Du, ich und die verdammte Ewigkeit - Carolin Kippels - E-Book

Du, ich und die verdammte Ewigkeit E-Book

Carolin Kippels

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Beschreibung

Eigentlich läuft in Chris' Leben alles nach Plan. Er schließt sein Studium ab, und durch eine Erbschaft kann er sich sein Traumhaus kaufen. Nur hat der Makler bei der Vertragsunterzeichnung ein kleines Detail verschwiegen: in dem Haus spukt es. Der Ärger im neuen Heim führt ihn mit seiner alten Schulkameradin Sofie zusammen, die ihre ganz eigenen Erfahrungen mit Geistern gemacht hat. Doch die enge Zusammenarbeit zwischen den beiden weckt nicht nur alte Gefühle, sondern ruft auch eine Gefahr auf den Plan, die den beiden auch außerhalb des Geisterhauses näher ist als sie ahnen...

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Seitenzahl: 350

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Table of Contents

Verlag

Titel

Danksagung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Impressum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Carolin Kippels

Du, Ich und die Verdammte Ewigkeit

 

Danksagung

 

Für J., M. und T.,

Geister der Vergangenheit machen uns zu dem, was wir heute sind.

Danke für eure Freundschaft und auf neue Abenteuer.

Prolog

 

 

Wer will schon wissen, was Menschen tun, wenn sie glauben, unbeobachtet zu sein? Die Liste ist jedenfalls lang: Sie bohren in der Nase, waschen sich nicht die Hände, trällern peinliche Lieder im Bad oder führen merkwürdige Selbstgespräche. Ich könnte ewig weiteraufzählen und muss zugeben, dass mich der ein oder andere Mensch überrascht hat.

Vor allen Dingen überraschte mich wie schnell Menschen anderen in den Rücken fallen oder ihr Wort brechen. Leider habe ich damit meine eigenen Erfahrungen gemacht. Zu Lebzeiten habe ich am eigenen Leibe erfahren, was es heißt, verraten und verkauft zu werden. Als Geist habe ich dafür unfreiwillig Einblicke in alle möglichen Lebenslagen der Menschen erhalten und auch die unterschiedlichsten Persönlichkeiten kennengelernt.

Beispielsweise eine Dame, die so kontrollsüchtig war, dass sie ihren Mann jeden Abend mit neumodischem Schnickschnack ortete und an seinen Klamotten roch, um festzustellen, ob auch nur ein Hauch fremden Parfums zu erahnen war.

Oder die junge Familie, die ihren Sohn unaufhörlich trimmte und zu allen möglichen Castings schickte, in der Hoffnung, dass der kleine Mann irgendwann zu einem erfolgreichen Schauspieler würde. Mit 12 Jahren erlitt der arme Junge seinen ersten Nervenzusammenbruch durch den ganzen Druck.

Tatsächlich hatte mein Spuk damit wenig zu tun.

Ich könnte noch einige Geschichten über skurrile Personen aufzählen, aber niemand, wirklich niemand, war ähnlich stur, begriffsstutzig und einfältig wie Chris Roth. Niemand zog ähnlich abfällig über die alte Blumentapete her, die meine Frau mit viel Liebe zum Detail damals ausgesucht hatte – die Liebe zum Detail, eine ihrer besseren Eigenschaften. Aber zurück zu Chris: Kein anderer Bewohner brauchte so lange im Bad und war dabei so auf den Sitz seiner Haare fixiert, dass er gar nicht bemerkte, wenn ich versuchte, seine Aufmerksamkeit zu erregen. Bisher hatte es auch nie einen Bewohner gegeben, der so häufig Damenbesuch in unser ehemaliges Schlafzimmer gebracht hatte. Normalerweise hielten es die Menschen mit mir als ungeliebten Mitbewohner nicht lange aus. Der Rekord lag bislang bei drei Monaten, bis sich die letzte Bewohnerin in die Psychiatrie hatte einweisen lassen.

Vielleicht war aber gerade die Mischung aus Stur- und Einfachheit das, was Chris von den vorherigen Bewohnern unterschied. Vielleicht sind auch gerade das Eigenschaften, die der tapferen Sofie und ihm halfen, mein Geheimnis zu lüften – und mich damit endlich von dieser irdischen Welt zu befreien.

Kapitel 1

 

 

»Und du bist dir sicher, dass das eine gute Idee ist?«, fragte Charlie, während er mir half, einen von tausenden Kartons die Treppe heraufzuschleppen.

»Ja und jetzt ist es eh zu spät. Ich habe den Vertrag vor drei Wochen unterzeichnet und darf dieses wundervolle Heim nun mein Eigen nennen.«

Stolz zeigte ich hinter mich und betrachtete mein Eigentum: Ein altes Herrenhaus, das vier Etagen besaß. Und glücklicherweise waren drei Etagen so voneinander abgetrennt, dass man drei abgeteilte Wohnungen daraus machen konnte. Damit war es auch die perfekte Anlage. Abgesehen davon war das Haus in der Nähe des Waldes, also könnte ich jeden Morgen in der Natur joggen, wenn ich wollte. Bei dem Gedanken glitt ein Lächeln über mein Gesicht. Der Preis war auch mehr als in Ordnung gewesen, was mich zuerst skeptisch gemacht hatte. Aber, wenn sich eine großartige Chance bot, dann sollte man sie ergreifen und nicht alles hinterfragen. Das war eh mein Lebensmotto.

Ich klatschte in die Hände und bemerkte, dass mein Lächeln noch breiter wurde.

»Die Lage ist hervorragend. Die Stadt ist nicht weit und man hat trotzdem seine Ruhe. Der Makler meinte, dass vor allem junge Familien diesen Ort lieben. Man rechnet damit, dass sich der Wert der Grundstücke hier in zehn Jahren verdoppelt.« Meine Stimme überschlug sich fast, als ich von dem Haus schwärmte.

»Aha.« Charlie kratzte sich am Kopf. »Und… du willst hier bald auch eine junge Familie gründen oder warum verschlägt es dich in unseren Heimatort zurück?«

Ich schaute Charlie kurz an und brach dann in lautes Gelächter aus.

»Oh, ich bitte dich. Nein, ich sehe mich noch lange nicht als grummeligen Familienvater. Es war einfach Zeit für eine Veränderung… und meine Großmutter hätte sich bestimmt gewünscht, dass ich ihr Geld ordentlich anlege. Außerdem war die Schulzeit hier in Königsstein nicht übel. Damals war halt alles… einfacher.« Ich dachte gerne daran zurück.

»Du wirst aber jetzt nicht wehmütig oder so?«, fragte Charlie, stellte den Karton im Flur ab und klopfte mir auf die Schulter.

»Quatsch. Komm schon, lass uns die restlichen Kartons ausräumen, dann lade ich dich auf ein Bier ein.«

Das ließ sich Charlie nicht zweimal sagen. Das Bier schien ein geeignetes Motivationsmittel zu sein und so waren die Kartons schneller ausgeladen als gedacht. Zugegebenermaßen war ich tatsächlich etwas wehmütig, aber vor Charlie hätte ich das niemals zugegeben. Umso wichtiger war es, dass ich mich ablenkte. Die Bar war dafür ein geeigneter Ort. Wir kannten sie sogar noch aus der Schulzeit, weswegen ich ein kurzes Seufzen ausstieß und innehielt, bevor wir eintraten. Erinnerungen wurden wach und es fühlte sich fast ein bisschen wie nach Hause kommen an. Charlie beäugte mich skeptisch, sagte aber nichts dazu. Besser so, wir hatten etwas zu feiern. Da war keine Zeit für Gefühlsduselei. Die Stimmung war so gut, dass ich mit meinem Kumpel fast bis zum Ladenschluss blieb.

Ich sagte Charlie noch mehrere Male wie sehr ich ihn liebte, und hätte ihn bei unserer Abschiedsumarmung fast erdrückt, ehe ich ins Taxi stieg und den Kopf müde gegen die Scheibe legte. Es drehte sich alles. Ich versuchte einen ruhigen Punkt zu fokussieren, damit sich der Schwindel etwas legte. Es gelang mir aber nicht, weswegen ich die Augen schloss. Tatsächlich war ich sogar einen Moment eingenickt, weswegen ich erschrocken zusammenzuckte, als der Fahrer mich anstupste.

Mein Blick war etwas verschwommen und mein Gleichgewichtssinn leicht beeinträchtigt, als ich mich erhob. Musste der Boden denn so schwanken? Vielleicht hätte ich auf das letzte Bier verzichten sollen, aber wenn das eigene Haus nicht als Grund galt sich zu betrinken, dann wusste ich nicht, was einen geeigneten Grund darstellte.

Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen, nachdem ich ausgestiegen war. Meine Beine gehorchten mir zwar, aber fühlten sich schwer an, als ich mich die Treppe hinaufschleppte. Als ich die letzte Stufe erklommen hatte, suchte ich nach dem Schlüssel und wühlte ungeduldig in der Hosentasche herum. Dann wurden meine Bewegungen hektischer und eine Unruhe erfasste mich. Der Schlüssel war nicht mehr in meiner Hosentasche. Mein Atem beschleunigte sich und ich ließ den Blick angestrengt durch die Dunkelheit schweifen. Nach ein paar Sekunden hatte ich dann endlich eine Idee. Ich hockte mich auf den Boden und tastete, bis ich etwas zu greifen bekam. Es war ein kleiner Gegenstand, der ein paar Zacken hatte und der Form nach… Bingo, das war mein Schlüssel. Ein kurzer Freudenschrei entfuhr mir. Dann stieß ich erleichtert die Luft aus, erhob mich und steckte den Schlüssel endlich ins Schloss. Anscheinend war er mir aus der Hosentasche gefallen.

»Da hätt‘ ich mich ja fast ausgesch… auschgeschlossen«, murmelte ich. Die Sch-Laute auszusprechen war gar nicht so einfach. Bei der Vorstellung, wie ich vor meinem eigenen Haus die erste Nacht auf der Fußmatte verbringen müsste, stieg ein Kichern in mir auf. Ein Mann, der mit fast 1,90 vor seiner Haustür kauerte, musste ziemlich skurril aussehen.

Gut gelaunt summte ich einen Song, der in der Bar gelaufen war, warf die Schuhe in irgendeine Ecke und machte mich in Richtung Bad auf. Die Elektrik war noch nicht fertig installiert, weswegen ich mir einen Weg durch die Dunkelheit suchte. Kein einfaches Unterfangen, vor allen Dingen im betrunkenen Zustand. So dauerte es nicht lange, bis ich mir an irgendeinem Karton den Fuß anstieß. Mit einem lautstarken Fluch zog ich meinen Fuß hoch, fuhr mit der Hand darüber und bemerkte, dass es meinen großen Zeh erwischt hatte. Die Bewegung machte ich allerdings ein bisschen zu zügig, weswegen ich das Gleichgewicht verlor und unsanft auf dem Fußboden und meinen vier Buchstaben landete.

»Mist«, fluchte ich und kniff das Gesicht kurz vor Schmerz zusammen. Tja, wie hieß es so schön: Die meisten Unfälle geschahen im Haushalt. Es war allerdings nur halb so dramatisch. Ich konnte den Zeh bewegen, es schmerzte nur höllisch und der Sturz würde vielleicht zu einem blauen Fleck führen, aber das war es schon.

Im nächsten Moment fiel eine der Türen zu und ein starker Luftzug fuhr durch das Haus. Das Zuschlagen der Tür war so laut, dass ich sofort herumfuhr. Im nächsten Moment gab ich ein genervtes Stöhnen von mir: Anscheinend hatte ich vergessen, eines der oberen Fenster zuzumachen, daher wehte wohl der Wind. Als mir mein schlechter Wortwitz auffiel, schlich sich ein Grinsen auf mein Gesicht. An meiner Organisation musste ich definitiv noch arbeiten. Die Tür schlug jedenfalls mehrere Male gegen den Rahmen, was mich überraschte. Mir war es nicht sonderlich windig vorgekommen, als ich aus dem Taxi gestiegen war. Mit einem kurzen Seufzen erhob ich mich und hinkte in den Raum, in dem ich das offene Fenster vermutete. Das Fenster stand tatsächlich auf Kipp, aber es schien nicht so, als würde der Luftzug damit etwas zu tun haben. Verdutzt fuhr ich mir durchs Haar, schloss das Fenster und schlurfte dann ins Bad. Das Ganze war merkwürdig, aber ich versuchte keine Analyse anzustellen, denn dafür konnte ich mich nicht gut genug konzentrieren. Immerhin im Badezimmer hatte ich schon einmal Licht. Mit dem Ellbogen reinigte ich den etwas verschmutzten Spiegel und betrachtete mich darin. Obwohl es schon relativ spät war und mich das Ausräumen geschafft hatte, musste ich zugeben, dass ich ziemlich gut aussah. Ich zwinkerte meinem eigenen Spiegelbild noch einmal zu und fuhr mir erneut durchs Haar. Genau in diesem Moment flackerte das Licht. Bis der Elektriker kommen würde, dauerte es allerdings noch etwas.

»Wie gut, dass ich mich morgens um meine Haare kümmere«, murmelte ich und hatte es dann irgendwann ins Bett geschafft. Ich war todmüde. Charlie und ich mussten definitiv öfter zusammen weg. Wie es aussah, war ich, was das Trinken anging, aus der Übung. Dabei war mein wildes Studentenleben gar nicht so lange her. Glücklicherweise hatten wir uns bereits um den Aufbau des Bettes sowie Bettwäsche gekümmert. Ich musste also nur noch unter die Decke kriechen und die Augen schließen. Gerade, als ich bemerkte, dass das letzte bisschen Aufmerksamkeit schwand, meinte ich noch einmal das Türschlagen zu hören, aber das ignorierte ich. Außerdem dachte ich in diesem Moment, dass es meiner Einbildung entsprang. Ich schlief jedenfalls tief und fest. Es gab auch keinen Traum oder dergleichen, an den ich mich erinnerte. Nur eines bemerkte ich am Morgen: Meine höllischen Kopfschmerzen. Als das Licht durch die Fenster hereinfiel, zog ich mir die Decke über den Kopf und versuchte weiterzuschlafen. Ich war eindeutig ein nachtaktives Wesen. Diese Feststellung half mir allerdings weder beim Weiterschlafen noch bei den pochenden Kopfschmerzen. Das Ganze war ziemlich frustrierend, weil das Wachliegen nervig war. Umso mehr ich daran dachte, wie sehr es mich ärgerte, dass ich nicht schlafen konnte, desto schwieriger wurde es. Ich vergrub den Kopf im Kissen, versuchte noch einmal Schäfchen zu zählen, aber schob die Decke dann weg. Ich gab auf. Wenn ich schon nicht schlafen konnte, wollte ich mich nützlich machen. Mein Weg führte ins Bad, wo ich mir erst einmal Wasser ins Gesicht spritzte. Die Augenringe waren nicht sehr vorteilhaft und mein Haar komplett verwuschelt. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich in diesem Zustand in die Öffentlichkeit traute. Die Tatsache, dass mir allerdings Kopfschmerztabletten fehlten, ließen mir keine andere Wahl. Zumindest half mir meine Sonnenbrille dabei, etwas weniger wie ein Zombie auszusehen. Das Haar wurde auch noch notdürftig gerichtet, ehe ich Google nach der nächsten Apotheke befragte. Allerdings war der Empfang so grottig, dass ich keine Antwort erhielt. Tja, wie es aussah, musste ich eine unangenehme Maßnahme ergreifen. Es war das 21. Jahrhundert und ich konnte es noch immer nicht fassen, aber: Ich musste jemanden, eine echte Person, ein Individuum, einen Menschen, nach dem Weg fragen. Zwar bin ich selten um Worte verlegen, aber… nach dem Weg fragen war einfach uncool. Wenn mich jemand in der Stadt, meiner alten Heimat, nach dem Weg gefragt hatte, hatte ich die Person immer mit zusammengezogenen Augenbrauen gemustert und gesagt: »Frag doch Google Maps.« Die Erlaubnis, nach dem Weg zu fragen, hatten meiner Meinung nach nur alte Menschen, die kein Handy bedienen konnten oder Personen deren High-Speed-Volumen, beziehungsweise Akku leer war. Und nun musste ich nach dem Weg fragen. Wie bitter.

Ich knirschte mit den Zähnen und steckte das Handy zurück in meine Hosentasche, ehe ich das Haus verließ und nach einem Nachbarn Ausschau hielt. Erst nach ein paar Minuten und ein paar Schritten erspähte ich eine neue Nachbarin:

Es war eine etwas ältere Dame mit Rollator.

»Guten Morgen. Wissen Sie zufällig, wo ich hier die nächste Apotheke finden kann?«, fragte ich die Fremde, worauf sie mich musterte.

»Tja, junger Mann. Da müssen Sie schon eine Weile gehen. Von hier aus sind es so zwanzig Minuten bis zur Apotheke. Ich muss aber auch des Weges, also können Sie mich begleiten.«

»Gerne«, erwiderte ich und lächelte sie freundlich, aber etwas reserviert an. Eigentlich wäre es mir lieber gewesen, wenn sie mir eine kurze Wegbeschreibung gegeben hätte und ich jetzt nicht wie ein Dackel neben ihr herlaufen gemusst hätte. Das Ganze würde durch ihr Tempo, auch wenn sie natürlich nichts dafür konnte, ja ewig dauern. Andererseits war ich durch den Kater eh noch ziemlich müde und hatte nicht wirklich Lust, mich zu hetzen. Und sie sah nett aus, also ließ ich mich darauf ein.

»Bei dem schönen Wetter tut so ein Spaziergang wirklich gut. Das kann ich Ihnen sagen. Früher sind Herbert und ich immer gemeinsam spazieren gegangen.«

»Und… wo ist Herbert jetzt?« Im nächsten Moment ärgerte ich mich, als ich in das traurige Gesicht der Dame sah.

»Oh, tut mir leid«, fügte ich sofort hinzu. »Ich hätte nicht…«

»Schon gut. Das Alter schafft einen halt, da kann nicht jeder zuhause wohnen bleiben.«

Verwirrt schaute ich sie an, ehe sie lachte.

»Er ist im Altersheim, junger Mann.«

»Oh«, machte ich einfach nur. Puh, ich war in ein Fettnäpfchen getreten, aber es hätte schlimmer sein können.

»Sie kommen nicht von hier, oder?«, fragte sie und warf mir einen kurzen, seitlichen Blick zu.

»Nein, ich bin erst vor Kurzem hierhingezogen und habe ein altes Haus gekauft.«

»Oh, wie schön. Dann sind wir ja fast Nachbarn«, bemerkte sie und lächelte.

»Ja, das Haus am Seeweg 18 gehört mir«, erzählte ich ihr, während wir weiter unseres Weges gingen. In genau diesem Moment hielt die Dame allerdings inne. Sie blieb mit ihrem Rollator stehen, ihr Blick verfinsterte sich und die Brauen zogen sich tief ins Gesicht.

»Oh je«, bemerkte sie und schwieg ein paar Sekunden.

»Ich weiß, dass viel zu tun ist, aber ich bin handwerklich sehr begabt.«

»Das war mein Herbert auch immer«, murmelte sie. Verwirrt schaute ich sie an, denn ich verstand nicht, wieso sie so merkwürdig reagierte.

»Nun, Sie sind ein sehr netter Junge. Deswegen möchte ich mit Ihnen ehrlich sein. Dieses Haus ist ein Durchgangshaus. Dort ziehen viele Leute ein und aus. Niemand bleibt dort länger als ein paar Monate.«

»Weil sich viele Familien wahrscheinlich die Arbeit am Haus einfacher vorgestellt haben. Ich bin aber niemand, der so etwas unterschätzt und was ich angefangen habe, das ziehe ich durch«, sagte ich und straffte die Schultern.

Die Dame schüttelte darauf wieder den Kopf.

»Nein. Die Arbeit ist nicht der Grund.«

Ich seufzte und fuhr mir durchs Haar.

»Der Makler hat mir etwas verschwiegen, oder? Ist Schimmel oder Ungeziefer im Haus?«

»Nun ja, eine Sache wurde ganz sicherlich verschwiegen, aber nein. Kein Ungeziefer oder Schimmel.«

Die Frau sprach in Rätseln und allmählich wurde ich ungeduldig.

»Okay, was ist es dann?«, fragte ich, worauf die Dame meinem Blick auswich.

Sie schwieg eine Weile und ihr Blick war noch genauso finster wie zuvor, als sie sich etwas vorbeugte und mit leiser Stimme antwortete: »Nun, es spukt in dem Haus.«

Kapitel 2

 

 

Eigentlich war Alex schon eine ganze Weile fort, gleichzeitig aber auch nicht. Vielleicht hatten wir nun sogar ein engeres Verhältnis als zuvor. Schließlich hatte sein Tod eine Menge verändert. Und trotzdem war einiges gleichgeblieben: Er war noch immer die erste Person, die mich morgens grüßt und auch die letzte, die ich vor dem Einschlafen höre. Er ist noch immer derjenige, der für mich da ist. Egal bei welchem Problem.

In der Therapie habe ich die verschiedenen Trauerphasen kennengelernt:

Das Leugnen, die aufbrechenden Emotionen, das Suchen und sich trennen…

Und wie es schien, war ich in einer dieser Phasen steckengeblieben. Wobei das wahrscheinlich nicht verwunderlich ist, wenn der Verstorbene einen ständig in den Träumen besucht, Zeichen schickt und sogar in den Gedanken auftaucht und spricht. So habe ich mich anfangs für komplett verrückt gehalten, mich in Kliniken einweisen lassen und zehntausend Checks über mich ergehen lassen. Zum Schluss hatte ich mindestens drei unterschiedliche Diagnosen erhalten, aber besser ging es mir nicht. Und da sich das seltsame Phänomen oder meine Symptome nicht verschlimmerten, entschied ich mich, damit zu leben und nicht mehr darüber zu sprechen. Ich hatte keine Lust mehr auf die ständigen Arzttermine. Es war seltsam, aber ich wollte das Ganze akzeptieren und mein Leben weiterleben. Wie hieß es so schön: Man gewöhnt sich an alles.

Die Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster und kitzelten auf der Haut. Ich blinzelte, kniff die Augen zusammen und zog mir die Bettdecke über den Kopf. Das Licht war eindeutig zu hell und ich definitiv zu müde. Genau in diesem Moment hörte ich Alexs Stimme.

»Na Schlafmütze? Gut geträumt?«

Meine Antwort war nur ein Lächeln, mehr war nicht notwendig. Wahrscheinlich wusste er eh, was ich geträumt hatte. Schließlich war er wieder Teil meines Traumes gewesen und ein kleiner Teil in mir glaubte, dass er mir die Träume schickte. Ein kurzes Gähnen entfuhr mir, ehe ich mich streckte und zum Bad aufmachte. Ich drehte die Dusche auf und sorgte dafür, dass das Wasser eine eiskalte Temperatur annahm. Das brauchte ich, um wach zu werden. Meine Adern zogen sich zusammen, als das Wasser die nackte Haut berührte. Gleichzeitig beschleunigte sich mein Atem. Immerhin hatte das eiskalte Wasser den Effekt, den ich mir gewünscht hatte: Ich wurde wach. Durch die Kälte bildete sich eine Gänsehaut auf meinen Armen. Gedankenverloren strich ich darüber, ehe ich mit einem Handtuch um den Körper gewickelt, ins Schlafzimmer zurückging.

»Du bist wie immer wunderschön«, hörte ich Alex, während ein leichter Luftzug durch das Zimmer ging. Sanft streichelte er mein Gesicht und ich hielt inne, ehe ich mir endlich passende Kleidung für die Arbeit raussuchte. Die Gänsehaut auf meinen Armen verstärkte sich und meine Gedanken wanderten zu den Plänen für den heutigen Abend. Ich musste versuchen, pünktlich nach Hause zu kommen, denn es war Date-Night.

Die acht Stunden auf der Arbeit erschienen mir wie eine Ewigkeit und ich ertappte mich dabei, wie ich ständig auf die Uhr sah. Es waren allerdings erst zehn Minuten vergangen.

»Hast du heute Abend noch etwas vor? Eine heiße Verabredung?«, fragte mein Arbeitskollege Peter belustigt. Anscheinend hatte er meinen sehnsüchtigen Blick zur Wanduhr bemerkt.

Ich nickte, doch sagte nichts dazu. In der Regel hielt ich die Kollegen aus meinem Privatleben raus. Peter schien sich allerdings seinen Teil zu denken und pfiff anerkennend.

»Und? Was ist das so für ein Typ?«

»Ich wüsste nicht, was dich das angeht.«

Peter war schrecklich neugierig und eine Tratschtante. Ich warf ihm einen genervten Blick zu, worauf er breit grinste.

»Oh, es ist also etwas Ernstes«, stichelte er weiter.

»Tisch 5 will noch Kaffee. Kümmere dich darum und nicht um mein Liebesleben, okay?« Ich stieß einen genervten Seufzer aus und drehte mich weg. Das Thema hatte sich für mich erledigt.

Abgesehen davon, dass Peter ein Idiot war, wusste ich sowieso, dass ich mit niemandem über meine Verabredungen mit Alex sprechen konnte. Unsere Beziehung Außenstehenden zu erklären, war einfach zu schwierig. Deswegen wusste auch niemand davon. Wenn mir meine Mutter riet, mal wieder auszugehen und einen netten Mann kennenzulernen, lachte ich nur und schüttelte den Kopf. Das hatte bisher gereicht. Ehrlich gesagt hoffte ich inständig, dass sie irgendwann aufhören würde zu fragen, aber die Realität sah anders aus. Sie startete immer wieder peinliche Verkupplungsversuche und schien nicht zu verstehen, dass ich relativ zufrieden war. Zumindest so zufrieden wie man sein kann, wenn der Partner, mit dem man alt werden wollte, von heute auf morgen aus dem Leben gerissen wird und nur… sein Geist geblieben ist. Aber, wenn ich ganz ehrlich war, fand ich, dass das besser als nichts war. Ich wusste nicht, was ich getan hätte, wenn nichts von ihm geblieben wäre. Manche Leute sind der Meinung, dass sie einen Schutzengel haben, und ich war der Überzeugung, dass es bei mir etwas anders war: Dass ich einen Schutzgeist besaß.

Peter ließ mich für den Rest des Arbeitstages in Ruhe. Also kam ich einigermaßen gut gelaunt nach Hause und konnte noch ein wenig entspannen, ehe ich mich auf meine Verabredung vorbereitete.

Was man zu einer Date-Night mit einem Geist anzieht?

Nun, mein Outfit unterschied sich tatsächlich nicht sehr von dem, was ich früher bei unseren Treffen getragen hatte. Und Alex war sowieso wichtig, dass ich mich wohl fühlte. Trotzdem sorgte ich immer dafür, ordentlich angezogen zu sein. Denn auch, wenn Alex nicht physisch anwesend sein konnte, war der Abend noch immer etwas Besonderes. Ich entschied mich heute für eine gutsitzende, aber lässige Hose und eine dunkelblaue Bluse, die gut zu meinem braunen, fast schwarzen Haar passte. Das Make-up von der Arbeit wurde noch einmal schnell aufgefrischt, ehe ich mich zu meiner Lieblingsbar aufmachte. Es war Donnerstagabend und damit Zeit der »Rover-Bar« wieder einen Besuch abzustatten. Da ich fast jeden Donnerstag, außer wenn ich krank war, mir dort einen kleinen Drink genehmigte, galt ich mittlerweile als wertvoller Stammgast. So nickte mir auch der Barkeeper mit seinem verlebten Gesicht bereits zu, als er mich sah.

»So wie immer?« Ich antwortete mit einem kurzen Nicken und ging zu meinem Lieblingsplatz. Hier hatte ich früher auch immer mit Alex gesessen. Die Rover-Bar war ein irischer Pub, in dem es schien, als sei die Zeit stehengeblieben. Ein paar alte, dunkle Möbel standen in der Mitte des Saales, an den Wänden alte Poster von Rockstars, irgendwelchen Veranstaltungen oder Bier. Die ganze Atmosphäre wurde durch Folk oder Rockklassiker verstärkt, die im Hintergrund liefen. Es gab aber auch eine Jukebox, die sich in einer der Ecken versteckte. Sehr oldschool eben. Meine Aufmerksamkeit lag gerade aber auf etwas Anderem. Nun folgte der spaßige Teil des Abends. Alex und ich hatten in den letzten Jahren unser eigenes Spiel entwickelt: Wir betrachten die Leute genauer und stellten Hypothesen über ihr Leben auf. Mein Interesse galt erst einmal einem nervösen Kellner, der immer wieder unauffällig auf die Uhr schaute und mit seinen Fingern spielte. Er hätte das Guinness beinahe verschüttet, als er es auf meinem Tisch abstellte.

»Vielleicht hat er den Geburtstag seiner Freundin vergessen und ist deswegen so hektisch. Eigentlich muss er noch ein Geschenk besorgen«, dachte ich und teilte den Gedanken auch gleich mit Alex. Seitdem er mein ständiger Begleiter war, existierten kaum noch Grenzen, auch bei meinen Gedanken. Anfangs hatte ich mich etwas mehr konzentrieren müssen, wenn ich mit Alex sprechen wollte, aber mittlerweile ging es automatisch. Es war wie die Beschäftigung mit einem Gedankengang, dem man weiterfolgt, bis er zu einem Strom anwächst und sich verselbstständigt. Wenn ich mit Alex in Kontakt treten wollte, musste ich aber eine Ebene tiefer in mein Bewusstsein gelangen. Ähnlich, nur umgekehrt war es, wenn Alex mit mir sprach. Es fühlte sich dann an, als tauchten Ideen oder Gedanken, die zuvor tief in meinem Unterbewusstsein vergraben gewesen waren, plötzlich auf. Anfangs hatte das dazu geführt, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten, aber mittlerweile hatte ich mich daran gewöhnt.

»Willst du, dass ich es herausfinde?«, fragte Alex, worauf ich kurz nickte.

Seitdem Alex nicht mehr an einen menschlichen Körper gebunden war, konnte er zwischen Orten innerhalb von Millisekunden hin- und herwechseln. So konnte er den Kellner einfach belauschen, als er mit seinem Chef ins Diskutieren geriet und nach nur einem Wimpernschlag zu mir zurückkehren. Die Diskussion zwischen den beiden sah wirklich heftig aus. Der Kellner hatte die Hände zu Fäusten geballt und gestikulierte wild, während die Brauen seines Chefs sich tief ins Gesicht zogen. Der Chef hätte ihn wahrscheinlich mit seinem Blick erdolchen können.

Es brauchte ein paar Sekunden, bis Alex die Situation erfasst hatte und in meinen Kopf zurückkehrte.

»Die Freundin des Kellners ist wohl schwanger. Es kann gut sein, dass das Kind heute Nacht kommt. Sein Chef will ihm aber nicht freigeben, weil es heute wohl voll im Haus wird.«

»Da lag ich mit der Freundin ja gar nicht mal so falsch«, erwiderte ich in Gedanken, ehe ich nach unserem nächsten Opfer Ausschau hielt. Dieses Mal richtete sich mein Blick auf drei Freundinnen, die sich angeregt unterhielten. Die eine von ihnen grinste breit.

»Ganz klar. Die Grinsekatze hat einen Typen kennengelernt und die drei analysieren das erste Date.«

Alex belauschte die Drei natürlich, ehe er sich zurückmeldete.

»Volltreffer. Wobei es nicht das erste Date, sondern das zweite war.«

Das war ein Detail, das meiner Meinung nach vernachlässigbar war. Mein Erfolg stimmte mich sehr zufrieden, weswegen ich mir ebenfalls ein Grinsen erlaubte. Das erstarb jedoch, als ich am Eingang einen jungen Mann bemerkte. Er war klein, hatte einen leichten Wohlfühlbauch und schaute zu mir herüber. Unsere Blicke trafen sich und schon im nächsten Augenblick lief er schnurstracks auf mich zu. Peter.

»Oh, hey. Was für ein Zufall dich hier zu treffen. Hier findet also dein Date statt?«

»Scheint so«, erwiderte ich knapp und nippte an meinem Guinness.

»Und? Wie ist er so?«

Ich seufzte und hoffte, um die Antwort herumzukommen.

»Jetzt sag schon.« Peter beäugte mich neugierig.

»Er ist… wohl verhindert.«

Peters Augen wurden noch etwas größer, als ich diesen Satz ausgesprochen hatte.

»Echt übel, wenn man so versetzt wird, aber… hey, mach dir nichts draus. Wir könnten doch zusammen Spaß haben.« Peter zwinkerte mir zu und ich spürte, wie sich etwas in meinen Eingeweiden zusammenzog. Wie es aussah, wurde meine Date-Night mit Alex ruiniert.

Peter nickte dem Kellner zu.

»Noch ein Guiness.« Er hatte sich wohl gerade selbst eingeladen.

»Also Peter… Es ist schon wirklich spät. Ich sollte also…«, log ich und warf einen Blick auf die Uhr. Es war gerade einmal zehn.

»Och, komm schon. So ein bisschen Spaß zwischen zwei Arbeitskollegen ist doch erlaubt. Weißt du eigentlich, dass du mit Abstand die schärfste Bedienung bei uns bist?«

Ich starrte ihn entgeistert an. Wie es aussah, versuchte er gerade mit mir zu flirten.

»Dina ist auch ziemlich heiß, aber wirkt ein bisschen billig.«

Erwartete er jetzt, dass ich ihm für dieses Kompliment dankte oder mit ihm über Dina herzog?

»Ich denke das ist Dinas Sache«, erwiderte ich und stand auf. Im selben Moment packte mich Peter am Arm.

»Tut mir leid. Ich bin ein Trottel und hatte vergessen, wie loyal du bist, auch jemanden wie Dina gegenüber. Lass es mich wiedergutmachen, ich lade dich auf einen Drink ein.«

Im nächsten Moment kam auch schon der Kellner mit Peters Guinness. Aus irgendeinem Grund verlor er allerdings das Gleichgewicht und geriet ins Straucheln. Das Tablett rutschte aus seinen Händen und das Guinness darauf landete direkt… auf Peters Schultern. Peter ließ mich sofort los und fuhr wutentbrannt zu dem Kellner herum.

»Können Sie nicht aufpassen?«, herrschte er den armen Mann an, der gleich einige Entschuldigungen stammelte.

»Lass uns gehen«, hörte ich währenddessen Alexs Stimme in meinem Kopf, worauf ich geistesabwesend nickte und Peter stehenließ.

»Hey, Sofie. Wir«, fing er an, doch ich schüttelte nur den Kopf.

»Versorg erst einmal dein T-Shirt«, erwiderte ich und verließ die Bar.

»Was für ein Idiot.«

Da konnte ich Alex nur zustimmen.

»Für seine penetrante Art hätte er weitaus mehr verdient als nur ein Guiness auf den Schultern.«

Als ich das hörte, musste ich schmunzeln. Wie es aussah, war der kleine Unfall kein Zufall gewesen.

»Ich hoffe, dem armen Keller wird deswegen nicht gekündigt«, murmelte ich nachdenklich, während ich mich auf den Heimweg machte.

»Wahrscheinlich eher nicht. Ich habe dafür gesorgt, dass ihm eine Handtasche im Weg lag. Da konnte er nun wirklich nichts für. Abgesehen davon hatte sein Chef schon Verständnis dafür, dass er ein Nervenbündel war. Er konnte ihm nur nicht freigeben.«

Das beruhigte mich.

»Willst du gleich wieder nach Hause?«

»Peter hat mir irgendwie die Laune verdorben, also ja.«

»Ganz wie Madame wünscht. Aber dann hoffe ich, dass ich weiterhin die Erlaubnis habe, dich in deinen Träumen zu besuchen.«

»Du weißt, dass du die hast und immer haben wirst.«

Ein lauer Abendwind schien mir zu antworten, als ich die Bar verließ.

Meine Träume waren der einzige Ort, an dem ich mich ihm wirklich nahe fühlen konnte. Nur im Traum war es so, als wäre Alex nie gegangen. Wenn ich mich abends ins Bett legte, fiel all die Anspannung von mir ab, ich schloss die Augen und ließ mich fallen, sank so tief, dass ich Alex noch näher sein konnte, dass ich meinte, ihn wieder spüren zu können. Ein Gefühl, als würde ich nach einer langen Reise heimkehren und endlich angekommen sein. Deswegen verzehrte ich mich danach und freute mich schon frühmorgens wieder auf mein Bett. Man könnte es schon fast als Sucht bezeichnen und bestimmt war es nicht gesund, sich so stark nach diesem ruhigen Zustand zu sehnen, aber es war nun einmal das Einzige, was mir geblieben war.

 

Kapitel 3

 

 

Als die fremde, ältere Dame mir die Antwort gab, konnte ich nicht anders. Ich brach in lautes Gelächter aus. Dann verstummte ich jedoch. Der Gesichtsausdruck der Dame war ernst. Sie hatte die Augen zu engen Schlitzen verengt und ihr Mund war ein harter Strich. Es war unhöflich sich über ihre Angst lustig zu machen, also räusperte ich mich kurz: »Entschuldigung. Es ist nur… ich habe mit so etwas wenig am Hut, wissen Sie?«

Sie warf mir einen verärgerten Blick zu.

»Halten Sie mich für abergläubisch?«

Das tat ich wohl, aber ich wollte sie nicht weiter verärgern.

»Nein, nein. Natürlich nicht«, log ich. »Aber können Sie mir sagen, wie sie darauf kommen, dass es in dem Haus spukt?«

»Man sagt sich, dass dort Unerklärliches vor sich geht. Dass Dinge verschwinden und an anderen Orten wiederauftauchen. Man erzählt sich, dass dort ein Unglück stattgefunden hat und irgendetwas zurückgeblieben ist im Haus...«, sie machte eine Kunstpause, »etwas Böses.«

Das Ganze sollte wohl bedrohlich wirken, aber die Sorge der netten Oma in dem bunten T-Shirt bei strahlendem Sonnenschein ernst zu nehmen, gelang mir nicht.

»Das Wesen, das dort geblieben ist, versucht erst, Nachrichten zu schicken. Man bemerkt kleine Eigenheiten an sich und ehe man sich versieht, wird man in den Wahnsinn getrieben.«

Das klang nach der Handlung eines generischen Horrorfilms.

»Danke für die Warnung. Ich werde darauf achten, aber ich war schon immer ein wenig eigen. Also mal schauen, inwiefern mich dieses Haus noch komischer macht.«

Damit war das Thema für mich beendet.

Meine Kopfschmerzen machten mir nach wie vor zu schaffen und schlugen mir ziemlich auf die Laune. Für mich war das Thema abgehakt. Außerdem war die Apotheke nun endlich in Sicht.

»Vielen Dank für Ihre Hilfe.«

Ich beschleunigte meinen Schritt ein wenig und trat endlich ein. Und dort in den Regalen wartete meine Rettung: eine ganze Sammlung an Kopfschmerztabletten. Ungeduldig riss ich eine der Packungen auf, nachdem ich sie bezahlt hatte, und warf gleich zwei Tabletten auf einmal ein. Die Apothekerin warf mir einen etwas fragenden Blick zu, worauf ich sie entschuldigend anlächelte, ehe ich mich auf den Rückweg machte. Hoffentlich zeigten die Tabletten bald ihre Wirkung. Eigentlich hatte ich heute vorgehabt, am Haus etwas zu arbeiten, und wollte nicht, dass mein Kater der Planung im Weg stand. Tatsächlich besserten sich die Kopfschmerzen bereits auf dem Rückweg. Zuhause angekommen holte ich pfeifend das Werkzeug aus meinem Auto und schlenderte dann in den Flur. Das Echo meines Pfeifens hallte unheimlich von den Wänden wider. Bestimmt erschien es mir etwas komisch, weil ich an das Gespräch mit der alten Dame denken musste. Aber ein wenig Arbeit würde die Gedanken bestimmt vertreiben. Ich machte mich erst einmal an die Vorbereitungsarbeiten, um ein paar Wände zu verputzen. Dabei sorgte ich für motivierende Musik. Meine Bluetooth-Box hatte ich schon herausgesucht und mit dem Handy verbunden. Ich wählte die Playlist, die ich oft während des Work-outs hörte. Die Tabletten hatten mittlerweile ihre volle Wirkung entfacht, weswegen sich auch meine Laune besserte. Ich summte die Melodie mit, während ich mein Handwerk verrichtete. Größtenteils war es ein Mix aus Dubstep, House und ein paar Partyklassikern. Niemals würde ich offiziell zugeben, dass »Barbie Girl« oder Hits wie »Boom, Boom« von den Vengaboys darauf waren, aber diese Songs machten mir gute Laune. Die Arbeit war also recht angenehm und ich machte erst spät eine Pause. Es war Spätherbst und damit relativ heiß. Es hatten sich mittlerweile ein paar Schweißperlen auf meiner Stirn gebildet und ich entschied, dass es Zeit für eine kalte Dusche war. Vorher genehmigte ich mir allerdings noch ein Wasser und blieb eine Weile in der ebenfalls renovierungsbedürftigen Küche stehen. Ich musterte die Wände und stellte fest, dass hier auch noch eine Menge Arbeit auf mich zukommen würde. Dementsprechend gab ich erst einmal ein Seufzen von mir und fuhr mir durchs Haar. Ich würde gute Nerven für dieses Projekt brauchen. So viel stand fest.

Als ich meine Pause beenden und das Werkzeug versorgen wollte, fand ich den Spatel nicht mehr.

»Na, das hat noch gefehlt«, murmelte ich und machte mich auf die Suche nach dem kleinen Gegenstand. Aber weder in der Küche noch in dem Flur, war er zu finden. Nachdem ich eine Viertelstunde gesucht hatte, gab ich ein kurzes Schnauben von mir. Vielleicht sollte ich aufgeben, denn die Hitze schlug mir auf die Konzentration. Eine kalte Dusche war also sicherlich genau das Richtige, um mein Gemüt abzukühlen. Und gerade, als ich unter die Dusche gesprungen war und das Wasser auf der Haut genoss, erklang aus dem Flur »Barbie Girl« von Aqua. Die Technik machte schon ab und an merkwürdige Dinge. Anscheinend hatte sich mein Handy aus der Tastensperre selbstständig gemacht. Davon ließ ich mich allerdings nicht beirren. Eine kurze, zugegebenermaßen etwas peinliche Tanzeinlage, half mir, meinen Ärger wegen des Spatels zu vergessen und so sang ich unter der Dusche mit. Mein Haus, meine Regeln. Außerdem war ich ja eh alleine.

Mit einem Grinsen verließ ich die Dusche und fühlte mich herrlich erfrischt. Und siehe da, auf der Treppe lag er: der Spatel. Ich hatte mich zwar nicht daran erinnern können, ihn dort hingelegt zu haben, aber ich wusste, dass ich manchmal und vor allem, wenn ich einen Kater hatte, ein ziemlicher Schussel sein konnte. Nach einem kurzen Zucken mit den Schultern hob ich den Spatel auf und machte mich an die weitere Arbeit.

 

Kapitel 4

 

 

Der junge Mann war ein Phänomen. All meine Versuche, seine Aufmerksamkeit zu erregen, waren bisher fehlgeschlagen. So hatte er für alles eine Erklärung. Bei dem Türenschlagen vermutete er einfach, dass es ein Luftzug war. Beeinflusste ich den Strom und ließ die Glühbirne flackern, hielt er es einfach für die alte Elektrik des Hauses. Versteckte ich Gegenstände, so schob er es auf seine Schusseligkeit. Und wenn ich dafür sorgte, dass die Musik seines Handys wie von Geisterhand gespielt wurde, grölte er unter der Dusche lautstark mit. Chris Roth war… stumpf. Hatten feinfühlige Personen mich bereits durch Schwingungen oder Ähnliches bemerkt, brauchte es bei Chris mehr als nur einen Wink mit dem Zaunpfahl. Wahrscheinlich müsste ich ihm den ganzen Zaun an den Kopf werfen, damit er mich bemerkte. Außerdem lästerte er ständig über die altmodischen Tapeten des Hauses. So fühlte ich mich in meinem eigenen Zufluchtsort nicht mehr so wohl wie früher. Eigentlich war ich derjenige, der in diesem Haus spukte, und nichtsdestotrotz erschien mir Chris Roth wie eine Heimsuchung. Das einzig Positive an dieser Nervensäge war, dass er sich nicht so schnell fürchtete. So hatten die vorherigen Bewohner relativ schnell Reißaus genommen, als sie bemerkt hatten, dass hier einiges nicht mit rechten Dingen zuging. Dabei war es gar nicht mein Ziel, die Bewohner zu vertreiben. Ich wollte lediglich eines: Ihre Aufmerksamkeit und dass sie mir halfen. Es war auch keine einfache Situation, denn die Leute, die auf mich sensibel reagierten, waren meistens verschreckt und ich kam gar nicht erst dazu, mit ihnen in Kontakt zu treten und mich zu erklären. Sie zogen oft gleich wieder aus oder ließen sich einweisen. Der Kontakt mit einem Geist schien sich nicht sonderlich gut auf die Psyche der meisten Menschen auszuwirken. Und nun wohnte Chris hier, der mich nicht einmal bemerkte. Und, wenn ich ganz ehrlich war, hatte ich mir meinen Retter immer anders vorgestellt. Aber da ich an dieses Haus gebunden war, hatte ich wohl keine Wahl: Ich musste mit der Person arbeiten, die vor Ort war.

Irgendwann würde es Chris vielleicht dämmern und er würde sich tatsächlich Hilfe holen und einen Weg finden, mit mir Kontakt aufzunehmen. Zumindest hoffte ich das. Ich machte also weiter wie bisher. Als Geist Gegenstände zu bewegen oder Elektrizität zu beeinflussen ist relativ einfach, weil es unbelebte Objekte sind. Aber mit einem normalen Menschen, der kein Gespür für Energien besitzt oder keine besondere Verbindung zu dem bereits Verstorbenen hatte, eine Unterhaltung zu führen, ist unmöglich. Es ist, als gäbe es eine Grenze zwischen der Wahrnehmung der Toten und den lebendigen, normalen Menschen - ähnlich wie ein Filter. Allerhöchstens unterbewusst bemerkten sie etwas, was allerdings nicht für eine Kommunikation ausreichte. Und ein Medium war mir bisher leider nicht über den Weg gelaufen. Jede Aktion, die ich ausführte, kostete mich Kraft und so musste ich mir gut überlegen, was erfolgversprechend erschien. Umso komplexer die Aktion war, umso anstrengender war es für mich, sie auszuführen. Als Chris im Bad war und seine Haare richtete, bewegte ich eine Vase, die er im Spiegel hätte sehen können, aber er war wieder einmal zu sehr mit seinem Haarstyling beschäftigt.

Ich versuchte, in seine Träume zu gelangen, aber musste feststellen, dass Chris sehr unruhig träumte. Dazu noch kaum tief genug, um mit ihm Kontakt aufzunehmen. Und wenn es mir mal gelang, hatte er den Traum am nächsten Tag vergessen. Es war zum Verrücktwerden.

Hatte ich die ein oder andere Person, nachdem sie mir die Erlaubnis gegeben hatte, sie im Traum zu besuchen, heimgesucht und damit unbeabsichtigt in den Wahnsinn getrieben, war es dieses Mal umgekehrt: Chris machte mich verrückt. Sei es mit seinem übertriebenen Workout, den zugegebenermaßen beachtlichen Bauchmuskeln, die ich zu Lebzeiten auch gerne gehabt hätte und seiner ganzen Art. Sei es seine gute Laune, das Singen unter der Dusche oder seine Einfältigkeit.

Wie es aussah, musste ich mir etwas Anderes überlegen. So sammelte ich all meine Kräfte, ging tief in mich und entschied mich dazu, ihm eine Nachricht auf anderem Wege zu hinterlassen. Eines Abends, als er seine Anstreicharbeiten im Flur beendet hatte, entschied ich mich, die Farbe, die er ausgesucht hatte, ebenfalls für meine Zwecke zu nutzen. Passenderweise war es ein dunkles Rot. Der Pinsel und die Rollen waren ebenfalls noch vor Ort. Mit all meiner Kraft ließ ich den Pinsel in die Lüfte schweben, tunkte ihn in die Farbe und fuhr damit über den Fußboden, bis ich es endlich fertiggebracht hatte, meine Nachricht zu schreiben: »Hilfe! Kein Suizid.« Vielleicht schaffte ja diese Botschaft, Chris‘ Aufmerksamkeit zu erregen und dazu war es noch ein wertvoller Hinweis, dem er nachgehen konnte. Vielleicht würde er meinen Fall lösen, Edna Coster endlich das Handwerk gelegt werden und ich könnte Ruhe finden. Wenn ich so an meinen neuen Mitbewohner dachte, beschlichen mich allerdings Zweifel. Sollte jemand, der so einfältig und trottelig war, mir wirklich helfen können?

Kapitel 5