevor: In den nächsten Jahrzehnten könnten Technologien wie die Künstliche Intelligenz und die Gentechnik das Ende der Menschheit herbeiführen oder aber ein goldenes Zeitalter einläuten, das wir uns noch kaum ausmalen können. Oder leben wir etwa heute schon in der Matrix, wie der schwedische Philosoph und Bestsellerautor (Superintelligenz) Nick Bostrom in seinem berühmten Simulationsargument behauptet?
In den sechs hier versammelten Aufsätzen, von denen einige bereits Klassikerstatus besitzen, wagt Bostrom einen ebenso nüchternen wie detaillierten Blick in unsere Zukunft. Manches liest sich (noch) wie Science-Fiction, könnte aber aktueller und ernster kaum sein.
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Seitenzahl: 297
Veröffentlichungsjahr: 2018
3Nick Bostrom
Die Zukunft der Menschheit
Aufsätze
Aus dem Englischen von Jan-Erik Strasser
Suhrkamp
Cover
Titel
Inhalt
Informationen zum Buch
Impressum
Hinweise zum eBook
Cover
Titel
Inhalt
1. Die Zukunft der Menschheit
2. Die Vermeidung existentieller Risiken als globale Priorität
3. Plädoyer für eine posthumane Würde
4. Würde und Enhancement
5. Warum ich posthuman werden will, wenn ich groß bin
6. Leben Sie in einer Computersimulation?
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Über die Zukunft der Menschheit zu spekulieren, gilt vielen als müßiger und überflüssiger Zeitvertreib. Dennoch informieren unsere Überzeugungen und Annahmen zu diesem Thema unsere Entscheidungen sowohl im Privatleben als auch in der Politik – Entscheidungen, die sehr reale und manchmal auch unselige Folgen haben. Daher ist der Versuch, ein Zukunftsdenken zu entwickeln, das sich auf realistische Weise mit den großen Menschheitsfragen beschäftigt, von unmittelbarer praktischer Bedeutung. Dieser Aufsatz skizziert einen Überblick über einige entsprechende Versuche jüngeren Datums, und er diskutiert kurz vier Arten von Szenarien hinsichtlich der Zukunft der Menschheit: Untergang, zyklischer Kollaps, Plateau und Posthumanität.
In einem bestimmten Sinn umfasst die Zukunft der Menschheit alles, was Menschen jemals passieren wird, darunter auch das, was Sie am kommenden Donnerstag frühstücken werden, sowie alle wissenschaftlichen Entdeckungen, die man nächstes Jahr machen wird. In diesem Sinn eignet sich die menschliche Zukunft wohl kaum als Thema: Sie ist zu groß und vielgestaltig, um in einem einzigen Aufsatz, einer Monographie oder sogar einer hundertbändigen Buchreihe behandelt werden zu können. Wir müssen uns ihr daher auf dem Weg der Abstraktion nähern und von den Details, den kurzfristigen Schwankungen und den Entwicklungen absehen, die nur Teilaspekte unseres Lebens betreffen. In einer entsprechenden Diskussion muss es darum gehen, wie die fundamentalen Merkmale des Menschseins sich auf lange Sicht ändern oder aber konstant bleiben könnten.
Es kann zwar begründete Uneinigkeit darüber bestehen, welches die fundamentalen Merkmale der conditio humana sind; über einige Merkmale herrscht allerdings weitgehend Konsens. Die folgenden Fragen beispielsweise sind sämtlich fundamental in diesem Sinne: Wird das auf der Erde entstandene Leben aussterben 10und, wenn ja, wann? Wird es die Galaxie kolonisieren? Wird die menschliche Biologie zu einer grundlegend anderen, posthumanen umgestaltet werden? Wird die maschinelle die biologische Intelligenz übertreffen? Wird es eine Bevölkerungsexplosion geben? Wird sich die Lebensqualität extrem verbessern oder deutlich verschlechtern? Weniger grundlegende Fragen – etwa solche zur Methodologie oder zu spezifischen technologischen Prognosen – haben Relevanz, soweit sie für unsere Ansichten hinsichtlich der genannten fundamentalen Parameter von Belang sind.
Traditionell war die Zukunft der Menschheit Sache der Theologie; alle großen Religionen haben etwas zum ultimativen Schicksal der Menschheit oder zum Ende der Welt zu sagen.[1] Auch wichtige Philosophen wie Hegel, Kant und Marx betrieben Eschatologie, und in jüngerer Zeit hat die Science-Fiction-Literatur deren Nachfolge angetreten. Überaus häufig diente die Zukunft dabei als Projektionsfläche für unsere Hoffnungen und Ängste, als Kulisse für Dramen, Lehrstücke oder satirische Schilderungen der Gegenwart beziehungsweise als Banner einer Ideologie. Relativ selten hingegen wird unsere Zukunft als etwas ernst genommen, über das man sachlich richtige Überzeugungen haben sollte. Es ist zwar ebenso legitim, die symbolischen und literarischen Affordanzen einer unbekannten Zukunft zu nutzen, wie sich ferne Länder auszumalen, die von Drachen und Zauberern bewohnt werden. Wichtig ist es allerdings, diejenigen Zukunftsszenarien, die aufgrund ihrer symbolischen Bedeutung oder ihres Unterhaltungswerts geschaffen wurden, so gut wie möglich von den Szenarien zu trennen, die tatsächliche Plausibilität beanspruchen. Nur um die zweite Form des »realistischen« Zukunftsdenkens wird es im Folgenden gehen.
Um vernünftige Entscheidungen zu treffen, brauchen wir ein realistisches Bild von dem, was die Zukunft bringen mag, und das gilt nicht mehr nur für persönliche, lokale und kurzfristige zukünftige Entwicklungen, sondern zunehmend auch für entferntere und globale Zukünfte. Aufgrund unserer zunehmenden technischen Möglichkeiten haben einige unserer Aktivitäten mittlerweile weltweite Konsequenzen. Das Ausmaß der menschlichen Organisationsfähigkeit ist ebenfalls gewachsen und hat neue Koordinations- und 11Handlungsoptionen eröffnet. Heute gibt es viele Institutionen und Individuen, die die möglichen langfristigen globalen Folgen ihres Handelns bedenken oder das wenigstens behaupten beziehungsweise tun sollten. Klimawandel, nationale und internationale Sicherheit, wirtschaftliche Entwicklung, Atommülllagerung, Artenvielfalt, Umweltschutz, Bevölkerungsentwicklung und die Förderung der wissenschaftlichen und technologischen Forschung sind Beispiele für Bereiche, in denen es auf langfristige Planung ankommt. Argumente in diesen Bereichen stützen sich oft auf implizite Annahmen über die Zukunft der Menschheit. Indem wir diese Annahmen explizit machen und sie einer kritischen Beurteilung unterziehen, können wir uns einigen großen Menschheitsproblemen vielleicht auf überlegtere und umsichtigere Weise nähern.
Dass wir uns realistische Bilder von der Zukunft machen »müssen«, bedeutet nicht, dass uns das auch gelingen wird. Vorhersagen über zukünftige technische und soziale Entwicklungen sind notorisch unzuverlässig – so unzuverlässig, dass sogar schon vorgeschlagen wurde, bei unseren Planungen und Vorbereitungen ganz auf sie zu verzichten. Doch obwohl die methodologischen Probleme solcher Prognosen gewiss gravierend sind, ist die extreme Ansicht, wir könnten oder sollten das Voraussagen aufgeben, fehlgeleitet. Eine derartige Sicht vertreten beispielsweise Michael Crow und Daniel Sarewitz, die in einem kürzlich erschienenen Aufsatz über die gesellschaftlichen Auswirkungen der Nanotechnologie behaupten, die Frage der Vorhersehbarkeit sei »irrelevant«:
Zur Vorbereitung auf die Zukunft braucht es offensichtlich keine akkuraten Prognosen. Stattdessen brauchen wir solides Wissen, aufgrund dessen wir handeln können, die Fähigkeit, aus Erfahrungen zu lernen, einen aufmerksamen Blick für gegenwärtige Entwicklungen sowie intakte und belastbare Institutionen, die zeitnah und effektiv auf Veränderungen reagieren oder sich anpassen können.[2]
Man beachte, dass alle von Crow und Sarewitz genannten Bedingungen auf die eine oder andere Art nach akkuraten Prognosen verlangen. Die Fähigkeit, aus Erfahrung zu lernen, ist bei der Vor12bereitung auf die Zukunft nutzlos, wenn wir nicht zu Recht annehmen (voraussagen) können, dass die Lehren der Vergangenheit auch zukünftig gelten werden. Ein genauer Blick auf die Gegenwart ist ebenfalls zwecklos, wenn wir nicht annehmen dürfen, dass gegenwärtige Ereignisse stabile Trends enthüllen oder auf andere Weise Licht darauf werfen, was wahrscheinlich als Nächstes geschehen wird. Und wenn wir schließlich bestimmen wollen, welche Arten von Institutionen sich angesichts künftiger Veränderungen als intakt, belastbar und effektiv erweisen, müssen wir ebenfalls auf nichttriviale Vorhersagen zurückgreifen.
In Wahrheit kommt die Vorhersehbarkeit in Graden, und verschiedene Aspekte der Zukunft lassen sich unterschiedlich zuverlässig und präzise prognostizieren.[3] Oft dürfte es sich lohnen, flexible Pläne zu machen und Strategien zu verfolgen, die wechselnden Umständen trotzen können, und in einigen Fällen ist auch ein reaktiver Ansatz sinnvoll, bei dem man sich den wechselnden Umständen schnell anpasst, anstatt sich ausschließlich auf einen langfristigen Plan oder eine bestimmte Absicht zu konzentrieren. Gleichwohl sind diese Bewältigungsstrategien nur ein Teil der Lösung. Ein anderer Teil besteht darin, die Genauigkeit unserer Überzeugungen hinsichtlich der Zukunft zu verbessern (einschließlich der Genauigkeit von bedingten Vorhersagen der Form »Wenn x getan wird, dann folgt daraus y«). Auf unserem Weg könnten Fallen lauern, die nur durch Weitsicht zu umgehen sind, und ebenso warten Chancen auf uns, die wir umso früher ergreifen können, je eher wir sie sehen. In einem strikten Sinn ist das Voraussagen für die sinnvolle Entscheidungsfindung außerdem sowieso immer notwendig.[4]
Die Voraussagbarkeit wird mit zunehmendem zeitlichem Abstand nicht unbedingt immer schlechter. Es mag sehr schwierig sein zu sagen, wo sich eine Person eine Stunde nach Beginn ihrer 13Reise aufhält, und doch lässt sich vorhersehen, wo sie fünf Stunden später sein wird, nämlich an ihrem Ziel. Die ganz entfernte Zukunft der Menschheit könnte insofern relativ leicht vorherzubestimmen sein, da sie vermutlich ins Ressort der Naturwissenschaften fällt, insbesondere in das der Kosmologie (der physikalischen Eschatologie). Außerdem bedeutet Prognostizieren nicht, ein ganz bestimmtes Szenario zu finden, das ganz sicher Wirklichkeit werden wird. Wenn zumindest ein Szenario ausgeschlossen werden kann, ist das bereits eine Voraussage. Und selbst da, wo das nicht möglich ist, kann man trotzdem noch Voraussagen treffen. Es muss nur eine Grundlage dafür geben, verschiedenen Aussagen über logisch mögliche zukünftige Ereignisse auch verschiedene Wahrscheinlichkeiten (im Sinn von Überzeugungsgraden) zuzuordnen – oder es muss zumindest eine Grundlage dafür bestehen, eine solche Wahrscheinlichkeitsverteilung für weniger vernünftig oder vertretbar zu halten als eine andere –, und das ist sicherlich in Bezug auf viele Aspekte der menschlichen Zukunft der Fall. Obwohl unser Wissen nicht ausreicht, um aus allen Möglichkeiten eine einzige grob umrissene Zukunft herauszugreifen, kennen wir doch viele relevante Argumente und Überlegungen, die zusammengenommen den Spielraum einer plausiblen Zukunftsvision stark einschränken. Die Zukunft der Menschheit muss kein Bereich bleiben, in dem jede Spekulation erlaubt und alle Annahmen vollkommen willkürlich sind; das exakte Wissen und die absolute Ahnungslosigkeit hinsichtlich dessen, was passieren wird, trennt ein gewaltiger Abstand. Epistemisch gesehen, befinden wir uns heute irgendwo zwischen diesen beiden Polen.[5]
Die meisten Unterschiede zwischen unserem Leben und dem unserer steinzeitlichen Vorfahren sind letztlich technologisch bedingt, vor allem, wenn man »Technologie« im weitesten Sinn versteht und also nicht nur Geräte und Maschinen, sondern auch Techni14ken, Prozesse und Institutionen dazu zählt. In diesem weiten Sinn könnte man sagen, dass Technologie die Summe aller instrumentell nützlichen kulturell übertragbaren Informationen ist. So gesehen, ist Sprache ebenso eine Technologie wie Traktoren, Maschinengewehre, Sortieralgorithmen, die doppelte Buchführung oder eine Geschäftsordnung.[6]
Technologische Innovationen sind die Haupttriebfeder des langfristigen Wirtschaftswachstums, und über große Zeiträume hinweg haben auch bescheidene jährliche Wachstumsraten enorme Auswirkungen. Es ist der technologische Wandel, der zum Großteil verantwortlich ist für viele der säkularen Trends, die sich auf unsere Lebensgrundlagen auswirken: Weltbevölkerung, Lebenserwartung, Bildungsniveau, Lebensstandards; das Wesen von Arbeit, Kommunikation, Gesundheitsversorgung und Krieg; sowie die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf die natürliche Umwelt. Auch andere Aspekte der Gesellschaft und des Privatlebens werden durch Technologie auf viele direkte und indirekte Weisen beeinflusst, darunter fallen Staatsführung, Freizeitgestaltung oder zwischenmenschliche Beziehungen genauso wie unsere Ansichten über Moral, Geist, Materie und die menschliche Natur. Man muss keiner starken Form des technologischen Determinismus anhängen, um zu erkennen, dass unsere technologischen Fähigkeiten durch ihre komplexen Wechselwirkungen mit Individuen, Institutionen, Kulturen und der Umwelt die Bühne mit bereiten, auf der sich die Dramen der menschlichen Zivilisation abspielen.[7]
Diese Sichtweise auf die Rolle der Technologie ist vereinbar damit, dass deren Einsatz zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten großen Variationen und starken Schwankungen unterliegt. Auch ihre eigene Abhängigkeit von soziokulturellen, wirtschaftlichen oder personellen Faktoren ist damit vereinbar, genau wie die Leugnung einer in einem starken Sinne verstande15nen Zwangsläufigkeit eines im Lauf der Geschichte aufgetretenen Wachstumsmusters. Man könnte etwa die Auffassung vertreten, dass bei einer »Neuauflage« der Menschheitsgeschichte das wann und wo der industriellen Revolution ganz anders sein würde oder dass es zu gar keiner Revolution, sondern vielleicht zu einem langsamen und stetigen Fortschritt käme. Ja, man kann sogar der Ansicht sein, dass es Scheidewege der technologischen Entwicklung gibt, an denen jeweils ganz verschiedene weitere Pfade des technischen Fortschritts möglich sind. Falls die technologische Entwicklung auf breiter Front andauert, darf man auf lange Sicht wohl allerdings erwarten, dass die meisten Möglichkeiten, die eine Technologie birgt, auch tatsächlich verwirklicht werden. Eine kühnere Fassung dieser Idee lautet dann wie folgt:
Die Hypothese der technologischen Vollendung: Wenn wissenschaftliche und technologische Entwicklungsbemühungen nicht völlig zum Erliegen kommen, dann werden alle wichtigen grundlegenden Fähigkeiten, die sich durch irgendeine Technologie erlangen lassen, auch erlangt werden.
Diese Hypothese ist nicht tautologisch. Sie ist falsch, wenn es eine grundlegende Fähigkeit gibt, die sich durch eine bestimmte Technologie erlangen lässt, die aber – obwohl sie insofern möglich ist, als ihr Entstehen mit den Naturgesetzen und vorhandenen Ressourcen vereinbar ist – so schwierig zu entwickeln ist, dass sie sogar nach Anstrengungen, die unbestimmt lange andauern, unerreichbar bleibt. Die Hypothese könnte sich zudem auch dann als falsch erweisen, wenn eine wichtige Fähigkeit eine bestimmte Technologie zur Voraussetzung hat, die zwar hätte entwickelt werden können, aber faktisch niemals entwickelt werden wird, obwohl die wissenschaftlichen und technologischen Bemühungen andauern.
Die Hypothese drückt den Gedanken aus, dass es für die Entwicklung wichtiger grundlegender Fähigkeiten nicht darauf ankommt, welche kurzfristigen Pfade die wissenschaftliche und technologische Forschung einschlägt. Sie schließt nicht aus, dass wir manche Fähigkeiten früher erlangen, indem wir beispielsweise bestimmte Gebiete stärker fördern; sie behauptet aber, dass wir (falls die allgemeine wissenschaftlich-technische Forschung nicht zum Erliegen kommt) auch die zunächst vernachlässigten Fähigkei16ten schließlich erlangen werden – entweder auf einem indirekteren Weg oder aber dann, wenn allgemeine Fortschritte unserer Werkzeuge und unseres Wissens dies so einfach machen, dass schon die kleinste Anstrengung genügt.[8]
Man kann die Stoßrichtung dieser grundlegenden Idee plausibel finden, ohne von der strikten Wahrheit der Hypothese der technologischen Vollendung überzeugt zu sein. In diesem Fall könnte man untersuchen, welche Ausnahmen es geben mag, oder alternativ zwar die Hypothese akzeptieren, das Antezedens jedoch ablehnen, also glauben, dass die wissenschaftliche und technologische Entwicklung irgendwann zum Erliegen kommt (bevor sie abgeschlossen ist). Was aber folgt, wenn man sowohl die Hypothese als auch ihr Antezedens akzeptiert? Was, wenn wir schließlich alle wichtigen grundlegenden Fähigkeiten, die sich durch eine mögliche Technologie erlangen lassen, tatsächlich erlangen? Die Antwort dürfte von der Reihenfolge abhängen, in der die Technologien entwickelt werden, von den sozialen, rechtlichen und kulturellen Rahmenbedingungen, unter denen sie eingesetzt werden, von den Entscheidungen von Individuen und Institutionen sowie schließlich von anderen Faktoren wie etwa auch Zufallsereignissen. Das Erlangen einer grundlegenden Fähigkeit bedeutet nicht, dass diese auch auf eine bestimmte Weise oder überhaupt eingesetzt werden wird.
Die Faktoren, die die Anwendungen und Auswirkungen der potentiellen grundlegenden Fähigkeiten bestimmen, sind oft schwer zu prognostizieren. Welche wichtigen grundlegenden Fähigkeiten schließlich erlangt werden, könnte allerdings etwas leichter vorherzusehen sein. Sind die Hypothese der technologischen Vollendung und ihr Antezedens nämlich beide wahr, dann werden zu den Fähigkeiten, die irgendwann einmal existieren werden, auch all jene gehören, die sich mittels irgendeiner möglichen Technologie erlangen lassen. Zwar können wir nicht alle, aber doch viele mögliche Technologien voraussehen, darunter auch solche, die gegenwärtig 17unerreichbar sind; und wir können zeigen, dass jene Technologien uns eine breite Palette von neuen wichtigen grundlegenden Fähigkeiten in Aussicht stellen.
Eine Möglichkeit, künftige mögliche Technologien vorauszusehen, ist von Eric Drexler als »theoretische angewandte Wissenschaft« bezeichnet worden.[9] Diese Methode untersucht die Eigenschaften möglicher physikalischer Systeme, darunter auch solcher, die momentan noch nicht gebaut werden können, und nutzt dazu etwa Computersimulationen und Folgerungen aus den bisher bekannten Naturgesetzen.[10] Die theoretische angewandte Wissenschaft wird nicht in allen Fällen eine endgültige und unumstrittene Antwort auf die Frage nach der Machbarkeit einer vorstellbaren Technologie liefern, aber sie ist wohl die beste Methode, die wir haben. Daher ist sie sowohl für rigorosere als auch für spekulativere Untersuchungen ein wichtiges Hilfsmittel, um über die Zukunft der Technologie nachzudenken – und so a fortiori auch eine der wichtigsten Determinanten der menschlichen Zukunft.
Es mag verlockend sein, die Erweiterung der technologischen Kapazitäten als »Fortschritt« zu bezeichnen. Dieser Begriff hat jedoch die wertende Konnotation, dass die Dinge besser werden, und es ist alles andere als eine begriffliche Wahrheit, dass eine Erweiterung unserer technologischen Möglichkeiten die Dinge auch besser machen wird. Selbst wenn sich empirisch bestätigen sollte, dass es in der Vergangenheit (und zweifellos mit vielen großen Ausnahmen) einen solchen Zusammenhang gab, dürfen wir nicht einfach davon ausgehen, dass es immer so weitergehen wird. Ein neutralerer Begriff wie »technologische Entwicklung« ist daher geeigneter, um den historischen Trend zunehmender technologischer Fähigkeiten zu bezeichnen.
Die technologische Entwicklung hat der Menschheitsgeschichte eine Art von Richtung gegeben. Alte wie neu hinzugewonnene Informationen von praktischem Nutzen wurden in der Regel von einer Generation an die nächste weitergegeben, so dass jede 18neue Generation von einem technologisch weiter fortgeschrittenen Punkt aus starten konnte. Ausnahmen von dieser Regel, das heißt Regionen, die stagnierten oder sich sogar langfristig zurückentwickelten, lassen sich zwar finden, aus heutiger Sicht ist das Muster jedoch unverkennbar.
Das war nicht immer so. Die technologische Entwicklung schritt die längste Zeit der Menschheitsgeschichte so unmerklich voran, dass man sie nur durch einen langfristigen Vergleich technologischer Niveaus hätte entdecken können. Die dafür benötigten Daten und Methoden – genaue historische Beschreibungen, archäologische Ausgrabungen, Radiokohlenstoffdatierung usw. – waren jedoch bis vor ziemlich kurzer Zeit noch nicht vorhanden, wie Robert Heilbroner erklärt:
An der Spitze der ersten stratifizierten Gesellschaften träumte man von Dynastien, erhoffte sich triumphale Siege und fürchtete bittere Niederlagen; doch weder die Papyri noch die Tontafeln, auf denen diese Hoffnungen und Ängste verzeichnet sind, zeigen auch nur die kleinste Spur des Ansinnens, die Lebensbedingungen der breiten Masse – oder auch nur die der herrschenden Klasse selbst – zu verbessern.[11]
In Visions of the Future argumentiert Heilbroner für die starke These, dass die menschliche Wahrnehmung der Zukunft seit dem Erscheinen des Homo sapiens genau drei Phasen durchlaufen hat. In der ersten Phase, die die ganze Urgeschichte und den Großteil der Menschheitsgeschichte umfasst, wurde die weltliche Zukunft von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen als materiell, technologisch und wirtschaftlich unveränderlich betrachtet. In der zweiten Phase, die in etwa vom Beginn des 18. bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts reicht, änderten sich die diesseitigen Erwartungen in den industrialisierten Gesellschaften: Die bis dato unkontrollierbaren Naturgewalten schienen durch den Einsatz von Vernunft und Wissenschaft zähmbar, was eine rosige Zukunft versprach. In der dritten Phase – die sich mit der zweiten überschneidet, aber in erster Linie in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fällt – herrscht das ambivalentere Bild einer Zukunft vor, die von unpersönlichen Kräften beherrscht wird und als ebenso vielversprechend wie brüchig, gefährlich und ominös erscheint.
19Selbst wenn eine scharfsinnige Beobachterin in früheren Zeiten eine Art von Gerichtetheit bemerkt hätte – einen technologischen, kulturellen oder auch sozialen Trend etwa –, hätte ihr immer noch unklar bleiben müssen, ob es sich dabei um ein globales oder doch nur lokales Muster handelt. Auch einer beispielsweise zyklischen Geschichtsauffassung zufolge kann es schließlich lange Perioden stetiger (technologischer oder anderweitiger) Entwicklung geben. Während einer solchen Zeit gibt es eine klare Richtung, doch jeder derartigen Wachstumsflut folgt eine Ebbe des Verfalls, die alles zum Ausgangspunkt zurückspült. Eine starke lokale Gerichtetheit ist daher vereinbar mit der Auffassung, dass die Globalgeschichte zyklisch verläuft und letztlich nirgendwohin führt. Falls diese Periodizität kein Ende nimmt, würde es sich um eine Form von Ewiger Wiederkunft handeln.
Menschen in den westlichen entwickelten Gesellschaften sind daran gewöhnt, dem Geschichtsverlauf eine Entwicklungsrichtung zuzuschreiben, und können sich vielleicht gar nicht richtig vorstellen, wie selbstverständlich die zyklische Auffassung früher einmal war.[12] Jedes geschlossene System mit einer endlichen Anzahl möglicher Zustände muss entweder einen dieser Zustände annehmen und für immer darin verbleiben oder aber einige oder alle Zustände erneut durchlaufen. Mit anderen Worten: Ein geschlossenes endliches System von Zuständen muss entweder statisch werden oder sich wiederholen. Wenn wir davon ausgehen, dass das System schon immer existiert hat, dann muss dieses Ergebnis bereits eingetreten sein, und das heißt: Das System ist entweder bereits festgefahren oder es durchläuft Zustände, in denen es sich schon einmal befand. Die Einschränkung, dass das System nur eine endliche Zahl von Zuständen haben darf, muss nicht so wichtig sein, wie es zunächst scheint. Auch ein System mit unendlich vielen möglichen Zuständen dürfte nämlich nur endlich viele durch Wahrnehmung voneinander unterscheidbare mögliche Zustände besitzen.[13] In der Praxis 20sollte es meist ziemlich egal sein, ob der gegenwärtige Weltzustand schon unendlich oft vorkam oder ob es unendlich viele unmerklich davon verschiedene Zustände gab.[14] So oder so lässt sich die Situation als Ewige Wiederkunft charakterisieren – der Extremfall einer zyklischen Geschichtsauffassung.
In der wirklichen Welt ist die zyklische Sicht falsch. Die menschliche Spezies gibt es erst seit ungefähr 200 000 Jahren, und das ist viel zu wenig Zeit, um alle möglichen Zustände zu erfahren, zu denen das System Menschen + Umwelt fähig ist. Außerdem ist die zyklische Sichtweise schon deshalb verkehrt, weil das Universum selbst nicht unendlich alt ist,[15] sondern vor etwa 13,7 Milliarden Jahren mit einem Zustand niedriger Entropie seinen Anfang nahm. Die Geschichte des Kosmos hat ihre eigene Richtung, die durch den unvermeidlichen Anstieg der Entropie gekennzeichnet ist. Während dieser Entropiezunahme durchlief das Universum verschiedene Phasen. In den ereignisreichen ersten drei Sekunden kam es zu einer Reihe von Übergängen, darunter wahrscheinlich Perioden der Inflation, Wiedererwärmung und Symmetriebrechung. Später folgten Nukleosynthese, Expansion und Abkühlung sowie die Entstehung von Galaxien, Sternen und Planeten, zu denen (seit etwa 4,5 Milliarden Jahren) auch die Erde gehört. Die ältesten unstrittigen Fossilienfunde sind etwa 3,5 Milliarden Jahre alt, es gibt allerdings Hinweise darauf, dass es schon vor mindestens 3,7 Mil21liarden Jahren Leben auf der Erde gab. Die Evolution komplexerer Organismen war dann ein langwieriger Prozess. Es dauerte etwa 1,8 Milliarden Jahre, bis sich aus den Prokaryoten das eukaryotische Leben entwickelte, und dann weitere 1,4 Milliarden Jahre, bevor die ersten Mehrzeller entstanden. Im Kambrium (vor etwa 542 Millionen Jahren) kam es dann häufiger – wenngleich an menschlichen Standards gemessen immer noch extrem langsam – zu »bedeutenden Entwicklungen«. Homo habilis, unser erster »menschenähnlicher Vorfahre«, tauchte vor rund 2 Millionen Jahren auf, Homo sapiens dann vor 100 000 Jahren. Die landwirtschaftliche Revolution begann vor 10 000 Jahren in dem im Nahen Osten gelegenen Fruchtbaren Halbmond, und der Rest ist Geschichte. Vor 10 000 Jahren gab es auf der Welt etwa 5 Millionen Menschen, die als Jäger und Sammler lebten, im Jahr 1 unserer Zeitrechnung waren es schon knapp 200 Millionen, 1835 wurde die Milliardengrenze überschritten, und heute bevölkern über 6,6 Milliarden Menschen den Planeten.[16] Mit Beginn der industriellen Revolution bemerkten aufmerksame Zeitgenossen in den entwickelten Ländern dann erstmals die großen technologischen Veränderungen, die sich vor ihren Augen abspielten.
Man muss nicht technologiegläubig sein, um es bemerkenswert zu finden, wie neuen Datums viele der Ereignisse sind, die die moderne conditio humana definieren. Stauchen wir die Zeitleiste so, dass die Erde vor einem Jahr entstand, dann betrat der Homo sapiens vor weniger als 12 Minuten die Bühne, die Landwirtschaft begann vor etwas mehr als einer Minute und die industrielle Revolution vor weniger als 2 Sekunden; der elektronische Computer ist dann 0,4 Sekunden alt und das Internet weniger als 0,1 Sekunden – ein Wimpernschlag.
Fast im gesamten Universum herrscht ein extremes Vakuum, und so gut wie alle materiellen Pünktchen darin sind so heiß oder so kalt, so zusammengepresst oder so ausgedünnt, dass dort keinerlei organisches Leben möglich ist. Räumlich wie auch zeitlich gesehen ist unsere Situation bemerkenswert.[17]
22Wie sollen wir uns nun die Zukunft denken, wenn wir von einer technozentrischen Perspektive ausgehen und unser zwar unvollständiges, aber doch beträchtliches Wissens von der Geschichte der Menschheit und ihrer Stellung im Universum in Betracht ziehen? Im Folgenden werden vier Arten von Szenarien der menschlichen Zukunft skizziert: Untergang, zyklischer Kollaps, Plateau und Posthumanität.
Falls die menschliche Spezies nicht buchstäblich ewig fortbesteht, wird sie irgendwann aufhören zu existieren. In diesem Fall ist die langfristige Zukunft der Menschheit offensichtlich: Sie wird untergehen – ebenso wie bereits geschätzte 99,9 Prozent aller jemals auf der Erde existierenden Arten untergegangen sind.[18]
Es gibt zwei verschiedene Weisen, auf die die Menschen untergehen könnten: Wir könnten uns erstens in eine oder mehrere neue Spezies oder Lebensformen verwandeln, die sich von uns genügend stark unterscheiden, um nicht mehr zur Gattung Homo sapiens zu zählen, oder wir könnten zweitens einfach aussterben, ohne einen Nachfolger oder Ersatz zu hinterlassen. Natürlich könnte eine Nachfolgerin unserer Art ihrerseits untergehen, und vielleicht kommt der Zeitpunkt, an dem es allem Leben so ergeht; Szenarien des ersten Typs mögen also schließlich alle in Szenarien des zweiten Typs münden. Die Diskussion der transformativen Szenarien verschieben wir auf später, und mit der möglichen Existenz fundamentaler physikalischer Grenzen des intelligenten Lebens im Universum befassen wir uns im vorliegenden Aufsatz überhaupt nicht. Dieser Abschnitt konzentriert sich auf die direkte Form des Untergangs, die sich innerhalb eines sehr – aber nicht astronomisch – langen Zeitraums ereignet, sagen wir der Genauigkeit halber: 100 000 Jahre.
Risiken, die zum Untergang der Menschheit führen könnten, 23wurde bisher wissenschaftlich zu wenig Beachtung geschenkt. In den letzten Jahren wurden etwa drei ernsthafte Bücher und ein großer Aufsatz zu diesem Thema veröffentlicht. In seinem Buch The End of the World[19] schätzt der kanadische Philosoph John Leslie das Risiko des Untergangs der Menschheit in den nächsten 500 Jahren auf 30 Prozent, wobei er seine Prognose teilweise auf das umstrittene Doomsday-Argument und seine eigene Sicht der Grenzen dieses Arguments stützt.[20] Sir Martin Rees, Großbritanniens »Astronomer Royal«, ist sogar noch pessimistischer. In Our Final Hour beziffert er die Chance, dass die Menschheit das 21. Jahrhundert überstehen wird, auf höchstens 50 Prozent.[21] Der bedeutende amerikanische Rechtswissenschaftler Richard Posner nennt keine Zahlen, sieht in seinem Werk Catastrophe aber ein »erhebliches« Risiko auf uns zukommen,[22] und ich selbst veröffentlichte 2002 einen Aufsatz, in dem ich es (ohne Zeitangabe) als verfehlt bezeichnete, einem existentiellen Desaster eine Wahrscheinlichkeit von weniger als 25 Prozent einzuräumen.[23] Vom Begriff des Untergangsrisikos ist derjenige des existentiellen Risikos zu unterscheiden. Meiner Definition zufolge verursacht ein existentielles Desaster entweder die Vernichtung des intelligenten Lebens irdischen Ursprungs oder zumindest die dauerhafte und drastische Beschneidung seines Potentials für eine erwünschte zukünftige Entwicklung.[24]
24Eventuell ist das gerade gezeichnete erschreckende Bild auf einen Publikationsbias zurückzuführen: Wissenschaftler, die vom Ernst der Lage überzeugt sind, schreiben vielleicht eher Bücher zu diesem Thema und lassen das Risiko unseres Untergangs so größer erscheinen, als es tatsächlich ist. Andererseits sehen all jene Forscher, die sich ernsthaft mit der Frage beschäftigt haben, bemerkenswerterweise auch wirklich eine echte Gefahr, dass die menschliche Reise ein vorzeitiges Ende finden wird.[25]
Die größten Untergangsrisiken (und die größten existentiellen Risiken im Allgemeinen) gehen vom Menschen selbst aus. Unsere Spezies überlebt seit zehntausenden von Jahren Vulkanausbrüche, Meteoriteneinschläge und andere Naturkatastrophen; es ist unwahrscheinlich, dass eine dieser altbekannten Gefahren uns in naher Zukunft auslöscht. Im Gegensatz dazu bringt die menschliche Zivilisation von Kernwaffen über Designerviren bis hin zu Hochenergie-Teilchenbeschleunigern viele neuartige Dinge hervor. Solche und absehbare technologische Entwicklungen stellen die schwerwiegendsten existentiellen Risiken in diesem Jahrhundert dar. Fortschritte in der Biotechnologie könnten zur Erschaffung neuer Viren führen, die die Ansteckungs- und Mutationsrate des Influenzavirus mit der Letalität von HIV kombinieren, und die molekulare Nanotechnologie ermöglicht vielleicht den Bau von Waffen, die weitaus zerstörerischer sind als Wasserstoffbomben oder biologische Kampfstoffe.[26] Falls superintelligente Maschinen 25entwickelt werden, entscheiden sie womöglich über die menschliche Zukunft – und ob wir überhaupt eine haben.[27] Die Tatsache, dass viele der offenbar schwerwiegendsten existentiellen Risiken erst in den letzten Jahrzehnten entdeckt wurden, macht es wahrscheinlich, dass ihnen noch weitere folgen werden.
Dieselben Technologien, die diese Risiken hervorrufen, werden uns gleichzeitig dabei helfen, einige Risiken zu verringern. Die Biotechnologie kann uns dabei helfen, bessere Diagnosen zu stellen und Impfstoffe sowie antivirale Medikamente zu entwickeln, und die molekulare Nanotechnologie bietet einen vielleicht noch besseren Schutz.[28] Superintelligente Maschinen könnten die letzte Erfindung sein, die wir jemals machen müssen, da eine Superintelligenz per Definition praktisch alle intellektuellen Tätigkeiten viel besser erledigen kann als ein Mensch, darunter auch strategisches oder kreatives technologisches Denken oder die wissenschaftliche Analyse.[29] Diese mächtigen Technologien würden nicht nur Risiken schaffen und mindern, sondern das Menschsein noch in vielen anderen Hinsichten beeinflussen.
Untergangsszenarien bilden eine besonders schwerwiegende Teilmenge all dessen, was für die Menschheit schieflaufen könnte. Es gibt viele mögliche globale Katastrophen, die immense weltweite Schäden verursachen und eventuell sogar zum Kollaps unserer Zivilisation führen würden, ohne jedoch die menschliche Spezies auszulöschen. Ein uneingeschränkter Atomkrieg zwischen Russland und den USA wäre wohl ein Beispiel für eine globale Katastrophe, die wahrscheinlich nicht den Untergang der Menschheit zur Folge hätte. Eine fürchterliche Pandemie mit hoher Virulenz und einer Sterblichkeitsrate von 100 Prozent der Infizierten dürfte ein weiteres Beispiel sein: Falls einige Gruppen den Kontakt mit dem Virus vermeiden könnten, dürfte die Menschheit selbst dann überleben, wenn 95 Prozent der Bevölkerung oder mehr ihm zum Opfer fielen. Das wichtigste Merkmal von Untergangsszenarien und anderen existentiellen Katastrophen ist, dass kein Comeback möglich 26ist. Eine nichtexistentielle Katastrophe, die zum Zusammenbruch der gesamten Zivilisation führt, ist aus Sicht der Menschheit als Ganzes dagegen ein Rückschlag, von dem sie sich erholen kann: ein großes Massaker für die Menschen, aber nur ein kleiner Fehltritt für die Menschheit.
Eine existentielle Katastrophe unterscheidet sich daher qualitativ von einem »bloßen« zivilisatorischen Kollaps, auch wenn es vielleicht moralisch und vernünftig wäre, beide Resultate einfach als unvorstellbar schlimm anzusehen.[30] Ein Kollaps könnte allerdings etwa dadurch eine noch prominentere Rolle in der Menschheitsgeschichte spielen, wenn er Teil eines sich wiederholenden Musters wäre. Das bringt uns zur zweiten Art von Szenarien: dem zyklischen Kollaps.
Im öffentlichen Bewusstsein scheinen Gefahren für die Umwelt den Atomkrieg als größte Bedrohung abgelöst zu haben; heutige Schwarzseher konzentrieren sich oft auf die ökologischen Probleme, denen sich die wachsende Weltbevölkerung gegenübersieht. Sie glauben, dass unser verschwenderischer Umgang mit der Natur keine Zukunft hat und die menschliche Zivilisation zerstören könnte. Die Initialzündung für die Umweltbewegung wird oft Rachel Carson zugeschrieben, deren 1962 erschienenes Buch Silent Spring die Öffentlichkeit auf die vermeintlich verheerenden Folgen von Pestiziden und synthetischen Chemikalien für Mensch und Tier aufmerksam machte.[31] Solche unheilverkündenden Stimmen wurden im Lauf des Jahrzehnts immer lauter: Paul Ehrlichs Population Bomb sowie der Bericht des Club of Rome, The Limits to Growth, der sich 30 Millionen Mal verkaufte, sagten angesichts 27einer wachsenden Weltbevölkerung und schwindender Ressourcen für die 1980er oder 1990er Jahre den wirtschaftlichen Kollaps und weltweite Hungersnöte voraus.[32]
In den letzten Jahren erregt der Klimawandel die meiste Besorgnis. Kohlendioxid und andere Treibhausgase sammeln sich in der Atmosphäre an, was voraussichtlich zu einer Erwärmung des Erdklimas und einem gleichzeitigen Anstieg des Meeresspiegels führen wird. Der jüngste Bericht des »Weltklimarates« IPCC der UNO, der die beste Einschätzung des momentanen Wissensstands darstellt, versucht sich an einer Abschätzung des durchschnittlichen globalen Temperaturanstiegs, der bis zum Jahrhundertende zu erwarten ist, falls keine Gegenmaßnahmen getroffen werden. Die Prognose ist mit zahlreichen Unsicherheiten wie Unsicherheit hinsichtlich der Menge der Emissionen, der Robustheit des Klimas sowie anderer Faktoren behaftet, weshalb der IPCC sechs verschiedene Klimaszenarien entwickelt hat, die auf verschiedenen Modellen und Annahmen beruhen. Das »niedrige« Modell sagt eine mittlere globale Erwärmung von 1,8 °C (Unsicherheitsbereich 1,1 °C bis 2,9 °C) voraus; das »hohe« Modell kommt dagegen auf 4,0 °C (2,4 °C bis 6,4 °C).[33] Der Meeresspiegel steigt diesen zwei extremsten der sechs Szenarien zufolge um 18 bis 38 beziehungsweise 26 bis 59 cm an.[34]
Obwohl diese Prognose durchaus eine Reihe von Klimaschutzstrategien rechtfertigen könnte, besteht kein Grund zur Panik, wenn wir das Ganze unter dem Blickwinkel der Zukunft der Menschheit betrachten. Selbst der Stern Review on the Economics of Climate Change, ein Bericht für die britische Regierung, der verschiedentlich als zu pessimistisch kritisiert wurde, schätzt, dass die Erderwärmung (wenn wir nichts dagegen unternehmen) den globalen Wohlstand um einen Betrag vermindern wird, der umgerechnet einer dauerhaften Reduktion des Pro-Kopf-Verbrauchs 28zwischen 5 Prozent und 20 Prozent entspricht.[35] In absoluten Zahlen wäre das zwar ein enormer Schaden, andererseits wuchs das weltweite BIP im 20. Jahrhundert um rund 3700 Prozent und das BIP pro Kopf um etwa 860 Prozent.[36] Es scheint daher ziemlich sicher zu sein (falls unsere besten wissenschaftlichen Modelle des Erdklimas nicht völlig verkehrt sind), dass alle negativen wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels gegenüber anderen Faktoren völlig vernachlässigbar sind.
Mehrere Denker haben den Versuch unternommen, den Zusammenbruch von Gesellschaften zu erklären – entweder anhand einer bestimmten Gesellschaft, wie etwa Gibbons in seinem klassischen Decline and Fall of the Roman Empire, oder aber, indem sie sich auf die Suche nach allgemeineren Merkmalen gemacht haben.[37] Zwei Beispiele im letzteren Genre sind Joseph Tainters The Collapse of Complex Societies und Jared Diamonds neueres Buch Collapse: How Societies Choose to Fail or Succeed. Tainter stellt fest, dass sich Gesellschaften gewisse Ressourcen wie Lebensmittel, Energie und Rohstoffe sichern müssen, um ihre Bevölkerung zu versorgen.[38] Um diese Versorgungsprobleme zu lösen, müssen sie in manchen Hinsichten komplexer werden – beispielsweise durch mehr Bürokratie und Infrastruktur oder durch Klassenunterschiede, Militärkampagnen und Kolonien. Tainter glaubt, dass die Grenzerträge dieser Investitionen irgendwann zu klein werden und 29dass diejenigen Gesellschaften, die es nicht schaffen, die ausufernden Kosten in den Griff zu bekommen, schließlich kollabieren.
Diamond argumentiert dafür, dass beim Zusammenbruch vieler Zivilisationen Umweltfaktoren eine wichtige Rolle spielten: Entwaldung und Zerstörung von Lebensräumen, Probleme mit Ackerböden und der Wasserversorgung, Überfischung und -jagung, eingewanderte Arten, Bevölkerungswachstum und erhöhter Pro-Kopf-Einfluss.[39] Außerdem listet er vier weitere Faktoren auf, die zum Kollaps gegenwärtiger und künftiger Gesellschaften führen könnten: der vom Menschen verursachte Klimawandel, die zunehmende Konzentration giftiger Chemikalien in der Umwelt, Energie-Engpässe und die Ausschöpfung der irdischen Photosynthesekapazitäten. Diamond lenkt die Aufmerksamkeit auf die Gefahr der »schleichenden Normalität«, das heißt auf das Phänomen eines Langzeittrends, der im Rauschen anderer Phänomene untergeht. Es führt in kleinen, fast unmerklichen Schritten zu einem letztlich hingenommenen schädlichen Ergebnis, das eine starke Gegenreaktion ausgelöst hätte, wenn es nur plötzlich und auf einen Schlag aufgetreten wäre.[40]
Wir müssen zwischen verschiedenen Klassen von Kollapsszenarien unterscheiden. Erstens kann es sich um einen bloß lokalen Kollaps handeln: Einzelne Gesellschaften können zusammenbrechen, dies hat jedoch keinen entscheidenden Einfluss auf die menschliche Zukunft, wenn andere fortgeschrittene Zivilisationen überleben und da weitermachen, wo Erstere versagt haben. Alle historischen Beispiele für Zusammenbrüche sind von dieser Art. Zweitens können wir annehmen, dass neue Arten von Bedrohungen (etwa ein Atomkrieg oder katastrophale Veränderungen der Umwelt) oder auch der Trend zu Globalisierung und zunehmender gegenseitiger Abhängigkeit verschiedener Weltregionen die menschliche Zivilisation insgesamt verwundbarer machen. Angenommen, es kommt zu einem weltweiten gesellschaftlichen Kollaps. Was passiert als Nächstes? Falls der Kollaps verhindert, dass es jemals wieder zu einer fortgeschrittenen globalen Zivilisation kommt, handelt es sich um eine existentielle Katastrophe. Es ist 30