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"Leben und Lassen" bringt überwiegend streng formgebundene Gedichte (Sonette, Kanzonen, diverse Reim- und Strophenformen etc.), die sich bewusst mit der lyrischen Tradition auseinandersetzen. Die Inhalte sind, dem Thema entsprechend, vielfältig - Politik, Religion, Zwischenmenschliches sind ebenso im Fokus wie die drängenden Fragen der Zeit - aber auch Fußball-Kanzonen zum Sommermärchen 2006 und witzige, satirische Verse finden sich in der Gedicht-Sammlung aus den vier vergangenen Jahrzehnten. Für Liebhaberinnen und Liebhaber klassischer lyrischer Dichtkunst ist dieser Band genau der richtige Begleiter, um in ruhiger Stunde auf andere Gedanken zu kommen, sich hintergründigem sowie zugleich melodiös und rhythmisch anspruchsvollem Lektüregenuss hinzugeben. Das Gedicht, ursprüngliches und anspruchsvolles Mittel der zwischenmenschlichen öffentlichen Kommunikation, wird hier in seinem Wesen ernst genommen und ausgefüllt. Es regt an, erregt und regt auf; und hilft bestenfalls den Gedanken und der Phantasie auf die Sprünge. In unsere hektischen, oberflächlichen und flatterhaften Häppchenkultur sind Gedichte, ist Lyrik ein retardierender Ankerplatz der Geistes- und Herzens-Bildung."Vielerorten steht sie [die Bildung], als unpraktische Umständlichkeit und eitle Widerspenstigkeit, dem Fortkommen bereits im Wege: wer noch weiß, was ein Gedicht ist, wird schwerlich eine gutbezahlte Stellung als Texter finden." so schon 1959 Theodor W. Adorno sehr pessimistisch in seinem Essay: Theorie der Halbbildung.
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Seitenzahl: 84
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Anstatt eines Vorwortes
Varia et Curiosa frühe Sonette aus den 80ern und 90ern
Ungereimtes und Gereimtes Unernstes und Ernstes | Unpolitisches und Politisches
Winter – Weihnacht – Jahreswechsel
Fußball-Kanzonen zur Fußballweltmeisterschaft 2006
Zwiegespräche Sonette auf Wiedenbrücker Skulpturen
Katalanische Gedichte Deutsche Nachdichtungen
Zoologisches und Unlogisches Tierische Reimereien
An Stelle eines Nachwortes Ahnung von den Ahnen – Über Tradition beim Schreiben von Lyrik
Überschriften der Zyklen und Einzelgedichte
Zum Autor
in Memoriam Friz
Apoll ist okkupiert vom Pöbel,
die Basis röhrt ihr Wut-Urteil;
und sein Orakel – delphisch einst –
kotzt sich ins bodenlose Netz
als Lady Instagram, Prince Facebook
und noch diverses andres aus…
im Oktober 2020
In Walthers Tone: Frô Werlt, ir sult dem wirte sagen
Die geile Schönheit der Frau Welt
wohlfeil dem gut betuchten Mann,
der mit dem haufenweisen Geld
moralfrei am Markt spielen kann.
Glück und Glückseligkeit sind Gaben,
die scheinbar nicht zu kaufen sind
– und doch sind sie für Geld zu haben,
auch wenn dies Glück ein schales scheint,
und die Glückseligkeit der Welt
zumeist nur eitlen Reichtum meint.
Doch ihre ekle Hinterseite –
mit Krankheit, Hunger, Eiterbeulen,
mit Schnaps, Gewalt, privater Pleite,
Hartz 4, für’n Tod zu viel – zum Heulen.
Doch Augen zu, noch schwimmt er oben,
Fettauge auf der Lebenssuppe,
die letzten Euros abgehoben,
denn die Glückseligkeit, die kennt er,
und kann auch er sich locker leisten:
Fußball, Fast Food und Fitness-Center.
Gekauftes Glück, Frau Welt als Ware,
Wucher, Schacher – machtversessen,
vom ersten Schrei zur stummen Bahre –
ganz langsam wird sie aufgefressen:
Kannibalismus vorn und hinten,
wer nichts bekommt, ist selber schuld,
es zählt: wer kennt die besten Finten,
wer legt wen am infamsten rein
und bleibt im Ring am längsten stehen,
wer stellt Frau Welt zuletzt das Bein?
So nette Menschen gibt es gar nicht, dass man ihnen täglich
Sonette widmen würde, denn wer könnte von sich sagen:
„Sonette kann ich täglich schreiben“, ja wer würd es wagen,
so nette Worte Tag um Tag – nein! das ist nicht möglich.
Und noch bemüht um reine Reime: find ich einen, find ich keine?
Drum brech’ ich dies Sonett hier ab;
brech’ jeder, der es besser weiß, über mir den Stab...
Ja, wenn der Minnesänger klagte
von Liebe, Leid – von hohem Mut,
und dass die Frau sein höchstes Gut,
das heimlich er nur schauen wagte,
und wenn er tiefer sich verstrickte
ins liebesdienerische Tun,
behauptend, niemals könnt er ruh’n,
wenn sie ihm nicht einmal zunickte,
dann scheint uns eines klar zu sein:
die Dichtung ist nur eitler Schein,
die Wirklichkeit wird sanft bedeckt;
und den Naiven lullt er ein,
der Sang, damit kein weiser Stein
das Triebwerk seines Hirns verdreckt.
Als du dein Selbst damals ergründen wolltest
und aufstiegst hoch dem kahlen Gipfel zu
des – ragend aus der Fläche – Mont Ventoux
trugst du ein Blatt bei dir, ein aufgerolltes.
Ich glaube fast, du warst verärgert, schmolltest,
den die geliebte Laura, dachtest du,
hat schmerzhaft dir verändert deinen Schuh,
so stiegst du langsamer, als du es solltest.
Und in dem Steigen, das ein Abstieg war
ins Reich der Subjektivität,
da warst du ganz du selbst, warst du bei dir.
Die Dichtkunst hast du, dies ist mir heut klar,
mit deinem Blatt dort ausgesät,
kein Lorbeer, unbeschrieben: nur Papier.
Zwar bist du Meister des Sonetts, doch kennt
man eigentlich nur Tragisches in Dramen
und die Komödien, denn wer ihn nennt,
den lange weit- ja weltberühmten Namen,
denkt an Venedig, an des Mooren Zeiten,
denkt was im Traum der Sommernacht geschah,
denkt an die Liebe, auch an Missgunst, Streiten –
den Tod von Romeo und Julia.
Doch von dir selbst, da wissen wir fast nichts;
nur in der Dichtung können wir begreifen,
und auch kein wahrer Ausdruck des Gesichts
nur der Gedanken kann uns sachte streifen.
Mir reichten deine herrlichen Sonette,
wenn ich von dir nichts außer diesen hätte.
in memoriam Stefan Zweig
Ständig üben
Reime sieben
Steine schieben
Hier nach drüben
selbst die fernsten
Spiele spielen
immer zielen
stetig ernsten
Tag für Tag
Schlag auf Schlag
Zug um Zug
und du siegst
doch du kriegst
nie genug
in memoriam Arthur Miller
Alter
Samen
Namen
schallt er
Falter
kamen
Damen
lallt er
Lieben
Sieben
nicht auf einen Streich
Wühlen
Fühlen
sind doch alle gleich
Neidvoll neige ich mein Haupt.
Hätte ich doch nie geglaubt,
nicht einmal gewagt zu denken,
mir – wie du einst – zu verschränken
Wörter im Sonettenreim.
Weder Trakl, Borchardt, Heym,
noch von Platen, Groth, ja Goethe,
melodiös, wie Pan die Flöte,
sangen sie, der Form Genüge
leistend, und in große Krüge
schüttend klaren, kräft’gen Wein.
Doch wie Orpheus singt nur einer,
klingend schwingt es, feiner, reiner –
ja, bei dir singt selbst der Stein.
Unter den Kohorten
der Künstler findet
sich mancher, der schindet
sich ab mit Worten.
An jeglichen Orten
sitzt er und bindet,
fast taub und erblindet,
blumige Sorten
romantischer Worte,
erinnerter Orte,
die ihn wiederfinden.
Und tagtäglich schinden
ihn taub und erblinden:
Kritiker-Horte.
Ordnung sei das halbe Leben,
sagt das Sprichwort, alt und dumm;
nicht gerade, sondern krumm,
ist mir meine Welt gegeben.
Denn mein Weg ist nirgends eben,
Brocken liegen wirr herum,
und die Sphinx hockt lauernd stumm –
tiefer Abgrund gähnt daneben.
Aus dem Chaos wächst, was lebt,
in die Ordnung, und es strebt
alles stets zurück
in die chaogene Spur
unsres Lebens – Liebe – nur
kurze Spanne Glück!
an einem Abend in Regensburg
Ein Abend, nicht wie jener gestern,
als ich noch stand auf einem fester’n
Boden – Heimat – aber heute
ist fremd die Stadt, sind fremd die Leute.
Und dann vom Dom der Klang der Glocken
im Schritt verharre ich, erschrocken
schau ich empor, es hocken droben
Dämonen, und den Gott sie loben.
Ich sehe Taube und auch Tauben,
die andern nichts mehr gönnen
können;
die alles, Körner, Reime rauben,
den andern selbst den Schnabel
– Babel!
Quakt ein Frosch im trüben Tümpel eines Kraters,
der als Narbe klafft im ewig ruhigen Tann,
und der Jüngling mit verklärtem Blick, er kann
nur voll Staunen steh’n vor dieser Tat des Vaters.
Und die Lippen singen dieses sehend Lob;
früher über Umweltsünden sich ereifernd
und Behördenwillkür, Macht und Geld begeifernd,
formen sie das Losungswort: ein Biotop!
Damals haben Jabos knapp ihr Ziel verfehlt,
ihre Absicht aber keinesfalls verhehlt
– nah der Stadt dem Wald die Bombenlust beschert.
Kann, was damals Unrecht war, heut schützenswert,
und was einst den Mensch des Menschenseins entehrt,
heut geschichtslos abgeschirmt sein – plump beseelt?
auf Urlaub in Bad Wurzach
Ins Moor! Das war nicht immer nur
die Antwort auf die Frage:
Wohin bei Rheuma in die Kur,
die nächsten vierzehn Tage?
Ins Moor! war grauenvoller Sang,
wenn Kerkerknechte sorgen
den endlos lebenslangen Gang
am grauen, kalten Morgen.
Und heute strömt’s vieltausendfach
an heißen Sommertagen
– ohne viel zu fragen -
ins Moor mit Sack und Pack und Krach.
Von unsern Kindern – morgen –
soll’n wir die Welt nur borgen.
U-Bahnhalt City/Stadtmitte
Stahlbeton und Schienenstränge
Atem, Hüfte, Schenkel, Titte
im Gedränge – Menschenmenge
Penner liegend im Gekröse
Tauben mit verklumpten Krallen
grell umblinkt schmatzt satte Möse
geilen Männern zu gefallen
Mädchen (Kinder) schlanke Jungen
Ketten um den Arm geschlungen
tauschen Körper gegen Kohle
bieten alles – wollen leben
würden selbst die Seele geben
Dschungel einer Metropole
Es ist die Lerche nicht und nicht die Nachtigall,
denn beide singen für die Liebenden nicht mehr
am Bachlauf oder in den Lüften schaut man schwer
nach ihnen, diese Zeit ist nicht ihr Fall.
Und auch die Linde, Baukis würde mich versteh’n,
hat all ihr Recht verloren, ist nicht mehr wie einst
der Baum des Lebens und der Liebenden, du meinst,
die letzte könnt dem stillen Tod entgeh’n?
Wenn diese Welt der Liebe und des Lebens
Symbole nicht mehr achtet, scheint vergebens
schon der Versuch, die Macht des Schicksals aufzuheben;
wir sind verblendet und betört von Düften
des Flieders, dies ist Liebe in den Grüften,
wo wir nur harren eines Zeichens, auf ein Beben.
tiefe Wunden
immer während
immer schwärend
abgebunden
total zerschunden
doch verzehrend
doch belehrend
nie gefunden
guter Rat
ist teuer
Menschenungeheuer
schnelle Tat
am Steuer
atomares Feuer
(Am Bodensee)
Wenn sich leise Nebel und der Abend senkt,
und das letzte Blässhuhn glucksend schweigt;
wenn der Nebel wieder höher steigt,
weil die Alpengipfel Wind hierher gelenkt.
Und ein Mensch steht an der Mole und bedenkt,
was das Leben sei, und wie er neigt
seinen Kopf, ein Stern im Wasser zeigt,
dass die Welt um ihn von einem Gott geschenkt.
Ins Wasser wirft er einen Stein,
im Nu verschwimmt der schöne Schein –
so ist’s stets, wo ein Mensch dabei ist.
Die Ordnung, Schönheit der Natur
zerstört der Mensch sich Spur um Spur;
er meint’s zu dürfen, weil er frei ist.
ein Prosit auf die Stammtisch-Grünen – Neckarwestheim
Rauch steigt kerzengerade in die Luft;
Sonntagsstimmung – Kuchen und Kaffeeduft.
Stille ringsum – nur das Zwitschern von Meisen,
die ein Stück Butterzopf zerreißen.
Im Kraftwerk ist irgendetwas verpufft.
Und ein Minister, sein Sprecher? – jedenfalls ein Schuft!
will uns mit salbadernden Floskeln abspeisen,
will uns – wie stets – granatenmäßig bescheißen.
Tatenlos – nach dem ersten Geschrei,
da waren wir natürlich auch dabei –
stehen wir nun, wir blicken uns um,
atemlos – denn er bleibt uns weg –
Bronchitis, Asthma oder so’n Dreck,
wir husten uns einen und bleiben stumm.
Frühling ist gekommen,
hat dem Wald genommen
seinen weißen Schleier
– angelegt zur Feier
langer Winternächte. –
Teufelsfrohe Mächte
können nun beginnen –
Sanduhr wird verrinnen.
Nadeln rieseln von den Ästen,
und den zu späten Feiergästen
ist der Tisch gedeckt;
wohlig warmer Frühlingsregen
ist keiner Tanne mehr ein Segen:
sauer und verdreckt!