Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Drüben, im Keller - Geschichten aus dem Fundus ... dort, wo Kinder- und Schulbücher, alte Möbel, Schlittschuhe und Puppenkleider aufbewahrt werden, lagern die Geschichten meiner Geschichte; nachdem ich manche der Geschichten immer wieder erzählt und gemerkt habe, dass sich kleine Variationen einschleichen, war das Aufschreiben auch eine Sache der Bequemlichkeit, vor allem aber ein großes Vergnügen; Witziges, Berührendes, auch sehr Persönliches, das sich aber – in der einen oder anderen Variante – bestimmt in beinah jeder Familie finden lässt, ist hier gesammelt und reflektiert und soll auch außerhalb meiner Familie Vergnügen bereiten.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 107
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Vorbemerkung
Eine frühe Geschichte
Zum fünften Geburtstag
Der „drübere“ Keller
Eine Tanten-Mischkulanz
Intermezzo: Drei Meter
„Du, Mama, icchh glaub’ sicchha …!“
Die dritte Heilige Zeit
Eingeschneit am „Kalten Eck“
Der brennende Adventkranz
Der Goldfisch (ein Fragment)
Der Felix, die Meersau und das Hasui
Zwei Urlaube und ein Gipsunfall
Agnes von Pfannberg
Und jetzt, wer kommt nach?
Going abroad – mit und ohne Auto
Abbruch – Umbau - Einreichung
Nachbemerkung:
Ich glaube, in jeder Familie, in jedem Leben passieren viele witzige, berührende Geschichten; Geschichten, die zu erinnern und festzuhalten sich lohnt;
ich hab’ eines Abends – inspiriert vom laufenden Gespräch – laut gedacht:
„ ... das erinnert mich – wie komm’ ich da jetzt drauf – an die weißen Pfirsiche...“ - und habe die Geschichte erzählt. Das lachende Gegenüber hat dann angeregt, das Ganze aufzuschreiben;
andere Texte sind für andere Anlässe, Lesungen, Veranstaltungen, oder aus anderen Anlässen, persönlichen, Zeitpunkten, Festen, auch als Reflexionen, entstanden.
Im Schreiben und im Lesen stelle ich immer wieder erstaunt fest, welche Details sich unauslöschlich in eine Erinnerung brennen, ich bin sicher, viele kennen das!
Aufgeschrieben, gesammelt und nach ihrer „eigenen“ Wahl gereiht finden sich nun einige Geschichten – zum Teil mit veränderten Namen - in dieser Zusammenstellung, die Eingeweihte berühren, Berührendes aufbewahren und alle, die sie lesen oder hören, unterhalten und inspirieren soll.
Irene Pollak, 2011-2014, Wien
An langen Haltetauen
lose aufgehängt
schwingt uns’re Existenz
im Wind der Zeit.
Wir wissen wenig
von den Regelmaßen
und haben vieles
viel zu früh bereut.
Wer weiß, wo sich
die Fäden einst verknüpfen
und, wer sie hält
in diesem großen Spiel;
wohin wir geh’n
und, wie wir einmal enden,
der Weg, er ist
das Maß für jedes Ziel.
ip, Juli 1991
Da war eine Natursteinterrasse und glühende Sonne.
Da war ein langgestreckter Garten – zumindest erscheint er mir in der Erinnerung langgestreckt, - auch der Brunnen erscheint mir riesig, ein rundes Steinbecken mit gerundetem, gekerbtem Rand, ein gekrümmter Eierstab, auf einem geschwungenen Mittelfuß, wie ein Baluster, und oben drin eine Fontäne. Neu-Barock. 1960er-Chic. Heute stark gesucht hip-retro. Aber original! Das ist die Zeit, aus der ich komm’.
Ich erreiche mit meiner ausgestreckten Patschhand gerade den gerundeten Rand.
Zwei Dackel, kastanienbraun und quirlig. Einer hetzt permanent eine offene Treppe rauf und runter. Die Treppe ist durch die großzügige Verglasung hinter der Terrasse sichtbar.
Ich oszilliere zwischen den Dackeln, meinem Papa, der irgendwo am Brunnen rumsteht und der Mama, die in einem himmelblauen Strickkostüm und hochgesteckter Frisur mit parallelen Beinen und Füßen in Bleistiftabsatz-Zehenmörder-Pumps auf einem der Terrassenmöbel sitzt und sich mit der Besitzerin des Hauses und des Gartens unterhält, die uns eingeladen hat. Eine Architektin.
Eine Dachschräge mit Walzenmuster, ein sonniger Herbstmorgen, sowas wie ein Matratzenlager, das Übernachten bei Freunden; eine fremde Küche und dennoch seltsam vertraut – und – Geburtstagsgeschenke. Eins davon war eine große Porzellansparkatze, annähernd in Lebensgröße, zusammen-gekuschelt sitzend, ihren Schwanz bis um die eingezogenen Vorderpfoten geringelt, die Ohren gespitzt. Auf dem Rücken ein Schlitz, an der Bauchseite eine runde Öffnung, verschlossen mit einem Plastikdeckel. Glasiert mit rosa Stiefmütterchen. Leider war der Schlitz auf dem Rücken größer als das Loch am Bauch: es war nicht sicher, dass alle Geldstücke, die durch den Rückenschlitz passten, beim Bauchloch auch wieder rauskonnten. Gezeigt hat sich das anhand einer silbernen 50-Schilling-Münze. Kurz hat es eine große Verzweiflung gegeben, ich erinnere mich genau. Ich erinnere mich auch, dass unser Vater sich geärgert hat, auch über das zwar hübsche, aber durch diesen Konzeptmangel zweckunfähige Stück, vor allem aber über die Unfähigen, die’s gekauft haben, war das meine Großmutter, Mutters Mutter, Vaters Schwie? Er hat dann mit zunehmender Wut und einem Schweizer Offiziersmesser im Rückenschlitz herumgestochert, um die Münze auf dem ursprünglichen Weg wieder aus der Sparkatze zu bekommen – und dabei eine recht große Scholle glasiertes Porzellan abgesprengt. Drama. Wirklich schade. Die Münze ist letzten Endes herausgekommen, die Glasurscholle wurde angeklebt. Ich habe die Sparkatze immer noch, habe sie aber kaum zum Sparen verwendet. Ich greife sie immer wieder gerne an, die Form der Ohren, die glänzende Glasur, ich mag die rosa Stiefmütterchen; Sie steht heute in einem meiner Regale, mit ihrer Narbe am Rückenschlitz, in deren Rändern sich, trotz Wischen, der Staub von heute rund 45 Jahren gesammelt hat.
Ein Privileg! Als mit dem sozialistischen Gemeindebau-Hausbesorger befreundete Familie bekamen wir die Möglichkeit, ein zusätzliches Kellerabteil zu mieten. Was heißt Kellerabteil – geschätzte 20m2 Lagerraum mit zwei Kellerfenstern im nächsten Bau der Wohnhausanlage!
Luxus! Als der Raum noch recht leer war, haben wir dort Tischtennis gespielt!
Der Tisch steht noch immer drin, er dient als Ablage, als zweite Ebene, denn es lässt sich auf und unter ihm lagern.
Und gelagert wird dort viel!
50 Jahre. Bücher, Schul- und Spielsachen, Sport- und Haushaltsgeräte, Lampen und Möbel.
Geschichte und Geschichten.
Manche Dinge haben in den Jahren ein Eigenleben entwickelt. Die haben wir entsorgt.
Andere verstauben nur. Wie das Modell meiner Diplomarbeit;
Das Knarren der Schranktüren ist in meine Erinnerung gebrannt, wie die Oberfläche meiner Puppenküche und die Gerüche in meinen Schulbüchern.
Ein Paradies! Ich könnte dort Tage verbringen – möglicherweise sollten wir das auch einmal.
Aber, wer würde uns aus den Gletscherspalten der Schachteln und Kisten holen, woran sollten wir uns seil-sichern, wenn wir versinken, abstürzen, das Bewusst-Sein verlieren, unsere Zeit und uns?
Und, wenn wir doch wieder auftauchten, heimkehrten, die Taschen voll mit Kostbarkeiten, so wie Hänsel und Gretel, wer sollte unsere Schätze schätzen?
Könnte ich den drüberen Keller doch dehydrieren, schrumpfen, seine Essenz konservieren und in kleinen Tabletten trocken lagern.
Wenn der Anlass passt, würde ich eine solche Tablette auf einen großen, freien, stillen Platz legen und gießen und dann würde der Keller, oder bestimmte Kisten oder Regale, aus der befeuchteten Tablette wachsen, sich entfalten, wieder zum Leben erwachen.
So, werden wir bis auf weiteres einfach wissen, dass er da ist, schläft, wartet, den Atem anhält, so wie die Zeit, die in ihm ist.
Ja, na, ja, wenn ich denk’, damals, ich weiß nicht, wie ich drauf komm’, ich seh’ uns sitzen um 14 Uhr in der Hinterbrühl vor der Jause, die wir noch nicht wollten, weil wir erst eine Stunde davor zu Mittag gegessen hatten, um eins, was für einen Sonntag und eine normale Familie eh’ nicht extrem spät ist, aber für die Tante schon, die Tante hat nämlich um elf Uhr zu Mittag gegessen, die hatte um zwei schon wieder einen Jausengusto.
Eigentlich war sie eine Tante ‚twice removed’, eine Tante ums Eck - also, keine echte, sie war weder eine Schwester unseres Vaters oder unserer Mutter, noch irgendeine deren Tanten, dann hätte man sie als Großtante auch vertanten können, das kommt schon auch vor, nein, sie war die Kusine des Vaters meiner Mutter, das heißt, eine Tochter von Opa’s Tante, die wiederum meiner Mutter Großtante war, also war sie Mutters Großkusine und unsere Urgroßkusine. Also, quasi eh’ eine Art Tante. Der Kürze wegen.
Ihr Vorname war der einer Blume, einer sprichwörtlichen, nein, nicht Viola.
Sie lebte in einem alten, aus Steinblöcken und vereinzelten Ziegeln erbauten, Haus aus dem 19. Jahrhundert, im etwas abgelegenen Teil einer durchaus renommierten niederösterreichischen Wohngegend, oder Urlaubsgegend, beinah schon Sommerfrische, ein SOS-Kinderdorf direkt in der Nähe.
Irgendwie war’s immer klamm in dem Haus, es war nicht unterkellert, der Holzboden direkt auf einer pro forma-Unterkonstruktion, vermutlich aus Schlacke-Schüttung und Polsterhölzern – und sonst nix, keine Feuchtigkeits-Isolierung, keine Wärmedämmung, gar nix. Da kriecht’s schon kühl die kindlichen Wadeln hoch, wenn man stundenlang um den altdeutschen runden Esstisch hocken und die Finger parallel an die Tischkante legen muss.
Im Sommer war’s angenehm, aber irgendwie erinner’ ich nur die klammen Herbst- und Winternachmittage.
Die Schuhe, die im ungeheizten Vorzimmer, oder der Veranda ausgezogen wurden, waren beim Wiederanziehen so kalt, dass man sich eigentlich hätt’ ordentlich verkühlen können.
Ich kann mich erinnern, dass ich auf der Heimfahrt im gut geheizten Auto bis zur Wiener Stadtgrenze gebraucht hab’, bis meine Füße wieder halbwegs warm waren.
Die Tante hingegen hat geschwärmt von den gefrorenen Wassergläsern auf den Nachttischen ihrer Jugend, so kalt war’s, musste es sein, ja, ja, heutzutage ist alles verweichlicht und hält nichts mehr aus.
Es war ein schattiges Tal, eigentlich eh’ beinah eine Klamm (!), tief eingeschnitten der Bach, steile Hänge, an die sich die schmale Zufahrtsstraße legte, an der, wiederum, sich die schmucken villenartigen Häuser mit ihren Rücken an die steil ansteigenden Gärten schmiegten, viele mit Erdkellern, die meisten mit holzgeschnitzten, oft verglasten, Veranden zur Straße hin, manche mit unterschiedlichen Höhenlagen und Niveaus, split-level, sozusagen, durchaus spannend; immer hatte ich geglaubt, ich würde das jüngere, rückwärtige, Haus einmal erben, bin sogar einmal danach gefragt worden – von der zukünftigen Vererberin, der Nichte unserer Tante, die ja keine Tante war.
Ich weiß schon, wie ich drauf komm’, der erste Satz in einem Buch, in dem ein Plastiksack vorkommt, mit weißen Pfirsichen, hat mich unlängst daran erinnert.
Eben, an den Garten, den steilen, Hang, nach Süden orientiert, im oberen Teil durchaus sonnig, aber halt mühsam zum Erklimmen; nicht nur einmal bin ich beim wieder Runtergehen auf feuchtem Klee und Breitwegerich ins Rutschen gekommen und hab’ in den elend langen Schrecksekunden dann mein klirrendes Ende in der zersplitternden Veranden-Schiebetür gesehen...
Wobei, an diesem Punkt bin ich bissl traumatisiert,
es ist einmal vorgekommen, dass ich die Kontrolle über eine Rodel verloren habe.
Ich muss wohl ungefähr sieben gewesen sein und es ist im verschneiten Garten im Wochenenddomizil einer verwandten Familie väterlicherseits passiert.
Von einem Hang, im Garten hinter dem Haus wollte ich gemütlich in den Garten rodeln, aber der Schwung war stärker als ich gedacht hatte, ich hab’ damals – Gottseidank hat das niemand gesehen – eine Ligusterhecke durchbrochen und bin mit wachsender Verzweiflung und Geschwindigkeit durch das Tiergehege des Onkels gerattert, die Mufflons und Rehe haben sich wahrscheinlich ähnlich geschreckt wie ich, aber ich geb’ zu, ich hab’ geglaubt, dass ich sterben werde, dass es das jetzt gewesen ist.
Ich bilde mir ein, dass ich beim Hinunterrattern um Hilfe gerufen hab’, am Zaun hab’ ich mich dann gefangen, eigentlich beinah im Zaun, eine blutende Lippe hab’ ich mitgenommen und mich furchtbar geniert, ich befürchte, meine Eltern waren auch nicht besonders stolz auf meinen unfreiwilligen Heldenmut und meine unglaublichen Rodelfertigkeiten.
Im Gegensatz dazu hat meine Schwester über ihren damals Vier- oder Fünfjährigen, meinen Neffen, erzählt, dass auch er einmal offenbar die Geschwindigkeit seiner Sitzschüssel unterschätzt hat; sie hat ihn nämlich damals aus den Augen verloren und beim den Hang hinunter Laufen ein Paar Spaziergänger gefragt, ob sie einen kleinen Burschen mit rotem Anorak in einer Sitzschüssel gesehen hätten – und hat die Antwort erhalten: „Ja, der ist da unten, in der Kurve, ausgestiegen“ - „ausgestiegen“! Das heißt, er hat gemerkt, dass er’s nicht derhalten wird und hat sich entschlossen, das Ende selber und kontrollierbar herbeizuführen, einen ‚planned accident’ sozusagen - das ist cool! Es ist ihm nichts passiert, dabei.
Ah, ja, der steile Garten der Tante, die keine war ... im Bereich direkt ums Haus war weißer Kies gestreut. Darauf lag – in minutiöse Schlaufen gelegt und nicht zu berühren – der Gartenschlauch. Pfingstrosen und Rosen, Lavendel und blühende Rabattenstauden, ein Vogelbad, eine dezente Klopfstange. Die Wiese voll mit dem erwähnten Klee und Breitwegerich, ein Zwetschkenbaum, dessen Früchte der Mühe wegen kaum mehr geerntet wurden und dann als Fallzwetschken zur Beschleunigung der den Garten herunter Laufenden das ihre beitrugen.
Ein Stück weiter oben, Beete mit Blumen und vereinzelt Gemüse, ein Komposthaufen im Schatten eines Nussbaumes;
Dann, links, der Rosengarten der Nichte, mit Blick aus der Küche, ebenfalls auf eine Vogeltränke, auch hier Beete und Wiese, beides von den vielen Gastkatzen wahrscheinlich unmerklich versch..., die im Schatten des Vogelbades auf Desserts warteten.
Und dann, ein Stück weiter nach oben – die Pfirsichbäume! Weingartenpfirsiche, klein, mit weißem, aromatischem Fruchtfleisch, ein unvorstellbarer Genuss, so frisch vom Baum!
Ich kann nur leider keine mehr sehen; eines Sommers nämlich rief uns die Tante zur Pfirsichernte in den Garten – sie war überhaupt gut im Einteilen und der Meinung, so was muss man doch wollen wollen, und die beiden holden Töchter sollen mithelfen und sich freuen, auf Befehl.
Ich muss sagen ich bin keine Sammlerin. Das Ernten im landwirtschaftlichen Sinn ist nicht ganz das Meine. Möglicherweise jage ich doch lieber. Oder baue.
Jedenfalls erinner’ ich mich gut an den ersten Schwarzwald-Urlaub, nie werd’ ich das vergessen, glaub’ ich. Meine, unsere Großmutter und ihre Tochter – unsere Mutter, also Oma und Mama, waren, das heißt, die Oma war und die Mama ist eine große Sammlerin vor dem Herrn. Das heißt auch Suchein und Finderin.