Drachendunkel. Die Legende von Illestia - Eyrisha Summers - E-Book
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Drachendunkel. Die Legende von Illestia E-Book

Eyrisha Summers

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Beschreibung

**Wenn Finsternis das Herz entzweit...** Drachen kennt Ella nur aus Legenden längst vergangener Zeiten, in denen die Wiesen Illestias noch blühten und das Land fruchtbar war. Bis sie im Wald auf einen Fremden trifft, mit glühenden Augen und von Dunkelheit umhüllt. Razul gehört zum Clan der Weißdrachen und ist gekommen, um ein Opfer zu fordern – Ella. Nur wenn sie ihn auf sein Schloss begleitet, verspricht er, ihr Dorf von Hunger und Kälte zu erlösen. Ella ist fest entschlossen, ihre Familie und Freunde zu retten, und lässt sich auf den Handel ein. Doch sie ahnt nicht, wie unberechenbar die Bestie in Razuls Herzen wütet … Der Mann will dich lieben, doch der Drache will dein Blut! Ein abenteuerlicher Fantasy-Liebesroman für Drachenfans! In der märchenhaft-düsteren Welt von Erfolgsautorin Eyrisha Summers wächst eine starke Heldin über sich hinaus und kämpft leidenschaftlich für die große Liebe. Ein rasanter Pageturner, den man nur schwer wieder aus der Hand legen kann! //Dies ist ein sich abgeschlossener Einzelband.//

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Eyrisha Summers

Drachendunkel. Die Legenden von Illestia

**Wenn Finsternis das Herz entzweit …**Drachen kennt Ella nur aus Legenden längst vergangener Zeiten, in denen die Wiesen Illestias noch blühten und das Land fruchtbar war. Bis sie im Wald auf einen Fremden trifft, mit glühenden Augen und von Dunkelheit umhüllt. Razul gehört zum Clan der Weißdrachen und ist gekommen, um ein Opfer zu fordern – Ella. Nur wenn sie ihn auf sein Schloss begleitet, verspricht er, ihr Dorf von Hunger und Kälte zu erlösen. Ella ist fest entschlossen, ihre Familie und Freunde zu retten, und lässt sich auf den Handel ein. Doch sie ahnt nicht, wie unberechenbar die Bestie in Razuls Herzen wütet …

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Vita

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© Kristin Bäcker

Eyrisha Summers wurde 1965 geboren und lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern am schönen Niederrhein. Neben ihrem Beruf als selbstständige Podologin veröffentlichte sie 2016 ihren Debütroman und erfüllte sich damit einen lang gehegten Traum. Mittlerweile ist sie eine erfolgreiche Autorin mit Hang zum fantastisch-romantischen Happy End. Bereits als Kind von Märchen und Fabelwesen fasziniert, wundert es nicht, dass ihre Romane die Leser an wundersame Orte begleiten, wo sie Wesen begegnen, die nicht von dieser Welt sind.

Prolog

Sie kamen von den Sternen – ihr Licht heller als die Strahlen der Wintersonne. Ihre Magie voller Wunder und Kraft. Sie hatten sich in den Sommerlanden niedergelassen und waren zu Hütern der Menschen geworden. In dunkler Not standen sie den winzigen Wesen bei, brachten sie auf den rechten Pfad und schon bald erkannten die mächtigen Drachen, dass sie unter den Frauen dieser hilflosen Rasse ihre Rettung fanden – die eine, die in der Lage war, das Tier in ihnen zu bändigen. Doch dafür zahlten die Drachen einen hohen Preis.

(Aus den Chroniken der Drachen)

Der weiße Drache brüllte seinen unbändigen Zorn in die rauchgeschwängerte Nachtluft, die vom Lärm der tobenden Schlacht erfüllt war. Hilflos musste er mit ansehen, wie sein Freund und Kampfgefährte neben ihm zu Boden ging. Die dunkle Bruderschaft hatte sie in den letzten Stunden immer weiter zurückgedrängt und jetzt sah es schließlich so aus, als ob sie zum ersten Mal seit Ausbruch des Krieges eine Schlacht verlieren würden. Als ob selbst die geballte magische Kraft der Drachen nicht mehr ausreichen würde, die finsteren Gestalten zu bezwingen.

Viel zu lange dauerte diese Auseinandersetzung bereits an. Razul konnte sich kaum noch an den Tag erinnern, als sie enthusiastisch losgezogen waren, um die verkommene, finstere Brut daran zu hindern, in die Sommerlande einzudringen.

Seitdem waren viele Monde ins Land gezogen und aus den Monaten waren Jahre geworden – viele, viele Jahre.

Inzwischen hatte Razul den Überblick verloren, aber er wusste, dass er den Sommerlanden bereits zu lange ferngeblieben war, denn so wie seine Magie in seinem kleinen Reich für immerwährenden Sommer sorgte, brauchte auch er zumindest manchmal den Kontakt zu dem Boden, auf dem er geboren war. Die Stärke seiner Flammen und seines eigenen Zaubers hingen davon ab. Eigentlich war er bereits zu schwach, um die heutige Schlacht zu bestreiten, doch ihm blieb keine andere Wahl. Im letzten Monat war es den Gegnern geglückt, mehr und mehr seiner Freunde vom Himmel zu holen und einen Drachen nach dem anderen mit ihrem schwarzen Zauber einzufangen. Und jetzt hatte es Chandra getroffen.

Razul beobachtete, wie sein bester Freund – der rote Drache aus den Donnerbergen – ins Trudeln geriet. Seine gigantischen Schwingen trugen ihn nicht länger über den Himmel. Die rot glänzenden Schuppen, die seinen mächtigen Leib bedeckten, funkelten im Schein der zahlreichen Feuer in der Stadt noch einmal auf, bevor sie in der Dunkelheit der dichten Rauchwolken verschwanden.

Razul konnte Chandra nicht im Stich lassen. Obwohl er wusste, dass der rote Drache bereits verloren und sein Herz in Finsternis getaucht war, konnte er die Hoffnung nicht aufgeben. Sollte noch ein Fünkchen von Chandra vorhanden sein, würde er alles geben, um daraus wieder ein loderndes Feuer zu machen. Er durfte nichts unversucht lassen, um Chandra vor seinem grausamen Schicksal zu bewahren.

Eine glitzernde Wolke aus Eis drang aus seinem Maul, als Razul seine weißen Flügel an den Körper legte und sich fallen ließ. Wie ein leuchtender Blitz jagte er der Erde entgegen, stieß durch den beißenden Rauch und ließ dabei seine Gegner nicht aus den Augen. Er konnte die Übelkeit erregenden Schlingen der schwarzen Magie genau erkennen. Wie ein dichtes Spinnennetz zogen sie sich durch die Luft und Razul musste dem klebrigen Gespinst immer wieder ausweichen. Je näher er dem Boden kam, desto enger wurden die magischen Fallen und ihm blieb kaum Zeit, seinen Blick auf etwas anderes zu richten als auf die bösen Zauber, die ihn hier umgaben. Trotzdem entging ihm nicht, wie Chandra hart auf der brennenden Erde aufschlug – umgeben von dicken Strängen aus tiefer Schwärze.

Razul brüllte auf und spie einen eisigen Strahl seiner blauen Flammen. Knisternd fraßen diese sich ihren Weg durch das dichte Netz aus fauligen Zaubern. Rechts von ihm tauchte im selben Augenblick Harken auf – der blaue Drache von Verlaine. Er unterstützte Razul mit heißer, glühender Lava, die er der dunklen Bruderschaft entgegenschleuderte. Seine Flügel waren so heiß, dass Razul sie spüren konnte. Ohne hinzusehen, wusste er, wer seine Flanke deckte. Ein Gefühl von Stolz auf seine Kameraden und ihren Zusammenhalt erfüllte ihn. Das war ihre größte Stärke – der Wunsch einander zu schützen und für den anderen einzustehen. Allerdings war auch genau dieser Umstand ihre größte Schwäche.

Als Razul gleich darauf einen weiteren Blick auf Chandra erhaschte, war der kurze Moment der Freude verflogen. Der rote Drache wurde von zahlreichen Bestien umringt und Razul glaubte, den dunklen Singsang und die bösen Schwingungen bis hinauf in den Himmel zu vernehmen. Er wusste, was dort unten geschah, und sein Herz zog sich vor Kummer zusammen. Man würde seinem Freund das Empfinden von Liebe und Freude für immer verwehren, ihm den Teil seiner Persönlichkeit stehlen, der ihn zu einem mitleidenden Wesen machte. Zurück bliebe dann nur noch die leere und zornige Hülle eines machtvollen Wesens, das töten würde, sobald es in der Gestalt eines Drachen erschien.

Wieder brüllte Razul den Feinden seinen Kampfschrei entgegen und für den Bruchteil einer Sekunde zerrissen die Fäden des dunklen Zaubers. Ganz kurz nur konnte Razul einen Blick in Chandras Augen erhaschen. Augen, in denen Angst und Schmerz geschrieben standen – Liebe und Leid. Doch dann änderte sich ihr Ausdruck. Die einstmals klar leuchtenden bernsteinfarbenen Augen wurden zuerst trüb und verdunkelten sich nach und nach immer mehr, bis sie schließlich Onyxen glichen. Tiefschwarz und ohne jegliches Gefühl darin.

Razuls Kopf wurde leer, während er mit ansehen musste, wie sich sein Freund in einen todeswütigen Berserker verwandelte. Wie aus dem ehemaligen Gefährten ein grausamer Feind hervorging, der im nächsten Moment bereits auf Harken und ihn losgehen würde. Die Qual, die Razul bei dem Gedanken daran erfasste, gegen Chandra kämpfen zu müssen, war unerträglich, und lähmende Schwäche ergriff von ihm Besitz. Er hörte noch Harkens lauten Schrei, Worte der Warnung, die er ihm zurief. Doch es war bereits zu spät. Irgendetwas drang in sein schlagendes Herz und ließ seine Entschlossenheit schwinden. Es war so finster und die Pein so überwältigend, dass Razul nicht mehr nur taumelte, sondern wie ein Stein zu Boden fiel. Nichts konnte ihn halten. Es war, als ob man ihn sämtlicher Kraft mit einem Schlag beraubt hätte und ein fremder Wille plötzlich über ihn und seinen Körper gebot. Er fiel immer weiter. Mitten durch die dunklen Gespinste der Finsternis und mitten durch Kälte und Dunkelheit. Als er auf der Erde aufschlug, war sein Geist bereits so finster, dass er zu keiner Gegenwehr mehr fähig war. Sein Herz pochte schmerzhaft in der Brust und erinnerte ihn daran, dass er widerstehen sollte, dass er sich wehren musste, doch dazu war er nicht mehr in der Lage. Alles schien weit weg zu sein. Sein Leben, seine Erinnerungen und die Freundschaft, die ihn mit seinen Gefährten verband – das alles war nun nicht mehr wichtig für ihn. Der seltsame Gesang, den er schon häufiger vernommen hatte, als ihm lieb sein konnte, schwoll an und je lauter er wurde, desto weniger fühlte Razul. Nur eine unbändige Wut und eine grausame Kälte, die sich in seiner Brust einnisteten. Etwas Düsteres drang in ihn ein. Es eroberte sein rasendes Herz und er spürte, wie es ihn veränderte. Eis und Zorn machten sich in dem Teil seines Herzens breit, den er in ferner Zukunft einer Frau hatte schenken wollen. Der Frau, die in Liebe mit ihm verbunden sein würde. Diese Liebe würde es nun nicht mehr geben, denn man hatte ihn seiner Gefühle beraubt. Stattdessen würde er Blut trinken und Tod bringen – jedem Lebewesen, das ihm in seiner Drachengestalt über den Weg lief.

Razul brüllte ein letztes Mal seinen Schmerz den rot glühenden Wolken entgegen, doch dann erlosch auch der letzte Funke Widerstand. Sein Sichtfeld veränderte sich und graue Nebel schoben sich vor seine Augen, bis zu dem Moment, in dem er nur noch Finsternis wahrnahm. In seinem Kopf herrschte nur noch ein einziger Gedanke: Töte … töte … töte …

Kapitel 1

Geteiltes Herz, nur vereint durch der Liebe Kraft.

Gezähmtes Biest durch sanfte Hand, doch zahlst du den Tribut für dieses Glück. Vorbei das ewige Leben. Das ist der Liebe Preis.

(Aus den Chroniken der Drachen)

»Windsom war der erste Drache, der über die Auen von Maphradun seine schützenden Schwingen ausbreitete. Unter seiner Herrschaft gab es niemals Winter. Die Gärten waren stets voller Blumen und die Bäume trugen schwer an den Früchten, die auf ihnen heranreiften. Die Menschen von Mooresdahl hatten immer genug zu essen und führten ein Leben voller Freude und Glück. Niemand musste schwer arbeiten und es gab keine Krankheiten oder Gebrechen. Die Drachenmagie behütete uns vor allem Übel …«

Während Ellas Brüder der Stimme der Alten lauschten, kuschelten sie sich eng unter der fadenscheinigen Decke zusammen – suchten die Wärme des jeweils anderen. Selbst das munter prasselnde Feuer im Kamin konnte die Kälte nicht vertreiben.

»Das reicht jetzt, Barka! Ich habe dir schon mindestens hundert Mal gesagt, dass du den Kindern nicht immer solche Märchen erzählen sollst. Am Ende glauben sie dein Gefasel von Wärme, Glück und Nichtstun, statt sich auf die wesentlichen Dinge zu besinnen. Geschichten füllen keine Mägen, und solche erst recht nicht.« Ella schüttelte mürrisch den Kopf, während sie der alten Barka einen tadelnden Blick zuwarf. Immer wieder verbreitete sie unter den Kindern solche Lügenmärchen, und die hatten natürlich auch nichts Besseres zu tun, als an den runzligen Lippen Barkas zu hängen. Drachen? Wer glaubte hier eigentlich noch an Drachen und ihre Magie? Falls es diese machtvollen Geschöpfe einst gegeben hatte – was Ella ernsthaft bezweifelte –, waren sie bereits vor langer Zeit von den Straßen und aus dem Leben der Menschen verschwunden. Nostalgische Erinnerungen an eine Zeit des Überflusses halfen ihnen nicht weiter und trugen auch in keiner Weise zu ihrem Überleben bei.

»Die Kinder lieben meine Geschichten, Ellianne! Und du solltest nicht gleich alles schlechtreden, nur weil du die goldenen Zeiten nicht mehr kennengelernt hast!« Ihren vollen Namen benutzte Barka immer nur dann, wenn Ella in ihren Augen mal wieder etwas angestellt hatte. Anscheinend war es gerade wieder so weit.

Während Ella die Pfeile für ihren Langbogen sicher im Köcher verstaute und sich ihre Schneeschuhe griff, lamentierte die Alte weiter.

»Irgendwann wirst du mir glauben, Ellianne! Ich habe die stolzen Drachen noch mit eigenen Augen gesehen … Und auch die Wunder, die sie vollbringen konnten. Es kommt der Tag, da werden sie zurückkehren aus diesem furchtbaren Krieg, und dann wird alles besser werden.« Ella erkannte die Hoffnung in den trüben, fast blinden Augen – eine Hoffnung, die sich nicht erfüllen würde. Voller Mitleid sah sie mit an, wie Barka ihr dünnes Schultertuch fester um ihre knochigen Arme schlang und trotzdem nicht aufhören konnte zu zittern. Es war so kalt in der kleinen Hütte, dass die Eisblumen an den Fenstern leise knisterten.

»Wenn es so weit ist, werde ich mich bei dir entschuldigen, Barka. Bis dahin möchte ich dich bitten, den Kleinen nicht den Kopf mit solch einem Unsinn zu verdrehen. Sie haben es ohne deine Geschichten schon schwer genug.«

»Du bist zynisch, junge Dame«, gab die Alte in einem meckernden Tonfall von sich, der Ella an eine Ziege erinnerte.

»Und du zu vertrauensselig«, schoss Ella zurück. Dabei hatte sie es verdächtig eilig, nach draußen zu verschwinden, selbst auf die Gefahr hin, dass das nicht unbedingt ihre beste Idee war.

Schon in dem Moment, als die Tür mit einem lauten Knall hinter ihr zufiel, wäre Ella am liebsten umgekehrt. Seit ein paar Tagen zog ein unglaublicher Sturm über Mooresdahl hinweg. Es schneite ohne Unterbrechung und Ella konnte kaum die Hand vor Augen sehen, so sehr trieb der Wind die Flocken vor sich her. Ohne ihre Schneeschuhe würde sie hoffnungslos im weißen Nass versinken.

Ella schob sich die Kapuze mit dem dichten Rand aus Feyanfell auf die langen schwarzen Haare und zog sich die Lederfäustlinge über die froststarren Finger. Sie musste sich unbedingt bewegen, denn ansonsten würde sie binnen weniger Minuten zu Eis erstarrt sein – so wie die Bäume hinter dem Haus und der nahe Wald, der ihr eigentliches Ziel war.

Ihre erste Aufgabe bestand darin, die aufgestellten Fallen zu kontrollieren, obschon sie sich denken konnte, dass sich kein Wild darin verfangen hatte. Bei diesem Wetter würde sich nicht ein einziges Tier an die Oberfläche wagen. Sie würden eng aneinandergekuschelt in ihren Bauten schlafen und auf einen Tag ohne Sturm hoffen. Einen Tag, an dem die Sonne den Schnee zum Glitzern brachte und Eiskristalle verheißungsvoll funkelten. Ella wusste, dass sie sich sehr würde anstrengen müssen, um heute etwas auf den Tisch zu bringen. Die Speisekammer war erschreckend leer und außer ein paar Tarikwurzeln gab es dort nichts mehr, woraus man eine Mahlzeit hätte zubereiten können. Für ihre Geschwister war das viel zu wenig. Sie waren gerade mal acht und fünfzehn Jahre alt. Schuldbewusst seufzte Ella.

In der letzten Woche hatte sie es nicht gewagt, das Haus zu verlassen. Viel zu stark hatte der Orkan gewütet und das Krachen der umstürzenden Bäume war bis in ihre Schlafkammer zu hören gewesen. Selbst der nahe Feuerwald gab sich mittlerweile den Schneemassen geschlagen. Noch im vergangenen Jahr hatten die lodernden Baumkronen das Schlimmste an Kälte abgehalten, doch in den letzten drei Monaten war die Kraft der lichten Bäume fast vollkommen erloschen – von dem Feuer war nur noch ein Glimmen übrig.

Ella hob den Blick und bereute es sogleich. Die heranbrausenden Flocken bissen wie mit kleinen Zähnen in ihre unbedeckten Hautstellen. Sie senkte schnell ihren Kopf, doch sie hatte trotzdem für eine Sekunde das rötliche Glühen direkt vor sich erkennen können. Dort lag der Feuerwald. Jene verheißungsvollen Bäume, die bisher ihre Lebensgrundlage gebildet hatten. Doch jetzt drohte auch diese Nahrungsquelle zu versiegen und Ella wusste beim besten Willen nicht mehr, was sie dann machen sollte.

Ab und an hob sie kurz ihren Blick und schaute in die Richtung der weit entfernten Donnerberge. Diese konnte man trotz des heftigen Schneetreibens noch immer erkennen. In besonders hoffnungslosen Stunden hatte sie darüber nachgedacht, Mooresdahl zu verlassen. Ihre Geschwister zu nehmen und nach einem Ort zu suchen, an dem man leben konnte. Doch um ein solches Risiko zu wagen, war Erek, ihr jüngster Bruder, einfach noch zu klein. Es würde noch ein paar Jahre dauern, bis Ella ihn mit auf eine Reise ins Ungewisse nehmen konnte. Der Gedanke, so lange hungern zu müssen, zermürbte sie, und die Verantwortung lastete schwer auf ihren Schultern. Allerdings nutzte es nur wenig, wenn sie sich in ihrer Hoffnungslosigkeit verlor. Wenn sie alle überleben wollten, musste Ella stark bleiben.

Ein paar Minuten später tauchte sie in den Schutz des Waldes ein und genoss die wenigen Grad Wärmeunterschied, die den glühenden Baumkronen zu verdanken waren. Sie wagte es sogar, ihre Kapuze vom Kopf zu schieben und ihre Schneeschuhe abzuschnallen. Ohne diese breiten geflochtenen Auflagen aus Bast würde sie sich weitaus schneller zwischen den Stämmen bewegen können. Sicherheitshalber nahm sie ihren Bogen in die eine und einen Pfeil in die andere Hand. Wer wusste schon, ob ihr nicht doch ein Feyantier über den Weg laufen würde, oder ein paar Breassels – wobei auch dafür die Chancen schlecht standen.

Wie Ella es befürchtet hatte, war die erste Falle leer. Noch viel schlimmer war allerdings, dass sogar die Tarikwurzeln, die sie als Köder hinterlassen hatte, verschwunden waren, sodass sie die Falle neu beschicken musste. Als sich ihr bei der zweiten das gleiche Bild bot, glaubte sie noch an einen Zufall, bei der dritten allerdings nicht mehr. Der Beutel mit den Ködern leerte sich erschreckend schnell, und als sie die fünfte Fangschlinge erreichte, war Ella kurz davor, in Tränen auszubrechen. Es gab tatsächlich keine Beute für sie und den Bogen hatte sie auch noch nicht einsetzen müssen. Selbst wenn es zwischen den Bäumen deutlich wärmer als auf den freien Feldern war, die Mooresdahl umgaben, lag auch hier der Schnee so hoch, dass sie bis über die Knöchel darin einsank. Wäre ein Tier unterwegs gewesen, dann hätte sie Fährten finden müssen, doch das Weiß zu ihren Füßen präsentierte sich unberührt und glatt. Das leise Knistern der brennenden Wipfel schien sie zu verhöhnen und Ella schwankte zwischen Angst, Trauer und einer unbändigen Wut, die sich gegen ihre eigenen Lebensumstände richtete. Gegen die eisige Kälte und eine Umgebung, die ein sorgenfreies Leben unmöglich machte. Bis zum heutigen Tag hatte sie nicht begreifen können, warum sich ihr Volk ausgerechnet an diesem Ort niederließ. Sie wollte nicht verstehen, was die Menschen dazu trieb, ein Land zu besiedeln, das sie nicht ausreichend ernähren konnte.

Ella sah sich mit hängenden Schultern und einem leisen Seufzen um. Die Bäume waren nach dem Sturm in einen dicken Eispanzer gehüllt, aus dem nur noch die Kronen unbeschadet hervorschauten. Wie Skulpturen aus kristallklarem Frost präsentierten sie sich in den bizarrsten Formen und einem überirdisch schönen Funkeln. Doch die kostbare Pracht täuschte. Die feurigen Lohen in den Baumkronen waren zusammengesunken zu einem Glimmen, das nur noch ungenügend Wärme an den Boden abgab. Hielt der Sturm noch ein paar Tage an, so würde auch diese Wärmequelle für immer versiegen und Ellas Leute mussten dann jämmerlich verhungern.

Eine einzige Falle musste sie noch kontrollieren, und falls sie dort nichts gefangen hatte, würde es heute schon wieder nur eine dünne Suppe aus den übrig gebliebenen Knollen geben. Ein winziger Kanten Brot war noch übrig. Damit konnte Ella ihren Geschwistern eine Freude machen, und das tat sie gerne. Lieber verzichtete sie selbst auf das Nötigste, als den wilden Hunger in den Augen ihrer jüngeren Geschwister mit ansehen zu müssen.

Plötzlich hörte sie ein Geräusch. Links von ihr bewegte sich etwas durch den hohen Schnee. Ein leises Schleifen und das Knacken eines abgebrochenen Zweiges ließen Ella aufhorchen. Ganz automatisch fasste sie ihren Bogen fester und legte den Pfeil in die Sehne. Dabei bemühte sie sich, nur ja keinen Laut von sich zu geben. Das Wild war scheu, und wenn sie sich durch irgendetwas verriet, war die potenzielle Beute schneller verschwunden, als sie den Pfeil abschießen konnte. Ella hielt sogar die Luft an, so sehr hoffte sie darauf, dass gleich ein Feyantier durch das Gebüsch auf die kleine Lichtung trat. Ihr Herz trommelte vor Aufregung und zum ersten Mal seit langer Zeit betete sie zu Göttern, von deren Existenz sie keinesfalls überzeugt war.

»STOPP!« Eine gebieterische Stimme donnerte mit Gewalt durch das Gebüsch. Vor lauter Schreck löste sich der eingelegte Pfeil und sauste los. Zitternd blieb er im Stamm eines Baumes stecken – gleich neben einem hochgewachsenen Mann, der jetzt langsam aus seinem Versteck trat und dabei einen leisen Pfiff ausstieß. Ohne große Mühe zog er den Pfeil aus der Rinde und schaute dabei in ihre Richtung. Viel konnte Ella auf die Entfernung nicht erkennen, da der Fremde einen weiten Umhang trug, dessen Kapuze tief ins Gesicht gezogen war. Dass sie es mit jemandem zu tun hatte, der nicht zu ihrer kleinen Gemeinde gehörte, war ihr jedoch auf den ersten Blick klar – kein Mann in Mooresdahl war so groß, geschweige denn so breitschultrig. Dieser hier wirkte wie ein Krieger. Wie jemand, der in zahlreichen Schlachten gekämpft hatte. In diesem Moment begann Ellas Herz noch schneller zu rasen. Sie war mutterseelenallein im Wald. Und sie erinnerte sich an die Ermahnungen der Dorfältesten, als Frau nicht allein auf die Jagd zu gehen. Man wusste schließlich nicht, wer oder auch was einem begegnen würde. Ella hatte die Dorfvorsteher immer belächelt, denn nie zuvor war ihr auf der Jagd eine Menschenseele über den Weg gelaufen – bis zum heutigen Tag. Vorsichtig tastete sie nach ihrem Köcher und den Pfeilen, die sie wie ihre Augäpfel hütete.

»Ich werde dir nichts tun. Du kannst deine Waffe sinken lassen!« Die Stimme klang voll, aber auch sehr kalt und Ella dachte gar nicht daran, ihre einzige Verteidigung aufzugeben. Ihr war klar, dass sie der rohen Kraft des unbekannten Mannes nichts entgegenzusetzen hatte, außer einem gut platzierten Pfeil, der ihn im Ernstfall sehr schnell töten würde.

»Sagt wer? Wer bist du und was willst du in diesem Teil des Feuerwaldes? Er gehört noch immer zu Mooresdahl.«

Der unbekannte Hüne machte einen Schritt nach vorne und ganz kurz nur hatte Ella den Eindruck, ihr würden glühende Kohlen aus den Tiefen der Kapuze entgegenleuchten. Ein bernsteinfarbenes Glimmen an der Stelle, wo eigentlich die Augen saßen. Sie blinzelte heftig und versuchte die Schneeflocken abzuschütteln, die sich auf ihren langen schwarzen Wimpern niedergelassen hatten. Garantiert war sie einer Täuschung aufgesessen. Kein Mensch besaß glühende Augen! Doch sie hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn der Fremde kam immer näher. Und er schien weder Angst vor ihr noch vor ihrem Bogen zu haben. Außerdem hatte er einen seltsamen Gang. Es sah für Ella fast so aus, als würde er ein bisschen schweben – den Boden gar nicht wirklich berühren. Dann erst sah sie, was er hinter sich herzog – und die blutige Spur, die er dabei im Schnee hinterließ. Der Fremde hatte tatsächlich ein Feyantier erlegt. Eine junge Ricke, die der Hunger wahrscheinlich aus dem Bau getrieben hatte und die bei der Nahrungssuche unvorsichtig gewesen war. Es war ein hübsches Tier, sein weißer Pelz hob sich kaum vom Schnee ab. Zu Lebzeiten hätte es Ella bis zur Taille gereicht. Die großen braunen Augen, mit denen die Tiere auch im Dunkeln hervorragend sahen, waren geschlossen, und es sah fast so aus, als würde es einfach nur schlafen.

Ella spürte, wie ihr Magen zu knurren begann, wie heftig der Hunger in ihren Eingeweiden wühlte, und sie schämte sich dafür. Sie bildete sich ein, dass der Unbekannte hören konnte, wie sehr ihr Körper nach etwas Essbarem lechzte. Seit Tagen hatte sie sich nur noch von harten Wurzeln ernährt und alles andere für ihre Geschwister aufgespart. In diesem Moment neidete sie dem Mann sein Jagdglück und dafür schämte sie sich gleich noch mehr. Wahrscheinlich litt er ebenso großen Hunger wie sie und war froh, dass er ein Feyantier erlegen konnte.

»Bleib bitte stehen! Das ist nah genug für meinen Geschmack.« Ella hob den Bogen ein Stück weit an. Das erlegte Wild hatte sie für einen Augenblick vergessen lassen, dass ihr ein fremder Mann gegenüberstand.

»Sei nicht albern, Mädchen, ich will dir nichts tun. Im Gegenteil: Du siehst aus, als könntest du etwas Essbares gebrauchen, und ich bin bereit, mit dir zu teilen.«

Ella schluckte mühsam. Konnte sie dem Mann tatsächlich vertrauen? Alles an ihm wirkte so anders, so fremd und geheimnisvoll, dass es Ella in den Beinen juckte, ganz schnell das Weite zu suchen. Andererseits tat sich hier eine Möglichkeit auf, Nahrung für ihre beiden Brüder zu beschaffen. Zum ersten Mal seit Wochen würden sie nicht hungrig ins Bett gehen müssen und im Geiste stellte sie sich bereits die satten und zufriedenen Gesichter vor. Musste sie nicht alles dafür geben, dass die beiden Kleinen das bekamen, was sie brauchten?

In diesem Moment landete das Tier vor ihren Füßen. Ella hatte zu lange gewartet und jetzt stand der Hüne direkt vor ihr. Er war noch größer, als sie zunächst gedacht hatte, und Ella musste ihren Kopf anheben, um in die Dunkelheit seiner Kapuze zu starren – dorthin, wo sie seine Augen vermutete. Sie bekam eine Gänsehaut, als der Mann einen seltsam aussehenden Dolch unter seinem Umhang hervorholte. Ein Messer mit einer wellenförmigen Klinge und einem opulenten, blutrot schimmernden Stein im Griff. Die fremdartigen Symbole und Bilder, die die Klinge zierten, konnte Ella nicht genau erkennen, doch sie war sich sicher, noch nie eine handwerklich so feine Arbeit gesehen zu haben.

Mit geschickten Bewegungen teilte der Mann das Wildbret und richtete sich schließlich wieder auf – seinen Anteil des Feyantieres sicher in einem Sack auf dem Rücken verstaut. Ella staunte nicht schlecht, als sie erkannte, dass er ihr den weitaus größeren Teil der Beute überlassen hatte.

»Aber … aber das ist zu viel!«, stotterte sie überrascht. »So viel brauche ich gar nicht.«

»Nimm es und geh nach Hause«, kam prompt die kalte Antwort. Ella beobachtete, wie er einen Blick in den immer dunkler werdenden Himmel warf, nur um sich dann erneut in ihre Richtung zu wenden. »Der Sturm wird noch stärker werden und nach Einbruch der Dunkelheit ist es draußen nicht mehr sicher. Du solltest dich auf dem schnellsten Weg zu deiner Familie begeben. Verriegele die Fenster und die Türen und bleib drinnen! Nachts geschehen seltsame Dinge hier draußen und ich möchte nicht, dass dir etwas passiert.« Wieder hatte Ella das komische Gefühl, als wären es glühende Kohlen, die sie betrachteten.

Doch statt weiter darüber nachzudenken, was das bedeuten konnte, ließ sie ihren Rucksack von den Schultern gleiten, nahm eine Ölhaut heraus und schlug ihren Anteil der Beute darin ein. Dann befestigte sie feste Stricke an dem schweren Fleischstück und hob es mitsamt dem Rucksack wieder auf ihren Rücken.

»Wer bist du eigent…« Ella erstarrte. Die Lichtung war leer. Der Unbekannte war nirgendwo mehr zu entdecken – auch nicht der Teil des Feyantieres, den er für sich beansprucht hatte. Nur der Blutfleck im Schnee erinnerte noch an ihn und an die seltsame Begegnung.

Ein Blick in den Himmel sagte ihr allerdings, dass sie auf seine Worte hören sollte. Die Dämmerung war bereits hereingebrochen und es würde nicht mehr lange dauern, bis die Dunkelheit der Nacht die Macht übernahm. Dann konnten nicht einmal die flammenden Baumkronen des Feuerwaldes sie vor dem Erfrieren bewahren.

Ella sputete sich, dachte aber die ganze Zeit an den seltsamen Fremden. Er hatte etwas in ihr berührt. So merkwürdig es klingen mochte, sie bedauerte, dass sie nicht mehr über ihn herausfinden konnte und dass sie sich wahrscheinlich niemals wiedersehen würden. Er und seine selbstlose Tat gingen ihr einfach nicht mehr aus dem Sinn. Während sie in der Nacht satt und zufrieden in ihrem Bett lag, hörte sie noch immer seine kühle Stimme, die ihr riet, bei Dunkelheit nicht nach draußen zu gehen. Und dabei lauschte Ella dem lauten Knacken und Brechen des Eises und dem fürchterlichen Wind, der um ihre kleine Kate heulte, als wolle er diese zum Einsturz bringen.

***

Die junge Frau wollte Razuls Gedanken einfach nicht mehr freigeben. Seit ihrer Begegnung war sie nicht mehr aus seinem Kopf verschwunden. Nicht die langen schwarzen Haare und auch nicht ihr zartes Gesicht mit den hellblauen Augen.

Er hatte das Mädchen bereits bemerkt, als es den Schutz der flammenden Bäume erreichte. Ihr Geruch war ihm in die Nase gedrungen wie die Spitze eines Pfeils. Ihr unerträglicher Hunger hatte seine Sinne gepeitscht und ihre Unerschrockenheit, sich alleine in den gefährlichen Wald zu wagen, hatte jede Faser seines Körpers zum Erzittern gebracht. Als sie schließlich vor ihm stand, waren es ihre großen Augen gewesen, die ihn zunächst misstrauisch, dann hoffnungsvoll angesehen hatten und die etwas in ihm weckten. Ein Gefühl von Wärme, das er gar nicht spüren sollte – sich eigentlich schon lange damit abgefunden hatte, es niemals wieder zu fühlen.

Sie gehörte dem Volk an, das er vor langer Zeit zu schützen geschworen hatte. Doch er ließ es schmählich im Stich, um in einem Krieg zu kämpfen, den seine Rasse nicht gewinnen konnte. Das wusste er inzwischen. Er selbst hatte es nur mit Müh und Not geschafft, den Klauen der dunklen Bruderschaft zu entkommen – aber um welchen Preis?

Vor einigen Tagen hatten die finsteren Mächte Drache gegen Drache kämpfen lassen. Razul war gegen seine eigenen Brüder in die Schlacht gezogen, hatte sie gnadenlos in die Fallen der Bestien gelockt. In Gestalt des Drachen war er seinen bösen Herren machtlos ausgeliefert. Sie steuerten ihn und bestimmten darüber, gegen wen er kämpfte. Jeglicher Versuch, gegen die Ketten ihrer Magie anzukämpfen, scheiterte bereits gleich zu Beginn. Gegenwehr war zwecklos, denn die schmerzte so unerträglich, als würde er in kleine Stücke gerissen.

Zu Beginn seiner Knechtschaft hatte er es trotz der sengenden Pein immer und immer wieder versucht. Er hatte dabei zugesehen, wie zuerst Chandra resignierte, dann Orphan und schließlich er selbst. Irgendwann war er es müde geworden zu kämpfen. Zu zerstört, um den Willen seiner Gegner infrage zu stellen. Monat um Monat kämpfte er nun in einem Krieg, der nicht seiner war, und sah dabei zu, wie all seine Freunde zugrunde gingen. Entweder unterwarfen sie sich dem kalten und tödlichen Zauber der Finsteren oder sie starben. Es gab kaum noch genügend Drachen, um die Brücke von Quai’Aaruzah zu schützen, und es war auch nur noch eine Frage der Zeit, bis die schwarzen Seelen in die Sommerlande eindringen würden.

Razul blieb stehen und wuchtete seinen Anteil der Jagdbeute von den Schultern. Er hatte nicht gelogen. Die Nacht war nicht mehr fern und mit der Dunkelheit kam auch die Verwandlung, gegen die er nichts ausrichten konnte. Nichts konnte sie aufhalten, weil sie ein Teil seiner Natur war. Es gab nur eine einzige Sache, die dem hätte Einhalt gebieten können, doch die lag weit außerhalb seiner Möglichkeiten. Nur eine Frau konnte die Bestie in ihm zähmen, doch die Fähigkeit zu lieben hatte man ihm mitsamt seiner Ehre und seinen Freunden genommen. Razul schüttelte den Kopf. Allein die Tatsache, dass er an so etwas überhaupt dachte, zeigte ihm, wie weit es bereits mit ihm gekommen war.

Vor zwei Wochen war ihm die Flucht aus den finsteren Kerkern der Bruderschaft gelungen. Ein einziger Fehler seiner Wächter hatte dazu geführt, dass er in Menschengestalt türmen konnte. Solange er Mann war, hatten die Dunklen keine Macht über sein Herz. Deshalb unterlag es ihrer strengen Aufsicht, dass kein Drache sich zurückverwandelte. Doch der Zauber, der ihn gefangen hielt, war an einem Morgen ganz besonders schwach gewesen. Den Grund dafür würde Razul wohl niemals herausfinden, doch es spielte auch keine Rolle. Das Einzige, was er wirklich schlimm fand, war die Tatsache, dass er seinen gefangenen Freunden nicht helfen konnte. Solange sie in ihrer Drachengestalt gefangen waren, würde er nicht auf hundert Meter an sie herankommen.

Zunächst hatte Razul noch geglaubt, die Macht der dunkeln Brüderschaft würde an der Brücke von Quai’Aaruzah enden, hatte aber sehr schnell feststellen müssen, dass er einem Irrglauben aufgesessen war. Der Arm ihrer Magie reichte selbst bis in seine Heimat und jede Nacht musste er gegen den Drang ankämpfen, in die Gefangenschaft zurückzukehren. Jedes Mal, wenn seine Natur ihn dazu zwang, den Drachen loszulassen, beherrschte ihn nur ein einziger Gedanke: Du musst töten. Du musst vernichten. Du musst der Welt Unheil bringen …

Razul hob den Blick. Dicke weiße Flocken tanzten in der Luft, als seine Augen das Schloss seiner Ahnen suchten. Trotz des diffusen Lichtes konnte er die hohen, schlanken Zinnen und die trutzigen Mauern ohne Probleme erkennen. Der dicke Eispanzer, der das Schloss umgab, leuchtete ebenso blau wie die Augen des jungen Mädchens. Er sah sie so lebhaft vor sich, dass er fast glauben konnte, sie wäre hier bei ihm, und tatsächlich kam mit ihrem Bild auch wieder jenes sonderbare Gefühl von Wärme zurück.

Unwillig schüttelte Razul seinen Kopf. Wahrscheinlich würde er ihr den Tod bringen, wenn er nicht von ihr ließ. In wenigen Minuten übernahm das Biest die Kontrolle und es löschte für die Dauer der dunklen Stunden den Mann vollständig aus – dafür hatte die dunkle Bruderschaft gesorgt. Er sollte das Mädchen so kurz vor der Verwandlung aus seinem Gedächtnis tilgen, denn sonst würde der Drache nichts unversucht lassen, um sie für sich zu beanspruchen. Als Opfer für das Eis in seinem Inneren.

Er spürte bereits das Brennen in seinen Adern, und als er den Kopf in den Nacken legte, um den Wolken seine Wut entgegenzuschleudern, da war sein Schrei bereits mehr der eines wilden Tieres als der eines Menschen. Der fürchterliche Laut fing sich in den hohen Türmen seines Palastes und das Eis begann gefährlich zu knirschen.

Razul krümmte sich und versuchte alles, um den Drachen nicht ans Licht zu lassen, doch wusste er auch, dass er dieses Wunder nicht vollbringen konnte. Sein Kopf verformte sich, ebenso seine Arme, die zu mächtigen Schwingen aus weißem Leder wurden. Aus seinem Rücken schossen Stacheln, die so spitz waren, dass sie selbst Fleisch und Knochen mühelos zerteilten, und die ganze Zeit über spürte Razul die sengende Pein, nicht zu wissen, wie viele Leben er in der kommenden Nacht auslöschen würde. Das Feyantier würde den Hunger des Drachen auf keinen Fall stillen. Die langen Klauen aus blauem Stahl, die alles zerfetzen konnten, was in ihre Nähe kam, gierten nach Blut, und genau das würden sie auch bekommen. Sein letzter klarer Gedanke, bevor Hass sein gesamtes Sein erfüllte, galt den glitzernden blauen Augen, die ihn selbst in seiner dunkelsten Stunde nicht mehr losließen. Das Mädchen war verloren …

Kapitel 2

Wende dich nicht ab vom Licht, Kind der Sterne. Verlasse niemals den Pfad deiner Bestimmung, denn das reißt dich hinfort in die Abgründe der Finsternis. Nur das Licht in deinem Inneren ist der Quell deiner Stärke. Nur dein Herz verhindert, dass du zu einer Bestie wirst.

(Aus den Chroniken der Drachen)

Ella hatte eine Woche lang die kleine Hütte nicht verlassen müssen und darüber war sie froh. Der Sturm war einen Tag nach ihrer Begegnung mit dem unbekannten Mann noch heftiger geworden und es war unmöglich gewesen, nach draußen zu gelangen. Jeder, der es versucht hätte, wäre in der Kälte umgekommen.

An diesem Morgen war zum ersten Mal die Wolkendecke aufgerissen und hatte kitzelnde Sonnenstrahlen durch die zugefrorenen Scheiben geschickt. Ein Umstand, den Ella gleich für sich nutzen wollte. Mit ein bisschen Glück konnte sie die begehrten Eisbeeren finden, denn der Wind hatte kräftig in den Niederungen geblasen und somit die wenigen Felder vom hohen Schnee befreit – zumindest so weit, dass sie die süßen Früchte ernten konnte. Sie musste sich allerdings beeilen, wenn sie eine halbwegs vernünftige Menge nach Hause bringen wollte, denn heute würde jeder Bewohner ihres kleinen Ortes auf den Beinen sein, um für sich und die Seinen etwas Essbares zu finden.

Ella streifte sich gerade ihre lederne Hose über die dicken Wollstrümpfe, als sich ein früher Besucher ankündigte. Das Poltern vor der Tür war ziemlich eindeutig und Ella gab einen unwilligen Laut von sich. Für einen gepflegten Plausch unter Nachbarn war sie gerade nicht aufgelegt. Erst recht nicht, wenn sie in die erwartungsvollen Gesichter der Menschen blickte, die sich auf sie verließen. Doch bevor sie eingreifen konnte, hatte Barka die Tür bereits geöffnet und ausgerechnet Jander war es, der sich an der alten Frau vorbeizwängte und wie immer jede Spur von Höflichkeit vermissen ließ.

»Hast du es schon mitbekommen?«, schnaubte er halb erschrocken, halb ängstlich.

»Was sollte ich deiner Meinung nach mitbekommen haben?« Ella schenkte dem ungebetenen Besucher kaum Beachtung. Sie zog ihre pelzbesetzte Lederjacke über und schnallte ihre Ausrüstung fest.

Jander war der Sohn ihres Nachbarn und ein Dorn in ihrem Auge – hatte er doch vor Monaten beschlossen, dass Ella seiner Aufmerksamkeit wert war. Seitdem bestürmte er sie mit Anträgen, endlich seine Frau zu werden, doch darüber wollte Ella nicht eine Minute nachdenken. Auch dann nicht, wenn Barka ihr ständig damit in den Ohren lag, dass sie endlich einen Mann an ihrer Seite brauchte, der ihr die schweren Dinge des Lebens abnehmen konnte. Mit Jander hätte sie bestenfalls für eine weitere Person die Verantwortung tragen müssen, denn der war ein verweichlichtes Muttersöhnchen.

»Vorletzte Nacht hat es in Mooresdahl zwei Tote gegeben. Yevell und Orsoy sind nicht von ihrem Jagdausflug heimgekehrt. Heute Morgen hat man ihre steif gefrorenen Leiber am Stadtrand entdeckt. Sie standen dort, als hätten sie in der einen Sekunde noch gelebt und wären in der nächsten bereits eingefroren gewesen. Ihre Gesichter sind Masken des Grauens.«

»Dann waren sie dumm, denn wir wissen doch alle, dass der Aufenthalt im Freien bei Nacht tödlich ist.« Natürlich taten Ella die beiden jüngeren Männer leid, aber noch mehr bedauerte sie die Familien, die jetzt keine Jäger mehr hatten, um sie mit frischem Fleisch zu versorgen.

»Du bist hartherzig!« Janders Stimme bekam einen weinerlichen Tonfall. »Und ich weiß eigentlich gar nicht, warum ich dich immer noch zur Frau haben möchte.«

»Dafür weiß ich es umso besser!«, gab Ella spöttisch zur Antwort. »Du möchtest jemanden haben, der dich versorgt, wenn deine Eltern irgendwann einmal nicht mehr da sind.« Im Geiste schickte sie noch hinterher, dass sie sehr gut auf dieses zweifelhafte Vergnügen verzichten konnte.

Sie hörte genau, dass Barka scharf Luft holte, und warf der Alten daraufhin einen bitterbösen Blick zu. Wenn es nach dieser gegangen wäre, hätte sie Janders Antrag bereits vor zwei Jahren angenommen. Dann wäre sie jetzt wahrscheinlich Mutter zweier Kinder und wüsste nicht, wie sie die Arbeit bewerkstelligen sollte, die dieser Mann ihr aufbürden würde. Nein! Allein war sie bei Weitem besser dran.

»Ich muss jetzt gehen, Jander. Vielleicht hast du ja Lust, mich zu begleiten? Ich will raus zu den Feldern, um dort nach dem Rechten zu sehen.« Ella wusste ganz genau, dass der schlaksige Kerl unter gar keinen Umständen mitkommen würde. Kälte und Eis waren so gar nichts für ihn und der Gedanke an die gefährliche Wildnis vor den Toren von Mooresdahl schüchterte ihn ein – ganz so, wie es in ihrem Sinne war.

Sie stapfte energisch an Jander vorbei und öffnete die Tür. Frische Luft schlug ihr entgegen und Ella hob ihr unbedecktes Gesicht in die Sonne. Ganz entgegen dem, was sie gerne gehabt hätte, drängte Jander sich dicht an ihre Seite. Er ließ einfach nicht locker.

»Ich muss dir noch etwas sagen – fast hätte ich es vergessen!«

»Dann sag, was du zu sagen hast. Ich verliere hier wertvolle Zeit, und wie dir sicherlich bekannt sein dürfte, habe ich wichtigere Dinge zu tun, als hier rumzustehen und mit dir zu schwatzen.« Langsam riss Ella der Geduldsfaden.

»Corvin Jaarengston hat uns zu einer außerordentlichen Versammlung einberufen. Wir treffen uns zum dritten Teil des Tages und er hat außerdem gesagt, dass es für ein Fernbleiben keine Entschuldigung geben würde. Jeder Haushaltsvorstand muss anwesend sein.«

Das passte Ella überhaupt nicht, denn eigentlich wollte sie den ganzen Tag auf den Feldern zubringen. Trotzdem schenkte sie Jander ein Nicken zum Zeichen dafür, dass sie ihn verstanden hatte. Dann hob sie ihren großen Rucksack auf und türmte regelrecht aus seiner nicht unbedingt angenehmen Nähe.

Ella wollte sich den schönen Tag nicht von Jander oder dem Gedanken an die nachmittägliche Sitzung des Gemeinderats verderben lassen und sog jeden einzelnen Sonnenstrahl förmlich ein. Dort, wo Licht auf Eis und Schnee traf, glitzerte dieser wie funkelnde Edelsteine, und als Ella genauer hinsah, erkannte sie, dass es leicht taute. Die Eiszapfen an Bäumen und Büschen begannen zu tropfen, doch das würde nicht von Dauer sein. Spätestens in der nächsten Nacht würde der Frost sich den verlorenen Boden wieder zurückholen.

Ella ging immer schneller, die Sonne befeuerte förmlich ihre Energie. Gerade als sie die ersten Ausläufer der Felder erreichte, erklang das Horn, das die Einwohner ihrer kleinen Gemeinde vor Gefahren warnte. Irritiert blieb Ella stehen und sah sich um. Es war kein einziges Wölkchen am Himmel zu sehen und auch kein Schwarm der gefürchteten Selkisvögel – zumal diese Tiere auch eher eine Gefahr für die Tarikwurzeln ihrer Bäume waren, einem Menschen taten diese Wesen eigentlich nur selten etwas zuleide. Ella versuchte sich zu erinnern, wann sie das Warnsignal zum letzten Mal gehört hatte und mit welchem Ereignis sie es in Verbindung bringen musste. Doch außer einem schlimmen Schneesturm konnte sie sich an keinen weiteren Einsatz des Horns erinnern. Vielleicht hatte es etwas mit den beiden Toten zu tun, die man am Morgen entdeckt hatte?

Sehnsuchtsvoll blickte Ella in Richtung der fast vollständig freigewehten Felder. Die blauen Früchte leuchteten im Sonnenlicht. Doch eine Warnung einfach zu ignorieren war gefährlich. Ella war hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, die kostbaren Beeren zu pflücken, und dem Gedanken an das Unglück, das ihre kleine Familie heimsuchte, wenn ihr etwas zustoßen sollte. Noch während sie dastand und überlegte, was sie tun sollte, bemerkte sie, dass sich am Ende des Ackers zwischen den niedrigen, teilweise von Eiskristallen bedeckten Sträuchern etwas bewegte. Es sah so aus, als würde sich der Schnee dort hinten kräuseln und sich in Wellen auftürmen wie in einer Wanne mit Wasser, in die man einen Stein warf.

Ella kniff die Augen zusammen und trat einen Schritt auf den Acker – dann noch einen und noch einen. Je näher sie kam, desto deutlicher erkannte sie die wirbelnden Bewegungen, die sich auf eine einzige Stelle zu konzentrieren schienen. Ein paar Meter weiter wurde ihr schließlich klar, was an dieser Stelle vor sich ging. Sie keuchte, das Blut stockte ihr in den Adern.

Nur ein paar Dutzend Schritte von ihr entfernt wimmelten Tausende Breassels über den froststarren Boden. Winzige, handtellergroße Tiere mit acht langen Beinen, die beim Laufen klickernde Geräusche machten. Ihr weißer Pelz ließ sie im Schnee beinahe unsichtbar werden und normalerweise stellten sie keine Bedrohung dar – auch wenn sie Fleischfresser waren. Die Tiere waren viel zu klein, um einen Menschen ernsthaft zu verletzen. Wenn sie, wie üblich, vereinzelt auftraten. Ella konnte sich nur an ganz wenige Berichte erinnern, in denen die Rede von einem Angriff auf einen Menschen war – meist hatte es Kinder getroffen, die allzu neugierig versuchten, mit den putzig aussehenden Tierchen zu spielen, und dabei gebissen wurden. Das Aufkommen auf diesem Feld erreichte allerdings eine ganz andere und vollkommen neue Dimension. Ella befürchtete plötzlich, dass ihre Missachtung des Horns keine allzu gute Idee war. Noch machte die riesige Horde von kleinen scharfzahnigen Biestern keine Anstalten, auf sie loszugehen, doch das konnte nur noch eine Frage von wenigen Sekunden sein.

Vorsichtig wollte Ella sich umdrehen, um schnellstmöglich den Rückzug anzutreten, da streiften ihre Augen auf einmal ein schwarzes Stück Stoff. Er wirkte kostbar und edel und war auf dem Feld ebenso fehl am Platze wie die Breassels, die eigentlich in den Flammenwald gehörten. Ella erinnerte sich unwillkürlich an die Begegnung mit dem Fremden und an den Umhang, den dieser getragen hatte. Er bestand aus einem ebenso schweren, kostbaren Material wie der Fetzen, der halb begraben unter Tierleibern im Schnee lag. Das Herz schlug Ella bis zum Hals. Anscheinend hatte der seltsame Krieger die Gegend noch nicht wieder verlassen und das Wetter verführte auch ihn dazu, auf Nahrungssuche zu gehen.

Wieder war Ella hin- und hergerissen zwischen dem Drang, nachzuschauen, ob der Mann Hilfe brauchte, und ihrer Verpflichtung ihren Brüdern gegenüber. Gleichzeitig verfluchte sie den Umstand, dass ihre Schleuder auf dem kleinen Tisch in der Hütte lag. Erek hatte erst am Tag zuvor unerlaubterweise mit der Waffe gespielt und dabei die Schlaufe kaputt gemacht. Dass er selber darüber am traurigsten war, half Ella gerade nur sehr wenig und sie überlegte fieberhaft, was sie unternehmen konnte, um die Breassels zu vertreiben. Auch wenn es eine dumme Idee war, sie konnte den Fremden nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Erst recht nicht, nachdem er ihr vor ein paar Tagen noch geholfen hatte.

Feuer! Jedes Tier in den Auen von Maphradun fürchtete Feuer und die kleinen Bestien waren da keine Ausnahme. Einige Breassels hatten sich inzwischen von dem großen Männerkörper gelöst und eilten über das Eis auf sie zu.

Blitzschnell warf Ella ihren Rucksack in den Schnee und zog die Zunderbüchse und eine Fackel hervor. Sie brauchte nur zwei Anläufe, um diese zu entzünden, und gleich darauf eine zweite, die sie ebenfalls aus ihrem Rucksack fischte. Ella schwenkte die beiden hell lodernden Holzstücke in jede Richtung und stellte sogleich fest, dass die Tiere nicht näher an sie heranrückten. Stattdessen konzentrierten sie sich wieder auf das am Boden liegende Bündel und jetzt konnte Ella hören, wie dieses ein erbärmliches Stöhnen von sich gab. Sie hatte also vollkommen richtiggelegen mit ihrer Vermutung – da vorne lag ein Mensch. Ob es allerdings der Fremde war, der mit ihr seine Beute geteilt hatte, konnte sie noch nicht endgültig sagen.

Ermutigt von ihrem Erfolg, sich die pelzbesetzte Plage vom Leib zu halten, näherte sie sich langsam dem sich windenden Körper. Sie schwang die beiden Fackeln hin und her und die Tiere wichen weiter zurück. Das Klickern der gepanzerten Beine bekam dabei einen bösartigen Klang, der Ella ziemlich zusetzte, doch sie ließ sich nicht von ihrem Weg abbringen. Dort drüben am Boden würde jemand sterben, wenn sie jetzt aufgab. Wahrscheinlich hatten die Breassels ihn bereits mit ihrem Gift vollgepumpt und es war höchst fraglich, ob er diese große Menge überhaupt überleben konnte.

Immer mehr Tiere ließen von ihrem Opfer ab, zogen sich zischelnd zurück, und tatsächlich – jetzt erkannte Ella, dass es der Mann aus dem Feuerwald war. Sie hörte ihn ächzen, gleichzeitig aber auch knurren wie ein wildes Tier und dann sprang er plötzlich auf – einfach so. Vor lauter Schreck zuckte Ella zurück und hätte beinahe die Fackeln fallen lassen.

Anscheinend hatte die schiere Übermacht der Tiere ihn zu Boden gerungen und jetzt, nachdem Ella mehr als die Hälfte von ihnen in die Flucht geschlagen hatte, konnte er sich wieder selbst helfen – was Ella mehr als erstaunlich fand. Allerdings verflog der Gedanke, sobald sie zum ersten Mal sein Gesicht genauer betrachten konnte.

Am auffallendsten war sein langes schlohweißes Haar, das im Sonnenlicht genauso prachtvoll glitzerte wie der Schnee. Es sah so seidig aus, als wäre es an einem edlen Spinnrad gesponnen worden. Seine Haut war sonnengebräunt und er hatte tatsächlich bernsteinfarbene Iriden, die im Licht wie glühende Kohlen wirkten. Von seinen Augen bis hinauf zu den Schläfen glaubte Ella ein merkwürdiges Muster zu erkennen – fast so, als ob er sich Schuppen auf die Haut hätte malen lassen. Sein stechender Blick fing sie ein und in diesem Moment wusste Ella plötzlich, dass das hier keinesfalls ein Mensch aus den Auen sein konnte. Vielleicht aus den Donnerbergen oder den noch weiter entfernt liegenden Steppen und Savannen, von denen Barka so gerne erzählte.

Ein ganz klein wenig befürchtete sie, dass er überhaupt kein Mensch, sondern etwas ganz anderes war – etwas, das sie nicht wirklich begreifen konnte. Auf alle Fälle hatte der Fremde etwas an sich, das ihr Angst einjagte, und da es ihm augenscheinlich gut ging, wollte Ella so schnell wie möglich seiner Nähe entfliehen. Ella spürte nahezu die Gefahr, die ihn zu umgeben schien. Sie hatte noch nicht ganz beide Fackeln mit einer Hand gepackt, als …

»Willst du schon wieder vor mir weglaufen?« Die kalte Stimme traf Ella bis ins Mark. »Vielleicht solltest du deinen Instinkten trauen – vielleicht führen sie dich aber auch in die Irre.« Seine Worte klirrten vor Frost und Kälte, waren aber trotzdem so einnehmend, dass Ella wie festgenagelt auf dem Acker stehen blieb und dabei zusah, wie der Mann sich ihr Schritt für Schritt näherte. Schon beim ersten Mal hatte sie den Eindruck gehabt, dass er den Boden unter seinen Füßen nicht wirklich berührte, und auch jetzt kam es ihr wieder so vor. Trotz seiner Größe und seines Gewichts hatten seine Bewegungen etwas Leichtes, fast schon Tänzerisches. Ella schaffte es einfach nicht, ihren Blick von ihm zu lösen. Bevor ihr bewusst wurde, wie schnell der Fremde war, stand dieser auch schon vor ihr und blickte auf sie herab. Diesmal allerdings ohne die weite Kapuze, die sein Gesicht bei ihrem letzten Zusammentreffen verhüllt hatte.

Aus der Nähe betrachtet, sah Ella, dass sich rund um seine Augen keine Zeichnungen befanden, wie sie zunächst angenommen hatte. Stattdessen wirkte es fast auf sie, als ob … als ob …

Nein! Kein Mensch hatte eine schuppige Haut. Kein Mensch hatte … aber Drachen hatten …

Jetzt bekam Ella es ernsthaft mit der Angst zu tun und ihr Herz flog mit dem aufkommenden Wind davon. Das konnte, nein, das durfte nicht sein. Es gab keine Drachen! Nicht hier, nicht jetzt – nicht in ihrem auf Mooresdahl beschränkten harten Leben.

Wieder heulte in der Ferne das Signalhorn. Dieses Mal, um zu melden, dass die Gefahr vorbeigezogen war, doch das bekam Ella nur am Rande mit. Sie starrte das Wesen wie hypnotisiert an und wagte es nicht, sich zu bewegen.

»Du musst noch immer keine Angst vor mir haben – nicht am helllichten Tag.« Sein Ton war ein paar Grad wärmer geworden, doch das machte für Ella keinen Unterschied. Gerade versuchte sie nämlich, sich an all die Geschichten zu erinnern, die Barka ihren Brüdern erzählt und die sie immer belächelt hatte. Sie hätte in diesem Moment einiges darum gegeben, ein Mehr an Wissen zu haben, doch dagegen hatte sie sich immer gesperrt.

»Ihr seid … ihr seid ein …« Ella wagte nicht, es auszusprechen, denn das hätte aus der Vermutung eine Wahrheit werden lassen, die sie noch nicht bereit war zu akzeptieren.

»In erster Linie bin ich ein Mann, der helfen will.« Mit keinem Wort ging er auf ihre unvollendete Frage ein. Stattdessen öffnete er einen Sack, den Ella erst jetzt bemerkte. Aus diesem holte er einen kleineren hervor und drückte den schweren Beutel in ihre freie Hand. Das Gewicht war so enorm, dass Ella leise ächzte.

»Und jetzt möchte ich, dass du gehst. Hier draußen ist es zu gefährlich für dich! Die seltsamen Geschöpfe könnten wiederkommen und dein Körper kann das Gift nicht so schnell abbauen, wie meiner es tut.« Auch wenn er es nicht aussprach, so hatte er in diesem Augenblick zugegeben, was Ella bereits vermutete – er vertrug das Gift der Breassels tatsächlich, und das gelang bei der Menge mit Sicherheit niemandem, der menschlich war.

Trotzdem ärgerte es sie, dass das fremdartige Wesen so herablassend mit ihr umging. Vergessen war der Moment der Furcht. Immerhin war sie es gewesen, die ihr Leben riskiert hatte, um ihn zu retten. Scharf sog sie die kalte Luft in ihre Lungen, um ihm die passende Antwort an den Kopf zu werfen, musste jedoch husten. Das beißende Gefühl in ihrem Hals wollte kein Ende nehmen und so krümmte sie sich leicht und versuchte flacher zu atmen.

Als sie wieder aufsah, war der unheimliche Mann genau wie bei ihrem ersten Zusammentreffen einfach verschwunden, und obwohl Ella sogleich ihren Blick auf Wanderschaft schickte, konnte sie ihn nirgends mehr entdecken. Neugierig öffnete sie den Sack, den er ihr in die Hand gedrückt hatte, und staunte nicht schlecht. Eisbeeren! So viele, dass sie für eine weitere Woche genügend Nahrung für sich und für ihre kleine Familie hatte. Und es waren ganz frische Beeren. Nicht diese bräunlichen und schon gärenden Dinger, die man gewöhnlich auf den Äckern finden konnte. Anscheinend hatte der Fremde eine Quelle aufgetan, die ihr selbst nicht bekannt war, aber sie schwor sich, danach zu suchen.

Zwei Stunden später – natürlich mal wieder als Letzte – betrat Ella das große Versammlungshaus im Zentrum von Mooresdahl. Eine wunderbare Wärme, aber auch zahlreiche aufgeregte Stimmen erwarteten sie im Inneren. Da alle Sitzplätze belegt schienen, sah sie sich suchend um. Nach kurzer Zeit entdeckte sie zwischen den hohen hölzernen Säulen, die das Dach des Gebäudes trugen, eine Gruppe älterer Jäger und schloss sich diesen an. Freundlich begrüßten sie Ella in ihrer Mitte, während Corvin Jaarengston seinen Platz hinter dem großen Tisch einnahm.

Ella konnte nicht begreifen, warum man ausgerechnet diesen Mann zu ihrem Anführer gewählt hatte, denn er war nun wirklich nicht das Vorbild, das sie sich auf dieser Position wünschte. Er war nicht mehr der Jüngste – dreiundfünfzig Eisperioden hatte er bereits erlebt. Trotz des allgemeinen Hungers trug er einen Wohlstandsbauch vor sich her und hörte sich selbst gerne reden – zumeist dummes Zeug. Auch jetzt machte er auf Ella nicht den Eindruck, dass die Botschaft, die er ihnen zu verkünden hatte, besonders wichtig wäre. Vielmehr wirkte er auf sie, als wollte er mal wieder auf sich und seine Taten aufmerksam machen. Statt sich seine Rede anzuhören, wäre Ella jetzt lieber zu Hause gewesen, um die Eisbeeren am Feuer zu trocknen und danach ihre Schleuder zu reparieren. Noch einmal wollte sie nicht ohne diesen kleinen Helfer in eine solche Situation wie am Nachmittag geraten.

»Wo warst du denn, als der Alarm ausgelöst wurde?« Trexos, ein Jäger, dessen Haar bereits lichtgrau war, ein Mann, dem sie viel zu verdanken hatte, beugte sich zu ihr und sah sie abwartend an.

»Ich war draußen auf den Feldern und habe Eisbeeren gesammelt.«

»Und warum bist du nicht gleich zurückgekommen?« Jetzt klang seine Stimme leicht gereizt und Ella wusste genau, was er ihr damit zu verstehen geben wollte: Sie hatte sich benommen wie eine Anfängerin.

»Ich bin auf eine Herde Breassels gestoßen und wurde aufgehalten.« Ella verschränkte die Arme vor der Brust – ein unmissverständliches Zeichen dafür, dass sie nicht darüber reden wollte. Trexos war klug genug, auch nicht weiter nachzuhaken. Die Begegnung mit dem Fremden behielt Ella für sich, obwohl sie nicht genau wusste, ob das die richtige Entscheidung war. Es konnte durchaus sein, dass er eine Bedrohung für ihre Gemeinde darstellte.