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Terry liebt illegale Punk-Konzerte und hängt lieber mit seiner Clique ab, als dem langweiligen und überwachten Leben im Großreich zu folgen. Und heute ist es passiert: Er und Jill haben sich geküsst und auf einmal ist sein Leben perfekt – bis er auf der Flucht vor ein paar Agenten des Großreichs direkt in ein verbotenes Portal stolpert. Auf der anderen Seite erwartet ihn eine andere Welt: Distancia, ein Ort, an dem die Menschen frei leben können – ein Ausweg aus dem Überwachungsstaat. Sofort stößt er auf Gleichgesinnte, doch noch ahnt Terry nicht, dass sich das Netz der Behörden bereits zuzieht und zwischen den Welten noch weitaus größere Gefahren lauern.
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klappkatapult.de
Vollständige Taschenbuchausgabe 2024
1. Auflage
© Klappkatapult, Münster
Verlag: Klappkatapult
Hörsterstr. 37
48143 Münster
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf, vollständig oder teilweise, nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Herausgeber: Robin Thier
Cover-Illustration: Rainer Weber
Covergestaltung, Buchsatz: Robin Thier
Atarius Maier
DISTANCIA
Pogo & Portale
Vorwort
„Ich wollte nie Punksänger werden“, so beginnt auf ironische Weise ein Lied der Punkband Dödelhaie.
Ich wollte nie Autor werden und doch habe ich es immer wieder versucht. Seit meiner Kindheit lese ich sehr viel, zu Beginn eher Abenteuerromane, später Fantasy und Science-Fiction sowie wissenschaftliche und gesellschaftskritische Texte.
Ebenfalls seit meiner Jugend habe ich mich auch immer wieder im Schreiben versucht, was meistens an meiner Lese-Rechtschreibschwäche und meinem mangelnden Durchhaltevermögen gescheitert ist. Diesmal hatte mich meine eigene Geschichte aber gepackt und ich wollte sie einfach erzählen. Ich habe auf die üblichen Konventionen, nun ja, meine Figuren in diesem Machwerk würden sagen, geschissen. In Bezug auf den Schreibstil, auf Erzählformen und vieles andere. Was die Rechtschreibfehler angeht, für so etwas gibt es ja zum Glück Leute wie meinen besten Freund, die sich dessen annehmen. Danke Nille!
In Kunst, Literatur und Musik tauchen seit einigen Jahrzehnten immer wieder Begriffe wie Cyberpunk, Steampunk, ja sogar Hope- oder Solar-Punk auf. Manches davon ist schön und gefällt mir auch, doch bei vielem wird das Affix „Punk“ viel zu inflationär benutzt.
„Punk ist keine Religion“, um eine andere großartige Band zu zitieren: Normahl. Punk war und ist für mich immer ein Stück weit Lebensgefühl, Lebenseinstellung und Rebellion, auch wenn dies manchmal bedeutet, auf die Schnauze zu fliegen, im Dreck zu liegen, ja sogar unterzugehen. Ich war nie jemand, der sinnlos Steine geworfen hat und habe mich immer von Drogen und „No Future“ fern gehalten. Einige mögen das anders sehen und mich für spießig halten, doch damit kann ich leben.
Was Punk aber immer für mich war und auch heute noch ist: Punk ist mein Rückzugsort. Um erneut eine Band zu zitieren, diesmal die Irish-Folk-Punk-Band The Mahones: „Punkrock saved my live“.
Das ist es, was ich in diesem Buch ausdrücken möchte. Punk ist nicht immer schön und hat viele Schattenseiten, auch das wird von mir thematisiert, und dennoch: „Für immer Punk möchte ich sein“ (Zitat: Die Goldenen Zitronen).
Aber was ist nun Fantasy-Punk?
Wie erwähnt hängen viel zu viele Leute das Wort „Punk“ hinter ihre Geschichten und geben damit einen gewissen düsteren, dreckigen Touch vor. Etwas Wildes, Zügelloses, das doch eine gewisse Faszination mit sich bringt. Manchmal stimmt das auch und manchmal gibt jemand damit einer Science-Fiction-Geschichte nur einen neonpinken Anstrich. Aber wirklich mit Punk hat das oft nichts zu tun.
Ich hatte Lust, einen Roman zu schreiben, eine Punkgeschichte. Aber ich hatte auch schon immer Lust, Fantastisches zu schreiben, da ich begeistert von Fantasy-Romanen und Pen-and-Paper-Rollenspielen bin. Daher habe ich meiner Geschichte ein paar fantastische Elemente spendiert.
Noch eine Anmerkung zum Schluss: In meinem Text gendere ich an diversen Stellen. Dies ist abhängig von der jeweiligen Person und der Situation, in welcher sie sich befindet. Mir persönlich ist ein offener und toleranter Umgang mit allen Menschen und Lebewesen wichtig. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir als Gesellschaft nur so viel wert sind, wie viel wir bereit sind, den vermeintlich Schwächsten zu geben. Ferner glaube ich daran, dass wir als Gesellschaft viel erreichen können, beispielsweise den Klimawandel zu stoppen, Nahrungsmittel fair auf der Welt zu verteilen, Kriege zu beenden, ja sogar Behausungen im Weltall zu bauen, wenn wir es nur endlich schaffen über unseren Schatten zu springen. Uns nicht mehr „über den Nachbarn“ zu beschweren, weil dieser so komisch und so anders ist, weil wir uns nicht mehr darüber Gedanken machen, in welchem Teil der Erde jemand geboren und aufgewachsen ist und welche Hautfarbe oder welches Geschlecht die Person hat. Dies heißt aber nicht, dass ich Fan von Gleichschaltung und der Zwangsverteilung von Gütern bin. Das soll auch in dem Roman zum Ausdruck kommen: Alle Menschen sollen möglichst beteiligt und ernst genommen werden.
Nun aber viel Spaß, macht euch ein Bier beim Lesen auf oder auch keines, Hauptsache, ihr habt Spaß dabei!
Pogo Prost
Atarius (bzw. Ede) ;-)
1. Das Konzert
„Ich bin am Kacken!“
Das war es, was Terrys Mum, Susanna, zu hören bekam. Sie verdrehte die Augen und ohne einen weiteren Appell oder auch nur ein weiteres Wort verließ sie die Wohnung und ließ die Türe ins Schloss fallen. Nicht laut und energisch, nein, eher gleichgültig, sodass sie zwar zu war, aber mehr auch nicht.
Soweit er sich erinnern konnte, lief es zwischen ihm und seiner Mutter immer so oder ähnlich ab. Er provozierte sie, ja. Aber eigentlich auch nur, weil sie das repräsentierte, was er hasste: Die ganze spießige und angepasste Gesellschaft. Und weil Mensch das halt so machte als 17-Jähriger. Außerdem nervte ihn dieser Appellton: „Terry, du musst los, es ist schon fünf vor und der Bus fährt auch ohne dich“, äffte er seine Mum in Gedanken nach, während er vom Klo aufstand und runterspülte. Gleichzeitig machte es ihn auch immer ein wenig wehmütig. So paradox das klang, aber sein Dad machte ihn wenigstens zur Schnecke (oder versuchte es zumindest). Da folgte immer noch die Moralpredigt und dass er, also sein Vater, keine Lust habe, seinetwegen im Rang abzusteigen, weil er so faul und dumm sei. Doch seine Mutter? Da kam nichts. Es schien, als wäre es ihr egal, als wäre er ihr egal.
Etwas heftiger, als es notwendig gewesen wäre, stieß er den Klodeckel nach unten, wusch sich die Hände, ging aus der Badezimmertür und schnappte seinen Ranzen. Seine Mutter hatte recht, dachte er, stieß die Haustür hinter sich zu und fing an zu rennen. Wenn er den Bus wieder verpassen würde, dann würde er weitere Punkte auf sein sowieso schon strapaziertes Konto verbucht bekommen und das würde bedeuten, dass sie ihn pünktlich zum Wochenende in den Arrest sperren würden und das wiederum würde, neben der schier endlosen Langeweile, vor allem eines bedeuten: dass das Konzert für ihn ausfallen würde.
Er freute sich schon seit Wochen darauf. Über ein paar Freunde hatte er davon erfahren. In der alten Lagerhalle des Logistikzentrums, im Obergeschoss, da würde ein Gig stattfinden. Eines jener seltenen und höchst illegalen Punkkonzerte. Turbofresse würden spielen und Kotzrotz. Viele Leute würden da sein, unter anderem Magg, Jackson und Jill. Die hatte er die ganze Woche nur selten gesehen. Seit sie nicht mehr den gemeinsamen Arbeitsdienst hatten, trafen sie sich nur noch in der Schule kurz im Vorbeigehen.
„Ach Jill!“, dachte er, während er den Bus gerade noch aufhalten konnte, um hineinzuspringen. Sie war seine beste Freundin. Überhaupt der einzige Mensch, für den er wirklich etwas empfand und der ihm wichtig war. „Alter komm mal klar, sie ist nur eine Freundin.“ Doch so ganz glaubte er sich selbst nicht. Wie dem auch sei, den Bus hatte er ja nun erwischt und somit durfte dem Konzert eigentlich nichts im Weg stehen.
Der Schultag kam ihm wie eine Ewigkeit vor, Millionen von Jahren. Ätzend! Nichts hatte er mitbekommen, nicht mal die nervigen Anderen aus seiner Klasse. Es war ihm egal. Er vermutete, dass er einen Anschiss kassiert hatte, keine Ahnung wofür. Egal, scheißegal. Nun war Wochenende und er konnte den ganzen Mist hinter sich lassen. Wenn es nur immer Wochenende sein könnte …
Das Telefon klingelte und vor lauter Schreck rutschte Terry mit dem Kajalstift ab. Er riss die Badezimmertür auf, um vor seinem Vater am Apparat zu sein. Sonst würde der nur wieder dumme Fragen stellen. Mit einem einzelnen Springerstiefel an den Füßen und einem halb geschminkten Auge sowie liegenden Haaren spurtete er an seiner irritiert dreinblickenden Mutter vorbei. Er schnappte sich den Hörer gerade noch rechtzeitig, während sein Vater, mürrisch dreinblickend, mit der Hand ins Leere griff. Sein Blick sagte ihm, dass er sich nach dem Telefonat eine übliche Standpauke würde anhören müssen. Doch das war ihm egal. Diesmal erst recht, denn sein Herz machte einen Hüpfer. („Verdammtes, blödes Herz! Halt dein Maul!“). Am anderen Ende der Leitung hörte er Jills Stimme: „Hey Bestie, wie schaut’s aus, holst du mich zum Tanzkurs ab?“
„Hey, ja, äh … (Konnte er mal aufhören zu stottern? Das war ja furchtbar). Klar, ich brauch’ noch ’nen Moment und dann hol’ ich dich ab. Bis denn!“
„Jo, piss denn!“, antwortete Jill.
Mit leicht rotem Kopf legte er auf und blickte in das Gesicht seines Vaters, das einen ambivalenten Gesichtszug aufwies. Einerseits war da die gleiche miesepetrige Miene wie immer, wie vermutlich schon sein ganzes Leben lang. Und gleichzeitig war da eine Spur von Amüsement. Ein leichtes Grinsen hatte sich um die Mundwinkel seines alten Herren gelegt. Das war gefährlich. Sein Alter lächelte nie und wenn, dann eigentlich immer süffisant.
„Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren!“, dachte er. Auf keinen Fall einen Streit mit seinem Vater provozieren, möglichst deeskalieren. Sonst würde es ihm noch einfallen, seine Leute aus dem Amt anzurufen und ihn „zur eigenen Sicherheit“ über das Wochenende in den Arrest zu sperren und, noch viel schlimmer, am Ende verplapperte er sich und würde so das ganze Konzert in Gefahr bringen. Das durfte auf gar keinen Fall passieren.
Terry beschloss, seinem Vater gar nicht erst das Ruder zu überlassen und wie der Blitz sagte er: „Entschuldige Dad, wollte dich nicht erschrecken oder so. Aber ich wusste, dass es für mich sein würde. Ach, übrigens, ich übernachte heute bei ’nem Kumpel. Also genauer gesagt bei Fred aus meiner Klasse.“
Terry wartete erst gar nicht die Reaktion seines Vaters ab und bewegte sich zielstrebig in das Bad, um dort seinen zweiten Schuh zu holen. So der Plan. Doch leider war auch Jason, sein Vater, nicht so blöd, wie Terry es immer behauptete und leider auch nicht so langsam. Gerade als er sich umwandte, packte sein Vater ihn fest an der Schulter und in einem fiesen, süffisanten Ton sagte er: „So, so … Mein wohlerzogener Sohn entschuldigt sich bei seinem Vater und hofft, dass dem nicht auffällt, dass er wie eine Prostituierte aussieht und vorhat sich wieder mit seinen asozialen „Freunden“ zu treffen, um danach wieder einmal von der Polizei mit einem prall gefüllten Punktekonto nach Hause gebracht zu werden? Sag, weiß Fred eigentlich, dass er neuerdings auch mit Gesocks um Häuser zieht oder warst du nicht mal so klug, ihn vorher einzuweihen, dass er als dein Alibi dient?“
Plötzliche Wut und eine Spur Resignation stiegen in ihm auf, die sich Bahn brechen wollten, die seinem Vater sagen wollten, was für ein intolerantes Stück Scheiße er ist und er doch keine Ahnung vom Leben hat und dass seine Freunde keine Asozialen sind. Doch bevor Terry sich damit selbst ins Aus schießen konnte, geschah etwas völlig Unerwartetes, was im Nachhinein betrachtet vermutlich auch der Grund war, warum sein Vater ihn unverrichteter Dinge gehen ließ: Da stand auf einmal Susanna neben Vater und Sohn und strich Terry fast zärtlich übers Haar. Normalerweise hätte ihn das wütend gemacht, da er es absolut nicht leiden konnte, wenn jemand seinen Iro verwuschelte – nur war erstens die Situation so surreal und zweitens hatte er die Haare noch gar nicht aufgestellt.
Sie zwinkerte ihm zu und sagte in bewusst ruhigem Tonfall, mit einer koketten Note: „Ach Jason, sei nicht so hart zu dem Jungen. Lass ihm sein Date. Die Kleine ist putzig.“
Und so schnell, wie diese absurde Situation gekommen war, so schnell endete sie. Beide, Vater wie Sohn, standen fassungslos da, schauten sich erst gegenseitig an, dann Susanna, die sich bereits wieder abgewandt hatte und zur Küche lief. Jasons Blick verhieß „Waffenstillstand“, und so ließ er Terry los, der immer noch perplex herumstand und hörte, wie sein Vater sagte: „Na gut, viel Spaß, aber benutzt Gummis und komm morgen nicht zu spät heim. Du hast noch etwas abzuarbeiten.“
Noch bis er vor dem Haus stand, in dem Jill und ihr Vater wohnten, grübelte Terry, was da gerade passiert war. Wer war diese Frau und was hatte sie mit seiner Mutter gemacht? Sprichwörtlich schüttelte er den Gedanken ab, holte tief Luft und versuchte, sich wieder zu konzentrieren. Da erst fiel ihm auf, dass er seinen zweiten Schuh noch immer nicht gebunden hatte. Rasch schnürte er den Springerstiefel zu, guckte sich um und trat an die Tür. Obwohl er genau wusste, welche Klingel er drücken musste, fuhr er die sechs verschiedenen Klingelschilder ab. Teils aus Automatismus, Mensch wusste ja nie, wann er gerade überwacht wurde und teils, weil es ihm half, das Gedankenchaos ein wenig zu beruhigen. Die Situation mit seiner Mum machte ihn fertig und gleichzeitig kribbelte es in seinem Bauch, wie in letzter Zeit ständig, wenn er Jill traf. Er wischte die Gefühlsduselei beiseite und drückte entschlossen, fast ein wenig energisch, auf den Knopf.
Es surrte. Er drückte die Tür auf und lief die Stufen empor in den dritten Stock. Dort stand Jills Vater (Terry war fast ein wenig enttäuscht, obwohl er ihn mochte), der ihn breit anlächelte und ihn zur Begrüßung umarmte, als wäre er sein eigenes Kind.
„Jilly ist noch im Bad, du kennst das ja. Komm doch rein. Willst’ ein Bier?“
„Hey Hans“, antwortete Terry. „Schön, dich zu sehen! Äh ja klar, wenn’s kalt ist!“
Grinsend trat er ein, folgte Jills altem Herren in die Stube und ließ sich auf einen der Küchenstühle fallen. Hans-Jürgen öffnete den Kühlschrank, holte zwei Bierflaschen heraus und öffnete sie mit dem an der Tür angebrachten Öffner. Er reichte Terry eines.
„Na, Junge, was gibt es? Hat dich das Amt heute mal nicht aus dem Verkehr gezogen? Prost!“, lachte er und stieß mit ihm an.
Gierig ließ dieser den kühlen Gerstensaft bis fast zur Hälfte die Kehle hinab laufen und entspannte sich nun merklich. Hier fühlte er sich geborgen und wohl. Hans-Jürgen hatte ihn, seit Jill und er Kinder waren, immer wie einen eigenen Sohn bei sich aufgenommen. Mit ihm konnte er über fast alles reden. Er war so anders als sein Vater. Nicht so ein Spießer und Regierungsheini. Auch wenn Hans, wie er ihn nannte, nicht müde wurde, über ihre Klamotten zu klagen und den Musikstil „dieser neumodischen Bands“ zu wild und zu trashig fand. Hans-Jürgen war dennoch in Ordnung und Terry mochte ihn sehr.
Gerade als Terry die floskelhafte Begrüßung von Hans beantworten wollte, trat Jill in die Stube. Sie öffnete den Kühlschrank, holte sich ebenfalls ein Bier raus und lehnte sich lässig an den Türpfosten.
„Na, ihr alten Opas? Redet ihr wieder übers Wetter und Sportergebnisse?“, lachte sie.
Mehr gekünstelt stimmte Terry in ihr Lachen ein. Sie sah Bombe aus! Einfach der Hammer, wie sie da so im Türrahmen lehnte und die Bierflasche an ihren hübschen Mund setzte.„Alter! Terry, reiß dich zusammen. Es ist Jill und du kennst sie seit Jahren. Sie ist eine Freundin, nur eine Freundin, deine beste Freundin. Sie ist Jill …“
Völlig überfordert von seinen Gedanken schnappte Terry seine Bierflasche und trank sie übersprungmäßig in einem Zug leer. Er verschluckte sich vor lauter Hast so sehr, dass er wie ein Trottel husten und prusten musste. Hans hatte so viel Anstand, ihn nicht auszulachen, während seine beste Freundin sich schlapp lachte.
„Sehr witzig, Jill. Haha, sehr witzig“, brachte er mühsam und hustend hervor.
Kurz darauf waren sie auf dem Weg zum Konzert, beziehungsweise dem Treffpunkt, von dem aus sie abgeholt werden sollten. Zuvor hatte Jill ihm noch das zweite Auge fertig geschminkt, damit er nicht wie ein absoluter Horst aussah.
Sie liefen zügig, nahmen mehrere Umwege und achteten darauf, sich nicht umzusehen. Auf ein Bier kehrten sie in der „Kaschemme“ ein, einer heruntergekommenen Trinkerkneipe, in der sie eigentlich immer nur zur Tarnung eins tranken oder wenn Magg sie auf einen Gerstensaft einlud. Der war dort häufiger, weil das Bier recht günstig war. Terry und Jill hingegen konnten den Laden nicht wirklich leiden. Einfältige Versager, die ihren kompletten Lohn in schales Bier umsetzten, stundenlang auf Barhockern vor blinkenden Automaten saßen, die ihnen auch noch die letzten Kröten aussaugten, und dazu dummes Gedudel aus dem Radio. Einheitsbrei für Omis. Vor allem Jill fühlte sich dort unwohl. Ein paar der alten Säcke am Tresen ließen immer wieder widerliche Kommentare fallen, wenn sie vorbeiging, und einer hatte ihr sogar schonmal an den Hintern gelangt. Terry wollte dem Typ die stinkende Fresse polieren, wenn nicht Heidi, die Wirtin, dazwischen gegangen wäre.Aber es gehörte nun mal regelmäßig zu ihrem Plan, sich hier für eine halbe Stunde an einen der schmierigen Tische zu setzen, für den Fall, dass sie beobachtet wurden und ein Spitzel ihnen hinterherspionierte.
Das Bier schmeckte heute noch mehr nach Pisse als sonst, so kam es Terry zumindest vor. Schließlich hielt er den Atem an und schüttete das halbe Glas in einem Zug in sich hinein. Dann beeilte er sich, die entsprechenden Münzen auf den Tisch zu legen.
Jill schaute ihn fragend an: „Ähm, willst du nicht noch ein bisschen warten?“
„Nein, keinen Bock mehr. Komm, lass uns abhauen. Wir gehen einfach noch ’ne Runde um den Block.“Fast schon erleichtert ließ Jill ihr kaum angetrunkenes Bier auf dem Tisch stehen und stand auf. Sicher würde sich Alfred, der Trinker vorne am Tresen, über das kostenlose, pisswarme Getränk freuen.
Nachdem sie noch eine Runde um den Block gegangen und sicherheitshalber zweimal in eine Nebenstraße gebogen waren, kamen sie nach gut einer halben Stunde endlich am Treffpunkt an: Dem Ostenhofer Bahnhof. Sie warteten weitere 15 Minuten, bis erst zwei und dann nochmal drei weitere Szeneleute aus unterschiedlichen Richtungen ankamen und sich bewusst nicht grüßten oder zusammenstellten. Schließlich fuhr die S-Bahn nach Jamnitz ein. Als die Türen aufgingen, winkte eine Hand aus einem der gekippten Fenster, an deren Verlängerung ein Nietenarmband zu sehen war. Rasch stiegen sie ein. Eine Haltestelle vor ihrem eigentlichen Ziel stiegen sie aus und mit ihnen, wie zufällig, alle Reisenden im Punk-Outfit, die in der Bahn gewesen waren. Alle liefen getrennt voneinander in verschiedene Richtungen, nur um sich dann endlich auf einem Parkplatz zu treffen. Ein prüfender Blick in die leeren Straßen und dann erst startete das große Begrüßen.
Insgesamt standen da nun zwölf Punks. Einige waren noch an späteren Haltestellen dazu gestiegen. Drei kannte Terry nicht, sie mussten neu sein. Zwei Jungs, vielleicht ein Jahr jünger als er selbst. Der eine mit einem noch recht frisch wirkenden Parka und langen Haaren, womit er eher wie ein Hippie aussah, der andere gerade mal so groß wie Jill, mit einem Nietenhalsband und einer Struwwelfrisur. Und die Dritte im Bunde war eine dunkelhäutige Punkerin im klassischen Outfit, mit kurzem rosa Iro, einer Leofelljacke und einer grünen Jeans mit diversen Rissen und Aufnähern. Sie sah recht hübsch aus, fand Terry, und er fragte sich kurz, ob er sie heute noch anmachen sollte und ob sie gut küssen konnte. Noch während er das dachte, traf sein Blick den Jills und schlagartig hatte er das Gefühl, ertappt worden zu sein und rot zu werden. Doch warum eigentlich? Schließlich waren sie nicht zusammen und er konnte tun und lassen, was er wollte, und wenn das bedeutete, er könnte dieser hübschen Punkerin mit ihren schönen Brüsten hinterherschauen, dann war es eben so. Er schimpfte sich selbst einen Volldepp, als er spürte, wie ihm bei diesen Gedanken das Blut in sein Glied geflossen war und dieses sich nun unangenehm eng in seiner Hose verrenkte. Um der Peinlichkeit zu entgehen, täuschte Terry vor „schnell noch pissen“ zu gehen. Er drehte sich an eine der Hecken, öffnete seine Hose und rückte sein Ding zurecht. Schon besser.
Er musste sich ein wenig sputen. Die Anderen waren schon weitergelaufen und er hatte extra ein wenig gewartet, um den Anschein aufrecht zu halten, er sei wirklich pinkeln gewesen. Endlich holte er auf und schlug Magg kameradschaftlich auf die Schulter. Hatte er es also auch geschafft. Nach und nach begrüßte er alle, die er kannte und vermied dabei, die Neue zu begrüßen, um nicht gleich wieder einen Steifen zu bekommen.
Erst kurz bevor sie am Konzert waren, winkte er ihr auffallend flüchtig zu und nuschelte ein: „Hi, ich bin Terry.“ Dafür bekam er einen auffallend zufälligen Rempler von Jill, mit der er irgendwie seit der Bahnfahrt gar nicht mehr gesprochen hatte. Auweia, der Abend fing ja gut an. Sichtlich beleidigt und ihn bewusst ignorierend, stapfte Jill an ihm vorbei und ließ ihn peinlich berührt stehen. Auch die Neue drehte sich leicht grinsend um und wackelte mit ihrem perfekten Hintern Richtung Eingang.
„Ach fuck, Terry! Alter, reiß Dich zusammen. Was soll der Scheiß jetzt?“, dachte er und trottete ebenfalls hinein, die Hände in den Hosentaschen.
Man musste erst durch das verfallene Erdgeschoss und dann eine Treppe hinauf, um in den Konzertsaal zu kommen. Die Fenster waren komplett verdunkelt und mit Brettern zugenagelt worden. Innen war alles mit Eierkartons und alten Matratzen verkleidet, um möglichst wenig Schall nach außen dringen zu lassen.
Boston, der Veranstalter des Logizen, hatte sich hier mit ein paar Freunden ordentlich Mühe gegeben. Er war schon älter, aber stammte wohl ursprünglich auch aus der Szene. Zumindest hatte er einige entsprechende Tätowierungen und Piercings, auch wenn er inzwischen eine Glatze hatte. Er trug meist ein schlichtes schwarzes T-Shirt und eine schwarze Jeans. Gemeinsam hatten sie hier alles ausgebaut. Magg hatte Terry erzählt, dass Boston wohl früher im Logistikzentrum gearbeitet hatte, als es noch in Betrieb war, so vor zehn Jahren. Seitdem hatte er Stück für Stück alles eingerichtet, Sofas reingestellt, die Wände verkleidet, die Fenster vernagelt, eine Bar und eine Bühne reingebaut. Boston war es auch, der sich das mit den Treffpunkten und dem Abholsystem ausgedacht hatte. Auf eigentlich allen S-Bahn-Linien, ein paar Buslinien und ein paar Bahnstrecken gab es Treffpunkte oder auch Werkstätten genannt. Und an Konzertabenden fuhren zuverlässige Leute diese Strecken ab und winkten die Leute rein, um dann gemeinsam ein bis zwei Haltestellen vor dem Logizen auszusteigen und von dort aus hinzulaufen.
Das System schien gut zu funktionieren und es hatte auch nie wirklich Probleme gegeben. Einmal waren die „Wachteln“ über den Parkplatz des Gebäudes gefahren und sofort wurde die Mucke gestoppt und alle Lichter ausgemacht. Der Veranstalter hatte immer zwei oder drei Leute eingeteilt, die mit Walkie-Talkies ausgerüstet und für alle Fälle um das Gebäude postiert waren. Und Butch hatte mal erzählt, dass bei einem Werkstatttreffen mal das Amt aufgetaucht und er und ein paar Kumpels durchsucht worden seien. Aber ansonsten hatte es scheinbar nie Probleme gegeben. Neue wurden auch immer genau geprüft und bei manchen Cliquen war es üblich, dass erst eine Reihe von Tests und Mutproben abgelegt werden mussten, um Teil der Gruppe zu werden.
Terry ging direkt zur Bar. Jill hatte er aus den Augen verloren und die Neue auch. Naja, erstmal ein Bier schnappen und dann in die Menge. Jill würde er schon wieder aufgabeln.Mit der Flasche in der Hand schälte er sich durch die Menge, vorbei an einigen Leuten, die er kannte und denen er kurz die Hand gab oder eine Fist machte. Endlich war er durch das Gedränge durch und stand auf der Pogofläche vor der Bühne. Die erste Band baute gerade auf. Er war sich nicht sicher, welche Band es war, denn keine davon hatte er schon mal gesehen.
Er schaute sich um. Wo war nur Jill? War sie jetzt ernsthaft beleidigt und hatte sich verzogen? Das glaubte er nicht. Das war nicht ihre Art. Wenn sie mal stinkig auf ihn war, dann meistens kurz, aber heftig.
Die Band hatte inzwischen angefangen und eher etwas lustlos stand Terry am Rande des Pogokreises, als ihn jemand mit voller Wucht in die prügelnde Menge stieß. Er wollte schon wütend auf denjenigen losgehen, als er einen Ellenbogen ins Gesicht bekam und kurz darauf in Jills grinsendes Gesicht blickte, die ihm daraufhin noch einen Stoß in die Rippen gab, diesmal nicht ganz so heftig. Die Wut verflog und er gab sich dem Gitarrenrhythmus hin, prostete Jill zu und sie begannen ordentlich zu pogen.
Als Terry nach drei Liedern völlig verschwitzt der Atem ausging, zeigte er auf seine inzwischen leere Flasche und dann in Richtung Bar. Jill nickte sichtlich dankbar und hakte sich bei ihm ein, als sie sich den Weg aus dem Pogokreis gebahnt hatten und auf die Bar zusteuerten. Auch Jill war völlig nass geschwitzt und wirkte schon etwas betrunken. Die verlängerte vordere Strähne ihres Iros hing ihr klatschnass ins Gesicht, ihr Kajal war verschmiert und ihr Atem ging schnell.An der Bar trafen sie auf Magg und Jackson, die sich gerade innig küssten. Scheinbar war Jackson von einem der späteren Treffpunkte gekommen, da Terry ihn an diesem Abend noch gar nicht gesehen hatte.
„Hey T, was geht? Na, seid Ihr zwei jetzt endlich zusammen? Wurde ja auch Zeit. War ja nicht auszuhalten, wie Ihr immer umeinander scharwänzelt seid!“, lachte Jackson, als die beiden näher kamen. Er deutete auf Jill und Terry, die immer noch eingehakt waren.
Terry sah Jill an, Jill sah Terry an. Beide versuchten, sich zaghaft herauszureden. Doch da unterbrach sie Magg schon: „Ziemlich krass! Turbofresse mein’ ich. Die klingen live noch besser als auf Platte. Merkst ja auch am Pogo. Der geht ja fast bis hierher. Echt geil!“
„Ja, Hammer und der Sänger ist echt süß“, zwinkerte Jackson seinem Freund zu, lachte dann und fuhr fort: „Aber im Ernst, geiles Konzi. Richtig was los und ich werd’ mir nachher am Merch auf jeden Fall die neue Scheibe kaufen. Echt Bombe!“
Sie unterhielten sich noch eine Weile und tranken noch ein Bier miteinander, bis Jill schon deutlich angetrunken verlauten ließ, dass sie mal pissen müsse und ob Terry nicht auch mitkommen wolle. Als er nicht recht zog und sich mit Magg noch ein Bierchen genehmigen wollte, obwohl er sich nicht sicher war, ob das nicht morgen einen fiesen Kater bedeuten würde, erhielt er einen heftigen Tritt von Jackson, der auf die sich bereits davon torkelnde Jill zeigte. In seinem von der dröhnenden Musik und den inzwischen vielen Bieren berauschten Kopf verarbeitete sich diese Information mühsam, bis er endlich verstand und sich von seinen beiden Kumpels losriss, Jill hinterher.
Vor dem Klo blieb Jill stehen, scheinbar um sich kurz zu orientieren, als die Neue rauskam und sich ohne großes Aufheben an Jill vorbeidrängte. Diese drehte sich um und schaute ihr nach, mit einem Blick, der nichts Gutes verhieß. Da tauchte Terry auf und lief der Neuen sprichwörtlich in die Arme. Die packte ihn sanft an den Hüften, um sich an ihm vorbeizuschieben und schaffte es irgendwie, mit beiden Nippeln an Terrys Körper entlangzufahren. Und wäre das nicht schon fast zu viel für ihn, flüsterte sie ihm dabei noch heiß ins Ohr: „Ich bin übrigens Hanna.“
Das war’s. No Future, absoluter Impact. Zum zweiten Mal an diesem Abend schoss das Blut in seinen Genitalbereich und er wurde puterrot, zumindest fühlte es sich so an.
Trotz seines begrenzten Gesichtsfeldes, einerseits durch den Körper von Hanna, andererseits durch das dämmrige Licht und den vielen Alkohol, konnte er Jills Augen förmlich vor Hass sprühen sehen. Instinktiv zuckte er zusammen und erwartete die Apokalypse. Doch die fiel anders aus als erwartet und bescherte ihm zum dritten Mal heute einen Ständer, obwohl der letzte gerade erst dabei war, sich wieder zu beruhigen.Seine beste Freundin drehte sich in einer fast fließenden Bewegung um, stieß Hanna mit einem gekonnten Hüftschwung zur Seite und drückte Terry einen extrem heißen und vor allem endlosen Zungenkuss auf.
Die Welt herum explodierte in einer Kaskade aus Millionen Eindrücken. Sein Kopf drohte zu explodieren. Ihm wurde fast schwarz vor Augen und das Schlimmste, in seinem Magen begann es auf einmal zu rumoren. Ein Furz des Todes bahnte sich seinen Weg zu seinem Hintern. Ihm blieb fast die Luft weg, natürlich wegen des Kusses, aber auch weil er mit aller Gewalt versuchte, diesen vermaledeiten Darmwind zurückzuhalten. Nicht jetzt, nicht heute. Fuck, das tat weh und fuck, durch das ganze Bier befürchtete Terry, dass da Land mitkommen könnte.Eigentlich war es der schönste Augenblick seines Lebens. Darauf hatte er schon seit er Jill kannte hingefiebert und immer wieder davon geträumt, sich ausgemalt, wie er sein würde. Egal wie oft er sich innerlich etwas vormachte, Jill war einfach seine Traumfrau. Er stand so unbändig auf sie.
Doch gleichzeitig war dies die schlimmste Folter, die er sich nur ausdenken konnte. Er knutschte mit dem heißesten Mädel, das er kannte. Und jetzt plagten ihn Flatulenzen des Nimbus.
Fuck! Fuck, fuck, fuck!
Wenn er sich nicht bald aus der Umarmung und dem Kuss lösen könnte und im Affenzahn aufs Klo rennen würde, dann wäre dies der peinlichste Moment seines Lebens. Er bräuchte sich hier nie wieder blicken lassen. Jill würde ihn für alle Zeiten auslachen und sich einen anderen suchen, einen, der nicht den Todesfurz heraufbeschworen hatte. Schließlich war es Jackson, der gute alte Jackson, Retter in der Not. Er würde Jackson für immer dankbar sein und ihm ewige Treue schwören, wenn er wieder vom Klo kam. Dieser war inzwischen nämlich auch auf dem Weg zum drittbegehrtesten Ort auf diesem Konzi.
„Hey, Jilly the Chilly, alte Hutkrempe, friss mal unseren Terry nicht auf, sonst brauchst du in Windeseile einen Neuen, und nein, meine Hübsche, ich bin schwul und vergeben.“
Das war die Chance. Terry löste sich aus der Umklammerung, nuschelte noch schnell ein „Isch komm gleisch“, und flüchtete in Richtung Klo, vorbei an der ziemlich verdrießlich dreinblickenden Hanna, die scheinbar die ganze Zeit mit offenem Mund neben ihnen gestanden hatte.
Er schlug die Augen auf, musste wohl kurz eingepennt sein. Noch immer saß er mit runtergelassener Hose auf der Toilette und erstickte fast an seinen eigenen Ausscheidungen, als er eine Stimme vernahm:
„T-Baby, bist du noch da drin oder hast du dich runtergespült? Oder hast’ gar eines dieser ominösen Portale entdeckt und die Leine gezogen? Wäre schade, jetzt wo du Knalltüte endlich mit Jilly zusammen bist!“
Benommen hob Terry den Kopf und brabbelte etwas von: „Komm gleisch. Einen Moment noch. Es gibt Dinge, die ein Mann tun muss oder so.“ Dabei stand er auf, spülte runter und wischte sich ab. Dann spülte er erneut und noch ein drittes Mal, um den Gestank zu vertreiben.
Am Waschbecken stand Magg und grinste über beide Ohren: „Hey Alter, du hast ja ’nen Monsterschiss von dir gegeben. Puh, achte mal auf deine Ernährung. Frisst du heimlich Fleisch? Kriegt das dein Alter in der Parteizentrale?“
Völlig verständnislos glotzte Terry seinen Kumpel an. Er wusch sich gleich zweimal die Hände mit einem Jahresvorrat an Seife und danach noch das Gesicht, bis ihm die restliche Schminke vollends über die Wangen lief. Während sein Freund weiter auf ihn einplauderte und ihm von Dingen erzählte, die sowieso nur zur Hälfte in seinem Sieb (alias: Hirn) ankamen: Diese Hanna hätte noch voll das Zicken angefangen, Jill hätte ihr eine betoniert, irgendwer hatte außerdem neben das Klo gekotzt und überhaupt. Er versuchte gar nicht erst, die für ihn zusammenhanglosen Storys zu sortieren und zu verstehen. Es war ihm auch egal. Er hatte soeben verdammt nochmal mit Jill rumgeknutscht. Krass, echt krass! Und er hatte sich verdammt nochmal dabei fast in die Hose gekackt, und zwar so richtig. Auch krass irgendwie. Okay. Er versuchte, sich zu konzentrieren und ein einigermaßen klares Sichtfeld zu kriegen. Das war schwierig, da er nicht nur ziemlich betrunken war, sondern auch weil Magg unbeirrt weiter laberte.
Er ließ ihn einfach stehen und schritt zur Tür raus. Dort war ein kleinerer Aufruhr. Etwas Ekliges lag auf dem Boden, ein älterer Punk mit Zotteliro lag unweit daneben an die Wand gelehnt, ein paar Leute um ihn herum. Ein paar Meter weiter standen weitere Konzertbesuchende, die sichtlich ein Streitgespräch führten, daneben zwei von Bostons Sicherheitsleuten. Etwas Blut war auf dem Fußboden, als hätte jemand Nasenbluten gehabt. So ein Hippie schwankte durch alle Beteiligten und stieß dabei jeden an, als sei er ein Pinball, und steuerte auf das Mädelsklo zu.
Terry schüttelte den Kopf, er musste wieder klar werden, musste checken, was hier los war. Er versuchte sich an die Wortfetzen zu erinnern, die er von Maggs Vortrag wahrgenommen und sich gemerkt hatte. Der alte Typ an der Wand war scheinbar der Kotzer und das Blut … Uh, Mist. Adrenalin übernahm die Steuerung seines Körpers. Er ging auf die Tumultmenge zu und schob die äußere Schicht der Leute auf die Seite, bis er schließlich ins Epizentrum des Geschehens kam. Magg hatte also recht gehabt. Jill hatte der Neuen tatsächlich eine geballert, jedenfalls hielt Hanna sich die noch immer blutende Nase und Jill diskutierte fast kreischend mit einem der Sicherheitsleute. Terry holte einen Kaugummi aus seiner Jacke, atmete tief durch und trat an Jill heran:
„Hey Baby, da bist du ja. Was ist los? Ich hab dich schon überall gesucht. Wir wollten doch gehen.“
Innerlich hasste er sein Selbst gerade für die Chauvinummer, die er hier abzog, und er wusste, Jill würde ihn dafür zur Rechenschaft ziehen. Doch wenn er wollte, dass sie beide hier gut und ohne Hausverbot aus der Nummer herauskamen, dann musste er jetzt einen kühlen Kopf bewahren und so gut wie möglich vorspielen, als hätte er alles und vor allem Jill im Griff. Er griff nach ihrem Arm und zerrte sie sanft, aber bestimmt aus der Menge. Zumindest war das sein Plan. Doch weder Jill noch der Sicherheitsmann spielten mit. Sie verhielt sich wie ein sturer Esel und fuhr in ihrer Tirade gegen „dieses Miststück“ fort, wie sie es wohl bereits seit einigen Minuten getan hatte.
Der Mann packte Terry seinerseits am Arm und fragte ihn recht schroff: „Hey Punky, mach dich mal locker. Wer bist’n du jetzt? Der Freund von Miss Zicky?“
Terry schluckte die plötzlich aufkeimende Wut herunter. Wie er solche Typen hasste. Solche wie er spielten ihre Macht gerne aus und bei einigen war er sich auch nicht sicher, ob sie in Wirklichkeit nicht auf der Seite des Systems standen.
Doch er biss die Zähne zusammen und redete im deeskalierenden Plauderton weiter, immer noch mit der Note Besorgnis in der Stimme: „Hey, ja, das ist meine Freundin. Wir wollten gerade gehen. Sie hat heute scheinbar ein Bier zu viel erwischt. Tut mir leid, falls sie Ärger gemacht hat. Ich bring’ sie jetzt nach Hause. Ach, hey Hanna, alles okay bei dir? Hab’ gehört, ihr seid beim Pogo irgendwie blöd aneinander gerempelt. Das kann ja mal passieren. Du, das wird schon wieder. Komm, mein Kumpel Magg hier geht mit dir zur Bar und spendiert dir ein Bier auf meine Rechnung. Kriegt er dann später wieder. Die sollen dir da am besten auch gleich ’nen Eisbeutel geben.“
Und als wäre damit alles gesagt und alles wieder in Ordnung, schnappte er sich erneut Jill, indem er den Arm um sie legte, als wolle er sie stützen. Diesmal ließ zumindest sie sich auf seinen Plan ein, auch wenn ihre Augen ihm sagten, dass er soeben sein Todesurteil unterschrieben hatte und der Kuss von vorhin sich nie, niemals wiederholen würde. Doch der kurzhaarige Sicherheitsfuzzi wollte sich von Terrys Showeinlage immer noch nicht beeindrucken lassen und auch Hanna schien nicht sonderlich von seiner Masche angetan. Mehr noch, sie wurde richtig wütend und wollte auf Terry losgehen und schrie ihn an, was er für eine saublöde, kleine Pissgurke als Freundin hätte. Dies war der Moment, in dem der Kahlrasierte begann, seinen Fokus zu verlagern und einen Schritt zur Seite auf Hanna zuging, um sie zu beruhigen. Das war ihre Chance.
Mit Jill im Schlepptau tänzelte Terry an ihm vorbei, wie er es so oft zu Hause bei seinem Vater tat, und versuchte, in der Menge unterzutauchen. Der Typ schien sie zu bemerken und wollte sich ihnen in den Weg stellen, doch da sprangen ihnen Magg und Jackson zur Seite und deckten ihren Rückzug.
2. Mit dem Kopf durch die Wand
Auf dem kompletten Weg nach Hause herrschte eisige Stille zwischen ihnen, dennoch befreite sie sich nicht aus seinem Arm, wie ihm innerlich schmunzelnd auffiel. Vielleicht war ja doch nicht alles verloren. Als sie schließlich vor Jills Haus ankamen, war sie plötzlich da: Eine unfassbar blöde Situation. Schon oft hatte er mit Jill, seiner besten Freundin, vor deren Haus gestanden. Manchmal war er noch mit nach oben gegangen und hatte auf dem Sofa im Wohnzimmer gepennt. Genauso oft war er nach Hause gegangen, um den vorprogrammierten Ärger mit seinen Eltern zu schmälern. Doch nie zuvor hatten sie sich vorher geküsst, so innig, so schön, und noch nie zuvor war Jill so lange schweigsam neben ihm gelaufen und in der Bahn gesessen. Klar, sie hatten sich immer mal wieder gestritten, so wie Freunde das nun mal taten, aber meistens hatten sie sich angekeift und nach ein paar Minuten doch wieder miteinander geredet – oder ein, zwei Mal hatten sie sich angekeift und waren sich dann ein paar Tage lang aus dem Weg gegangen. Aber immerhin hatten sie in irgendeiner Form miteinander interagiert, nämlich einander angekeift. Doch diesmal Funkstille.
War denn heute alles so komisch? Erst die Sache mit dem Ständer, dann der Kuss und der Run zum Klo. Dann die Schlägerei, die er quasi verpasst hatte, nur um sie dann trotzdem aufzulösen, und jetzt das.Noch während er sich den Kopf zermarterte, sagte sie etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte:
„Danke.“ Dann lief sie in Richtung Haustür, drehte sich nach kurzem Zögern aber erneut zu ihm: „Hilfst du mir die Treppe hoch? Ich glaube, ich bin echt zu voll. Kannst auch bei mir pennen.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging sie den letzten Schritt zur Tür und kramte ihren Schlüssel umständlich lange aus ihrer Rocktasche. Länger als vermutlich nötig gewesen wäre. Dann sperrte sie auf.Endlich gab Terry sich einen Ruck und stützte sie die Treppe hoch. Oben angekommen, wankte sie in ihr Zimmer und er steuerte schon automatisch zur Wohnzimmertür, als sie ihn aufforderte: „Kannst heute bei mir pennen. Ich mag nicht alleine sein.“
Verdattert blickte er in das nur vom fahlen Mondlicht erleuchtete Zimmer, welches sich durch die halb kaputte Jalousie Bahn brach. Doch Jill sagte nichts weiter und ließ sich auf das Bett plumpsen. Nach einer gefühlten Ewigkeit überwand er seine Starre und zog ihr behutsam die schweren Stiefel aus, setzte sich neben sie. Terry zog sich ebenfalls die Schuhe sowie die Jacke aus und legte sich an ihre Seite. Ohne an Konsequenzen zu denken oder gar ihren Todesblick, den sie ihm noch vor etwas mehr als einer Stunde zugeworfen hatte, legte er vorsichtig den Arm um sie. Jill verlagerte ihre Position, sodass ihre Gesichter nun auf einer Höhe waren. Er roch ihren Schweiß und ihren Atem. Sie roch nach Bier, aber sonst gut. Und selbst, wenn sie nach Pisse oder Kotze gerochen hätte, wäre es ihm in diesem Moment egal gewesen. Überhaupt war ihm alles egal. Ein Krieg hätte neben ihnen ausbrechen können, egal.Er küsste sie und sie erwiderte den Kuss. Sie schlang ihren Arm um ihn und er den seinen um ihre Hüfte und noch während er dachte: „Oh nein, zum vierten Mal heute Abend!“, schlief er ein.
Er erwachte. Es musste schon Vormittag sein, denn die Sonne blinzelte schon recht hartnäckig durch die Jalousie, als Jill ihn auf die Stirn küsste. Er hatte noch nicht mal richtig seine Augen geöffnet, da wanderte ihr Mund an den seinen und ihre Hand wanderte, oh oh, in Richtung seiner Intimsphäre.Plötzlich hellwach erwiderte er ihre Zuneigung und begann ebenfalls, mit seiner Hand auf Reise zu gehen. Oh Mann, er stellte sich wie der letzte Depp an. Wer erfand denn bitte solche dummen Knöpfe?
Als seine Hand endlich an ihrem Ziel angekommen war, war ihre bereits mit ihrem Werk kurz vor dem Ende. Er hatte versucht, es so lange wie möglich zurückzuhalten, auch weil er sich Gedanken machte, dass er gleich eine riesige Sauerei in ihr Bett machen würde. Doch in dem Moment, als er ihre feuchte Vulva mit der Hand erreichte, war kein Halten mehr. Terry versuchte noch, sein Missgeschick zu vertuschen und sein Werk überhaupt einmal zu beginnen, doch sie hatte es bemerkt und fing auf einmal an zu kichern. Erst leise und unterdrückt und dann brach sie in schallendes Gelächter aus, drückte ihm einen Kuss auf die Lippen.
„Ich denke, nun schuldest du mir ein neues Bettlaken und eine Gefälligkeit.“ Sie langte neben sich auf das Nachtkästchen und reichte ihm eine Packung Taschentücher. So gut es ging, wischte er die Pampe auf.
Später beim Frühstück taten beide so, als wäre nichts passiert und Hans-Jürgen ließ sich entweder nichts anmerken oder hatte wirklich nichts mitbekommen.