Digitales Lesen im Fremdsprachenunterricht - Manuela Franke - E-Book

Digitales Lesen im Fremdsprachenunterricht E-Book

Manuela Franke

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Beschreibung

Das Lesen im digitalen Raum nimmt eine immer bedeutendere Rolle im Alltag von Fremdsprachenlernenden ein. Besonders in den sozialen Medien sind diese mit fremdsprachlichen authentischen Quellen konfrontiert, welche unterschiedliche Textsortenmerkmale und Besonderheiten aufweisen. Jene Besonderheiten können das Leseverstehen unterschiedlich stark beeinflussen, wobei besonders digitale Hilfsmittel den Verstehensprozess behindern oder unterstützen können. Der Band widmet sich den Potenzialen und Herausforderungen im Einsatz von digitalen Texten im Fremdsprachenunterricht und stellt Implikationen für eine Leseförderung und ein Strategientraining vor. Mit praktischen Hinweisen, welche Aufgabenformate sich für eine digitale Leseförderung in der Fremdsprache eignen, bietet der Band eine Grundlage für die Gestaltung von digitalen Lehr-Lern-Settings.

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Manuela Franke / Anne-Marie Lachmund

Digitales Lesen im Fremdsprachenunterricht

Dr. Manuela Franke ist akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Didaktik der romanischen Sprachen an der Universität Potsdam.

 

Dr. Anne-Marie Lachmund ist Gastprofessorin für Didaktik der romanischen Sprachen an der Technischen Universität Dresden.

 

 

Die Kapiteleingangsbilder wurden von ChatGPT-4o generiert.

 

DOI: https://doi.org/10.24053/9783381101023

 

© 2024 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

ISSN 2509-6036

ISBN 978-3-381-10101-6 (Print)

ISBN 978-3-381-10103-0 (ePub)

Inhalt

1. Einleitung: Warum und wozu digitales Lesen im Fremdsprachenunterricht?2. (Digitales) Leseverstehen im Fremdsprachenunterricht2.1 Grundlagen des Leseverstehens2.2 Leseprozesse und Lesestrategien2.3 Zur Relevanz der multiliteracies im Kontext des digitalen Lesens3. Digitale Texte und ihre Lesarten3.1 Besonderheiten digitaler Texte3.2 Digitale Texte lesen3.2.1 Veränderte Lese- und Sehgewohnheiten3.2.2 Fokussierung der Konzentration und Aufmerksamkeit beim digitalen Lesen3.2.3 Einsatz von Lese- und Textverarbeitungsstrategien und Hilfsmitteln3.2.4 Multimodale semiotische Bewusstheit4. Arbeit mit digitalen Texten im Fremdsprachenunterricht4.1 Überblick digitaler Textsorten zur fremdsprachlichen Lesekompetenzförderung4.1.1 Digitale nicht-literarische Texte4.1.2 Digitale literarische Texte4.1.3 Sonderfall: Social-Media-Beiträge und instant-messages4.2 Implikationen für den Fremdsprachenunterricht4.2.1 Zielvorstellungen einer digitalen fremdsprachlichen Lesekompetenz4.2.2 Aspekte der Textauswahl4.2.3 Didaktisch-methodische Entscheidungen zur Förderung des digitalen Lesens4.2.3 Sonderfall: Social-Media-Beiträge lesen5. Fazit oder Plädoyer für eine Didaktik des digitalen Lesens6. Unterrichtspraktische Beispiele6.1 Umgang mit Hyperlinks reflektieren (ab A2)6.2 Quellen kritisch reflektieren (ab B1)7. Literaturverzeichnis

1.Einleitung: Warum und wozu digitales Lesen im Fremdsprachenunterricht?

Der digitale Wandel in Schule und Gesellschaft hat neben technischen Neuerungen und Auswirkungen auf externe Kommunikationsmodi auch einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wendeprozess zufolge, der stark veränderte Kulturtechniken, Arbeits- und Rezeptionsweisen nach sich zieht. Mit der Technologisierung, (Massen-)Medialisierung und Globalisierung treten auch Aspekte der Mehrsprachigkeit und Diversität in den Fokus, die laut Kerschhofer-​Puhalo (2018: 164)

nicht nur aktuelle Entwicklungen und gesellschaftlichen Wandel, sondern auch die veränderten Anforderungen an das Bildungswesen und die Gestaltung schulischer Leseförderung charakterisieren.

Die in den aktualisierten Bildungsstandards für die erste Fremdsprache neu eingeführte „fremdsprachenspezifische digitale Kompetenz“ (KMK 2023: 25) trägt diesem Umstand ebenfalls Rechnung und ist eng an die Lesekompetenz gekoppelt. Diese ist für eine erfolgreiche Partizipation im digitalen Raum von zentraler Bedeutung, denn das Erlernen des Lesens spielt eine entscheidende Rolle in der Entwicklung eines Individuums und ist essenziell für die soziale, kognitive und persönliche Entfaltung. Eine solide Lesefähigkeit trägt zur langfristigen gesellschaftlichen Handlungsfähigkeit bei, fördert das Urteilsvermögen und beeinflusst die soziale Interaktion (auch im digitalen Raum). Des Weiteren unterstützt sie die Kritik- und Reflexionsfähigkeit und befähigt dazu, komplexe Themen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Lesen wird daher als ein wichtiger Indikator für Bildungsniveau, schulischen Erfolg und Quelle lebenslangen Lernens angesehen. Es gilt als eine Schlüsselqualifikation, die fächerübergreifend relevant ist und eine Voraussetzung für die kompetente Nutzung verschiedener Medien darstellt (vgl. u. a. Artelt & Schlagmüller 2004: 141; Oakhill et al. 2015).

In unserer von digitaler und multimedialer Kommunikation geprägten Welt gewinnt das digitale im Wettstreit mit dem analogen Lesen stetig an Relevanz, da Jugendliche den primär textbasierten virtuellen Raum sowohl in ihrem außerschulischen Alltag als auch für formelles Lernen lesend betreten und in diesem bestehen müssen (vgl. JIM-​Studie, MPFS 2023). Wie die PISA-​Sonderauswertung zum Lesen im 21. Jahrhundert (OECD 2021: 4) ganz zentral ergab, resultiert eine höhere Kontaktzeit mit digitalen Texten jedoch nicht automatisch in einer ausgeprägten Lesekompetenz. Für deutsche Jugendliche offenbarte sich das digitale Lesen sogar als Hemmnisfaktor beim Aufbau einer ausgeprägten Lesekompetenz, woran sich die Unterschiede zwischen digitalem und analogem Lesen manifestieren (siehe diesbezüglich Kapitel 3).

Nachdem jahrzehntelang die Digitalisierung der Bildung – nahezu ohne Gegenwind – flächendeckend gefordert wurde und die Trägheit des Einzugs digitaler Geräte in deutsche Schulen immer wieder öffentlich breit geführte Debatten befeuerte, zeigt sich nun immer häufiger eine kritische Distanzierung hinsichtlich jener Überzeugungen, die nicht zuletzt mit den Empfehlungen von Schwedens Karolinska Institut zur nationalen Digitalisierungsstrategie des Bildungswesens (2023) in einer drastischen Abkehr von diesen mündete. Lange galt das schwedische Beispiel als Vorreiter für digitale Bildung: mit einem Verzicht auf Papier und Buch sollte eine „Bildung der Zukunft“ ab Schuleintritt ermöglicht werden, jedoch treten mit zunehmender Datenlage die Probleme und negativen Auswirkungen auf das Lernen und hier insbesondere auf die Qualität des Leseverständnisses in den Vordergrund.

Nicht nur für Schweden, sondern den gesamten OECD-​Raum gültig, mangele es aktuell noch an didaktischen Konzepten und einer flächendeckenden Vermittlung digitaler Lesekompetenz, wodurch sich die Leseleistungen insgesamt eher verschlechterten (vgl. OECD 2021; auch Stavanger Declaration 2019). Die Auswirkungen erstrecken sich auf alle Sprachfächer, erhalten jedoch mit Blick auf den Fremdsprachenunterricht eine besondere Brisanz, stellt doch das Leseverstehen die Lernenden aufgrund häufig geringerer Kenntnisse der sprachlichen Mittel vor besondere Herausforderungen, was die Vermeidung der Lektüre in der Fremdsprache zufolge haben kann (vgl. u. a. Höfler & Aspalter 2024).

Der vorliegende Band möchte sich statt für einen Rückgang zum gedruckten Buch für einen ausgewogenen, zielgerichteten Ausbau der digitalen fremdsprachlichen Lesekompetenz stark machen, der die Potenziale und Grenzen des digitalen Raums reflektiert und berücksichtigt. Dabei sollen neben der Notwendigkeit der Förderung einer spezifisch-​digitalen Lesekompetenz besonders deren Schwierigkeiten in der Umsetzung im Klassenraum skizziert werden, um für die Herausforderungen in der methodisch-​didaktischen Aufbereitung von Lehr-​Lern-​Arrangements zu sensibilisieren. Diese funktional und adressatengerecht zu planen und umzusetzen, setzt jedoch ein tiefgreifendes Verständnis für die veränderten Lese- und Sehgewohnheiten im Digitalen voraus, denen im Folgenden nachgegangen wird. Hierzu werden unter 2. zunächst die Grundlagen des Leseverstehens im Fremdsprachenunterricht im Zusammenspiel aus Analog und Digital einhergehend mit dem Konzept der multiliteracies vorgestellt, um anschließend unter 3. Eigenschaften digitaler Texte und deren Leseweisen zu diskutieren. Anhand des veränderten Einsatzes von Lesestrategien im digitalen Raum werden potenzielle Ablenkungsmechanismen präsentiert und mithilfe aktueller Studien eingeordnet, inwiefern sich diese auf das Leseverstehen auswirken können. Kapitel 4 führt die Erkenntnisse zu Implikationen für den Fremdsprachenunterricht zusammen, indem Hinweise zur Auswahl von digitalen Texten und deren didaktischer Aufbereitung zum Aufbau einer fremdsprachlichen digitalen Lesekompetenz angeführt werden. Nach einem die Ergebnisse des Theorieteils zusammenfassenden Fazit, das sich als Plädoyer für eine Didaktik des digitalen Lesens versteht, wird anhand zweier Beispiele aus der Unterrichtspraxis verdeutlicht, wie die digitale Lesekompetenz im fremdsprachlichen Unterricht geschult werden kann.

 

2.(Digitales) Leseverstehen im Fremdsprachenunterricht

2.1Grundlagen des Leseverstehens

Beim Lesen handelt es sich um eine zielgerichtete, selektive und antizipatorische Aktivität, mit der nicht nur intendiert wird, neues Wissen zu erlangen, sondern zu kommunizieren. Dabei werden Informationen aus dem Text extrahiert und Erwartungen an diesen gestellt, die den Verlauf des Leseprozesses beeinflussen (vgl. Bergfelder & Caspari 2008: 58; Lehrner-​te Lindert 2020: 15). Nordquist (2017, zit. in Lim & Toh 2020: 24) definiert in diesem Kontext digital reading als „the process of extracting information from a text that is on a digital device“ wie beispielsweise Computer, Tablet, Smartphone und e-​reader. Da sie eingebettet in ein webbasiertes Interface sind, existieren digitale Texte immer in einem modularen Netz zu anderen Texten – erkenntlich u. a. an der Praxis der Hyperlinks – weshalb eher der Plural gebraucht und also von Texten bzw. Quellen die Rede sein sollte (vgl. Philipp 2018: 24). Mit der multimedialen und synästhetischen Vielfalt steigt ebenso die Menge an Inhalten, womit sich die Rezeptionsform digitaler Quellen ändert, was eine Entwicklung neuer, adäquater Lesetechniken zur Folge hat (vgl. Bender 2020: 384 bzw. vertieft hierzu Kapitel 3).

Zwischen den Lesekompetenzen in der ersten Sprache (L1) und den anschließend erlernten Fremdsprachen (L2 und L3 etc.) besteht eine deutliche Verbindung: Personen, die bereits in ihrer L1 Schwierigkeiten beim Lesen haben, weisen ähnliche Probleme beim Lesen in der L2 oder L3 auf (vgl. Rindlisbacher 2021: 56). Bereits das im ersten Leseschritt erfolgende Extrahieren von kleineren Einheiten (z. B. Wörter, Morpheme und Phrasen), das durch die Identifikation der kommunikativen Funktion derselben im Kontext der gesamten Äußerung geschieht (vgl. Tomasello 2003: 41; Lutjeharms 2007: 109–112), ist in der Fremdsprache – v. a. im Anfangsunterricht – zusätzlich erschwert. Auch das im zweiten Schritt des Leseprozesses erfolgende Erkennen von Mustern in Teilen von oder ganzen Äußerungen stellt für Fremdsprachenlernende per se eine Herausforderung dar (vgl. ebd.). Zudem unterscheidet sich die Lesesituation zwischen der Erstsprache, der erstgelernten und den zweit- oder drittgelernten Fremdsprachen im digitalen Raum, wo insbesondere Englisch als Lingua franca vorherrscht. Die Dominanz des Englischen im Digitalen kann dazu führen, dass das Lesen in anderen Fremdsprachen vernachlässigt wird, da die Ressourcen auf das Englische gerichtet sind. In diesem Kontext wird der Umgang mit Wörterbüchern oder Online-Übersetzern, die über Tablet und Smartphone auch immer mehr Einzug in den schulischen Fremdsprachenunterricht halten (vgl. Jolley & Maimone 2022), zu einer besonders wichtigen Fertigkeit, um effektiv und zielgerichtet die Lesekompetenz in den Fremdsprachen zu verbessern.

2.2Leseprozesse und Lesestrategien

In der heutigen Informations- und Wissensgesellschaft ist die Auswahl und Prozessierung von Informationen von zentraler Bedeutung (vgl. Leupold 2007: 226). Diese erfolgt (noch) sowohl im Analogen als auch im Digitalen vornehmlich basierend auf dem Lesen entsprechender Quellen1, womit Kinder und Jugendliche aktuell viel Zeit verbringen (vgl. MPFS 2023: 26; Lehrner-​te Lindert 2020: 16). Damit Fremdsprachenlernende autonom mit den Zielsprachen und deren -kulturen in Kontakt treten, sich über diese informieren sowie ihre sprachlichen und interkulturellen Kenntnisse erweitern, bedarf es entsprechend der Fähigkeit, authentische Texte lesen und verstehen zu können (vgl. Koch 2021: 39). Zu einem kompetenten Umgang mit komplexen (digitalen) Texten gehört es, Informationen zu extrahieren und Schlussfolgerungen zu ziehen, gleichzeitig verbessern Lernende ihre kognitiven Fähigkeiten wie analytisches Denken, Problemlösungsfähigkeiten und Textverarbeitungsfertigkeiten und somit ihre Kapazität, sich in verschiedenen Kontexten zu behaupten und als mündige Bürger:innen auch im Zielsprachenland sowohl analog als auch digital-​kommunikativ handlungsfähig zu sein (vgl. Bergfelder & Caspari 2008: 58). Der Aspekt der Förderung der Autonomie im Umgang mit digitalen Quellen spielt hierbei eine entscheidende Rolle (vgl. Hallet 2020: 167), denn nur mit dem erfolgreichen Einsatz von Strategien und zügig ablaufenden Leseprozessen ist eine vollwertige Partizipation im digitalen Leseraum gesichert:

Zunehmend werden im Fremdsprachenunterricht autonome Lernformen integriert, die den Lernenden nicht nur ein individuelles Erfassen des Lernstoffes ermöglichen, sondern auch das selbstständige und lebenslange Lernen außerhalb des Schulunterrichts anbahnen sollen. Damit verbunden sind der Erwerb bestimmter Lerntechniken und die Bewusstmachung von Strategien. (Elsner 2018: 37)

Sowohl für das Analoge und Digitale gültig, ist Lesen als ein aktiver Vorgang zu verstehen, der erst durch die Kombination von top-​down- (auch concept-​driven oder knowledge-​driven) und bottom-​up-Prozessen (auch text-​based oder data-​driven processing) erfolgreich stattfindet. Bei ersteren werden basierend auf bereits vorhandenem, in Schemata gebündeltem Erfahrungs- und Weltwissen, das auch deklaratives Wissen über Vokabular, Grammatik, Intonation usw. einschließt, Hypothesen aufgestellt und fehlende Informationen ergänzt. Es findet zudem eine fortlaufende Antizipation über den weiteren Verlauf des Textes statt (vgl. Koch 2021: 37f). Vor allem im Kontext des digitalen Lesens sind top-​down