Dream-Team - Gerald Hüther - E-Book

Dream-Team E-Book

Gerald Hüther

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Beschreibung

»Wenn es nicht immer wieder Menschen gegeben hätte, die ihren Träumen gefolgt sind, säßen wir heute immer noch auf den Bäumen.« Gerald Hüther

Träumen kann jeder von uns allein, aber umsetzen können wir unsere Pläne und Vorhaben nur gemeinsam: indem wir uns gegenseitig ermutigen und inspirieren, über uns hinauszuwachsen. So, wie es das Amateurteam um Sven Ole Müller und Nicole Bauer tat, als es zum härtesten Radrennen der Welt antrat – und siegte! Der renommierte Hirnforscher und Bestsellerautor Gerald Hüther begleitete die Radler und arbeitete mit der zukunftsweisenden Erkenntnis: In einer immer komplexer werdenden Welt ist es von größter Bedeutung, dass wir uns im Team wirkungs- und kraftvoll als Gestalter unseres Lebens definieren. Der Bestseller über das Geheimnis der Potentialentfaltung jetzt im Taschenbuch! (Als gebundene Ausgabe unter dem Titel »Wie Träume wahr werden« erschienen.)

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Seitenzahl: 269

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Das Buch

Im Sommer 2016 konnten Nicole Bauer und Sven Ole Müller mit ­ihrem Amateurteam völlig überraschend – nach nur elf Monaten Vorbereitung – das härteste Radrennen der Welt gewinnen, das Race ­Across America. Begleitet wurde ihr Vorhaben von dem renommierten Hirnforscher Prof. Dr. Gerald Hüther und der von ihm geleiteten Akademie für Potentialentfaltung. Nach dem großen Erfolg machten sich die drei Autoren auf die Suche nach dem Geheimnis des Gelingens. Sie analysierten über viele Monate hinweg, welche Faktoren einen solchen Potentialentfaltungsprozess begünstigen können. Praxis und Wissenschaft finden in diesem Buch zueinander.

Die erstaunliche Erkenntnis, die sich auf alle Lebensbereiche übertragen lässt, seien es Sport, Beruf oder Familie: Wir können unsere Träume nur in Gemeinschaften verwirklichen, in welchen sich Menschen als Subjekte begegnen. Einander ermutigen und inspirieren, damit nicht der Einzelne allein, sondern das Team als Ganzes die in ihm angelegten Potentiale entfalten kann. Die Erfahrung in der Gemeinschaft ist es, was uns am Ende dauerhafter verbindet als der Erfolg.

Die Autoren

Prof. Dr. Gerald Hüther, geb. 1951, zählt zu den bekanntesten Hirnforschern Duetschlands. Der Vorstand der Akademie für Potential­entfaltung ist Autor zahlreicher Sachbücher, darunter Bestseller wie »Jedes Kind ist hochbegabt«, »Raus aus der Demenz-Falle« und »#Education For Future«.

Sven Ole Müller, geb. 1969, ist Vortragsredner und seit seinem 21. Lebensjahr selbständiger Unternehmer. 2016 gewann er zusammen mit seinem Team die 4-Person-Mixed-Wertung beim Ultraausdauer-Radrennen »Race across America«.

Nicole Bauer, geb. 1978, ist seit 2003 als Rechtsanwältin tätig und berät in verschiedenen zusammenhängen zu juristischen Spezial­themen. Nachdem die passionierte Marathonläuferin zum Ultraradrennen wechselte gewann sie nur ein Jahr später als einzige Frau im Team das »Race across America«.

GERALD HÜTHER

SVEN OLE MÜLLER | NICOLE BAUER

DREAM-TEAM

Warum wir nur gemeinsam unser Potential entfalten und unsere Zukunft gestalten können

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Taschenbuchausgabe April 2021 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Copyright © 2018 der Originalausgabe by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Fotos im Innenteil: © ABGedreht Productions; © privat

KF · Herstellung: kw

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-26941-8V001

www.goldmann-verlag.deBesuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz:

Inhalt

Zeit für Träume

1. Als Underdog gestartet – als Sieger im Ziel

2. Ein irrwitziger Traum, der wahr geworden ist

Bloße Gedanken werden zu anfassbaren Realitäten

Noch nie zuvor Rennrad gefahren

Einfach loslegen

Die Richtigen treffen die Richtigen

3. Was Team-Engagement mit einer Verlobung zu tun hat

Charity und Akademie

Vertrauen statt Verträge

Kick-off-Rennradtour zur Ostsee

Adaptierung von Späteinsteigern

Schrecksekunde vor dem Start

Von der Beziehung zur Begegnung

4. Begeisterung ist Dünger fürs Gehirn

Momente, die unter die Haut gehen

Gemeinsame Motive als Klebstoff

48 Stunden eingesperrt

Die Erkenntnis vom Spiel

Generalprobe, oder: Unser härtestes Osterfest

5. Vielfalt ist besser als Einfalt

Eine bunte Mischung souveräner Persönlichkeiten

Es geht nicht ohne die Anderen

Sportler versus Nichtsportler

Wolf Creek Pass, der höchste Punkt der Strecke

Wapiti

6. Je kleiner der Traum, desto schneller ist er zu Ende

Finisher-Party in Annapolis

Was danach geschah

Das Erbe des RAAM

Ein Resümee

Der Erfolg ist eine bittersüße Frucht am Baum des Gelingens

Anhang

Der WeQ-Test

Auswertung der Ergebnisse des WeQ-Fragebogens

Die Akademie für Potentialentfaltung

Das Race Across America – Fakten

Das Team

Register

Über die Autoren

Zeit für Träume

Gerald Hüther

»I have a dream!«, rief Martin Luther King den in Washington versammelten Demonstranten vor einem halben Jahrhundert zu. Wohl kaum einer, der diesen Satz noch nicht gehört oder gesagt hat, aber Dr. King hätte damals noch lange davon träumen können, dass die Diskriminierung der afro-amerikanischen Bürger in den Vereinigten Staaten endlich aufhört. Entscheidend für die Erfüllung war, dass auf einmal so viele diesen Traum auch zu träumen wagten und sich gemeinsam auf den Weg machten, um ihn endlich wahr werden zu lassen. Auch die Initiatoren der Bürgerrechtsbewegung in der DDR hatten zunächst nur einen Traum. Aber dann liefen mit einem Mal montags hunderttausende mit Kerzen in der Hand gemeinsam durch ihre Städte, bis das Unvorstellbare geschah und das SED-Regime mitsamt der von ihm errichteten Mauer wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzte.

Alle tiefgreifenden Veränderungen, so scheint es, beginnen damit, dass jemand den Mut hat, sich vorzustellen, dass es auch anders sein könnte. Nur wir Menschen sind zu dieser Gedankenleistung in der Lage. Nur wir können uns etwas vorstellen, etwas imaginieren, also eine Idee von etwas entwickeln, was es noch gar nicht gibt. Und wenn dann auch noch andere Personen den gleichen Traum in sich tragen und sich tatsächlich gemeinsam auf den Weg begeben, um ihn zu verwirklichen, wird das zur Realität, was zu Anfang einer nur zu träumen gewagt hatte.

Weil die Kraft, die menschliche Gemeinschaften bei der Verwirklichung ihrer Vorstellungen entfalten, so unvorstellbar groß werden kann, bezeichnen wir Visionäre gern als Träumer. Das klingt ungefährlich. Das macht weniger Angst. Denn träumen kann jeder, was er will – zu Hause im Bett. Dadurch ändert sich nichts an den Realitäten. »Träume sind Schäume«, heißt es, und die im Schlaf vom Gehirn hervorgebrachten Traumgebilde sind beim Aufwachen der meisten Menschen schnell wieder verschwunden.

Wenn aber einer sagt: »I have a dream«, beschreibt er damit keinen Traum, sondern eine Vorstellung, die wahr werden kann. Da wir als Einzelperson nicht allzu viel zustande bringen, braucht die Verwirklichung einer solchen Vision den Einsatz anderer Menschen. Je größer die Idee, desto mehr solcher Akteure müssen für ihre Umsetzung gefunden werden.

In allen hierarchisch geordneten Gesellschaften, wie wir sie aus den zurückliegenden fünf- bis zehntausend Jahren kennen, waren es immer nur die Anführer, die das Privileg hatten, ihre jeweiligen – und oft genug ziemlich verrückten – Vorstellungen zu entwickeln und sie dann auch Realität werden zu lassen. Es war nicht nötig, dass diejenigen, die sie umsetzten, denselben Traum träumten. Meist wurden sie als Sklaven, als Leibeigene, als Söldner dazu gezwungen oder als diskriminierte Frauen, gern auch als von der Gunst ihres Chefs abhängige Arbeiter und Angestellte dazu gebracht. Bis heute hat sich daran in weiten Teilen der Welt nicht viel geändert. Überall werden Menschen von den Reichen und Mächtigen dieser Erde zur Umsetzung von deren Träumen, Visionen, Vorstellungen oder verrückten Ideen benutzt.

So wird es wohl auch noch einige Zeit weitergehen, und doch zeichnet sich seit einigen Jahrzehnten eine Entwicklung ab, die dieser Art der Verwirklichung der Träume von Machthabern ein natürliches Ende bereitet. Je komplexer die von Menschen geschaffene Welt zu werden beginnt, desto schwieriger lässt sie sich anhand der von einzelnen Personen entwickelten Vorstellungen gestalten. Die alten selbstgefälligen, alleinherrschenden Traumtänzer sind damit zu einem Auslaufmodell geworden.

Wenn die Welt zusammenwächst, alles mit allem verbunden ist und sich wechselseitig beeinflusst, kann ein Einzelner – auch wenn er Albert Einstein hieße – nur eine sehr begrenzte Vorstellung davon entwickeln, wie es angesichts dieser Komplexität weitergehen soll. Dazu braucht es das Wissen und die Erfahrung möglichst vieler und möglichst unterschiedlicher Menschen. Nur durch das Zusammenführen der Vielfalt menschlichen Wissens und Könnens lassen sich heutzutage noch tragfähige und umsetzbare Vorstellungen davon entwickeln, was morgen wie werden soll. Das wäre dann ein gemeinsamer Traum, der sich freilich auch nur gemeinsam verwirklichen lässt. Und Sie ahnen schon wie: ohne Hierarchie und ohne Anführer.

Geträumt haben Menschen davon schon immer. Aber eben nicht sehr viele. Denn die meisten waren damit beschäftigt, zunächst erst einmal ihren Traum von einem menschenwürdigen Leben oder gar von ihrem nackten Überleben ohne Hunger und Not, ohne Bedrohungen und Kriege, ohne Unterdrückung und Qual zu verwirklichen. Zur allgemeinen Schande unserer Spezies sind die meisten Menschen auf der Welt noch heute damit beschäftigt.

Die anderen, die mehr Glück hatten und in günstigere Bedingungen hineingeboren wurden, machen gegenwärtig eine sehr bemerkenswerte Erfahrung: Menschen, die nicht mehr gezwungen werden, die Vorstellungen anderer zu realisieren, sondern selbst ein gemeinsames Anliegen verfolgen, fangen an, auf ungeahnte Weise über sich hinauszuwachsen. Ganz allmählich beginnen nun immer mehr Menschen zu ahnen, welche Kraft und wie viel Potential sie zu entfalten imstande sind, wenn sie sich gemeinsam auf den Weg begeben, um etwas zu verwirklichen, was ihnen allen gleichermaßen am Herzen liegt.

Und darum geht es in diesem Buch. Wir wollen gemeinsam versuchen zu verstehen und verständlich zu machen, weshalb eine Gemeinschaft von sehr verschiedenen Menschen, die alle den gleichen Traum verfolgen und fest entschlossen sind, ihn zu verwirklichen, kaum aufzuhalten ist. Nicht durch ungünstige Voraussetzungen, nicht durch Geldmangel und erst recht nicht durch unterwegs auftauchende Schwierigkeiten und Probleme. Noch nicht einmal durch innere Konflikte, die dabei zwangsläufig entstehen.

Völlig neu ist das nicht. Schon immer gab es einzelne Familien und ganze Sippen, die – weil sie gemeinsam eine Vision verfolgten – zu kraftvollen und einflussreichen Dream-Teams geworden sind. Das Alte Testament berichtet davon. Die germanischen Stämme haben mit diesem Teamgeist die Legionen der Römer zerrieben. Die Deichbauer der Nordseeküste waren von der Idee beseelt, das Meer zurückzudrängen, und verwandelten so den Meeresboden in urbares Land. Auch Christoph Kolumbus oder vor ihm die Wikinger hätten es ohne eine Mannschaft von fest entschlossenen Träumern niemals bis nach Nordamerika geschafft.

Wie wir heute aber anhand des weiteren Verlaufs dieser bemerkenswerten, anfänglich nur von einem Traum getragenen Teamleistungen erkennen können, hat sich in all diesen Pionier-Gemeinschaften über kurz oder lang doch wieder eine hierarchische Ordnung herausgeformt. Mit einem Anführer an der Spitze, der seine Untergebenen für die Realisierung seiner Vorstellungen zunächst als Objekte zu betrachten und anschließend auch – mehr oder weniger geschickt – zu nutzen begann. Und es stimmt ja auch. Wie soll man einen Krieg gewinnen, ein Unternehmen erfolgreich managen oder einen prosperierenden Staat aufbauen, wenn man keine für die Umsetzung dieser Vorhaben geeigneten und rekrutierbaren Untertanen hat?

Weil sie es nicht anders kennen – und sie es sich auch gar nicht anders vorstellen können –, glauben die meisten Menschen bis heute, dass es ohne eine starke Führung, ohne Druck und ohne äußeren Ansporn nicht geht. Sie sind davon überzeugt, dass Höchstleistungen nur durch harte Arbeit erreicht werden, zu der Menschen am besten von Anfang an gezwungen werden müssen, also schon im Kindergarten oder spätestens in der Schule. Herausragende Leistungen erbringen ihrer Meinung nach nur diejenigen, die das Ziel haben, alle anderen zu überflügeln. Sie wollen Sieger werden in diesem nun schon so lange währenden Wettbewerb, den die meisten von ihnen für ein Naturgesetz halten. Solche Einzelkämpfer vollbringen bisweilen durchaus bemerkenswerte Leistungen. Aber das geschieht zwangsläufig auf Kosten der anderen, die sie dabei erfolgreich überholen und frustriert zurücklassen. Wer so unterwegs ist, und dabei auch noch Erfolg und Anerkennung findet, kann sich nicht mehr vorstellen, was alles möglich wäre, wenn die Mitglieder einer Gemeinschaft sich nicht länger als Objekte zur Durchsetzung ihrer jeweiligen Interessen und Absichten benutzten. So jemand hat keine Ahnung davon, zu was Menschen imstande sind, die sich auf den Weg machen, um einen gemeinsamen Traum zu verwirklichen.

Wer solche Dream-Teams sucht und das Geheimnis ihrer Gestaltungskraft ergründen will, ist daher gut beraten, wenn er dabei nicht auf jene blickt, die sich im Wettbewerb mit anderen bereits besonders erfolgreich durchgesetzt und die begehrten Spitzenpositionen erkämpft haben. Die nämlich sind vor allem mit der Verteidigung ihrer Positionen, ihrer Macht und ihres Einflusses beschäftigt.

Deshalb wird diese Suche überall dort am interessantesten, wo noch Aufbruchsstimmung herrscht. In den kleinen Start-up-Unternehmen beispielsweise, die noch in der Garage unterwegs sind. So wie Bill Gates’ Truppe damals, die auch einen Traum verwirklichen wollte, den zu dieser Zeit niemand für realisierbar hielt. Was später daraus wurde, hat mit den ursprünglichen Vorstellungen dieses Dream-Teams allerdings nicht mehr viel zu tun.

Im Sport fällt das, was ein Team zum Überflieger macht, bisweilen besonders auf. Dort lässt es sich auch am besten untersuchen. Es ist überall gleich: Sobald die Mitglieder eines Teams bereit sind, ihr unterschiedliches Wissen und Können ohne Vorbehalte und Eigeninteressen zusammenzuführen, um einen Traum gemeinsam zu verwirklichen, erwächst in solchen Teams eine außergewöhnliche Kraft. Dann vollbringen diese Gemeinschaften Leistungen, die ihnen niemand, nicht einmal sie sich selbst, zugetraut hätte.

Die Kicker aus Island während der Europameisterschaft 2016 sind dafür ein jedem Fußballfan fest in die Erinnerung eingeprägtes Beispiel. Keiner von ihnen war ein herausragender Spieler. Die gab es aber zuhauf in all jenen Teams, die im Verlauf des Turniers von dieser bemerkenswerten Mannschaft vom Platz gefegt wurden. Das griechische Team hatte ein ähnliches Wunder ein paar Europameisterschaften zuvor auch schon vollbracht und war sogar Europameister geworden. Und auch in der Fußball-Bundesliga tauchen immer wieder einmal Mannschaften auf, deren einzelne Spieler auch nicht besser sind als die ihrer Gegner, die aber ein Spiel nach dem anderen gewinnen. Was, so fragt man sich, ist also das Geheimnis derartiger Hochleistungsteams?

Wer etwas weiter denkt, richtet diese Frage nicht nur an Fußballteams oder andere, die sportliche Teamleistungen erbracht haben. Nur wird die Suche an anderer Stelle, beispielsweise in Schulen, Universitäten, Organisationen und Unternehmen, sehr leicht zu der berüchtigten Suche nach einer Stecknadel im Heuhaufen. Ja, es gibt sie, die herausragenden Leistungen einzelner Teams auch in diesen Bereichen. Aber sie sind offenbar so rar gesät, dass man sie kaum findet. Sie bilden noch immer die Ausnahme, nicht aber die Regel. Der Grund dafür ist, dass in unserem Kulturkreis die Leistung von Einzelkämpfern immer noch mehr gilt als die eines ganzen Teams. Das beginnt mit den Selektionsverfahren an unseren Schulen, geht weiter über die Auswahlkriterien von Universitäten und Ausbildungseinrichtungen, über die Einstellungskriterien von Unternehmen und Organisationen bis hin zu den oberen Sprossen auf der Aufstiegsleiter: überall sind Einzelkämpfer gefragt.

Im vergangenen Jahrhundert war das noch eine durchaus erfolgreiche Auslesestrategie. Aber heute, im 21. Jahrhundert, mit den gewachsenen Anforderungen, der zunehmenden Komplexität, im Zeitalter von Digitalisierung und Globalisierung und mit dem rapide wachsenden Einsatz von Algorithmen, Automaten und Robotern im Zuge der Industrialisierung 4.0 reicht das, was ein Einzelner wissen und können kann, längst nicht mehr aus, um diese komplexen Herausforderungen zu bewältigen. Heute werden Teams gebraucht; Leute, die zusammenarbeiten, anstatt sich gegenseitig überholen zu wollen. Mitarbeiter, die ihr Wissen und Können mit anderen teilen und auf diese Weise Leistungen hervorbringen, die kein Einzelner von ihnen zu erbringen imstande ist.

Das Problem ist nur: Wie lassen sich solche Teams nun aus all diesen auf die Verfolgung ihrer jeweils eigenen Interessen ausgerichteten Mitarbeitern herausformen?

Was braucht es, damit dieser besondere Teamgeist entstehen kann? Gibt es dafür geeignete Methoden und Vorgehensweisen? Versucht wird das inzwischen in fast allen Bereichen, der Erfolg all dieser Bemühungen hält sich jedoch eher in Grenzen. Und das, obwohl in der Theorie – also in Bezug auf die Erkenntnisse aus sozialwissenschaftlichen, psychologischen und neurobiologischen Untersuchungen – das, worauf es für die Herausbildung eines Dream-Teams ankommt, längst bekannt ist. Nur scheint es auch hier, wie an anderen Stellen, ein bemerkenswertes Umsetzungsdefizit zu geben.

Um das deutlich zu machen und überwinden zu helfen, wollen wir diese Geschichte erzählen. Im Mittelpunkt steht hier nicht die graue Theorie, sondern die lebendige Praxis: Eine kleine Gruppe von Radrennfahrern aus Ostthüringen, deren Mitglieder die ausgesprochen irrwitzige Idee hatten, einmal am RAAM, dem »Race Across America«, teilzunehmen, und denen es zu Anfang erst einmal nur darum ging, dieses schwerste und anspruchsvollste aller Radrennen zu überstehen – an der Westküste der USA zu starten und nach 5000 Kilometern an der Ostküste anzukommen.

Sie und ihr Erfolgsrezept wollen wir uns in diesem Buch etwas genauer anschauen. Denn dieses Team hat es nicht nur geschafft, dieses Wahnsinnsrennen zu überstehen, sie haben es sogar gewonnen. Ein No-Name-Team aus Thüringen, in gerade mal elf Monaten entstanden, ist mit dem sagenhaften Vorsprung von vier Stunden und 36 Minuten über die Ziellinie gefahren und hat die Besten der Besten auf die Plätze verwiesen.

Seit gut 35 Jahren fordert das Race Across America, kurz RAAM genannt, Ultra-Radsportler aus der ganzen Welt heraus, ihre körperlichen und mentalen Grenzen zu erfahren. Gestartet wird in Oceanside, unter einer der längsten Seebrücken Kaliforniens, der Rennverlauf erstreckt sich über 5000 Kilometer und 50 000 Höhenmeter, durchquert zwölf US-Bundesstaaten und endet schließlich in Annapolis, Maryland, dem Segel-Mekka der amerikanischen Ostküste.

Die Route überquert die drei größten Bergketten – die Sierra Nevada, die Rocky Mountains und die Appalachen. Sie kreuzt vier der längsten Flüsse des Kontinents – den Colorado, den Mississippi, den Missouri und den Ohio. Und sie führt durch die ikonischen amerikanischen Sehenswürdigkeiten wie die Mojave- und Sonora-Wüste, das Monument Valley, die Great Plains und den Bürgerkriegsschauplatz in Gettysburg.

Das Rennen ist offen für Amateur- und Profi-Rennfahrer. Für Solo-, Zweier-, Vierer- und Achter-Teams gibt es kein vergleichbares Radrennen auf der Welt. Das RAAM ist inzwischen zu einer globalen Legende geworden und zieht jedes Jahr Rennfahrer aus über 35 Ländern an.

Im Gegensatz zu den drei großen europäischen Grand Tours – Tour de France, Vuelta a España und Giro d’Italia – ist das RAAM aber kein Etappenrennen, sondern ein durchgehendes Rennen. Genau genommen ist es ein ununterbrochenes Einzelzeitfahren vom Start bis ins Ziel, Tag und Nacht, und damit das längste Zeitfahren der Welt oder wie die Radprofis selbst sagen: das ultimative Rennen der Wahrheit.

Das RAAM ist dabei um etwa ein Drittel länger als die Tour de France. Darüber hinaus müssen die Rennfahrer die Strecke in etwa der Hälfte der Zeit und ohne Ruhetage absolvieren. Auch das macht dieses Rennen zu einem der angesehensten und am längsten laufenden Ultra-Ausdauer-Events der Welt. Es gilt als Höhepunkt der sportlichen Leistung nicht nur in Radsport-Kreisen, sondern in der gesamten Höchstleistungssport-Szene. Es gibt kein anderes Radsportereignis, das den Geist eines Teams vom Anfang bis zum Ende derartig herausfordert.

Und damit sind wir wieder bei der entscheidenden Frage angekommen, um die es in diesem Buch geht: Was ist das Geheimnis eines Teams, das gemeinsam etwas schafft, wovon dessen Mitglieder ein Jahr zuvor kaum zu träumen gewagt und was ihnen Außenstehende niemals zugetraut hätten? Mit theoretischen Überlegungen lässt sich das nicht erklären. Um zu verstehen, was eine solch außergewöhnliche Leistung einer Gemeinschaft möglich macht, muss man selbst dabei gewesen sein. Zwei von uns, Nicole Bauer und Sven Ole Müller, sind in diesem Team mitgefahren. Der dritte Autor, Gerald Hüther, hat den Prozess der Teambildung begleitet. Gemeinsam wollen wir nun in diesem Buch deutlich machen, was genau es diesem Team – das elf Monate vor dem Start noch gar nicht existierte – ermöglicht hat, diesen Erfolg einzufahren.

Damit beim Lesen gleich deutlich wird, ob es eher um grundsätzliche Überlegungen zu dem geht, was ein »high-performance«-Team auszeichnet, oder ob es sehr konkret um die praktischen Erfahrungen einzelner Mitglieder dieses Radrennteams geht, haben wir den einzelnen Abschnitten den Namen des jeweiligen Autors vorangestellt.

Allgemeingültige Erkenntnisse und theoretische Überlegungen, die den Anfang oder den Abschluss der einzelnen Kapitel bilden, wurden von Gerald Hüther verfasst. Er ist einer der bekanntesten Hirnforscher Deutschlands, war von 2004 bis 2016 Professor für Neurobiologie an der Universität Göttingen und ist Vorstand der von ihm gegründeten Akademie für Potentialentfaltung.

Nicole Bauer ist im Hauptberuf Rechtsanwältin und nebenbei passionierte Marathonläuferin. Sie hatte noch ein Jahr vor ihrem Eintritt ins Team nie auf einem Rennrad gesessen und zeigt in diesem Buch als einzige Frau unter den vier Racern nicht nur, wie Potentialentfaltung möglich ist. Sie ist ein leibhaftiges Beispiel dafür, was aus einer solchen Erfahrung erwachsen kann.

Sven Ole Müller ist selbständiger Unternehmer, langjähriger Radmarathonathlet und war beim RAAM 2016 Chef de Mission. Er war es auch, der nie bereit war, seinen Kindheitstraum aufzugeben. Ihm gelang es letztendlich, andere Menschen zu finden, die einen ähnlichen Traum in sich trugen und die sich dann gemeinsam mit ihm und Nicole auf den Weg machten, um diesen Traum zu verwirklichen.

Was die Geschichten aus der Vorbereitung des Rennens und aus dem Rennen selbst angeht, die das illustrieren sollen, was Gerald Hüther in seinen Überlegungen anspricht, werden wir immer wieder in der Chronologie der Ereignisse vor- und zurückspringen, je nachdem welche Begebenheit für das einzelne Kapitel relevant ist.

Was Sie beim Lesen unseres Buches erwartet, ist also weit mehr als eine theoretische Abhandlung, schließlich ist das Team ja auch nicht nur theoretisch über die Ziellinie gefahren. Alle Ereignisse, alle Gefühle, all das, was in der Zeit vor, während und nach dem Rennen geschehen ist, sind Puzzleteile, die zusammengefügt beweisen, dass Spitzenleistungen im Team nur durch ein konstruktives menschliches Miteinander erreicht werden können. Davon möchten wir berichten, denn es ist das, was das Unmögliche möglich gemacht hat.

Wir wünschen uns, dass das, was die Mitglieder dieses Teams erleben durften und was sie gemeinsam auf diesem Weg erfahren haben, möglichst vielen Menschen als Ansporn und Ermutigung dient, um ihren ganz persönlichen Traum zu verwirklichen.

1. Als Underdog gestartet – als Sieger im Ziel

Nicole Bauer

»Nach sechs Tagen, 17 Stunden, 56 Minuten und 5000 gefahrenen Kilometern überqueren wir wie in Trance gemeinsam die Ziellinie in Annapolis.«

Wenn mir vor drei Jahren jemand gesagt hätte, dass ich 2016 für eine knappe Woche fast ununterbrochen auf einem Rennrad sitzend quer durch Amerika fahren und das härteste Radrennen der Welt gewinnen würde, ich hätte ihn ausgelacht und für verrückt erklärt. Zu absurd. Zu weit weg von all dem, was mich damals umgab und was ich mir selbst zugetraut hätte. Was wir gemeinsam geschafft haben, erscheint mir auch heute manchmal noch wie ein Wunder, und Wunder kann man anderen am besten näherbringen, indem man sie konkret werden lässt. Darum beginne ich mit dem Ende, mit der letzten Etappe, damit Sie, liebe Leserin, lieber Leser, miterleben können, was dieser Abschluss für uns bedeutete.

Es war ein seltsames Gefühl, jeder von uns wusste, dass nun bald alles vorbei war. Könnten wir nicht einfach die Zeit anhalten? Könnte es nicht immer so weitergehen? Tapfer versuchten wir, die aufkeimende Traurigkeit so gut es ging zu ignorieren. Zu lachen, auch wenn uns zum Weinen zumute war. Die Tränen niederzuringen. Jetzt muss doch gefeiert werden!

Die Temperaturen waren gesunken, es war kalt. Die Müdigkeit und die Strapazen der letzten Tage machten sich bei allen deutlich bemerkbar. Dazu der Ärger über eine einstündige Zeitstrafe, deren Grund wir alle nicht so richtig nachvollziehen konnten. Doch daran war nicht zu rütteln. Also fanden wir uns regelkonform alle an der Time Station 52 in Mt. Airy ein, um die Strafe abzusitzen. Ärgerlich, denn es waren nur noch »lächerliche« 55 Meilen (rund 88 Kilometer) bis ins Ziel, ein Katzensprung, ein sprichwörtliches Nichts im Vergleich zu dem, was wir in den letzten Tagen gemeinsam bewältigt hatten. Doch auch hier, wie schon so oft zuvor: Kein Grund, uns entmutigen zu lassen. Kein Grund, kostbare Zeit mit Diskussionen zu verschwenden.

Stattdessen spielten wir Federball und vergaßen dabei nicht nur die Zeit, sondern auch für uns zu sorgen. Wir witzelten, es sei ja nur noch eine »Bäckerrunde« zum Brötchenholen bis ins Ziel.

Ein wenig zu schlafen und etwas zu essen wäre wichtig gewesen. Das Überqueren der Appalachen hatte uns sehr viel Kraft gekostet, und unser Übermut, hervorgerufen durch Schlafmangel und Glückshormone angesichts unseres großen Vorsprungs, sollte uns sehr schnell wieder vergehen.

Die letzten 90 Kilometer, endlich gemeinsam.

Die letzten Kilometer wollten alle vier Racer des Teams, also Lars, Robby, Sven Ole und ich, gemeinsam fahren. Wir wollten die Ziellinie zusammen überqueren und genießen, was wir auf den vergangenen 4900 Kilometern abwechselnd, aber jeder immer allein und am Ende eben wir alle gemeinsam geschafft hatten. Und so fuhren wir die ersten 30 Kilometer nach der Zeitstrafe in einer filmreifen Formation, wir waren bildlich aneinandergewachsen, zwischen uns passte kein Blatt Papier.

Aber es war kühl, früh um 6:00 Uhr, wir hatten fast 5000 Kilometer in den Beinen und im Erfolgsrausch all unsere Routinen außer Acht gelassen, nicht gegessen, nicht geruht, waren nicht mehr im Wechselrhythmus und hatten für ein schönes Zielfoto nur die hauchdünnen Zeitfahranzüge angezogen.

Keiner sprach etwas. Totenstille. Jeder war offensichtlich im inneren Dialog mit sich, was bei einem Ultra-Athleten heißt: Fokussierung, weil es ans »Eingemachte« geht.

Sven Ole ließ anhalten und sprach aus, was alle spürten: »Wir können die knapp 90 Kilometer nicht alle vier zusammen fahren, wir müssen uns wieder aufteilen und den erprobten Rhythmus einhalten.« Allen fiel ein Stein vom Herzen, denn jeder war gleichermaßen erschöpft und schon im »Notlaufmodus«. Wir teilten die restlichen 60 Kilometer auf und beschlossen, die letzten zehn noch gemeinsam ins Ziel zu rollen.

Die entscheidende Lehre für uns alle war: »Fehler machst du im Erfolg.« Für das gesamte Team war in dem Moment klar, dass es oftmals an Kleinigkeiten liegt, wie eine Sache ausgeht. Umgekehrt wussten wir aber auch, wie viele Kleinigkeiten jeder in der letzten Rennwoche durch Freiheit und Vertrauen richtig entschieden und gestaltet hatte. Ein bewegender Augenblick so kurz vorm Ziel.

Mental war die Luft raus. Wir alle fühlten keinen Rennmodus mehr. Selbst mit einem Rennwagen hätten uns die Verfolger nicht mehr einholen können. Wir fuhren weit unter unserer Durchschnittsgeschwindigkeit der vergangenen sechseinhalb Tage und genossen die Landschaft.

Dann tauchte sie auf, fast leer und verlassen, die vielbeschriebene Tankstelle am Rande der Stadt, mit der Ziellinie zur Rennzeiterfassung. Kein großes Empfangskomitee, kein Jubel, wie wir das als Sieger nach solch einer Tour erwartet hatten. Stattdessen lag auf der Straße ein Teppich, auf dem – wir vermuteten es mehr, als dass wir es wussten – die Zeiterfassungstechnik installiert war, links und rechts ein Verkehrskegel, das war alles.

»Soll ich da mal rüberfahren?«, fragte ich die anderen verunsichert. »Ja, mach einfach mal.« Was für ein Bild: Fast in Zeitlupe rollte ich über den Teppich und hatte damit unsere offizielle Rennzeit in den Asphalt gegossen.

Ein komisches Gefühl, irgendwie hatte ich mir das aufregender und professioneller vorgestellt. Niemand außer der Rennleitung hatte in diesem Moment unseren Sieg wahrgenommen. Also blieb uns nichts anderes übrig, als diesen Schlussakt erst einmal selbst zu zelebrieren.

Denn nun war es tatsächlich zu Ende. Wir hatten das härteste Radrennen der Welt überstanden. Aber nicht nur das. Wir hatten es gewonnen.

Viel Zeit, um das zu realisieren, blieb uns allerdings nicht, denn an der Tankstelle hatte sich unter anderem der Chief Race Official, Jim Harmes, eingefunden, der uns die letzten »neutralen« neun Kilometer, also den Rest der Strecke ohne Zeitnahme bis zum Hafen von Annapolis, dem endgültigen Ziel, mit einem PKW eskortieren wollte.

Wir machten uns kurz frisch, wechselten mit Jim – der uns auch die Zeitstrafe verpasst hatte und der, seit wir in Führung lagen, immer in der Nähe war und uns überwachte – ein paar Worte, brachten das Mediateam in Stellung und kommunizierten letztmalig vor der Ankunft im Hafen von Annapolis mit unserer Crew.

Und dann begann er. Der letzte Abschnitt, die Fahrt zum Zielbogen am Yachthafen. Geführt vom Chief Race Official höchstpersönlich. Innerlich hatte ich mich auf ein gemütliches Fahren eingestellt. Umso überraschter war ich, als ich merkte, dass ich Mühe hatte, dem Auto des Rennleiters zu folgen.

»Sag mal, spinnt der total?«, hörte ich mich innerlich fluchen.

Offenbar wollte man uns auf den letzten Kilometern nochmal alles abverlangen. Jim Harmes fuhr nicht nur in einem rasanten, sondern auch mit ständig wechselndem Tempo, was einem klassischen Intervalltraining gleichkam. An jeder Ampel war kraftvolles Antreten nötig, um am Auto dranzubleiben, es ging über breite Highways, wir hatten riesige Spurwechsel zu absolvieren und mussten alles geben, um ihn nicht zu verlieren. Allein hätten wir gar keine Chance gehabt, den Weg zum Hafen zu finden.

»Ich habe die Ziellinie überquert, alles geschafft und absolut keine Kraft mehr für solches Gerase«, schoss es mir immer wieder durch den Kopf. Mein Körper war leer, kraftlos und völlig erschöpft. Ich sah keinen Sinn darin, mich derart zu verausgaben. Mir schossen die Tränen in die Augen, und mit jedem Tritt keimte mehr und mehr der Gedanke auf, abzusteigen und das Rad in den Graben zu werfen. Sven Ole bemerkte meinen Zustand und achtete darauf, dass ich den Anschluss nicht verlor. Immer wieder »schob« er mich, sodass ich die Chance hatte, im Windschatten des Fahrzeugs zu fahren und auf diese Art meine wenigen verbliebenen Kräfte zu schonen. Er ermutigte mich, heiterte mich auf. Rückblickend weiß ich nicht, was passiert wäre, wenn er das nicht getan hätte. Diese letzten Kilometer waren für mich mit Abstand der härteste Abschnitt des gesamten Rennens. Ich zählte die Kurven und wartete sehnsüchtig darauf, dass endlich der Schriftzug »Port« auf einem der zahlreichen Hinweisschilder zu lesen war.

Und dann war es plötzlich, als ob sich ein Fenster öffnete: ohrenbetäubender Lärm, jubelnde Menschen, laute Musik. Direkt vor mir tauchte im Torbogen zum Hafen der Rest unseres Teams auf.

Es war 09:20 Uhr Ortszeit, und das hier war unser Moment – der Augenblick, auf den wir elf Monate hingearbeitet hatten. Wir waren als bestes Mixed Team unter 50 Jahren am Ziel angekommen. Mit einem riesigen Vorsprung. Fahnenschwingend ging es für alle gemeinsam durch den Torbogen, die Finishline des Race Across America. Unsere Augen leuchteten, während aus den Lautsprecherboxen Nenas Song »99 Luftballons« ertönte. Wir fühlten uns wie im siebten Himmel.

Zieleinlauf nach 4939 Kilometern.

Ich habe noch nie so eine emotionale Achterbahn erlebt. Eine Last fiel von uns ab. Wir wussten jetzt: Es war vorbei. Und gleichzeitig konnten wir noch gar nicht begreifen, geschweige denn in Worte fassen, was da gerade passiert war. Wir fielen uns freudetrunken in die Arme, beglückwünschten uns zu dieser überragenden Leistung und versuchten, den Moment aufzusaugen.

Erleichterung und Freude im Ziel.

»Du wirst das niemals schaffen«, hörte ich die Worte der zu Hause gebliebenen Bedenkenträger in mir nachklingen. Ich hatte es aber nicht nur geschafft, bei diesem Rennen mitzufahren, sondern ich hatte mein Team mit all meiner Kraft unterstützt. Ich war Teil des Sieges geworden, und ich weinte, weil der Weg so unbeschreiblich schön und gleichzeitig auch so unglaublich schwer gewesen war. Die vielen Steine, die uns unterwegs in den Weg gelegt worden waren, hatten wir gemeinsam weggeräumt. Und ich selbst war, wie alle anderen aus unserem Team, trotz aller Widerstände weit über mich hinausgewachsen. Ich hatte scheinbar Unmögliches geschafft und meine Grenzen verschoben. Was für ein Gefühl!

In diesem Moment wurde mir erst einmal bewusst, was es heißt, anderen Menschen bedingungslos zu vertrauen, mich in deren Obhut zu begeben, auch mal loszulassen und Aufgaben an andere abzugeben, weil diese manches einfach besser konnten als ich. Hinter uns lagen sechs Tage, 17 Stunden und 56 Minuten gemeinsamer Anstrengung. Dabei sind wir einander auf eine Art und Weise begegnet, die ich bis dahin in unserer oftmals hektischen, turbulenten und oberflächlichen Gesellschaft noch nicht kennengelernt hatte. Vielleicht ist es immer so mit Grenzerfahrungen: Man hat im Anschluss an solche Erlebnisse große Mühe, in sein altes Leben zurückzufinden. Ich konnte mir jedenfalls nicht mehr vorstellen, einfach so weiterzumachen wie vor elf Monaten. Das war undenkbar.

»Great Job!« Die Worte des Moderators hallten über die Lautsprecher. Ja, aber tatsächlich war es eine »Great experience«!

Gerald Hüther

Nicole hat es schon erwähnt: Wir haben das Ende dieser unglaublichen Teamleistung, die diese kleine Radfahrertruppe aus Thüringen vollbracht hat, ganz bewusst an den Anfang dieses Buches gesetzt. An das in ihren Augen Unmögliche können die meisten Menschen nämlich erst dann glauben, wenn es jemand auch wirklich geschafft hat. Und das ist auch gut so, denn sonst würden wir allzu oft irgendwelchen Rattenfängern hinterherlaufen, die uns alles Erdenkliche einzureden versuchen. Aber wir wollen ja in diesem Buch nicht nur zeigen, dass es geht, sondern auch versuchenherauszufinden, wie es geht. Was in so einem Team, oder allgemeiner, in einer menschlichen Gemeinschaft entstehen muss, damit es geht. Wir wollen uns also gemeinsam mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, auf die Suche nach dem Geheimnis des Gelingens machen. Denn was aus dieser Schilderung der letzten Etappe dieses großen Radrennens deutlich wird, ist eine wunderbare Erkenntnis: Der Erfolg ist ein Nebeneffekt des Gelingens. Umgekehrt gilt das interessanterweise nicht. Es gibt sehr viele extrem erfolgreiche Personen, denen nur sehr wenig gelingt. In ihren Partnerschaften nicht, in ihrer Familie nicht, mit den Kindern nicht und leider sogar manchmal generell im eigenen Leben nicht. Sie werden genügend solcher Beispiele kennen. Die genüsslichen Beschreibungen dieses Scheiterns der besonders Erfolgreichen sind nicht ohne Grund ein beliebter Gegenstand der sogenannten Klatschpresse.

Auch im Gehirn laufen offenbar sehr unterschiedliche Prozesse ab, je nachdem, ob jemand Erfolg hat oder ihm etwas gelingt.