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Der gefangene Dämon warf den Kopf hin und her. Brandmale wurden auf seinem Gesicht und dem ganzen Körper sichtbar. Sie verzehrten ihn, drückten ihm den glühenden Stempel der Verdammnis auf und bereiteten ihm ein grausames Ende - Zeichen von Malkuth, der Januswelt.
Dorian Hunter konnte nichts für den Dämon tun, er konnte nur seiner langsamen Vernichtung beiwohnen. Der Dämon verglühte.
»Olivaro, du hast jetzt den Beweis«, sagte Dorian. »Dies ist die Insel der Paimons, und es gibt hier mindestens einen Januskopf, der die Dämonen kommandiert ...«
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Seitenzahl: 141
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Was bisher geschah
DIE INSEL DER BESESSENEN
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
mystery-press
Vorschau
Impressum
Der ehemalige Reporter Dorian Hunter hat sein Leben dem Kampf gegen die Schwarze Familie der Dämonen gewidmet, seit seine Frau Lilian durch eine Begegnung mit ihnen den Verstand verlor. Seine Gegner leben als ehrbare Bürger über den Erdball verteilt. Nur vereinzelt gelingt es dem »Dämonenkiller«, ihnen die Maske herunterzureißen.
Bald kommt Dorian seiner eigentlichen Bestimmung auf die Spur: In einem früheren Leben schloss er als Baron Nicolas de Conde einen Pakt mit dem Teufel, der ihm die Unsterblichkeit sicherte. Um für seine Sünden zu büßen, verfasste de Conde den »Hexenhammer« – jenes Buch, das im 16. Jahrhundert zur Grundlage für die Hexenverfolgung wurde. Doch der Inquisition fielen meist Unschuldige zum Opfer; die Dämonen blieben ungeschoren. Als de Conde selbst der Ketzerei angeklagt und verbrannt wurde, ging seine Seele in den nächsten Körper über. So ging es fort bis in die Gegenwart. Dorian Hunter begreift, dass es seine Aufgabe ist, de Condes Verfehlungen zu sühnen und die Dämonen zu vernichten.
Als Rückzugsort in seinem Kampf bleibt Dorian neben der Jugendstilvilla in der Baring Road in London noch das Castillo Basajaun in Andorra, in dem er seine Mitstreiter um sich sammelt – darunter die ehemalige Hexe Coco Zamis, die aus Liebe zu Dorian die Seiten gewechselt hat. Nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes Martin hat Coco diesen zum Schutz vor den Dämonen an einem Ort versteckt, den sie selbst vor Dorian geheimhält.
Auf der Suche nach dem Erbe des Hermes Trismegistos findet Dorian den Steinzeitmenschen Unga, der Hermon gedient hat und sich nach seinem Erwachen schnell den Gegebenheiten der Gegenwart anpasst. Die Invasion der Janusköpfe von der Parallelwelt Malkuth wird mit Dorians Hilfe abgewehrt.
Hermes Trismegistos wird klar, dass er für das Entstehen der Psychos auf Malkuth verantwortlich ist. Um zu büßen, geht er durch eins der letzten Tore nach Malkuth. Olivaro, das ehemalige Oberhaupt der Schwarzen Familie und selbst ein Januskopf, beschließt, seine auf der Erde gestrandeten Artgenossen zu jagen. Ein Diener des Januskopfes Pyko hext Dorian eine magische Pest an. Der Dämonenkiller droht bei lebendigem Leib zu verfaulen. Die überlebenden Janusköpfe versuchen ein Tor in ihre Heimat zu öffnen. Doch ehe sie hindurchschreiten können, bricht ein Drachenmonster daraus hervor und verbreitet Angst und Schrecken, bis es von Luguri, dem Fürsten der Finsternis, vernichtet wird.
Die Vampirin Rebecca trinkt vom Blut des Kinddämons Baphomet, und damit gehen dessen Wissen und Fähigkeiten auf sie über. Rebecca lässt Dorian, Coco und Martin auf der Insel des Hermann Lebius stranden. Dort begegnet ihnen das mysteriöse Mädchen Tina Bauer. Nachdem sie von der Insel gerettet wurden, wird im Haus des Bill Bailey versucht, Dorian zu entführen. Zusammen mit Olivaro, Jeff Parker und Abi Flindt heftet sich Dorian auf die Spur der Drahtzieher.
DIE INSEL DER BESESSENEN
von Roy Palmer
Die Nacht war ein großes, schwarzes Tier, das in das Zimmer eingedrungen war und sich besitzergreifend und drohend auf sie geschoben hatte – auf Mami, auf Tina und auf ihn, Martin, den Sohn des Mannes, der Dämonenkiller genannt wurde. Die Nacht war ein klebriges, feuchtes, erdrückendes Ungeheuer, zusammengesetzt aus Finsternis und Hinterhältigkeit. Sie raubte den Menschen den Atem. Sie drängte seltsame, deprimierende Fragen auf.
Theo.
Martin wälzte sich und gab einen schwachen Laut von sich. Sein Stöhnen weckte jedoch weder Coco Zamis noch das Mädchen Tina. Martin befand sich in Gesellschaft der liebsten Menschen, die er auf der Welt besaß, und doch war er allein, entsetzlich allein. Die von der Dunkelheit und Isolation erzeugten Ängste, die rätselhaften Empfindungen, die ihm im Verborgenen schlummernde Mächte eingaben, brachten den Ruf nach dem Freund hervor.
Theo.
Martin erwachte endgültig. Sein albtraumhafter Schlummer zerriss wie ein Schleier. Die Stimme des Freundes ertönte aus dem Nichts.
Martin, ich bin hier. Hab keine Angst. Uns beiden kann doch nichts passieren. Vertrau mir. Erinnerst du dich noch an die Galeone der Geisterpiraten?
Martin hatte sich im Schlaf zusammengerollt und die Position eingenommen, die ein Ungeborenes im Leib der Mutter innehatte. Aber jetzt setzte er sich auf. Mit seiner kleinen Kinderhand wischte er sich den Schweiß von der Stirn. »Ja, Theo. Das war schlimm.«
Aber auch damals blieben unsere Kontakte erhalten.
»Ja.«
Und Käp'ten Einbein und seine Männer taten dir nichts zuleide.
»Ein Glück, Theo.«
Warum hast du jetzt, in dieser Nacht, Angst?
»Ich weiß es nicht. Wirklich nicht«, erwiderte Martin. Es klang fast verzweifelt.
Jedenfalls bin ich froh, dass wir Freunde sind und zusammenhalten. Theo lachte aus den Sphären des Unergründlichen, und seine Worte und sein Frohsinn waren Balsam auf Martins beunruhigten Geist. Nach einer Weile fragte Theo: Wie fühlst du dich jetzt, Martin?
»Besser, Theo.«
Martin schnaufte leise, seufzte, blickte sich um und versuchte, etwas von seiner Umgebung zu erkennen. Die Gardinen vor den Fenstern des Hotelzimmers filterten das weißlich kalte Abendlicht und reduzierten seine Helligkeit. Nur undeutlich machte der kleine Junge die anderen beiden Betten aus, in denen Coco Zamis, seine Mutter, und Tina Bauer, das acht Jahre alte Mädchen, ruhten. Die Verbindungstür zum Nebenzimmer sah er nicht, aber er wusste, dass sie existierte – genauso, wie ihm bekannt war, wer dort nebenan schlief. Er hieß Unga und war ein großer, lieber Freund, der auch immer nett zu ihm war.
Martin erinnerte sich: Sie waren mit einem Flugzeug unterwegs gewesen. Das war schön und sehr aufregend für ihn gewesen. Das Flugzeug war gelandet. Die Stadt, durch die sie dann in einem großen, lauten Auto gefahren worden waren, hieß Caracas. Mami hatte ihm das gesagt.
»Es ist warm«, flüsterte Martin.
Komm, sagte Theo. Komm, wir unternehmen zusammen einen kleinen Spaziergang. Der wird dir wohl tun.
»Aber Mami ...«
Mami schläft. Und Tina und Unga, dieser Muskelprotz, auch.
Es war etwas in Theos Stimme, das einfach keinen Widerspruch zuließ. Aber es war nichts Drohendes, Warnendes, sondern einfach nur die ungeheuer nachhaltige Ausstrahlung, die allein die Stimme des Freundes auf Martin hatte. Martin lächelte, rutschte vom Bett und stand mit seinen nackten Füßen auf dem Bettvorleger.
Er konnte Theos Stimme hören, als spräche der Freund aus einer Zimmerecke zu ihm, doch sie war nur Teil seiner Gedanken.
Folge mir, Martin. Wir wecken Mami, Tina und Unga nicht. Sie brauchen nichts von unserem kleinen Ausflug zu wissen. Und sie können auch gar nicht aufwachen.
Martin begriff nicht richtig, wie Theo das meinte, aber die Worte des Freundes übten eine zutiefst beruhigende Wirkung auf ihn aus. Er fühlte sich sicher, schritt auf flauschigen Kissen dahin, und die Nacht, dieses vertrackte schwarze Ungeheuer kroch plötzlich aus dem Zimmer. Licht breitete sich vor Martins Füßen aus; bläuliches Licht, das ihm den Weg wies. Er wandte sich zur Tür, Theos Stimme war wieder da und lockte von der Tür aus: Na los, Martin, worauf wartest du denn noch? Machen wir einen kleinen Rundgang durch das Hotel. Wir werden unseren Spaß haben. Das ist doch spannender als jedes Abenteuerheft.
Martin trippelte zur Tür. Wie selbstverständlich drehte er den Schlüssel im Schloss. Der Riegel glitt zurück, dann legte Martin die Hand auf die Klinke und drückte die Tür auf. Er trat auf den Gang zwischen den vielen Zimmern des Stockwerks.
Gut. Theo kicherte. Klasse, wie du das gemacht hast. Du bist ja schon ein ganzer Kerl, Martin, kein Kleinkind, das an Mutters Schürzenzipfel hängt.
»Ich habe keine Angst.«
Recht so. Aber sprich nicht. Ich verstehe dich auch, wenn du nur denkst.
Wohin, Theo?
Zur Treppe und dann die Stufen hinauf, immer höher hinaus, immer höher, Martin.
Und Martin Jäger, wie der Sohn von Dorian Hunter und Coco Zamis mit seinem Tarnnamen hieß, stieg auf nackten Fußsohlen die Treppe hinauf. Er schritt durch die Stockwerke des Hotels, ohne dass ihn jemand bemerkte, ohne dass jemand Anstoß nahm. Martin gelangte in die oberste Etage, wandte sich zielstrebig zunächst nach links, dann am Ende eines schmalen Korridors wieder nach rechts und stand schließlich vor einer Tür. Sie war nicht verschlossen. Sie bewegte sich im Luftzug und knarrte in schlecht geölten Angeln. Sie führte aufs Dach.
Komm schon, Martin.
Ich bin schon da, Theo.
Martin lenkte seine Schritte über eine flache, aus drei oder vier Stufen bestehende Treppe, erreichte die Türschwelle, stieß mit der Hand gegen die hin und her schwingende Tür und befand sich auf dem Dach des Gebäudes. Der Wind, der von der See her gegen die Häuser anblies, war lauwarm. Er umfächelte Martin, zerzauste seine Haare, beeinträchtigte ihn aber nicht in seinem Unternehmen.
Und was nun, Theo?
Du wirst schon sehen, antwortete die Stimme des Freundes, wir werden hier oben eine Menge Spaß haben. Die Nacht hat ihre besonderen Gesetze. Sie erlaubt Dinge, die bei Tag nicht möglich sind. Sie ist der Verbündete all derjenigen, die Schutz brauchen und die Einsamkeit der späten Stunden suchen. Siehst du den Mond, Martin? Er ist eine fahle, fast voll gerundete Scheibe, Martin.
Ich verstehe dich nicht, Theo.
Das brauchst du auch nicht. Hauptsache, du hast immer Vertrauen zu mir.
Immer, Theo.
Warte. Lausche. Hörst du was?
Martin stand unbeweglich und vernahm wispernde Laute, die vom Wind hervorgerufen zu werden schienen. Ein trockenes Flattern war plötzlich zu hören, dann schnurrende Geräusche und andere akustische Zeichen, die Martin nicht einzuordnen wusste. Etwas schien eiskalt seine Wangen zu streifen. Plötzlich hatte er das Gefühl, jemand befände sich hinter seinem Rücken.
Theo!
Ich bin immer noch hier, Martin. Ich stelle dir jetzt drei Freunde vor, denen du dich anvertrauen kannst. Sie sind deine Begleiter während des nächtlichen Ausfluges.
Wohin führt der Ausflug, Theo?
Du wirst schon sehen.
Martin wandte sich um und sah sie. Es waren drei, und sie hatten sich rechts neben der ins Gebäude führenden Tür postiert – große schlanke Gestalten in bodenlangen, schwarzen Umhängen. Zwei trugen nichts auf den Köpfen. Das Oval ihrer Schädel hob sich ziemlich deutlich gegen den tief stehenden Mond ab. Der in der Mitte hatte einen Zylinder auf dem Kopf. Eigenartigerweise wurde ihm das Ding durch den Wind nicht fortgerissen. Sie deuteten eine groteske Verbeugung an.
»Stets zu Diensten«, sagte der links Stehende. »Mein Name ist Oistach, und meine Kameraden hören auf die Namen Dulio und Lindo.«
»Schönesss, zartesss Knäblein«, meinte Dulio mit seltsamer Betonung und lispelnder Stimme. »Wir werden unsss blendend verssstehen. Du bissst sssüsss.«
»Einfach lecker«, sagte nun auch Lindo. »Saftig und ohne Knorpel. Komm her, du Naseweis.«
Martin zögerte. Aber die drei düsteren Gestalten setzten sich in Bewegung und traten nun ihrerseits auf ihn zu. Sie breiteten die Aufschläge ihrer Umhänge aus. Martin sah, dass sie jetzt wie mit Flügeln bewehrt wirkten. Sie lachten dumpf, und er erkannte, dass sie sehr, sehr weiße Zähne besaßen, die besonders in den Mundwinkeln lang und spitz nach unten wiesen.
In der dritten Juniwoche brachte die Nacht von Venezuela auch keine lindernde Kühle. Unga hatte sich ohne Decken und nur mit einem knapp sitzenden Männerslip bekleidet auf dem Bett des Hotelzimmers ausgestreckt. Trotzdem schwitzte er. Als ein anhaltendes Kribbeln seinen Körper bis zur äußersten Nervenfaser durchlief, fuhr er mit einem Ruck hoch und blickte sofort zu dem magischen Kommandostab.
Der Stab, aus tierknochenähnlicher Substanz geschaffen, war an einem Ende mit einem Loch versehen und dieses leuchtete in rötlich gelben Farben. Der Stab wirkte irgendwie transparent. Unga fasste ihn an. Das Glühen setzte nicht aus, doch der Stab fühlte sich nicht heiß, sondern eiskalt an, und Unga, der Cro Magnon, wusste, was das zu bedeuten hatte. Unwillkürlich fasste er auch nach dem Amulett, das an einer Kette an seinem Hals befestigt war. Das Amulett schien in sich zu vibrieren. Unga spürte, dass eine der Türen, die er am Abend magisch abgesichert hatte, geöffnet worden war. Einem drängenden Antrieb folgend wandte er sich sofort zur auf den Gang führenden Tür seines Zimmers. Und richtig: Er sah Martin gerade noch im Treppenhaus verschwinden. Unga verließ sein Zimmer und schlich ihm nach. Er glaubte, den kleinen Jungen rasch einzuholen, doch es war erstaunlich, mit welcher Geschwindigkeit Martin sich fortbewegte. Unga fühlte, wie etwas sein Herz zusammenkrampfte. Hört das denn nie auf? Ständig musste man sich bedroht fühlen, und nicht einmal für den armen Martin gab es endlich Frieden. Dabei hätte gerade das Kind Ruhe bitter nötig gehabt, nachdem seine Eltern es endlich aus den Klauen der Dämonen befreit hatten.
Was für ein Glück, dass er, Unga, die Türen gesichert hatte! Was wäre gewesen, wenn er es – aus Müdigkeit oder einfach aus Vergesslichkeit – unterlassen hätte? Die Folgen wären unabsehbar gewesen; und es hätte nichts gegeben, durch das er sich Dorian Hunter gegenüber hätte rechtfertigen können.
Sie hatten sich auf den Bahamas getrennt. Unga war mit Coco und den beiden Kindern nach Caracas geflogen. Gern hätte der Dämonenkiller sie begleitet, doch es gab einige Gründe, aus denen dies nicht möglich gewesen war. Der Hauptgrund war das große Handikap, mit dem er zurzeit fertig werden musste. King Tattoo, der Diener des Januskopfes Pyko, hatte es geschafft, Dorian zumindest teilweise seines Gesichtsstigmas zu entledigen. Dafür hatte er ihm die Zeichen des Bösen, die Male der Januswelt aufgezwungen.
Dorian hatte sich seines Stigmas berauben lassen, weil er Martin nicht länger damit erschrecken wollte. Jetzt musste er bitter für diesen Fehler bezahlen.
Unga hetzte die Treppe hinauf. Er erreichte den Durchlass zum Dach, sah die hin und her schwingende Tür und hörte plötzlich auch Stimmen. Seine Sinne waren auf das Äußerste angespannt. Wie einen Dolch hielt er den Kommandostab. Das Amulett auf seiner Brust schien ein Eigenleben entwickeln zu wollen. Die Bedrohung war da, war allgegenwärtig und immer akut. Wieder wollten die Dämonen mit einem ihrer schmutzigen Tricks zuschlagen. Was hatten sie diesmal ersonnen?
Unga schlich bis an den Türspalt. Wind schlug ihm entgegen, aber trotz seines halbnackten Zustandes war ihm keineswegs kalt. Im Gegenteil. Er schwitzte. Als die Tür weit nach außen pendelte, erblickte er die drei Gestalten. Sie hatten ihm den Rücken zugewandt. Unga schaute zwischen ihnen hindurch und entdeckte nun auch Martin. Er vernahm, wie die drei ihre Namen nannten, verstand auch, was sie sonst noch sagten und beobachtete dann, wie sie auf Martin losmarschierten. Eine Woge kalter Wut durchfuhr Unga. Da bedurfte es keiner näheren Erläuterungen und auch keines großen Scharfsinnes, um die Situation zu erfassen. Er hatte genügend Erfahrungen mit den Mächten der Finsternis. Die Art, wie Oistach und seine beiden schaurigen Spießgesellen sich gekleidet hatten, die Art, wie sie ihre Schwingen ausbreiteten, ihre Bemerkungen – das alles sprach für sich. Unga konnte ihre scharfen Eckzähne nicht sehen, aber er wusste auch so, zu welcher Gattung von Dämonen sie gehörten.
Sie waren Vampire.
Sie wollten Martin beschwatzen und packen. Sie würden ihn an sich reißen und mit ihm davonfliegen, über die Dächer von Caracas hinweg, vielleicht bis in die Einsamkeit der Berge oder noch weiter. Sie waren grausam und unberechenbar. Unga fragte sich, wie sie es geschafft hatten, den kleinen Martin auf das Dach des Hotels zu locken. Vorerst fand er keine Antwort, aber das hatte jetzt auch nicht den Vorrang. Er handelte, bevor es zu spät war. Wie ein Panther sprang er aus der Tür und rannte auf die drei Blutsauger zu. Er war mitten unter ihnen, ehe sie richtig bemerkten, was die Stunde geschlagen hatte. Oistach zuckte als Erster wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Dulio stieß einen spitzen, kreischenden Laut aus. Lindo sprang einen Schritt nach rechts, zeigte erbost die Krallen und riss das Maul weit, sehr weit auf. Seine Zähne blinkten drohend im Mondlicht.
»Ihr Bestien«, rief Unga. »Mit euch mache ich kurzen Prozess!«
Er wandte sich ruckartig nach rechts und griff Lindo an. Lindo führte sich am unerschrockensten auf, aber als er sah, wie spitz der Kommandostab an seinem einen Ende geschliffen war, bekam er offenbar Bedenken. Er versuchte es mit einer Finte, um Unga in den Rücken zu fallen und ihm die Zähne in die Schlagader zu graben – aber der Cro Magnon war auf der Hut. Es war nicht der erste durchtriebene Vampir, mit dem Unga kämpfte. Geschickt wich er Lindos wütenden Krallenhieben aus, konterte, durchkreuzte die Finte und rammte dem Vampir schließlich den Kommandostab mit voller Wucht in das Herz. Lindo japste und schlug verzweifelt mit seinen schwarzen Schwingen. Gern hätte er sich in die Luft erhoben und Fersengeld gegeben. Doch Unga hatte zu gut gezielt. Rückwärts taumelte der Dämon bis an den Rand des flachen Daches, bekam Übergewicht und kippte nach hinten über. Im Sturz löste er sich in Staub auf. Sein Kreischen wurde vom Wind fortgetragen und verebbte binnen Sekunden.
Unga schlug mit dem Stab nach Dulio, aber der hüpfte entsetzt weg.
»Unerhört«, zischte er. »Ssso eine Bossheit.«
Unga hätte ihm den Kommandostab geradewegs ins Herz geschlagen, wenn jetzt nicht Oistach eingegriffen hätte. Er packte Unga von hinten an die Gurgel, und zwar mit beiden Händen. Unga schüttelte sich mit aller Macht, aber Oistach blieb wie eine widerliche Klette an ihm haften. Beide gingen zu Boden und wälzten sich. Dulio trampelte auf der Stelle, bewegte raschelnd die Flügel und krächzte.