Drei im Blau - Gustav Schörghofer - E-Book

Drei im Blau E-Book

Gustav Schörghofer

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Beschreibung

Wo sich Glaube und Kunst begegnen - und auf den Menschen treffen. Kunst und Glaube werden heute oft für unvereinbar gehalten. Doch der Jesuitenpater Gustav Schörghofer spannt einen Bogen über die Jahrhunderte bis zur Gegenwart, von glaubensbildender Kunst zu bildhaftem Glauben, und hebt damit den Gegensatz auf: Einerseits zeigt er hinter Techniken und Themen der Maler das tiefe Grundbedürfnis der Menschen, über sich selbst hinausgehend Sinn zu entdecken wie zu stiften. Andererseits lässt er den Wert sichtbarer Schönheit und poetischen Geistes für religiöse Lehren begreifen. Aus dieser doppelten Perspektive gelingt Strich für Strich ein Bild von Kunst und Glaube, welches Nähe schafft, wo lange Zeit nur Distanz gesucht wurde.

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GUSTAV SCHÖRGHOFER

DREIIM BLAU

MIT EINEM BEITRAGVON JULIAN SCHUTTING

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

www.residenzverlag.at

© 2013 Residenz Verlagim Niederösterreichischen PressehausDruck- und Verlagsgesellschaft mbHSt. Pölten – Salzburg – Wien

Alle Urheber- und Leistungsschutzrechte vorbehalten.Keine unerlaubte Vervielfältigung!

ISBN ePub:978-3-7017-4423-7

ISBN mobi:978-3-7017-4424-4

ISBN Printausgabe:978-3-7017-3298-2

INHALT

Zur Einleitung

Teil IDrei im Blau

Über sich hinausgehen

Das Fremde sehen

Die Erfindung von Leerraum und Subjekt

Die Eindeutigkeit geht verloren

Fragmente im Unfassbaren

Sichtbares und Unsichtbares

Einfache Dinge

Giorgio Morandi (1890–1964)

Käthe Kollwitz (1867–1945)

Schweben

Wunde und Schmerz

Das Kreuz

Max Weiler (1910–2001)

Karl Prantl (1923–2010)

Der Glanz von Gold

Wie sieht Gott aus?

Teil IIJulian Schutting: Wie sieht Gott aus?

Teil IIIÜber das Schaffen von Orten

Kirche

Fabrik

Nachwort

Anmerkungen

Bildnachweis

Es wird schon irgendwie weitergehen, glauben die Menschen, mit der Wirtschaft, mit dem Wohlstand, mit der Sicherheit, mit dem Leben. Die Menschen leben weiter in der Wiederkehr des immer Gleichen. Doch für den Einzelnen kann es plötzlich vorbei sein. Wer den Tod oder den Weggang eines Menschen erleidet, kommt an ein Ende. Gibt es dort, wo alles vorbei ist, noch etwas zu entdecken? Zunächst ist alles aus. Und dann? Es heißt, ein Christ habe den Tod hinter sich und die Liebe vor sich. Das klingt sehr schön, setzt aber voraus, dass die Liebe aus dem Nichts erstehen kann, etwas völlig Neues, noch nie Dagewesenes. Keine Wiederholung, keine Wiederkehr des immer Gleichen. Gibt es das, die Musik nach dem Ende? Sie müsste dann anders sein. Beziehungen müssten anders gelebt werden, Kunstwerke anders aussehen und Priester anders sprechen. In jeder Begegnung müsste das Staunen darüber mitschwingen, dass der Andere da ist. Der Andere, das ist der Fremde, das ist der, der durch den Tod hindurch zu entdecken ist – nur durch den Tod hindurch. Im Glauben und in der Kunst geht es letztlich um nichts anderes als um Begegnung mit diesem Fremden.

In Erinnerung an den Oboisten Wolfgang Zimmerl (1965–2011)

ZUR EINLEITUNG

Die Betrachtungen und Überlegungen dieses Buches sind das Ergebnis langer Erfahrung im Umgang mit Kunstwerken, seien sie alt, modern oder zeitgenössisch. Glaube wird von mir als einzigartiges Phänomen verstanden, da er in einer persönlichen Beziehung zu Gott gründet, wie sie in der Taufe zum Ausdruck gebracht wird. Mit Religiosität oder Spiritualität darf das Phänomen des Glaubens nicht verwechselt werden. Es ist ganz anderer Natur.

Die Erfahrung des Glaubens und die Erfahrung der Kunst haben mich zu zwei Einsichten geführt. Zur einen, dass Kunstwerke, wenn sie mit den „Augen des Glaubens“ betrachtet werden, tiefere und weitere Bedeutung bekommen. Zur anderen, dass die Begegnung mit Kunstwerken eine wesentliche Hilfe ist, um Glaube, Hoffnung und Liebe in unserer Gegenwart lebendig zu erhalten.

Die Bibel beschreibt den Weg Gottes als Wendung zu den Armen, den Witwen und Waisen, zu allem, was am Rand steht, schwach ist, als unbedeutend gilt. Sie beschreibt Gottes Weg als Menschwerdung, als Eingehen in Schwäche und Verwundbarkeit, Auslieferung an die Gewalttäter, Leiden und Tod. Und sie beschreibt ihn als Durchgang durch Wunden, Leid und Tod, als Weg zu einem neuen Anfang, in eine neue Schöpfung.

Die Kunst der Gegenwart und des 20. Jahrhunderts hat wesentlich mit diesen Kernaussagen der Bibel zu tun. Sie hat sich selbst auf diesen Weg gemacht. Das zeigt sich jedoch auf eine völlig neue und überraschende Weise. Es wird nicht mehr abgebildet, es werden Zeichen gesetzt. Ein Betrachter kann all das nicht verstehen, wenn er als Unbeteiligter Distanz hält. Nur wer die Erfahrung, die den Kunstwerken zugrunde liegt, als Erfahrung des eigenen Lebens begreift, wird den Sinn dieser Kunst erkennen.

Die Entdeckung der Würde dessen, was als minderwertig bisher verworfen worden war, durch Künstlerinnen und Künstler ist eines der großen kulturhistorischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Materialien aller Art, deren Verwendung in einem Kunstwerk früher ganz und gar ausgeschlossen war, tauchen nun in Bildern und Skulpturen auf. Das Unedle, Wertlose, der Abfall – all das bekommt durch die Kunst eine besondere Würde. Die Kunst von Kurt Schwitters ist hier zu nennen, oder die von Jean Tinguely, die von Alberto Burri und die von Antoni Tàpies. Viele Künstlerinnen und Künstler haben etwas bezeugt, das einer in der Bibel geschilderten Grundhaltung Gottes entspricht.

Gerade im kirchlichen Umfeld ist immer wieder zu hören, die Kunst solle doch edel, schön und erhaben sein. Doch der Gott der Bibel nimmt sich gerade des Minderwertigen und Geringgeschätzten, der Sünder, an. Er entdeckt Schönheit und Würde dort, wo andere nur Dreck und Niedrigkeit sehen können. Der Blick Jesu, sein immer wieder bezeugtes Gespür für die Größe und Würde des Menschen, macht das deutlich. Den Künstlerinnen und Künstlern ist es zu verdanken, dass inmitten einer Konsum- und Erfolgsgesellschaft dem als gering und wertlos Geltenden Würde und Ansehen geschenkt wird. Eben deshalb machen sie gerade das Unansehnliche und Unbrauchbare zum Gegenstand ihrer Werke.

Die Erfahrung von Leid, nicht nur der Menschen, sondern der gesamten Kreatur bis hin zur Deformation der Materie, hat mehr als jede andere Erfahrung die Kunst des 20. Jahrhunderts geprägt. Auch hier sind es nicht Abbilder, die das Leid und die Leidenden auf Distanz zum Betrachter halten. Im 20. Jahrhundert führt die Kunst – wie nie zuvor in der Geschichte Europas – in die Mitte des Leids, der Not, der Nacht. Niemand wird sie verstehen, der in diesen Bildern, Skulpturen, Filmen, Gestaltungen aller Art nicht die eigene Erfahrung wiederfindet, sich nicht hinführen lässt in die Mitte eigenen Leids und eigener Not. Diese Kunstwerke sind Begleiter und Hilfe, um es an einem schrecklichen Ort auszuhalten. Um es auszuhalten, hier auf der Erde, aus Liebe zu anderen.

Auch wenn in den Kunstwerken, gerade in den schrecklichen, den schwer erträglichen, von Liebe nicht die Rede ist: dass sich hier einer so weit zum Menschen vorgewagt hat, dass er die Nähe des Menschen auch in seiner Not, seiner letzten Not sucht, das allein ist Zeugnis der Liebe. Ein Künstler legt dieses Zeugnis im Kunstwerk ab, ein Betrachter kann es entdecken und in sein eigenes Zeugnis verwandeln. Wer von der Kunst der Gegenwart Trost und Schönheit verlangt und ihr den Mangel an all dem zum Vorwurf macht, der verkennt die Situation des Menschen in dieser Zeit. Der verkennt auch die Botschaft der Bibel, dass die neue Schöpfung nur im Durchgang durch das Leid zu finden ist.

Das Leid, der Verlust, die Wunde, die Not zeigen sich auf unterschiedliche Weise im Werk vieler Künstler. Zwei bereits verstorbene Filmemacher sind hier besonders zu erwähnen: Andrej Tarkowskij und Pier Paolo Pasolini. Der Betrachter hat nicht mehr das allgemein verständliche Bild der Not, des Leids vor sich, das frühere Jahrhunderte geschaffen haben: der Gekreuzigte, der Märtyrer. Damals wurde das Leid stets in einem Zusammenhang wahrgenommen, der ihm Sinn schenkte. Heute ist dieser Zusammenhang nicht mehr vorgegeben.

Für die Vorstellung von einem Ende, das zugleich der Beginn von etwas Neuem ist, hat die Wunde besondere Bedeutung. Durch die Wunde wird der Leib geöffnet. Sie ist ein Tor in sein Inneres, ein Einlass. Zugleich ist sie Ausgang aus dem Inneren. Durch sie teilt sich etwas mit, das im Inneren verborgen ist. Alte Bilder zeigen die Geburt der Kirche aus der Seitenwunde Jesu Christi. Bilder des Schmerzensmannes aus dem 15. Jahrhundert zeigen die Zuwendung Jesu Christi zum Betrachter auf ganz besondere Weise: Jesus hält mit beiden Händen die Öffnung der Seitenwunde offen.

Nachdem schon im 19. Jahrhundert die Darstellungen christlicher Bildinhalte weniger wurden, verschwinden sie im 20. Jahrhundert fast ganz. Doch nie zuvor in der Geschichte hat es eine größere Fülle und Qualität von Kunstwerken gegeben, die in jener von ihrem Ursprung her tief christlichen Vorstellung des Guten, aus dessen Wunde das Neue entspringt, verwurzelt sind.

Lucio Fontana thematisiert die Verletzlichkeit der Haut des Tafelbildes und öffnet sie durch Löcher und Schnitte. Eine neue Gestalt des Bildes entsteht. Sie verlangt, in das Bild einzugehen, durch den Schnitt, durch die Öffnung den Weg in ein Inneres anzutreten.

Der Reichtum der Kunst von Wols oder von Paul Klee gibt sich dem zu erkennen, der sich auf ihre äußerst zarte Form einlässt. Die Kunst beider zeigt eine Welt mit verletzlicher und verletzter Haut. Auch die Stillleben von Giorgio Morandi sind in diesem Zusammenhang zu sehen, und die Kunst von Alberto Giacometti, die Arbeiten von Bill Viola und die von James Turrell. Ja mehr noch: Das Element des Verwundbaren, des Verwundeten, das Phänomen der Wunde, der Öffnung, durch die Zugang zu etwas Neuem gewährt wird, ist so prägend für die Kunst des 20. Jahrhunderts, dass kein bedeutendes Werk eines Künstlers frei davon ist. Die Frage ist, wie es zu entdecken, wie es wahrzunehmen ist. Denn es ist nicht wie früher an bestimmte Motive und Inhalte gebunden, sondern tritt in immer neuen Erscheinungen auf, von Künstler zu Künstler, von Künstlerin zu Künstlerin verschieden.

Der Betrachter muss sich den Zugang zur Bildwelt eines jeden Künstlers, einer jeden Künstlerin, immer wieder neu suchen. Das Fremde fordert ihn immer neu heraus, sich der eigenen Erfahrung zu stellen. Der Sinn ist nicht vorgegeben, sondern vom Betrachter auf dem Weg der eigenen Erfahrung erst mühsam zu entdecken. All das aber führt näher an die Welt der biblischen Botschaft heran als eine Vorwegnahme von Sinn, die doch nur das Eingehen auf das Leid zu meiden sucht.

Erstaunlich ist, wie sehr sich in der Kunst der Gegenwart und der des 20. Jahrhunderts jenes Geheimnis offenbart, welches das Geheimnis großer Kunst ist. Jedes Kunstwerk birgt in sich eine tiefe Freude, es eröffnet dort den Zugang zu einem Sinn, wo aller Sinn verloren scheint, es öffnet die Augen für Schönheit dort, wo nur mehr das Grauen zu regieren scheint. In den besten alten Bildern des Gekreuzigten ereignet sich gerade das.

Die biblische Botschaft bezeugt immer wieder, dass im Durchgang durch Leid und Tod, im Durchgang durch ein Ende, einen Verlust, etwas zu erreichen ist. Ein neuer Anfang, ein Leben jenseits des Todes, eine neue Schöpfung. Was bereits in diesem Leben vielfach erfahren werden kann, findet seine Erfüllung in der Auferstehung der Toten, wenn Gott alles in allem ist (1 Kor 15,28). Eine tiefe Ahnung dieser Wirklichkeit kommt in jedem Kunstwerk zum Ausdruck. In jedem Kunstwerk zeigt sich Glaube, unverfügbar, aufgrund der Qualität des Werkes.

Das größte Geheimnis der biblischen Botschaft, das Wort von der Nähe Gottes, von der Auferstehung, von der neuen Schöpfung, wird von den Werken großer Kunst bezeugt. Im 20. Jahrhundert gibt es Werke dieser Art. Die Skulpturen von Alberto Giacometti stehen für die Wirklichkeit einer neuen Schöpfung ein. Sie sind auf einem Weg entstanden, der durch den Verlust der Figur, durch den Verlust alles Abbildhaften, durch den Verlust alles Fassbaren hindurch geführt hat. Wer nahe an sie herantritt, kann keinen Bezug zu einer Form des menschlichen Körpers wahrnehmen. Und doch ist durch diese Figuren der menschliche Körper, der lebendige Leib auf eine einzigartige Weise präsent. Jede dieser Figuren hat einen Raum um sich, der mit ihr gemeinsam wahrgenommen werden muss. Sie stehen in einem Raum, in dem sie in Erscheinung treten. Ein Raum, der nichts mehr mit unserem vermessbaren Raum zu tun hat. Es ist ein Raum, der sie trägt, den sie aufnehmen, den sie zwischen sich verdichten oder in sich verdichten.

Die Kunst der Gegenwart und des 20. Jahrhunderts bietet keine Belehrung, sie illustriert nicht die Inhalte des Glaubens. Sie ist jedoch eine Herausforderung an den Glaubenden. Sie fordert ihn dazu heraus, die Zeichen der Gegenwart des Geistes dort zu suchen und zu entdecken, wo sie nicht mehr dem Gewohnten entsprechen. Sie fordert ihn dazu heraus, die Gegenwart dessen, was vom Wort der Bibel bezeugt wird, in neuen und gültigen Gestalten zu erkennen.

„Ich arbeite nicht auf der Leinwand, wohl aber auf dem, der sie betrachtet.“ – Dieser Satz von Henri Matisse weist auf etwas hin. Das Kunstwerk verwandelt den Betrachter und dessen Wahrnehmungsvermögen. Umgekehrt hat der Betrachter selbst schöpferische Kraft, seine Wahrnehmung lässt das Kunstwerk als Kunstwerk erst entstehen. Um das Wirken des Geistes Gottes zu entdecken, bedarf es einer Ahnung, wer Gott ist und wie Gott ist. Und es bedarf der Präzision der Wahrnehmung, um wirklich zu sehen, was augenscheinlich ist.

TEIL I

DREI IM BLAU

BIRNEN/KOSMOS – ein kleines Bild von Heinrich Menches. Zwei rotbraune Dreiecke nehmen ein mächtiges Blau in ihre Mitte. Die heftige Bewegung der Pinselstriche, Aufschäumen und Versinken der Farbe: Blau, aus dem Blauweiß ins Schwarzblau. Und schwebend im Blau drei gelbe Birnen.1

„Und als er an einem Tag auf den Stufen desselben Klosters die Tagzeiten unserer Herrin betete, begann sich ihm der Verstand zu erheben, als sähe er die heiligste Dreifaltigkeit in Gestalt von drei Tasten …“2 So schildert Ignatius von Loyola in seiner Autobiografie, dem „Bericht des Pilgers“, seine Schau Gottes. Ignatius spricht von sich selbst in der dritten Person. Er sagt nicht, er habe drei Orgeltasten gesehen und diese hätten ihn an die Dreifaltigkeit erinnert. Er sagt, er habe die Heiligste Dreifaltigkeit in Gestalt von drei Tasten gesehen. Sie hat sich ihm zu erkennen gegeben. Aber nicht in mächtigen Erscheinungen, sondern in der Gestalt unscheinbarer Gegenstände. Gott kann in den Gestalten dieser Welt wahrgenommen werden. In Gestalt von drei Orgeltasten. Oder von drei Birnen im Blau.

Jesuitenkosmos – eine Installation von Christoph Steinbrener und Rainer Dempf. Von November 2008 bis Mai 2009 war über den gesamten Innenraum der Wiener Jesuitenkirche/Universitätskirche eine Ansicht der Erde aus dem Weltall gespannt. Über dem Blau der Meere weiße Wolken. Schwarz die Weite des Raums. Ein Astronaut schwebt im Freien. Teile der Raumstation. Die Gewölbefresken eines der prächtigsten hochbarocken Kirchenräume Wiens sind mit diesem auf ein engmaschiges Netz gedruckten Foto der NASA verhängt, das Bild des von Engeln bevölkerten Himmels ist durch ein neues Bild ersetzt worden. Das Motiv der „Eroberung des Himmels mit technischen Mitteln“ wurde mit neuen Methoden umgesetzt, der Innenraum der Kirche mit einer aus der Werbung bekannten Technik neu interpretiert. Das neue Bild forderte eine Wendung des Blicks, eine radikale Änderung der Blickrichtung. Nicht mehr Aufstieg des Blicks in himmlische Zonen, sondern ein Abstieg des Blicks auf die Erde. Der umgekehrte Blick geht von oben nach unten.

Diese Sichtweise entspricht jener, die Ignatius von Loyola in seinem Exerzitienbuch für die „Betrachtung über die Menschwerdung“ vorschlägt: „Die drei göttlichen Personen sehen und erwägen, gleichsam auf ihrem königlichen Sitz oder Thron ihrer göttlichen Majestät, wie sie das ganze Angesicht oder die Rundung der Erde und alle Völker schauen.“3 Die Installation Jesuitenkosmos bot dem Betrachter eine Ansicht der Welt aus der Perspektive der göttlichen Personen. Sie verbarg das in der Apsiswölbung gemalte Bild der Dreifaltigkeit. Doch sie bot die Möglichkeit, die Welt mit den Augen Gottes zu betrachten. Der Blick Gottes auf die Welt entdeckt mehr als bloß einen schönen blauen Planeten.

Michael Collins, ein Mitglied der Mannschaft von Apollo 11, schlug nach der Rückkehr vom Mond vor, auf zukünftigen Flügen auch einen Dichter, einen Priester und einen Philosophen mit an Bord zu nehmen: „Dann werden wir eine bessere Vorstellung von dem bekommen, was wir gesehen haben.“

Unsere Erde, der „Blaue Planet“. Wir haben sie gesehen, mit den Augen derer, die vom Mond oder frei schwebend im All zurückgeschaut haben: im Schwarz das leuchtende Blau der Erde. Wo wir geschützt durch Luft und von der Schwere am Boden gehalten leben. Schwer oder luftig. Wo wir unter freiem Himmel Häuser und Hütten bauen. Auf festem Boden oder auf Sand. Wo wir Heimat suchen, einen Ort der Ankunft. Im Blau der Erlösung.

Die Welt aus dem All zu sehen. Von außen auf sie zu schauen. Der Blaue Planet als Ort der Rast. Wo Leben Erlösung findet. Wo es zur Entfaltung kommt. Wo es kommt und geht, im Blau der Erde. Blau ist die Farbe des Unendlichen, des Ewigen und der Reinheit. Wir leben eingetaucht ins Blau.

Blau des Himmels, Blau des Meeres, Kornblumenblau, Stahlblau, Lavendelblau, das Blau des Eisvogels, Blau der Feder des Eichelhähers, Blau des Wellensittichs, Saphirblau, Lapislazuliblau, Blau des Labradorsteins, Ultramarinblau, Kobaltblau, Indigoblau, das Blau des Abends und des Morgens, das Blau der Nacht, das Blau des hellen Mittags, das Blau ferner Berge.

„Die Japaner schliefen unter blauen Moskitonetzen, die ihnen die Illusion von Frieden und Kühle vermitteln sollten.“4

Die Erde als Rastplatz zu betrachten. Wo es nichts zu erreichen gibt, weil alles schon erreicht ist. Millionen Jahre hat es gedauert. Doch nun bin ich angekommen. Und bevor ich wieder gehe, halte ich kurz Rast. Eingebettet ins Blau.

Marienblau. Das Blau der Unbefleckten Empfängnis. Das Blau der Reinen, die nicht unversehrt geblieben ist. Bedrohtes Blau. Bedroht vom Schmerz des Abschieds, vom Schmerz des Unverständlichen, vom Schmerz des Unrechts, vom Schmerz des Todes, vom Schmerz der Einsamkeit. Bedroht von Machtgier, von Ichsucht, von Neid, Geiz, Zorn und Wut. Bedroht von den Ausschweifungen des Geistes und der Sinne. Bedrohtes Blau. Gefährdetes Blau.

Gerettetes Blau. In die Geste der Versöhnung hinein gerettetes Blau. Das blaue Lachen des Kindes. Der blaue Blick der Unschuld. Blauäugig nicht. Das blaue Wunder der Liebe. Die Fahrt ins Blaue des Vertrauens. Das Blau der ungetrübten Hingabe. In den weiten Raum der Freiheit gerettetes Blau. Blau der Zuneigung. Die blaue Blume.

Blauer Himmel. Blaue Luft. Blaues Meer. Blaue Ferne. Blaue Augen. Blaue Lippen. Blaue Flecken. Blauer Rauch. Blaue Bohnen. Blaue Jungs. Blauer Dunst. Blauer Montag. Blaustichig.

Die Erde als einen Ort der Rast gestalten. Mit Musik. Mit Kunst. Mit Dichtung. Mit Essen und Trinken. Mit Gespräch. Mit Aufmerksamkeit. Mit Entgegenkommen. Mit Demut. Mit Freundlichkeit. Mit Vertrauen. Mit Witz. Mit kühlem Kopf. Mit brennendem Herzen. Mit Wissen. Mit Können. Mit Geduld. Das Blau der Geduld üben. Das blaue Wunder immer neu herbeirufen. Und blaue Flecken nicht scheuen.

Blau der Schuld, der eigenen und der Schuld anderer. Blaubarts Spur. Das Blau der Kälte. Blau des Eises. Blau des Stillstands. Blau des Erstarrens. Blau der Salzsäule. Das Blau der Rast verkehrt zum tödlichen Blau erstickten Lebens. Blausäure.

Das Blau der Erinnerung. Vergissmeinnichtblau. Das Gewesene im reinen Blau bewahren. Dass ihm das Drückende genommen wird. Dass es reingewaschen wird im Blau der Vergebung. Dem Blau des Verzichts Raum schenken. Dem Blau des Verzichts, das dem Leben der anderen nicht das eigene Recht auf Vergeltung entgegenstellt. Blau der Vergebung, die das Leben der anderen freispricht von den Folgen ihres unrechten Tuns. Das helle Vergissmeinnichtblau der Erinnerung. Die wie die lichtdurchfluteten Schichten des Meeres getragen ist vom Blau der Tiefe. Nachtblau der Erinnerung, das birgt und verbirgt. Tiefes Blau der Rast in Vergebung.

Das Blau von Derek Jarman:

„Blau ist die universelle Liebe, in welcher der Mensch badet – es ist das irdische Paradies.“

„Im Pandämonium der Bilderwelt

Präsentiere ich dir das universelle Blau

Blau, eine offene Tür zur Seele

Eine unbegrenzte Möglichkeit

Die greifbar wird.“

„Das unergründliche Blau der Seligkeit.“

„Ich lege dir eine Ritterspornblüte, Blau, aufs Grab.“5

„Blue“ – der letzte Film von Derek Jarman, der damals schon erblindet war, die Leinwand blau, nur blau, und Stimmen, 1993.

Das Blau von Yves Klein.

Das Blau von Georg Trakl:

„Ein blauer Augenblick ist nur mehr meine Seele.“

„In blauem Kristall

Wohnt der bleiche Mensch, die Wang’ an seine Sterne gelehnt.“

„Blaue Blume,

Die leise tönt in vergilbtem Gestein.“

„Dunkle Stille der Kindheit. Unter grünenden Eschen

Weidet die Sanftmut bläulichen Blickes; goldene Ruh.“

„Die blaue Woge

Des Gletschers.“6

Das Blau von Karl Prantl:

In den blau schimmernden Flächen des Labradorsteines sah er die Augen der Verstorbenen, ein Augenfriedhof. Die Millionen Augen der in den Gaskammern Ermordeten. Der Stein ist der Augen Rast und Ruhe. All die gebrochenen Augen leuchten im blauen Schimmer des Steins.

Das Blau Giottos:

Blau ist der Grund der Welt, Figuren, Bäume und Tiere, Bauten und Felsen, sie stehen im Blau. Blau ist das Gewölbe, das sich über alles breitet, Blau der Stille, Blau des Bergens, Blau der Heimkehr, Blau der Zusage, Blau des Trostes.

Das Blau der Glasfenster.

Von jenseits des Himmels betrachtet ist die Erde blau. Den Augen anderer verdanke ich diesen Blick auf unseren Blauen Planeten. Den Augen anderer verdanke ich die Einsicht, dass sich auch meinem Blick Gott zeigen kann. Überall im Blau der Erde lässt sich Gott finden.

ÜBER SICH HINAUSGEHEN

Unter dem Datum des 8. April 1873 findet sich im Tagebuch von Gerard Manley Hopkins folgende Notiz: „Der Eschenbaum in der Ecke des Gartens wurde gefällt. Er wurde zuerst gestutzt: ich hörte das Geräusch und indem ich hinausschaute und sah wie er verstümmelt wurde kam da in jenem Augenblick ein tiefer Stich und ich wünschte mir zu sterben und nicht mehr die Inbilder der Welt zerstört werden zu sehen.“7

Ist es übertrieben, sich wegen einer gefällten Esche den Tod zu wünschen? Gerard Manley Hopkins war Jesuit, Priester, einer der großen Dichter englischer Sprache. Er hat gewusst, was er sagte und wovon er sprach. Die Inbilder der Welt werden zerstört, damals wie heute. Wer sieht es, wen schmerzt es? Die Sensibilität der Kirche ist sozial orientiert, nicht ästhetisch. Die Hässlichkeit der Kirchenräume erzeugt nicht jenen Schmerz, den soziale Ungerechtigkeit erzeugt.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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