Duale Reihe Neurologie - Karl F. Masuhr - E-Book

Duale Reihe Neurologie E-Book

Karl F. Masuhr

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Beschreibung

<p><strong>Neurologie wirklich verstehen - Duale Reihe.</strong></p> <ul> <li>Eine fundierte, zielführende Anamnese und eine gründliche neurologische Untersuchung als Basis ärztlichen Handelns sind eingehend Schritt für Schritt erläutert.</li> <li>Mit Hilfe vieler moderner Abbildungen werden Dir alle wichtigen apparativen Untersuchungsmethoden, die jeweiligen Indikationen und Grundlagen zur technischen Durchführung gut verständlich erklärt.</li> <li>Die wichtigen neurologischen Krankheitsbilder sind ausführlich beschrieben. Der Weg zur richtigen Diagnose und die relevanten Differenzialdiagnosen sowie aktuelle Therapieempfehlungen werden praxisnah dargestellt.</li> <li>Viele einprägsame neuroradiologische und pathologische Abbildungen veranschaulichen die einzelnen Krankheitsbilder. Zahlreiche moderne Grafiken erleichtern den Zugang zu komplexen Sachverhalten.</li> <li>Regelmäßige Fallbeispiele schlagen die notwendige Brücke zum klinischen Alltag und helfen Dir, das Gelernte zu verinnerlichen.</li> <li>Der Inhalt wurde an die aktuellen Leitlinien angepasst.</li> <li>Das Kapitel "Psychosomatik in der Neurologie" wurde deutlich erweitert.</li> </ul>

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EPUB

Seitenzahl: 1525

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Duale Reihe Neurologie

Florian Masuhr, Marianne Neumann, Karl Friedrich Masuhr,

7., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage

661 Abbildungen

Geleitwort

Die Medizin heute bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und technologischem Fortschritt, ökonomischen Zwängen und wirtschaftlichen Interessen, dem Auftrag zur gesundheitlichen Versorgung und ethischen Grenzbereichen. Für die ärztliche Ausbildung an den Hochschulen und Medizinischen Fakultäten bedeutet dies, herausgefordert zu sein zu einer kontinuierlichen Reform ihres Curriculums. Ziel ist ein primär patientenorientiertes wissenschaftliches Studium, das wiederum ein differenziertes Lernverhalten und die Erkenntnis fördert, dass für das Verstehen komplexer Zusammenhänge, das Entwickeln einer Differenzialdiagnose, das Vorbereiten auf ärztliches Entscheiden und Handeln ein Studium didaktisch konzipierter Lehrbücher unverzichtbar ist.

Das vorliegende Lehrbuch hat seinen Ursprung in einem didaktischen Experiment – die nunmehr 7. Auflage bestätigt dessen Erfolg. Konzept und Gestaltung stellen eine vortrefflich gelungene Umsetzung der genialen Idee der „Erfinder“ der „Dualen Reihe“ dar, der (damals noch) Medizinstudenten Alexander und Konstantin Bob: Am Anfang stand eine Begegnung engagierter Studenten mit ihrem Dozenten nach einer Vorlesung – am Ende ist aus den beiderseitigen Erfahrungen im Lernen und Lehren, gepaart mit Fantasie und Kreativität, ein Opus geworden, das den Anspruch auf ein qualifiziertes Lernen erfüllt. Das Autorenteam Karl Friedrich Masuhr und Marianne Neumann wurde durch einen dritten Autor ergänzt: Florian Masuhr, Privatdozent für Neurologie, der in seinem Studium aus diesem Lehrbuch die Neurologie gelernt hat.

Am Beispiel der Neurologie demonstriert das duale Konzept die Integration von kurz gefasster Darstellung und systematischer Abhandlung. Beide Teile, Marginalie und Hauptteil, erfüllen schon für sich allein den Anspruch eines Lehrbuchs. Ihr Nebeneinander in unmittelbarem Bezug, Übersichtlichkeit durch klare Gliederung und anschauliches Hervorheben mit einer Vielzahl gut gestalteter Tabellen und Abbildungen, die ständige Einbindung der Praxis durch den „Klinischen Fall“, das Betonen fachübergreifender Bezüge, ein ungewöhnlich ausführliches Register mit differenzierten Verweisen – sie alle sind vorbildlich für ein Lehr- und Nachschlagewerk, das mit seinem dualen System den Wunsch nach einem repetierenden Überblick gleichermaßen erfüllt wie nach einer detailliert geschriebenen Gesamtdarstellung. Dies wird unterstützt durch die großzügige und didaktisch gut integrierte Ausstattung mit Graphiken und Bildsequenzen. Das kluge Einfühlen in die Lernsituation des Lesers offenbart darüber hinaus die reiche Erfahrung der Autoren in Lehre, Klinik und Praxis.

Mit dem Kapitel Psychosomatik in der Neurologie zeigen die Autoren, dass Psychosomatik nicht so sehr als eigenes Fach, sondern als ein in die einzelnen Disziplinen zu integrierendes Prinzip die entscheidenden Impulse beisteuert für das Denken und Verstehen in der Medizin. Das ärztliche Gespräch mit dem Patienten muss zum Lernziel, die Kommunikationsfähigkeit bereits im Studium erworben werden als eine wesentliche Voraussetzung für die zukünftige Patienten-Arzt-Beziehung in Praxis und Klinik angesichts der von Wirtschaftlichkeit und Rationalisierung beherrschten Entwicklung im Gesundheitswesen.

Das grundlegende Überarbeiten und Erweitern vieler Kapitel verleiht dem Werk wiederum hohe Aktualität, so zum Beispiel durch die Aufnahme neuer Konzepte von den Schlafstörungen in der Neurologie und den neuropathischen Schmerzen, von dem Hyperkinetischen Syndrom (HKS) und der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

Seit der 1. Auflage weisen die Studierenden dem Buch einen Spitzenplatz zu; sie können die Vorzüge dieses attraktiven Lehrbuchs schnell erkennen und über sein didaktisches Prinzip eine fundierte Handlungskompetenz gewinnen. In der beruflichen Praxis wird es darüber hinaus ein willkommenes Nachschlagewerk zur Neurologie und ihrer interdisziplinären Vernetzung in der Medizin sein.

Prof. em. Dr. med. Winfried Kahlke

ehem. Hochschuldidaktik der Medizin

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Vorwort

Die 7. Auflage gibt uns Gelegenheit, vor allem den Studierenden der Medizin für ihr Interesse an der Neurologie und wertvolle Anregungen zu danken. Dem Verleger, Herrn Dr. Albrecht Hauff, und dem gesamten Thieme-Team danken wir für die Ermutigung, das Lehrbuch wieder neu zu bearbeiten. Wegen kontinuierlicher Fortschritte auf vielen Gebieten des Faches, die sich auch in der Aktualisierung der Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie (2012) sowie internationaler Klassifikationen widerspiegeln, haben wir neue Texte mit klinischen Beispielen und Abbildungen (MRT/CT/PET- und SPECT-Aufnahmen) insbesondere in folgende Kapitel eingefügt: Bildgebende Verfahren, Stammganglienerkrankungen, Demenzen, Durchblutungsstörungen, Verletzungen sowie Tumoren des Gehirns und Rückenmarks. Die Anfallskrankheiten und Schlafstörungen, einschließlich Restless-Legs-Syndrom, werden ebenso wie die Migräne und Spannungskopfschmerzen in jeweils eigenen Kapiteln ausführlicher als bisher behandelt. Auch das Psychosomatik-Kapitel, das die Entstehung und den Wandel vielfältiger Körperbeschwerden im Kontext des subjektiven biografischen Kalenders darstellt, wird um Texte zu den chronischen Schmerzen erweitert. Schmerzen bilden somit einen thematischen Schwerpunkt der Neuauflage.

Wir danken allen Patienten, über deren Erkrankungen wir in Form von Kurzbiografien und Abbildungen berichten dürfen. Diese klinischen Beispiele, d.h. kasuistische Darstellungen, waren von Anfang an wichtige Bausteine der Dualen Reihe. Die nach unseren Entwürfen gefertigten Originalzeichnungen, die wir Herrn Gerhard Kohnle verdanken, konnten wegen der für die gleichzeitig erscheinende E-Book-Ausgabe verwendeten Vektorgrafiktechnik nicht mehr verwendet werden. Deshalb wurden entsprechende Grafiken aus dem Thieme-Bild-Fundus importiert bzw. reimportiert oder neu gezeichnet. Wir Autoren erfuhren wieder, dass jede Arbeit, die theoretische wie die praktische – und erst recht die didaktische –, Freude macht, wenn sie als Mitarbeit verstanden wird. Herrn Professor Dr. Randolf Klingebiel vom Neuroradiologischen und Radiologischen Institut der Klinik Im Park, Zürich, sind wir sowohl für die freundliche Unterstützung bei der Überarbeitung des Kapitels „Bildgebende Verfahren“ als auch für die Überlassung zahlreicher neuer Abbildungen zu Dank verpflichtet.

Für die Durchsicht einzelner Kapitel (MS, Ultraschall, EMG) danken wir den Kollegen Herrn Dr. Thomas Kating, Herrn Dr. Alexander Corell, Herrn Dr. Sven Lerch und Herrn Frank Stachulski (alle Bundeswehrkrankenhaus Berlin). Herrn Professor Dr. Stephan Brandt, Herrn PD Dr. Stephan Schreiber und Herrn PD Dr. Florian Doepp (alle Klinik und Poliklinik für Neurologie der Charité) verdanken wir einige fMRT- und Ultraschall-Abbildungen, Herrn PD Dr. Michail Plotkin, dem Leiter des Instituts für Nuklearmedizin, Vivantes-Klinikum Berlin Mitte-Nord, eine Reihe von PET- und SPECT-Bildern sowie Herrn Professor Dr. Bernd Weber, Life & Brain Center an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, MRT-Befunde bei Epilepsie. Die Vielzahl neuropathologischer Befunde verdanken wir Herrn Dr. Peter Pfiester, Kaiserslautern, zwei Bilder von Präparaten intrakranieller Hämatome Herrn Professor Dr. J. Ulrich vom Kantonsspital Basel und die histologischen Abbildungen von Nerven- und Muskelbiopsaten Herrn Professor Dr. Georg Gosztonyi, Berlin. Unser Dank geht gleichermaßen an die Kollegen Dr. Böhm, Koblenz, und Professor Willebrand, Idar-Oberstein, die uns Abbildungen von Operationspräparaten überlassen haben. Wir danken hiermit auch Frau Kollegin Gorodezky, Zell, für zwei Bilder vom Augenhintergrund und allen Kollegen, die uns z. T. bereits für die früheren Auflagen radiologische Abbildungen zur Verfügung gestellt haben: Dr. Mehl, Zell, Dr. Reinheimer, Wittlich, Dr. Bell, Dernbach, Dr. von Essen, Dr. Schenk und Dr. Dembski, Koblenz, Dr. Asheuer, Köln, Dr. Halbsguth, Frankfurt/Main, Dr. Henne, Wiesbaden, Dr. Hentschel, Mainz, Dr. Holling, Trier, Dr. Killmann, Limburg, Dr. Kühnert, Dietzenbach, Dr. Karschges, Simmern, Dr. Schilling, Frankfurt/Oder, Prof. Basche, Erfurt sowie Prof. Felix und Prof. Lehmann, Berlin – und ihren Mitarbeitern. Herrn Professor Dr. Winfried Kahlke danken wir für das Geleitwort.

Karl F. Masuhr, Florian Masuhr, Marianne Neumann

Inhaltsverzeichnis

Geleitwort

Vorwort

Teil I Allgemeine Neurologie

1 Anamnese

1.1 Überblick

1.2 Schmerzanamnese

1.2.1 Neuropathische Schmerzen

1.2.2 Kopfschmerzen

1.3 Anfallanamnese

1.3.1 Schwindelanfälle

1.3.2 Synkopale Anfälle

1.3.3 Epileptische Anfälle

1.3.4 Narkoleptische Anfälle

1.3.5 Extrapyramidale Anfälle (Hyperkinesen)

1.3.6 Psychogene (dissoziative) Anfälle

2 Die neurologische Untersuchung

2.1 Untersuchungsgang

2.2 Untersuchung von Kopf und Halswirbelsäule

2.3 Hirnnervensymptome

2.3.1 Riechstörung (N. olfactorius, I. Hirnnerv)

2.3.2 Neuroophthalmologische Syndrome (II., III., IV., VI. Hirnnerv)

2.3.3 Sensibilitätsstörung des Gesichts und Kaumuskelparese (V. Hirnnerv)

2.3.4 Fazialisparese (VII. Hirnnerv)

2.3.5 Hypakusis, Tinnitus, Nystagmus (VIII. Hirnnerv)

2.3.6 Syndrome kaudaler Hirnnerven (IX., X., XI. und XII. Hirnnerv)

2.4 Untersuchung der Motorik

2.4.1 Paresen

2.4.2 Tonusanomalien

2.4.3 Atrophien

2.4.4 Extrapyramidale Bewegungsstörungen

2.4.5 Myoklonien

2.5 Reflexprüfung

2.5.1 Physiologische Reflexe

2.5.2 Pathologische Reflexe

2.5.3 Kloni

2.6 Sensibilitätsprüfung

2.6.1 Sensible Reizsymptome

2.6.2 Sensibilitätsausfälle

2.7 Prüfung vegetativer Funktionen

2.7.1 Schweißsekretionsstörung

2.7.2 Störungen der Blasen-, Mastdarm- und Genitalfunktion

2.8 Prüfung der Koordination und Artikulation

2.8.1 Koordinationsstörung

2.8.2 Dysarthrie und Dysarthrophonie

2.9 Untersuchung psychischer Funktionen

2.9.1 Neuropsychologische Syndrome

2.9.2 Psychopathologischer Befund

2.9.3 Psychosomatische Aspekte

2.10 Untersuchung des bewusstlosen Patienten

2.10.1 Hirndruckzeichen

2.10.2 Einklemmungssyndrome

2.11 Residual-Syndrome nach schweren ZNS-Läsionen

2.11.1 Apallisches Syndrom

2.11.2 Locked-in-Syndrom

2.12 Querschnitt-Syndrome

2.12.1 Spinaler Schock

2.12.2 Komplettes Querschnitt-Syndrom

2.12.3 Inkomplettes Querschnitt-Syndrom

2.12.4 Konus- und Kauda-Syndrom

3 Technische Untersuchungsmethoden

3.1 Liquordiagnostik

3.1.1 Lumbalpunktion (LP)

3.2 Neurophysiologische Diagnostik

3.2.1 Elektroenzephalografie (EEG)

3.2.2 Evozierte Potenziale

3.2.3 Elektronystagmografie (ENG)

3.2.4 Elektromyografie (EMG)

3.2.5 Elektroneurografie

3.3 Bildgebende Diagnostik

3.3.1 Magnetresonanztomografie (MRT)

3.3.2 Computertomografie (CT)

3.3.3 Zerebrale Angiografie

3.3.4 Emissionscomputertomografie (SPECT und PET)

3.3.5 Ultraschalldiagnostik

3.4 Biopsien

3.4.1 Muskelbiopsie

3.4.2 Nervenbiopsie

3.4.3 Hautbiopsie

Teil II Spezielle Neurologie

4 Hirn- und Rückenmarkerkrankungen

4.1 Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen des Gehirns und Rückenmarks

4.1.1 Migrations- und Differenzierungsstörungen des Gehirns

4.1.2 Hydrozephalus

4.1.3 Dysrhaphische Syndrome

4.1.4 Fehlbildungen des kraniozervikalen Übergangs und des Kleinhirns

4.1.5 Phakomatosen

4.2 Degenerative (atrophische) Prozesse des Gehirns und Rückenmarks

4.2.1 Demenzen

4.2.2 Stammganglienerkrankungen

4.2.3 Pyramidenbahn- und Vorderhorndegeneration

4.2.4 Degenerative Ataxien

4.2.5 Multisystematrophie (MSA)

4.3 Metabolische und toxische Störungen des Gehirns und Rückenmarks

4.3.1 Hereditäre Stoffwechselkrankheiten

4.3.2 Erworbene Stoffwechselstörungen und metabolische Enzephalopathien

4.3.3 Alkoholtoxische Enzephalopathie

4.4 Entzündliche Prozesse des Gehirns und Rückenmarks

4.4.1 Bakterielle Meningitis und Enzephalitis

4.4.2 Hirnabszess

4.4.3 Spirochäteninfektionen des ZNS

4.4.4 Tetanus

4.4.5 Virus-Meningitis und -Enzephalitis

4.4.6 Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD)

4.4.7 Protozoen-, Helminthen- und Pilzbefall des ZNS

4.4.8 Myelitis transversa

4.4.9 Spinaler Epiduralabszess

4.5 Multiple Sklerose

4.6 Tumoren des Gehirns und Rückenmarks

4.6.1 Hirntumoren

4.6.2 Hirnmetastasen

4.6.3 Gefäßfehlbildungen des Gehirns

4.6.4 Intraspinale Tumoren

4.6.5 Intraspinale Metastasen

4.6.6 Gefäßfehlbildungen des Rückenmarks

4.7 Traumatische Schäden des Gehirns und Rückenmarks

4.7.1 Gedeckte Hirnverletzungen

4.7.2 Karotis- und Vertebralisdissektion

4.7.3 Offene Hirnverletzungen

4.7.4 Rückenmarkverletzungen

4.7.5 Strahlenschäden des ZNS

4.7.6 Elektrotrauma des ZNS

4.8 Durchblutungsstörungen des Gehirns und Rückenmarks

4.8.1 Überblick

4.8.2 Zerebrale Ischämien

4.8.3 Arteriitis cranialis

4.8.4 Sinusvenenthrombosen

4.8.5 Vaskuläre Hirnblutungen

4.8.6 Rückenmarkinfarkte

4.8.7 Vaskuläre spinale Blutungen

4.9 Migräne, weitere Kopfschmerzen und Gesichtsneuralgien

4.9.1 Primäre Kopfschmerzerkrankungen

4.9.2 Sekundäre Kopfschmerzerkrankungen

4.9.3 Trigeminusneuralgie

5 Erkrankungen des peripheren Nervensystems

5.1 Läsionen peripherer Nerven

5.1.1 Fazialisparese

5.1.2 Nervenschäden des Schultergürtels

5.1.3 Nervenschäden der oberen Extremität

5.1.4 Nervenschäden des Beckengürtels

5.1.5 Nervenschäden der unteren Extremität

5.2 Plexusparesen

5.2.1 Plexus cervicobrachialis

5.2.2 Plexus lumbosacralis

5.3 Spinale Wurzelkompression

5.4 Herpes zoster

5.5 Guillain-Barré-Syndrom (GBS)

5.6 Polyneuropathien

5.6.1 Polyneuropathien bei Infektionskrankheiten

5.6.2 Exogen-toxische bzw. nutritiv-toxische Polyneuropathien

5.6.3 Diabetische und andere endokrin-metabolisch bedingte Polyneuropathien

5.6.4 Hereditäre Polyneuropathien

5.6.5 Vaskulär bedingte Polyneuropathien (inkl. Kollagenosen)

5.6.6 Paraneoplastische und paraproteinämische Polyneuropathien

5.6.7 Diagnostik der Polyneuropathien

5.6.8 Therapie und Verlauf der Polyneuropathien

6 Muskelerkrankungen

6.1 Überblick

6.2 Myositis

6.2.1 Idiopathische Myositiden

6.2.2 Myositiden bei Systemerkrankungen

6.2.3 Erregerbedingte Myositiden

6.3 Myasthenia gravis

6.4 Lambert-Eaton-Syndrom

6.5 Myotone Syndrome

6.5.1 Überblick

6.5.2 Myotone Dystrophien

6.5.3 Myotonia und Paramyotonia congenita

6.6 Progressive Muskeldystrophien

6.6.1 X-chromosomal rezessive Muskeldystrophien

6.6.2 Autosomal rezessive Muskeldystrophien

6.6.3 Autosomal dominante Muskeldystrophien

6.6.4 Diagnostik, Differenzialdiagnostik, Therapie und Verlauf der progressiven Muskeldystrophien

6.7 Periodische (dyskaliämische) Lähmungen

6.7.1 Periodische hypokaliämische Lähmung

6.7.2 Periodische hyperkaliämische Lähmung

6.7.3 Periodische normokaliämische Lähmung

6.8 Endokrin-metabolische und toxische Myopathien

6.8.1 Myopathien bei Endokrinopathien

6.8.2 Myopathien bei Stoffwechselstörungen

6.8.3 Exogen-toxische Myopathien

6.8.4 Maligne Hyperthermie

7 Anfallkrankheiten und Schlafstörungen

7.1 Erkrankungen mit vestibulärem Schwindel (Vertigo)

7.1.1 Menière-Krankheit

7.1.2 Benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS)

7.1.3 Neuritis vestibularis

7.2 Synkopen

7.3 Epilepsien

7.3.1 Status epilepticus

7.4 Schlafstörungen in der Neurologie

7.4.1 Narkolepsie und weitere Hypersomnien

7.4.2 Parasomnien

7.4.3 Restless-Legs-Syndrom

7.4.4 Schlafbezogene Atmungsstörungen

8 Psychosomatik in der Neurologie

8.1 Einführung

8.2 Psychosomatische Störungen

8.2.1 Diagnostik und Differenzialdiagnose

8.2.2 Therapie und Verlauf

8.3 Psychogene Symptome und Syndrome

8.3.1 Psychogene Anfälle

8.3.2 Psychogene Amnesie

8.3.3 Psychogene Blindheit

8.3.4 Psychogene Aphonie

8.3.5 Psychogene Blasenstörung

8.3.6 Couvade-Syndrom

8.3.7 Münchhausen-Syndrom

8.4 Psychosomatische Aspekte neurologischer Krankheiten

8.4.1 Chronische Schmerzen

8.4.2 Zerebrovaskuläre Störungen

8.4.3 Stammganglienerkrankungen

8.4.4 Hyperkinetische Störungen (HKS)

8.4.5 Multiple Sklerose

8.4.6 Neuroborreliose

8.4.7 Psychosomatik, Neurologie und Allgemeinmedizin

Teil III Anhang

9 Quellennachweis

9.1 Abbildungen

9.1.1 A-Teil

9.1.2 B-Teil

9.1.3 Einstiegbilder Buchteile

9.1.4 Einstiegsbilder Kapitel

10 Weiterführende Literatur

10.1 Teil A

10.1.1 Anamnese, neurologische Untersuchung und ­technische Untersuchungsmethoden

10.2 Teil B

10.2.1 Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen des ­Gehirns

10.2.2 Degenerative (atrophische) Prozesse des Gehirns und Rückenmarks

10.2.3 Metabolische und toxische Prozesse des Gehirns und Rückenmarks

10.2.4 Entzündliche Erkrankungen des Gehirns und ­Rückenmarks

10.2.5 Multiple Sklerose

10.2.6 Hirn- und Rückenmarkstumoren

10.2.7 Traumatische Schäden des Gehirns und Rückenmarks

10.2.8 Durchblutungsstörungen des Gehirns und ­Rückenmarks

10.2.9 Kopfschmerzen

10.2.10 Schädigungen des peripheren Nervensystems

10.2.11 Muskelerkrankungen

10.2.12 Anfallskrankheiten

10.2.13 Psychosomatik in der Neurologie

Anschriften

Sachverzeichnis

Impressum

Teil I Allgemeine Neurologie

1  Anamnese

2  Die neurologische Untersuchung

3  Technische Untersuchungsmethoden

1 Anamnese

1.1 Überblick

Definition

Anamnese (griechisch: „Erinnerung“) ist die Vorgeschichte der Krankheiten nach den Angaben des Patienten. Die Schilderung aktueller Beschwerden und Symptome, früherer und familiärer Erkrankungen muss durch eine Fremdanamnese ergänzt werden – v. a. wenn eine Störung der Vigilanz (Aufmerksamkeit, Wachheit) und eine Amnesie (Erinnerungslücke) bestehen. Die biografische Anamnese dient der Beschreibung einer Situation, in der sich Krankheitssymptome entwickeln.

Epidemiologie: Die häufigsten Symptome neurologischer Krankheiten sind Kopfschmerzen, Schwindel und epileptische Anfälle.

Epidemiologie: Von diagnostischem Nutzen ist die Kenntnis epidemiologischer Daten über die Verbreitung neurologischer Erkrankungen. Zu den am häufigsten geklagten Beschwerden und Symptomen gehören Kopfschmerzen, Schwindel und epileptische Anfälle. Je nach Land und Untersucher kommen Kopfschmerzen bei 10 – 20 % der Einwohner vor. Jeder zehnte Mensch, der einen Arzt konsultiert, leidet unter Schwindel. Epileptische Anfälle treten bei ca. 5 – 10 % aller Menschen mindestens einmal im Leben auf.

Die Prävalenz gibt die Krankheitshäufigkeit an, d. h. die Zahl der Personen, die zu einer bestimmten Zeit an einer bestimmten Krankheit leiden. Die Inzidenz ist die Zahl jährlicher Neuerkrankungen (s. ▶ Abb. 1.1 und ▶ Abb. 1.2).

Statistisch exakte Angaben zur Krankheitshäufigkeit und zu den Neuerkrankungen vermitteln die auf eine bestimmte Population und einen festgelegten Zeitpunkt bzw. Zeitraum bezogenen Prävalenz- und Inzidenz-Raten. Zum Beispiel ist die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt) der Hirninfarkte und -blutungen mit 2000 – 2500/100 000 Einwohner dreimal höher als die Prävalenz der Epilepsien ( ▶ Abb. 1.1). Die Inzidenz-Rate(Zahl der jährlichen Neuerkrankungen) ist aber bei den Hirninfarkten und -blutungen mit 160 – 220/100 000 Einwohner vier bis fünfmal höher als bei den Epilepsien mit 46/100 000 Einwohner ( ▶ Abb. 1.2).

Prävalenz und Altersgipfel einiger neurologischer Krankheiten

Abb. 1.1 Ein Großteil der Epilepsien manifestiert sich vor dem 20. Lebensjahr, die Multiple Sklerose (MS) hauptsächlich in der 3. und 4. Dekade. Parkinson-Syndrome treten vorwiegend im höheren Lebensalter auf.

Jährliche Inzidenz häufiger neurologischer Krankheiten(bezogen auf 100 000 Einwohner)

Abb. 1.2 Am häufigsten sind paroxysmal auftretende Krankheiten und Syndrome (Migräne, Vertigo, Epilepsie, Sykopen), traumatische Läsionen des peripheren und zentralen Nervensystems, gefolgt von atrophischen Prozessen (Demenzen) und Durchblutungsstörungen des Gehirns. Ein Teil dieser Krankheiten und der ebenfalls sehr häufigen radikulären Syndrome wird primär auch von anderen Fachdisziplinen behandelt. Demgegenüber ist Multiple Sklerose selten.

Merke

Wesentlich ist die Unterscheidung von Prävalenz (Krankheitshäufigkeit an einem Stichtag) und Inzidenz (Zahl jährlicher Neuerkrankungen und Erkrankungsrisiko), jeweils bezogen auf 100 000 Einwohner.

Ferner sind die Altersverteilung der Krankheiten und die Sterblichkeitsrate zu berücksichtigen.

Da sich die Prävalenz aus der Inzidenz und der Krankheitsdauer zusammensetzt, ergibt sich die Differenz zwischen Prävalenz und Inzidenz aus unterschiedlichen Manifestations- und Sterblichkeitsraten.

Symptomatologie: Symptome sind anamnestisch und diagnostisch auffällige Krankheitsmerkmale.

Symptomatologie: Ein Symptom ist ein anamnestisch und diagnostisch auffälliges Krankheitsmerkmal. Im angloamerikanischen Sprachraum werden „symptoms“ (Beschwerden) von „signs“ (Krankheitszeichen) unterschieden. Es ist in jedem Fall sinnvoll, subjektive Angaben möglichst wörtlich zu dokumentieren und sie im Anschluss an die neurologische Untersuchung auf die erhobenen Befunde zu beziehen.

Die Anamnese ergibt Hinweise auf Art, Ort und Manifestationszeitpunkt der Symptome. Mehrere charakteristische Symptome bilden ein neurologisches Syndrom (Symptomenkomplex).

Anamnestisch ergeben sich wichtige Hinweise auf die Art und Lokalisation der Krankheitsmerkmale sowie auf deren Manifestationszeitpunkt (Erkrankungsalter, biografische Situation, tageszeitliche Bindung). Einzelne Phänomene wie Schmerzen oder Parästhesien (Missempfindungen) gestatten in keinem Fall eine neurologische Diagnose. Erst wenn die Qualität der Leit- und Begleitsymptome bestimmt worden ist, kann ein Syndrom (Symptomenkomplex) definiert werden: Syndrome beschreiben Krankheitsbilder mit mehreren charakteristischen Symptomen.

Jede Diagnose setzt eine phänomenologische Differenzierung und ätiologische Einordnung der Symptome voraus.

Vom Symptom zum Syndrom und zur Diagnose gelangt der Untersucher, wenn er die Beschwerdeangaben und Krankheitserscheinungen klinisch-phänomenologisch differenzieren und ätiologisch einordnen kann. Im Folgenden soll dies am Beispiel einiger Schmerz- und Anfalls-Syndrome dargelegt werden.

1.2Schmerzanamnese

Je nachdem ob die Schmerzempfindung erhöht, herabgesetzt oder völlig aufgehoben ist, spricht man von Hyperalgesie, Hypalgesie oder Analgesie. Eine Schmerzauslösung durch nicht schmerzhafte Reize wird als Allodynie bezeichnet.

Akute Schmerzensind Warnsignale. Die Anamnese berücksichtigt Qualität, Intensität, Lokalisation und Ausstrahlung, Beginn, auslösende und lindernde Faktoren, Frequenz, tageszeitliche Bindung, Dauer und Intervalle der Schmerzen. Je nachdem ob die Schmerzempfindung erhöht, herabgesetzt oder völlig aufgehoben ist, spricht man von Hyperalgesie, Hypalgesie oder Analgesie. Wenn eine Schmerzempfindung durch einen normalerweise nicht schmerzhaften Stimulus, z. B. eine wiederholte leichte Berührung, hervorgerufen wird, handelt es sich um eine Allodynie.

5 % der Bevölkerung leiden unter chronischen Schmerzen. Anamnestisch sind biografische Daten zu erheben, die eine Änderung der Beschwerden verständlich machen. Zum subjektiven biografischen Kalender s. S. ▶ Link

5 % der Bevölkerung leiden unter chronischen Schmerz-Syndromen mit einer Dauer von mehr als sechs Monaten. Die Anamnese schließt die Veränderung einzelner Schmerzparameter ein, z. B. Übergang von einem intermittierenden in einen Dauerschmerz oder Schmerzausbreitung über die Innervationsgrenzen hinaus. Zum komplexen regionalen Schmerz-Syndrom (CRPS) siehe S.  ▶ Link. Schmerzen können auch außerhalb der Körpergrenzen auftreten, z. B. an der Stelle einer amputierten Gliedmaße: „Phantomschmerz“ (S.  ▶ Link und S. ▶ Link). „Schmerzliche“ Erfahrungen in der Lebensgeschichte, z. B. Verlusterlebnisse, die der Patient affektiv nicht adäquat ausdrücken kann, finden über einen körperlichen Schmerz (z. B. eine akute Lumbago) ihren Ausdruck, verstärken und unterhalten den Schmerz. Vgl. subjektiver biografischer Kalender (S. ▶ Link).

1.2.1 Neuropathische Schmerzen

Man unterscheidet

neuropathische Schmerzen bei Läsionen im peripheren oder zentralen Nervensystem und

nozizeptive Schmerzen, bei denen das Nervensystem nicht geschädigt ist.

Ein typischer neuropathischer Schmerz ist der radikuläre Schmerz ( ▶ Abb. 1.3 und ▶ Tab. 1.1). Wenn nozizeptive Knochen-, Gelenk- und Muskelschmerzen bei „Lumbago“ (ohne Nervenwurzelkompression) mit einem neuropathischen radikulären Schmerz („Ischialgie“) einhergehen, spricht man von „mixed pain“.

Tab. 1.1

 Lumboischialgie. Schmerzen bei degenerativen Wirbelsäulenveränderungen (Lumbago) und Radikulopathie bei Bandscheibenvorfall mit Nervenwurzelkompression

1 neuropathischer Schmerz

2 nozizeptiver Schmerz

1 und 2 mixed pain

„Ischialgie“: radikuläre Schmerzausstrahlung in eine untere Extremität bei lumbaler Nervenwurzelkompression

„Lumbago“(Schmerz von Knochen, Gelenken, Bändern, Muskeln), ohne Nervenwurzelkompression

„Lumboischialgie“, Schmerzausstrahlung bei (chronischen) Rückenschmerzen

Bei peripherer Nervenläsion projiziert der Schmerz analog der sensiblen Hautinnervation, bei Wurzelläsion in das zugehörige Dermatom.

Schmerzprojektion: Die Lokalisation der Schmerzursache setzt topografisch-anatomische Kenntnisse voraus. Denn der Ort der Nervenläsion und die Regionen der Schmerzempfindung bzw. Schmerzprojektion liegen oft weit voneinander entfernt. Bei peripherer Nervenschädigung projiziert der Schmerz analog der sensiblen Innervation in das von dem Nerv versorgte Hautareal.

Das häufigste radikuläre Schmerz-Syndrom ist die Lumboischialgie bei Bandscheibenschaden (s. ▶ Abb. 1.3). Zur neurologischen Untersuchung s. S. ▶ Link.

Bei radikulärer Läsion ist die Schmerzausstrahlung ebenso wie die Sensibilitätsstörung segmental, d. h. an das der Nervenwurzel zugehörige Dermatom gebunden. Der Schmerz projiziert entweder in das gesamte Dermatom oder nur in einen segmentalen Abschnitt des Hautareals, das der geschädigten Nervenwurzel entspricht. Das häufigste radikuläre Schmerz-Syndrom ist die Lumboischialgie, die meist durch eine Wurzelkompression bei lumbalem Bandscheibenschaden verursacht ist. Dieser Schmerz strahlt über die Hüfte oft bis zum Unterschenkel und in den Fuß aus ( ▶ Abb. 1.3). Anamnestisch lassen sich Auslöser erfragen, die zur Schmerzprojektion in das Dermatom der komprimierten Nervenwurzel führen. Charakteristisch ist die Verstärkung des Wurzelschmerzes durch Husten und Pressen. Die vom Patienten lokalisierten Reizsymptome und die Schmerzausstrahlung bezeichnen das entsprechende Dermatom oft so genau, dass man daraus schon die topische Diagnose, z.B. die Höhenlokalisation eines Bandscheibenvorfalls, stellen kann. Zur neurologischen Untersuchung s. S. ▶ Link und S. ▶ Link, zu weiteren typischen neuropathischen Schmerzen bei Karpaltunnel-Syndrom (S. ▶ Link), nach Herpes Zoster (S. ▶ Link), bei den Polyneuropathien (S. ▶ Link) und zum zentralen Schmerz (S.  ▶ Link).

Radikuläre Schmerzprojektion

Abb. 1.3 Bei Schädigung (Kompression, Entzündung) einer Nervenwurzel strahlt der Schmerz segmental in den Versorgungsbereich dieser Wurzel, z. B. L4 oder L 5, aus. Vergleiche auch ▶ Abb. 5.15 und ▶ Abb. 5.16.

Hyperalgetische Hautareale (sog. Head-Zonen) lassen auf erkrankte innere Organe schließen ( ▶ Abb. 1.4).

Schmerzen innerer Organe (viszerosensible Schmerzen) werden auf Hautareale übertragen („referred pain“). Der segmentalen Innervation des erkrankten Organs entsprechen hyperalgetische, schon bei leichter Berührung überempfindliche Dermatome, die sog. Head-Zonen (benannt nach dem englischen Neurologen H. Head). Die Kenntnis dieser Hautareale lässt auf das erkrankte Organ rückschließen ( ▶ Abb. 1.4).

Head-Zonen

Abb. 1.4Die Hautareale, auf die der Schmerz bei Erkrankung innerer Organe übertragen wird, sind violett dargestellt. Sie entsprechen der segmentalen Innervation der Organe.

1.2.2 Kopfschmerzen

Immer ist nach dem Charakter, der Frequenz und der Dauer der Kopfschmerzen zu fragen. Die Migräne ist durch periodische Kopfschmerzanfälle, Nausea ( ▶ Abb. 1.5), Photo- und Phonophobie und häufig eine visuelle Aura gekennzeichnet.

▶ Tab. 1.2 informiert über die häufigsten Kopfschmerzen und ihre Ursachen. Primäre Kopfschmerzen (Punkte 1. – 4.) sind die idiopathischen Formen, sekundäre (symptomatische) Kopfschmerzen (Punkte 5. – 12.) beruhen auf verschiedenartigen Störungen. Dementsprechend werden sporadische, episodische, attackenförmig wiederkehrende und chronische Kopfschmerzen als pulsierend, dumpf, drückend, bohrend, hämmernd, stechend usw. geschildert. Bei der Erhebung der Anamnese muss daher gezielt nach dem Charakter und Beginn, aber auch nach der Frequenz und Dauer der Schmerzen gefragt werden.

Für Migräne sprechen familiär disponierte, periodisch rezidivierende, meist halbseitige Kopfschmerzen („Hemikranie“) von klopfendem, pochendem Charakter, die sich über wenige Stunden zur maximalen Stärke aufbauen. Die Attacken sind häufig von Nausea (Übelkeit, Brechreiz; ▶ Abb. 1.5), Photo- und Phonophobie (Licht- und Lärmüberempfindlichkeit) sowie von einer visuellen Aura begleitet.

Tab. 1.2

 Kurzfassung der Internationalen Klassifikation der Kopfschmerzen

Primäre Kopfschmerzerkrankungen

Sekundäre Kopfschmerzen, zurückzuführen auf

Migräne

Spannungskopfschmerz

Clusterkopfschmerz

andere primäre Kopfschmerzen, z. B. bei (sexueller) Aktivität

Kopf- und HWS-Trauma

Gefäßstörungen

intrakranielle Störungen

Substanzen oder deren Entzug

Infektion

Störung der Homöostase

Erkrankungen des Schädels

psychiatrische Störungen

Vegetative und sensorische Symptome bei einigen Anfalls-Syndromen: Migräne, Menière-Krankheit und Synkope

Abb. 1.5

Während die Migräne häufiger bei jungen Frauen vorkommt, betrifft der Clusterkopfschmerz meist Männer im mittleren Lebensalter. Bei älteren Kopfschmerzpatienten, vorwiegend Frauen, ist an eine Arteriitis cranialis zu denken (s. a. S.  ▶ Link).

Unter ätiologischen Gesichtspunkten ist auf das Manifestationsalter zu achten. Die Migräne tritt oft im Jugend- und gelegentlich schon im Kindesalter auf; sie bevorzugt im Übrigen das weibliche Geschlecht, während eine weitere Form der Hemikranie, der Clusterkopfschmerz (S.  ▶ Link), signifikant häufiger Männer im mittleren Lebensalter betrifft. Einseitige oder auch beidseitige Kopfschmerzen älterer Patienten werden nicht selten durch eine Arteriitis cranialis (S.  ▶ Link) verursacht, wobei hier das weibliche Geschlecht überwiegt (zu Kopfschmerzen bei Gefäßstörungen und Hypertonie siehe S.  ▶ Link).

Schlagartig auftretende, heftigste, mit Erbrechen und Meningismus einhergehende Kopfschmerzen sprechen für eine Subarachnoidalblutung (SAB, S.  ▶ Link).

Wesentlich ist die gezielte Frage, in welcher Situation der Kopfschmerzanfall aufgetreten ist. Setzen schlagartig heftigste Kopfschmerzen ein, so besteht der dringende Verdacht auf eine Subarachnoidalblutung (SAB), v. a. wenn sie mit Erbrechen, Vigilanzstörung und Meningismus (Nackensteifigkeit) einhergehen. Dann ist eine klinische Notfalldiagnostik erforderlich (vgl. S.  ▶ Link).

Kopfschmerzen, die mit Vigilanzstörungen verbunden sind, erfordern neben der Fremdanamnese eine Notfalldiagnostik (S.  ▶ Link).

Dies gilt auch für akute Kopfschmerzen bei Meningitis, die jedoch nicht schlagartig auftreten. Eine Schädelverletzung mit Vigilanzstörung, Amnesie und Kopfschmerzen verlangt immer eine Fremdanamnese zur Klärung der Unfallsituation und frühzeitige diagnostische Abklärung, da der Verlauf durch eine intrakranielle Blutung kompliziert sein kann (S.  ▶ Link).

Merke

Genaue Angaben zu Lokalisation, Beginn und Charakter der Kopfschmerzen weisen auf deren Ursachen hin.

Stirnkopfschmerzen kommen z. B. auch im Glaukomanfall und häufig bei Sinusitis vor.

Akute, einseitige Stirnkopfschmerzen lassen z. B. auch an einen Glaukomanfall denken, der meist jenseits des 40. Lebensjahres auftritt. Nehmen frontale Schmerzen bei Kopfneigung zu, so kann dies als Hinweis auf eine Infektion der Nasennebenhöhlen (Sinusitis) gelten.

Die Trigeminusneuralgie ist durch einseitige, attackenförmige Gesichtsschmerzen charakterisiert (S.  ▶ Link).

Attackenförmigauftretende, einseitige blitzartige Gesichtsschmerzen, die durch Kältereiz, feine Berührungen, Kauen oder Sprechen „getriggert“ werden, kennzeichnen die Trigeminusneuralgie. Sie betrifft vorwiegend Frauen jenseits des 50. Lebensjahres (S.  ▶ Link).

Bilaterale, diffuse Spannungskopfschmerzen sind meist psychogen (S.  ▶ Link u. S. ▶ Link), nicht selten sind anhaltende dumpfe Kopfschmerzen auch Analgetika-induziert.

Gesichts-, Kopf- und Nackenschmerzen können Frühsymptom eines Hirn- oder Halsmarktumors sein. Daher sind die Diagnosen „Migraine cervicale“ oder „Okzipitalneuralgie“ mit Vorsicht zu stellen. Häufiger als alle anderen „Zephalgien“ sind bilaterale, diffuse Kopfschmerzen, die v. a. bei depressiver Stimmung und Konfliktspannung (S.  ▶ Link u. S.  ▶ Link) vorkommen. Sie werden als Spannungskopfschmerzen (S.  ▶ Link) bezeichnet. Ein anhaltender, in der Intensität undulierender Kopfschmerz von dumpf drückendem Charakter ist der Analgetika-induzierte Kopfschmerz, der sich nach monatelangem täglichem Gebrauch („Übergebrauch“) und nach Substanzentzug entwickelt (S.  ▶ Link). Zur besseren Übersicht und Entlastung des Schmerzgedächtnisses (S. ▶ Link) eignet sich ein Kalender, in den der Patient nicht nur regelmäßigdie Art und Frequenz seiner Beschwerden einträgt, sondern auch das Medikament, das seine Beschwerden lindert.

1.3 Anfallanamnese

Überblick

Zu den häufigsten Anfall-Syndromen gehören

Schwindelanfälle, d.h. paroxysmal auftretende Krankheitserscheinungen, die mit vegetativen und sensorischen Phänomenen verbunden sind,

Synkopen (Ohnmachten), epileptische, narkoleptische, extrapyramidale und psychogene Anfälle.

1.3.1 Schwindelanfälle

Anamnestisch sind Qualität, Verlauf und Auslösemechanismen des Schwindels zu erfragen. Zu den vegetativen Begleitsymptomen gehören Übelkeit und Erbrechen (Nausea-Komplex, s. ▶ Abb. 1.5). Schwindel ist häufig mit Angst verbunden und kann stellvertretend für Angst auftreten (S.  ▶ Link u. ▶ Link).

Dem Betroffenen kommt es vor, als ob die Umwelt kreise, der Raum schwanke bzw. der eigene Körper falle, sich hebe oder drehe. Anamnestisch sind Qualität (Dreh-, Lift- oder Schwankschwindel), Verlauf (Attacken- bzw. Dauerschwindel) und Auslösemechanismen des Schwindels (Kopfbewegung, Situationsgebundenheit) zu erfragen. Gelegentlich können Patienten die Scheinwahrnehmung einer Selbstbewegung von Scheinbewegungen der Umwelt differenzieren. Schwindel geht häufig mit vegetativen Symptomen, besonders mit einem „elendigen“ Gefühl einher (Nausea-Komplex, vgl. ▶ Abb. 1.5). Häufig werden die Scheinwahrnehmungen von Angst begleitet, können aber auch stellvertretend für Angst auftreten (zum phobischen Schwindel siehe S.  ▶ Link u. ▶ Link).

Schwindel entsteht durch Inkongruenz der vestibulären, visuellen und somatosensorischen Wahrnehmung.

Schwindel entsteht durch ein Ungleichgewicht im Zusammenwirken jener Sinnesmodalitäten, die an der dynamischen Raumorientierung beteiligt sind: der vestibulären, visuellen und somatosensorischen Wahrnehmung.

Drehschwindel (Vertigo) ist vestibulär bedingt. Peripher vestibuläre Erkrankungen mit Schwindelattacken sind Menière-Krankheit und benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel; anhaltender Drehschwindel kommt bei Neuritis vestibularis vor.

Drehschwindelanfälle (Vertigo) sind vestibulärer Ursache. Sie kennzeichnen den Verlauf der Menière-Krankheit, einer Labyrintherkrankung des mittleren und höheren Lebensalters (S. ▶ Link). Der Minuten bis Stunden anhaltende Schwindel wird von vegetativen Symptomen begleitet (vgl. ▶ Abb. 1.5). Die Patienten klagen einerseits über Ohrgeräusche (Tinnitus), andererseits über Hörverlust (Hypakusis). Bei Neuritis vestibularis, einer entzündlichen Läsion des N. vestibularis, setzt der Drehschwindel subakut ein und hält Tage an. Anfallartiger, nur Sekunden andauernder Drehschwindel, der durch raschen Lagewechsel des Kopfes über Wochen hinweg immer wieder ausgelöst wird, ist Ausdruck des benignen paroxysmalen Lagerungsschwindels (S.  ▶ Link).

Zentral vestibulärer Schwindel ist häufiges Symptom von Durchblutungsstörungen und Läsionen im Hirnstamm oder Kleinhirn bei Multipler Sklerose.

Rezidivierender Schwindel im höheren Lebensalter kann Symptom von Durchblutungsstörungen des Hirnstamms sein. Kommt es zusätzlich akut zu Nausea, Doppelsehen und Fallneigung, ist mit einem Hirnstamminfarkt zu rechnen, der eine stationäre Notfalldiagnostik und -therapie erfordert (S.  ▶ Link). Bei jungen Patienten ist eine Multiple Sklerose (MS) häufigste Ursache eines zentral vestibulären Schwindels (Läsionen im Hirnstamm oder Kleinhirn). Zu Oszillopsien und Nystagmus siehe S.  ▶ Link.

Schwankschwindel kommt bei Rückenmarkerkrankungen und Polyneuropathien, als Medikamentennebenwirkung und bei kardiovaskulären Erkrankungen vor.

Eine Stand- und Gangunsicherheit (Ataxie), die häufig als Schwankschwindel empfunden wird, entwickelt sich bei Rückenmarkerkrankungen und Polyneuropathien. Schwankschwindel ohne gerichtete Fallneigung kommt auch bei Intoxikationen bzw. als Medikamentennebenwirkung vor (β-Rezeptoren-Blocker, Diuretika, Antidepressiva, Antiepileptika u. a.). Unsystematischer Schwindel ist häufiges Begleitsymptom von Herzrhythmusstörungen, arterieller Hypertonie, orthostatischer Dysregulation und Anämie.

1.3.2 Synkopale Anfälle

Eine Synkope ist ein kurzzeitiger Bewusstseinsverlust infolge globaler Hirnperfusionsminderung, d.h. eine anfallartige, meist spontan reversible Vigilanzstörung (Bewusstseinsstörung) mit Tonusverlust der Haltemuskulatur. Prodromi sind Flimmern und „Schwarzwerden vor den Augen“, Nausea und Schweißausbruch („vasomotorische Aura“). Der Patient ist blass und sinkt schlaff zu Boden. Man unterscheidet:

vasovagale (Reflex-)Synkopen,

orthostatische Synkopen und

kardiale Synkopen.

Synkopen sind anfallartige und spontan reversible Vigilanzstörungen (Bewusstseinsstörungen) mit Tonusverlust der Haltemuskulatur (S.  ▶ Link). Die Patienten berichten von einem ungerichteten Schwindel, Flimmern und „Schwarzwerden vor den Augen“ mit Übelkeit und Schweißausbruch („vasomotorische Aura“; ▶ Abb. 1.5), bevor das Bewusstsein schwindet („Ohnmacht“). Fremdanamnestisch ist zu erfahren, dass der Patient mit blassem Gesicht zu Boden sank, für Sekunden nicht reagierte und bei Erwachen rasch reorientiert war. Häufig werden einige irreguläre Zuckungen (Myoklonien) im Gesicht und an den Extremitäten beobachtet (konvulsive Synkope).

Unter ätiologischen Gesichtspunkten unterscheidet man:

vasovagale (Reflex-)Synkopen,

orthostatische Synkopen und

kardiale Synkopen.

Begleiterkrankungen, Situation und Alter des Patienten sind ätiologisch richtungweisend. Vasovagale neurokardiogeneund emotional induzierte Synkopen kommen meist bei jungen Menschen, orthostatische und kardiale Synkopen häufiger im mittleren bis höheren Lebensalter vor.

Auslösefaktoren, Vor- bzw. Begleiterkrankungen und das Alter des Patienten sind ätiologisch richtungweisend.

1. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen überwiegen vasovagale Synkopen. Dies sind einerseits sog. neurokardiogene Synkopen, die meist nach langem Stehen auftreten, zum anderen emotional induzierte, in Angst- oder Schrecksituationen oder unter heftigem Schmerz auftretende Ohnmachten. Zu den „selbstinduzierten“ und „epidemischen“ Synkopen s. S. ▶ Link. Andere situative vasovagale Synkopen, die (pressorisch) durch Husten, Schlucken oder Miktion ausgelöst werden, kommen ebenso wie Synkopen bei Karotissinus-Syndrom im mittleren bis höheren Lebensalter vor.

2. Orthostatische Synkopen infolge Blutdruckabfalls nach raschem Aufrichten werden mit zunehmendem Alter häufiger. Ursachen sind eine arterielle Hypotonie oder eine autonome Neuropathie.

3. Im Alter treten kardiale Synkopenbei Herzrhythmusstörungen (z. B. Adams-Stokes-Anfall) auch in Ruhe, sogar im Liegen ohne Prodromi auf (S.  ▶ Link).

Eine sofortige stationäre Aufnahme ist notwendig, wenn die Anamnese folgende Hochrisiko-Konstellationen ergibt:

Eigen- und Fremdanamnese:

früherer Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, niedrige Auswurffraktion,

Synkope während physischer Belastung oder im Liegen,

Verdacht auf rhythmogene Ursache (EKG),

ausgeprägte Anämie oder Elektrolytstörung.

Familienanamnese: plötzlicher Herztod bei nahen Verwandten.

1.3.3 Epileptische Anfälle

In der Diagnostik epileptischer Anfälle ist die Anamnese einschließlich der Fremdanamnese häufig das einzige diagnostische Mittel. Die Anamnese muss darauf abzielen, die Einordnung des Anfallstyps als fokal oder generalisiert zu treffen. Bei symptomatischen Epilepsien mit nachweisbaren strukturellen Veränderungen des Gehirns überwiegt das männliche Geschlecht. Von der Klassifikation hängen Syndromzuordnung, Prognose und Therapieentscheidung ab (s. ▶ Tab. 7.5, S.  ▶ Link).

Für das Erkennen epileptischer Anfälle ist die Anamnese einschließlich der Fremdanamnese häufig das einzige diagnostische Mittel. Meist gehen epileptische Anfälle mit einer Vigilanzstörung einher, sodass der Betroffene den Anfall nicht selbst erlebt. Gelegentlich ist erst ein Sturz mit Bewusstlosigkeit der Anlass, ärztliche Hilfe zu suchen, oder der Kranke wird von anderen auf eine nicht erklärbare Verhaltensänderung, an die er selbst keine Erinnerung hat, aufmerksam gemacht ( ▶ Abb. 1.6). Bei idiopathischen und familiär disponierten (genetisch bedingten) Epilepsien ist keine Geschlechtsbevorzugung erkennbar; bei den symptomatischen Epilepsien mit strukturellen Veränderungen des Gehirns oder metabolisch bedingten Ursachen überwiegt das männliche Geschlecht.

Je nach dem Ursprung der epileptischen Erregung im Gehirn – ob lokal in einer Hirnregion beginnend und sich von dort ausbreitend oder primär generalisiert im gesamten Gehirn auftretend – unterscheidet man lokalisationsbezogene (fokale) und generalisierte Anfälle. Die Anamnese muss darauf abzielen, die Einordnung des Anfallstyps als fokal oder generalisiert zu treffen. Von der Klassifikation (s. ▶ Tab. 7.5, S.  ▶ Link) hängen Syndromzuordnung, Prognose und Therapieentscheidung ab.

Beginn epileptischer Anfälle (Fotografien nach Videoaufnahmen im EEG-Labor)

Abb. 1.6a Visuelle Aura zu Beginn eines fokalen Anfalls, Blick auf eine halluzinierte Gestalt.b Zu Beginn einer Absence fällt der Kopf des Kindes zurück.c Initialschrei und Kopfwendung zur Seite des elevierten Arms als Einleitung eines tonisch-klonischen Anfalls.

1.3.4 Narkoleptische Anfälle

Patienten mit Narkolepsie berichten von einem imperativen Schlafbedürfnis (Schlafattacken), einer Regungslosigkeit nach dem Aufwachen (Schlaflähmung) und von Traumerleben im Halbschlaf (hypnagoge Halluzinationen). Hinzu kommen kataplektische Attacken mit affektivem Tonusverlust (vgl. S.  ▶ Link).

Weitaus seltener als die epileptischen Anfall-Syndrome und mit diesen weder verwandt noch vom Erscheinungsbild her zu verwechseln sind narkoleptische Schlaf-, Wach- und Sturzanfälle. Als erstes, konstantes Symptom der Narkolepsie sind die Schlafattacken (imperatives Einschlafen) zu nennen, die von den übrigen Formen der Hypersomnie, wie z. B. bei Schlaf-Apnoe-Syndrom, abzugrenzen sind. Narkoleptische Schlaflähmungen („Wachanfälle“) in der Einschlaf- oder Aufwachphase, in denen der Patient sich nicht bewegen kann, können ebenso wie die Schlafanfälle von hypnagogen Halluzinationen, d. h. Traumerleben im halbwachen Zustand, begleitet sein. Hinzu kommen kataplektische Attacken mit affektivem Tonusverlust (Stürze nach lautem Lachen oder heftigem Erschrecken). Das Narkolepsie-Kataplexie-Syndrom manifestiert sich meist im 2. Lebensjahrzehnt bei Männern häufiger als bei Frauen und ist häufig familiär disponiert (vgl. S.  ▶ Link).

1.3.5 Extrapyramidale Anfälle (Hyperkinesen)

Arrhythmische (choreatische) Zuckungen oder krampfartige (dystone) Torsionen bestimmen das Bild paroxysmaler extrapyramidaler Hyperkinesen, die nicht mit Vigilanzstörungen verbunden sind.

Paroxysmale arrhythmische (choreatische) Zuckungen und krampfartige (dystone) Torsionen sind wie alle extrapyramidalmotorischen Bewegungsstörungen auf eine Dysfunktion der Stammganglien zurückzuführen und gehen nicht mit einer Vigilanzstörung einher. Kurz dauernde Attacken, die täglich 100-mal auftreten, werden „kinesiogen“ ausgelöst, z. B. beim Überqueren der Straße (seizures induced by movement).

Die Vorgeschichte, v. a. die Medikamenten- und Familienanamnese, gibt Hinweise auf Pharmaka-induzierte Dyskinesien neben hereditären Formen, seltener auch auf vaskuläre, tumoröse und entzündliche Veränderungen der Stammganglien (vgl. S.  ▶ Link u. S.  ▶ Link).

Im Verlauf einer Neuroleptika- oder L-Dopa-Therapie manifestieren sich häufig Anfälle mit Lid-Blick-Zungen-Schlund-Krämpfen und Schiefhals. Bei den akuten dystonen Reaktionen überwiegt das männliche, bei den tardiven Dyskinesien das weibliche Geschlecht. Wesentlich ist eine genaue Medikamenten- und Familienanamnese, um symptomatische und hereditäre Formen zu differenzieren. Akut einsetzende, schleudernde und rotierende Bewegungen der Extremitäten (ballistische Jaktationen), die gleich häufig bei Männern und Frauen vorkommen, werden auch durch vaskuläre, tumoröse oder entzündliche Veränderungen der Stammganglien hervorgerufen (vgl. S.  ▶ Link u. S.  ▶ Link).

1.3.6 Psychogene (dissoziative) Anfälle

Die häufig verkannten psychogenen (dissoziativen) Anfälle können mit epileptischen alternieren (S.  ▶ Link) oder davon unabhängig in jedem Lebensalter vorkommen.

Pseudoepileptische Anfälle sind häufig verkannte psychogene Symptome, die mit epileptischen Anfällen alternierend, meist jedoch davon unabhängig in jedem Lebensalter auftreten. Man spricht von dissoziativen Anfällen im Rahmen einer Konversionsstörung (S.  ▶ Link).

Nicht-epileptische psychogene Anfälle wie respiratorische Affektkrämpfe und selbstinduzierte Ohnmachten werden nicht selten schon bei Kindern beobachtet.

5% der Kinder im Vorschulalter führen in einer Wut- oder Trotzreaktion respiratorische Affektkrämpfe herbei. Diese nicht-epileptischen Anfälle kommen hauptsächlich zwischen dem sechsten Lebensmonat und sechsten Lebensjahr vor. Sie sind durch Schreien und Anhalten des Atems, d.h. akute exspiratorische Apnoe mit Zyanose, Bewusstlosigkeit, Tonusverlust und vereinzelte Muskelzuckungen gekennzeichnet.

Auch bei Schulkindern werden nicht selten selbstinduzierte Synkopen(„self induced fainting“) beobachtet: Die Kinder hyperventilieren z. B. auf dem Schulhof in hockender Stellung, um sich plötzlich aufzurichten und mit einer forcierten Exspiration gegen die geschlossene Glottis eine unmittelbar danach auftretende Ohnmacht zu provozieren. Auf diesem Vasalva-Manöver mit Bauchpresse nach Hyperventilation und tiefer Inspiration beruhen auch weitere psychogene Anfälle, so z.B. die bei Besuchern von Rockkonzerten auftretenden Ohnmachten („epidemische Synkopen“).

Die Anamnese ergibt Hinweise auf vielgestaltige Anfallsbilder und dramatische Szenen: heftiges Zittern, Zucken, Krampfen, oft statusartig gehäuft und stundenlang anhaltend. Der Patient reagiert inadäquat, so als ginge das Anfallsgeschehen ihn selbst nichts an. Zu den Hyperventilationsanfällen s. S. ▶ Link.

Die Symptomatik der dissoziativen Anfälle bei Jugendlichen und Erwachsenen ist vielgestaltig. Die (Fremd-)anamnese ergibt Hinweise auf ein- oder beidseitiges heftiges Zittern, Zucken, Krampfen, welches akut oder subakut einsetzt. Oft treten diese Symptome statusartig gehäuft und mit forcierter Mehratmung verbunden auf (zu den Hyperventilationsanfällen s. S. ▶ Link). Der Patient ist vorübergehend oder auch stundenlang nicht ansprechbar, d. h. er äußert sich zwar körperlich, aber nicht verbal und reagiert auch nach Abklingen des Anfalls, wenn überhaupt, inadäquat, so als ob er die Umwelt nicht wahrnehme oder das dramatische Geschehen ihn selbst nichts anginge (belle indifférence).

„La grande hystérie“ (Charcot) wird bei beiden Geschlechtern beobachtet und geht mit „attitudes passionelles“, d. h. mit dem Ausdruck erotischer Leidenschaft oder einem dissoziativen Stupor („Totstellversuch“) einher (S.  ▶ Link). Jede geklagte „Beschwerde“ drückt doppelsinnig einen Protest aus. Es gehört zur dissoziativen Störung, dass die Umwelt mitagiert. Deshalb sind eine biografische Anamnese, abwartendes, aufmerksames Beobachten der Symptomatik, Geduld und Empathie notwendig. Siehe auch ▶ Tab. 1.3 und zum subjektiven biografischen Kalender S.  ▶ Link und S. ▶ Link.

Von J. M. Charcot als „la grande hystérie“ bezeichnet und bei beiden Geschlechtern beobachtet, gehen die großen psychogenen Anfälle mit einem „arc de cercle“ (kreisbogenförmige Körperbeugung mit rekliniertem Kopf) und „attitudes passionelles“, d. h. mit dem Ausdruck erotischer Leidenschaft, einher (S.  ▶ Link). Ein unbewusster Konflikt wird körperlich symbolisiert.

Die Augen sind meist geschlossen. Aber selbst wenn der Patient in ein psychogenes Koma fällt (dissoziativer Stupor, „Totstellversuch“), zeigt er durch diskretes Lidzucken und Widerstand beim passiven Lidöffnen ebenso wie durch stumme Lippenbewegung auf Ansprache, dass er nicht bewusstlos ist. Dies gilt auch für den Status pseudoepilepticus, der unter häufig erfolgender, aber unzweckmäßiger intensivmedizinischer Behandlung fast immer länger dauert als ein epileptischer Status und – wie alle dissoziativen Zustände – kommunikativ zu unterbrechen ist. Jede geklagte psychogene „Beschwerde“ drückt doppelsinnig einen Protest aus. Zur dissoziativen Störung gehört aber auch, dass die Umwelt mitagiert. Deshalb sind anstelle von aktionistischer Diagnostik und Therapie die eingehende biografische Anamnese, abwartendes, aufmerksames Beobachten der Symptomatik, Geduld und Empathie notwendig.

Zur biografischen Anamnese siehe ▶ Tab. 1.3, zum subjektiven biografischen Kalender S.  ▶ Link und S.  ▶ Link.

Tab. 1.3

 Stichworte zur biografischen Anamnese

Stichwort

Beispiele

Geburt

Erwünschtheit, Geschwisterreihe, Geburtsverlauf

Kindheit

frühkindliche Entwicklung, Pubertät, Geschlechtsrolle

Erziehung

Erziehungsstil, Begabungen, religiöse Bindung

Ausbildung

Prüfungsangst, Schulabschluss, Arbeitsstörungen

Beruf

Motivation, Reaktion auf Konkurrenz und Kränkungen

Partnerschaft

Erleben von Zärtlichkeit, Sexualität

Krisen

Partnerverlust, Trauer, Arbeitslosigkeit, Suizidalität

Abhängigkeit

Medikamente, Alkohol, Drogen

2 Die neurologische Untersuchung

2.1 Untersuchungsgang

Untersuchungsgang: Bei der Untersuchung ist auf Mimik, Gestik, Haltung und Gang zu achten.

Vom Aspekt her ist auf Mimik, Gestik, Haltung und Gang zu achten, da sich im Erscheinungsbild des Patienten häufig Bewegungsstörungen wie z. B. Hypo- oder Hyperkinesen widerspiegeln, die auf bestimmte neurologische Syndrome (im Teil A dieses Buches beschrieben) bzw. Erkrankungen (Teil B) hinweisen.

Zunächst empfiehlt sich die Prüfung der Hirnnervenfunktionen, anschließend der Kraft, der Trophik, des Muskeltonus und der Reflexe.

Bei der körperlichen Untersuchung wird zunächst die Funktion der Hirnnerven geprüft. Es folgt die Untersuchung der Motorik, d. h. der Kraftentfaltung bzw. eines pathologischen Bewegungsmusters, der Trophik, des Muskeltonus und der Reflexe.

Missempfindungen (Parästhesien, Dysästhesien) sind von Ausfällen der Sensibilität (Anästhesie, Analgesie) abzugrenzen. Darüber hinaus ist eine Prüfung der vegetativen Funktionen und der Koordination erforderlich ( ▶ Tab. 2.1).

Missempfindungen (Parästhesien und Dysästhesien) sind von Ausfällen der Sensibilität (Anästhesie, Analgesie) abzugrenzen. Die einzelnen Empfindungsqualitäten (spitz, stumpf, warm, kalt u. a.) werden in Kenntnis der zentralen, peripheren und segmentalen Verteilungsmuster der Sensibilität geprüft. Anschließend erfolgt die Untersuchung der vegetativen Funktionen und der Koordination. ▶ Tab. 2.1 gibt einen Überblick der wichtigsten neurologischen Untersuchungsbefunde.

Tab. 2.1

 Neurologische Untersuchung

Neurologischer Normalbefund

Pathologische Befunde

Kopf/HWS

kein Klopfschmerz der Kalotte, Nervenaustrittspunkte (NAP) freiHWS allseits frei beweglich

Narben, ImpressionenNAP druckschmerzhaftMeningismus, Caput obstipum

Hirnnerven

I

aromatische Stoffe werden beiderseits wahrgenommen, differenziert und benannt

Hyposmie, Anosmie, Parosmie, Kakosmie

II

Sehnervenpapillen beidseitig scharf begrenzt. Gesichtsfeld fingerperimetrisch intakt; Visus nicht erkennbar herabgesetzt

Papillenödem, Hemianopsie, Visusminderung

III, IV, VI

Lidspalten seitengleich; Bulbi nach Stellung und Motorik regelrecht; Pupillen isokor, mittelweit, prompte Reaktion auf Lichteinfall (direkt, konsensuell) und Naheinstellung (Konvergenz)

Augenmuskel- oder Blickparese, Nystagmus, Miosis, Horner-Syndrom, Mydriasis

V

Gesichtssensibilität ungestört; Kornealreflex seitengleich lebhaft; Kaumuskulatur beiderseits kräftig; Masseterreflex (MR) lebhaft

periphere/zentrale SensibilitätsstörungKaumuskelpareseMR gesteigert oder aufgehoben

VII

Gesichtsmuskulatur mimisch und willkürlich intakt

Fazialisparese, Bell-Phänomen

VIII

Gehör beiderseits nicht erkennbar beeinträchtigt

Anakusis, Hypakusis, Hyperakusis, Tinnitus

IX, X

Gaumensegel seitengleich innerviert; Uvula mittelständig; Würgreflex positiv

Kulissenphänomen, Dysphagie, Würgreflex negativ

XI

Mm. trapezius und sternocleidomastoideus beiderseits kräftig

Scapula alata, Tortikollis

XII

Zunge wird gerade herausgestreckt

Zungenlähmung, -atrophie

Motorik

Rechts-/Linkshänder mit seitengleich uneingeschränkter Kraftentfaltung; keine Absinktendenz und physiologische Mitbewegung der Extremitäten; keine umschriebene oder generalisierte Muskelatrophie; keine Tonusanomalie; keine Deformitäten

Paresen (Mono-, Para-, Hemi-, Tetraparese oder Mono-, Di-, Para-, Hemi-, Tetraplegie)Atrophien, Hypotonus, Spastik, Rigor, Akinese, Hohlfußdeformität, Skoliose, Kyphose

Reflexe

seitengleich lebhafte physiologische Eigenreflexe; Bauchhautreflexe in allen Etagen erhältlich; keine pathologischen Fremdreflexe

Areflexie, Reflexdifferenz, Hyperreflexie, Babinski-Zeichen positiv

Sensibilität

Berührungs-, Schmerz-, Temperatur- und Vibrationsempfindung intakt; auf die Haut geschriebene Zahlen und geführte Zehenbewegungen werden differenziert; kein Nervendehnungsschmerz

Hypästhesie/Hypalgesie, Thermhypästhesie, Hyperpathie, Allodynie, Pallhypästhesie, Lasègue-Zeichen positiv

vegetative Funktionen

Blasen-, Mastdarm- und Genitalfunktionen intakt; keine Störung der Schweißbildung

Kontinenzstörung, Libidoverlust, erektile Dysfunktion, Hyper-/Anhidrosis

Koordination und Artikulation

keine Störung der Feinmotorik, Eudiadochokinese; Stand, Gang in allen Variationen und Zeigeversuche sicher; kein Tremor, keine überschießenden Bewegungen; keine Störung der Artikulation und Phonation

Dysdiadochokinese, Tremor, Ataxie, Romberg-Zeichen positiv, Rebound-Phänomen pathologisch, Fallneigung, Hyperkinesen, Dysarthrophonie

Sprache und andere neuropsychologische Funktionen

Spontansprache, Nachsprechen, Benennen, Schriftsprache und Sprachverständnis unauffällig; Rechts-links-Unterscheidung und Handlungsabfolgen, mnestische Funktionen regelrecht

Aphasie, Agrafie, Alexie, Apraxie, visuell-räumliche Wahrnehmungsstörungen, Gedächtnisstörungen

Sehr wichtig ist auch die Differenzierung psychischer Funktionsstörungen, da sich z. B. hinter einem undefinierten „Verwirrtheitszustand“ eine Sprach- oder Vigilanzstörung verbergen kann (S. ▶ Link).

Die mit Gehirnkrankheiten verbundenen psychischen Funktionsstörungen lassen sich ebenso wie neurologische Ausfalle exakt definieren und entweder umschriebenen oder diffusen Schädigungen des Gehirns zuordnen. Diese phänomenologische Differenzierung ist von großer Bedeutung, da sich z. B. hinter einem undefinierten „Verwirrtheitszustand“ eine Aphasie (Sprachstörung) oder Somnolenz (Vigilanzstörung) verbergen kann (S. ▶ Link).

2.2 Untersuchung von Kopf und Halswirbelsäule

Untersuchung: Neben Veränderungen der Mimik sind Verletzungszeichen (Hämatome, knöcherne Impressionen) zu beachten.

Untersuchung: Während Veränderungen der Mimik unmittelbar auffallen, z. B. eine Hypomimie (spärlicher mimischer Ausdruck) oder Hyperkinesen (vermehrte Bewegungsunruhe des Gesichts), muss besonderes Augenmerk auf Verletzungszeichen wie Hämatome und Narben der Kopfhaut, knöcherne Impressionen, einen pulsierenden Kalottendefekt oder eine Liquorrhö (Liquorfluss) aus Nase oder Ohr gerichtet werden.

Die Nervenaustrittspunkte (NAP)sind auf Druckschmerzhaftigkeit zu prüfen (vgl. ▶ Abb. 2.14).

Die Schädelkalotte ist auf Klopfempfindlichkeit, die Nervenaustrittspunkte (NAP)bzw. Nerveneintrittspunkte sind beiderseits auf Druckschmerzhaftigkeit zu prüfen, v. a. die des N. trigeminus (vgl. ▶ Abb. 2.14).

Im weiteren Untersuchungsgang wird die Beweglichkeit der HWS, d. h. Extension (Reklination), Flexion (Inklination), Rotation und Neigung des Kopfes, geprüft. Bei ausgeprägter Fehlhaltung der HWS unterscheidet man einen mobilen von einem fixierten Schiefhals (S.  ▶ Link).

Zur Bestimmung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule (HWS) ist es sinnvoll, den Kinn-Jugulum-Abstand bei maximaler Extension (Reklination) und Flexion (Inklination) sowie bei Rotation und Lateralflexion (Neigung) des Kopfes das Bewegungsausmaß bzw. den Grad einer Bewegungseinschränkung zu dokumentieren. Physiologisch ist eine Kopfdrehung beiderseits von 70 Grad und Neigung von 45 Grad. Bei ausgeprägter Fehlhaltung der HWS unterscheidet man einen mobilen von einem fixierten Schiefhals (Tortikollis, Caput obstipum; vgl. ▶ Tab. 4.12, S.  ▶ Link).

Merke

Wird dem passiven Abheben des Kopfes von der Unterlage ein schmerzhafter Widerstand entgegengesetzt, spricht man von Meningismus.

Parästhesien der Hände und Dysästhesien entlang der Wirbelsäule bei Kopfbeugung. Ein Krampf der Nacken- und Rückenmuskulatur bei rekliniertem Kopf wird als Opisthotonus ( ▶ Link) bezeichnet.

Klagt der Kranke bei maximaler Kopfbeugung nach vorn über Kribbeln der Hände (Parästhesien) und „elektrisierende“ Schmerzen (Dysästhesien) entlang der Wirbelsäule, liegt das Lhermitte-Zeichen (signe de Lhermitte, ein positives Nackenbeugezeichen) vor. Ein Krampf der Nacken- und Rückenmuskulatur bei rekliniertem Kopf wird als Opisthotonus bezeichnet (zu den Ursachen siehe auch S. ▶ Link, S. ▶ Link sowie S. ▶ Link und im Psychosomatik-Kapitel ▶ Abb. 8.2 und ▶ Abb. 8.4).

Ätiopathogenese: Siehe ▶ Tab. 2.2.

Ätiopathogenese: Siehe ▶ Tab. 2.2.

Tab. 2.2

 Interpretation von Befunden im Bereich von Kopf und Hals

Befund

Mögliche Ursachen

Amimie

Parkinson-Syndrom („Maskengesicht“), Myopathien („Facies myopathica“)

mimisches „Beben“

Alkoholdelir, Neurolues

Blepharospasmus (Krampf der Augenlider) und „Grimassieren“

extrapyramidale Störung (Stammganglienerkrankung), auch pharmakogen und psychogen, Tic

Schiefhals

zahlreiche Ursachen, z. B. Augenmuskelparesen, zervikaler Bandscheibenvorfall, zervikale Dystonie (Torticollis spasmodicus)

Druckschmerz der NAP

Sinusitis, meningeale Reizung

Meningismus

Entzündungen der Leptomeninx (Meningitis), Subarachnoidalblutung

signe de Lhermitte

Meningitis bzw. Meningeosis carcinomatosa, Multiple Sklerose

Opisthotonus

Meningitis, Tumor der hinteren Schädelgrube, Intoxikation, Dystonie, auch pharmakogen, psychogene Anfälle (arc de cercle)

2.3 Hirnnervensymptome

Überblick

Das Verständnis der Symptomatik einzelner Hirnnervenläsionen und kombinierter Ausfälle (Hirnnerven-Syndrome) setzt die Kenntnis der Funktion und Topografie

der Kerngebiete der Hirnnerven,

des Faserverlaufs,

der Hirnnervenaustritte und

des peripheren Nervenverlaufs voraus ( ▶ Abb. 2.1 bis ▶ Abb. 2.3).

2.3.1 Riechstörung (N. olfactorius, I. Hirnnerv)

Definition

Eine Riechstörung als Folge einer Schädigung des N. olfactorius (I. Hirnnerv) bzw. des Rhinenzephalons wird als Hyposmie, Parosmie und bei vollständigem Ausfall der Geruchsempfindung als Anosmie bezeichnet.

Untersuchung: Das Riechvermögen wird mit aromatischen Stoffen geprüft.

Untersuchung: Die Untersuchung des Riechvermögens erfolgt mit einer Reihe aromatischer Stoffe wie Vanillin, Kaffee, Mandelöl, Asa foetida (intensiv übel riechend), die dem Patienten zur Differenzierung bei geschlossenen Augen beiderseits getrennt angeboten werden. Der quantitativen Messung dient die Olfaktometrie. Zur Geschmacksprüfung siehe ▶ Tab. 2.7, S.  ▶ Link.

Merke

Essig und Salmiakgeist reizen den N. trigeminus und werden daher auch bei Anosmie wahrgenommen.

Ätiopathogenese: Zahlreiche Riech-Rezeptor-Gene sind auf fast allen Chromosomen verteilt. Neben der idiopathischen Hyposmie als Frühsymptom der Parkinson-Krankheit gehören zu den häufigsten Ursachen einer Riechstörung ein frontobasales Schädel-Hirn-Trauma oder ein Stirnhirntumor (vgl. ▶ Abb. 2.1). Darüber hinaus kommen infektiöse und medikamentös-toxische Ursachen infrage.

Ätiopathogenese: Es gibt zahlreiche Riech-Rezeptor-Gene, die in Clustern auf fast allen Chromosomen (Ausnahme Chromosom 20 und Y) lokalisiert und vollständig auf Chromosom 17 isoliert worden sind.

Eine idiopathische Hyposmie gilt als Frühsymptom der Parkinson-Krankheit (S.▶ Link) und des selteneren Refsum-Kahlke-Syndroms (S.  ▶ Link).

Häufigste Ursache einer bilateralen Anosmie ist eine Schädel-Hirn-Verletzung mit frontobasaler Kontusion oder Abscheren der Fila olfactoria infolge Siebbeinfraktur. Ferner kommen neben medikamentös-toxischen Schädigungen des Riechnervs bakterielle und virale Infektionen, einschließlich der bilateralen rhinogenen Hyposmie (Schnupfen), aber auch langsam wachsende Hirntumoren (Meningeom, Kraniopharyngeom) und ein Aneurysma der A. cerebri media in Betracht. Bei frontobasalen Tumoren ist neben der Hyp- oder Anosmie häufig eine Antriebsstörung zu beobachten. Aufgrund der Nachbarschaft mit dem II. Hirnnerv ( ▶ Abb. 2.1) besteht die Gefahr einer Erblindung durch direkte Tumorkompression: Das Syndrom der Olfaktoriusrinne mit Anosmie und progredientem Visusverlust beruht auf einem frontobasalen Meningeom ( ▶ Abb. 4.110). Geruchsmissempfindungen (Parosmien, S. ▶ Link) können Symptom einer Herpes-Virus-Enzephalitis (S. ▶ Link) oder eines epileptischen Anfalls (olfaktorische Aura) mit Ursprung im „Riechhirn“ (d. h. Hippocampus und Uncus) sein. Differenzialdiagnostisch empfiehlt sich eine HNO-ärztliche Untersuchung.

Hirnbasis mit Austritt der Hirnnerven (Ansicht von ventral)

Abb. 2.1

Hirnnervenkerne im Hirnstamm (Ansicht von medial)

Abb. 2.2 Die Kerngebiete afferenter Neurone sind gelb/grün, die efferenter Neurone orange/blau dargestellt. Links sind die Hirnnerven benannt, rechts die Hirnnervenkerne mit Bezeichnung der Hirnnerven angegeben, die Neurone dieses Kerngebiets führen.

Hirnnervenkerne im Hirnstamm (Ansicht von dorsal)

Abb. 2.3Rechts sind die Kerngebiete afferenter Neurone (gelb/grün) dargestellt, links die Kerngebiete efferenter Neurone (orange/blau) eingezeichnet.

2.3.2 Neuroophthalmologische Syndrome (II., III., IV., VI. Hirnnerv)

Überblick

Bei einer Vielzahl neurologischer Erkrankungen kommen Seh- und Pupillenstörungen, Augenmuskel- oder Blickparesen vor. Die physiologischen Augenbewegungen werden durch 3 Hirnnerven gewährleistet: N. oculomotorius (III), N. trochlearis (IV) und N. abducens (VI). Diese okulomotorischen Hirnnerven verlaufen in ihrem peripheren Abschnitt gemeinsam mit dem N. ophthalmicus (V,1) durch den Sinus cavernosus und mit dem Sehnerv, dem N. opticus (II), in der Orbita.

2.3.2.1 Visusstörungen (N. opticus, II. Hirnnerv)

Definition

Sehstörungen treten häufig zu Beginn oder im Verlauf neurologischer Krankheiten (z. B. Hirntumoren, Schlaganfälle, Multiple Sklerose, Heredoataxien) auf. Die ophthalmoskopische Untersuchung ergibt dann oft charakteristische Veränderungen am Augenhintergrund, besonders der Sehnervenpapille und der Gefäße.

Untersuchung: Zur neurologischen Untersuchung gehört die Spiegelung des Augenhintergrundes (s. ▶ Abb. 2.4). Die wichtigsten pathologischen Befunde sind ein Ödem oder eine Abblassung der Papille.

Untersuchung: Die Patienten klagen über Flimmern vor den Augen und mangelnde Sehschärfe. Während der Visus (Sehschärfe) bei der neurologischen Untersuchung nur geschätzt werden kann, wird der Augenhintergrund immer untersucht – auch dann, wenn subjektiv keine Sehstörung angegeben wird. Im Normalfall sieht man eine scharfe Begrenzung und eine rötlich-gelbe („vitale“) Färbung der Papille (s. ▶ Abb. 2.4a). Bei neurologischen Erkrankungen sind die häufigsten pathologischen Befunde ein Ödem oder eine Abblassung der Papille.

Eine Stauungspapille ist durch unscharfe Begrenzung, Prominenz und radiäre Blutungen charakterisiert ( ▶ Abb. 2.4b u. ▶ Abb. 2.4c). Der Visus ist ungestört; die Patienten nehmen gelegentlich kurz anhaltende Verdunkelungen am betroffenen Auge wahr. Eine Abblassung der Papille spricht für eine Optikusatrophie.

Wenn die Papille ödematös geschwollen und unscharf begrenzt ist, besteht der Verdacht auf eine Stauungspapille. Die Schwellung beginnt im nasalen Anteil der Papille, die Venen sind gestaut und geschlängelt. In diesem Stadium besteht keine Visusstörung; auch das Gesichtsfeld ist nicht beeinträchtigt. Gelegentlich schildern die Patienten kurz andauernde Obskurationen (Verdunkelungen) am betroffenen Auge oder Verschwommensehen. Bei anhaltendem intrakraniellem Druck wird die Papille im weiteren Verlauf erhaben und zeigt radiäre Blutungen; die Prominenz kann ophthalmoskopisch in Dioptrien gemessen werden ( ▶ Abb. 2.4b u. ▶ Abb. 2.4c). Ist es bereits zur Optikusatrophie gekommen, findet man eine Abblassung der Sehnervenpapille. Dann ist auch der Visus dauerhaft beeinträchtigt.

Ophthalmoskopischer Befund

Abb. 2.4a Normaler Augenhintergrund. Bei der Spiegelung des Fundus zeigt sich eine gleichmäßige rötliche Tönung, von der sich die Netzhautgefäße, die gelbliche, im Niveau der Retina liegende Sehnervenpapille und die querovale Area centralis (Makula) etwas dunkler rot abgrenzen lassen.b Papillenödem (beginnende Stauungspapille). Die Papille ist unscharf begrenzt. Es besteht eine Prominenz von 1,5 Dioptrien. Die Venen sind vermehrt geschlängelt.c Ausgeprägte Stauungspapille. Die Sehnervenpapille ist verwaschen und erhaben. Auffällig sind radiäre Blutungen und weiß-gelbliche Einlagerungen.

Bei einer Papillitis ist der Visus herabgesetzt. Die Papille ist unscharf begrenzt und mäßig prominent.

Im Gegensatz zur Stauungspapille ist bei einer Papillitis der Visus akut herabgesetzt. Der ophthalmoskopische Befund ähnelt dem einer Stauungspapille. Die Papille ist ophthalmoskopisch unscharf begrenzt, hyperämisch, gerötet und mäßig prominent. Die Entzündung spielt sich an der Papille bzw. im vorderen Anteil des Sehnervs ab.

Eine Retrobulbärneuritis geht mit Obskurationen, gestörtem Farbensehen und passagerem Visusverlust einher. Erst im Verlauf findet man objektivierbare Befunde. Zunächst gilt: Patient und Arzt sehen nichts.

Obskurationen und gestörtes Farbensehen bis zum weitgehenden Visusverlust sind Zeichen der Retrobulbärneuritis. Anfangs besteht kein objektivierbarer Befund („Patient und Arzt sehen nichts“). Oft ist die Visusstörung voll reversibel. Es kann jedoch eine Sehminderung bestehen bleiben. Man findet dann Skotome (Teilausfälle des Gesichtsfeldes) und eine temporale Abblassung (Atrophie) der Papille.

Veränderungen der Netzhautgefäße lassen auf eine Arteriosklerose oder arterielle Hypertonie (Fundus hypertonicus) schließen.

Lumeneinengungen der Netzhautgefäße weisen auf eine Arteriosklerose hin. Bei arterieller Hypertonie sind die Netzhautgefäße gestaut. Es findet sich ein Fundus hypertonicus: Hämorrhagien, diffuses Netzhautödem und Papillenödem sind Zeichen einer malignen Hypertonie und gehen mit einer Verschlechterung des Visus einher.

Bei Amaurose infolge Optikusläsion ist die Papille atrophisch und die Pupille lichtstarr (vgl. ▶ Abb. 2.6).

Bei Amaurose (Blindheit) infolge Optikusschädigung ist die Sehnervenpapille atrophisch und die Pupille lichtstarr (zur amaurotischen Pupillenstarre vgl. ▶ Abb. 2.6). Bei der seltenen beidseitigen kortikalen Blindheit sind der ophthalmoskopische Befund sowie die Pupillenreaktion regelrecht.

Ätiopathogenese: Hirndrucksteigerung führt zu einem Papillenödem bis hin zur Stauungspapille.

Ätiopathogenese: Die häufigsten Erkrankungen des Sehnervs sind Entzündungen oder primäre Degeneration. Daneben kann der Sehnerv aber auch Träger oder „Spiegel“ einer Hirnerkrankung oder systemischen Erkrankung sein.

Eine intrakranielle Drucksteigerung führt durch den gesteigerten Liquordruck, der sich über den Subarachnoidalraum in die perineuralen Optikusscheiden ausdehnt, zum Papillenödem. Die Stauungspapille entwickelt sich allmählich bei Hirndruck. Eine fehlende Stauungspapille schließt eine intrakranielle Drucksteigerung jedoch nicht aus (vgl. S.  ▶ Link).

Eine Papillitis findet sich bei Infektions- und immunologischen Erkrankungen. Eine Retrobulbärneuritis ist oft Erstsymptom einer Multiplen Sklerose (S.  ▶ Link).

Eine Papillitiskann Ausdruck einer primären Sehnerventzündung sein, findet sich aber auch als Begleitsymptom bei zahlreichen Infektionskrankheiten sowie einigen immunologischen Erkrankungen. Eine Retrobulbärneuritisist häufigstes Erstsymptom einer Multiplen Sklerose (S.  ▶ Link).

Der ophthalmoskopisch sichtbaren Papillenabblassung bei Optikusatrophie liegt eine neuronale Degeneration des N. opticus zugrunde. Einer primären Optikusatrophie können metabolische, toxische und genetische Ursachen zugrunde liegen.

Der ophthalmoskopisch sichtbaren Papillenabblassung bei Optikusatrophie liegt eine neuronale Degeneration des N. opticus zugrunde. Eine Stauungspapille oder Optikusneuritis kann in eine Atrophie des Sehnervs übergehen. Bei direkter Kompression des Fasciculus opticus kommt es primär zur Optikusatrophie mit Visusverlust. Ein von F. Kennedy (1911) beschriebenes Syndrom mit primärer Optikusatrophie und kontralateraler Stauungspapille (Foster-Kennedy-Syndrom) wird bei Tumoren der vorderen Schädelgrube (Keilbeinmeningeom u. a.) beobachtet. Neben ophthalmologischen Erkrankungen (Glaukom u. a.) können zahlreiche neurologische Störungen mit einer Optikusatrophie einhergehen (funikuläre Myelose, Leber-Optikusatrophie, Leukodystrophien, Heredoataxien, toxische Schädigungen des N. opticus).

Bei der Amaurosis fugax handelt es sich um eine transitorische Ischämie der Retina mit flüchtigem einseitigem Visusverlust; sie kann der Vorbote einer zerebralen Ischämie sein.

Eine transitorische Ischämie der Retina hat eine flüchtige, Minuten bis einige Stunden anhaltende einseitige Blindheit zur Folge. Diese Amaurosis fugax kann der Vorbote einer zerebralen Ischämie sein (S.  ▶ Link). Die Retina wird von der A. ophthalmica, die von der A. carotis interna abgeht, versorgt. Eine Amaurosis fugax muss demnach immer zur Suche nach einer Emboliequelle, insbesondere einer Stenose der A. carotis interna oder communis, veranlassen (S. ▶ Link).

Bei der anterioren ischämischen Optikusneuropathie (AION) hält die akut einsetzende Erblindung meist an; anfangs besteht ein Papillenödem.

Auch bei der anterioren ischämischen Optikusneuropathie (AION) handelt es sich um eine retinale Durchblutungsstörung. Im Gegensatz zur Amaurosis fugax ist die Sehstörung anhaltend und man findet anfangs ein Papillenödem.

2.3.2.2 Gesichtsfelddefekte

Definition

Das Gesichtsfeld umfasst den mit beiden Augen (ohne Hilfe von Blick- oder Kopfbewegung) wahrgenommenen Raum. Zentrale Gesichtsfelddefekte (bzw. -ausfälle) betreffen die Hälfte oder einen Quadranten des Gesichtsfeldes (Hemi- oder Quadrantenanopsie), seltener sind sie fleck- oder ringförmig (Skotome). Häufigste neurologische Ursachen sind Ischämien oder raumfordernde Prozesse im Verlauf der Sehstrahlung.

Neuroanatomische Grundlagen: Die Neurone der nasalen Retinahälften kreuzen im Chiasma opticum. Entsprechend verlaufen die Axone der temporalen Retinahälfte mit den Neuronen der nasalen Retinahälfte des kontralateralen Auges gemeinsam im Tractus opticus. Sie werden im Corpus geniculatum laterale umgeschaltet, fächern sich in der Gratiolet-Sehstrahlung auf und münden in der Sehrinde (Area striata). Die linke Hälfte des Gesichtsfeldes wird in der rechtsseitigen Sehrinde wahrgenommen, und zwar der obere Quadrant im unteren Gyrus calcarinus und der untere Quadrant im oberen Gyrus calcarinus ( ▶ Abb. 2.5).

Neuroanatomische Grundlagen: Die Neurone der beiden Netzhauthälften trennen sich im Chiasma opticum: Die Axone der nasalen Retinahälfte kreuzen, die der temporalen Hälfte verlaufen homolateral. Der Tractus opticus, der die Neurone der nasalen Retinahälfte des kontralateralen und die der temporalen Retinahälfte des homolateralen Auges führt, endet im Corpus geniculatum laterale, wo die Umschaltung auf das 4. Neuron erfolgt (Neuron 1 = Photorezeptoren, Neuron 2 = Bipolarzellen, Neuron 3 = Ganglienzellen des N. opticus bzw. Tractus opticus). Die Axone durchziehen den hinteren Anteil der Capsula interna und fächern sich in der Gratiolet-Sehstrahlung auf ( ▶ Abb. 2.5), d. h., die Fasern der oberen Netzhauthälfte verlaufen lateral entlang dem Hinterhorn des Seitenventrikels und münden in den oberen Gyrus calcarinus, die Fasern der unteren Netzhauthälfte bilden eine Schleife durch den vorderen Temporalpol (Meyer-Schleife) zum unteren Gyrus calcarinus. Die Sehrinde (Area striata) erhält die Afferenzen in retinotoper Anordnung: Die von der Fovea centralis, der Stelle des schärfsten Sehens, und ihrer unmittelbar benachbarten Zone, der Macula lutea, stammenden Neurone münden in den posterioren Anteil der Sehrinde, den Cuneus. Stimuli in der linken Hälfte des Gesichtsfeldes werden über die nasale Retinahälfte des linken Auges und die temporale Retinahälfte des rechten Auges in der rechtsseitigen Sehrinde wahrgenommen (analog die rechte Hälfte des Gesichtsfeldes in der linksseitigen Sehrinde); und zwar der untere Gesichtsfeldquadrant im oberen Gyrus calcarinus, der obere Quadrant im unteren Gyrus calcarinus ( ▶ Abb. 2.5).

Anatomie der Sehbahn und Gesichtsfelddefekte

Abb. 2.5 Verlauf der Sehbahn (Aufsicht) und Projektion der jeweiligen Gesichtsfeldhälften. Je nach Läsionsort im Verlauf der Sehbahn sind unterschiedliche Ausfälle zu erwarten.

Untersuchung: Mit der fingerperimetrischen Untersuchung werden die Gesichtsfeldgrenzen bestimmt. Nimmt der Patient die Fingerbewegung in einer Gesichtsfeldhälfte bzw. einem Gesichtsfeldquadranten nicht wahr, liegt eine homonyme Hemi- bzw. Quadrantenanopsie vor. Als standardisierte apparative Untersuchungsmethode dient die Perimetrie.

Untersuchung: Bei der neurologischen Untersuchung werden die Gesichtsfeldgrenzen fingerperimetrisch bestimmt. Man steht dem Patienten im Abstand von etwa 1 m gegenüber, sodass sich die Gesichtsfelder von Patient und Untersucher decken, lässt den Patienten die Nasenwurzel des Untersuchers fixieren und bewegt abwechselnd die linke und rechte Hand bei seitwärts ausgestreckten Armen in mehreren Positionen für jeden Quadranten. Werden die Fingerbewegungen auf einer Seite nicht wahrgenommen, so liegt auf der entsprechenden Seite ein Gesichtsfelddefekt, eine homonyme Hemi- bzw. Quadrantenanopsie vor. Werden bei beidseitiger Fingerbewegung die Bewegungen auf einer Seite nicht wahrgenommen, obwohl dies bei einseitiger Bewegung dort gelingt, spricht man von einem visuellen Extinktionsphänomen. Als genauere quantitative Untersuchungsmethoden, bei der das Gesichtsfeld eines Auges getrennt bestimmt wird, dienen z. B. die an einer Hohlkugel (Goldmann-Perimeter) durchgeführte kinetische Perimetrie und die statische Perimetrie mit stationären Lichtreizen. Mit diesen Verfahren gelingt auch der Nachweis umschriebener Gesichtsfelddefekte (Skotome) und eine Vergrößerung des blinden Flecks.

Dem Patienten fällt der Gesichtsfelddefekt oft selbst nicht auf (Anosognosie). Trotz Aufklärung über die Hemianopsie kann eine vollständige Unaufmerksamkeit für die eine Hälfte des Raums und meist auch des Körpers bestehen bleiben: visueller Hemineglekt (S.  ▶ Link).

Der Kranke bemerkt die Hemianopsie oft nicht spontan. Selbst wenn die Untersuchung den Gesichtsfeldausfall aufdeckt, negieren manche Patienten die Störung und verhalten sich so, als bestehe sie nicht (Anosognosie, S. ▶ Link). Sie ziehen sich u. U. Verletzungen der gleichseitigen Körperhälfte zu. Während die Anosognosie meist nach einigen Wochen schwindet, kann besonders bei einer Hemianopsie nach links ein visueller Hemineglekt(vgl. S.  ▶ Link) mit Unaufmerksamkeit für eine Hälfte des Raums und meist auch des Körpers bestehen bleiben. Der Kranke versucht nicht, sich die fehlende Gesichtsfeldhälfte z. B. durch Blick- oder Kopfbewegungen zu erschließen; sie ist für ihn nicht existent.

Ätiopathogenese: Zur Topik der Gesichtsfelddefekte siehe ▶ Abb. 2.5. Häufigste Ursachen sind ein Hirntumor oder eine zerebrale Ischämie. A.-cerebri-media-Infarkte gehen häufig, A.-cerebri-posterior-Infarkte regelmäßig mit Gesichtsfelddefekten einher. Aufgrund von Gefäßanastomosen im Bereich des Cuneus und der bilateralen Repräsentation der Fovea bleibt der Bereich des zentralen Sehens meist vom Gesichtsfelddefekt ausgespart und damit der Visus intakt. Zur kortikalen Erblindung kommt es bei bilateralem A.-cerebri-posterior-Infarkt.

Ätiopathogenese: Zur Topik der Gesichtsfelddefekte und deren häufigsten Ursachen siehe ▶ Abb. 2.5. Eine Läsion im Bereich von Fasciculus und Chiasma opticum oder Tractus opticus ist häufiger durch einen intra- bzw. retroorbitalen Tumor bedingt, eine Läsion der Sehstrahlung meist durch eine zerebrale Ischämie. Ischämien im Versorgungsbereich der A. chorioidea anterior oder posterior, die den Tractus opticus bzw. das Corpus geniculatum laterale versorgen, sind selten. Der häufige A.-cerebri-media-Infarkt geht oft mit einer homonymen Hemianopsie zur Gegenseite einher (Läsion der Sehstrahlung im hinteren Anteil der inneren Kapsel). Infarkte im Versorgungsbereich der A. cerebri posterior, die den größten Teil der Radiatio optica und der Sehrinde versorgt, haben regelmäßig einen Gesichtsfeldausfall zur Folge. Das zentrale Gesichtsfeld (bis zu 10 Grad) bleibt bei einer Hemianopsie meist ausgespart (makulare Aussparung). Der Cuneus ist aufgrund arterieller Anastomosen terminaler Äste der A. cerebri posterior, A. cerebri media und z. T. auch der A. pericallosa (aus der A. cerebri anterior) gegen Minderperfusion geschützt. Darüber hinaus ist der Bereich der Fovea retinae bilateral repräsentiert, da sich ihre Neurone im Chiasma opticum nicht streng teilen. Daher bleibt der Visus intakt. Ist der makulare Bereich aber betroffen, sind komplexe Leistungen wie Lesen kaum mehr möglich. Zur kortikalen Erblindung kommt es bei bilateralem A.-cerebri-posterior-Infarkt.

Vor allem bei ischämisch bedingten Gesichtsfeldausfällen kann es vorübergehend zu visuellen Pseudohalluzinationen im hemianopen Gesichtsfeld kommen.

Während der Aus- oder Rückbildung einer Hemianopsie – meist aufgrund einer Reperfusion im Grenzbereich einer Ischämie – kann der Kranke vorübergehend visuelle Pseudohalluzinationen im hemianopen Gesichtsfeld wahrnehmen, die er in der Regel als unwirklich einordnet. Es kommen sowohl Photopsien (leuchtende Phänomene) als auch komplexe Halluzinationen (Objekte, Personen, szenische Abläufe) vor. Ursache sind spontane Entladungen noch intakter Neurone.

2.3.2.3 Pupillenstörungen

Definition

Die normalerweise gleich- und mittelweiten, runden Pupillen können ein- oder beidseitig verengt (miotisch) oder erweitert (mydriatisch) und entrundet sein. Ungleich weite Pupillen (Anisokorie) deuten auf eine einseitige Schädigungsursache hin. Die Reaktion der Pupillen auf Lichteinfall (Pupillenreflex) und Naheinstellung (Konvergenzreaktion) ist entweder isoliert oder kombiniert beeinträchtigt.

Neuroanatomische Grundlagen: Die Pupillengröße wird durch die Helligkeit des einfallenden Lichts (Afferenz) und die Reaktion der parasympathisch und sympathisch innervierten inneren Augenmuskeln (Efferenz) sowie vom vegetativen Zustand bestimmt (parasympathische Einflüsse → eng, sympathische Einflüsse → weit).

Neuroanatomische Grundlagen: Die Pupillengröße wird durch die Helligkeit des einfallenden Lichts (Afferenz) und die Reaktion der parasympathisch und sympathisch innervierten inneren Augenmuskeln (Efferenz) bestimmt. Die Pupillengröße wird aber auch vom vegetativen Zustand beeinflusst. Ein Überwiegen parasympathischer Einflüsse (z. B. Ruhe, Entspannung, Schlaf) führt zu engen Pupillen. Bei sympathischer Stimulation (bei Angst und Schreck oder als „Sympathiebeweis“ bei einem Gefühl der Zuneigung oder freudiger Erregung) kommt es zur Erweiterung der Pupillen.

Lichteinfall, Naheinstellung und parasympathische Stimulation haben eine Miosis zur Folge. Sympathikusreizung führt zur Mydriasis.

Afferente visuelle Impulse gelangen von der Retina über den Tractus opticus zum Westphal-Edinger-Kern im Mittelhirn beiderseits (Kreuzung zur Gegenseite über die Commissura posterior, s. ▶ Abb. 2.3 u. ▶ Abb. 2.2). Von dort ziehen parasympathische Neurone über den III. Hirnnerv zum Ganglion ciliare (Umschaltung auf das 2. parasympathische Neuron) und innervieren den M. sphincter pupillae (Miosis) und den M. ciliaris (Akkommodation