Dramatisches - Siegfried Carl - E-Book

Dramatisches E-Book

Siegfried Carl

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Beschreibung

Neben Romanen scheinen Dramen, Theaterstücke, kurze Spiel-Szenen, Sprachmusik oder gar Libretti wie aus der Zeit gefallen. Und doch sind diese dramatischen Texte aus über drei Jahrzehnten kurzweilig, hintergründig und unterhaltsam - und überaus lesbar. Vom an Sophokles erinnernden antiken Tragödien-Fragment rund um Phaëton (das Thema der heutigen Klimaaktivisten in seinen mythischen Kontext gerückt) bis hin zum Sprechmusik-Stück einer Hymnen-Collage wider den Nationalismus reicht der Bogen, der historische-regionale und weltpolitische, religiöse und zutiefst menschliche Themen umspannt. Bis zum Bänkelsang, zu Projekten für und mit Kindern und einem boulevardesken Libretto für eine Cross-Over-Opera rund um die "Affaire Mayerling" führen die dramatischen Formen. Sehr spannend die Darstellung starker Frauen, die sich durch einige der Stücke und Szenen zieht; "Die letzte Party" ist beispielsweise ein modernes letztes Abendmahl mit 14 Frauen im muffigen Schwarzwaldtal kurz vor der 2000er Jahrtausendwende - unbedingt lesenswert. Sehr schön, dass uns der Autor in einem autobiografischen Vorwort in seine Bezüge und Zugänge zum Theater, zur Bühne und dem Spiel zwischen Realität und Fiktion blicken lässt, uns teilhaben lässt, wie der moderne Schriftsteller neben dem prallen Leben in anderen sozialen und beruflichen Kontexten immer wieder die Welt im Wort, im Vers, in der Szene und in größeren Handlungssträngen fiktional gestaltet, um aufzukären, Hintergründe gebrochen als Denkanregung anzubieten, oder um einfach nur zu unterhalten. Nach der "Herrenalb-Trilogie" (salamandra edition Bd. 7) - eine Mythenkomödie, ein spätmittelalterliches Weltgerichtsspiel und eine Kriminalkomödie aus der Weimarer Republik umfassend - fächert Siegfried Carl in diesem Band seine noch weiter reichende, auch in kleineren Formen wirkende und im Dienst der Musik stehende inhaltliche und formale Vielfalt auf.

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Dramatik entsteht aus der sich aufbauenden und entladenden Spannung und dem steten Widerstreit zwischen dem Apollinischen und dem Dionysischen!

den Wegbegleitern Barbara & Günther Angela & Peter

Inhalt

Vorwort

Alles nur Theater...?

Sonnengesang oder – Der Sturz des Phaëton

Mayerling Requiem einer Liebe

Tamagotchi oder – „Vergiss die Reset-Taste“

1875 Eine ganz und gar wahrscheinliche Begebenheit

Die letzte Party Ein endzeitliches Drama in einem endungslosen Akt

Der Schachzug oder – Das Bauernopfer

Die Rössleswirtin Bänkelsang aus dem Jahre 1797 in 5 Bildern

Der Schwabenspiegel Eine Szene im Garten des Weinsberger Kernerhauses

Der Regenbogen Karneval der Tiere auf der Arche Noah

Toleranzsonate Eine Hymnencollage in drei Sätzen

Anhang Zum Autor | Zur Werkausgabe | Historisches

Vorwort

Das Vorwort

Ein Wort von ganz besond’rer Sorte

zog’s vor, vor alle andern Worte

sich vorzudrängeln – breitzumachen,

um allgemein vorab die Sachen,

die all die spät’ren Worte sagen

zu kommentier’n, zu hinterfragen;

… und ganz bedeutend kommt’s sich vor dort,

doch ist es nur ein kleines Vorwort.

Hier kein übliches, erwartetes Vorwort, sondern eine ganz individuelle Näherung:

Alles nur Theater...?

Einige sehr persönliche, biografische Vorbemerkungen

Mit einem harten Griffel auf einer Schiefertafel quietschend erlernte ich das Schreiben, bis heute krakelt es handschriftlich. Nach einem Bundesland- und Schulwechsel von Hessen nach Baden-Württemberg war ich wegen meiner katastrophalen Rechtschreibung einer der schlechtesten Deutschschüler und durfte keine Aufnahmeprüfung auf’s Gymnasium versuchen; erst im Umweg konnte ich nach drei Realschuljahren mit einigen Problemen aber durch die Hilfen eines super Lehrers im Verbund mit meiner Mutter den Böblinger Schlossberg mit seinem kleinen Progymnasium erklimmen. Theaterstücke waren für mich eine unbekannt e Spezies der Literatur, vom Weihnachtsspiel in der Adventszeit einmal abgesehen.

Es war in den 60ern, deutlich vor der später prägenden 68er-Zeit; ich war in der Sekundarstufe und wir besuchten in der Sindelfinger Stadthalle eine Nachmittagsvorstellung für Schulen von Schillers „Die Räuber“ – mein erstes klassisches, für Erwachsene inszeniertes Schauspiel. Ich war begeistert; das wollte ich auch, auf einer Bühne vor Publikum in eine andere Rolle schlüpfen, um an einem fiktiven Exempel – so hätte es gewesen sein können... – mitzuwirken, das die Menschen berührt, gar aufwühlt, zum Mindesten zum Nachdenken bringt, und vielleicht auch erheitert, zum Lachen bringt und die Scheiß-Wirklichkeit für den Moment des Spiels ein wenig vergessen macht. Ich trat in die Theater-AG des Böblinger AEG ein und durfte als Lichas, dem Briefträger in Dürrenmatts „Herkules und der Stall des Augias“, meinen ersten und in diesem Stück einzigen Satz auf der Bühne sprechen. Wow! Es folgten weiter Rollen: Shakespeare, Brecht, Ionesko und als Höhepunkt vor dem Abi der Henkerssohn in René de Obaldias Einakter „Le sacrifice du bourreau“, „Das Opfer des Henkers“. Dass ich bei den Deutschland-Tourneen von „Anatevka“ mit Shmuel Rodensky und „Hair“ mit Reiner Schöne 1968/69 in der Böblinger Kongresshalle durchgängig als Beleuchter mitwirkte, in „Hair“ auch in diversen anderen Funktionen rund um die ausgeflippte Truppe, mag ergänzend erwähnt sein. Und natürlich immer wieder Besuche im kleinen Haus der Württembergischen Staatstheater, besonders nachdrücklich damals Wedekinds „Frühlings Erwachen“. Ich wollte ans Theater, Schauspieler werden – allerdings war schon das Äußern dieser Idee in meinem familiären Umfeld und in dem meiner Freundin ein Unding, Schauspieler? Braucht man wohl für’s Theater und im Film und sind da auch faszinierend; aber schau sie dir privat an: unseriös, unsittlich, verkommen – Sodom und Gomorrha. Heute würde man sagen: ein absolutes No Go! Und so wurde dann doch etwas ganz Anderes aus mir. Gute 25 Jahre später. Nach einem ausgedehnten Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte, mit mehrsemestrigen Ausflügen in die Musik- und Kunstgeschichte, nach drei Jahren an der Universität Stuttgart und 5 Jahren an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Germanistik/Mediävistik und einem Jahr als Geschäftsführer einer internationalen Festspielorganisation, mit einem Lehrauftrag in Spiel- und Theaterpädagogik, verschlug es mich als Volkshochschulleiter ins schöne Wildbad im Nordschwarzwald. Die intensive Beschäftigung mit diversen Theaterformen während des Studiums – von der Vaudeville und ihrer popularisierenden Rezeption im deutschen Boulevard-Theater bis hin zu Richard Wagners für mich stets literarisch problematischen Libretti aber grandiosen Musikdramen – wurde begleitet durch intensiven Besuch von Schauspiel (hinreißend Claus Paymanns „Faust“ – ganz nah an Goethes Text und doch hochmodern inszeniert, mit hervorragenden Akteuren) und Oper (den letzten vollständiger „Ring“ in der legendären Inszenierung von Wieland Wagner gesehen) der württembergischen Staatstheater. Dass ich als Festspiel-Geschäftsführer intensiv mit Andrea Breth in die Vorbereitung en einer letztlich scheiternden Inszenierung von Luigi Pirandellos „Die Riesen vom Berge“ involviert war, mag als Facette erwähnt sein. Frucht meiner wissenschaf tlichen Beschäftigung mit dem geistlichen und dem unter anderem daraus erwachsenden weltlichen Spiel vor allem im deutschen Mittelalter sind die kleinen und der größere Überblicks-Artikel über Spiel und Theater im „Sachwörterbuch der Mediävistik“ (herausgegeben von Peter Dinzelbacher im Kröner Verlag, 1992).

Ganz zu Beginn meiner Tätigkeit im Wildbad hatte ich eine winterliche spektakuläre Begegnung mit drei Grazien im Schnee, die mich zu einem Viertel Wein im späteren Proben-und Aufführungslokal der aus dieser Begegnung entstehend en Theatergruppe führte: in den Calmbacher „Birkenhof“. Barbara – eine der drei Grazien – wollte Theater spielen; und wie sich später herausstellte, war sie ein Naturtalent mit großer Ausstrahlung und Bühnenpräsenz. Die Theatergruppe nahm schnell unter meiner Leitung, begleitet durch einige kleinere Weiterbild ungen zur Theater-Arbeit mit Laien, die Arbeit auf. In Rainer Werner Fassbinder s „Bitteren Tränen der Petra von Kant“ – ja, der Verlag hat unserem Laienthea t er die Aufführungsrechte gegeben –, in Schillers „Stella“ – sehr textgetreu, sehr modern verlegt ins Sozialarbeiter- und Drogenmilieu im kleinen, historischen Bahnhofsgebäude in Wildbad inszeniert – und in einigen anderen großen und kleinen „Klassikern“ war Barbara die schauspielerische Mitte und wurde die Truppe eine feste Größe im Kulturleben der Region. Die Begründung meiner bis heute stattfindenden „Litterarischen Mittwochsgesellschaft“ – knapp 10 Jahre in Wildbad, seit 22 Jahren in Wiedenbrück –, germanistische Lehraufträge an der Universität Karlsruhe, der Aufbau und die dreijährige organisatorische Leitung des Opernund Musikfestivals „Rossini in Wildbad“ – in ekligen Polit-Querelen endend, das Festival hat bis heute Bestand – und darauf drei Jahre verantwortliche Mitwirkung an einem Rossini-Opernfestival in Putbus auf Rügen brachten weitere germanistisch-wissenschaftliche und theater-organisatorische sowie dramaturgische Erfahrung, ließen aber neben den oben genannten mediävistischen Theaterartikeln, einer stetigen lyrischen Produktion, und Essays sowie Lyrik-Zyklen für das Stadttheater Bremerhaven, wenig weiteren Raum zum Schreiben.

Es fehlte einfach die zündende Idee, welches publikumswirksame, für unsere Theatergruppe passende Stück als nächstes angegangen werden könnte, da wurden mir die Gerichtsakten über einen Mord in Verbindung mit unserem Proben- und Hauptspielort „Birkenhof“ im Jahr 1875 – durch Elmar, den Historiker im Birkenhof-Zirkel – zugänglich, der im Umfeld des Verdrängens der traditionellen Flößerei durch den Bau einer Eisenbahn stattfand. In meinem Kopf entwickelt en sich mit Blick auf die Lokalität, die mir zur Verfügung stehenden Akteure rund um Barbara und die Situation des industriellen Umbruchs oder besser Niedergangs in den Treuhand-dominierten, einverleibten östlichen Bundesländern, düstere, komische, hintergründige Szenen. Und so entstand nach den nie weiter ausgeführten früheren szenischen Entwürfen, nach ein paar kleineren Sketschen etc. mein erstes abendfüllendes Stück „1875 – Eine ganz und gar wahrscheinliche Begebenheit zu Calmbach“, das mit Barbara als Wirtsfrau Emma Dürr in einer der tragenden Rollen ein großer Erfolg wurde.

Seither schreibt Siegfried Carl Stücke, szenische Texte, die einen Höhepunkt im „Teufel von Herrenalb“, „Alva & Aquarius“ und „Ein Mordsommer im Albtal“ – der sog. „Herrenalb-Trilogie“ (2021 publiziert als Bd. VIII der „salamandra edition“) – hatten, die um die Jahrtausendwende von 1999-2001 in drei grandiosen Aufführungszyklen mit jeweils über 3000 Besuchern vom „Sommernachts-The ater“ Bad Herrenalb semiprofessionell uraufgeführt wurde. Aber das ist schon der dramatische Gipfel und Übergang zur nächsten Phase meiner Theaterbiografie, in den auch das erste Libretto „Tamagotchi – oder – vergiss die Rest-Taste“ fiel, ein neuer Text zu einer schon vorhandenen Kinderoper meines Musiker- und Komponisten-Bruders Joschi.

Und dann die letzten 20 Jahre im nördlicheren Deutschland, vom August 2000 bis zum Juli 2020 im malerischen Rheda-Wiedenbrück als Leiter der Volkshochschule Reckenberg-Ems. Diese feierte 2002 ihr 25jähriges Bestehen mit einem Festakt und – weil es traditionell auch hochkarätige klassische Konzert im Programm gab – mit Festmusik für Sopran, Klavier und Orchester. Mit dem Pianisten Peter und seiner Lebensgefährtin, der Sopranistin Angela, aus Dortmund verband mich schnell eine Künstlerfreundschaft. Nachdem Peter (als Ricardo Urbetsch) eine Lyrik-Zyklus „Carpe Diem“ aus meinen „Sentenzen“ vertonte und mit Angela in privatem Rahmen aufführte, und wir gemeinsam den Maler-Koch Franz in seinem Restaurant Schloss Schwansbell aufsuchten und bei guten Havanna-Zigarren völlig verquere Gedanken zu einem Oper, Boulevard-Komödie und Musical mischenden Schloss-Event fabulierten, entstand die Idee zu „Mayerling – Requiem einer Liebe“. Franz zog mit seinem Genusstempel ins Schloss Nordkirchen, mit der Möglichkeit, im ehemaligen Jagdschloss, der Oranienburg, ein solches Spektakel zu verwirklichen; ich hatte Spaß, ein auf die klassische Dreiecksgeschichte reduziertes, gereimtes holzschnittartiges Melodram rund um Herz, Schmerz, Liebe; Lust und Leid zu schreiben; und Peter skizzierte die ersten Melodien, baute sie aus und wir bekamen an gemeinsamen lukullischen Abenden musikalische Kostproben von Angela – ihr wurde mit der Mizzi eine Paraderolle geschrieben – und Peter serviert. Am Valentinstag 2006 hatte „Mayerling“, durch Franz und seine Hanna produziert und von einem kleinen aber feinen Künstlerensemble realisiert , unter meiner Regie Premiere. Ach ja, kurz vor dem Beginn ihrer großartigen Schauspielerinnen-Karriere tanzte Aylin Tezel mit ihrer älteren Schwester Ilkay im Opium-Tanz von „Mayerling“.

Mit diesem ungewohnten Ausflug ins gehobene Musik-Boulevard-Theater war ich in Nordrhein-Westfalen ganz angekommen. In der Folge entstand neben vielen Gedichten weiterhin der eine oder andere dramatische Text. Derzeit arbeite ich an einer Kombination aus Singspiel und Theaterszenen rund um Richard Wagners Frauenreigen im Züricher Asyl – das braucht allerdings noch seine Zeit, zuerst will noch meine lyrische Annäherung an Nikolaus Lenau (aus der eine Szene in Kerners Weinsberger Garten hier mit aufgenommen ist) fertig werden – beide, Wagner und Lenau, bedürfen intensiver aber lustvoller Recherche.

Lyrik und Dramatik – viel Vers, Rhythmik, Wortklang sowie Bilder und Metaphern, und weniger Prosa, nur da, wo sie notwendig ist – sind meine schriftste llerischen Ausdrucksformen. Sie sind im engen Sinn Poesie und der eigentliche Beruf des Dichters; auch wenn dies schon seit gut 250 Jahren nicht mehr selbstverständlich ist, wie schon Friedrich Hölderlin mit einem Blick auf den im Titelbild dieses Bandes apostrophierten Apoll, den Gott der Künste, anmerkte:

Die beschreibendePoësie

Wißt! Apoll ist der Gott der Zeitungsschreiber geworden

Und sein Mann ist, wer ihm treulich das Faktum erzählt.

Viel Vergnügen beim dramatischen Lesen wünscht Rüdiger Krüger, im August 2022.

Sonnengesang

oder

Der Sturz des Phaëton

Ein attisch-antikes, tragisches Szenario mit drei Spielern und Chor

[Oratorium | Musik von Ricardo Urbetsch]

Michelangelo Buonarroti: Der Sturz des Phaëton, 1533, schwarze Kreide, 41,3 × 23,4 cm, Royal Library, Windsor.

Die Rollen:

• Helios [lat. Sol, Sonnengott]

• Selene [lat. Luna, Mondgöttin]

• Eos [lat. Aurora, Göttin der Morgenröte]

• Chor der Götter [der griechische [römische] Götterhimmel – Olymp]

Musikalische [Wunsch-]Besetzung:

Klavierquintett,

kleiner gemischter Kammerchor,

Sopran, Alt und Sprecher

[instrumentale Darstellung des Sturzes]

Sturz des Phaëton

Chor der Götter

Oh Phaëton – dein ungestümer Überschwang

bringt Feuer, Frost, Entsetzen – Untergang…

Den Göttern Trauer – dem Menschen Not,

dir den früh beweinten Tod.

Klage des Helios und der Götter

Helios

Sohn, ist dies der Lohn, den Du dem Vater gibst?

Der Dir Vertrauen schenkt – der Dich sein eigen nennt,

sein eigen Fleisch und Blut. Der Deinen Mut erkennt

und der Dir alles gibt: Macht über Wagen und Gespann,

Macht über Himmel und Erde. Doch Du, Sohn, stürzest Dich –

den Sonnenwagen, ungelenkt, ins Erdenchaos…

Darum beweine ich den Tod, – Deinen Tod!

wie den eignen. Ach, wär ich an Deiner statt

gestürzt, vernichtet, tot – Qual der Unsterblichkeit…!

Chor der Götter[mit Eos und Selenne]

Oh Jugend außer Rand und Band

in Hybris, machtgeil – Unverstand.

Wehe! Wehe! Drei Mal Weh!

Helios

Bedingungsloses Wunscherfüllen, Dir, mein Sohn,

nur zum Beweis, dass Helios Dein Vater sei.

Bedenkenlos, wohl wissend, Phaëton ist zu jung,

zu unerfahren noch, der Pferde wilde Kraft

zu bändigen… Aus vaterstolzer Eitelkeit

nahm ich in Kauf – die wilde Fahrt, den Sturz, den Tod.

Nun nur noch Jammern, Klage eines alten Gottes…

Chor der Götter[mit Eos und Selenne ]

Oh Katastrophe – Weltenbrand!

Nur Feuer, Flamme – Wüstenland.

Wehe! Wehe! Drei Mal Weh!

Helios

Das Erdenchaos, Welt in Flammen, Städtebrand,

und die Natur, versengt, verdurstet und verdorrt,

der Menschheit Leid, der Greise, Mütter, Väter, Kinder

Tod – dies Erdenchaos, Sohn, der Hybris Lohn,

zwingt Götter in die Knie. Es trauert der Olymp…

Chor der Götter [mit Eos und Selene]

Oh Nacht, in der die Welt verschwand:

Es rieselt durch die Uhr der Sand…

Wehe! Wehe! Drei Mal Weh!

Helios

Nymphen errichten Dir ein Epitaph, mein Sohn,

Und schreiben, dass Du starbst als Held, der zwar versagt,

doch Größeres als andre Sterbliche gewagt!

Chor der Götter [mit Eos und Selene]

Oh Helios! Schluss mit der Schand’.

Nimm fest die Zügel in die Hand!

Gehe! Gehe! Und besteh!

Trauer der Schwestern

Eos[Rezitativ]

Schau des Bruders Trauer, Schwester, schaue,

dieser Jammer, klagend, diese Schmerzen,

Selene[Rezitativ]

Die umwölkte Stirne, einstens herrlich

stolz, und voller väterlicher Würde.

Eos und Selene[Duett]

Wir betrauern deines Sohnes, Bruder,

Phaëtons Sturz, die Düsternis der Himmel,

und die Not der Menschen auf der Erde,

Kälteschock und Feuersbrunst erleidend,

in die Finsternis der Nacht geworfen.

Helios

Ihr Schwestern, wo ist unser Vater? Hyperion,

die Mutter Theia, um mit uns das Klagelied

um Phaëton anzustimmen; zu der Saiten Klang

den Jüngling zu beweinen, der stürzend zu früh starb,

eh er gereift zum Mann, eh ich mit viel Geduld

ihn hingeführt zur Kunst als Meister des Gespanns,

eh ich die Vaterliebe liebend ihm gezeigt.

Eos[Rezitativ]

Der ungestüme Mann, dem die Erfahrung

mangelt, blind von Tatendrang beflügelt,

Selene[Rezitativ]

der sich in Kriege stürzt und der die Erde

sich unterwerfen will, ist selbst geworfen.

Eos und Selene[Duett]

Wir mit ihm dem Chaos übergeben;

Dunkel, nimmer Tag –nur ewig Nächte.

Ausgesetzt der Finsternis, der Öde;

Freudenlosigkeit wo einst des Singens

Raum, wo uns der Liebe Wonnen lachte.

Helios

Die Vaterliebe trat zurück, der Vaterstolz

gab mir den falschen Rat – ach hätt’ ich doch die Macht

zu wenden die zutiefst unnütze Todestat;

oh Nemesis, wie gleichst Du Deiner Mutter Nacht!

Nun scheint mir selbst genommen alle Kraft und Macht

die Pferde anzuspannen, um das Sonnenlicht

wieder zu breiten über Flur und Mensch und Tier.

Selene[Rezitativ]

Auch mir die Macht genommen, mit des Mondes

Silberglanz der Kreatur zu leuchten…

Eos[Rezitativ]

Auch ich kann nimmer Aug und Herz erfreuen,

als Morgenröte Helios’ Ankunft künden…

Selene[Aria]

Wo, oh Bruder, Schwester, ist der Himmel

Raum, wo kann ich meine Bahnen ziehen,

und der Gezeiten Meeresstrom bestimmen,

den Menschen Fruchtbarkeit und Nahrung bringen?

Wann endlich ist der dunkle Bann gebrochen,

der den Kosmos im Bestand bedrohend

uns geraubt des Lebens frohe Freude?

Eos[Aria]

Das Herz zerriss, als mir vor Troja Memnon,

der Sohn, in den zu frühen Tod geworfen

durch Achill im off’nen Kampfgetümmel.

Und wieder müssen meine Tränen weinen,

weil hier ein Sohn im Ungestüm der Jugend

aus dem Gleichgewicht die Götterordnung

wirft – wann endlich kommt ein neuer Morgen?

Helios[Musik im Hintergrund]

Stumm neige ich das Haupt, ergebe mich dem Schicksal.

Denn keiner kann die Macht des Schicksals wenden,

kann der Moiren Fäden – zart gesponnen – reißen.

Wir müssten gar Unsterblichkeit beenden,

wenn Atropos und ihre Schwestern uns beweisen,

dass unsre Macht beschränkt durch eine höhere ist!

Chor der Götter[wie in der Klage des Himmels!!!]

Oh Sohn, vom Vater erst erkannt,

und schon dem Hades anverwandt.

Leiden, Leiden – großes Leid!

Ratschluss der Götter

Eos und Selene[Duett]

Doch muss die Menschheit endlich wieder leben

und in der Götterwelt muss Freude siegen!

Ja, in der Götterwelt muss Freude siegen,

so kann die Menschheit endlich wieder leben…

Und Sonnenfarben werden freudvoll tönen;

die Menschheit mit der Götterwelt versöhnen.

Chor der Götter

Sonne – endlich Wärme, Sonne – endlich Wärme.

und ewig Leben…

Sonnenseligkeit – wo jetzt nur Trauer herrscht,

dass endlich Liebe, dass uns der Liebe Wonne wieder lacht,

dass endlich Freude, endlich uns die Sonne wieder Freuden macht.

Eos und Selene[mit dem Chor]

Endlich wieder Sonne, endlich wieder Wärme

und ewig Leben…

Sonnenseligkeit – wo jetzt nur Trauer herrscht,

dass endlich Liebe, dass uns der Liebe Wonne wieder lacht,

dass endlich Freude, endlich uns die Sonne wieder Freuden macht.

Helios[sehr verhalten, noch zögernd]

Das Wehe scheint vorbei, das Unheil überwunden,

nun kann die Menschheit, kann die Götterwelt gesunden.

Der Sturz, der Tod des Sohnes ist beklagenswert,

doch in der Klage hat er Kenntnis uns beschert:

Es kann nur eine große Tat gelingen,

wenn wir die bösen Triebe niederringen,

die uns beständig hin zum Unglück zwingen

und uns nur Trauer und Verzweiflung bringen.

Drum schnell mit willensfester Hand

die vier Pferde eingespannt,

und mit lichterfüllten Tagen

Wärme spenden im Sonnenwagen…

Freude des Himmels – Sonnengesang

[Musik setzt ein – thematisch an den Sturz erinnernd]

Helios[gesprochen zur Musik]

Noch herrscht Dunkelheit, ist Nacht,

doch nun gilt’s der Schwester Mond

milde leuchtend zu bescheinen;

später dann die Götterpracht,

die in hohen Himmeln wohnt,

mit der Menschheit zu vereinen.

Selene[Aria]

Wärmend strahlt des Bruders Wagen,

spendet mir den milden Schein;

hilft die Trübsal zu ertragen,

löscht der Menschheit Leid und Pein.

Lang, zu lange war es dunkel,

wütet Feuersbrunst und Tod;

silbrig unterm Sterngefunkel

hat ein Ende alle Not.

Chor der Götter

Enden nun der Menschen Nöte?

Mondes Strahlen, hell und kalt,

künden schon die Ankunft – bald –

glutvoll naht die Morgenröte.

Helios[gesprochen zur Musik]

Dass dies Leid ein Ende nimmt

und die Liebe wieder herrscht,

dies sei unser einzig Streben;

dass die Hoffnung wieder glimmt,

die im Dunkel eingepfercht,

Lust und Liebe, Licht und Leben.

Eos[Aria]

Von des Bruders Feuerwagen,

darf ich zart errötet sein,

meine rote Fackel tragen,

küssen mild den lichten Hain.

Lerchen steigen in die Lüfte,

Fische regen sich im Meer,

Rosen öffnen sich und Düfte

locken Schmetterlinge her.

Chor der Götter

Sonne sanft die Kraft entfaltet

golden aus dem Morgenrot,

lindernd düstrer Menschen Not;

leuchtend über allem waltet.

Helios[gesprochen zur Musik]

Lauft ihr Pferde, zieht nur zieht,

dass der dunkle Schleier flieht,

Licht und Wärme wieder walten.

Nach der Katastrophe muss

zärtlich Aphrodites Kuss

Leid in Liebe umgestalten…

Eos und Selene[Duett]

Seht die Pferde, seht den Wagen,

Licht der Sonne, klar und rein,

gibt die Antwort letzter Fragen

über Leben, Tod und Sein!

Tiere, Pflanzen, Menschenleben,

alles auf dem Erdenrund,

ist durch Sonnenlicht gegeben,

lebt durch Wärme Stund’ um Stund’.

Chor der Götter mit Eos und Selene

Und es raunt die Rosenblüte

was der Regenbogen meint:

dass der Menschheit ewig scheint

Sonnenlicht – und Göttergüte!

Mayerling

Requiem einer Liebe

Eine musikalische Schmonzette in 5 Szenen um Liebeslust & Liebesleid Liebesrausch & Liebestod

[CrossOverOpera | Musik von Ricardo Urbetsch]

Die Rollen

• Erzherzog Rudolf (Kronprinz / 21.8.1858/Laxenburg – 30.1.1889/Mayerling) drittes Kind, einziger Sohn von Prinzessin Elisabeth von Wittelsbach (Sisi) und Erzherzog Franz Joseph von Habsburg, dem späteren Kaiser Franz Joseph I. Im Gegensatz zu seinem Vater war Rudolf republikanisch und liberal gesinnt und den modernen Strömungen aufgeschlossen, daher hatte er große Spannungen mit dem Kaiser. Rudolf flüchtet in zweifelhafte Vergnügungen mit Alkoholund Rauschgiftexzessen und zahllosen Geliebten. Seit 1881 verheiratet mit Prinzessin Stephanie von Belgien, mit der er eine Tochter (Elisabeth) hat. TENOR

• Baroness Maria Alexandrine Freiin von Vetsera, genannt Mary (19.3.1871/Wien – 30.1.1889/Mayerling) – letzte (seit 2.11.1888) Geliebte des Erzherzogs Rudolf, sie wurde diesem von Marie Louise Gräfin Larisch-Wallersee (adelige Kupplerin! ihr Leben ist Vorlage für E. Kálmáns Operette „Marinka“ 1945, Libretto: K. Farkas) zugeführt. Maria Vetsera war eine Pferdenärrin, vier ihrer Onkel waren berühmte Reiter und durch ihre häufige Anwesenheit auf den Turfplätzen Europas bekam sie den Spitznamen „Turfengel“. Erstmals gesehen hat Mary ihren Kronprinzen wohl beim Frühjahrsrennen 1888 in Wien. MEZZO-SOPRAN

• Mitzi Kaspar (28.9.1864 – 29.1.1907) langjährige Geliebte des Kronprinzen. Sie – die sich selbst mit der Berufsbezeichnung „Hauseigentümerin“ belegte, aber wohl als „Edelprostituierte“ bezeichnet werden darf – hatte ein sehr enges Verhältnis zu Rudolf; er vertraute ihr intimste Gedanken politischer und persönlicher Art, auch über seine diversen Liebschaften, an. Sie stand allerdings auch als Spitzel in Diensten der Staatspolizei und gab das ihr Anvertraute postwendend weiter. Die letzte Nacht in Wien, am 27.1.1889, verbrachte der Kronprinz bei ihr. SOPRAN

• Josef Bratfisch (26.8.1847 – 16.12.1892) Leibfiaker des Kronprinzen; er war Vertrauter Rudolfs, diesem treu ergeben und in die amourösen Abenteuer eingeweiht. Er führte Rudolf so manche seiner Liebschaften zu, brachte Mary am 28. Januar zunächst in die Wiener Hofburg und dann nach Mayerling und war wohl als einziger in der Todesnacht im Jagdschloss. (Ob auch Rudolfs Kammerdiener in der entscheidenden Nacht auf Mayerling war, ist fraglich). Der Fiaker Kutscher war auch als Sänger und Kunstpfeifer bekannt. SCHAUSPIELER/BARITON

• Zwei Tänzerinnen und ein Tänzer, die im „Opiumtanz“ den Erzherzog sowie die diversen Frauenfiguren verkörpern.

Zwei Seelen wohnen mir, ach! in der Brust: Hier wilde Todesgier – und dort: nur Lust, unendlich Lust...

Mayerling – Text

Vorspiel:

Josef Bratfisch sitzt unruhig auf einem Stuhl, neben ihm ein Tisch mit einigen Papieren, die er ungläubig durchstöbert. Bratfisch scheint sich in einem Verhör, einer Befragung zu befinden; seine dürftigen und zumeist subjektiven Aussagen werden in den jeweils folgenden Szenen mit Leben gefüllt, quasi objektiviert.

Bratfisch ist im Folgenden (fast) immer auf der Szene, indem er das Bühnengeschehen ungläubig begafft, belacht, kopfschüttelnd und immer aufmerksam verfolgt...

Bratfisch[blättert während der einleitenden Musik in den Papieren; schaut fahrig auf, nach einem kurzen Moment rafft er sich zusammen; mit kräftiger Stimme]:

Herr Kriminalpräsident, ich sag gern aus,

weil die Wahrheit will, die Wahrheit muss raus.

Ich sag euch, was ich weiß, weil ich ihn kenn:

er war vom Scheitel bis zur Sohle: ein Gentleman.

[er winkt ab und lacht]

Seine Weibergeschichten, ich weiß schon...gut, gut...

er war ein Vulkan, hatte feuriges Blut.

Und die Frauen himmelten ihn an,

er war halt in jeder Hinsicht: ein Mann.

Das Ehebett blieb leer und kalt,

Prinzessin Stephanie wurde alt,

denn Rudolf suchte seine Lust

in Mitzis Schoß, an üppiger Brust.

Das Bett von der Mitzi war noch ganz warm,

da lag er schon seiner Mary im Arm;

die war sein Schatz und ihr feuriges Blut

tat dem lebensmüden Kronprinzen gut.

Das Licht erlischt, Bratfisch sitzt im Dunklen. Langsam gewinnt das Schlafgemach auf Schloss Mayerling im Halbdunkel Kontur. Ein großes schräg gestelltes Bett mit weißem Damast-Bettzeug nimmt die zentrale Stellung ein, auf einem Beistelltisch steht eine Vase mit einem Strauß tief roter Rosen.

1. Szene: Liebessehnsucht – am 28. Jänner 1889

Zunächst tritt, elegant aber beinahe ein wenig verschüchtert, Mary ins einfach eingerichtete aber sehr stilvolle Schlafgemach im Jagdschloss Mayerling. Sie bekennt ihre Liebe zum Kronprinzen, ihrem Märchenprinz. Der später stürmisch eintretende Rudolf umschwärmt sie galant und die beiden stürzen sich nach einem anfänglichen Zerwürfnis aus Eifersucht Marys in eine zärtlich-innerliche Umarmung.

Mary[während sie sich in der für sie unbekannten Umgebung umschaut]:

Wie ist mir so seltsam, so innigst zu Mut,

wenn Rudolf nur wüsste, wie sehr ich ihn liebe;

ich hoffe, ich wünsch mir, es wird alles gut;

denn alles was zählt, ist nur unsre Liebe.

[leiser und schmerzlich]

Tief in meinem Herzen glimmt sie, die Glut.

Sie wärmt mein für Dich nur pulsendes Blut.

Sie hält inne und tritt an eine Vase mit einem wunderbaren Strauß tief roter Rosen. Langsam zieht sie eine der langstieligen roten Rosen aus der Vase und riecht zart daran. Später zupft sie dann – fast ekstatisch ihre Liebe gestehend – ein Blatt nach dem anderen von der Rosenblüte ab und wirft die Blätter auf die unschuldig weiße Daunendecke des großen wuchtigen Bettes.

Mary[sehr innig]:

Diese Rose ist ein Symbol unserer Liebe,

sie blüht und sie glüht, wie mein pochendes Blut.

Mein Rudolf, mein Leben, spürst Du meine Liebe,

und ist Dir bewusst, wie gut sie Dir tut.

Da ist nichts mehr, nur noch die Liebe,

sie spült uns ins Nichts, wie die mächtigste Flut.

wenn er mir im Herzen ruht...

Rudolf ist beim Entblättern der Rose unbemerkt ins Zimmer getreten und hört mit innerer Bewegtheit die Liebesbeichte der Geliebten. Langsam tritt er von hinten an sie heran und umarmt sie.

Rudolf[voller Inbrunst, beinahe mit einem Hauch von Abhängigkeit]:

Oh Mary, liebste Maria,

wie spür ich, wie fühl ich, wie sehr Du mich liebst;

mein Schatz, meine wunderbare Maria,

wie sehr ich das brauche, was nur Du mir gibst.

Geliebte, Du, einzig wahre Maria,

wie wünsch ich mir, dass Du mein ewig bliebst...

Zunächst schmiegt sich Mary an Rudolf, doch schnell zuckt sie zusammen, die Stimmung ändert sich, wird frostig. Sie schiebt ihn verzweifelt von sich. Man spürt ihren Schmerz, ihre Traurigkeit, ja ihre Verzweiflung, die etwas anderes als reine Eifersucht ist...

Mary[entwindet sich ich, schubst ihn von sich auf das Bett und schaut ihn vorwurfsvoll an]:

Du warst bei Mitzi!

Du kommst von Mitzi!

Du riechst nach Mitzi!

Rudolf[erhebt sich aus dem Bett, hält ihrem vorwurfvollen Blick stand, er ist sich keiner wirkli-

chen Schuld bewusst]:

Ich muss Dir gestehn, ich komm grad von ihr,

doch das ist etwas völlig andres als mit Dir...

Denn ich bin Dein, und Du gehörst zu mir!

Mary[unterbricht ihn verzweifelt, ungläubig sich abwendend, heftig]:

Du sagst, Du liebst mich,

doch Du betrügst mich...!

Was ist Dir Mitzi??

Rudolf[immer noch mit Abstand zu ihr, erst eindringlich, dann sehr zärtlich]:

Mitzi ist mir die Flucht, die Flucht aus dem Leben

des Hofes, der Falschheit, der Habsburgerei,

Mitzi kann nur ihren Körper geben,

da ist kein Herz, und keine Liebe bei.

Denn ich bin Dein, und Du gehörst zu mir!

Er nimmt ihre Hände, schaut ihr fest in die Augen. Sie hört, was sie hören will, und sie glaubt ihm, glaubt an ihn. Der folgende Text Rudolfs ist gesprochen und verschränkt mit den dann von Mary gesungenen Zeilen

Du meine Mary, Du bist mein Leben,

Du bist die Überwindung der Not;

Dich nur hat mir ein Gott gegeben,

Dich lieb ich bis in den endlichen Tod.

Mary[sie umarmt ihn voller Inbrunst]:

Wie ist mir so seltsam, so innig zu Mut,

wenn Du doch nur wüsstest, wie sehr ich Dich liebe;

ich hoff und ich wünsch mir, es wird alles gut;

denn was für mich zählt, ist nur unsre Liebe.

[sehr innig und zärtlich]

Im Herzen sprüht auf zur Flamme die Glut;

es flackert und singt mein rauschendes Blut...

Bratfisch[augenzwinkernd zum Publikum]:

Das ist nicht anders als bei Kunz und Hinz: [er deutet ins Publikum]

Die Kleine ist verknallt in ihren Prinz.

Sie ist ganz scharf auf seine starken Lenden

Und will getragen sein auf kaiserlichen Händen.

Mary & Rudolf[in innigster Umarmung, sehr zart]:

Wie schön, wunderschön, hier beieinander zu sein,

von keinem gestört, nur wir zwei allein.

Die Welt bleibt da draußen im lauten Wien;

und was uns noch gestern unwirklich schien,

hier ist es wahr, hier wird es Gestalt,

auf Schloss Mayerling im Wienerwald.

Hier sind wir ein Paar, endlich zu Haus!

Wir werden alle Ewigkeit zusammen stehn.

Hier sind wir ein Paar, endlich zu Haus!

Wir werden das Mysterium der Liebe sehn

und gemeinsam in den Tempel der Venus gehn.

Sie bleiben zärtlich eng umschlungen stehen, küssen sich während die Musik noch im gleichen zärtlichen Gestus verweilt, um dann mit dem Licht langsam zu ersterben.

Zwischenspiel:

Das Verhör geht weiter und man kommt anscheinend auf das Jahre andauernde Verhältnis des nach außen gut verheirateten Kronprinzen mit der Wiener Edelprostituierten Mitzi Kaspar zu sprechen, die zugleich dem kaiserlichen Geheimdienst über all ihre Treffen mit dem Kronprinzen und seine mündlichen Äußerungen berichtete.

Bratfisch[sehr leutselig, er ist sich seiner Stellung als intimer Vertrauter des Kronprinzen und

Kenner der Hintergründe der Affäre wohl bewusst]:

Ja, ja, die Mary, – sein großes Glück;

Da war die Mitzi ein ganz andres Stück.

Natürlich hab ich ihn auch in der nämlichen Nacht

im Fiaker zu seiner Mitzi gebracht.

Die bot ihm die üppigsten Reize feil,

da wurde der Kronprinz ganz rossig, geil...

Es war ihm sicherlich nicht bewusst

dass ihn die Mitzi so hinterging.

Sie schenkte ihm die höchste Lust,

während sie ihm an den Lippen hing;

und er plauderte alles, alles aus,

was er vorhatte im Kaiserhaus,

wie er dachte über die Republik

und was der Adel erwarten muss,

wenn endlich das Habsburger Geschick

ihm geschenkt ist. Den ganzen Verdruss

über den Kaiser, die Monarchie,

gestand er ihr. Er hätte nie

geglaubt, dass seine Mitzi, die Hur,

ihn hintergeht, der Geheimpolizei

alles berichtet, jede Spur

haarklein, selbst die Liebesstammelei...

Das Licht erlischt, Bratfisch sitzt im Dunklen.

2. Szene: Geständnisse und Liebeslust – am 27. Jänner 1889

[Ein wundeschön ausgestattetes Wiener „Boudoir“, ein kleiner Tempel aller verbotenen erotischen Lüste, Wünsche und Träume.]

Ein großes, schräg gestelltes Bett mit blutrotem Bettzeug symbolisiert den Lusttempel. Mitten drin sitzt/liegt in einem aufreizenden Negligee und üppigen Morgenrock, mit hochhackigen Pumps, schwarzen Seidenstrümpfen und rotem Strumpfband Mitzi, eine Edelprostituierte. Und sie weiß den schwermütigen, lebensüberdrüssigen Kronprinzen aufzuheitern und schlussendlich zu einem sexuellen Abenteuer zu verführen.

Mitzi[lasziv und kokett, fast ein wenig übermütig]:

Ich könnte jeden haben, immer überall,

aber der Rudolf ist mein bester Hengst im Stall,

er ist stark und wild, so ganz und gar mein Fall!

Er nennt mich zärtlich „Mitzi, meine kleine Hur!“

seit er mich kennt erlebt er hier Erotik pur.

[sie schaut sich um und lacht kokett und aufreizend]

Nie ist er pünktlich, so wie heut, wo bleibt er nur?

[sie denkt sich wollüstig in die kommende Liebesbegegnung, nimmt spielerisch ein Reiterpeitsche

in die Hände]

Ich muss ihn haben, brauch ihn, will ihn zart berühren,

und nach den Regeln meiner Liebeskunst verführen.