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Dieser Band enthält folgende Western (XXX) von Heinz Squarra: Der Goldwater-Raub John Dollar Du entkommst mir nicht! Keiner besiegt den selbstsicheren und weit bekannten John Dollar - weder im Poker, noch im Duell. Überzeugt von sich und seinem Lebensstil, droht ihm jedoch nicht nur seine einzige Liebe Virginia zu entgleiten, sondern auch ein mächtiger Rancher zum Feind zu werden. Doch John Dollar bleibt willensstark, kämpft für seine Liebe und für ein gerechteres Leben im wilden Mexia.
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Seitenzahl: 468
Dreimal kommt der Gunfighter zum Duell: Heinz Squarra Western Großband Spezial 3 Romane
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Der Goldwater-Raub
Klappentext:
John Dollar
Du entkommst mir nicht!
Dieser Band enthält folgende Western
von Heinz Squarra:
Der Goldwater-Raub
John Dollar
Du entkommst mir nicht!
Keiner besiegt den selbstsicheren und weit bekannten John Dollar - weder im Poker, noch im Duell. Überzeugt von sich und seinem Lebensstil, droht ihm jedoch nicht nur seine einzige Liebe Virginia zu entgleiten, sondern auch ein mächtiger Rancher zum Feind zu werden. Doch John Dollar bleibt willensstark, kämpft für seine Liebe und für ein gerechteres Leben im wilden Mexia.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author/ COVER FIRUZ ASKIN
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Alles rund um Belletristik!
von Heinz Squarra
Western
IMPRESSUM
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E‑Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© Roman by Author
Lektorat/Korrektorat: Kerstin Peschel
© dieser Ausgabe 2018 by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
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Tom Camon fällt gleich auf seiner ersten Frachtfahrt einem mörderischen Anschlag zum Opfer, dem er nur knapp entkommt. Doch das ist nur das kleinste Übel auf seinem langen Trail von Oklahoma nach Broken Bow, wo man sehnsüchtig auf seine Waren wartet. In Goldwater wird die Bank überfallen und über 16000 Dollar erbeutet, als er sich dort gerade auf der Durchreise befand. Kurz zuvor wird er im Saloon zusammengeschlagen und ins Jail gesteckt, weil er zu falschen Zeit am falschen Ort war.
Wer glaubt es könne nicht schlimmer kommen, der irrt. Denn es kommt noch viel schlimmer. Sein Leben wird bedroht, mehrere Anschläge auf ihn verübt, bis eines Nachts ein wahrer Krieg tobte und das Schicksal eine Entscheidung trifft …
***
Der Blitz zackte aus dem Abendhimmel über der regennassen Iowa-Prärie. Wie mit einer Riesenaxt spaltete er die mächtige Blutbuche von der Krone bis zum Wurzelstock.
Die beiden Hälften des uralten Stammes neigten sich ächzend zur Seite. Tom Camon schreckte auf dem Wagenbock zusammen. Die eine Stammhälfte senkte sich gefährlich nahe gegen den Frachtwagen. Gedankenschnell ließ Tom die Peitsche knallen und feuerte das Gespann an. Die Pferde reagierten – zu spät.
Der halbe Stamm prallte mit solchem Getöse neben Toms Wagen auf, dass die Pferde in Panik gerieten, erst recht, als Astwerk sie streifte.
Der Graue riss sich los und galoppierte in die Dunkelheit.
„ Verdammt!“, brüllte Tom. „Bleib da!“
Dann sprang er vom Bock und hetzte hinter dem Tier her. Den Grauen sah er schon nicht mehr. Er eilte zurück.
Nur mit Mühe konnte er das andere Pferd beruhigen. Immer wieder bäumte es sich auf.
Erst als das Gewitter nachließ, konnte er es allein beim Wagen zurücklassen.
Den Grauen fand er kurz vor dem Waldrand.
So still wie er dort vor der großen Eiche lag, war Tom Camon sofort klar, dass er das Pferd verloren hatte.
„ Auch das noch“, murmelte er.
In seiner Panik war der Graue gegen den Stamm geprallt und hatte sich das Genick gebrochen.
Das Gewitter zog nach Norden weiter.
Tom kehrte zu seinem Wagen zurück. Der Braune schnaubte.
Camon hängte den Hut auf den Kolben und zog das nasse Hemd aus. Der große, sehnige Mann, etwa dreißig Jahre alt, vergrub das Gesicht in den Händen.
Der Reiter näherte sich von Osten. Durch die grauen Schwaden wirkte er zuerst schemenhaft, wurde dann jedoch immer deutlicher.
Er war groß und schlank, knapp vierzig Jahre alt. Schwarzes Haar quoll unter seinem flachen Hut hervor. Er trug gestreifte Röhrenhosen und eine lange schwarze Jacke wie ein Spieler.
Alles sah ein bisschen abgetragen und zerknautscht aus, auch das verschossene rote Rüschenhemd unter der Jacke. Wie Tom trug der Fremde einen schweren Colt an der Hüfte, und aus dem Sattelschuh am Sattel ragte der Kolben eines Gewehrs.
Tom Camon lief neben dem Braunen, zog ihn mehr als er ihn führte, um ihm zu helfen, das für ihn viel zu schwere Gefährt zu ziehen. Als der Fremde direkt auf ihn zuhielt, blieb er stehen.
Der Fremde grinste belustigt, als er sein Pferd vier Yards vom Karrenweg entfernt zügelte.
„ Ein bisschen schwer für den Klepper, was?“, fragte er.
„ Vielleicht, Mister“, erwiderte Tom schleppend.
„ Bud Meese.“ Der wie ein abgetakelter Spieler aussehende Mann tippte an seinen Hut.
„ Tom Camon.“
Meese stieg ab und kam näher. „Wo soll die Reise hingehen?“
„ Ich wüsste nicht, wen das außer mir noch was angeht“, gab Tom zurück.
„ Warum denn so halsstarrig, Mister?“ Bud Meese schaute auf den Wagen und über die Plane. Die Verschleißspuren entgingen ihm nicht.
„ Alles schon ein bisschen betagt.“ Sein Grinsen verstärkte sich, wurde ironischer.
„ Der Wagen sieht so heruntergewirtschaftet wie Sie aus, Mister.“ Tom lehnte sich gegen den Braunen und kreuzte die Arme vor der Brust.
Meese lachte unbeeindruckt. „Gut möglich. – Soll ich mal raten, was Sie machen, Camon?“
Tom gab keine Antwort.
„ Sie karren für andere Leute Waren über das Land. Von der Bahnlinie bei Omaha in die Städte des Nordens und haben jetzt ein Pferd eingebüßt. Reicht der Zaster, um in der nächsten Poststation ein anderes zu kaufen?“
„ Das geht Sie einen Dreck an, Meese.“
„ Stimmt. Ich wollte nur wissen, ob Sie überhaupt eine Chance haben, mit der Ware dort anzukommen, wohin sie gekarrt werden soll. Wenn Sie keinen neuen Gaul kaufen können, ist der Braune auch bald am Ende.“
Tom Camon presste die Lippen zusammen. Was der Spieler sagte, ging ihm selbst seit Stunden durch den Kopf, seit er den toten Grauen fand.
Er hatte eben nicht genug Geld für ein anderes Pferd. Bei Weitem nicht.
Der Spieler stieg ab und trat näher. „Vielleicht können wir miteinander ins Geschäft kommen. Mein Pferd in Ihren Sielen gegen die Hälfte des Fuhrlohns.“
„ Sie sind verrückt, Meese.“
„ Und warum?“
„ Weil ich die Hälfte des Weges schon hinter mir habe. Zu teilen wäre also höchstens die zweite Hälfte. Also ein Viertel des Fuhrlohns für Ihren Gaul bis Broken Bow. Das sind von hier aus noch rund hundert Meilen.“
Bud Meese schüttelte langsam den Kopf. „Die Hälfte vom Fuhrlohn, Mister. Die Kröte müssen Sie schlucken, wenn Sie mit der Ware bis Broken Bow kommen wollen.“
Tom schaute in die dunklen Augen des Mannes. Er konnte das Angebot annehmen, dann blieb ihm wenigstens etwas vom Lohn.
Er konnte es aber auch ausschlagen. Dann blieb ihm nichts. Irgendwo würde er liegenbleiben und zum eigenen Verlust noch Ärger wegen der Ware bekommen, wenn er das Ziel nicht erreichte.
„ Einverstanden“, sagte er mürrisch. Sein Ton änderte sich. „Und hoffentlich ergibt es sich, dass ich auch dich mal über den Tisch ziehen kann.“
Meese war nicht beleidigt. Er lachte aufgekratzt und schlug Tom auf die Schulter.
Sie sattelten das Pferd ab. Meese brachte seinen Sattel nach hinten und warf ihn in den Planwagen. Tom Camon schirrte das Pferd neben den Braunen.
Dann saßen sie nebeneinander auf dem Bock und folgten dem Karrenweg nach Norden.
„ Wie hoch ist der Fuhrlohn nun?“, fragte der Spieler schließlich.
„ Hundert Dollar.“
„ Mehr nicht?“, staunte Meese. „Oder willst du mich aufs Kreuz legen?“
„ Hundert Dollar“, wiederholte Tom. „Auf den Cent genau.“
„ Schöner Dreck“, brummte der Spieler.
„ Wieso denn?“, fragte Tom. „Die zweihundertdreißig Meilen von Omaha nach Broken Bow macht man in acht bis zehn Tagen. Ohne Anstrengung. Dort kriegt man vielleicht eine andere Fuhre. So lassen sich drei in einem Monat machen. Wer verdient schon dreihundert Bucks in einem Monat?“
„ Erstens ist es höchst unwahrscheinlich, dass du so weit im Norden eine Fuhre findest, zweitens vergisst du das Risiko völlig. Du hast den zweiten Gaul verloren. Du musst das mitrechnen.“
„ Es hätte dreimal hintereinander glattgehen müssen“, gab Tom zu. „Dann wäre mein Finanzpolster ausreichend gewesen, auch solche Nackenschläge wegzustecken.“
„ Mit anderen Worten, es ist deine erste Fahrt als frischgebackener Fuhrunternehmer. Du fängst ja lustig an, Partner. Was hast du vorher getrieben? „
„ Ich war Postfahrer.“
„ Die verdienen doch nicht schlecht?“
„ Was veranlasst dich denn, mein Teilhaber zu werden?“, fragte Tom.
„ Hast du es nicht längst erraten?“
„ Ich hab dir von mir erzählt, jetzt bist du dran.“ Tom trieb die Pferde erneut an.
„ Na schön, ich spiele in den Saloons. Das Glück hat mich in letzter Zeit etwas stiefmütterlich behandelt, aber das ändert sich bestimmt. Fünfzig Dollar für ’ne Fahrt nach Broken Bow kann ich schon gebrauchen, zumal ich eh in der Richtung unterwegs bin.“
Der Planwagen rollte über einen Hügel. Die Poststation in der Senke rückte ins Blickfeld.
„ Halten wir dort?“, fragte Bud Meese. „Ich müsste mal wieder was essen.“
„ Einverstanden.“
*
Die drei Typen im Dickicht hundert Yards neben der Piste beobachteten den Planwagen, der sich langsam näherte. Es war noch früh am Morgen.
„ Wenn wir die beiden runterputzen, gehört der Kasten uns“, sagte einer. „Zwei Pferde, ein Wagen und alles, was drin rumliegt.“
„ Vielleicht ist sogar Bares dabei“, mutmaßte der Zweite, abgerissen wie die anderen, schnauzbärtig und unrasiert.
„ Aber Slim ist vielleicht nicht einverstanden“, meinte der dritte. „Kann doch sein, dass er in Goldwater was Besseres auskundschaftet.“
„ Was soll er dagegen haben, wenn wir uns zehn Meilen vor dem Nest einen Wagen unter die Nägel reißen? Natürlich kaufen wir uns die Karre.“
Der Schnauzbart repetierte sein Gewehr, als wollte er die Worte unterstreichen.
„ Meine ich auch“, sagte der neben ihm.
Tom Camon und Bud Meese dachten an nichts Böses, während sie sich dem Versteck der drei Halunken näherten. Trotzdem schaute Tom wachsam auf die Straße und ihre nähere Umgebung.
Gewohnheitsmäßig machte er das, so wie früher, als er mit der Concordkutsche der Wells Fargo unterwegs war. Nur deswegen sah er das Blinken in den Büschen, als sich Sonnenstrahlen für einen Moment auf dem Messingschloss eines Gewehrs brachen.
Er lenkte die Pferde so scharf herum, dass der Spieler zur Seite gedrückt wurde und haltsuchend nach dem Geländer griff.
„ Überfall!“, rief Tom.
Da feuerten die Banditen schon. Eine Kugel traf die Rückwand des Wagens, die nächste zerfetzte die Plane.
Tom Camon riss das Gewehr aus dem Futteral und sprang ab. Er warf sich unter den Wagen, repetierte das Gewehr und feuerte auf die Büsche.
Bud kletterte in den Wagen und warf sich zwischen Kisten, Fässer und prall gefüllte Säcke. Er schoss, was er aus dem Rohr brachte.
Zweige wurden gefetzt und durcheinandergewirbelt. Eine Gestalt sprang auf, wankte durch das Gestrüpp und brach zusammen.
Tom und der Spieler schossen weiter. Sie deckten die kleine, völlig überraschte Bande mit einem gnadenlosen Feuerhagel ein, der wie ein Sturm über die Strolche kam.
Als sie die Flucht ergriffen, sprachen sie nicht mehr viel. Geduckt hetzten sie zu der Kuhle, in der ihre Pferde standen. Sie schwangen sich in die Sättel und jagten verstört davon.
Tom und Bud sahen die beiden erst, als sie bereits außer Schussweite waren. Tom ließ das Gewehr sinken, kroch unter dem Wagen hervor und lud die Waffe.
Bud jagte den Fliehenden noch ein paar Kugeln hinterdrein, bis er einsah, dass es Verschwendung war.
Der Schurke vor dem Buschwerk bewegte sich nicht mehr. Sie gingen zu ihm hinüber. Bud Meese beugte sich hinab und wälzte die reglose Gestalt auf den Rücken.
„ Die Hooker-Bande“, murmelte Tom.
„ Du kennst den Typ?“, staunte der Spieler.
„ Aber sie waren zuletzt vier“, sprach Tom weiter.
„ Wo hast du sie gesehen?“
„ Hinter denen sind die Marshals fünfhundert Meilen im Süden wie der Teufel her.“
„ Mann, das ist weit weg wie ’ne andere Welt.“ Der Spieler durchsuchte den Toten, fand aber nur eine Münze im Wert von einem Vierteldollar. „Die sind total abgebrannt.“
„ Das macht sie doppelt gefährlich.“
Bud steckte die Münze ein, durchbrach das Buschwerk und schaute nach Westen.
Die beiden anderen Banditen sah er nicht mehr. Staubschwaden über dem Boden markierten ihren Fluchtweg bis zu einem Waldstück.
„ Suchst du was?“, fragte Tom.
„ Das Pferd des Toten. Dafür gibt es mehr, als er in der Tasche hatte. Und ich müsste ein verdammter Narr sein, wenn ich es hier draußen in der Einöde herumirren lassen würde. Das wäre im Übrigen Tierquälerei.“ Bud ging weiter.
Bis der Spieler mit dem Pferd zurückkehrte, beerdigte Tom den Toten.
„ Den hätte ich für die Geier liegengelassen.“
Bud ritt zum Wagen hinüber, band das Pferd an und wartete, bis Tom fertig war und die Fahrt weitergehen konnte.
Der Wagen rollte durch eine langgestreckte Senke, durch die sich der Karrenweg wie eine Schnur zog. Rechts und links davon lagen Buschgruppen und Waldgebiete im Büffelgrasland.
Manchmal reichte das Dickicht bis an die Radrinnen heran, dann wieder schob es sich zurück. Ein Bach plätscherte von der letzten Bodenwelle vor der Stadt herab.
Als sie auf den Hügel gelangten, verließ vor ihnen ein Reiter hastig den Karrenweg und sprengte durch das Dickicht westwärts.
Tom zügelte die Pferde. Aus zusammengekniffenen Augen beobachtete er den Reiter. „Es könnte Slim Hooker sein“, sagte er.
„ Das vermutest du nur. Ist sein Kopf was wert?“
„ Nicht, dass ich wüsste.“
„ Dann lohnt es nicht, über ihn nachzudenken.“ Bud griff nach der Peitsche. „Los, weiter! Ich brauch einen Whisky gegen den Staub der letzten Tage!“
Der Reiter tauchte in den Buschgürteln unter.
Sie fuhren weiter, der Stadt entgegen: eine Ansammlung von Bretterbuden, aus denen der Saloon wie eine zu groß geratene Kiste doppelstöckig ragte.
*
„ Wir sind hier, Slim!“ Der eine Halunke verließ den schützenden Wald und winkte mit dem Gewehr.
Slim Hooker zügelte das Pferd.
Der andere Bandit verließ ebenfalls das Dunkel der Bäume.
Hooker ritt auf sie zu. Er war ein großer, breiter Bursche mit Hakennase und Schnauzbart. Seine glitzernden schwarzen Augen musterten die wartenden Kumpane Dale und Rep.
Er vermisste Rory, den anderen Strolch, der seit über einem Jahr sein Schicksal teilte.
Er hielt vor den Kerlen, sah betretene Gesichter und die Unsicherheit in ihren Augen.
„ Wo ist Rory?“
Die beiden wechselten Blicke.
Hooker stieg ab und trat ihnen entgegen.
„ Wir sahen einen Wagen“, sagte Dale und zuckte mit den Schultern. „So eine Karre, wie sie für die Transporte benutzt werden. In den Städten hier oben und bei den Goldfeldern können die Leute ja alles Mögliche brauchen.“
Hookers Blick verfinsterte sich, und sein Kinn schob sich nach vorn.
„ Du hast den Wagen sicher auch gesehen.“ Rep schaute auf seine Stiefel.
Hooker dachte plötzlich an das Pferd hinter dem Wagen und begriff alles. „Ihr Idioten!“
Mit einem Schritt war er bei Dale und knallte ihm die Faust ans Kinn.
Der Halunke wurde zurückgeschleudert und brach zusammen.
„ Es war Rorys eigene Idee!“, jammerte Rep. Er zog den Kopf ein und hob schützend den Arm.
Hooker schlug ihm die flache Hand ins Gesicht.
Rep taumelte gegen den nächsten Baum.
„ Was habe ich euch Hohlköpfen befohlen? Ihr sollt hier im Wald warten und euch nicht vom Fleck rühren, bis ich zurückkehre!“
„ Es war Rorys Idee!“, rief Dale beschwörend. Er rappelte sich auf, hielt aber Abstand.
Hookers Schultern sanken herab. „Ist er tot?“
„ Die beiden haben ihn sogar beerdigt“, erwiderte Rep. „Wie einen guten Christenmenschen.“
Hooker kehrte zu seinem Pferd zurück, kramte in der Satteltasche herum, brachte eine Zigarre zum Vorschein und zündete sie an.
Die Kumpane wagten sich zögernd heran, blieben jedoch auf der anderen Seite des Pferds.
„ Goldwater heißt das Nest“, schnaubte Hooker ungnädig. „Und da gibt’s ’ne richtige Bank.“
„ Tatsächlich?“, staunte Rep.
„ Das ist ja interessant“, sagte Dale. Er war heilfroh, dass Hooker den Tod des Kumpans relativ gefasst aufgenommen hatte.
„ Aber es ist nur ein kleines Nest.“ Hooker paffte wie eine Lokomotive.
„ Bank ist Bank.“ Dale grinste schief. „Und in jeder Bank muss Geld liegen, sonst hat sie keinen Sinn.“
„ So ist es“, stimmte Rep zu. „Hast du schon einen Plan?“
Hooker rollte die Zigarre in den anderen Mundwinkel.
„ In der Bank lebt einer allein, hat offenbar auch keine Frau. Muss um die Fünfzig sein, der Tölpel. Der macht uns also sicher keine Mühe. Ich denke, wir nähern uns der Stadt nach Einbruch der Dunkelheit und warten mal ab. Vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit, einfach zuzuschlagen.“
*
Der Planwagen rollte am Office des Marshals; dem Store, der Bank und den anderen Hütten vorbei und bog in den Hof neben dem Mietstall ein. Tom Camon zügelte die Wagenpferde und zog den knirschenden Bremsklotz an.
„ Bist du hier auch schon mit deiner Postkutsche herumgekurvt?“, fragte der Spieler.
„ Nein. Ich sagte dir doch, ich war südlich der Eisenbahn.“
„ Du hast was von Vertretungen im Norden gefaselt.“
„ Hier war ich aber nie.“ Tom Camon stieg ab.
„ Was soll das werden, wenn’s fertig ist?“, schimpfte der aus dem Stall kommende Besitzer des Anwesens. Wer hat euch gestattet, einfach in meinen Hof zu fahren?“
„ Scheint, als hätte er was gegen uns.“ Bud stand auf dem Bock und schob den Revolver samt Holster gewollt auffällig zurecht.
„ Wir wollen den Wagen bis morgen hier abstellen und bitten Sie, die Pferde zu versorgen“, sagte Tom. „Wir dachten, es sei üblich, erst reinzufahren und dann zu fragen. Wenn Sie wollen, bringen wir den Wagen aber wieder hinaus.“
„ Lass ihn mal, wo er steht“, knurrte der Stallmann. „Die Pferde machen zusammen einen Dollar und der Wagen einen halben. Das ist der Preis bis morgen.“
Tom kramte das verlangte Geld aus der Hosentasche.
Bud Meese stieg ab. „Haben Sie Interesse, ein Pferd zu kaufen? Mit Sattel!“
Der Stallmann schaute auf das dritte Tier hinter dem Wagen. „Wo ist es denn her?“
„ Ein paar Banditen hatten es auf uns abgesehen. Einer konnte den Leichtsinn nicht mehr bereuen. Und seine Kumpane haben den Gaul in der Hektik der Flucht vergessen.“
Der Stallmann ging nach hinten, hob dem Pferd die Hufe und schaute ihm ins Maul. „Achtjährig. Und ein Meilenfresser, der neue Eisen und ein paar Wochen Ruhe und gutes Futter braucht. Nicht ganz billig, ihn wieder auf Vordermann zu bringen.“
„ Achtzig mit Sattel“, verlangte Bud.
„ Achtzig Dollar?“ Der Stallmann runzelte die Stirn. „Sie wollen den alten Silvester ruinieren, was, Mister? – Ich biete Ihnen fünfzig Dollar.“
„ Siebzig“, sagte Bud.
Der Stallmann besah sich das Pferd noch einmal.
„ Mein letztes Angebot“, fuhr der Spieler in schleppendem Ton fort.
„ Wollen Sie ihn weiter hinter dem Wagen herlaufen lassen, wenn ich darauf nicht eingehe?“
„ Bevor ich den Gaul verschenke, würde ich ihm sogar eine Kugel in den Kopf jagen.“
„ Also gut, weil Sie es sind, biete ich sechzig Dollar.“
„ Sie haben nicht zugehört.“
Bud ging an dem Mann vorbei, band das Pferd los und wandte sich dem Straßentor zu.
Verdutzt schaute Silvester zu Tom, der die Schultern hob.
„ Warten Sie, Mister, ich nehme das Pferd!“, rief Silvester. „Auch wenn mich der Preis an den Bettelstab bringt!“
Tom schirrte die Zugpferde aus und brachte sie in den Stall.
Bud Meese folgte dem Stallmann zu dessen Haus. Als Tom den Hof wieder betrat, tauchte der Marshal auf: ein großer, hagerer Mann mit angegrautem, braunem Haar, auf dem ein großer, heller Cowboyhut thronte. Die Manchesterhose und die Lederjacke zeigten Beulen und andere Spuren der Abnutzung. Ein schwerer Colt 45 steckte im Holster.
Tom blieb stehen und sagte: „Wir sind mit einer Fuhre für den Drugstore in Broken Bow unterwegs und werden Ihre schöne Stadt morgen wieder verlassen, Marshal.“
„ Ich heiße Bailus.“
„ Und ich Tom Camon, Marshal.“
„ Ihr habt ein Pferd zu viel?“
Tom erzählte, wie der Spieler zu dem Tier gekommen war und nannte den Namen der Bande.
Marshal Bailus dachte nach und schüttelte aber den Kopf. „Nein, der Name ist hier nicht bekannt.“
Tom wollte schon den Marshal vor den Banditen warnen, aber Bailus hätte es vielleicht als unnötige Belehrung aufgefasst. Zudem wusste er nun, was für Tagediebe in seiner Umgebung unterwegs waren.
„ Ich wünsche keinen Ärger in der Stadt, damit das klar ist, Mister Camon. Sagen Sie das auch Ihrem Partner.“ Der Marshal wandte sich ab.
Tom schaute ihm nach.
„ Was wollte der denn?“ Bud Meese trat an Toms Seite und zeigte eine Handvoll Silbermünzen. „So macht man das. Du bringst mir offenbar Glück, Tom, altes Haus.“
„ Der Marshal wollte sagen, dass hier die Ordnung herrscht, für die er sorgt.“
„ So, hat er das?“
„ Ja.“ Tom sah Bud an, dass der sich für den Marshal und dessen Anweisungen keinen Deut interessierte.
Meese blickte mit jäh aufleuchtenden Augen zur Straße.
Dort stand eine Frau von ungefähr dreißig Jahren. Sie war groß und sehr schlank. Das schwarze Seidenkleid mit dem breiten Silbergürtel verriet von ihren guten Proportionen mehr als es verhüllte, zumal es sehr weit ausgeschnitten war.
Langes, weißblondes Haar fiel der Schönen bis auf die Schulter. Ihre blauen Augen strahlten den Spieler an.
„ Lulu“, sagte Bud Meese. „Da bist du ja!“
Sie kam lachend in den Hof, umarmte Meese und küsste ihn. „Wir hatten uns völlig aus den Augen verloren. Was ist denn passiert, dass du über Nacht abreisen musstest, Bud?“
„ Ja, ging ein bisschen schnell.“ Bud grinste Tom schief an.
„ Das ist Lulu. Hab ich schon von ihr erzählt?“
„ Nein. – Hallo, Lulu, ich bin Tom Camon.“
„ Hallo!“, flötete die Schöne. Sie kicherte und strahlte. Tom sah aber etwas Kaltes und Berechnendes in ihren schönen großen Augen.
„ Hast du Geld, Bud?“, fragte Lulu.
„ Nicht so viel, wie ich gebrauchen könnte.“
„ Hier lässt sich vielleicht mehr daraus machen. Im Saloon wird jeden Abend gepokert. Erinnerst du dich an den kleinen Spiegel?“
Sie lachte aufgekratzt. „Das war der Hit in Buffalo. Die Dummköpfe haben nichts gemerkt.“
Bud stieß sie an, aber sie schien nichts zu merken.
„ Es sind Handwerker, die abends spielen. Ziemlich einfältige Leute, die es mit uns garantiert nicht aufnehmen. Bis später, Bud. Sagen wir in zwei Stunden.“
Sie eilte aus dem Hof, ehe der Spieler noch etwas sagen konnte.
Tom zog den Tabakbeutel aus der Tasche und rollte sich eine Zigarette.
Der Spieler folgte der Frau wie ein Magnet.
Tom sah zuerst die Weißblonde, dann Bud im Saloon untertauchen. Er fragte sich, ob das bereits das Ende seiner kurzen Partnerschaft mit dem Spieler war.
„ Morgen wissen wir es“, murmelte er. Er rieb ein Schwefelholz auf dem Reifen des Wagens an und hielt die Flamme an den Glimmstängel.
*
In Schwaden zog der Tabakqualm zum Lüster über dem grünen Spieltisch. Fünf Männer saßen um das Rund, und in der Mitte begannen sich die Dollars zu häufen.
Tom Camon stand am Tresen und nippte am Whisky. Im Saloon mochten an die dreißig Männer sein, sicher gut die Hälfte der männlichen Einwohner von Goldwater überhaupt.
„ Drei Könige“, sagte Bud Meese am Spieltisch laut. „Wer von euch hat mehr auf der Hand?“
Tom schaute hinüber, sah enttäuschte Gesichter in den grauen Schwaden und den sich vorbeugenden Bud Meese, der den Tisch abräumte und zufrieden griente.
„ Wir spielen weiter“, sagte der Schmied, ein herkulischer Mann.
„ Aber klar doch“, gab Meese zurück.
Lulu strich um die Tische und blieb bei den Spielern stehen.
Tom trank einen weiteren Schluck, Er fragte sich, wie er die Fahrt nach Broken Bow, immerhin noch achtzig Meilen, fortsetzen sollte, wenn Bud Meese morgen aus dem Geschäft ausstieg, um hier mit Lulu weiter abzugrasen. Er ging zu den Spielern hinüber.
Ein Mann verteilte Karten.
„ Ich setze zehn“, sagte der Schmied und warf Münzen in den Pott.
Sein Nachbar zog mit. Der Spieler ebenfalls. Die beiden anderen stiegen aus und legten ihre Karten verdeckt ab.
Tom sah den Marshal an der Tür. Dann fiel sein Blick auf die Lücke zwischen dem Schreiner und dem Schmied, hinter der Lulu stand.
Ihre Hand hing nach unten, und in ihr lag ein Spiegel, den außer ihm wahrscheinlich nur Bud sehen konnte.
Als der Schmied seine Karten aufschob, hob sie das kleine silberne Etwas ein wenig an, und Tom erkannte die Karten in der Hand des Herkules.
Der Schreiner stand im gleichen Moment unverhofft auf und rempelte Lulu unbeabsichtigt. Ihr entglitt der Spiegel, dieser fiel zu Boden und zerbrach. Das Geräusch genügte, den Mann nach unten schauen zu lassen.
„ Betrug!“, rief der Schreiner.
Lulu trat kreidebleich zurück.
Der Schmied fuhr hoch.
Lulu wollte fliehen, aber der Schreiner bekam ihr Handgelenk zu fassen.
„ Marshal!“, bellte der Schmied. „Hier sind Betrüger!“
„ Festhalten!“, rief ein anderer.
„ Gebt es ihnen!“
Tom bekam einen Stoß von hinten, und den Spieler traf die Faust eines Umstehenden auf den Hut.
Tom wollte zurück.
„ Achtung, der gehört dazu!“
Ein zweiter Hieb in den Rücken warf Tom regelrecht in die grobe Faust des Schmieds, die sein Kinn traf. Er wankte gegen Bud, auf den sie ebenfalls einschlugen.
Die Männer liefen zusammen und bildeten einen dichten Knäuel um den Spieltisch.
„ Die beiden Fremden und das Flittchen betrügen!“, schrie der Schreiner in das Durcheinander. „Mit einem Spiegel hat es das Luder gemacht!“
Tom schlug um sich, um Platz zu gewinnen.
Der Marshal feuerte gegen die Decke und schrie etwas, aber das ging im immer lauter werdenden Tumult bereits unter.
Tom Camon wehrte die von überall kommenden Fäuste ab, so gut es ging, schmetterte dem Mann vor sich eine Gerade gegen die Wange, schnappte den zweiten und schleuderte ihn gegen den dritten.
Auch der Spieler schlug sich wacker, bekam ebenfalls etwas Luft, wirbelte den Stuhl hoch und schleuderte ihn der Menge entgegen.
„ Jetzt wollen wir mal sehen, wie wir wieder rauskommen, Tom. Los, hau sie zusammen.“
„ In der Kneipe gibt’s ’ne Keilerei!“, brüllte jemand vor der Tür.
Von ihren Häusern hasteten Männer die Straße herauf. Frauen liefen hinterher.
Die drei Banditen am Stadtrand konnten es kaum fassen. Noch vor drei Minuten hatte Hooker gesagt, dass sie kaum so einfach an die Bank herankommen konnten.
Jetzt strömten die Menschen voller Neugier zum Saloon, als gäbe es dort etwas gratis.
Slim Hooker schwang sich in den Sattel. „Wir reiten hinten rum und lassen die Gäule in der Gasse neben der Bank.“
Die Kumpane folgten ihm. Der Lärm verriet ihnen, dass die Auseinandersetzung im Saloon fortdauerte.
Sie erreichten die Gasse, stiegen ab, zückten die Revolver und näherten sich der Ecke.
Die Menschentraube vor dem Saloon kehrte ihnen die Rücken.
Hooker huschte um die Ecke, die beiden anderen hinterher. Die Tür der Bank war zu dieser Stunde noch nicht verschlossen. Hooker stieß sie auf und sprang hinein.
Sein Colt war auf den Mann am Schreibtisch gerichtet, der von seinen Büchern aufschaute und den Federhalter aus den Fingern fallen ließ.
„ Hände hoch!“, schrie der Bandit.
Bankier Jerome Boswell stand zitternd auf und hob die Hände über den Kopf. „Nicht schießen, ich bin nur Filialleiter und schlecht bezahlt noch dazu.“
„ Maul halten!“, herrschte Hooker ihn an und fuchtelte mit dem Revolver. „Und Geld her!“
Im Saloon splitterte Glas.
„ Das ist ja wie im Krieg!“, rief jemand vor dem Haus.
Der Bankier starrte die drei Banditen an.
„ Der scheint auf den Ohren zu stehen.“ Dale hastete zu dem schwarzen Panzerschrank, an dem der Schlüssel steckte, sodass er leicht zu öffnen war.
Dale zog die dicke Tür auf, bückte sich und zog einen gefüllten Ledersack in handlicher Größe heraus. Er wuchtete ihn auf den Tresor. Das Klimpern von Silbermünzen war zu hören.
„ Hast du noch mehr?“, schnauzte Hooker ihn an.
„ Es ist alles, Gentlemen, das kann ich beschwören!“
Hooker schaute sich um.
„ In der Bank sind Fremde!“, schrie auf der Straße eine Frauenstimme. „Marshal, hierher!“
„ Mist!“ Hooker entriss Dale den Sack und stürzte hinaus.
Die Traube vor dem Saloon löste sich auf, wurde zu einer Mauer, und die Halunken sahen die Menschen nun von vorn.
Eine Frau hastete der Menge entgegen. „Fremde in der Bank! Marshal, Marshal!“
Hooker feuerte, seine Kumpane ebenfalls.
Der Marshal boxte sich durch die Menge. Sein Revolver spie Blei.
Hooker und seine Freunde schossen. Der Marshal rannte weiter auf sie zu und feuerte erneut.
„ Weg hier!“
Sie rannten um die Ecke, sprangen auf die Pferde, jagten über die Straße, schossen und trieben die Tiere zum Galopp an.
Der Marshal leerte seinen Revolver und lief an der Bank vorbei. Er zog Patronen aus den Schlaufen des Gurts, blieb stehen und lud die Waffe.
Im Dunkel verschwanden die Banditen. Als der Marshal wieder schießen konnte, bestand keine Aussicht mehr, einen der Strolche zu treffen.
Er wandte sich um und eilte zurück.
Die Menge wälzte sich schon zur Bank. Im Saloon war es still.
„ Was machen wir mit den beiden Kartenhaien?“, schimpfte der Schmied.
„ Werft sie ins Jail“, sagte der Marshal.
„ Und das Flittchen?“
„ Haltet sie fest. Im Saloon. Oder bindet sie ordentlich.“ Der Marshal betrat den Fußweg vor der Bank. „Und holt die Pferde.“
Die Menge schob sich hinter dem Marshal her.
„ Was ist mit Jerome Boswell?“, wollte jemand wissen.
Der Marshal betrat die Bank. Er sah den offenstehenden Panzerschrank, zu Boden geflatterte Papiere und den Bankier.
Jerome Boswell sah bleich aus und wankte gegen den Türpfosten.
„ Sind Sie verletzt?“, fragte der Marshal.
„ Nein. Mir ist nur schlecht.“
Der Marshal hob die Blätter vom Boden auf und legte sie neben das aufgeschlagene Buch mit dem Federhalter und einem Tintenklecks in der Mitte; „Die Banditen sind entwischt.“
„ Mit dem ganzen Geld.“ Der Bankier wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„ Wie viel?“
„ 16275 Dollar, Marshal.“
„ Donnerwetter, das wissen Sie so genau?“, staunte der Marshal.
„ Die Einlage der Bank ist seit Monaten gleich, weil hier niemand mit uns arbeitet. Die Leute hier hinken der Zeit nach. Sie verwahren ihr Geld noch daheim unter dem Kopfkissen und wollen für jede Leistung bares Geld sehen. Sie fahren mit Taschen voller Dollars bis zur Bahnlinie, anstatt bei uns ein Konto einzurichten und mit Schecks zu bezahlen, die Banditen nicht gebrauchen können.“
Der Marshal ging vor dem Panzerschrank in die Hocke. Ein paar kleinere Kartons standen darin. Er zog sie heraus.
„ Was suchen Sie denn?“, fragte der Bankier.
Marshal Bailus richtete sich auf.
„ Vielleicht ist von dem Geld noch was da.“
„ Es ist weg. Bis auf den letzten Dollar.“
„ Das würde bedeuten, dass alles in einem Sack steckte.“
„ So ist es.“
„ Der sah mir für sechzehntausend Bucks aber ein bisschen klein aus“, behauptete der Marshal. Dabei hatte er die Beute in der Hand des Bandenführers nur sehr flüchtig und aus ziemlich großer Entfernung gesehen.
„ Es ist alles in einem Sack“, sagte Jerome Boswell.
Der Marshal ging zum Aktenschrank, zog die wenigen Ordner heraus und stellte sie wieder hinein. Er erreichte den Kanonenofen und hob den Deckel ab.
„ Denken Sie etwa, ich hätte das Geld versteckt?“
Die Leute an der Tür blickten auf den Marshal. Sie warteten, bis er mehr sagen würde.
Das Schnauben von Pferden und Hufschlag verrieten, dass die Posse zur Verfolgung rüstete.
„ Sie misstrauen mir, Marshal!“, maulte der Bankier. „Sie denken, die Banditen hätten sich mit einem Teil zufriedengegeben und ich den Rest beiseite geschafft.“
Marshal Bailus lächelte dünn. „Der Sack erschien mir einfach ein bisschen dürftig für sechzehntausend Dollar.“
„ 16275“, verbesserte der Bankier. „Wenn es Ihnen Spaß macht, können Sie das Haus auf den Kopf stellen.“
„ So? Das würden Sie gestatten?“
„ Aber bitte, Marshal.“
„ Was ist denn, wollen wir die Bande erst morgen verfolgen?“, brüllte jemand auf der Straße.
„ Der Marshal will erst die Bank durchsuchen!“, rief Jerome Boswell. „Er denkt, hier wäre was zurückgeblieben und ich hätte es versteckt! Von meinem eigenen Geld!“
„ So ein Blödsinn“, sagte eine Frau am Fenster.
„ Ist die Einlage der Bank versichert?“, fragte der Marshal.
„ Aber selbstverständlich“, entgegnete Boswell. „Sie werden keine Bank finden, die sich den Luxus leisten würde, unversichertes Geld aufzubewahren.“
„ Dann würde es doch Sinn machen, etwas verschwinden zu lassen, wovon die Versicherung nichts wissen kann, Mister Boswell. – Ich nehme Ihr Angebot an.“
„ Der Marshal ist verrückt!“, schnarrte die Frau. „Jetzt durchsucht er die Bank.“
„ Er kann mich nicht leiden!“, schimpfte der Bankier.
Marshal Bailus verließ die Bank von Goldwater zehn Minuten später.
„ Und?“, fragte der Sattler.
„ Nichts.“
Sie stiegen auf die Pferde und ritten los.
Der Sattler lenkte seinen Fuchs neben den Marshal. „Wir haben wertvolle Zeit verloren!“
„ Wir sehen sowieso nicht, wohin sie sind.“
„ Was hast du denn gegen den Banker? Leiden können wir ihn ja alle nicht. Er ist ein Geizkragen und nervt uns mit seinen Vorschlägen. Wir brauchen weder seine Kredite noch schaffen wir unser Geld zu ihm. Aber dass er überfallen wurde, ist jedem klar.“
„ Mir war der Sack bei den Banditen einfach mickrig.“
„ Und das hast du so genau gesehen?“
„ Nein“, gab der Marshal zu. „Es ist vielleicht nur ein komisches Gefühl.“
„ Du hast Nerven, Marshal, das muss man dir lassen“, knurrte der Sattler.
*
Tom Camons Bewusstsein kehrte nur mühsam zurück. Er öffnete die Augen, sah Licht und spürte zugleich Schmerzen im Kopf, am Hals, in der Brust, den Armen und Beinen.
Ein Stöhnen erreichte seine Ohren.
Dann sagte der Spieler: „Diese Hundesöhne haben mir wohl sämtliche Knochen gebrochen, verdammt!“
Tom erkannte, dass es eine eher trübe Lampe war, die ihn blendete. Er wälzte sich unter Schmerzen auf die Seite, erkannte das Gitter und dahinter einen alten Mann am Schreibtisch des Marshals.
Der Spieler lag auf einer anderen Pritsche und schimpfte über die Ungerechtigkeit der Welt.
Der Nachtwächter stand auf, trat ans Gitter und kicherte.
„ Euch haben wir vielleicht verdroschen. Normalerweise müsstet ihr schon in der Hölle sein.“
Tom setzte sich, stellte die Füße vorsichtig auf den Boden und hob mühsam die Hand, um über den schmerzenden Hinterkopf zu streichen.
„ Dir muss die Birne so groß wie ’ne Melone vorkommen“, spottete der Nachtwächter.
„ Hat es großen Spaß gemacht?“, fragte Tom. Sein Ton war so schwerfällig wie seine Bewegungen.
„ Wie beim Volksfest“, gestand der grinsende Nachtwächter. „Das Flittchen hat auch ’ne Fuhre gekriegt. Der Keeper fiel aus allen Wolken, wie dick die’s hinter den Löffeln hat. Der war doch verrückt nach ihr.“
Ächzend kam der Spieler von der Pritsche hoch. „Tut mir leid, Tom. Du hättest nicht in der Nähe stehen dürfen.“
„ Ich wollte nur sehen, wie raffiniert ihr seid“, gab Tom zurück. „Dass ihr betrügt, konnte ich nicht wissen.“
„ Du hast damit nichts zu tun?“, fragte der Nachtwächter. „Du merkst auch alles“, spottete Tom. Er stand auf, wankte und sank schnell auf die nackte Holzpritsche zurück.
„ Kann ’ne Weile dauern, bis dich die Füße wieder tragen!“, höhnte der Nachtwächter. „Wo wir hinlangen, wächst so schnell kein Gras mehr.“
Ein Mann tauchte am Fenster auf.
Der Nachtwächter zerrte den langläufigen Buntline-Colt aus dem Holster.
„ Nicht schießen, ich bin es, Silvester.“
„ Schleich hier nicht herum, verdammt!“
Der Stallmann betrat das Office.
„ Was willst du denn?“
„ Das Mädchen sitzt inzwischen in der Poststation?“
„ Na und? Die wird von zwei Männern bewacht und um fünf Uhr in die Kutsche nach Sanborn verfrachtet. Wenn sie sich hier noch mal blicken lässt, landet sie gleich beim Distriktsrichter.“
„ Das hat der Marshal aber nicht angeordnet.“
„ Natürlich nicht, er ist doch mit der Posse unterwegs. Ein Beschluss vom Stadtrat. Fünf der acht Ratsherren sind da und votierten dafür.
Er lachte. „Hier ist noch nie ’ne Frau zum Richter geschleppt worden. Und dabei soll es bleiben. Außerdem ist kein Schaden entstanden. Nur beim Salooner. Aber der verdient genug und geht nicht vor die Hunde.“
Der Stallmann blickte in die Zelle. „Und die?“
„ Noch nicht entschieden. Der eine hat vielleicht gar nichts damit zu tun. Stand vielleicht wirklich nur dabei.“
„ Ich muss wissen, was passiert. Die Gäule der Kerle füttere ich nicht einfach so durch. Der Wagen steht mir auch im Weg.“
„ Warte ab, bis die anderen und der Marshal zurück sind. Es genügt, wenn wir Bailus in Bezug auf das Mädchen vor vollendete Tatsachen stellen. Der ist korrekt und hätte es fertig gebracht, sie zum Richter zu schleifen.“
„ Ach was.“ Der Stallmann winkte ab und verließ das Office.
Er schlenderte durch die stille Stadt zu seinem Anwesen. Dort schaute er zum Wagen hinüber und meinte, die Büsche daneben bewegten sich.
Silvester zog den Revolver und spannte den Hammer. „Was ist dort los?“
Eine Gestalt löste sich von den Büschen. Silvester sah ein Gesicht wie einen hellen Fleckt dann erkannte er Jerome Boswell.
„ Was treiben Sie hier?“
„ Ich musste noch mal an die Luft“, erwiderte Boswell. „Hab es drin nicht mehr ausgehalten.“
„ So ’ne Bank ist wie ein Pulverfass, was?“ Silvester grinste. Er konnte den Nachbarn so wenig wie der Marshal leiden.
„ Sie sagen es.“ Boswell seufzte.
„ Werden Sie nun endlich aufgeben? Ich meine, den lahmen Laden aufgeben?“
„ Ich weiß, was Sie meinen“, entgegnete der Bankier. „Wie schläft es sich eigentlich nachts auf harten Dollars?“
Silvester grinste noch breiter.
„ Ganz prächtig, Mister Boswell. Ein Glück, dass ich nicht auf Sie hörte. Hätte mich jetzt das ganze ersparte Geld gekostet.“
„ Wie kommen Sie darauf?“, fragte Boswell. „Die Einlagen der Bank sind bis zum letzten Cent versichert. Sie hätten wegen des Überfalls nichts eingebüßt.“
„ So, versichert also.“ Silvester schob den Revolver ins Holster.
„ Dass Sie nachts in meinem Hof herumschleichen, gefällt mir jedenfalls nicht.“
„ Entschuldigen Sie“, knurrte der Bankier.
„ Ich hatte ja damals was dagegen, dass die Bank eine Hintertür in meinen Hof kriegt.“
Boswell zog sich zurück. „Wissen Sie, was man mit den Kerlen vorhat, die im Saloon beim Falschspielen erwischt wurden?“
„ Erwischt wurden nur der eine und Lulu, Mister Boswell. Wahrscheinlich wird man sie zum Teufel jagen. Ist ja kein Schaden entstanden. Im Gegenteil. Niemand hat angeblich den Zaster, der vom Spieler auf dem Tisch lag und in seinen Taschen steckte. Der ist weg, als hätte er sich in Luft aufgelöst.“
„ Fortjagen, meinen Sie?“
„ Es wird nach Lage der Dinge darauf hinauslaufen. Wenn der Marshal die beiden zum Richter schleift, müsste er dem auch das Geld auf den Tisch legen. Woher will er das nehmen? Und was passiert, wenn der Spieler plötzlich behauptet, er hätte ein kleines Vermögen mit sich herumgeschleppt?“
„ Das könnte für manchen recht peinlich werden.“ Boswell zog sich Schritt um Schritt zurück und verschwand in der Dunkelheit.
*
Der Marshal lief mit einer brennenden Sturmlaterne am Waldrand entlang und suchte nach Spuren, aber der Erfolg wollte sich nicht einstellen.
Die anderen Männer der Stadt warteten auf den Pferden.
„ Zwecklos“, sagte der Schreiner. „Mir sind die Dollars der Bank sowieso schnurz.“
„ Glaubst du, mich interessieren sie?“, brummte der Sattler.
Der Marshal kehrte zurück und schüttelte den Kopf.
„ Dann sollten wir umkehren“, schlug der Schreiner vor.
Marshal Bailus sah den Leuten an, dass sie den Eifer, der sie zur Verfolgung getrieben hatte, längst bereuten. Er löschte die Lampe und schwang sich in den Sattel.
Der Schmied lenkte sein Pferd Richtung Goldwater. Die anderen ritten ihm nach, ohne ein Kommando des Marshals abzuwarten.
Als der Morgen graute, sahen sie die Stadt. Die Postkutsche wurde aus dem Hof der Poststation geschoben, Pferde eingeschirrt und die ziemlich zerzaust aussehende Blondine von zwei älteren Männern aus dem Haus bugsiert.
„ Du tust mir weh, du Scheusal!“, zeterte Lulu und versuchte sich aus dem Griff des einen zu befreien.
Der Mann strauchelte und ließ los. Lulu schlug nach dem anderen, war frei und wollte durchbrennen.
Aber der linke Mann stellte ihr einen Fuß.
Sie stolperte und landete neben der Kutsche auf dem Bauch.
Die Reiter zügelten die Pferde hinter der Kutsche.
„ Darf man erfahren, was das soll?“, fragte der Marshal barsch.
„ Der Stadtrat hat mit der anwesenden Mehrheit beschlossen, sie abzuschieben“, erklärte der stehende Postagent. „Das ist sicher die beste Lösung.“
„ Die Saubande hat mich ausgeplündert!“, schimpfte Lulu, als sie auf die Füße kam.
Sie sah schmutzig aus, das Kleid hatte Risse, und die weißblonden Haare standen zu Berge.
Der Kutscher kletterte auf den Bock und nahm die Peitsche zur Hand. „Ladet sie ein, oder ich fahre so los!“
Die beiden Männer gingen beherzt zur Sache. Lulu schrie und schlug um sich, aber die beiden warfen sie in den Wagen.
Der Postagent schmiss Lulus Reisetasche hinterher und schlug die Tür zu. Die Peitsche knallte, und die vier Pferde zogen an.
„ Ihr Schweinepriester!“, brüllte Lulu. „Der Teufel soll euch holen und euer Drecknest in Grund und Boden stampfen!“
Marshal Bailus schaute den neben ihm haltenden Schmied an. „Wir haben noch nicht darüber gesprochen, wie viel Geld die Spieler und das Mädchen hatten.“
Die Kutsche rumpelte durch die Stadt. Lulu schimpfte immer noch. Männer und Frauen standen an Türen und Fenstern und riefen der Concord-Kutsche Schmähreden und Drohungen nach, bis das Gefährt in Staub und Dämmerlicht untertauchte.
Marshal Bailus schaute den Schmied abwartend an.
„ Ich weiß das auch nicht“, knurrte der Schmied. „Irgendwas zwischen fünfzig und hundert Bucks können es schon gewesen sein.“
„ Und die sind spurlos verschwunden“, stellte der Marshal fest.
„ Die beiden können dem Richter also erzählen, sie hätten zweihundert, fünfhundert oder noch mehr Dollar besessen. Wir sind nicht in der Lage, ihnen das Gegenteil zu beweisen.“
„ Ich habe die Bucks nicht“, knurrte der Schmied. „Die flogen durch den Saloon und waren am Ende der Prügelei weg.“
„ Es gibt noch was anderes“, wandte der Nachtwächter ein. „Der eine stand nur am Tisch. Und sein Kumpan sagte, er hätte mit der ganzen Sache nichts zu tun.“
Marshal Bailus stützte die Hände aufs Sattelhorn. „Silvester, sei so nett und schirre die Pferde der beiden vor den Planwagen.“
„ Das halte ich auch für die beste Lösung.“ Der Nachtwächter nickte.
„ Na los, Silvester, oder stehst du auf den Ohren?“
„ Bin schon unterwegs.“ Der Stallmann verließ die größer werdende Menschentraube vor den Reitern.
„ Hören wir endlich, was mit den Banditen ist?“, schimpfte eine Frau.
„ Nichts ist“, sagte der Sattler. „Die sind mit der Beute entwischt und werden sich ein schönes Leben machen. Und wir konnten das nicht ändern. Schade um die Mühe und unsere Nachtruhe. Noch dazu, wo uns die Bank sowieso nichts dafür spendiert.“
Marshal Bailus stieg ab und führte sein Pferd. Er sah Boswell am offenen Fenster der Bank, blieb stehen und schaute ihn an.
„ Wollen Sie bei mir noch mal alles auf den Kopf stellen?“, höhnte der Bankier. „Oder dämmerte Ihnen inzwischen, dass Sie die Größe der Beute in der Finsternis nicht erkennen konnten?“
Bailus schaute den Mann einen Moment lang an, dann ging er weiter ohne zu antworten.
„ Ich reit heut zu meiner Zentrale und melde den Vorfall!“, rief der Bankier ihm nach.
*
Tom Camon lief in seiner Zelle von der vorderen zur hinteren Wand, als der Marshal eintrat.
Er ignorierte den Mann, kehrte um und lief wieder nach vorn. Seine Schritte wurden sicherer. Überhaupt klangen die Schmerzen im ganzen Körper ab.
Bud Meese stand am Fenster und schaute in die von den Hufen der Postpferde und den Rädern der Kutsche aufgewirbelten Staubschwaden.
„ Was machen wir nun mit euch?“, fragte der Marshal scheinbar noch unentschlossen.
„ Am besten aufknüpfen!“, schallte es von der Straße herein, wo die Reiter, hielten und die Menge einen Halbkreis bildete.
„ Ihr seid in dem Nest verdammt früh auf den Beinen.“ Bud Meese wandte sich um. „Überhaupt möchte ich wissen, was der ganze Zirkus soll? Das Mädchen fummelte mit einem Spiegel herum, na schön. Sicher wollte sie mir damit behilflich sein und später auch abkassieren. Kann ich was dafür?“
„ Hör auf, Bud.“ Tom blieb stehen.
„ Das ist zu sehr an den Haaren herbeigezogen, als dass es einem unter den Hut ginge.“
„ Meine ich auch“, knurrte der Marshal.
Der Schmied trat ein. „Wer sich einbildet, uns für dumm verkaufen zu können, wird zweimal gehenkt!“
„ Du da, wie war gleich dein Name?“ Der Marshal schaute Tom an.
„ Camon.“
„ Wie viel Geld hattest du?“
„ Sechzehn Dollar“, erwiderte Tom ehrlich. „Ich habe sie eine Minute vor dem Krawall an der Theke noch gezählt.“
Der Marshal starrte Tom an, platt über die genannte Summe. Er hatte mindestens eine wesentlich höhere Summe erwartet.
„ Sechzehn Dollar“, murmelte er.
„ Ja, Marshal.“
„ Er hat mit der ganzen Sache nichts zu tun“, sagte der Spieler. „In Ordnung, ich gebe alles zu. Aber lasst ihn aus der Sache. Wir trafen uns zufällig. Er hatte ein Pferd verloren, und ich dachte, es wäre zweckmäßig, gegen die Hälfte des Fuhrlohns meinen Gaul in seine Sielen zu spannen. Lulu hat er nicht mal gekannt.“
„ Deine Ehrlichkeit überwältigt mich.“ Tom lächelte dünn.
Irgendwie war der Kartenhai anders als die Leute seines Schlags, denen Tom bisher begegnet war. Und das waren nicht wenige gewesen.
„ Und gebt ihm sein Geld wieder!“, verlangte Bud. „Damit er sich Proviant für die Weiterfahrt kaufen kann, unterwegs Futter für die Pferde bekommt und …“
„ Jetzt stellen die Schurken auch noch Forderungen!“, fuhr der Schmied dazwischen. „Wie finden wir das, Marshal?“
Bailus wandte sich dem Tisch zu. Als er sich umdrehte, hatte er den Jailschlüssel in der Hand. Er schloss die Zelle auf und trat beim Öffnen der Tür zurück.
„ Verschwindet. Alle beide!“
Der Spieler stand geduckt zwischen dem vergitterten Fensterloch und der offenen Tür. Tom noch vor ihm.
„ Das ist ein ganz mieser Trick.“ Bud Meese trat neben Tom.
Der Marshal ging zum Waffenständer und warf Tom und Bud ihre Patronengurte mit den Colts zu.
„ Es ist wegen der Dollars“, sagte Tom. „Der Marshal weiß, dass jeder hinlangte, der in der Kneipe war. Der Nachtwächter deutete schon an, was passieren wird. Ich weiß nicht, was dich daran noch wundert.“
Draußen lenkte der Stallmann die beiden vor den Planwagen gespannten Pferde durch die Menschentraube.
Tom schnallte den Patronengurt um und verließ die Zelle.
Der Sattler wollte ihm die Faust gegen die Hüfte schlagen, aber Tom packte das Handgelenk des Wichts und drehte es herum. Der kleine Mann stieß einen spitzen Schrei aus.
Tom stieß ihn gegen die Wand. Der Blechspind neben dem Mann schepperte.
„ Aufhören!“, befahl der Marshal.
Toms Faust umspannte den Revolver, als er das Office verließ.
Die Menge stand rechts und links und hinter dem Wagen.
Bud folgte, vom Marshal geschoben.
„ Es ist nicht zu begreifen, was hier passiert!“, meldete sich eine keifende Frauenstimme.
„ Früher wurde solches Gelichter einfach aufgeknüpft!“, rief eine andere Frau noch lauter.
„ Schluss!“, donnerte der Marshal. „Beschwert euch beim Stadtrat, wenn es was zu meckern gibt.“
Ein weißhaariger Siebziger schob sich von links auf den Bretterfußweg und neben den Marshal.
„ Wir schaffen die beiden zum Distriktsrichter, Leute. Aber dem müssen wir auch das Geld mitnehmen, das verschiedene von euch im Saloon auflasen. Holt es her, wenn ihr das wollt.“
In der Menge rührte sich keiner.
„ Na, was ist nun?“, trumpfte der Marshal auf.
Sie blieben stur stehen.
„ Ab mit euch!“ Marshal Bailus stieß Tom an.
Camon sprang vom Bretterfußweg bis auf die Radnabe, stieg auf den Reifen, saß Augenblicke später auf dem Bock und griff nach der Peitsche.
Bud war nicht schnell genug und kassierte einen Tritt vom Sattler.
Die Menge begann zu toben.
Bud wirbelte herum, aber der Sattler befand sich schon außer Reichweite.
Tom knallte mit der Peitsche. Die Pferde zogen schnaubend an.
Bud schaffte es gerade noch auf den Bock, dann befand sich der Wagen in Fahrt und rollte durch die zurückweichende Menge.
Drohungen hallten ihnen nach. Männer feuerten aus Revolvern.
Schrill wieherten die beiden Pferde, streckten sich und zogen den Planwagen schnell aus der kleinen Stadt in der Iowa-Prärie.
Ein paar hundert Yards hinter der letzten Hütte gabelte sich die Straße.
Der eine Karrenweg führte nach Norden, der andere nach Nordwesten. Bud schaute nach Nordwesten, während Tom die Pferde nach Norden lenkte.
Die Postkutsche nach Sanborn war auf der anderen Straße gefahren und jenseits der Hügel bereits verschwunden.
„ Willst du ihr lieber nach?“, fragte Tom, ohne den Spieler anzuschauen.
„ Die Stadtfräcke haben mich doch bis aufs Hemd ausgeplündert.“
„ Du bist besser weggekommen, als du verdient hast, Bud. Und das nur, weil es in Goldwater ein paar Leute gibt, die den Distriktrichter und seine Methoden offenbar sehr genau kennen. Und die Habgier ihrer eigenen Nachbarn auch.“
Bud schaute immer noch auf die Radrinnen.
„ Du hast meine Frage nicht beantwortet, Bud. Willst du ihr nach oder nicht?“
„ Quatsch. Du kommst mit dem Wagen ohne meinen Gaul nicht in Borken Bow an. Und ich brauche so dringend wie du Geld.“
„ Sehr vernünftig.“
„ Mich wundert nur, dass du nicht über deinen Schatten springst. In Wahrheit hast du mich doch gefressen.“
„ Du sagst es, Bud.“ Tom ließ die Peitsche knallen. „Aber ich muss mit der Ladung in Broken Bow ankommen, sonst bin ich erledigt.“
„ Und wegen der Umstände könntest du dich selbst hassen, was?“ Bud grinste ironisch.
„ Ein fauler Kompromiss. Ich wette, der läuft dir nach, solange du lebst.“ Tom knallte wieder mit der Peitsche. Er wollte nicht nachdenken. Es musste wohl so sein.
Zwei Stunden später hielt er an einem Bach und ließ die Pferde saufen. Er füllte die Flaschen, schöpfte das glasklare Wasser mit dem Hut und trank es.
„ Ich hab seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen“, sagte Bud, der sich ans Ufer setzte. „Wie weit ist es noch bis zum Fuhrlohn?“
„ Immer noch über siebzig Meilen.“ Tom stülpte den nassen Hut aufs Haupt.
„ Bei dem Tempo dauert es drei Tage bis dahin. Wie wollen wir das denn durchhalten?“
„ Vielleicht läuft uns ein Braten vor die Flinte.“
Bud schaute in die Prärie zwischen den Busch- und Waldgebieten. „Ich sehe nichts.“
„ Ich auch nicht.“ Tom stieg auf den Bock. „Beeil dich, wenn du mitfahren willst“
*
Tom lag unter dem Wagen. Am Vorderrad vorbei konnte er den Mond und Sterne am Himmel sehen.
Langgezogen und klagend heulte ein Wolf irgendwo in der Nacht.
Die Pferde auf der anderen Seite stampften ins Gras. Sand flog unter den Wagen.
„ Ein alter Büffelwolf“, murmelte der am Rad stehende Spieler. „Ob der genießbar ist?“
„ Bevor du das ausprobieren kannst, musst du ihn haben.“ Tom zog sich den Hut über das Gesicht.
Er wollte über das Wühlen im Magen gar nicht nachdenken, aber der Spieler erinnerte ihn permanent daran.
„ Hast du nichts von vorgestern oder letzter Woche übrig?“
„ Sieh nach, wenn es dir Spaß macht.“
Bud fluchte abgründig, lief hin und her und stieg dann auf den Wagen. Tom hörte ihn mit Kisten und Fässern rumoren.
„ Was ist in den Kartons?“
„ Nichts, was man verdauen könnte“, sagte Tom, ohne den Hut vom Gesicht zu nehmen.
Bud rumorte weiter. Tom schlief schon halb, als es über ihm still wurde.
Er seufzte erleichtert, seine Gedanken verwirrten sich, und er schlief von einer Sekunde zur anderen ein.
Etwas später erwachte er jedoch wieder. Das leise Schnauben der Pferde musste ihn geweckt haben. Der Hut rutschte vom Gesicht, als er sich bewegte.
Nur undeutlich sah er die Stiefel des Spielers zwischen den beiden angebundenen Pferden. Es klang, als würde Bud das eine Pferd satteln.
Tom wälzte sich auf die Seite. „Suchst du immer noch?“
Bud ging in die Hocke. Sein Gesicht war undeutlich zu erkennen. „Nein, Partner, ich höre auf.“
Tom gab keine Antwort.
„ Du musst allein zusehen, wie du Broken Bow erreichst. Ich habe keine Lust, zu verhungern. Verstehst du?“
„ Es ist so einfach, dass es jeder begreifen müsste“, sagte Tom.
„ Also dann viel Spaß, Tom. Halt die Ohren steif. Ich wünsche dir Glück.“
Der Spieler richtete sich auf und drängte das Pferd vom Wagen.
Tom blieb liegen.
Bud schwang sich in den Sattel und schnalzte mit der Zunge.
Mit dem Kartenhai entfernten sich Toms Hoffnungen, das Ziel der Fahrt erreichen zu können. Trotzdem hätte ihn keine Macht der Welt dazu bewegen können, Meese aufhalten zu wollen.
Die Nacht nahm den Reiter auf, und der Hufschlag verklang. Meese ritt nach Nordwesten, dahin, wo vor ungefähr zwanzig Stunden die Postkutsche fuhr.
Er schloss die Augen, wollte weiterschlafen, aber es gelang ihm nicht. Schließlich stand er auf und schirrte das Pferd vor den Wagen. Vielleicht war es am besten, wenn er versuchte, möglichst die kühlen Nachtstunden für die Fahrt zu nutzen.
Tagsüber konnte er in einem Waldstück Schatten suchen. So würde er es vielleicht auch mit dem einen Pferd schaffen und vom Fuhrlohn ein zweites Tier kaufen. Vielleicht konnte er in Broken Bow sogar eine Ladung zu den Goldfeldern im Norden übernehmen.
Neue Hoffnung keimte in ihm auf, obwohl er sich sagte, dass es noch weit bis zur Stadt beim Minnesota River war.
Tom führte das Pferd. Stunde um Stunde bewegte er sich langsam nach Norden. Als es hell wurde, hatte er keine Ahnung, wie viele Meilen tatsächlich bereits hinter ihm lagen.
Nach seiner alten Militärkarte führte knapp zwanzig Meilen nördlich von Goldwater eine Brücke über den James River. Davon war noch nichts zu sehen.
„ Egal ob fünf, sechs oder sieben Tage.“ Er strich dem Pferd über den Hals. „Wir beide schaffen es schon, was?“
Da krachte ein Schuss. Die Kugel strich knapp an Tom vorbei.
Er sprang zurück.
Das Gewehr entlud sich abermals. Das Pferd stieg wiehernd auf die Hinterhand. Die Hufe wirbelten, schrammten gegeneinander.
Tom sprang, bekam das Kopfgeschirr des Braunen zu fassen, riss das Tier herunter und zog es samt des Planwagens herum. Damit kam das Tier in den Schutz des Gefährts.
Die nächste Kugel streifte ein Rad, prallte ab und pfiff in den grauen Himmel.
Tom schlich am Wagen zurück, kniete sich hinter die Radnabe und schoss zu dem Gehölz im Osten, in dem sich der Wegelagerer versteckt halten musste.
Der unsichtbare Schurke jagte noch ein paar Kugeln herüber. Tom schoss zurück. Drüben brach das Feuer ab. Camon ließ das Gewehr sinken.
Er meinte eine Gestalt zwischen den Bäumen ausmachen zu können, die sich auf ein Pferd schwang, aber er erkannte nicht einmal die Farbe des Pferdes.
Er richtete sich auf, lief zurück, schirrte den Braunen aus und verkürzte die Zügel, indem er sie einfach abschnitt. Einen Sattel besaß er nicht mehr.
Es musste auch so gehen. Tom schwang sich mit einem Sprung auf den Braunen und trieb ihn an.
Der Reiter stob bereits hinter den ersten Bäumen im Gehölz nach Norden, feuerte aber weiter auf den Verfolger.
Tom schoss zurück und trieb den Braunen durch laute Zurufe an.
Der Schütze verschwand tiefer im Wald.
Als Tom den Waldsaum erreichte, hörte er den Hufschlag noch. Aber nur ein paar Yards weiter schien es, als käme er von allen Seiten gleichzeitig.
Der Braune scheute und lief aus, als er nicht mehr angetrieben wurde.
Wieder fiel ein Schuss. Dumpf traf das Blei einen Baum.
Der Braune wollte ausbrechen. Tom verlor dabei das Gewehr. Da es ihn ohnehin nur behinderte, ließ er es liegen und hoffte, die Stelle wiederzufinden.
Der letzte Schuss hatte ihm die Fluchtrichtung des Wegelagerers verraten. Tom schlug diese Richtung ein.
Unterholz prasselte und barst. Der Braune lief beachtlich schnell und gab Tom damit die Hoffnung, den Schurken noch fassen zu können.
Doch als das Pferd an einem Baum geradezu katzenhaft zur Seite sprang, verlor er den Halt und flog im hohen Bogen in einen Busch. Er schlug so hart auf, dass er benommen liegen blieb.
Minuten verstrichen, bis er sich besser fühlte und aufrappeln konnte. Dann erst war es ihm möglich, nach dem Pferd zu suchen.
Der Braune stand am Waldsaum. Das Gelände stieg nach Norden in meilenbreiter Bodenwelle an. Die Rampe einer Brücke ließ sich erkennen. Sie bestand aus senkrechten Pfosten und dicken Tauen, die einen aus Bohlen gefertigten Belag trugen.
Der Reiter befand sich bereits auf der Flanke der Bodenwelle.
Tom hielt sich an der Mähne des Pferdes fest und sprang auf.
Der andere Reiter schien sein Pferd mit dem Gewehr zu schlagen und so dessen Gangart zu beschleunigen.
„ Dich kriege ich!“, frohlockte Tom und bearbeitete den Braunen mit den Absätzen.
Der Fliehende erreichte die Brücke. Die Bohlen dröhnten, und die langen, dicken Taue schwankten. Der Reiter verschwand.
Tom erreichte die Höhe über dem James River mit Verzögerung.
Der Wegelagerer war verschwunden. Nur die leicht schwankende Bohlenbrücke verriet noch, dass er diesen Weg zur anderen Seite genommen hatte.
Der Fluss schäumte gut zwanzig Yards tiefer durch einen Graben. Senkrecht, stellenweise auch überhängend, fielen die Wände der zerschnittenen Bodenwelle in die Tiefe.