Duell der Herzen - Barbara Cartland - E-Book

Duell der Herzen E-Book

Barbara Cartland

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Beschreibung

Rodney Hawkhurst, der mit Sir Francis Drake gesegelt war, sehnt sich nach seiner eigenen Galeone, mit der er die Spanischen Seefahrer im Namen Königin Elizabeths plündern kann. Als er von Sir Harry Gillingham darum bittet, in sein Vorhaben zu investieren, trifft er dessen jungenhafte Tochter, deren rotblonde Schönheit und grüne Augen von Anfang an bezaubern. Doch ihre elegante ältere Schwester mit der goldenen Haarpracht hat es seinem Herzen schließlich angetan...Sir Harry bewilligt ihm seinen Zuschuss unter der Bedingung, dass sein schwächlicher Sohn ihn auf seiner Reise begleiten soll und hofft, dass er dort zum Mann heranreift. Also bricht Rodney auf eine Reise zur Ehre und Glorie Englands auf, auf der er großen Reichtum gewinnt und sein Herz verliert...

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Erstes Kapitel

Die Straße war staubig und vom Schnee des vergangenen Winters tief ausgefahren. Das Pferd mußte behutsam seinen Weg suchen, aber sein Reiter hob das Gesicht zu den grünen Knospen der Bäume empor, die über die Straße hingen, und atmete tief ein, als er in einen Wald kam, der von Hyazinthenblüten wie mit einem Teppich bedeckt war.

Rodney Hawkhurst hatte die Schönheit des englischen Frühlings vergessen gehabt. Nachdem er viele Monate auf See verbracht hatte, war nun der Frühling atemberaubend. Er weckte in ihm ein sentimentales und gleichzeitig erregendes Gefühl, so wie vor Jahren, als er sein abenteuerliches Leben begonnen hatte. Jetzt mit neunundzwanzig Jahren hielt er sich für alt und abgestumpft, aber er stellte fest, daß der Frühling seine Gefühle ebenso leicht wecken konnte, wie es eine Frau getan hätte.

Er nahm seinen Federhut vom Kopf und spürte den Wind auf der Stirn. Er war zügig und rasch geritten und hatte seine Diener und die Packpferde mit seinem Gepäck weit hinter sich gelassen.

Er hatte das Bedürfnis gehabt, allein zu sein. Er wollte nachdenken und sich überlegen, was er sagen würde, wenn er in Camfield Place eintraf. Er hatte in Whitehall viele einander widersprechende Berichte über Sir Harry Gillingham gehört, aber die meisten waren ermutigend gewesen. Sir Harry war reich und großzügig, und es gab keinen Grund, daran zu zweifeln, daß er, wenn man ihm nur in der richtigen Art und Weise einen Vorschlag machte, zustimmen würde.

Es bedeutete viel für Rodney - mehr, als er vor sich selbst zuzugeben wagte; denn wenn Sir Harry ablehnte, an wen konnte er sich dann um Hilfe wenden? Als er an einen möglichen Mißerfolg dachte, verhärteten sich seine Lippen.

Mißerfolge kannte er nicht, und er hatte nicht vor, jetzt einen zu erleben. Er mußte Erfolg haben, natürlich mußte er Erfolg haben, nicht nur in dieser Hinsicht.

In Gedanken vertieft, hatte er ein hohes, imposantes Eisentor erreicht. Er war angekommen. Hier würde sich sein Schicksal entscheiden, und hier begann der Weg zu seinem Ziel - Gold!

Das Tor stand offen, und er ritt hindurch. Die Einfahrt war von großen Bäumen und einer Fülle blühender Fliederbüsche gesäumt, deren schwere hell- und dunkelviolette Blüten die Luft mit ihrem Duft füllten und den Reisenden seine Anspannung vergessen ließen.

Goldregenbüsche glichen Springbrunnen aus Gold, und die Kastanienblüten standen rosa und weiß auf den Zweigen wie Weihnachtskerzen. Ein früher Kuckuck rief aus den dunklen Zweigen der Zedern, und vor ihm schimmerte der Rasen wie grüner Samt.

Es war Frühling, und seine Schönheit stimmte Rodney beschwingt. Er fühlte sich wohl.

Und dann, als sein Pferd ihn langsam vorwärtstrug, schwirrte etwas durch die Luft, traf seinen Hut und riß ihn vom Kopf.

Rodney drehte sich erschrocken um, jedoch mit jener Wachsamkeit, die Männern eigen ist, die viele Jahre in Gefahr gelebt hatten. Er blickte nicht dorthin, wo sein Hut von einem Pfeil durchbohrt zu Boden gefallen, sondern in die Richtung, aus der dieser gekommen war. In den Fliederbüschen bewegte sich jemand.

Mit einer Schnelligkeit, die für einen athletischen, trainierten Körper sprach, sprang Rodney Hawkhurst vom Pferd und war mit drei Schritten bei den Büschen. Er sprang hinein und packte jemanden, der sich dort versteckt hielt.

Er hatte nicht erwartet, daß seine großen, kräftigen Hände eine weiche, weiße Schulter packen würden. Aber ehe er Zeit zum Überlegen fand, hatte er ihren Besitzer auf den Rasen herausgezogen, der die Einfahrt säumte.

Da erst sah er, daß er eine Frau gefaßt hatte, oder eher ein Mädchen. Sie wand sich in seinem Griff, und einen Augenblick brauchte er seine ganze Kraft, um sie festzuhalten. Als er seinen Griff verstärkte, hielt sie plötzlich still.

»Laßt mich los!«

Sie blickte zu ihm auf und warf dabei ihre rotgoldenen Haare zurück, die ihr ovales Gesicht lose einrahmten. Ihre Augen waren merkwürdig grün und ihre geschwungenen Augenbrauen zornig zusammengezogen.

»Hast du den Pfeil auf mich abgeschossen?« fragte Rodney.

Ihre Lippen schmollten einen Augenblick, doch dann lächelte sie plötzlich.

»Es war nur ein Scherz.«

Ihr Lächeln war unwiderstehlich, und Rodney stellte fest, daß er zurücklächelte. Sie war ein reizendes, aufgewecktes Kind, und er vermutete, daß sie die Tochter eines Dienstboten war, denn sie trug eine weiße Schürze, und auch ihr offenes Haar sagte ihm, daß sie aus einfachen Kreisen stammte. Aber sie war hübsch. Ihre Brüste waren rund unter dem engen Gewand. Auf See konnte man von schönen Frauen nur träumen und dadurch die Einsamkeit der langen Nächte etwas lindern, wenn die Arme sich danach sehnten, etwas Warmes und Weiches zu umfassen.

»Wenn es ein Scherz war«, sagte Rodney ernst, »dann war es ein teurer Scherz, denn du hast meinen Hut verdorben. Ich habe ihn erst vor einer Woche in Cheapside gekauft.«

»Ich kann ihn Euch wieder nähen«, schlug das Mädchen vor.

Ihr Blick war nicht entschuldigend, und auf ihrem Mund lag immer noch ein schelmisches Lächeln, das nun merkwürdig aufregend wirkte.

»Beim Himmel, Ihr werdet dafür bezahlen«, sagte Rodney.

»Bezahlen?« Sie wiederholte das Wort überrascht, als seine Arme sie umfaßten und er sie an sich zog.

Sie hatte keinen Kuß erwartet, und seine Lippen fanden die ihren unvorbereitet. Einen langen Augenblick regte sie sich nicht in seinen Armen. Ihr Mund war süß und sehr weich. Er spürte den Schlag ihres Herzens an dem seinen, und dann befreite sie sich plötzlich mit einem kleinen Aufschrei und einer Heftigkeit, die ihn überraschte, aus seinen Armen.

Ehe er erkannte, was sie vorhatte, floh sie durch das dichte Fliedergebüsch.

Er wußte, daß er ihr nicht folgen konnte und daß dies auch unwürdig gewesen wäre. Lächelnd kehrte er zur Einfahrt zurück, hob seinen Hut vom Boden auf und zog den spitzen Pfeil heraus.

Einen Augenblick hielt er ihn in der Hand und war unentschlossen, ob er den Pfeil behalten oder wegwerfen sollte. Aber dann warf er ihn ins Gras, stieg aufs Pferd und setzte seinen Ritt die Einfahrt hinauf fort.

Der Zwischenfall war überraschend und amüsant gewesen. Wenn Sir Harrys Tochter ebenso attraktiv war wie das rothaarige Mädchen, das er eben geküßt hatte, würde er seinen Entschluß, den er gefaßt hatte, ehe er London verließ, nicht bereuen. Es war sein Pate gewesen, der ihm den Gedanken an eine Heirat in den Kopf gesetzt hatte.

»Ich kenne Harry Gillingham seit seiner Kindheit«, hatte er gesagt. »Er kann so großzügig sein, wie er reich ist, aber er erwartet einen Gegenwert für sein Geld, und soviel ich weiß, hat er ihn immer bekommen. Wenn du willst, daß er dich finanziert, wirst du ihm etwas bieten müssen.«

»Er wird eine gute Dividende erhalten«, hatte Rodney erwidert.

Der Staatssekretär der Königin, Sir Francis Walsingham, hatte gelächelt.

»Wir wollen hoffen, daß du uns die viertausendsiebenhundert Prozent bieten kannst, die Drake nach seiner Reise um die Welt bezahlte.«

»Das ist nicht mehr so leicht, wie es einmal war«, gab Rodney zu. »Die Spanier sind wachsam geworden, die Goldschiffe werden jetzt bewacht. Aber wenn ich erst einmal ein Schiff besitze, werde ich ebenso viel Beute nach Hause bringen wie Drake. Ich bin diese letzten zehn Jahre mit ihm zusammen gesegelt und habe dabei viel gelernt.«

»Ich würde dir selbst das ganze Geld vorschießen, wenn ich es hätte«, sagte Sir Francis mit bekümmerter Miene. »Das letzte Abenteuer, in das ich investiert habe, brachte mir zehntausend Pfund ein, aber im Moment kann ich nicht mehr als zweitausend erübrigen. Aber die kannst du mit meinem Segen haben und mit einem Empfehlungsschreiben an Harry Gillingham und der Bitte, dir den Rest zur Verfügung zu stellen.«

»Was wird er von mir erwarten?« fragte Rodney.

»Harry hat eine Tochter im heiratsfähigen Alter«, sagte sein Pate lächelnd. »Es gehen Gerüchte um, daß er sie nicht nach London bringt, weil seine neue Frau eifersüchtig auf sie ist. Versuche dort dein Glück, mein Junge. Ein Mann mit einer jungen Frau ist immer darauf aus, Verwicklungen und Schwierigkeiten im Familienleben loszuwerden.«

Rodney Hawkhurst war von der Idee angetan. Die meisten Männer wünschen sich ein Heim, wenn sie von der Seefahrt zurückkehren. Die langen, ermüdenden Monate, die eine Frau einsam und sorgenvoll warten muß, wenn ihr Mann auf See ist, kümmern sie nicht. Sie denken nur an den Frieden und die Behaglichkeit, wenn sie selbst nach Hause kommen.

»Außerdem habe ich selbst vor, mich zur Ruhe zu setzen, wenn ich reich genug bin«, sagte Rodney.

Er war klug genug, um zu wissen, daß das Leben eines Korsaren eine unsichere Existenz ist, und wenn das Glück einen auch viele Jahre begünstigt, früher oder später konnte es einen doch im Stich lassen.

Er war so weitsichtig, nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die Zukunft zu planen. Wie Drake wollte er ein Haus erwerben. Wie Drake wollte er sich eine Frau nehmen, aber anders als dieser unerschrockene Seemann würde er sich auf seinem Besitztum niederlassen und ein fürsorglicher Gatte und treusorgender Vater sein, sobald er reich war.

Nach einer Wegebiegung sah Rodney ein großes, rotes Backsteingebäude, das im nachmittäglichen Sonnenschein leuchtete. Es war ein Haus mit vielen Giebeln und einem weitausschwingenden Erker. Die Fenster hatten Mittelpfosten, und jede ihrer Butzenscheiben funkelte irisierend wie ein Juwel.

Vor dem Haus waren gepflegte Blumenbeete angelegt, Rosmarin, Lavendel, Majoran und Thymian, und die dunklen Eibenhecken waren kunstvoll geschnitten.

Jemand mußte Rodney gesehen haben, denn als er sich dem Haupteingang näherte, kamen Dienstboten herausgeeilt, halfen ihm beim Absteigen und übernahmen das Pferd. Noch ehe er das Haus betreten konnte, kam Sir Harry heraus und hieß ihn willkommen.

Sir Harry war ein großer, stattlicher Mann, der seine Ähnlichkeit mit König Heinrich VIII nicht nur durch sein Äußeres kultivierte, sondern auch durch sein Privatleben.

Er führte Rodney durch die mit Binsen bestreute Halle in die große Kammer und stellte ihn seiner Lady vor.

»Das ist meine Frau, Master Hawkhurst«, sagte er strahlend. »Es ist übrigens meine dritte, und wer weiß, wie viele ich noch haben werde, ehe ich sterbe.«

Das war ein Scherz, den er schon oft gemacht haben mußte, denn während sich Sir Harry vor Lachen schüttelte, zeigte Lady Gillingham nicht einmal mit einem Wimpernzucken, daß sie ihm zugehört hatte. Sie war dunkelhaarig und hübsch, wie Rodney bemerkte, und konnte nicht älter als einundzwanzig Jahre sein. Sie blickte unter schweren Lidern zu ihm auf, und ihm schien, als ob ihre Hand ein wenig länger als notwendig in der seinen ruhte.

Im Ausdruck ihrer Augen und in der fast unmerklichen Bewegung ihrer Lippen lag etwas, das ihm vertraut war. Er hatte diesen Blick und diesen Ausdruck im Gesicht einer Frau schon mehr als einmal gesehen.

Er drehte sich um und bemerkte, daß Sir Harry nahe der Sechzig sein mußte und daß diejenigen in Whitehall, die ihn einen alten Schwerenöter nannten, sich nicht irrten.

»Ein Glas Charneco, mein Junge?« fragte Sir Harry. »Hattet Ihr einen angenehmen Ritt von London hierher? War es ermüdend?«

»Nicht im geringsten, Sir«, sagte Rodney und nahm einen Becher mit dunklem Rotwein, den ihm ein Diener aus einem venezianischen Glaskrug einschenkte.

»Mein Pferd war frisch, und ich ritt rasch. Ich fürchte, meine Diener sind mit meinem Gepäck weit zurückgeblieben.«

»Sie werden schon kommen«, sagte Sir Harry. »Meine Frau hat alles für Euch vorbereitet, nicht wahr, Catherine, meine Liebe?«

»Natürlich«, antwortete Lady Gillingham mit einer Stimme, die wie eine wohlgenährte Katze schnurrte. »Wir hoffen, es Master Hawkhurst so angenehm wie möglich zu machen, obwohl er nach seinen aufregenden Abenteuern mit Sir Francis Drake uns Landleute wahrscheinlich langweilig und eintönig findet.«

»Ganz im Gegenteil, Mistress«, antwortete Rodney. »Es ist eine Freude, wieder an Land zu sein, zumal in dieser Jahreszeit. Ich hatte ganz vergessen, wie schön England - und alles, was man hier sieht - sein kann.«

Während er sprach, sah er Catherine Gillingham herausfordernd an. Sie bemerkte die Zweideutigkeit, wie er es beabsichtigt hatte, und schlug die Augen nieder. Rodney wußte nur zu gut, was sie von ihm wollte. Eine junge Frau mit einem alten Mann, die Geschichte war zu banal und zu abgedroschen, und doch sagte ihm sein Instinkt, daß er vorsichtig sein mußte. Er mußte Lady Gillingham für sich gewinnen, damit sie Sir Harry nicht gegen ihn beeinflußte, durfte dabei aber nicht Sir Harrys Eifersucht wecken.

Das würde nicht einfach sein, dachte er. Da öffnete sich am Ende der großen Kammer die Tür, und ein Mädchen trat herein. Rodney hielt den Atem an, als er sie sah. Dies war die Frau, von der er sein ganzes Leben lang geträumt hatte, die Frau, die in jenem legendären Haus auf seinem Besitztum auf ihn warten würde, wenn er reich war.

Sir Harry eilte auf sie zu.

»Da bist du ja, Phillida, meine Liebe«, sagte er. »Das ist Master Rodney Hawkhurst, den wir erwartet haben.«

In der Art, wie Sir Harry ihm seine Tochter zuführte, und in seiner Miene, die plötzlich berechnend wurde, lag etwas, das Rodney sagte, daß Sir Harry wußte, was für ein Angebot er ihm machen würde. Sein Pate mußte in seinem Empfehlungsschreiben etwas darüber erwähnt haben, dachte Rodney.

Aber als er Phillida ansah, schien alles, weswegen er gekommen war, und alles, was er geplant hatte, plötzlich unwichtig zu sein. Sie war schön, schöner, als er es sich vorgestellt, oder erwartet hatte. Ihre Haut war milchweiß, und ihr Haar lag wie flüssiges Gold unter einer Kappe aus Perlen. Sie war für eine Frau groß, aber sie war schlank und ihre Figur makellos. Sie trug ein enganliegendes, gelb geblümtes Seidenkleid. Die Ärmel lagen eng um ihre Handgelenke und ein Spitzenkragen rahmte ihren Hals ein.

Ihre Augen hatten die schimmernde Farbe eines Drosseleis, ihre Nase war gerade, und sie zog die Lippen ein wenig nach unten, als wäre sie schüchtern oder ängstlich.

Rodney ergriff begierig ihre Hand, aber dann fühlte er sich abgewiesen, denn ihre Finger lagen kalt und steif in den seinen und antworteten seinem Händedruck nicht. Sie schienen ihn sogar wegzustoßen. Aber trotzdem spielte von diesem Augenblick an nichts anderes eine Rolle als ihr Anblick.

Seine Augen wollten ihr alles das sagen, was seine Lippen nicht durften, daß er sie in seine Arme nehmen wollte, daß er ihren Liebreiz spüren, ihren Mund finden und sie mit seiner Leidenschaft gefangen halten wollte.

Er spürte bei dem Gedanken daran ein Feuer in sich aufsteigen, das Blut in seinen Adern pochte, und er empfand die Unruhe eines Jägers, der die Beute sieht.

»Ich liebe dich«, sagten ihr seine Augen. »Ich liebe dich. Du bist mein, du darfst mir nicht entrinnen.«

Aber dann sprach er sehr förmlich, auch wenn in seiner Stimme nun eine Tiefe und ein Wohlklang lag, der vorher nicht dagewesen war.

Phillida sagte sehr wenig, und wenn sie sprach, dann nur mit niedergeschlagenen Augen. Während Sir Harry redete, bemühte sich Lady Gillingham, Rodneys Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

Rodney wußte nicht, wie lange sie sich in der großen Kammer mit der stuckverzierten Decke und dem großen, farbigen Marmorkamin aufgehalten hatten. Seine Gedanken waren von Phillidas Schönheit verwirrt, und als Sir Harry ihn endlich beiseite nahm und in ein benachbartes Zimmer führte, wo sie ungestört miteinander sprechen konnten, bat Rodney nicht um das Gold, um dessentwillen er aus London gekommen war, sondern um Phillidas Hand.

»Ich dachte, Ihr würdet mein Haus aus einem anderen Grund mit Eurem Besuch beehren«, sagte Sir Harry augenzwinkernd.

»Das ist wahr, Sir. Ich glaube, mein Pate hat schon angedeutet, weshalb ich Euch vorgestellt werden wollte.«

»Ihr wollt ein Schiff kaufen, habe ich gehört.«

»Ja, Sir. Sir Francis leiht mir zweitausend Pfund, ich selbst habe auch zweitausend, aber ich brauche noch weitere zweitausend.«

»Und Eure Pläne?«

»Ich möchte das tun, was ich auch mit Sir Francis Drake auf unseren Reisen um die Welt getan habe, die Schätze Spaniens zum Ruhme Englands und zum Schaden unserer Feinde nach Hause bringen.«

»Ihr hofft, eine zweite San Felipe zu finden«, sagte Sir Harry lächelnd.

»Ja, die Beute wurde auf hundertvierzehntausend Pfund Sterling geschätzt, Sir.«

»Und Ihr wollt ebenso erfolgreich sein?«

»Wenn ich nur ein Viertel davon heimbringe, Sir, werden die Anteilseigner sich nicht zu beklagen haben.«

»Bei Gott, nein! Und Ihr glaubt, Ihr habt genug Erfahrung für das Kommando?«

»Ich bin sicher, Sir. Zwei Jahre lang diente ich auf den Schiffen der Königin. Ich kaufte mich frei, um mit Drake auf der Golden Hind zu segeln. Letztes Jahr war ich auf seinem Schiff, als er die San Felipe kaperte. Jetzt möchte ich auf eigene Faust segeln. Ich möchte ein Vermögen machen, und das so rasch wie möglich.«

»Aber Ihr habt genügend Zeit, Ihr seid jung!«

Rodney zögerte einen Augenblick, dann sagte er: »Ich glaube, daß der Erfolg in Zukunft nicht mehr so leicht zu erringen sein wird. Wenn der König von Spanien seine Armada gegen uns ausschickt, befinden wir uns im Krieg, und Krieg führt niemals zu großen Gewinnen oder großen Schätzen.«

»Ja, ich verstehe Euren Standpunkt. Aber glaubt man in Whitehall wirklich, daß die Armada kommt?« fragte Sir Harry.

»Nach dem, was ich gehört habe, Sir, besteht kein Zweifel daran, daß die Spanier eine Invasion planen. Jeder ist davon überzeugt, daß sie früher oder später angreifen werden.«

»Ihr könntet wahrhaftig recht haben«, sagte Sir Harry, »und doch bin ich persönlich optimistisch und hoffe, daß die Diplomatie unserer Königin es verhindern kann.«

Rodney antwortete nicht. Er war überzeugt, daß Elizabeths verzweifelte Friedensbemühungen völlig nutzlos waren. Spanien wollte den Krieg, und England mußte dies erkennen und sich darauf vorbereiten.

»Wenn ich Euch dieses Geld gebe«, sagte Sir Harry, »und wohlgemerkt, ich habe mich noch nicht entschlossen, ob ich es tun werde oder nicht, wie bald könntet Ihr in See stechen?«

»In weniger als einem Monat, Sir. Das Schiff, das ich kaufen möchte, gehört einigen Londoner Händlern. Sie verkaufen es für fünftausend Pfund. Aber ich brauche weitere tausend Pfund für Proviant und Waffen.«

»Aha.« Sir Harry kratzte sich das Kinn. »Ihr spracht vom Heiraten. Wollt Ihr heiraten, bevor Ihr absegelt?«

»Nein, Sir«, antwortete Rodney, »ich habe vor, von dieser Reise reich zurückzukehren. Von meinem Anteil möchte ich ein Besitztum kaufen, und dann brauche ich eine Frau, die es mit mir teilt.«

»Beim heiligen Georg! Ihr seid ein entschlossener junger Mann. Ihr habt Euer Leben genau geplant. Aber angenommen, Ihr werdet getötet?«

»In diesem Fall, Sir, möchte ich lieber keine Witwe zurücklassen.«

Sir Harry lachte.

»Das ist genau das, was auch ich immer gedacht habe, und deshalb bin ich zweimal Witwer geworden. Phillida ist das Kind aus meiner ersten Ehe. Ihre Mutter starb ein Jahr nach ihrer Geburt im Kindbett. Sie war ein reizendes Wesen; aber vielleicht war sie zu jung, als ich sie heiratete, um ihre Pflichten als Ehefrau zu erfüllen. Sie war erst fünfzehn, als Phillida geboren wurde.«

»Wirklich, Sir?«

»Ich heiratete im Jahr darauf wieder. Ich bin nicht dafür geschaffen, allein zu leben, und ebenso empfindet Ihr, nicht wahr?«

»Ich glaube, ein Mann sollte heiraten, wenn er die Welt gesehen und sich die Hörner abgestoßen hat.«

Sir Harry lachte; es war ein offenes, volles Lachen, das im Raum widerhallte.

»Bei König Hall, ich wette, Ihr habt Euch tüchtig ausgetobt. Wie waren die Frauen auf den Azoren und auf den indischen Inseln? Waren sie hübsch? Eines Tages müßt Ihr mir mehr darüber erzählen.«

Sir Harry stand auf und ging schwerfällig zur Tür.

»Ich werde Eure Bitte erfüllen, Master. Ich leihe Euch die zweitausend Pfund, damit Ihr das Schiff kaufen und bemannen könnt. Und ich nehme ein Drittel von Eurem Gewinn.«

»Wie kann ich Euch danken, Sir ... Und wie steht Ihr zu meiner anderen Bitte?«

»Ihr meint Phillida? Auch hier gebe ich Euch eine günstige Antwort. Ihr könnt Euch mit ihr verloben, mein Junge. Euer Pate ist seit vielen Jahren mein Freund. Wir haben unsere Kindheit zusammen verbracht, und ich habe die größte Hochachtung vor ihm. Er hält viel von Euch, und dies und mein eigenes Urteil über Euch genügt mir. Ihr könnt Euch mit Phillida verloben, und ich bin sicher, sie wird Eure Rückkehr ebenso begierig erwarten wie ich.«

»Ich danke Euch, Sir.«

Rodney lächelte, und in seinem Herzen war eine Leichtigkeit und Freude, wie er sie noch niemals empfunden hatte. Phillida gehörte ihm. Diese goldene Schönheit würde ihm gehören. Sie war wie eine Lilie, dachte er, eine Lilie, deren sanfte Zartheit er vor den Unbilden der Welt beschützen wollte.

Aber er wußte, daß er sie nicht vor sich selbst beschützen konnte. Er würde zärtlich zu ihr sein, aber wie würde er sie lieben!

Es war ihre Schönheit, die er liebte, eine Schönheit, nach der er sich lange gesehnt hatte. Er würde Phillidas kalte Vollkommenheit in ihrem Liebreiz erglühen lassen. Unter seinen Händen und in seinen Armen würde sie zum Leben erwachen. Ihre Lippen würden warm sein und ihre Augen von Leidenschaft erfüllt.

Er würde sie lehren, ihn zu lieben, ihn zu erregen, nach ihm zu verlangen. Phillida! Phillida! Er war außer sich vor Verlangen nach ihr.

Sir Harrys Stimme unterbrach seine Gedanken.

»Vor dem Essen können wir noch meine Pferde besichtigen«, sagte Sir Harry, »Ich habe eine Stute, die ich für das beste Tier in ganz Hertfordshire halte. Wollt Ihr sie sehen?«

»Ja gern, Sir.«

Sir Harry ging voraus in den Sonnenschein. Als sie durch die Gärten zum Stall gingen, bemerkte Rodney, daß jemand aus den Büschen sie beobachtete. Er drehte rasch den Kopf und sah ein Gesicht, das sich hastig zurückzog. Er glaubte das rothaarige Mädchen wiederzuerkennen, das er in der Einfahrt geküßt hatte.

Er erwog, Sir Harry nach ihr zu fragen, doch dann ließ er es. Vielleicht gab es irgendwelche Verbote, daß die Kinder des Personals nicht auf dem Rasen spielen durften, und in diesem Fall hätte er das Mädchen in Schwierigkeiten gebracht.

Einen Augenblick spürte er noch einmal ihre Lippen weich auf den seinen und ihren schlanken Körper. Es war, als ob er einen flatternden Vogel umarmt hätte. Sie hatte einen Augenblick stillgehalten, sich dann aber abrupt von ihm befreit und war geflohen.

Merkwürdig, daß die Erinnerung au ihren Kuß auf seinen Lippen verweilte. Er hatte schon viele Frauen geküßt, aber dies war anders gewesen. Er hatte ein Mädchen geküßt, das bis dahin noch nicht für die Liebe geweckt worden war. Der Kuß hatte eine Frische an sich gehabt, die er noch nie erlebt hatte.

Plötzlich hatte er das Bedürfnis, sie wiederzusehen, um herauszufinden, ob er sich irrte oder ob sie nur eine Dirne war.

Nein, eines wußte er gewiß, sie war noch rein. Er hatte das Zittern ihres Mundes gespürt und gehört, wie sie rasch atmete. Er roch jetzt den Duft des Flieders, den Duft des Frühlings.

Sir Harry sprach mit dröhnender Stimme über seine Pferde. Rodney brauchte ihm nicht zu antworten, er brauchte noch nicht einmal seinen Gedanken zu folgen.

Als sie am Ende des Weges angelangt waren, blickte Rodney zurück, aber es war niemand zu sehen, und er fragte sich, ob das Mädchen mit den roten Haaren ihn immer noch beobachtete.

Sie tat es wirklich. Sie wartete, bis die beiden Männer das Ende des Weges erreicht hatten, und als sie in Richtung der Ställe abgebogen waren, wandte sie sich an den jungen Mann, der neben ihr auf dem weichen Gras hinter den Fliederbüschen verborgen lag.

»Sie sind weg«, sagte sie. »Glaubst du, ich kann jetzt ins Haus gehen, ohne gesehen zu werden?«

»Sei vorsichtig. Wenn M'lady Catherine dich in diesem Aufzug sieht, ist der Teufel los.«

Der junge Mann sprach gelangweilt. Er hatte die Arme unter seinem Kopf verschränkt und hielt die Augen geschlossen.

Es war offensichtlich, daß sie Bruder und Schwester waren. Sie hatten das gleiche rote Haar, den gleichen zarten Körperbau, die gleichen klaren Gesichtszüge. Aber hier endete die Ähnlichkeit, denn was bei dem Mädchen anmutig und feminin war, das wirkte bei dem Jungen schwächlich und weichlich.

»Du könntest vorausgehen und sehen, ob jemand in der Nähe ist«, schlug das Mädchen vor.

»Das könnte ich«, stimmte er zu, »aber ich bleibe lieber hier und denke über mein neues Gedicht nach. Du weißt, wie mich Besucher langweilen.«

»Weshalb ist er überhaupt gekommen?« fragte sie.

Ihre Stimme klang ärgerlich. Sie berührte mit der Hand ihren Mund, und ihre grünen Augen wurden plötzlich groß und nachdenklich. Sie erinnerte sich wieder an den Kuß, den ersten, den sie bekommen hatte.

Das Sonnenlicht, das durch die Zweige des Baumes fiel, schimmerte auf ihrem Haar und machte es lebendig, ein Glorienschein aus ungebärdigen Locken. Es war rot und leuchtete golden wie das Innere einer Flamme. Man konnte sie nicht gerade schön nennen, aber ihr Gesicht konnte einen Mann beunruhigen und verfolgen, so daß er sie nicht vergessen würde.

Plötzlich setzte sie sich auf den Rasen neben ihren Bruder.

»Francis«, sagte sie in einem Befehlston, der seine Aufmerksamkeit wecken sollte. »Ich bin ruhelos. Ich möchte gern von hier weg. Wenn wir nur nach London könnten.«

»Du weißt, Catherine wird das niemals erlauben«, antwortete er träge.

»Catherine! Catherine! Immer Catherine!«

»Du bist eifersüchtig auf sie«, sagte er. »Sie ist manchmal ganz freundlich.«

»Das kannst du nur sagen, weil du ein Mann bist. Zu Männern ist sie immer freundlich. Der Himmel weiß, weshalb Vater nicht sieht, wie sie ihnen Augen macht. Nicht, als ob mir das etwas ausmachen würde, aber wenn ich daran denke, wie sanftmütig und gut unsere Mutter war und wenn ich dann Catherine auf ihrem Stuhl sitzen sehe oder in ihrem Bett liegen, wird mir übel.«

Sie verstummte plötzlich und schlug die Hände vor das Gesicht.

»Arme Lizbeth«, sagte Francis mitleidig. »Vermißt du unsere Mutter immer noch so sehr? Sie ist jetzt schon vier Jahre tot.«

»Ja, vier Jahre, und seit zwei Jahren ist Catherine bei uns«, antwortete Lizbeth bitter. Dann nahm sie die Hände vom Gesicht und wischte sich die Tränen ab, die über ihre Wangen liefen.

»Ich weiß, es ist dumm zu weinen«, sagte sie. »Was man nicht ändern kann, muß man erleiden. Hat das nicht immer Nanna zu uns gesagt, als wir noch Kinder waren? Und es ist wahr. Man kann kämpfen und sich um Dinge bemühen, die erreichbar sind, aber es ist zwecklos, das zu tun, wenn Menschen tot sind. Nichts, was wir tun, bringt sie wieder zurück.«

»Lizbeth, du quälst dich«, sagte Francis. »Du änderst dich nicht. Du bist zu sensibel. Laß das Leben seinen Lauf nehmen. Es hat keinen Sinn, gegen Catherine anzukämpfen, und es hat keinen Sinn gegen Vater anzukämpfen. Wenigstens nicht offen. Nimm die Dinge so, wie sie sind. Das versuche ich jedenfalls.«

Er seufzte, als hätte er einen Fehler eingestanden.

»Ja, ich weiß«, sagte Lizbeth ungeduldig. »Aber wohin bringt dich das? Mutter sagte immer, du hättest ein Mädchen sein sollen und ich der Junge. Deshalb bat sie mich, auf dich aufzupassen, ehe sie starb. Sie hat dich nicht gebeten, auf mich aufzupassen, nicht wahr?«

»Sie wußte, daß du gut für dich selbst sorgen kannst. Ich bin faul, Lizbeth, und ich hasse Auseinandersetzungen. Ich tue alles, um sie zu vermeiden, und gleichzeitig möchte ich nichts anderes tun als in der Sonne liegen und mein Leben genießen.«

»Ja, du bist faul«, sagte Lizbeth liebevoll. »Ich glaube, wenn du es nicht wärst, wäre ich nicht so aufsässig. Im Grunde bist du daran schuld, daß ich unserem Gast einen Pfeil in den Hut geschossen habe. Wenn du dich im Bogenschießen geübt hättest, wie Vater es immer gewollt hat, statt hier im Gras herumzuliegen, hätte ich nicht deinen Bogen genommen, und ich wäre nicht von diesem auf und nieder tanzenden roten Federbusch in Versuchung geführt worden.«

Sie hielt einen Augenblick inne.

»Glaubst du, er wird es Vater erzählen?«

»Wenn er es tut, ist er ein Klatschmaul!« erwiderte Francis. »Aber bei diesen wilden Seeleuten kannst du es nie wissen.«

»Oh, man weiß eine Menge von ihnen«, sagte Lizbeth, »Warum besorgst du dir eigentlich nicht ein Schiff und segelst los und plünderst das spanische Maine? Ich würde es tun, wenn ich ein Mann wäre!«

»Ja, du wärst ein gnadenloser Seemann!« erwiderte Francis. »Ich glaube, es ist am besten, du gehst jetzt wieder ins Haus.«

»Du hast recht«, sagte Lizbeth. »Ich werde sowieso ausgezankt. Catherine sagte, ich solle mein Haar nicht waschen, aber ich habe es gewaschen. Sie sagte, ich solle in der Vorratskammer arbeiten und den Zimt einräumen, und natürlich habe ich es nicht getan. Sie wird wütend auf mich sein.«

»Laß dich von ihr nicht mit deinen offenen Haaren erwischen. Denke daran, was für eine Lektion sie dir erst letzte Woche erteilt hat, weil du nicht damenhaft ausgesehen hast.«

»Der Teufel hole alle Damen!« rief Lizbeth. »Ich möchte ein Mann sein und von hier davonreiten. Ich möchte mit Drake segeln, am Hof verkehren, in den Niederlanden kämpfen und die Spanier besiegen.«

»Das ist ein entzückendes Programm für eine junge Dame von Stand«, sagte Francis lachend.

Lizbeth stampfte mit dem Fuß auf, aber dann kniete sie neben Francis nieder und zerzauste ihm das Haar.

»Manchmal hasse ich dich«, sagte sie, »und doch liebe ich dich. Du bist der netteste Bruder der Welt, aber wenn du mich ärgerst, möchte ich mit dir kämpfen.«

»Hebe dir das für unseren Gast auf«, antwortete Francis. »Wenn du seinen neuen Hut verdorben hast, wie du sagst, hat er allen Grund, auf dich ärgerlich zu sein.«

»Und doch war er nicht ärgerlich auf mich«, erwiderte Lizbeth. »Er hat mich geküßt.«

Sie sprach den letzten Satz so leise, daß Francis ihn nicht hörte. Er hatte träge die Augen geschlossen, und als er sie wieder öffnete, war er allein. Lizbeth kroch von Busch zu Busch auf das Haus zu.

Sie erreichte es unbemerkt und lief in ihr eigenes Zimmer hinauf. Sie öffnete die Tür in der Erwartung, daß das Zimmer leer sei, aber die Kinderfrau legte gerade eines ihrer Kleider heraus und murmelte dabei etwas vor sich hin. Nanna war schon alt, und ihre einst rosigen Wangen waren jetzt faltig wie ein eingeschrumpfter Apfel.

»Da bist du ja endlich, Mistress Tunichtgut«, sagte sie, als Lizbeth eintrat. »Wo bist du gewesen? Die gnädige Frau hat überall im Haus nach dir gesucht, und sie war sehr ärgerlich, als du nicht zu finden warst. Es ist gut, daß sie dich nicht in diesem Aufzug sieht. Was hast du wieder angestellt?«

»Ich blieb nicht in der Vorratskammer, sondern wusch mir das Haar und lief hinaus in den Sonnenschein. Es war ein so schöner Tag heute. Ich sah nicht ein, daß ich im Haus bleiben sollte, um Ingwer, Nelken, Rosinen, Mandeln und Feigen einzuräumen und mich mit all den anderen langweiligen Dingen abzugeben, die Catherine dort lagert.«

»Die gnädige Frau ist eine gute Hausfrau, das muß man ihr lassen«, erwiderte Nanna.

»Aber sie ist nicht so, gut wie meine Mutter«, sagte Lizbeth rasch.

»Nun, meine Liebe, du weißt so gut wie ich, daß deine selige Mutter drei Jahre lang sehr krank war, ehe sie starb. Und als die gnädige Frau hierher kam, mußte sie sich um vieles im Haus kümmern, was liegengeblieben war. Sie hat ihre Fehler, ich sage nicht, daß sie keine hat, aber sie ist eine tüchtige Hausfrau, und das ist bei jeder Frau eine Tugend, das weißt du genau.«

»Ich hasse sie«, sagte Lizbeth.

»Psst, psst!« Nanna blickte über die Schulter zurück, als fürchtete sie, jemand könnte zugehört haben.

»Ich hasse sie, und sie haßt mich«, sagte Lizbeth impulsiv.

»Ich weiß nicht, warum du dich nicht wie deine Halbschwester benehmen kannst«, sagte Nanna und nahm dabei den Spitzenkragen von Lizbeths Kleid ab. »Mistress Phillida kommt mit der gnädigen Frau sehr gut aus. Zwischen ihnen fällt nie ein böses Wort.«

»Phillida! Ja, mit Phillida kommt jedermann gut aus«, sagte Lizbeth. »Das weißt du so gut wie ich. Ihr ist es aber auch egal, was aus uns allen wird. Selbst wenn das Haus zusammenfiele, würde sie einfach ruhig hinausgehen. Sie liebt nichts, sie haßt nichts. Sie existiert einfach. Wenn ich so wäre wie sie, würde ich mich in die See stürzen.«

»Schade, daß du nicht ein ganz klein wenig so bist wie sie«, antwortete Nanna. »Aber du warst schon als Baby eigenwillig. Du hast dich in einen Anfall hineingeschrien, wenn du nicht sofort das bekommen hast, was du wolltest. Manches Mal habe ich zu deiner Mutter gesagt: »Dieses Kind wird viel Erziehung brauchen.« Du warst wirklich schwierig. Master Francis dagegen war ein so ruhiges, zufriedenes und glückliches Kind, wie man es sich nur wünschen kann. Und Phillida war ein Engel. Aber du warst wie ein kleiner Satan.«

Lizbeth lachte.

»O Nanna, du hättest mich gar nicht anders haben wollen, das weißt du.«

»Ich sage ja nicht, daß ich dich nicht so liebe, wie du bist«, antwortete Nanna, »aber ich bin auch nicht blind für deine Fehler. Und davon gibt es eine Menge. Und jetzt beeile dich, sonst kommst du zu spät zum Abendessen. Es ist zehn Minuten vor sechs, und du weißt, daß dein Vater es nicht mag, wenn irgendjemand sich beim Essen verspätet.«

»Ich werde nicht zu spät kommen. Aber warum hast du mein bestes Kleid herausgelegt? Ich dachte, das wird nur ganz besonderen Gelegenheiten vorbehalten.«

»Heute ist eine besondere Gelegenheit«, erwiderte Nanna. »Sir Francis Walsinghams Patensohn ist im Haus, und wenn ich je einen stattlichen jungen Mann gesehen habe, dann ist er einer. Du solltest an dein Äußeres denken, statt dich über die gnädige Frau zu beschweren.«

»An mein Äußeres denken? Warum?« fragte Lizbeth.

»Weil dich ein schöner junger Mann sehen wird. Es ist Zeit, daß du auch an solche Dinge denkst und nicht nur herumtollst wie ein Wildfang.«

»Schön?« wiederholte Lizbeth. »Ja, ich glaube, er ist schön, und er ist auch stark und sehr eigenwillig, wenn es darauf ankommt.«

»Hast du ihn schon gesehen?« forschte Nanna und stieß plötzlich einen Schrei aus. »Und das in diesem Aufzug, die Haare offen und diese schmutzige Schürze umgebunden! Himmel, Kind, was wird er von dir denken?«

»Das ist mir egal«, antwortete Lizbeth. Aber es war ihr nicht egal. Er hatte sie geküßt. Sie empfand immer noch den Schrecken, die Überraschung und das Erstaunen, als er sie in seine Arme nahm. Sie hatte seine Kraft gespürt, und dann, noch ehe sie es verhindern konnte, nahmen seine Lippen von den ihren Besitz.

Sie hätte sich verhärten sollen, aber ihre Lippen verrieten sie. Er war wie ein Eroberer, und sie konnte ihm nicht widerstehen.

Sein Kuß raubte ihr auf eine unerklärliche Weise die Fassung, machte sie verletzlich und lieferte sie ihm aus. Er eroberte sie nicht nur körperlich, sondern auch geistig, denn er nahm ihr etwas, was sie noch niemandem zuvor gegeben hatte. Sie sah sich nicht mehr als das wilde, unbekümmerte Kind, sondern als eine Frau mit einer Tiefe des Gefühls, das sie nicht für möglich gehalten hatte.

Lizbeth schwieg, während Nanna ihr Haar richtete. Sie kämmte es aus der Stirn zurück und verbarg es bescheiden unter einer Samtkappe. Ihr Kleid war aus grünem Samt und schien ein Echo auf die Farbe ihrer Augen zu sein. Es ließ ihre Haut, so weit sie unter dem tief ausgeschnittenen Mieder zu sehen war, sehr weiß erscheinen.

Sie wirkte bescheiden, aber nicht ohne Würde, als sie die große Kammer betrat, in der ihr Vater, ihre Stiefmutter, Phillida und Rodney Hawkhurst schon versammelt waren. Rodney sah Phillida an und bemerkte deshalb Lizbeths Erscheinen nicht sofort. Erst als Sir Harry sich ihr zuwandte, blickte Rodney auf und erkannte in ihr sofort das Mädchen, das sich in den Fliederbüschen versteckt und das er so leichtfertig geküßt hatte, als Strafe dafür, daß sie seinen Hut verdorben hatte.

Sie ging auf ihn zu. Er war gleichzeitig verlegen und belustigt.

»Das ist meine Tochter Elizabeth«, sagte Sir Harry.

Zwei grüne Augen blickten zu Rodney auf.

Er hatte das merkwürdige Gefühl, daß dieser Augenblick wichtig für ihn war, aber wie und warum, das hätte er nicht sagen können.

Zweites Kapitel

Tau lag noch auf dem Rasen, als Rodney aus dem Haus trat und durch die Ziergärten hinunter zum Teich ging. Die Kühe fraßen das frische Frühlingsgras, und das Rotwild lag unter den Bäumen und beobachtete ihn mit mißtrauischen braunen Augen. Er war zu sehr in seine Gedanken vertieft, um ihre Anwesenheit auch nur zu bemerken.

Er war lange, ehe der erste blasse Schimmer der Morgendämmerung durch die Vorhänge fiel, wach gelegen. Obwohl er sich schämte, es vor sich selbst zuzugeben, war er zu aufgeregt gewesen, um schlafen zu können. Nicht die ausgezeichneten Weine auf Sir Harrys Tisch und auch nicht die Vielzahl der Gänge hatten ihn ruhelos gemacht, sondern das Bewußtsein, daß er Erfolg gehabt hatte und daß das, wonach er sich so lange und so glühend gesehnt hatte, nun innerhalb seiner Reichweite lag.

Ein eigenes Schiff! Er konnte es kaum glauben. Morgen würde er nach Plymouth fahren und das Geld, das für den Kauf der Sea Hawk erforderlich war, hinterlegen. Bei dem Gedanken daran war Rodney so aufgeregt, daß er am liebsten auf der Stelle aus dem Bett gesprungen und zur Küste aufgebrochen wäre.

Schon begannen ihn Ängste zu quälen. Angenommen, die Händler hielten nicht ihr Wort und verkauften die Sea Hawk an einen wohlhabenderen und einflußreicheren Käufer? Angenommen, die günstigen Berichte über das Schiff stimmten nicht? Angenommen, es war nicht so leicht manövrierbar, wie er es erwartet hatte?

Die Zweifel und Sorgen trieben ihn aus dem Bett an das offene Fenster. Er zog die Vorhänge zurück und blickte hinaus. Einen Augenblick sah er nicht den Garten unter sich, die großen Bäume und die Vögel, die zwitschernd von Busch zu Busch flogen, sondern einen grauen, leeren Horizont, dort wo Meer und Himmel zusammentreffen.

Wie oft schon hatte er Stunden, Tage, ja Wochen damit zugebracht, vor seinem geistigen Auge das erste Anzeichen eines näherkommenden Schiffes zu sehen, das sich als Beute herausstellen könnte. Das Muhen einer Kuh riß ihn aus seinen Gedanken und machte ihm wieder bewußt, daß er nicht auf See war, sondern in einem reich ausgestatteten Gastzimmer stand, wo die Seidenvorhänge von Hand bestickt und die Möbel poliert waren, so daß sie glänzten wie Spiegel.

Er zog sich rasch an, stahl sich leise aus seinem Zimmer und verließ das Haus. Als er durch den Park ging, überlegte er bereits, was er alles benötigen würde, um sein Schiff auszustatten und, was noch wichtiger war, wie er es bemannen sollte.

Es würde nicht leicht sein, eine gute Mannschaft zu finden, wenn Drake und ein Dutzend andere erfahrene Kapitäne die besten Leute anheuerten. Aber nun, da die Nacht vorüber war, ließ sich Rodney nicht länger von den Schwierigkeiten, die vor ihm lagen, niederdrücken.

Es war an sich ein Wunder, daß der schwierigste Teil seiner Aufgabe, die Beschaffung des Geldes für das Schiff selbst, hinter ihm lag. Äußerlich mochte er wohl siegessicher erschienen sein, aber innerlich hatte er immer einen Fehlschlag gefürchtet. Sein Pate, Sir Francis Walsingham, war freundlicher gewesen, als Rodney es zu hoffen gewagt hatte. Bevor Rodney in Whitehall gewesen war, hatte er nicht gewußt, daß jeder unternehmungslustige Seemann auf die Unterstützung des Staatssekretärs zählen konnte.

Eine schlechte Gesundheit fesselte Sir Francis an den Schreibtisch. Gequält von einem Leiden, hatte er ein unersättliches Bedürfnis nach Macht. Die Klugheit von Burleigh und die unaufhörlichen Versuche der Königin, mit Spanien Frieden zu halten, beunruhigten und ärgerten ihn.

Er war der Meinung, daß es nur eine einzige Art gab, mit Spanien umzugehen. Man mußte es bekämpfen und erobern. Er hatte Drake mit dem ganzen Einfluß, der ihm zur Verfügung stand, geholfen, und er war ebenso bereit, Rodney zu helfen, obwohl er gerade in diesem Augenblick beschlossen hatte, nicht mehr zu tun, als die Hand in die Tasche zu stecken, um sich an den Kosten des Schiffes zu beteiligen.

Drake stand in der Gunst der Königin, und obwohl sie öffentlich Philipp von Spanien immer noch die Friedenshand entgegenstreckte, gab sie dem Mann, den der spanische Botschafter einen Meisterdieb der Welt genannt hatte, eine ganze Flotte, mit der er die Armada herausfordern konnte.

Sir Francis Walsingham wußte, daß dies nicht der geeignete Augenblick war, um der Königin jetzt einen gutaussehenden, attraktiven jungen Mann vorzustellen. So sehr die Königin auch versuchte, ihre Augen vor der Wahrheit zu verschließen, hatte sie doch alle Hände voll mit den Vorbereitungen des Krieges zu tun.

Rodney konnte später am Hof eingeführt werden, wenn die Lage nicht so angespannt war wie in diesem Augenblick. Daher gab Sir Francis ihm zweitausend Pfund, seinen Segen und ein Empfehlungsschreiben an Sir Harry Gillingham.

Rodney hatte nun alles in allem sechstausend Pfund, und er fragte sich plötzlich, ob es ausreichen würde. Hatte er richtig kalkuliert? Doch dann verschwand die Furcht so rasch, wie sie gekommen war. Ihm würde bald das Schiff gehören, mit dem er über die weißgekrönten Wellen des Atlantischen Ozeans segeln konnte.

»Träumt Ihr von einer Frau oder von einem Schiff?« fragte eine fröhliche Stimme neben ihm.

Er erschrak, und als er sich umwandte, sah er hinter sich Lizbeth auf einem weißen Pferd. Sie stand im Schatten eines Nußbaums. Rodney war so sehr in seine Gedanken vertieft gewesen, daß er an ihr vorbeigegangen war, ohne sie zu bemerken.

»Von einem Schiff«, antwortete er und erwiderte ihr Lächeln.

»Das dachte ich mir«, sagte sie. »Arme Phillida.«

In ihrer Stimme lag Spott, der ihn ärgerlich erröten ließ.

»Die beiden gehören zusammen«, sagte er rasch. »Vom Erfolg meiner Reise hängt die Bequemlichkeit und der Luxus von Phillidas Zukunft ab.«

Noch während er sprach, verwünschte er sich, weil er so schwach war, sich diesem Mädchen anzuvertrauen.

Sie lachte und stieg vom Pferd. Sie trug einen Reitanzug wie ein Junge: ein Wams, Kniebundhosen und lange, braune Stiefel, die ihre Beine eng umschlossen und ihr bis zu den Oberschenkeln reichten. Ihre Wangen waren gerötet, und ihre Augen leuchteten. Ihr Haar lag wie ein feuriger Heiligenschein über ihrer weißen Stirn.

»Kommt, ich zeige Euch ein Wildentennest«, sagte sie fröhlich. »Die Küken sind gerade ausgeschlüpft. In diesem Jahr ist alles zeitig daran, aber das war zu erwarten gewesen.«

»Weshalb?« fragte Rodney.

»Kennt Ihr nicht die Prophezeiung, daß das Jahr 1588 ein Jahr der Wunder sein wird? Der alte Arnos, der an seinem nächsten Geburtstag neunzig Jahre alt wird, sagt, die Leute haben schon davon gesprochen, als er noch ein Kind war, und die Witwe Beile, die in einer Hütte auf der anderen Seite des Waldes wohnt, und von der jedermann sagt, sie sei eine Hexe, prophezeit, daß große Wunder geschehen werden und England sich als das größte Land der Welt erweisen wird.«

»Laßt uns beten, daß diese Geschichten wahr werden«, sagte Rodney, und er lachte dabei nicht, denn wie alle seefahrenden Männer war er unheilbar abergläubisch.

»Sie sagen auch, daß der Astrologe Ihrer Majestät, Doktor Dee, über diese Dinge mit der allergnädigsten Königin gesprochen hat«, fuhr Lizbeth fort.

Sie hatten inzwischen den Rand des Teiches erreicht. Lizbeth zog ein paar Zweige beiseite und zeigte ihm das Wildentennest, von dem sie gesprochen hatte. Ein Dutzend Küken lagen darin, gefährlich nahe am Rande des Wassers, mit hellen Augen und offenen Schnäbeln.

»Sind sie nicht süß?« fragte Lizbeth.

Aber Rodney hörte ihr nicht zu. Er fragte sich, wie die Prophezeiungen, von denen Lizbeth gesprochen hatte, ihn persönlich betreffen könnten. Als er mit Drake zusammen gesegelt war, hatte er erfahren, wie stark das Glück eine Schiffsmannschaft beeinflussen konnte und wie sehr die Männer an gute Omen glaubten und wie sich sogar die stärksten unter ihnen bei dem Gedanken an Hexerei ängstigten. Er erwog, Lizbeth zu fragen, wo diese Wahrsagerin wohnte. In diesem Augenblick wandte sie sich von dem Wildentennest ab und sah ihn an.

Sie war viel kleiner als er, so daß sie zu ihm aufblicken mußte, aber als sein Blick ihre Augen traf, erschien sie ihm stärker, als er geglaubt hatte. Es war kein schelmisches Kind, das ihn ansah, sondern eine Frau, in deren Blick eine Weisheit lag, die er nur ahnen konnte.

»Ihr werdet Erfolg haben«, sagte sie ruhig. »Warum seid Ihr so besorgt?«

»Ich bin nicht...«, begann er aufbrausend. Dann erstarb seine Stimme unter ihrem offenen Blick.

»Ihr werdet Erfolg haben«, wiederholte sie. »Ich bin dessen sicher. Ich habe viele Männer hierherkommen und mit meinem Vater sprechen sehen. Irgendwie habe ich immer gewußt, wer erfolgreich sein wird und wer mit leeren Händen zurückkommt. Letztes Jahr suchte einer meinen Vater auf, bei dem ich sicher war, daß er nicht wiederkommen wird. Und ich hatte recht.«,

»Woher wußtet Ihr das?« fragte Rodney.