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Siegfried Carl hat sich mit großem Respekt aber auch viel Spaß des alten Herrn Geheimrats Goethe und seiner direkt mit Wegbegleiterinnen in Verbindung zu bringenden Gedichte und Briefe angenommen und ihm aus diesen eigenen lyrischen und prosaischen und wenigen zugedichteten Worten (kursiv gesetzt) eine intime und doch auch öffentliche Lebensbeichte in den Mund gelegt. Sie löst die Differenz zwischen biografischem und lyrischem Ich fiktiv auf, indem sie beiden ihr Existenzrecht belässt, sie aber trotzdem als eines begreift, oder wie Goethe es ausdrückt: Fühlst du nicht an meinen Liedern Daß ich eins und doppelt bin. (Ginko biloba) Eine die "Trilogie der Leidenschaft" in den Mittelpunkt stellende, hoffentlich vergnügliche und auch des Nachdenkens werte Text-Kompilation, mit vielen klassisch gewordenen Versen des geheimen Rathes. Ein stimmungsvoll-melancholischer Text um die Lust, die Leidenschaft und das Leid, das die Liebe schafft, wenn sich einer ihr mit Hand, Herz und Hirn ausliefert und das Wertherische Blut pulsieren lässt. Zu allen Frauengestalten sind Porträts - zum Teil von Goethe selbst gezeichnet - beigegeben. Zudem sind unter dem Titel "Das 'Wertherische Blut'" noch einige zusätzliche Gedanken und Materialien zum liebenden Goethe zugegeben.
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Seitenzahl: 106
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Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück!
Ein Wort vorab: Marienbad 1821 | 1822 | 1823
Goethe liebt ... | Die intime Lebensbeichte des geheimen Rathes Johann Wolfgang von Goethe
1. Bild Goethe und die Leiden der Leidenschaft
2. Bild Cornelia Schlosser, Goethes Schwester
3. Bild Friederike Oeser, langjährige Brieffreundin
4. Bild Anna Katharina Schönkopf
5. Bild Friederike Brion
6. Bild Charlotte Buff (verh. Kestner)
7. Bild Lili – Anna Elisabeth Schönemann, Goethes Verlobte
8. Bild Corona Schröter
9. Bild Charlotte von Stein, Goethes langjährige Vertraute
10. Bild Anna Amalia von Braunschweig-Wolfenbüttel, Herzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach
11. Bild Christiane Vulpius, Goethes Geliebte und Ehefrau
12. Bild Interludium: Goethe „Alles geben die Götter…“
13. Bild Wilhelmine Herzlieb
14. Bild Sylvie von Ziegesar – Sommer 1808 in Karlsbad
15. Bild Marianne von Willemer
16. Bild Ulrike von Levetzow – letzte Liebe
17. Bild Die „Marienbader Elegie“
Das „Wertherische Blut“ Einige Gedanken und Materialien zum liebenden Goethe
Die Trilogie der Leidenschaften
Freund Schiller und die „Ménage-à-trois“
Italien, Rom und „Das verfluchte zweite Kissen“
Der prüde „Hätschelhans“
Goethes Liebeslyrik – Schaumgeburten
Anhang
Literatur
Bilder
Zum Autor
Nachklang
Liebe Leserin, lieber Leser,
wer noch nie glücklich oder hoffnungslos verliebt war, geliebt hat oder wurde, wird vor dem liebenden Goethe wie vor einem unlösbaren Geheimnis kapitulieren und legt diesen Aspekt des Klassikers besser beiseite. Zu verwegen, bizarr und undurchschaubar sowie bewusst verzerrt und verzaubert präsentiert sich der liebende „Hätschelhans“, wie ihn seine erste weibliche Bezugsperson, die selbstbewusste Frau Mama, gerne zärtlich nannte – auch in der Öffentlichkeit, sogar gegenüber der Herzogin Anna Amalia, was ihn so gar nicht begeisterte.
Zahlreich ist die Literatur rund um den Liebhaber Goethe, wissenschaftlich seziert von Schreibtischtätern und in letzten Jahren vermehrt auch -täterinnen; und immer wieder scheitert die Analyse am Spagat zwischen der nie wiederholbaren geheimnisvollen Realität und der Fiktion, den Mythen, literarischen Spiegelungen, bewussten und unbewussten Verzerrungen, wie sie uns in den zeitgenössischen Quellen der goetheschen Literatur, der Tagebuchaufzeichnungen, Briefeditionen und Erinnerungen von und rund um Goethe entgegentreten. Sie aufzudröseln, welch unmögliches Unterfangen; sich ihnen zu nähern, sich einzufühlen, hineinzudenken in die Zeit, die handelnden Personen, die möglichen Ereignisse, die Schicksale: eine Reise ins Unbewusste, die uns mehr über uns selbst verraten wird als über den liebenden Goethe, die sich aber immer lohnt. Hier will ich einen poetischen Versuch der Annäherung wagen, der sich großenteils auf Goethes eigene Worte verlässt, mit ein paar einfühlenden Ergänzungen, und den Rest der Phantasie jeder einzelnen Leserin, jedes einzelnen Lesers überlässt.
Im Juli bis September 1821 hält sich Goethe wieder einmal zur Kur in Marienbad und Eger auf. Seit mehr als dreißig Jahren hat er von Weimar aus die Kurorte in den böhmischen Wäldern – vor allem das berühmte Karlsbad – aus vielfältigen Gründen als Rückzugs-, Bade- und wohl auch eine Art Urlaubsort gewählt, wobei es die Idee eines Urlaubs in unserem Sinn noch nicht gab. Schon seine Italienreise hatte er am 3. September 1786 ohne Ankündigung überraschend von der Kur in Karlsbad aus gestartet. Er mag die nur einige Tagesreisen von Weimar entfernten böhmischen Bäder wegen der guten Kurmöglichkeiten; sowohl das heilende Wasser, ob als Trank oder Bad, wie auch die gute Luft und die Möglichkeit ausgedehnter Spaziergänge, ja durchaus kleinerer Wanderungen in den Böhmerwald, sagen ihm sehr zu. Denn auch die geologischen und mineralogischen Gegebenheiten sind dem Naturforscher und Gesteinssammler Goethe wichtig, eine willkommene Abwechslung. Hinzu kommt die Möglichkeit, in aller Ruhe Papiere zu ordnen, Angefangenes zu vollenden, liegen gebliebene Lektüre zur Hand zu nehmen und so manches Projekt voranzutreiben. Zu guter Letzt ist Karlsbad und ab den Zwanzigern dann auch das neu ausgebaute Marienbad in den Sommermonaten ein Tummelplatz europäischer, überwiegend deutschsprachiger Familien und Gesellschaften aus Adel, Kunst, Wissenschaft und den dazu gehörenden Wichtigtuern mit Klatsch und Tratsch, in dem sich der verehrte Goethe durchaus wohl fühlte, wie seine Tagebuchaufzeichnungen und Briefe (aus der Kur in den 20ern v.a. an den Sohn August) nahelegen. Der 71jährige ist eine Berühmtheit, und auf der Terrasse des Klebelsbergischen Palais – seiner Unterkunft während des Aufenthaltes 1821 und des Folgejahres – in seiner Gesellschaft zu sein, ihm bei Spaziergängen zu begegnen, von ihm wahrgenommen zu werden, muss den Zeitgenossen – Jung und Alt, Mann oder Frau – durchaus eine Anstrengung wert sein. Dass sein Geburtstag am 28. August häufig in diese Zeit der Badeaufenthalte fällt und hier stets eine entsprechende Festgesellschaft automatisch anwesend ist, mag dem alten Herrn durchaus gefallen haben.
1821 hat sich die verwitwete Amalie von Levetzow mit ihren drei hübschen Töchtern im neu erbauten Palais des Grafen Franz von Klebelsberg, mit dem sie ein später in die Ehe mündendes Verhältnis verband, eingenistet. Ihre Eltern wiederum sind dem Grafen als Baumeister und Hauswirtschafterin dienstlich verbunden. Täglich begegnet Goethe in den ersten Schlechtwetter-Wochen der Baroness, die er schon 1806 bei einem Badeaufenthalt in Karlsbad schätzen gelernt hat und an die er „als eines glänzenden Sterns meines früheren Horizonts, gar gern [..]denck[t]“; gesellige Runden mit Pfänderspielen belustigen die kleine Gesellschaft, und die älteste Tochter Ulrike gewinnt die „väterliche“ Aufmerksamkeit und stille Bewunderung und Zuneigung des über 50 Jahre älteren berühmten Kurgastes. Dieser berichtet seinem Großherzog am 16. August in aller Ausführlichkeit über die Badeanlage und Bautätigkeiten in Marienbad und erwähnt dabei die familiären Zustände im Palais Klebelsberg: „Das Ganze ist, wie sich wohl bemerken läßt, auf Graf Klebelsbergs Casse und Credit unternommen; v. Brösigke macht, wo nicht den Baumeister, doch den ausführenden Inspector, dessen Gattin nimmt sich des Hauswesens an und blieb den ganzen Winter hier, um die Wohnbarkeit zu beschleunigen, die Tochter, Frau von Levezow, die ihre Anmuth, durch manche Jahre und Schicksale durch, noch ganz hübsch gerettet hat, scheint auch ihren Wohnsitz hier aufzuschlagen; man spricht von einer Heirath mit dem Grafen, und was dergleichen mehr seyn mag. Genug, im Ganzen ist es die eigenste Familien-Verkettung, […].“
Der alte Herr hat – wohl schon mit etwas mehr als nur väterlichen Gefühlen – in den knapp vier Wochen eine neue Freundin gewonnen, die ihn zudem an die seit 1817 in seinem Haus am Weimarer Frauenplan wohnende Ulrike von Pogwisch erinnerte. Letztere war zur Hochzeit ihrer Schwester Ottilie mit Goethes Sohn August zu diesem in die Mansardenwohnung im Goethe-Haus am Weimarer Frauenplan gezogen und wohnte dort in der Folge rund zehn Jahre in enger Vertrautheit mit dem „Besten Vater“. August von Goethe beäugte die Vater-Tochter-Beziehung zwischen der Schwägerin und dem Vater misstrauisch. Von Marienbad aus spielt Goethe mehrfach gegenüber seinem Sohn auf die beiden Ulriken an, so als er Ulrike von Levetzow erstmals im Brief vom 22. August erwähnt: „Zufälligerweise findet sich eine recht artige Ulrike hier im Hause, so daß ich auf eine und die andere Weise immer ihrer zu gedenken habe“ und auf der Weiterreise aus Eger am 27. August: „Von der neuen Ulrike ward mit einigem Bedauern geschieden; ich hoffe, daß mich die erste desto zärtlicher empfangen soll.“
Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf. Das folgende Jahr 1872 bringt – wiederum beim gemeinsamen Aufenthalt im Klebelsbergischen Palais – eine stetige Annäherung zwischen Ulrike von Levetzow und Goethe; lange gemeinsame Spaziergänge, Ballbesuche, Abendessen, Teestunden auf der berühmten Terrasse des Palais und Steinesammeln im Böhmerwald… Das ungleiche Paar fällt auf und erregt die Gemüter. Was in diesen Wochen zwischen dem „liebenden Papa“ und der „treuen schönen Tochter“ passiert sein mag, wissen wir nicht, aber es muss für beide nachhaltig gewesen sein, wie die spärlichen direkten Quellen zeigen, so der innige Brief Goethes an Ulrike von Levetzow zum 6. Januar, am Jahreswechsel ins entscheidende 1823:
„Ihr holder Brief, meine Theure, hat mir das größte Vergnügen gewährt, und zwar doppelt wegen eines besonderen Umstands. Denn wenn auch der liebende Papa seiner treuen schönen Tochter immer gedenckt, so war doch seit einiger Zeit Ihre willkommne Gestalt lebendiger und klarer vor dem innern Sinne als je. Nun aber entwickelt sich’s! Es sind gerade die Tage und Stunden, da Sie mein auch in einem Höheren Grade gedachten und Neigung fühlten es auch aus der Ferne auszusprechen.
[…] Und so bleiben Sie überzeugt daß meine schönste Hoffnung fürs ganze Jahr sey in den heitern Familien- Kreis wieder hinein zu treten und alle Glieder so wohlwollendfreundlich gesinnt zu finden als da ich Abschied nahm, und ein würdiger, neuerworbener Freund das unwillkommne Scheidegefühl, durch theilnehmendes Geleit, einigermaßen zu beschwichtigen suchte.
Vergessen darf ich hierbey nicht der süßen Nachkost, die mir in der Entfernung durch ihn zu Theil ward, die ich aber mit niemanden theilte.
Und also meine Liebste nehm ich Ihre töchterlichen Besinnungen auch für die nächste Zeit in Anspruch. Möge mir an Ihrer Seite jenes Gebirgsthal mit seinen Quellen so heilbringend werden und bleiben als ich wünsche Sie froh und glücklich wieder zu finden.“
Er unterzeichnet, floskelhaft mit „treu anhänglich“.
Und wieder ein Jahr später im Sommer 1823 findet man sich froh und glücklich wieder, auch wenn Goethe diesmal nicht im Klebelsbergischen Palais unterkommt, da sein Großherzog die noblen Zimmer für seinen eigenen Badeaufenthalt reserviert hat. So logiert sich Goethe mit seiner Dienerentourage in vier Zimmern der genau gegenüber liegenden „Goldenen Traube“ ein. Den Tagebucheintragungen Goethes aus den Juli- und Augustwochen können wir verschlüsselt entnehmen, dass er Ulrike wohl fast täglich gesehen hat, häufig in Gesellschaft, zu der „auf der Terrasse“ – des Klebelsbergischen Salons häufig bis nach Sonnenuntergang – auch „Serenissimus“ gehört; sein Großherzog Carl August bekommt die Zuneigung des verehrten Dichterfreundes zur blutjungen, grazilen und wohl mit üppigem böhmischem Granatschmuck – wir können ihn heute noch im Museum bewundern – und wunderbaren hellen Gewändern auffallenden Ulrike von Levetzow unmittelbar mit. Ganz Marienbad tuschelt über das ungleiche Paar, und die Kunde ist wohl auch bis nach Weimar, Jena und Frankfurt, ja bis Wien an den kaiserlichen Hof gelangt, wie wir aus vielen Briefen, Tagebüchern und Akten der Zeit entnehmen können.
Was dann passiert und wie Goethe mit der wohl größten Ent-Täuschung seines Alters umgeht, soll in meiner Annäherung an ihn überwiegend mit seinen eigenen lyrischen Worten gestaltet werden. Wer die Ereignisse weniger nah an Goethes Texten, jedoch phantasiereich-deftig die Marienbader Stimmungen imaginiernd, aus dem Blickwinkel des modernen Romanciers, mit reicher erotischer Erfahrung, doch auch geläutert durch die Weisheit des Alters, weiterlesen möchte, greife zusätzlich zu Martin Walsers Roman: „Ein liebender Mann“ – auch so könnte es gewesen sein…?
Siegfried Carl
am 28. August 2021
Was Eckermann uns so nicht berichtet…
Ulrike hat im Alter von knapp 80 Jahren das Folgende aus der Erinnerung berichtet. Wir schreiben Anfang September 1823. Kurz vor seinem Geburtstag hat der alternde, bald 74jährige Goethe die fast schon ein wenig vorwurfsvoll empörte Zurückweisung seines Heiratsantrages durch die Mutter der gerade einmal 19jährigen Ulrike von Levetzow erhalten. Den – von ihm seinem Freund Goethe zuliebe mit üppigen Angeboten in Weimar ausgestatteten – Antrag wie auch die wohl nur mündliche Antwort an Goethe überbrachte Goethes Landesherr und Freund Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach in der Marienbader Bäderidylle, wo Goethe zwei Jahre zuvor Ulrike von Levetzow kennen, schätzen (und lieben?) gelernt hatte. Goethe ist enttäuscht, wohl auch gekränkt, ein wenig verzweifelt – das ihm, dem Dichterfürsten.
Und Ulrike? – sie wird nie (einen anderen) heiraten und später bekennen: „Goethe selbst sprach nie darüber, weder mit meiner Mutter noch mit mir.“
In Karlsbad, wohin der wohl verletzte aber stets Contenance bewahrende Goethe den Levetzows nachreist, wird am 28. August der Geburtstag bei einem Ausflug nach Elbogen gefeiert, immer mit der Hoffnung, das Schicksal noch wenden zu können. Doch nur ein Trinkglas des von Goethe hochgeschätzen böhmischen Glas-Künstlers Andreas Vincenz Peter Mattoni, mit den Namensgravuren der drei Levetzow-Töchter Ulrike, Amelie und Berta wird ihm von der Mutter zum 74. Geburtstag überreicht; sein stets in Ehren gehaltenes „holdes Glas“. Von Karlsbad reist Goethe am 5. September ab Richtung Weimar. Er hat die Ulrike-Episode nie selbst erwähnt, sie muss aus den vielfältigen Nachrichten aus Briefen, Tagebuchaufzeichnungen – zumeist Klatsch und Tratsch – mühsam als unsichere Bild zusammengepuzzelt werden.