Dragons of Avalon: Drachenhaut - Lynja Yadeka - E-Book
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Dragons of Avalon: Drachenhaut E-Book

Lynja Yadeka

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Beschreibung

Ein Blick, der alles verändert. Das muss Stella am eigenen Leib erfahren, als sie in jungen Jahren den Drachengesandten Draakon unerlaubterweise ansieht. Noch ahnt sie nicht, was das für ihre Zukunft bedeutet. Als sie sich wiedersehen, überschlagen sich die Ereignisse und Stella findet sich plötzlich in einer ganz anderen Welt wieder. Eine, die sie sich niemals erträumt hatte. Die Drachenwelt. Schwierigkeiten, Einsamkeit, Hass und Intrigen erschweren ihr Leben, doch sie hat einen starken Willen, aufzustehen und weiterzumachen. Als sie angegriffen wird, ahnt sie noch nicht, dass Draakons Notreaktion ihr Leben erneut umkrempeln wird.

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Impressum

 

Autor: Lynja Yadeka

[email protected]

Herausgeber: Sabrina Nieminen

Tupamäentie 20

41800 Korpilahti

-Finnland-

 

Covergestaltung: Unter Verwendung von Shutterstock-Motiven

Herstellung und Vertrieb:

tolino media GmbH & Co. KG, München

Erschienen 2023 im Selbstverlag

Ab der 2. Auflage liegen die Rechte bei Jadelyn Aurora

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dragons of Avalon

-Drachenhaut-

 

Band 1 der Avalon-Reihe

 

Von Lynja Yadeka

 

 

 

 

 

 

 

 

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

 

 

Prolog

 

Von Musik erfüllt wogten sich die Bäume im sanften Wind, der die Wohlgerüche allerlei Speisen durch die Luft trug.

Eifrig tanzten die Jungen und Mädchen der Selataner und vollführten die Tänze ihrer Ahnen, um den jungen Mann, der Ehrengast an ihrer Tafel war, zu bespaßen.

Er unterschied sich von ihnen und stach mit seinem silberblauen Haar und den schimmernden Schuppen unter den Augen heraus. Seine ganze Haltung wirkte elegant und erhaben, während das Dorfoberhaupt, ein alter Mann, der schon bessere Tage gesehen hatte, neben ihm zusammengesunken wirkte.

Einmal alle paar Jahre kam der Gesandte des Drachenkönigs, um in den Dörfern nach dem Rechten zu sehen. Dieses Jahr war Taskia an der Reihe. Es war eine große Ehre, aber auch eine große Belastung. Das Essen, welches das Dorf für diese Feier aufbringen musste, war nicht leicht zu besorgen und hatte allen viel Arbeit gemacht. Dennoch war die Stimmung ausgelassen.

Die seifenblasenartigen Augen, die den Gesandten Draakon zu einem Wesen machten, das man leicht als nicht menschlich wahrnehmen konnte, glitten umher, als würde er sich alles im Dorf genau ansehen wollen. Dabei wirkte er jedoch gelassen und so, als wäre er in seinem Element.

Immer wieder brachten ihm die Mädchen des Dorfes einen kleinen Teller und servierten ihm Speisen aller Art. Darunter die Delikatesse der Selataner. Ein kleiner Vogel, namens Ibon, der dick und rund war. Er hatte besonders würziges Fleisch und wurde mit Haferklößen und Roter Beete serviert. 

Nie waren die Mädchen so dreist, ihm in die Augen zu sehen. Ein Vergehen, das hart bestraft wurde. Kein Mensch durfte mit den Drachen auf gleicher Stufe stehen. Nicht einmal der Sultan, der über die Selataner herrschte.

Doch ein Mädchen, das gerade einmal vierzehn Jahre alt war, sollte sich dieses Vergehens schuldig machen.

Neugier war schon immer Stellas Problem gewesen. Sie wollte sich den Mann, der so faszinierend aussah, von der Nähe betrachten, obwohl sie wusste, dass sie es nicht durfte.

Dennoch nahm sie den Teller mit dem Obstkuchen und servierte ihn dem Gesandten. So, wie es Brauch war, hatte sie den Kopf gesenkt, doch das Schimmern seiner Schuppen, die sich über seine Wangen zogen, erregte ihre Aufmerksamkeit. Nur ein kleiner Blick. Wem würde das schon auffallen?

So unauffällig, wie es ihr möglich war, ließ sie ihre Augen nach oben wandern, hielt den Kopf aber gesenkt.

Die Schuppen schimmerten in der Farbe einer Seifenblase und waren wunderschön. Doch nichts im Vergleich zu seinen Augen, die reine Seifenblasen zu sein schienen. Ein Anblick, der sie fesselte und vergessen ließ, was sie hier eigentlich tat.

Sie brach die Regeln und entehrte den Gesandten des Drachenkönigs. Ein Frevel, der ihr Leben verändern sollte.

 

 

Kapitel 1

 

Obwohl es noch gar nicht so lange her war, seitdem Draakon zuletzt in Taskia gewesen war, zog es ihn immer wieder hierher.

Leise und ungesehen schlich er sich durch das Unterholz des Waldes und wusste, dass der Pflanzendrache, der über diesen Teil der Welt gebot, ihn gewähren lassen und sogar schützen würde.

Ein Grinsen stahl sich auf das Gesicht des Mannes, der so weiblich wirkte, wie kaum ein anderer Mann, der unter den Selatanern lebte. Er war auch kein Mensch und störte sich kaum an seinem Äußeren. Dabei entsprach er sogar unter seinesgleichen nicht der Norm.

Wie es dem Dorf wohl ergangen war, nachdem er das alte Dorfoberhaupt, das einfach viel zu alt geworden war, abgelöst hatte? Sein Sohn war ein ehrgeiziger, junger Mann mit Führungspotential. Zwar hatte er auch einen Hang zum Narzissmus, doch Draakon hoffte, dass dies nicht so schlimm war.

Ein Windhauch trug einen bekannten Duft zu ihm. Einen, den er schon seit dem Fest vor vier Jahren ständig in der Nase hatte.

Sofort machte Draakon kehrt und änderte seinen Weg. Statt in das Dorf zu gehen, das er hatte besuchen wollen, ging er zurück in den Wald. Richtung Velik Nyanja See. Dort würde er hoffentlich fündig werden.

Leise schlich er durch das Unterholz und war sich sicher, dass er nicht gesehen werden würde, als er Stimmen hörte. Männliche Stimmen. Sie waren gehässig und schienen über irgendetwas zu lachen.

Der Geruch von Blut stieg ihm in die Nase und sein Puls begann zu rasen. Seine Schritte beschleunigten sich und dann trat er aus dem Schutz der Büsche, um zu sehen, was dort vor sich ging.

Sein Blick fiel auf eine Gruppe Männer, die eine junge Frau, die er nicht auf Anhieb erkennen konnte, gegen einen Baum drängten. Ihr Geruch stieg ihm in die Nase und er wusste sofort, wer es war. Dazu musste er die Frau nicht einmal richtig erkennen.

Als der kleinste der Männer sich jedoch bewegte, erhaschte Draakon einen Blick auf die, nicht sonderlich große, junge Frau. Sie war in ein braunes Leinenkleid gehüllt, das mit Blut besudelt war. Ihre Haare waren fein säuberlich unter einem grauen Tuch versteckt und es gab keinen Hinweis darauf, was für eine Farbe sie hatten. Ihre meerblauen Augen fixierten die Männer ärgerlich, aber mit deutlichem Schrecken. 

Ein Korb, der mit Kräutern und Blumen gefüllt gewesen war, hatte seinen Inhalt über den gesamten Waldboden verstreut.

Die Männer sprachen eindringlich und laut. Es gab keinen Grund, leise zu sein. Die dichten Bäume verschluckten die Laute einfach und so blieben sie unbemerkt. Ihre Worte voll Spott und Hohn waren eindeutig an die junge Frau gerichtet.

Das machte Draakon so wütend, dass er die Hand zur Faust ballte. Durch seinen eher weiblich und schmächtig wirkenden Körper musste es nicht sonderlich beeindruckend wirken, doch das gereichte ihm oft zum Vorteil. Er wurde unterschätzt und das würde er auch jetzt nutzen. „Was treibt ihr da?“, fragte er und klang überrascht, während er versuchte, so zu tun, als wäre er ebenfalls auf der Suche nach Kräutern oder ähnlichem. Dadurch, dass er einfache Kleidung und einen langen Mantel trug, würde man es ihm hoffentlich abkaufen. Die Schuppen auf seinem Gesicht waren durch eine Paste verdeckt, die er nur nutzte, wenn er nicht auffallen wollte. Es ließ ihn menschlicher erscheinen.

Der größte der Männer, wohl der Anführer, drehte sich zu ihm um und entblößte beim Grinsen sein Pferdegebiss, das, gepaart mit seinen Narben im Gesicht, angsteinflößend wirkte. Seine hellbraunen, halblangen Haare wiesen Blätter und kleine Hölzer auf, was für Draakon ein Beweis dafür war, dass er der Frau aufgelauert hatte. Aber nicht nur er trug diese kleinen Beweise an sich, sondern auch die anderen drei Männer. Einer von ihnen, ein Jüngling mit hellblondem, wirr aussehendem Haar, hielt die Frau fest, die sich zu befreien versuchte. Ihr Arm war blutig und Draakon erkannte ein Messer in der Hand des schwarzhaarigen, kleinen Mannes. „Verzieh dich. Wir haben etwas zu tun“, zischte der Anführer ihm zu und machte eine wegscheuchende Handbewegung. Er schien von dem schmächtigen Mann nicht beeindruckt zu sein, was auch kein Wunder war. Die Männer waren allesamt gut gebaut und mussten die Muskeln durch ihre harte Arbeit erworben haben.

An der Kleidung konnte man gut erkennen, dass sie nicht zu den Selatanern gehörten. Sie gehörten den Utarern an, die in der Nähe der Selataner lebten und bei denen Frauen minderwertige Lebensformen waren.

Draakon kannte diese Stämme gut und wusste, dass Frauen bei ihnen als Ware galten. Man konnte als Mann mit ihnen tun, was man wollte. Doch was taten sie im Gebiet der Selataner?

Waren die Handelsbeziehungen, die sie einst geknüpft hatten, in einen Krieg umgeschlagen? Waren diese Männer vielleicht hier, um die Frauen zu rauben?

Wut wallte in Draakon auf und er hob die Hand, als würde er nach der Frau greifen wollen. Doch sie stand so weit weg, dass er sie nicht erreichte. Das musste er auch nicht. Er richtete sie auf den Mann mit dem Messer, was nur wenige Sekunden später von einer Schicht Kristallen überzogen wurde, die sogar seine Hand und seinen Arm einnahmen. Draakon war nicht zum Spaßen aufgelegt. 

Ein erschrockenes Keuchen erklang. Nicht nur von den Männern, sondern auch von der Frau, die noch festgehalten wurde. Ihre meerblauen Augen waren vor Angst aufgerissen, als sie auf den Arm sah, der mit den Kristallen merkwürdig wirkte. Der Anführer, der davon eher unbeeindruckt wirkte, nickte dem Blonden zu, dass er die Frau festhalten sollte, während er und der vierte im Bunde, ein stämmiger Mann mit Hakennase, angriffen. Sie zogen ihre Dolche und Messer, bevor sie sich Draakon näherten. Diese Menschen waren dumm, denn sie kannten keinerlei Selbsterhaltungstrieb.

Es war im Grunde ein sinnloses Unterfangen. Die Klingen waren nicht magisch und würden seine Haut nicht einmal ankratzen. Die menschliche Hülle war nur eine Verkleidung und dicht unter der Haut trug er Schuppen, die ihn vor den Angriffen schützten.

Draakons Blick lag weiterhin auf der jungen Frau und mit einer Handbewegung zwang er den Mann dazu, sie loszulassen, weil sein kristallisierter Arm wie von Geisterhand zur Seite gerissen wurde. So stark, dass der Blonde gleich mit zur Seite gezogen wurde. 

In dieser Zeit spürte Draakon immer wieder die Klingen der anderen beiden Männer, die seine Haut trafen und Schnitte hinterließen, unter denen Schuppen zum Vorschein kamen.

Fluchend versuchten der Anführer und der Stämmige auf Draakon einzustechen, doch dieser wich geschmeidig und elegant den Angriffen aus. „Nehmt sie als Geisel!“, schrie der Anführer den beiden Männern auf dem Boden zu, denn die junge Frau machte Anstalten, wegzurennen.

Erneut machte Draakon eine Bewegung und aus dem Boden schossen Kristalle, welche die Männer dort festhielten. „Na na“, sagte er tadelnd und klang, als würde er einfach nur spielen. Als wäre all das hier nichts, worüber er sich Sorgen machen müsste.

Dank seines beherzten Eingreifens gelang es der Frau, ihren umgedrehten Korb aufzuheben. Hektisch und stets mit dem Blick zu den Männern, sammelte sie die Kräuter und Blumen auf, und wollte schon weiterhasten, doch sie fiel über eine Baumwurzel und blieb benommen liegen. 

Währenddessen wechselten die beiden Angreifer zu einer anderen Taktik und traktierten Draakon mit einer Serie aus Faustschlägen.

Genervt seufzte dieser auf, bevor er die Hand hob und mit der Faust auf den Bauch des Anführers einschlug. So heftig, dass dieser sich krümmte und spuckte. Dann ging er zu Boden und blieb liegen. „Verschwindet, bevor ich richtig böse werde“, sagte er mit ruhiger Stimme.

Jedoch musste er feststellen, dass die Männer das Gehirn einer Erbse besaßen und nicht wirklich wussten, wann sie einen Kampf verloren hatten. Der Mann mit der Hakennase erinnerte an einen Habicht, als er um Draakon herumschlich und auf einen guten Moment zum Angriff wartete. Die anderen beiden waren in den Kristallen gefangen, weshalb er allein war.

Draakon schloss die Augen und atmete aus, bevor er sich so schnell bewegte, dass er vor dem Hakennasenmann auftauchte, ohne dass dieser es wirklich wahrnahm. Mit einem gezielten Schlag in den Magen landete auch er auf dem Boden.

Nun, da die Männer besiegt waren, wandte sich Draakon an die junge Frau, auf die er langsam zuging, um sie nicht zu verschrecken. „Bist du schwer verletzt?“, fragte er und ließ seine Stimme sanft klingen.

Die Frau zuckte zusammen und rutschte ein Stück zur Seite. Wohl aus Angst, dass er ihr etwas tun würde. Sie wimmerte, als sie ihren Knöchel hielt, den sie sich vermutlich verletzt hatte. „Nein, es ist nichts passiert“, antwortete sie heiser und massierte den Fuß. Blut tropfte auf den Boden, doch um das schien sie sich keine Sorgen zu machen. Oder sie bemerkte es durch den Schock gar nicht.

Langsam ließ Draakon sich neben ihr nieder. „Du musst keine Angst vor mir haben, Mädchen“, sagte er sanft. „Ich werde dir nichts tun.“

Sie wollte schon von ihm wegrücken, doch als sie ihren Kopf hob, stutzte sie. Bisher war sie vor Panik gar nicht dazu gekommen, den Neuankömmling genau zu betrachten, doch jetzt konnte sie es. Diese silberblauen Haare ... Es war mehrere Jahre her, doch sie erinnerte sich noch heute an diese auffällige Haarfarbe. Sie war sich sicher, dass es diese Haarfarbe, gepaart mit den geschlitzten, seifenblasenartigen Augen kein zweites Mal gab. „Ihr?“, fragte sie überrascht. Was machte der Gesandte des Drachenkönigs hier?

Draakon half ihr dabei, sich aufzusetzen, und hielt sie sanft fest. „Du bist verletzt“, sagte er sorgenvoll, als er ihre Wunden bemerkte. Deshalb hob er sanft ihren Arm und leckte plötzlich und ohne Vorwarnung das Blut weg, bis die Wunde gesäubert war.

Dass sie ihm ihren Arm entziehen wollte, machte ihm nichts aus. Sein Griff war fest und beherzt, ohne ihr weh zu tun. „W-Was macht Ihr da?“, stotterte die Frau und sah ihn mit klopfendem Herzen an. Seine Zunge war rau und würde sie wohl kitzeln, doch der Schock ließ sie nicht lachen, sondern ihn entsetzt anstarren.

„Die Wunden müssen gereinigt werden“, sagte er sanft und hob sie dann hoch. „Ich bringe dich nach Hause. Mit diesem Knöchel solltest du nicht laufen“, bestimmte er und lief los.

Der Korb, der neben ihr gestanden hatte, blieb an der Stelle zurück, weshalb sie bereits zum Protest ansetzte, jedoch in letzter Sekunde innehielt. Diesen würde sie holen gehen, sobald der Gesandte das Dorf verlassen hatte. „Danke für Eure Hilfe“, murmelte sie und betrachtete ihren Arm, den Draakon abgeleckt hatte. Er kribbelte merkwürdig und sie hoffte, dass sein Speichel keine Entzündung hervorrufen würde. Niemand leckte Wunden sauber, da Keime eindringen konnten. Nur widersprach man einem Gesandten nicht. Vor allem nicht, wenn man eine Frau war. So war es ihr von klein auf beigebracht worden.

„Gibt es bei euch einen fähigen Heiler?“, fragte er und blickte zu ihr hinab. Es schien, als würde er nicht weiter darauf eingehen wollen, dass er sie gerettet hatte.

Als Antwort nickte die junge Frau und sah zu ihm nach oben, woraufhin sie rot wurde und sofort ihr graues Tuch zurechtrückte. „Ja, aber sie ist, gelinde gesagt, nicht die Klügste. Verlässt sich auf seltsame Praktiken wie den Stand des Mondes und Schmutz aus der Erde“, erklärte sie und seufzte. „Wir benutzen lieber die Kräuter und das Wissen, das unsere Eltern an uns weitergeben.“

„Verstehe. Sollte sie damit nicht klarkommen, werde ich dich zu einem Heiler bringen“, erklärte Draakon und lief zielsicher durch den dichten Wald, als brauchte er keine Wege.

Er bemerkte, dass die junge Frau nicht wirklich entspannt wirkte. Von jemandem getragen zu werden, schien ihr sichtliches Unwohlsein zu verursachen. „Kann ich bitte selbst laufen? Mein Vater sagt immer, wenn der Knöchel verstaucht ist, soll man gleich weiterlaufen, damit es zu keiner Schwellung kommt“, bat sie und sah ihn bittend an. Sie verspürte ein Stechen im Knöchel und wusste, dass Schonung nur zum Ausfall führte.

„Nein, dein Fuß könnte gebrochen sein“, widersprach Draakon, der kurz stehen blieb und in die Hocke ging, um ihren Fuß zu betasten. „Er ist mindestens angebrochen. Wenn du jetzt läufst, dann kannst du es bald gar nicht mehr.“

Ein unhöfliches Wort entwich ihrem Mund, aber so leise, dass er es wohl nicht verstehen konnte. Sollte das wirklich der Fall sein, würde es Ärger geben. Einen enormen Ärger. „Ich verspreche Euch, dass es nichts Schlimmes ist“, versicherte sie hastig und mit voller Überzeugung. Es war nicht das erste Mal, dass sie über eine Baumwurzel gefallen war.

„Diese Männer wollten dich gefangen nehmen und wohl verkaufen“, sagte Draakon, der sie absetzte. Bevor sie jedoch aufstehen konnte, hielt er sie fest. Seine Hand legte sich um ihren Knöchel und sie spürte, wie die Kristalle sich über ihrem Bein ausbreiteten. „Das ist eine Schiene“, sagte er mit ruhiger Stimme. „Damit du es nicht noch schlimmer machst“, erwiderte er. „Jetzt kannst du von mir aus laufen.“

Vorsichtig setzte sie ihren Fuß auf den Boden auf, machte ein paar winzige Schritte, bis sie sich an die provisorische Schiene gewöhnt hatte, und nickte dann. „Ich danke Euch“, sagte sie, ohne sich zum vorherigen Thema zu äußern. Vermutlich war sie schockiert, wollte es aber nicht zeigen, denn sie lächelte vorsichtig. „Es ist nicht mehr weit. Wir wussten nicht, dass Ihr kommt.“ Sie hörte sich entschuldigend an.

„Ich hatte auch nicht vor, das Dorf aufzusuchen“, sagte er nüchtern und legte ihr einen Arm um die Hüfte, um sie zu stützen. „Wenn man dich nicht verletzt hätte, wäre ich nicht hier gelandet“, meinte er, als wäre er nur wegen ihr gelandet und hätte eigentlich woanders hingewollt. Was nicht stimmte.

Dankbar über die Hilfe sah sie ihn entschuldigend an. „Es tut mir leid, Eure Reise gestört zu haben“, sagte sie zerknirscht. Sicherlich würde sie sich etwas von ihren Eltern anhören müssen, weil sie sich zu weit vom Dorf entfernt hatte. 

Die ersten kleinen Felder, die trotz des Waldes gut bewirtschaftet waren und reiche Ernte trugen, kamen endlich in Sicht.

„Es ist gut, dass ich von meinem Weg abgekommen bin“, sagte Draakon ernst. „Die Utarer scheinen in euer Territorium eingedrungen zu sein“, erklärte er und wirkte überhaupt nicht begeistert.

„Es ist nicht das erste Mal, dass sie Unruhe verursachen“, erwiderte die junge Frau und blieb stehen. Mit verengten Augen sah sie den beiden Männern auf dem Feld zu, bevor sie ihnen heftig winkte.

„Das sah nicht nur nach Unruhe aus“, sagte der Gesandte mit ruhiger Stimme. „Fallen sie in euer Territorium ein? Ich muss mit dem Dorfoberhaupt sprechen“, entschied Draakon, der die junge Frau weiterhin stützend hielt.

Einer der Männer auf dem Feld sah endlich auf und wirkte überrascht. „Stella“, rief er ihr zu und somit sah auch sein Bruder auf.

„Ach, Stella heißt du also“, bemerkte Draakon gut gelaunt, als hätte er ein Geheimnis herausgefunden. Jetzt hatte er wenigstens einen Grund, warum er ihren Namen kannte.

Anstatt ihm auf die politischen Fragen, von denen sie rein gar nichts wusste, zu antworten, sah Stella Draakon zuerst stirnrunzelnd an und winkte dann erneut den Männern zu. „Kain! Kurt! Helft mir bitte“, rief sie ihnen zu und verbeugte sich halb vor dem Gesandten. „Entschuldigt mich bitte. Ich werde Linda aufsuchen. Meine Brüder werden Euch in das Dorf führen, damit Ihr mit dem Dorfoberhaupt sprechen könnt.“ Obwohl ihr Kopf gesenkt war, waren ihre Augen neugierig auf ihn gerichtet. Genau wie auf dem Fest.

Draakon schnaubte und hob sie erneut hoch, ohne sie zu fragen. „Ich werde dich erst bei einem Heiler abliefern“, erklärte er und ließ keine Widerrede zu. Sein Blick dabei auf die beiden Männer gerichtet. „Stella wurde im Wald von Utarern angegriffen“, erklärte er ihnen, da sie in Hörweite waren. „Sie braucht einen Heiler.“ Ihren Protest überhörte er absichtlich und sie verstummte augenblicklich, als ihre Brüder sie erreichten. 

Beide waren voller Erde und Schmutz und ihre schlanke, aber dennoch muskulöse Figur zeigte, dass sie harte Arbeit gewohnt waren. Beide verneigten sich respektvoll vor Draakon. „Mensch, Stella“, seufzte der braunhaarige Kain, dessen Haare im Nacken zu einem Zopf gebunden waren. „Mach uns, und vor allem unseren Eltern, nicht so viel Ärger“, tadelte er seine jüngere Schwester und seine blauen Augen waren vorwurfsvoll. Stella zog ihren Kopf ein und setzte zum Protest an, wurde aber durch eine energische Handbewegung seitens Kurt unterbrochen. „Wir bringen Euch ins Dorf“, versicherte Kain und nickte in die Richtung, in der ihre Heimat lag.

Draakon nickte und folgte den beiden Männern. „Während sie beim Heiler ist, möchte ich mit eurem Oberhaupt sprechen. Euer Dorf ist in Gefahr. Ich kann weitere Angreifer spüren.“

Ohne zu diskutieren, nickten beide Männer und brachten sie ins Dorf. Dort kamen die Leute, die draußen verschiedene Arbeiten verrichteten, herbeigeeilt. Für Stella hatten sie einen tadelnden Blick übrig, während sie sich vor Draakon ehrfürchtig verbeugten. Kurz informierte Kurt, dass sich Stella verletzt hatte und zu Linda musste. 

Eine ältere Frau, die ein ähnliches Kleid wie Stella trug und deren Haare unter dem grauen Tuch nicht sichtbar waren, informierte Kurt, dass die Heilerin wie immer in ihrem Haus sei. Nur selten verließ sie es und wenn, dann nur, um den Stand der Sonne und des Mondes zu bestimmen.

Stella zupfte an Draakons Oberteil und flüsterte ihm zu, dass er sie herunterlassen sollte. Bis zu Linda würde sie mit Sicherheit allein kommen. Zudem wollte sie den Gesandten nicht noch länger aufhalten.

Dieser blickte Stella tadelnd an. „Eine verletzte Frau sich selbst zu überlassen, gehört sich nicht“, informierte er sie mit fester Stimme und trug sie direkt zu Lindas Haus, wo er ihr die Schiene aus Kristall wieder entfernte, damit sich die Heilerin darum kümmern konnte.

Stellas Augenrollen entging ihm, da sie sich abgewendet hatte und bei Linda anklopfte. „Danke fürs Herbringen und eine gute Weiterreise“, sagte sie leicht lächelnd zu Draakon und wandte sich dann der alten, grauhaarigen und buckeligen Frau zu, die ihr die Tür öffnete. 

Deren Stimme hörte sich an, als hätte sie Rauch eingeatmet, so kratzig und undeutlich war sie. Was wohl auch daher kam, dass sie keine Zähne mehr hatte und sabberte. Doch sie war trotzdem eine gute Heilerin.

Draakon ließ Stella bei ihr und begab sich stattdessen in Richtung des Dorfoberhauptes. Er musste mit ihm sprechen.

 

Nach einiger Zeit traten Draakon und das Dorfoberhaupt aus dessen Haus hinaus. Zu seiner Überraschung hatten die Dorfbewohner in Windeseile Tische aufgestellt, um den Gast zu bewirten. Oder auch, um ihren Dank zu zeigen. Stella stand in der Nähe eines Paares und nahm mit gesenktem Kopf und gefalteten Händen den Tadel an. Jedoch erkannte Draakon, dass sie nicht ganz so reumütig war, wie sie vielleicht hätte sein sollen. In ihren Augen blitzte es und es schien, als würde sie nur mit halbem Ohr zuhören. 

Das Dorfoberhaupt erhob seine Stimme, damit die Leute ihre Aufmerksamkeit auf ihn richteten und zu ihnen kamen. Auf den lauten und klaren Befehl hin versammelten sich die Dorfbewohner im Halbkreis um die Tische, denn dorthin hatte er den Gesandten geführt. Auch Stella fand sich mit ihren Eltern, Kurt, Kain und zwei weiteren Männern ein, die wohl ebenfalls ihre Brüder waren.

Mit kurzen Sätzen erklärte das Dorfoberhaupt, dass Draakon nicht nur Stella, sondern auch das Dorf mit seinem beherzten Eingreifen gerettet hatte. „Viel haben wir nicht zu bieten, aber die Leute möchten sich bei Euch mit einer Bewirtung bedanken. Jedoch steht Euch noch mehr Dankbarkeit zu. Ihr dürft auswählen, welche Güter Ihr haben wollt“, erklärte das Dorfoberhaupt großzügig. Die Menschen um sie herum nickten heftig als Zustimmung. „Also, was möchtet Ihr als Bezahlung haben?“, fragte er und sah Draakon abwartend an.

Das Dorf hatte nicht viel und egal, was er nahm, es würde sie hart treffen. Draakons Augen funkelten, als er sich umsah und dann grinste. „Da ihr mir bereits eine Belohnung anbietet, dürft ihr nach dem Brauch nicht ablehnen. Egal, was ich mir aussuche“, vergewisserte er sich mit ruhiger Stimme und schien mit dem ganzen Tumult keine Probleme zu haben.

Einstimmig nickten alle. Einschließlich Stella, die neben Kain stand und sich stützen ließ. „Ihr dürft wählen, was Ihr möchtet“, versicherte das Dorfoberhaupt erneut. Seine Geste war ausladend, was bedeutete, Draakon konnte sich das Beste aussuchen.

Er schmunzelte. „Stella“, meinte er und deutete auf die junge Frau. „Sie soll mir als Bezahlung reichen.“

 

 

Kapitel 2

 

Ein Raunen ging wie eine Welle durch die Dorfbewohner und wurde vom lauen Wind fortgetragen. Mit geweiteten Augen starrten die Menschen Draakon an. „Meine Tochter?“, fragte eine Frau, mit höchster Wahrscheinlichkeit Stellas Mutter, mit zitternder Stimme. Ihr Griff um Stellas Schulter verfestigte sich. 

Die junge Frau selbst stand stocksteif da. Sie sollte als Bezahlung herhalten? Das konnte nicht sein Ernst sein! Ihre trocken gewordenen Lippen befeuchtete sie sich mit der Zunge und brachte kein Wort heraus.

„Ja, Stella“, wiederholte Draakon mit einem zufriedenen Lächeln. Er wirkte nicht, als würde er sich etwas anderes aufschwatzen lassen und von seinem Wunsch abweichen.

„Sein Wunsch ist geäußert“, sagte das Dorfoberhaupt und winkte Stella zu sich heran. Diese blieb jedoch geschockt und bewegungslos stehen. Nur mit einem Schubs von Kain bewegte sie sich und stolperte fast erneut. Die Menschen sahen sie forschend, aber auch unwohl an. Hatte sie ihn verärgert, weshalb er sie aussuchte? 

Es dauerte eine kleine Ewigkeit, bis Stella Draakon erreicht hatte. Sittsam hatte sie ihre Hände vor sich gefaltet und wirkte nicht, als machte es ihr etwas aus. Doch bei genauerem Hinsehen konnte man ihre Gefühle sehen. Sie fühlte sich unwohl. Ihre Eltern wollten protestieren, aber das Dorfoberhaupt ließ sie gar nicht zu Wort kommen. Stattdessen wandte er sich an Stella und befahl ihr, ihre Kleidung zu packen. Ihm schien es egal zu sein, ob sie da war oder nicht.

Draakon hob die Hand, legte seine Finger unter ihr Kinn und hob es hoch, sodass sie ihn ansehen musste. Seine Augen in dieser seltsamen, seifenblasenartigen Farbe ließen sie schwummrig werden. „Pack nur ein paar wichtige Stücke. Du wirst nicht viel brauchen“, sagte er mit ruhiger Stimme.

Er spürte, wie sie leicht nickte. „Verstanden“, brachte sie mit zitternder Stimme hervor. Es fiel ihr schwer, ihn nicht weiter anzustarren. Sein Blick hielt sie regelrecht gefangen und nur mit Mühe riss sie sich los. 

Stella trat einen Schritt zurück und verbeugte sich mit klopfendem Herzen, bevor sie sich umdrehte und mit Hilfe ihrer Familie zu ihrem Haus ging, um zu packen. Seine Worte, dass sie nicht viel brauchen würde, hallten in ihrem Kopf, während die aufgeregten Stimmen der Dorfbewohner mehr und mehr in den Hintergrund traten. Diese waren über Draakons Wunsch äußerst überrascht.

Allerdings nicht, dass er sich eine Frau ausgesucht hatte. Es ging ihnen mehr um den Wert, den sie für zu niedrig hielten. Sie verstanden nicht, wie eine einzige Frau seine Hilfe aufwerten konnte. Stella war nicht mehr wert als ihre besten Tiere. Jedoch hatten sie seinem Wunsch nichts entgegenzusetzen. 

Während Draakon wartete, gingen die Menschen wieder ihren Arbeiten nach. Ihm entging das Getuschel über das Ereignis nicht. Das Dorfoberhaupt blieb bei ihm, bis Stella samt Familie wieder auftauchte. Die wenigen Habseligkeiten eilig in einen kleinen Jutesack gepackt, kam sie humpelnd auf den Gesandten zu.

Als sie vor ihm stand, verbeugte sie sich erneut, wurde aber gleich darauf an seine Brust gezogen. Er war nur wenig größer als sie und wirkte noch immer so klein und schmächtig.

„Halt dich gut fest“, forderte er sie auf und hob sie wieder hoch, wie er es schon getan hatte, als er sie zum Dorf getragen hatte.

Mühsam unterdrückte Stella ein Quietschen und drückte den kleinen Jutesack an sich. Stellas Eltern traten hervor. „Bitte passt gut auf unsere einzige Tochter auf“, baten sie eindringlich. Mit einem Blick auf Stellas Mutter erkannte Draakon, dass sie zu alt war, um noch Kinder zu gebären. Er würde ihnen ihre einzige Tochter entreißen.

„Ich bin sicher, dass es ihr gut gehen wird“, meinte Draakon und plötzlich falteten sich hinter seinem Rücken zwei riesige, fledermausartige Schwingen auf, deren Schuppen in allerlei Farben schimmerten. Wie es auch seine Augen taten.

Voller Ehrfurcht, aber auch vor Angst, wichen die Leute keuchend zurück. Selbst die, die sich nicht einmal in der Nähe aufhielten. Noch nie hatten sie einen Drachen gesehen. So auch Stella, die auf einmal begann, sich zu wehren. Sie wollte nicht irgendwo hin und als Opfer von den Drachen gefressen werden! Jedes Kind in ihrem Dorf musste sich bei schlechtem Benehmen dieselbe Geschichte anhören: Wenn man nicht brav war, wurde man von den Drachen geholt und bei lebendigem Leib verspeist. Natürlich war das nie nachgewiesen worden, doch es hatte den Kindern stets Angst gemacht. Genau daran dachte Stella, die sich sicher war, dass sie für die Unruhe, die sie ausgelöst hatte, geopfert werden sollte. Warum sonst hatte er sie ausgewählt?

„Festhalten, nicht herumzappeln“, meinte Draakon nüchtern und mit einem einzigen, kräftigen Flügelschlag schoss er in die Luft. So schnell, dass es um Stella herum rauschte und sie die Luft wie kleine Klingen über ihre Haut fahren spürte. Doch nur einen Moment lang, denn kurz darauf schwebten sie weit über den Bäumen.

Zeit zum Schreien blieb ihr nicht, denn die Aussicht verschlug ihr die Sprache. Noch nie hatte sie den dichten Wald, in dem sie bereits seit ihrer Geburt lebte, von oben gesehen. Er wirkte wie eine einzige Grünfläche, unterbrochen von den kleinen Feldern und Dörfern, die es hier gab. Stella war traurig, dass sie sich nicht wirklich hatte verabschieden können, aber die Aussicht lenkte sie ein bisschen ab. Nur die Tatsache, dass der Gesandte sich vor all den Menschen verwandelt hatte, schockierte sie. „Wohin bringt Ihr mich? Wird die Opferung wirklich so weh tun?“, fragte sie mit brüchiger Stimme, während sie versuchte, ihren Puls wieder unter Kontrolle zu bringen. Dieser raste so schnell, dass sie es in ihren Ohren rauschen hörte. Oder es war der Wind, der ihr um die Ohren pfiff.

„Opferung?“, fragte er belustigt und fragte sich für einen Moment, ob er vielleicht mitspielen und ihr noch ein wenig Angst machen sollte. „Das kommt darauf an, wie du dich anstellst“, meinte er amüsiert und flog mit sanften Flügelschlägen über den Wald hinweg.

Ihre Gänsehaut war deutlich sichtbar, genauso wie ihr schneller Atem, der ihre Angst verriet. Stella fühlte sich schlecht und für einen Augenblick dachte sie sogar darüber nach, etwas zu tun, damit er sie fallen ließ und sie der Opferung entkam. Dennoch versuchte sie, so mutig wie möglich zu sein. „Ach, Ihr unterscheidet anhand von Benehmen, ob Ihr einem zuerst das Herz oder die Lunge herausreißt?“, fragte sie mit kühler Stimme, die trotz aller Kühnheit verriet, wie sie sich fühlte.

„Nein, aber ich entscheide nach Benehmen, ob ich nett im Bett bin oder dich bei unserer Hochzeitsnacht schon bestrafen muss“, erwiderte er im Plauderton, während er das Gebiet der Selataner verließ und über die Wiesen im Land der Utarer flog.

Stellas meerblaue Augen weiteten sich. „Was?“, fragte sie nicht nur verwirrt, sondern noch mehr geschockt. Die Landschaft, die einzigartig unter ihr hinwegzog, interessierte sie im Moment nicht. Unter anderen Umständen hätte sie sich nur der Landschaft gewidmet, doch Draakons Worte schockierten sie zu sehr.

„Du hast mich schon verstanden. Du wirst nicht geopfert“, sagte er lachend. „Du wirst mich heiraten.“ 

„Nein!“, widersprach Stella heftig. Dieser Gesandte musste ein Gras zu sich genommen haben, das ihn nicht mehr denken ließ. Da war sie sich sicher. Warum sonst würde er so einen Blödsinn schwafeln? „Ich sollte in ein paar Tagen einen Bauernsohn heiraten! Ich kann Euch nicht heiraten!“

„Du gehörst jetzt mir“, meinte Draakon mit ruhiger Stimme. „Und du solltest dir angewöhnen, dass man mir nicht widerspricht. Jedenfalls nicht öffentlich“, informierte er sie mit ruhiger Stimme und hielt auf eine Gegend zu, die auf einem großen See lag. Die Insel war bewachsen mit allerlei magischen Kristallen, die jedoch nur die Schönheit eines riesigen Schlosses unterstrichen. Xarunta war der Mittelpunkt von Avalon.

Ein weiteres Merkmal dieser Insel war, dass sie aus hohen Klippen und Gebirgen bestand. Kein Boot oder Schiff konnte anlegen, denn die meterhohen grauen Steinklippen waren nicht zu bezwingen. Selbst die geübtesten Kletterer fanden an den steilen, rutschigen Wänden keinen Halt. Somit war Xarunta die sicherste Insel und, so viel Stella wusste, lebte dort der Drachenkönig. Und genau diesen nahm sie nun als Argument, dass er es nicht zulassen würde, was der Gesandte tat. „Ich werde Euch nicht heiraten! Ich will zurück!“

„Meine Liebe, du sollst mir nicht widersprechen“, sagte er und landete plötzlich ganz elegant auf dem Balkon.

Sofort wurde die Tür zu diesem geöffnet und eine junge Frau trat heraus. „König Draakon Karalis. Ihr seid zurück“, rief sie erfreut und schien ihn umarmen zu wollen, erkannte dann jedoch, dass er jemanden im Arm trug, und hielt überrascht inne. Das schwarze Haar wehte im seichten Wind und die großen, grünen Augen wirkten sichtlich geschockt über diesen Besuch. Normalerweise wurden neue Menschen auf eine andere Art und Weise hierhergebracht. 

Sie verneigte sich vor dem König und konnte nicht verhindern, den Gast neugierig zu beobachten. Nicht unbedingt die Hübscheste, die er mitgebracht hatte. Zwar war Stella schlank, besaß aber nicht die perfekten Normgrößen. Die Schwarzhaarige hingegen besaß ausgeprägte Kurven. 

Die beiden Frauen lieferten sich ein Wettstarren und es war nicht zu sagen, wer von ihnen mehr geschockt war. „Wen habt Ihr denn mitgebracht?“, fragte die Schwarzhaarige neugierig. 

Stella hingegen war geschockt von der Anrede und sie schluckte. König? Er war der König?

„Das ist Stella“, meinte Draakon, stellte sie jedoch nicht ab. „Meine neue Gemahlin“, informierte er und lief dann einfach an der Schwarzhaarigen vorbei, als gäbe es nichts Wichtiges.

„Eure ... was?“, fragte die wunderschöne Frau im hellgrünen Kleid geschockt und folgte Draakon. „Aber das geht nicht! Ich bin doch Eure zukünftige Gemahlin!“ Sie schien nicht erfreut darüber zu sein, dass Draakon mit einer neuen Frau zurückgekommen war. Und genau deswegen ließ sie sich auch lautstark aus.

Stella stellte das Gezeter der Schwarzhaarigen in den Hintergrund und sah sich stattdessen in dem großen Raum um, in den Draakon sie brachte. Als erstes bemerkte sie das riesige Himmelbett mit den dunkelblauen, samtigen Vorhängen. Es stand auf einem erhöhten Podest, zu dem eine Treppe führte. Vier Stufen, wenn Stella richtig zählte. Der Rahmen des Bettes war vergoldet und wies außerordentlich schöne Verzierungen auf. Auf dem Bett lagen nicht nur samtweich aussehende Decken, sondern auch Felle, von denen sie annahm, dass sie für die kalte Jahreszeit gedacht waren. Hier oben war es deutlich kühler, das stellte Stella zum wiederholten Male fest, als ein kühler Wind sie leicht erzittern ließ. Doch da Draakon sie noch immer an seine Brust drückte, war ihr nicht kalt, da er eine angenehme Wärme ausstrahlte.

Zudem stand in dem Raum ein wuchtiger, dunkler Schrank, in dem vermutlich seine Kleidung hing. Es gab ein Regal, auf dem Pflanzen und Bücher sowie merkwürdig aussehende Dinge standen. An den Wänden hingen Bilder von Vorfahren und vorherigen Königen. Deutlich an der Kleidung und den Kronen zu erkennen. 

Stella wusste im Moment nicht mehr, was schockierender war: Die Tatsache, ihn heiraten zu müssen oder dass er der König war. Draakon sah viel zu jung und schmächtig dafür aus. Darüber, dass er sie einfach tragen konnte, hatte sie sich im Wald gewundert, aber nun war ihr klar, warum er so stark war. Ein Drache war mächtiger, als ein normaler Mensch sich vorstellen konnte. In seinem schmächtig aussehenden Körper bündelte sich eine Menge Kraft und Muskeln, die Stella bisher nicht wahrgenommen hatte. 

Wohin brachte er sie eigentlich?

„Sadi“, erklang Draakons Stimme. In einem Tonfall, der die Frau sofort verstummen ließ. „Ich entscheide“, erinnerte er sie mit ruhiger Stimme und Stella fragte sich, warum die schwarzhaarige Frau den Kopf einzog und blass wurde. Er hatte ihr doch nicht gedroht, oder? „Geh jetzt und erst einmal kein Wort darüber“, wies er sie an.

Unwillig glättete die Frau ihr Kleid, knickste und lief dann rückwärts hinaus. Erst jetzt setzte Draakon Stella vorsichtig auf das Bett. „Und nun zu dir, du kleine Kratzbürste“, sagte er, wobei er belustigt klang. In ihrem Versuch, sich zu befreien, hatte sie ihn tatsächlich gekratzt und somit die Paste, die seine Schuppen im Gesicht verdeckten, verwischt.

Stella saß mit verschränkten Armen auf dem Bett und funkelte ihn an. Jetzt, nachdem die Paste weg war, erkannte sie seine Schuppen, die vorher nicht sichtbar gewesen waren, wieder. „Was?“, fragte Stella kühl. Was fiel dem König eigentlich ein, sie hierherzubringen und zu verlangen, sie sollte ihn heiraten?

Er schmunzelte und hob erneut ihr Kinn. „Meine Liebe“, sagte er sanft, wobei in seinen Augen etwas funkelte. „Du weißt, wer ich bin, oder?“, fragte er belustigt. „Findest du es schlimmer, mich zu heiraten oder geopfert zu werden?“

„Jetzt weiß ich es“, murmelte Stella und hielt seinem Blick stand. In ihren Augen glitzerte ein Willen, den nicht viele Frauen hatten. Ihre Kühnheit sollte eigentlich ihre Angst verbergen, doch sie spürte, dass es nicht wirklich gut gelang. „Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht.“

Draakon ließ ihr Kinn los und fuhr ihr über das Tuch, das er vorsichtig löste, um ihre wunderschönen, braunen Haare zu Tage zu fördern. 

Hektisch versuchte Stella, ihre langen, leicht lockigen Haare, die ihr über die Brust fielen, wieder zusammenzumachen. Es gehörte sich nicht, die Haare einem anderen Mann zu zeigen. Leider hielt er ihr Tuch in der Hand, sodass sie lediglich mit ihren Händen ihren Kopf schützen konnte.

„Du solltest es versuchen“, sagte er ernst. „Sonst werde ich in dein Dorf gehen und mir eine andere Belohnung aussuchen müssen“, erklärte er im Plauderton, „und ich bin mir sicher, dass dein Dorf das nicht aufbringen kann.“

Ihr war klar, dass er sie mit seinen Worten erpresste. So, wie Draakon sprach, würde er ihr Dorf mit seinem Wunsch ins Unglück stürzen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als einzuwilligen, wenn sie nicht wollte, dass ihrem Dorf etwas passierte. „In Ordnung“, flüsterte sie tonlos.

Leicht griff Draakon nach ihren Händen und löste sie sanft von ihrem Haar, bevor er ihren Handrücken sanft küsste. „Es wird dir hier gutgehen“, sagte er zärtlich und fuhr ihr noch einmal mit der Hand durch die weichen Haare.

Er sah, wie unwohl sie sich fühlte, denn ihre Hand zitterte. Anscheinend gab es diese Gesten in ihrem Dorf nicht, weil sie überfordert schien. „Warum ausgerechnet mich? Ist das die Strafe dafür, dass ich Euch vor ein paar Jahren angesehen habe?“, fragte sie leise. Für etwas Anderes konnte sie es im Moment nicht halten, denn seitdem war Draakon nicht mehr in ihrem Dorf gewesen.

„Seit diesem Tag wollte ich dich wiedersehen“, gestand er und strich zärtlich über ihren Handrücken. „Es liegt mir fern, dir zu schaden. Also sieh es als großes Abenteuer.“

Sie folgte seinen Bewegungen aufmerksam mit ihren meerblauen Augen. Wenn er ihr nicht schaden wollte, würde es sicherlich nicht so schlimm werden, wie sie im Moment annahm. „Sagte die hübsche Frau nicht gerade eben, ... dass sie Eure Gemahlin werden sollte?“, fragte sie unschlüssig. Es war nicht zu leugnen, dass Draakon attraktiv aussah. Dennoch erkannte Stella unter der unschuldig aussehenden Fassade eine harte Seite. 

Es war nicht das Problem, dass sie ihn nicht kennenlernen wollte, denn seit der ersten Begegnung hatte sie viel an ihn gedacht. Seine Augen und seine Schuppen hatten sie so fasziniert, sodass sie oft in der Nacht wach gewesen war und sich überlegt hatte, wie er wohl als Gesandter des Königs lebte. Nun wusste sie es und sie war sich nicht sicher, ob sie schockiert oder erfreut darüber sein sollte. Dass er der König selbst war, fand sie im Moment am schlimmsten, denn ihr war klar, dass sie sich im Wald nicht unbedingt nett verhalten hatte. Aber da hatte Stella auch nicht im Geringsten geahnt, dass er der Drachenkönig sein könnte.

„Sie ist meine Lieblingsfrau. Aber du musst wissen, Menschen leben nicht sonderlich lange. Nicht, im Vergleich zu Drachen“, erklärte er und erhob sich, bevor er zu seinem Schrank ging und diesen öffnete. „Zudem habe ich nie etwas in diese Richtung verlauten lassen.“ Mit diesen Worten holte er ein dunkelblaues Kleid hervor, das er über seine Arme legte und es dann zu Stella brachte.

Neugierig betrachtete sie Draakon, machte aber keine Anstalten, das Kleid entgegenzunehmen. Stattdessen sah sie Draakon direkt ins Gesicht. „Warum habt Ihr mich ausgewählt, anstatt Euch etwas anderes auszusuchen?“, fragte sie und schluckte. Ihn zufriedenzustellen, war sicherlich nicht einfach. Wenn hier Menschen lebten, waren sie sicherlich etwas Besonderes. Das galt jedoch nicht für Stella, einer einfachen Bauerntochter.

„Weil dein Dorf nichts anderes hätte aufbringen können und mich auch nichts anderes interessiert hat“, erklärte er mit einer abwinkenden Handbewegung, bevor er sie plötzlich wieder hochhob und das Zimmer mit ihr und dem Kleid verließ.

Die Flure waren mit wunderschönen Teppichen ausgelegt und an den Wänden hingen Wandteppiche, die alles Mögliche zeigten. Menschen, Drachen oder andere magische Wesen, aber auch wunderschöne Landschaftsbilder.

Zwischendrin waren Statuen, die so echt wirkten, dass es kaum vorstellbar war, dass jemand so etwas geschaffen haben sollte.

Stella ließ ihren Blick schweifen und stellte fest, dass der König einen ausgezeichneten Geschmack besaß. Die Farbwahl und Dekorationen waren so gut gewählt, dass sie wundervoll miteinander harmonierten und nicht wie ein Durcheinander aussahen. „Ihr wisst, dass ich laufen kann?“, fragte sie, ohne den Blick von den Teppichen an der Wand zu nehmen. Einer gefiel ihr besonders gut, denn er zeigte eine Landschaft mit einem schlafenden Drachen. „Und so interessant, wie Ihr glaubt, bin ich nicht.“

„Ich weiß, dass du laufen kannst, aber dein Bein ist noch verletzt und es soll ruhen, damit es heilt. Zumindest, bis mein Heiler es sich ansehen kann“, erklärte Draakon mit ruhiger Stimme. „Zudem bist du leicht und es macht mir nichts aus, dich zu tragen. Sonst rennst du weg.“ Mit diesen Worten betrat er einen Raum, der Stella die Sprache verschlug.

Es gab in der Mitte ein großes, in den Boden eingelassenes Viereck, in dem Wasser schimmerte. Die Wände waren mit Mosaiken aus kleinen, blauen Steinen verziert und Pflanzenkübel ließen den Raum irgendwie idyllisch wirken. 

Der jungen Frau entwich ein erstaunter, aber ehrfürchtiger Laut. Das hier war ein Paradies. Dampf stieg aus dem Viereck auf und zeigte Stella, dass das Wasser heiß war. Wie lange sie nicht mehr warm gebadet hatte, wusste sie gar nicht mehr. Es war selten gewesen, dass sie diese Art Luxus genossen hatte. „Jetzt würde ich garantiert nicht mehr wegrennen“, bemerkte sie mit leuchtenden Augen.

Draakon lachte. Es war ein klangvolles Lachen, das Stella gefiel. Vorsichtig setzte der König sie auf einen Hocker und hängte das blaue Kleid schließlich über einen Kleiderständer. „Zieh dich aus“, forderte er sie auf. Seine Stimme klang befehlend, aber auch sanft. „Dann kannst du dich im Wasser entspannen.“

„Vor Euch?“, fragte Stella entsetzt und zögernd. In ihrer Kultur durfte der Mann die Frau bis zur Hochzeit nicht nackt sehen. So war Stella erzogen worden und sie schien sich nicht damit anfreunden zu können, sich hier und jetzt vor dem König auszuziehen.

„Ja, vor mir. Ich möchte mir ansehen, ob du noch mehr Verletzungen hast“, sagte er und schien nicht gewillt, sie allein zu lassen.

Energisch schüttelte Stella den Kopf und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Nein. Es ist mir nicht erlaubt. Geht“, befahl sie ihm kühl. Ob er wohl erkennen konnte, dass sie sich schämte und auch Angst hatte?

Draakon lachte erheitert. „Du möchtest mir also etwas befehlen“, sagte er und wirkte belustigt, als er auf sie zukam und eine ihrer Haarsträhnen nahm, um diese zu küssen. „Du erinnerst dich aber schon noch daran, wer ich bin, oder?“

Von unten her warf Stella ihm einen Blick zu, der nicht einfach zu deuten war. War es Verachtung, Angst oder Überlebenswillen? Ihre Augen wanderten zu seiner Hand, die ihre Strähne hielt. „Ich werde mich nicht vor Euch ausziehen, bis wir verheiratet sind“, sagte sie stur.

„So, so“, meinte Draakon, der ihre Strähne wieder losließ. „Wenn du das so willst, dann werde ich das respektieren“, sagte er unerwartet und erhob sich. „Aber ich werde dir ein Dienstmädchen zur Seite stellen, damit sie dir hilft.“

Erfreut darüber, dass er nachgab, willigte Stella sofort ein. „In Ordnung“, sagte sie und fühlte sich siegessicher.

Er hob ihr Kinn. „Mach keinen Unsinn“, warnte er mit sanfter Stimme und seine Augen funkelten, bevor er ihr ein Stück näherkam. So nah, dass seine Lippen ihre fast berührten, doch dann zog er sich wieder zurück.

Hatte er etwa vorgehabt, sie zu küssen? Verwirrt einigte sich Stella auf ein Mittelding. Ihre Gedanken waren wirr und alles war so neu, weshalb sie es auf die Situation schob, dass sie nicht klar denken konnte. „Mache ich nicht. Jetzt raus“, befahl sie kühl und mit verschränkten Armen.

Draakon hob einen Finger. „Das wirst du hoffentlich niemals tun, wenn uns jemand zuhört“, warnte er, erhob sich aber, um den Raum zu verlassen.

Nur wenig später kam hektisch ein Dienstmädchen in den Raum. Sie trug ein Kleid in schwarz und mit weißen Akzenten. Zudem eine Kappe, die wohl ihre Haare halten sollte. „Fräulein“, grüßte sie und verneigte sich. „Ich bin Ria, Euer Dienstmädchen, solange Ihr hier seid.“

Stella lächelte zuerst schüchtern, bevor sie sich erhob. Beinahe hätte sie sich vor dem Dienstmädchen verneigt, aber sie unterdrückte den Instinkt gerade noch. Vermutlich würde es Ärger geben. Sie hatte nicht erwartet, dass sie ein Dienstmädchen haben würde, sondern dass Draakon einfach jemanden schickte, der ihr helfen sollte. „Es freut mich, dich kennenzulernen. Kannst du mir helfen, das Kleid auszuziehen?“, bat Stella freundlich. „Es ist am Rücken verschnürt.“

Das Dienstmädchen lächelte. „Ja, natürlich“, sagte sie sofort und kam auf die junge Frau zu, um ihr zu helfen.

Mit geschickten Fingern öffnete Ria die Schnüre und kurz darauf fiel das schlichte, braune Leinenkleid zu Boden. Sich vor einer Frau auszuziehen, war kein Problem, obwohl Stella lieber allein gewesen wäre. Dennoch hatten Draakon und sie einen Kompromiss getroffen und sie nahm sich vor, diesen Teil der Vereinbarung auch zu halten. „Danke“, sagte sie lächelnd und bewegte sich behutsam auf den Rand des Vierecks zu. Das leichte Stechen in ihrem Knöchel ignorierte sie. Es war normal und würde wieder vergehen. Zumindest redete sich Stella das ein. 

Ihr fiel beim Näherkommen auf, dass es eine Art Treppe gab, die hinunter in das Wasser führte, und das Viereck innen am Rand so etwas wie Bänke hatte, auf denen man sich niederlassen konnte.

„Passt bitte auf, es könnte heiß sein“, erklang die zögerliche Stimme des Dienstmädchens. „Sollte es Euch zu warm sein, werde ich mich darum kümmern, das Wasser zu kühlen“, informierte sie und holte bereits ein Handtuch hervor.

Stella nickte als Zustimmung, bewegte sich jedoch weiter, bis ihre Zehen das heiße Wasser berührten. Himmel, war das heiß! So heiß hatte sie noch nie gebadet. Dennoch schrie ihr Körper direkt danach, weshalb sie sich Stück für Stück weiter in das Wasser bewegte. Mit zusammengebissenen Zähnen gab sie keinen Laut von sich, sondern versuchte, sich an die Wärme zu gewöhnen. Tatsächlich gelang es ihr nach kurzer Zeit und Stella entspannte sich sichtlich, als sie sich auf einer der Bänke niederließ.

Man sah Ria an, dass sie etwas sagen wollte, doch dann schwieg sie und wurde unruhig, während sie Stella beobachtete. „K-Kann ich etwas für Euch tun? Wünscht Ihr etwas zu essen, während Ihr auf König Draakon wartet?“

„Danke, nein. Ich bin im Moment wunschlos glücklich“, seufzte Stella und legte ihren Kopf in den Nacken. Dann stieß sie sich vom Rand ab und legte sich auf den Rücken, um im Wasser zu treiben. Ihre langen, braunen Haare lagen wie ein Kranz um ihr Gesicht und rahmten es hübsch ein. Die Hitze bescherte ihr eine Gänsehaut, die angenehm war.

„König Draakon erwartet Euch danach im Speisesaal“, informierte Ria sie mit ruhiger Stimme und blieb weiterhin neben der Tür stehen.

Nur mühsam unterdrückte Stella ein Seufzen. Jetzt war sie ihn ein paar Minuten los, um sich zu erholen und sich selbst zu fragen, was hier gerade geschah, und schon hörte sie, wie er auf sie wartete. Hatte er nicht gesagt, sie sollte sich entspannen? So leicht war das gar nicht, wenn er etwas von ihr wollte. „Wie viel Zeit habe ich?“, fragte Stella und spürte, wie die Hitze sie müde machte. Wenigstens schien er nicht auf die absurde Idee zu kommen, sie noch einmal untersuchen zu wollen. Es reichte doch aus, wenn sie sagte, dass alles in Ordnung war.

„Solange Ihr nicht einschlaft und er mehrere Stunden warten muss, ist er in der Regel geduldig“, sagte Ria entspannt.

Das waren schöne Aussichten, weshalb Stella tatsächlich ihre Augen schloss und sich eine Weile einfach treiben ließ. Es war ruhig im Raum mit den Mosaikwänden. Stella ließ ihre Gedanken schweifen. Ob die Pflanzen hier für diese Art von Klima geeignet waren? Vielleicht brauchten sie viel Wärme und Feuchtigkeit, um so grün zu sein. Nach einiger Zeit entschloss sich Stella, sich zu waschen. Jedoch sah sie keinerlei Kräuterlösung, weshalb sie Ria danach fragte.

Diese knickste und ging an einen Schrank, der Stella bis dahin gar nicht aufgefallen war. Er schien zwischen den Pflanzen förmlich zu verschwinden. Dort holte Ria mehrere kleine Fläschchen hervor, die sie zu Stella brachte.

Verblüfft sah diese auf die angebotene Auswahl. Die Fläschchen waren in verschiedenen Farben und da Stella neugierig war, öffnete sie alle nacheinander und schnupperte an deren Inhalt. Schließlich entschied sie sich für eine hellrosa Flasche, denn der Inhalt roch verdächtig nach Rosenblättern. Ein Duft, den sie liebte, aber in ihrem Dorf hatte es nur wenige Rosen gegeben, denn sie brauchten viel Licht zum Wachsen. Zudem nahm sie eine grünliche Flasche, in der sie eine Kräuterlösung für ihre Haare vermutete. 

Mit einem dankbaren Nicken deutete Stella ihrem Dienstmädchen an, dass sie diese zwei Fläschchen wählte. Dann tauchte sie kurz unter, um ihre Haare völlig nass zu machen, und begann dann, sich zu waschen. Die Kräuterlösung verrieb sie großzügig, aber nicht zu viel in ihrem Haar, und widmete sich dann ihrem Körper. Es fühlte sich gut an, sich so ausgiebig zu waschen. Das konnte sie normalerweise nur, wenn sie hohen Besuch bekamen. Sonst hatte sie den meist kalten Fluss, der in den Velik Nyanja See führte, nutzen müssen, um sich halbwegs sauber zu machen.

„Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?“, fragte Ria höflich, aber nicht drängend. Einfach nur, als würde sie hilfreich sein wollen.

Einen Moment lang überlegte Stella und wollte dann wissen, wie das dunkelblaue Kleid beschaffen war. Sollte es Schnüre haben, brauchte sie garantiert Hilfe beim Anziehen.

Ria versuchte, es ihr zu erklären, schien aber nicht so genau zu wissen, was sie sagen sollte. „Es hat ein Korsett-Mittelteil“, erklärte sie zögerlich. Als würde sie nicht wissen, ob Stella damit etwas anfangen konnte.

Nachdenklich hielt die junge Frau im Waschen inne und sah Ria fragend an. Sie wusste nicht genau, was ein Korsett war, weshalb sie auf eine Erklärung ihres Dienstmädchens hoffte.

Diese zeigte ihr das Kleid und man konnte sehen, dass der Mittelteil des Kleides sehr elegant und edel wirkte. Am Rücken gab es Schnüre.

Neugierig beugte sich Stella über den Wannenrand und kam so näher heran, um es zu begutachten. Es sah so ähnlich wie ihr Leinenkleid aus, wenn man nur die Schnüre betrachtete. Schließlich nickte sie, obwohl ihre unausgesprochene Frage unbeantwortet blieb. „Ja, dabei werde ich Hilfe brauchen“, sagte sie und tauchte unter, um sich den Schaum aus den Haaren zu spülen. Kurz darauf kam sie prustend wieder an die Wasseroberfläche und stieg langsam die Treppen aus dem Wasser heraus. Leicht wankte sie, aber das war bei ihr normal, wenn sie wieder an Land ging. So war es auch, wenn sie im Fluss oder im See baden ging.

Ria lief sofort zum Handtuch und tauschte das Kleid damit, bevor sie mit diesem zu Stella kam, um sie abzutrocknen.

Geduldig hielt diese still, obwohl sie der Meinung war, das allein zu können. Aber die Zeit nutzte sie, um das hübsche Dienstmädchen eingängig zu betrachten. „Deine Augen sind schön“, stellte sie fest, um eine Unterhaltung anzufangen. Tatsächlich waren die hellbraunen Augen mit dem leicht gelblichen Schimmer atemberaubend.

Ria hielt für einen Moment inne, bevor sie Stella weiter abtrocknete. „Vielen Dank für das Kompliment“, sagte sie und senkte den Blick. 

Da sie sonst nichts dazu sagte, versuchte es Stella weiter und wollte wissen, wie alt sie war. Ria wirkte jung, vielleicht sogar in Stellas Alter. Ob sie hier Freunde finden konnte oder in die Einsamkeit verbannt sein würde? Ihr war zu Ohren gekommen, dass manche Frauen ihre Männer so gut wie nie sahen, weil diese ständig unterwegs waren.

„Ich bin sechzehn “, sagte Ria schnell und legte das Handtuch zurück, bevor sie das Kleid nahm, um Stella dabei zu helfen, dieses anzuziehen.

Vorsichtig schlüpfte sie in das samtige Kleid. War es Seidenbrokat? So leicht, wie es sich anfühlte, ging Stella davon aus. Sobald sie es über ihre Arme gezogen hatte, drehte sie sich mit dem Rücken zu Ria und hob ihre noch nassen Haare nach oben, sodass ihr Dienstmädchen zu schnüren beginnen konnte. „Ich bin knapp zwei Jahre älter“, bemerkte Stella und keuchte, als Ria das Korsett enger zog, damit es ordentlich saß. Musste es wirklich so eng sein? Sie bekam kaum Luft und spürte, wie ihre Brüste nach oben gedrückt wurden. Das war seltsam, denn ihr war beigebracht worden, nicht zu viel zu zeigen. Hier schien es genau andersherum zu sein.

Ria widmete sich intensiv diesem Part des Kleides und schloss es komplett, bevor sie die Schnüre zusammenband. „Es steht Euch sehr gut“, bemerkte sie mit einem Lächeln und holte dann aus dem Schrank eine Haarbürste. „Ich werde Eure Haare hochstecken.“

Stella nickte mit verzogenem Gesicht. „Muss es sein, dass ich kaum Luft bekomme?“, fragte sie keuchend und versuchte, ihren ohnehin schon flachen Bauch einzuziehen. Vielleicht lag es daran, dass ihre Hüften breiter waren als bei den meisten Frauen. In ihrem Dorf wurde das als Fruchtbarkeit angesehen, da Frauen mit breiteren Becken bei ihnen meist gesunde Kinder auf die Welt brachten. 

Mehrmals fuhr sie mit ihrer Hand über das Korsett, das sich sehr weich, aber auch steif anfühlte. Was sie am meisten störte, waren ihre Brüste, die aufreizend in die Höhe gedrückt wurden. Sie ließen ihr Dekolleté voller und hübscher aussehen. Das bemerkte Stella im Moment jedoch nicht, weil sie zu sehr auf das neue, ungewohnte Gefühl fixiert war. Es störte sie.

Ria kam um sie herum und fuhr mit ihren Händen über das Korsett. „Das ist so richtig“, bestätigte sie schließlich. „Sobald Ihr Euch etwas bewegt, wird es besser“, versicherte sie beruhigend. So richtig glauben konnte Stella das nicht. Dazu fühlte es sich zu eng an. 

Sehnsüchtig ging ihr Blick zu ihrem braunen Leinenkleid und ihren klobigen, braunen Schuhen. An sich gefiel Stella das dunkelblaue Kleid gut, aber es war zu eng geschnitten. Und ihre Schuhe würden nicht dazu passen, da war sie sich sicher. Zwar kannte sie Draakon nicht, doch irgendwie beschlich sie das Gefühl, dass sie auch Schuhe bekommen würde. Was hatte er eigentlich mit ihren wenigen Kleidern, die sie mitgenommen hatte, getan? Darauf hatte Stella nicht geachtet. Vielleicht lagen sie noch in dem Zimmer, in das er sie gebracht hatte.

„Setzt Euch bitte“, bat Ria und deutete auf den Stuhl. „Ich hole Euch passende Schuhe.“

Das wollte Stella gern, doch durch das Korsett hatte sie Schwierigkeiten, sich zu setzen. Zeigte es ihr etwa, dass sie bisher immer falsch gesessen hatte? Es hielt ihren Rücken gerade und drückte nach oben, was für Stella unangenehm war. Nach mehreren Versuchen schaffte sie es endlich, sich niederzulassen. Auf die Schuhe war sie gespannt. Hoffentlich verlangte Draakon nicht, dass sie in hohen Schuhen lief, denn das konnte sie gar nicht. Bei vielen Adligen hatte sie diese gesehen und es war ihr ein Graus, in diesen laufen zu müssen, obwohl sie es noch nie versucht hatte. Sie wirkten allerdings schon gefährlich und wackelig.

Ria verschwand kurz aus dem Zimmer und kam schließlich mit flachen Schuhen zurück. Sie waren genauso dunkelblau wie das Kleid und wirkten samtig. Zudem hatten sie Schnüre. Diese waren vergoldet und, wie Stella erkannte, waren kleine Blumen auf die Schuhe genäht worden. Wenn sie ehrlich war, hatte sie noch nie ein solch schönes Schuhwerk gesehen. „Die sind wirklich wundervoll“, staunte sie ehrfürchtig.

„Sie sind perfekt für das Schloss geeignet“, stimmte Ria zu und schnürte ihr die Schuhe.

„Warum?“, fragte Stella und spürte, wie perfekt sich diese an ihre Füße schmiegten. Woher wussten sie ihre Größe? Das war direkt unheimlich.

Auf Stellas Frage, warum die Schuhe im Schloss perfekt waren, antwortete Ria nicht. „König Draakon erwartet Euch“, sagte sie stattdessen sanft und verneigte sich leicht.

Da Ria nicht antwortete, stand Stella auf und nickte. „Wohin muss ich gehen?“, wollte sie wissen und sah an sich hinunter. Mit dem Kleid sah sie völlig anders aus. Ihre Haut war sauber und duftete nach Rosenblättern und sogar der Schmutz unter ihren Fingernägeln war verschwunden.

„Ich führe Euch zu ihm“, sagte Ria zuvorkommend und öffnete Stella die Tür.

Die junge Frau trat hinaus und wirkte, als hätte sie etwas getrunken. Vermutlich würde es einige Zeit dauern, bis sie sich an ein Korsett gewöhnt hatte. 

Schweigend folgte Stella ihrem Dienstmädchen, das sie durch die langen und verwinkelten Flure und Korridore führte. Zielsicher und ohne jegliche Schwierigkeiten. Seufzend stellte Stella fest, dass das Schloss riesengroß war. Hier würde sie sich wohl oft verlaufen. 

Anstatt sich zu beschweren, sog sie die neuen Eindrücke in sich auf. Alle Teppiche waren weich und verschluckten ihre Schritte. Ein Glück, denn so würde man sie nicht hören, wenn sie durch das Schloss streifen wollte. Die hohen Fenster ließen viel Licht hinein, doch man konnte sie mit dunklen Gardinen abdunkeln, wenn die Sonne zu stark war. Manche der Fenster waren sogar mit wunderschönen Bildern bemalt, die Licht hineinließen. Ein schöner Ort zum Wohnen. 

Schließlich blieb Ria stehen und verneigte sich kurz. Vor der Tür standen zwei Männer in Rüstungen, die Stella die Tür in einen Speisesaal öffneten. Stumm und scheinbar, ohne sie zu beachten. Es war gruselig, dass die Wachen sich so benahmen. Stella atmete, so tief es ihr möglich war, ein und betrat dann den Raum.

Dieser war groß und wurde von einem langen Tisch dominiert. Es war ein wirklich eleganter Saal, doch das Interessanteste waren die ganzen Speisen, die aufgetischt worden waren. Draakon saß scheinbar gemütlich und gelangweilt auf einem Stuhl am Tischende. Er war allein, was Stella sichtlich verwunderte. 

Mit gerunzelter Stirn sah sie sich um und überlegte, wie viele Gäste hier wohl Platz hatten. Der Geruch der Speisen bewies, dass die Lebensmittel hervorragend und teilweise wohl auch außergewöhnlich waren. Einige von ihnen hatte Stella noch nie gesehen. 

Hinter sich hörte sie, wie die Tür wieder geschlossen wurde, und sie allein mit Draakon zurückblieb. Ihre Hände faltete Stella sittsam vor sich und sah Draakon abwartend an. Was erwartete er von ihr?

Dieser zog mit einer Handbewegung einen Stuhl neben sich hervor und bedeutete ihr, dass sie sich setzen sollte. „Komm her“, befahl er, wobei seine Stimme ruhig klang.

Langsam näherte Stella sich ihm und sah ihn einen Augenblick an, bevor sie sich steif neben ihm niederließ. Sie knirschte mit den Zähnen, denn das Korsett drückte ihr die Luft ab. Klein beigeben würde sie jedoch nicht, weshalb sie vorsichtig lächelte.

Draakon musterte sie und grinste. „Das Kleid steht dir hervorragend“, sagte er zufrieden, bevor er mit den Fingern über ihre Wange fuhr.

Eigentlich fühlte sie sich durch sein Kompliment geehrt und doch wirkte es nicht richtig. Ihrer Meinung und Erziehung nach, sagten die Männer das nicht zu Frauen, wenn sie nicht zusammen waren. Oder sie hatte es bisher nie mitbekommen. Das war auch eine Möglichkeit. „Ich mag das Korsett nicht“, murmelte Stella und hielt bei seiner Berührung still. Wartete er etwa darauf, dass sie etwas Falsches sagte oder tat?

Sein Blick glitt über sie, als könne er durch das Kleid hindurchsehen. „Es ist ungewohnt. Das wird mit der Zeit“, winkte er ab, als wäre es ihm egal, ob sie es mochte oder nicht.

Schließlich zeigte er auf die Auswahl an Speisen. In der Mitte des Tisches stand ein riesiger Fisch, der etwa halb so groß war wie Stella. Er hatte eine lange Schnauze und gefährlich aussehende Zähne. Was für Fische nicht sonderlich typisch war. Doch es gab in den großen Seen einige dieser Tiere. Sie konnten gefährlich sein, da sie angeblich Menschen fraßen. Zudem galten sie als Delikatesse.

Bei dem Anblick erschauderte Stella. Appetitlich sah er auf den ersten Blick nicht aus, doch vom Fisch ging ein herrlicher, zitroniger Geruch aus. Musste sie etwa alles kosten, was hier auf dem Tisch stand? Oder erwartete Draakon noch Gäste? Bei der immensen Auswahl konnte sich Stella nicht vorstellen, dass man das alles essen konnte. Was wohl mit dem Rest geschehen würde? Misstrauisch wollte sie wissen, was das für ein Fisch war. Es sah aus, als würde er jeden Moment angreifen.

„Das ist ein Riba“, sagte der König schmunzelnd. „Er schmeckt wirklich gut“, behauptete Draakon und nahm ein Messer, um damit ein Stück abzuschneiden und es auf einen Teller zu legen, bevor er diesen Stella reichte.

„Er sieht gruselig aus“, murmelte sie und betrachtete das helle Fleisch von allen Seiten. Vorzüglich sah es aus und jetzt, wo sie den Teller direkt unter der Nase hatte, roch der Fisch sogar noch besser. Mit der Gabel machte sie sich ein Stück davon ab und probierte es. Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde es ihr nicht schmecken, doch dann lächelte sie zaghaft. Es schmeckte überraschend gut und sie gestand, dass der Fisch viel besser schmeckte, als er aussah.