Dilemma – Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen - Gunther, Dr. Mair - E-Book

Dilemma – Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen E-Book

Gunther, Dr. Mair

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Beschreibung

Wenn Sie schon immer wissen wollten, was der Untergang der Steinzeit-Osterinselkultur und die erfolgreiche Bekämpfung des Ozonlochs mit dem globalen Artensterben und dem Klimawandel gemeinsam haben, lesen Sie dieses Buch! Dr. Gunther Mair nimmt uns mit auf eine spannende Reise durch die menschliche Evolution. Er zeigt auf, wie Kulturen auf Inseln entstanden und warum sie an den Problemen von Überbevölkerung und Ressourcenübernutzung scheiterten oder diese bewältigen konnten. Für ihn ist auch die Erde eine Insel, bei der wir vor ähnlichen Herausforderungen stehen wie die Eilandbewohner. Seine Schlussfolgerungen sind überraschend und haben sehr viel mit Eigenverantwortung und Gemeinsinn zu tun. Welche Freiheitsgrade haben wir überhaupt, etwas zu wollen und dann zu entscheiden?

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2023 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99130-259-9

ISBN e-book: 978-3-99130-260-5

Lektorat: Tobias Keil

Umschlagfotos:Zerbor, Umbertoleporini,Juan Moyano | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Dr. Gunther Mair

www.novumverlag.com

Widmung

Für

meinen Enkel Manos

und

seine Generation

Vorwort zur zweiten Auflage

Der Verkaufserfolg der Erstauflage von 2021 hat mich als „unbekannten Erstautor“ doch einigermaßen überrascht.

In den nur eineinhalb Jahren seither ergaben sich wesentliche Änderungen in der Weltpolitik, in der europäischen Regionalpolitik und in der Wahrnehmung des Klimawandels, um nur einige Themen zu nennen.

Dieses Buch taucht zwar bis in die frühmenschliche Vergangenheit, sucht jedoch den rationalen und emotionalen Anschluss an das Hier und Jetzt. Ich entschloss mich daher zu einer zweiten, durchgesehenen und aktualisierten Auflage.

Gunther Mair, November 2022

Prolog

Meine Kindheit fiel in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs boomte die Wirtschaft, und es herrschte ein ungebrochener Fortschrittsglaube. Jungen bekamen Metall­baukästen, Elektrobaukästen und die etwas älteren auch Chemiebaukästen geschenkt. Ich erlebte in meinem Elternhaus die Umstellung der Heizung von Koks über Öl auf Gas. Im Ausland angeworbene Arbeitskräfte hießen damals Gastarbeiter, kamen zum größeren Teil aus Italien und der Türkei und waren als arbeitsame und freundliche Menschen bekannt. Die Welt befand sich im Kalten Krieg zwischen Sowjetunion und USA, aber von der Kubakrise 1963 mit drohender Atomkrieg-Eskalation bekam ich als Kind noch nichts mit. Die erste Mondlandung 1969 verfolgte ich mit glänzenden Augen. Im Gymnasium traktierte uns ein motivierter junger Gemeinschaftskundelehrer regelmäßig mit neuen Details zu den nuklearen Abrüstungsverhandlungen, die wir auswendig lernen mussten und die mir trotzdem nichts sagten. Einige meiner Freunde schwärmten für Mao, dessen in der chinesischen Sprache hinten stehender Vorname damals noch Tsetung geschrieben wurde. Dass sein „Großer Sprung nach vorn“ (1958‒1961) eine misslungene Technologisierungskampagne war, die durch Landwirtschaftsmissmanagement eine zweistellige Millionenzahl an Hungersopfern gefordert hatte, war uns nicht bekannt. Auch der visionäre Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des internationalen Club of Rome1 (1972) ging an meinem politisch unmotivierten Schülerdasein spurlos vorbei.

Als mir meine Eltern das erste Auto schenkten, war das ein gebrauchter Käfer, der 13 Liter verbleites Benzin pro 100 km verbrauchte. Damals musste ich regelmäßig die Scheiben putzen, da sie voller toter Insekten waren – so viele Insekten auf einem Fleck gibt es heute gar nicht mehr. 1976 erfolgte der erste kommerzielle Start des ultramodernen Überschallflugzeugs Concorde, eines technologischen Traums, der sich zerschlagen sollte, nicht nur wegen des hohen Kerosinverbrauches, sondern auch wegen des höllischen Lärms und eines Absturzes. Die Umweltverschmutzung durch Chemikalien kam der Öffentlichkeit ins Bewusstsein und das Ozonloch über der Antarktis wurde entdeckt.

Etwas später – ich war bereits jung verheiratet und stand am Anfang meines Berufslebens in der chemischen Großindustrie – fiel 1989 die Berliner Mauer, die Sowjetunion brach aus­einander und Deutschland wurde wiedervereinigt. Manche sprachen vom „Ende der Geschichte“, im Glauben, dass nun der Frieden, die Demokratie, der Kapitalismus und die freie Marktwirtschaft für immer gesiegt hätten.

Kurz gesagt: Ich hatte eine unauffällige typische deutsche Mittelstandsjugend, und die Welt schien sich zum Besseren zu entwickeln, technologisch, gesellschaftlich und politisch.

Leider sollte sich das als Trugschluss herausstellen.

Wie heißt der schöne Spruch: „Gestern standen wir noch am Abgrund, heute sind wir einen Schritt weiter!“

Dreißig Jahre später ist die globale Blockbildung mit drohendem Kriegsrisiko wieder zurückgekehrt, diesmal zwischen den USA und China. Russland hat den Krieg nach Europa hineingetragen. Eine Pandemie hat die Welt heimgesucht. Migrationsströme nehmen zu. Die Entwicklung des Internets und das damit verbundene Aufkommen neuer sozialer Medien haben die geistige Blockbildung gefördert und sich damit häufig nicht gerade hilfreich für den Erhalt lebensfähiger demokratischer Strukturen erwiesen. Wohin wir schauen – China, USA, Brasilien, Türkei, Russland –, der Traum eines Siegeszugs der freiheitlichen und friedlichen Demokratie hat sich nicht realisiert, sondern eher sein Gegenteil.

Zusätzlich zu diesem politischen Tagesgeschäft, wie man es nennen könnte2, sind jedoch Probleme völlig neuer Art getreten: Probleme, die die Erde als Ganzes betreffen.

Dies ist erstens der Klimawandel. Die menschliche Zivilisation nutzt die Atmosphäre inzwischen so stark als Müllhalde für Treibhausgase – allen voran Kohlendioxid (CO2) –, dass sich deren Zusammensetzung signifikant geändert hat und weiter ändert, mit den bekannten Folgen, die uns in kurzer Zeit von einer geologischen Kaltphase in eine geologische Warmphase katapultieren könnten.

Zum Zweiten ist dies das Artensterben. Lebensraumabwertung durch Rodung und intensive Landwirtschaft sowie Flächenverbrauch durch Versiegelung haben ebenfalls erstmalig seit Menschengedenken global und regional zu einer Abnahme des Bestands von biologischen Arten bis hin zum Aussterben geführt. Fachleute vergleichen dies bereits mit dem letzten großen Aussterbeereignis vor rund 60 Millionen Jahren, das zum Verschwinden der Dinosaurier geführt hat.

Beide Arten der Veränderung, die des Klimas und die des Artenreichtums, sind bereits in der Vergangenheit mehrfach aufgetreten. Neu und damit bedrohlich sind das für geologische Verhältnisse ungeheure Tempo, in dem sich die Veränderungen vollziehen, sowie die Tatsache, dass wir als Verursacher die katastrophalen Folgen der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen vorhersehen und teilweise bereits spüren können.

Das ist das Seltsame: Obwohl wir in beiden Fällen wissenschaftlich und technisch wissen, was zu tun wäre, sind wir offenbar nicht in der Lage, diese eminenten Bedrohungen wirksam abzuwehren. Warum ist das so? Steht man diesem Befund tatsächlich wehrlos gegenüber?

Schon über fünfzig Jahre alt, begann ich mich in die Thematik „Klimawandel“ einzulesen, was mir als studiertem Chemiker leichtfiel. Die wissenschaftlichen Details zum Zustand der Natur, der Tiere und Pflanzen herauszufinden war für mich als biologischen Laien schon eine deutlich schwierigere Aufgabe. Ich begann meinen Lebenswandel zu überprüfen, wie Höhe des Fleischkonsums, Anzahl der Reisen usw., ließ zwei Dutzend Bäume und eine Blumenwiese in meinen Heimatgemeinden pflanzen, isolierte das Haus, installierte Photovoltaik-Platten auf dem Dach und legte einen Naturgarten an.

Das half mir allerdings noch nicht, das eigentliche Problem – mangelnde Abwehr angesichts einer existenziellen Bedrohung – zu verstehen, das die globale Gesellschaft offenbar hat. Ich las daher Bücher über die Evolution und die Psychologie des Menschen und über das Dilemma, das entsteht, wenn das gefühlte Wohl des Einzelnen zum schlechten Ausgang für alle führt – bekannt unter der Spielform „Gefangenendilemma“. Ich fand in der Geschichte Beispiele der Übernutzung von Naturressourcen, die die Menschen gemeinsam erfolgreich beenden konnten. Ich begann mit Freunden und Bekannten zu reden und verfolgte die Nachrichten über den schleppenden Fortgang der politischen Bemühungen um Klima- und Artenschutz, Bemühungen, deren „Spielregeln“ und Schwierigkeiten mir nun verständlicher erschienen.

Mir wurde klar, dass es bei kollektiven Problemen hilfreich und der Pro­blemlösung dienlich ist, möglichst intensiv zu kommunizieren, und dazu wollte ich einen bescheidenen Beitrag leisten: Dies ist die Motivation für das vorliegende Buch.

1 Der Bericht prognostizierte bei konstanten Trends von Bevölkerungswachstum, Industrialisierung und Ausbeutung natürlicher Rohstoffe eine absolute Wachstumsgrenze innerhalb von 100 Jahren (also 2070). Danach würde die Bevölkerung unter anderem durch Nahrungsmangel kollabieren.

2 Das ist nicht zynisch gemeint, sondern soll zum Ausdruck bringen, dass der Mensch in geschichtlicher Zeit und wahrscheinlich schon erheblich früher regelmäßig seine Streitigkeiten mit Gewalt ausgetragen hat.

Über dieses Buch3

Würden alle oder zumindest die meisten Menschen sich an der mehrheitlichen wissenschaftlichen Meinung orientieren und auch dasselbe Wertesystem haben, wären globale Probleme wie Klimawandel und Artensterben im Handumdrehen gelöst.

Warum zerstören wir Menschen weiterhin unsere Ressourcen, obwohl wir es doch besser wissen?

Um eine Erklärung für dieses paradoxe Verhalten zu finden, werde ich im Folgenden nach Antworten auf diese Fragen suchen:

Wer ist überhaupt „wir“? Die Familie, die Nachbarschaft, eine Religionsgemeinschaft, ein Staat, die Menschheit, die belebte Natur unserer Erde?Wie steht es um das Zusammenspiel von Egoismus und Altruismus im Menschen?Wie bilden sich Wertvorstellungen, und in welchem Zusammenhang?Wann vertraut man einem Dritten, dass er sich an gemeinsame Regeln hält, und wann nicht?Welchen Einfluss hat die evolutionäre Prägung auf unser Denken und unsere Entscheidungen?

Der Begriff „Tragik der Allmende“ beschreibt das Problem, das entsteht, wenn ein begrenztes Allgemeingut (Allmende4) durch dessen Nutzer überlastet wird: ein kollektiver Schaden. In entsprechenden Situationen tritt die Überlastung ohne weiteres Zutun sozusagen automatisch auf, kann aber durch Erkennen des Problems und geeignete Gegenmaßnahmen gestoppt werden.

Die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom widmete diesem Thema ihre Laufbahn und erhielt für ihre Forschungen 2009 als erste Frau den Wirtschaftsnobelpreis. In diesem Buch möchte ich unter anderem einige ihrer wesentlichen Ergebnisse und Analysen vorstellen.

Nach einer Zusammenstellung von Zahlen und Fakten zu Klima und Umwelt im historischen Kontext werde ich Ostroms Modell der Interaktionen in Situationen, in denen ein gemeinsames Gut durch Übernutzung gefährdet ist, einführen. Dabei werden Begriffe wie „Institution“, „Wert“, „Norm“ und „Regel“ entsprechend Ostrom erläutert und ihre Erkenntnisse zu Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren für die Verwaltung von Allmende­situationen vorgestellt.

Um Ostroms theoretisches Gedankengebäude mit Leben zu füllen, werden wir einen Gang durch ausgewählte Kapitel der Geschichte machen, darunter die Besiedelung der pazifischen Inseln, die Eindämmung des Ozonlochs, der Wanderfeldbau in Madagaskar und die Unterschiede der Bevölkerungsentwicklung in exemplarischen Ländern.

Auch die Funktionsweise des Akteurs Mensch werden wir betrachten. Erkenntnisse der Evolution und der Neurowissenschaften werden uns helfen, die Grundlagen unserer Entscheidungen besser zu verstehen. Dazu tauchen wir ein in die Tiefe des menschlichen „Ich“, von seiner evolutionären Vorgeschichte vor Millionen Jahren über die Ausbreitung der menschlichen Arten auf der Erde, von seiner emotionalen Steuerung über den Körper und über die an ihn herangetragenen äußeren Informationsreize bis hin zur Frage: Welche Entscheidungsfreiheit haben wir eigentlich, um zu wollen, was wir wollen?

3 Sie werden in diesem Buch einer Reihe von Fachbegriffen und Abkürzungen begegnen. Weniger geläufige sind in Fußnoten erklärt. Eine Liste mit Erklärungen findet sich im Anhang.

4 Allmende: aus dem Alt- oder Mittelhochdeutschen für Gemeindeflur

2 Die Besiedelung der pazifischen Inseln (Kirch 2000)

Abb. 4: Ausgewählte pazifische Inseln Ungefährer Zeitrahmen der Besiedelung (nach Kirch 2000) siehe Pfeile: 1200 v. u. Z.20 bis Tonga; 200 v. u. Z. bis Gesellschaftsinseln; 300 u. Z. Osterinsel; 400 u. Z. Hawaii; 800 u. Z. Neuseeland

Im Pazifik liegen rund 5000 Inseln. Heute werden dort noch etwa 800 Papua- und 450 austronesische Sprachen gesprochen, zum Teil nur von wenigen hundert Personen.

Während der letzten Eiszeit bei um etwa 4 °C niedrigeren Temperaturen lag der Meeresspiegel erheblich tiefer als heute. Vor etwa 60 000‒40 000 Jahren konnte Homo sapiens deshalb Neuguinea und Australien erreichen, die damals durch eine Landbrücke mit Asien verbunden waren.

Bereits vor 20 000 Jahren waren die Solomoninseln erreicht, die bei guter Sicht vom Festland aus zu sehen waren.

Vor 13 000 Jahren war eine Insel 230 km nördlich von Neuguinea besiedelt. Diese Strecke war bereits so groß, dass das Ziel bei Abfahrt der Segler nicht zu sehen war, da es wegen der Erdkrümmung hinter dem Horizont lag.

Nun änderte sich jahrtausendelang praktisch nichts, bis Mitglieder einer von Taiwan ausgehenden austronesischen Sprachfamilie aktiv wurden. Sie segelten innerhalb weniger Jahrhunderte weiter nach Ostsüdost. Nach einer Fundstelle wurde für sie der Name „Lapita-Kultur“ geprägt.

Die ersten archäologischen Nachweise werden auf etwa 1200 v. u. Z. datiert. Die Lapita-Leute waren Seefahrer, die mit besegelten Auslegerkanus die etwa 5000 Kilometer offene See vom Festland bis Tonga in zwei bis drei Jahrhunderten, also in nur etwa zwanzig Generationen, erforschten und besiedelten. Handelsreisen von mehreren hundert Kilometern wurden regelmäßig unternommen. Sie wohnten in permanenten Siedlungen von typischerweise fünfzehn bis dreißig Pfahlbauten meist in Ufernähe und kannten über 28 Spezies an Nutzpflanzen sowie neben dem Schwein auch Hund und Huhn; sie beherrschten die Hochseefischerei (Thunfisch, Hai) und produzierten eine kulturspezifische Keramik. Ihre Gruppen waren nach Familie und Geburtsordnung gegliedert. Für die Besiedelung neu entdeckter Inseln brachten sie auf ihren Booten Nutzpflanzen und -tiere mit, allerdings auch ungebetene Passagiere: „Unkraut“ und „Ungeziefer“. Heute würde man dies invasive Arten nennen. So veränderten sie Flora und Fauna der Inseln nachhaltig. Der Ethnobotaniker Anderson nannte dies 1952 den „Transport von Landschaften“. Die Brandrodung war bekannt und Aussterbeereignisse von Großtieren und Vögeln sind nachweisbar.

Über die nächsten rund 2000 Jahre folgte dann die weitere Expansion nach Osten bis zur Osterinsel, nach Norden bis Hawaii und nach Süden bis Neuseeland.

Abb. 5: Polynesisches Doppelrumpfboot wie von dem Holländer Schouten 1616 zwischen Tonga und Samoa gesehen (Kirch 2000)

Die Erforschung des riesigen pazifischen Raumes (von Neuguinea bis zur Osterinsel sind es rund 10 000 km) mit den polynesischen Auslegerkanus verlief nicht zufällig, sondern folgte der Strategie der möglichst sicheren Rückkehr. Die Besiedelung war in der Ostrichtung am schnellsten, was sich mit den vorherrschenden Winden erklären lässt. Bei im Wesentlichen ostsüdöstlichen Winden (Südostpassat) mit jahreszeitlichen oder kurzfristigen Westwinden war es die sicherste Richtung, gegen den Wind (oder während einer kurzfristigen Westwindlage mit dem Wind) ins Unbekannte zu segeln, da man jederzeit mit dem Passat wieder sicher zurückkehren konnte. Der Navigator musste „nur“ mit Sternenkompass auf dem bekannten Breitengrad seiner Heimatinsel nach Westen segeln und konnte diese dann nicht verfehlen.

Die Reichweite dieser Ost-Expeditionen nahm im Lauf der Jahrhunderte und mit den zunehmenden seefahrerischen Fähigkeiten zu bis auf über 3000 km ununterbrochener Fahrt auf dem offenen Meer, was einer Reisezeit von mehreren Wochen entsprach.

Diese Theorie erklärt zweierlei: einerseits die Hauptausbreitungsrichtung nach Osten und andererseits, dass deutlich nähere, aber quer dazu liegende Landmassen, wie Hawaii und Neuseeland, erst spät entdeckt und besiedelt wurden. Die Galapagosinseln, weit im Nordosten vor Ecuador in Südamerika gelegen, wurden nie erreicht. Nebenbei: Madagaskar, im Indischen Ozean östlich von Afrika gelegen und über 6000 km vom pazifischen Raum entfernt, wurde vor etwa 2000 Jahren ebenfalls von austronesisch sprechenden Seefahrern entdeckt und nicht vom nur 400 km entfernt liegenden Afrika aus.

Da stellt sich die Frage: Wie wurden Inseln gefunden? Die direkte Sichtbarkeit hängt von deren Höhe ab, so ist beispielsweise die 510 m hohe Osterinsel aus etwa 50 km Entfernung zu sehen und niedrige Atolle entsprechend weniger weit. Der Experte kann allerdings durch Beobachtung und Analyse von Veränderungen der Wellenmuster, der Wolkenformationen und des Vogelfluges den Erkennungsradius auf 100 km und mehr vergrößern. Auch Biolumineszenz21 als Richtungsgeber wird genannt. Viele Inseln liegen in Archipelen, das heißt in Gruppen mit nicht zu großem Abstand voneinander, was den Erkennungsradius weiter vergrößert.

Nach heutigem Kenntnisstand waren Längengrade von den Polynesiern damals nicht direkt zu messen.22 Macht man sich auch noch bewusst, dass für die Breitennavigation 100 km einer Genauigkeit bei der Messung von Sternhöhen von etwa einem Grad entsprechen, offenbart sich, welche navigatorischen Meisterleistungen die damaligen Seefahrer vollbrachten.

Noch zu Zeiten der europäischen Seefahrer wurden regelmäßige Hin- und Rückreisen von über 1300 km ohne Zwischenhalt nachgewiesen, 200 Sterne waren mit Namen bekannt und drei Wochen auf dem offenen Meer waren nichts Besonderes (Flenley 2002). Zum Vergleich: Kolumbus segelte bei seiner ersten Fahrt über den Atlantik rund 6000 km und benötigte dafür fünf Wochen. Er hatte allerdings deutlich größere Schiffe und den Kompass – und war über 1000 Jahre später als die Entdecker der Oster­insel unterwegs.

Die Methoden der Erforschung und Rekonstruktion der nahen prähistorischen23 Vergangenheit wurden in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verfeinert. Neben der klassischen Archäologie, das heißt der Ausgrabung von Artefakten, von Menschen- und von Tierknochen, erlaubt die sogenannte Radiocarbon-14C-Methode24 eine zeitliche Einordnung. Die Bestimmung der Isotopenzusammensetzung25 mineralischer Elemente ermöglicht die Zuordnung von Steinwerkzeugen zu bestimmten geologischen Formationen oder sogar zu einzelnen Steinbrüchen. Findet man diese Werkzeuge anderswo, kann man auf Handelsbeziehungen zwischen der Ursprungsgegend und dem Fundort schließen, in unserem Fall also zwischen zwei bestimmten Inseln.

Mit Hilfe von Bohrkernen aus ungestörten Bodensedimenten kann man organisches Material gewinnen, das über die Bohrtiefe und eventuell in Verbindung mit der 14