Duell der Herzen - Kat Martin - E-Book

Duell der Herzen E-Book

Kat Martin

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Beschreibung

Irisches Blut in den Adern, flammendrote Haare und ein hitziges Temperament: Molly ist nach dem Tod ihres Vaters entschlossen, die Farm ihrer Familie allein zu führen und sich gegen die Übergriffe ihres raubeinigen Nachbarn Sam mit allen Mitteln zur Wehr zu setzen. Doch je öfter sie dem blonden Riesen begegnet, desto stärker fühlt sie sich auf unerklärliche Weise von ihm angezogen. Was sie natürlich maßlos ärgert, denn so leicht läßt Molly sich nicht erobern …

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 Über das Buch:

Irisches Blut in den Adern, flammendrote Haare und ein hitziges Temperament: Molly ist nach dem Tod ihres Vaters entschlossen, die Farm ihrer Familie allein zu führen und sich gegen die Übergriffe ihres raubeinigen Nachbarn Sam mit allen Mitteln zur Wehr zu setzen. Doch je öfter sie dem blonden Riesen begegnet, desto stärker fühlt sie sich auf unerklärliche Weise von ihm angezogen. Was sie natürlich maßlos ärgert, denn so leicht läßt Molly sich nicht erobern…

Edel eBooks Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2015 Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 1989 by Kat Martin

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel "Dueling Hearts"

First published in Germany: 1994 under the title "Duell der Herzen" by Goldmann

Covergestaltung: Agentur Höflich & Eden, Berlin.

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-95530-740-0

facebook.com/edel.ebooks

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

1. KAPITEL

29. April 1875

Die erste Kugel zischte einfach über seinen Kopf hinweg. Die zweite schlug in einen Granitfelsen ein und ließ einen Regen aus Steinsplittern durch die frische Bergluft spritzen.

»Geht in Deckung!« rief Sam Brannigan, dessen tiefe Stimme über den Paß schallte. Behende schwang er sein steifes Bein über den Rücken seines Falben und zog – noch in der Bewegung – schon die Winchester aus der Gewehrtasche, die hinten am Sattel festgeschnürt war. Sam duckte sich, um nicht von einer zweiten Salve getroffen zu werden, und floh blitzschnell hinter die schützenden Felsblöcke. Dort spannte er den Hahn seines Gewehres und begann zu schießen, während sein Bruder Emmet und Buck Redding, der normalerweise das Ochsengespann führte, sich hinter den Felsen neben ihm versteckten. Die beiden reiterlosen Pferde und acht Ochsengespanne scharrten, vom Lärm der Auseinandersetzung aufgeschreckt, mit den Hufen im Staub.

»Was hältst du davon?« fragte Emmet. Die Gewehrschüsse kamen jetzt in unregelmäßigen Abständen, zwangen sie aber dennoch, in ihrem Versteck zu verharren. Die Ochsen zerrten an den schweren Geschirren, die man ihnen angelegt hatte, doch es war ganz offensichtlich, daß der Angriff den Männern und nicht den Tieren galt.

»Kann ich noch nicht sagen«, antwortete Sam. Eine Kugel, die ganz dicht über seinen Kopf hinwegpfiff, zwang ihn, sich tiefer zu ducken. Granitsplitter stoben durch die Luft. Der Schuß, der Buck Redding gegolten hatte, hatte seinen schwarzen Filzhut nur knapp verfehlt.

Vorsichtig reckte Sam den Kopf und ließ seinen Blick über die Felsen schweifen, die den Paß säumten, doch den Angreifer konnte er nicht ausmachen. »Bei Gott, ich wünschte, ich würde denjenigen in die Finger kriegen, der uns diese Suppe eingebrockt hat. Nach der Art und Weise zu urteilen, wie die Kugeln abgefeuert werden, glaube ich, daß es sich nur um einen einzelnen Mann handelt, der nach jedem Schuß ein Stück weiter zieht. Ihr müßt mir Deckung geben. Ich werde außen herum laufen und mich ihm von hinten nähern.«

Emmet Brannigan nickte. Nachdem er sein rotes Halstuch zurechtgezupft hatte, stützte er sein Gewehr auf einer Felsspalte ab. Die Messingtrommel glitzerte im Sonnenlicht. Als Sam sich in Bewegung setzte, ertönten weitere Schüsse, so daß die drei Männer gezwungen waren, sich gegen den von der Sonne aufgeheizten Granit zu schmiegen.

Emmet warf seinem Bruder ein konspiratives Lächeln zu. »Glück gehabt. Wer immer der Dreckskerl auch sein mag, schießen kann er jedenfalls nicht sehr gut.«

Sams Miene verdüsterte sich, und sein Blick wanderte erneut über die Felskämme auf der anderen Seite des Passes. »Oder er ist vielleicht ein verdammt guter Schütze.« Da setzte er den abgetragenen Filzhut ab, dessen Band vom Schweiß der harten Arbeit im letzten Jahr zeugte, und fuhr sich mit der Hand durch das dunkelblonde Haar, um den Hut gleich wieder aufzusetzen und tief in die Stirn zu ziehen. »Fangt jetzt an zu schießen, aber versucht, nicht zu treffen. Ich will herausfinden, wer sich dort oben herumtreibt – und warum.«

Emmet, der es gewohnt war, den Befehlen seines Bruders nachzukommen, nickte und feuerte eine Runde ab. Dabei achtete er darauf, daß er direkt auf einen Punkt neben dem Ziel feuerte, ohne es zu treffen. So konnte er sichergehen, daß seine Schüsse nicht erwidert wurden. Als er sah, wie die schlanke Gestalt seines Bruders zwischen den Felsen herumlief, wie sein muskulöser Körper sich mit der Eleganz eines Reitpferdes bewegte, mußte Emmet lächeln. Allein die leichte Steifheit im Knie schmälerte die Grazie seiner Bewegungen. Sams blaukariertes Hemd blitzte zwischen den Steinblöcken auf, und im Lauf seines Gewehres spiegelte sich die Sonne.

Emmet und Buck schossen unablässig, bis Sam in einem dichten Pinienwald untertauchte, der die Hänge der umliegenden Berge dunkelgrün färbte. Beide Männer hofften, daß Sam den Angreifer aufspürte, bevor ihr begrenzter Munitionsvorrat aufgebraucht war.

Auf dem Bauch liegend hielt Molly James mit angewinkelten Armen ihr Gewehr und preßte sich gegen die Granitfelsen. Eine Kugel schwirrte über ihren Kopf hinweg. Es hatte den Anschein, als zielten die Männer unter ihr nicht darauf ab, sie zu töten, doch das unablässige Gewehrfeuer zwang sie, an der Stelle zu verharren, wo sie lag. Und das ging ihr mächtig gegen den Strich, weil es nicht in ihren Plan paßte.

Von der Paßspitze aus hatte sie den bärtigen Mann sehen können, der zu ihrer Rechten durch den Wald schlich. Anscheinend wußte er, wo sie sich versteckt hielt, und näherte sich ihr in einem weiten Bogen, um ihren Rückzug zu vereiteln.

Molly fütterte vier weitere Patronen in das Magazin ihres Karabiners. Sie mußte weg und zwar schnell. Kugeln hin oder her, sie konnte nicht länger warten.

So atmete Molly tief durch, stand auf und feuerte zwei gutplazierte Schüsse ab. Ein Schauer aus Steinsplittern regnete auf die Köpfe der Männer herunter. Dann rutschte sie von ihrem Felsen herunter und suchte an einem anderen Ort Deckung. Molly verließ sich auf ihre Schnelligkeit, ihre Beweglichkeit und ihre Größe, die es ihr ermöglichte, sich durch die schmalsten Felsritzen zu zwängen. Die bequeme Männerkleidung, für die sie sich entschieden hatte, erleichterte ihr Manöver und bot eine gewisse Tarnung.

Molly lief um den Fels herum, weil sie hoffte, damit ihrem Verfolger den Weg abzuschneiden, blieb aber wie angewurzelt stehen, als ihr Blick auf ein Paar muskulöse Beine in Baumwollreithosen fiel. Mit klopfendem Herzen machte sie auf dem Absatz kehrt und wollte fliehen, aber die kräftigen Finger ihres Verfolgers erwischten ihren Hemdrücken und hielten sie fest.

Als sie herumwirbelte, um ihrem Gegner in die Augen zu schauen, hinderte der Schlapphut, den sie trug, sie daran, den blonden Mann richtig zu inspizieren. Sie sah nur seine schlanke Taille, konnte nur einen kurzen Blick auf seine tellergroßen Hände werfen, bevor ein stechender Schmerz durch ihr Kinn zuckte und sie rückwärts über einen am Boden liegenden Baumstamm fiel. Sie landete nur ein paar Fuß weiter im Dreck, drehte sich einmal und lehnte sich dann unter Schmerzen an den Baum. Nach Luft schnappend kämpfte sie gegen die kleinen Kreise an, die vor ihren Augen tanzten, bevor sie ohnmächtig wurde…

Sam Brannigan lief zu seinem Gegner hinüber. Nur eine Sekunde später stießen Emmet und Buck Redding schon zu ihm.

»Um Gottes willen, Sam!« rief Buck aus. »Das ist ja eine Frau!« Unmengen von glänzenden, flammendroten Haaren ergossen sich über die beiden Brüste, die sich unter dem weißen Baumwollhemd, das in Reithosen aus Stoff verstaut war, ganz deutlich abzeichneten. Ein breiter Ledergürtel brachte ihre schmale Taille zur Geltung.

Sam kniete sich neben die bewußtlose Frau und prüfte den Puls, der gleichmäßig am Ansatz ihres grazilen Halses schlug. »Als ich die Größe bemerkte, habe ich noch versucht, nicht mit voller Wucht zuzuschlagen, aber das hat anscheinend nichts genützt.«

»Ich glaube nicht«, stimmte Emmet zu. Er kniete sich neben seinen Bruder und zog den Schlapphut weg, der immer noch einen Großteil des femininen Gesichts verdeckte. Kaskaden roter Haare fielen aus dem Hut, unter dem Molly sie versteckt hatte.

Sam bestaunte die wilde Erscheinung der zierlichen jungen Frau in Reithosen. Ihre Haut wirkte samtweich und makellos, wenn man von den wenigen Sommersprossen absah, die die leicht nach oben gerichtete Nase schmückten. Der breite Mund mit den vollen, roten Lippen schien wie im Schlaf leise zu lächeln. Sie war hübsch, wenn auch nicht schön, zierlich, aber voll erblüht, ohne zerbrechlich oder winzig zu wirken. Sam schätzte, daß sie noch keine zwanzig Jahre alt war.

Bis jetzt war Sam noch nie einer Frau begegnet, die Männerkleidung trug; das war ein Anblick, der jeden Mann aus der Fassung brachte. Aber es war mehr als nur ihr Aussehen, das ihn faszinierte. Sie hatte etwas Besonderes an sich. Sie strahlte eine ungestüme Sinnlichkeit, eine bezwingende Tollkühnheit aus, die aus jeder ihrer Poren zu strömen schien. Als sein Blick von ihrem Mund zu den sinnlichen Kurven ihres Körpers wanderte, spürte Sam ein Ziehen in der Leistengegend.

»Zum Teufel noch mal, wer ist sie?« fragte er. Auf einmal beschlich ihn eine gewisse Gereiztheit, als er den Bluterguß auf ihrer makellosen Haut betrachtete. Noch nie hatte er eine Frau geschlagen, und jetzt kam er mit der Art und Weise, wie er gehandelt hatte, nicht gut zurecht. »Und warum hat sie, verdammt noch mal, auf uns geschossen? Buck, bring mir ein nasses Tuch, und zwar ein bißchen dalli. Ich möchte, daß das Mädchen aufwacht, und ich will ein paar Antworten.«

Buck nickte und verließ die anderen, um Sams Bitte nachzukommen.

»Ich könnte wetten, daß das Mädchen Molly James ist«, sagte Emmet. »Gibt hier in der Gegend nicht viele, die rötere Haare als die Jameses haben. Außerdem hat sie das richtige Alter. Ich habe gehört, daß Molly wieder auf die Lady Jay zurückgekehrt ist.«

Während Emmet ihren Karabiner aufhob, trug Sam das Mädchen unter eine schattenspendende Pinie. Ihren Kopf lehnte er gegen die harte Baumrinde, bevor er Buck das feuchte Tuch abnahm und es über ihre Stirn legte.

»Falls sie das James-Mädchen ist«, sagte er, »warum sollte sie denn auf uns schießen? Seit vielen Jahren benutzen wir diesen Paß, ohne jemals Schwierigkeiten gekriegt zu haben.«

Als sei das Stichwort gefallen, seufzte und stöhnte das Mädchen und schlug die großen, blauen Augen auf, die so rund waren, daß sie ihr einen verletzlichen Ausdruck verliehen.

»Sie!« Molly, die ihre Benommenheit abzuschütteln suchte, tastete nach ihrem Gewehr, das nicht mehr neben ihr lag. Wieder sah sie Sternchen und mußte sich deshalb zurücklehnen, bis der Schwächeanfall vorüber war. Dann strich sie ihre zerzauste Haarmähne aus dem Gesicht und beäugte die drei Männer, die neben ihr standen. Zum Teufel noch mal! Wie hatte ihr das nur passieren können? Während sie die Männer betrachtete, fiel ihr auf, daß sie eher besorgt denn gefährlich aussahen, was ihr die Lage ein wenig erleichterte. »Was haben Sie mit mir vor?« fragte sie forsch und hoffte dabei, daß man ihr ihre Verzagtheit nicht anmerkte.

»Ich denke, daß Sie jetzt erst mal an der Reihe sind, die Fragen zu beantworten, Mädchen«, sagte Sam. Wenn er wütend, nervös oder überrascht war, trat sein irischer Akzent deutlicher als gewöhnlich zu Tage, und die entwaffnende junge Frau, die mit ihren von dichten Wimpern umsäumten Augen zu ihm aufschaute, beschwor all diese Gefühle herauf – und nicht nur diese.

»Sind Sie Molly James?« fragte er.

Sie nickte und jammerte wieder, denn ihr Kinn schmerzte, als sie den Kopf bewegte. Sam fühlte sich auf der Stelle maßlos schuldig.

»Es tut mir leid, daß ich Ihnen weh getan habe. Hätte ich gewußt, daß Sie eine Frau sind…«

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Mr. Brannigan. Wenn die Lage anders gewesen wäre, hätte ich Ihnen Schlimmeres zugefügt.«

Von der Ehrlichkeit des Mädchens überrascht, zog er eine blonde Augenbraue hoch. Seine Wut flammte wieder auf. »Vielleicht hätten Sie die Güte, Miss James, mich darüber aufzuklären, aus welchem Grund Sie auf uns geschossen haben.«

»Ich habe nicht auf Sie geschossen, Mr. Brannigan«, erwiderte Molly und setzte sich langsam wieder auf. »Wenn ich auf Sie geschossen hätte, wären Sie tot. Ich habe in Ihre Richtung geschossen. Ich wollte Ihnen eine Nachricht zukommen lassen.«

»Oh, wirklich, Miss James?« Sam war hin und her gerissen: die Selbstsicherheit des Mädchens erheiterte ihn, während ihre Dreistigkeit ihn auf die Palme brachte. »Und wie soll die Botschaft lauten?«

»Daß dieser Paß zur Lady Jay gehört, und daß weder Sie, Mr. Brannigan, noch ein Mitglied Ihrer Familie ihn in Zukunft benutzen darf.«

Bis zu diesem Augenblick war Sam auf seine Selbstbeherrschung stolz gewesen. Doch jetzt spürte er, wie sein Blut vor Ärgernis in Wallung geriet. »Dieses Land gehört zur Cedar Creek Ranch, und zwar seit jeher. Mein Vater hat Ihrem Vater erlaubt, diesen Paß zu benutzen, um den Frieden zwischen den Familien nicht zu gefährden. Doch ich bin mir sicher, daß er seine Großzügigkeit vor seinem Tod noch bereut hat.« Sam klammerte sich so fest an seine Winchester, daß seine Handknöchel weiß hervortraten. Da er Zeit schinden wollte, um seine Selbstbeherrschung wiederzuerlangen, wandte er sich an den Ochsenführer.

»Schaff diese Baumstämme den Paß hoch, Buck. Unsere kleine Nachbarin hat uns lange genug aufgehalten.«

»Bin schon so gut wie weg, Boß«, sagte Redding. Der schwer beladene Karren hätte schon vor Stunden bei der Sägemühle, die einige Meilen entfernt war, eintreffen sollen.

Buck lief schnell zu dem hohen Gefährt, dessen Räder riesengroß waren, und kletterte hinauf. Die schwere Ladung war nur mit acht Ochsengespannen zu befördern, und das auch nur, wenn die Straße ziemlich eben war. Diese Baumstämme waren für die nahe liegende Stadt Truckee bestimmt. Holz, das zum Verladebahnhof transportiert werden mußte, wurde mit einer Wasserrutsche befördert, die sich den. Osthang des Berges hinunterschlängelte.

»Emmet, es ist besser, wenn du ihn begleitest. Ich werde mich darum kümmern, daß Miss James sicher nach Hause kommt. Außerdem gehe ich davon aus, daß wir auf dem Weg… ein paar Dinge zu besprechen haben.«

Emmet mußte über die erzwungene Gelassenheit seines Bruders grinsen. Sam war stinkewütend und hatte alle Mühe, sein hitziges Temperament im Zaum zu halten. Allein die zierliche Gestalt der kleinen Lady und ihr offenkundiger Charme retteten sie vor dem Zornesausbruch, den Big Sam Brannigan mit aller Macht unterdrückte.

»Mr. Brannigan«, mischte Molly sich ein und blickte Sam unverwandt an. »Ich versichere Ihnen, daß ich nichts mit Ihnen zu besprechen habe. Ich glaube, daß dieses Stück Land zur Lady Jay gehört. Insofern habe ich Schritte eingeleitet, meinen Anspruch legal durchzusetzen. Bis das geregelt ist, können Sie die Hauptstraße benutzen und so Ihr Holz in die Sägemühle transportieren.«

Sam runzelte die Stirn. »Was verstehen Sie unter legal durchsetzen?« Er spürte, wie die Wut in ihm wieder hochkochte und sein Nacken die Farbe seines roten Kopfes annahm.

»Bis später dann auf der Ranch, Sam«, rief Emmet, als er auf seinen Braunen aufstieg. »Es sei denn, du meinst, daß du Hilfe brauchen wirst.«

Sam übersah das Grinsen seines Bruders absichtlich. Emmet befahl dem Pferd umzukehren und ritt Buck mit seinem langsamen Gespann hinterher. Das Zischen der Peitsche, die der Ochsenführer über die Köpfe der gewaltigen Tiere schnalzen ließ, und das Gefluche, das Bucks Markenzeichen war, waren noch auf dem Paß oben zu hören.

»Ich meine, Mr. Brannigan«, fuhr Molly fort, »daß ich es zu einem Prozeß kommen lasse, in dem ich dieses Stück Land als Teil der Lady Jay beanspruche. Ich glaube, daß ich gewinnen werde, weshalb ich vorschlage, daß Sie sich genauso gut jetzt schon daran gewöhnen können, eine andere Strecke einzuschlagen und einen großen Bogen um mein Land zu machen.«

»Ihr Land! Ihr Land!« Sam konnte sich kaum noch beherrschen. »Die Ranch gehörte schon meinem Vater, bevor Sie überhaupt in den Westen gekommen sind.«

Molly war die Ruhe in Person. »Mein Vater hat dieses Stück Land gekauft, als er die Lady Jay erstanden hat. So ist es in der Urkunde festgehalten.«

»Darin steht aber auch, daß dieser Paß zu Cedar Creek gehört, wie Sie sicher wissen. Von Anfang an war das der Kern der Streitfrage zwischen den Jameses und den Brannigans. Ihr Vater und meiner hatten eine Abmachung getroffen, die die beiderseitige Benutzung des Passes regelte. Das war die einfachste Lösung für dieses Problem.«

»Mein Vater ist tot, Mr. Brannigan. Jetzt gehört die Lady Jay mir. In Zukunft werden Sie alle Vereinbarungen, die die Ranch betreffen, mit mir machen müssen.«

Sam warf dem mutigen Rotschopf, der so ruhig neben ihm saß, einen Blick von der Seite zu. Ein Teil von ihm bewunderte die junge Frau, die so couragiert für ihre Überzeugungen einstand, aber gleichzeitig hätte er sie am liebsten durchgeschüttelt, weil sie entschlossen war, Schwierigkeiten zu machen.

»Ich hatte den Eindruck, daß die Lady Jay verkauft werden soll. Ich habe dem Anwalt Ihres Vaters sogar ein Angebot gemacht. Ist das hier ein Versuch, den Preis hochzutreiben?«

Mit übertriebener Gelassenheit spielte Molly mit einer Piniennadel herum. Das hier war also Sam Brannigan. Ihr ganzes Leben lang hatte sie von ihm gehört und ihn als Kind auch ein oder zwei Mal gesehen, obwohl sie sich daran kaum erinnern konnte. Doch jetzt, wo sie diesem gutaussehenden Riesen gegenüber saß, konnte sie nicht verstehen, daß sie ihn vergessen hatte. Selbst in einem Augenblick, wo er sich so beherrschen mußte, war er ein prächtiges Mannsbild. Er war gut zehn Zentimeter größer als sein Bruder Emmet, der auch schon ein stattlicher Mann war. Sam hatte einen vollen, blonden Haarschopf und haselnußbraune Augen, während Emmet dunkelbraunes Haar und einen dunklen Teint hatte. Während Sams Tirade war Emmet ruhig geblieben; und es hatte den Anschein, als betrachte er die ganze Angelegenheit eher von der amüsanten Seite. Ja, Emmet erinnerte Molly an einen großen, sanften Bären. Sam Brannigan hingegen war ein Löwe.

»Ich versichere Ihnen, Mr. Brannigan, daß ich keine Spielchen spiele. Ganz im Gegenteil, ich habe vor, die Lady Jay zu behalten. Auf diesem Land steht eine Menge Holz, und ich werde wieder ins Holzfällergeschäft einsteigen.«

Molly wußte eine ganze Menge über die Brannigans. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, über diese Familie Bescheid zu wissen. Ihr Vater hatte ihr immer wieder eingebläut: »Du mußt deine Feinde kennen und darfst sie niemals unterschätzen«. Für die Lady Jay hatte sie Pläne geschmiedet, und diese Pläne beinhalteten eine Auseinandersetzung mit den Brannigans, die seit jeher Rivalen der Jameses gewesen waren.

»Sie wollen die Lady Jay leiten?«

»So ist es, Sir.«

»Allein?«

»Ganz genau. Ich habe vor, fachkundige Hilfe anzuheuern, aber ich allein werde die Entscheidungen treffen.«

»Was, in Gottes Namen, bringt Sie auf die Idee, daß Sie so eine schwere Aufgabe bewältigen können?«

Mollys Blick fiel auf sein kantiges Kinn, auf seine geballten Fäuste. Den Hut hatte er in den Nacken geschoben, so daß sein dickes, blondes Haar voll zur Geltung kam. Nicht richtig blond, dachte sie insgeheim. Schon eher ein Goldton, der der Mähne eines Löwen glich. Ein sauber gestutzter Bart, der sein Kinn umspielte, und der Schnauzbart konnten die feinen Linien seiner leicht ausgeprägten Wangenknochen nicht verbergen.

»Ich glaube nicht, daß ich diese Aufgabe bewältigen kann, Mr. Brannigan. Ich weiß, daß ich es kann.« Um keinen Preis würde sie ihm gegenüber zugeben, daß sie genauso daran zweifelte wie er.

Sam hatte alle Mühe, ein herzhaftes Lachen zu unterdrücken, aber ein breites Grinsen konnte er sich doch nicht versagen. Er kämpfte gegen einen zweiten Heiterkeitsausbruch an, als er darüber nachdachte, daß diese Frau mit dem ungebändigten, flammendroten Haarschopf meinte, die Lady Jay leiten zu können –eine Ranch, die fast so groß wie Cedar Creek war.

»Sie können soviel lachen, wie Sie mögen, Mr. Brannigan. Das wird überhaupt nichts ändern.« Molly erhob sich langsam. Dabei hatte sie das Gefühl, daß jemand unablässig mit einem Hammer auf ihren Kopf schlug, doch sie mußte sich endlich auf den Weg machen.

»Sollten Sie sich weiter über dieses Thema unterhalten wollen, dann wenden Sie sich bitte an meinen Anwalt.« Ihr wurde wieder schwindelig. Entschlossen, nicht noch einmal ohnmächtig zu werden, schluckte sie schwer. Wenn sie in diesem Augenblick ihre Schwäche preisgab, würde sie das teuer zu stehen kommen. Aber ihr weiblicher Instinkt konnte die Kraft, die der Mann ausstrahlte, und seine Schönheit nicht verleugnen, geschweige denn die Schmetterlinge, die in ihrem Bauch flatterten.

Bevor sie einen Fuß vor den anderen setzen konnte, spürte sie, wie Sams große Hände sich um ihre Taille legten und sie umdrehten, so daß sie ihn anschauen mußte. Sie stemmte sich mit den Handflächen gegen seine blaukarierte Hemdbrust. Trotz des groben Stoffes konnte sie seine Stärke und Kraft spüren, seine angespannten Brustmuskeln unter ihren Fingerspitzen fühlen. Und es lief ihr kalt den Rücken hinunter.

»Sieht so aus, als habe ich fester zugeschlagen, als ich dachte«, sagte er.

Sie warf ihm ein klägliches Lächeln zu und trat einen Schritt zurück, doch eine Hand ließ sie auf seiner Brust liegen, um sich abzustützen.

»Jedes lohnende Unterfangen beinhaltet gewisse Risiken, Mr. Brannigan.« Sie fragte sich, was der Grund für seinen leicht steifen Gang war. Er schien seine Bewegungsfreiheit nicht einzuschränken, aber sie war trotzdem neugierig, was es damit auf sich hatte. Ich werde es schon noch herausfinden, sagte sie sich. Bevor die Sache geregelt war, wollte sie alles über Sam Brannigan in Erfahrung gebracht haben.

»Ich glaube, daß es besser ist, wenn ich jetzt auf die Ranch zurückkehre«, sagte sie. Auf ihrer Stirn glitzerten unzählige kleine Schweißperlen, und der nächste Schwindelanfall ließ auch nicht lange auf sich warten. Ihr Kinn schmerzte, und an ihrem Hinterkopf bildete sich eine Beule von der Größe eines Hühnereis.

»Ist Angelina da?« fragte Sam, woraufhin Molly ihm einen kritischen Blick zuwarf. Zweifellos wußten die Brannigans genauso viel über die Jameses, wie umgekehrt. Seit knapp zwanzig Jahren waren sie Nachbarn, falls man das Wort im weiteren Sinne verwendete.

»Heute hat sie ihren freien Tag. Sie besucht ihre Schwester in Truckee.«

»Was ist mit Joaquin?«

»Treibt die entlaufenen Rinder zusammen.«

»Wer, zum Teufel nochmal, ist dann auf der Ranch?« fragte Sam entgeistert.

»Nur ein paar neue Arbeitskräfte. Überhaupt, was geht Sie das an?« Sie wollte weg, aber die Vernunft gebot, daß sie ruhig blieb. Außerdem wollte sie sich nicht noch mehr blamieren, als sie es ohnehin schon getan hatte.

»Ich glaube, daß Sie eine leichte Gehirnerschütterung haben, und ich werde Sie nicht der Pflege von ein paar neuen Cowboys überlassen.« Obwohl er den Gentleman spielte, stöhnte er insgeheim auf und verfluchte den Tag, an dem er diesem störrischen Weibsbild begegnet war, so attraktiv sie auch sein mochte. »Ich werde Sie nach Cedar Creek bringen. Lee Chin kann sich solange um Sie kümmern, bis der Arzt sagt, daß Sie auf die Lady Jay zurückkehren können.«

Molly schob ihr Kinn vor, als wolle sie auf der Stelle widersprechen. Aber dann siegte ihr gesunder Menschenverstand, und sie nickte resigniert. Sam beäugte den Bluterguß, der ihr Kinn schmückte, und verfluchte sich aufs Neue. In seiner Wut hatte er nur auf die Kleidung geachtet, und jetzt mußte er dafür bezahlen. Verdammt! Eine Frau in Reithosen. Auf was für Ideen würde sie in Zukunft noch kommen?

»Wo ist Ihr Pferd?« Behutsam hob Sam das Mädchen hoch und lief den Berg hinunter. In seinen Armen fühlte sie sich so leicht und klein an, daß ihn ihr Wagemut zutiefst erstaunte. Für eine Frau ihrer Größe war es keine Kleinigkeit, drei ausgewachsene Männer anzugreifen.

»Er grast hinter diesen Felsen. Wenn ich ihn rufe, kommt er.«

Eine frische Brise wirbelte die Blätter zu seinen Füßen auf, die unter seinen Stiefeln knisterten, als er das Mädchen trug. Ein paar glänzende, rote Haarsträhnen wickelten sich um seinen Hals und strichen über seine Wange. Sam ignorierte sein steifes Bein und marschierte entschlossen weiter. An diese Unannehmlichkeit hatte er sich mittlerweile gewöhnt, und er war froh, daß er sich überhaupt bewegen konnte.

Gilgamesh, Sams großer Falbe, wartete geduldig im Schatten der Bäume, die geflochtenen Zügel hingen einfach herunter. Schon seit langem war es nicht mehr nötig, das große Pferd irgendwo anzubinden.

Das Mädchen steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus. Schwere Hufschläge ließen die Erde erbeben, und ein Wallach mit glänzendem, schwarzem Fell galoppierte auf die Lichtung. Mollys Pferd war ebenso groß wie Sams – gut ein Meter und fünfundsechzig.

Als Sam sich an die Größe der Frau in seinen Armen erinnerte, betrachtete er das Pferd überrascht, und er fragte sich, wie es dem Mädchen gelang, einen Fuß in den Steigbügel zu kriegen, die gerade mal bis zum Bauch des Pferdes reichten.

»Das ist El Trueno«, erzählte sie ihm voller Stolz. »›Donner‹. Ich bekam ihn, als er noch ein Fohlen war. Joaquin und ich haben ihn abgerichtet.«

»Das ist wirklich ein schönes Tier.« Sam ignorierte den verunsicherten Blick des Mädchens und lief schnurstracks zu seinem eigenen Pferd hinüber. Der Falbe wog einige hundert Pfund mehr als der Rappe. Gils dicker Hals, sein schwerer Kopf und der breite Rücken waren von Muskeln überzogen, und das Tier trug Sams Gewicht mühelos. Aber Gilgamesh und El Trueno waren, was die Höhe des Widerrists anbelangte, ebenbürtig. Ihres erstaunten Gesichtsausdruckes wohl bewußt, hob Sam seine leichte Last auf Gils Rücken.

»Warum kann ich nicht mein eigenes Pferd reiten?« fragte Molly gereizt.

»Ich möchte kein Risiko eingehen.« Er setzte sich hinter sie, verzichtete auf die Steigbügel und hielt sich nur am Sattelknauf fest. »Vielleicht werden Sie noch einmal ohnmächtig, fallen von Ihrem Pferd und lassen mich dann dafür ins Gefängnis sperren.« Ihre Empörung und aufrechte Haltung bemerkte er sehr wohl. Und auch die tanzenden Sonnenstrahlen auf ihrem flammendroten Haar und das Lächeln, das ihren hübschen Mund umspielte, übersah er nicht.

Der Ritt bis zur Cedar Creek Ranch war lang, vor allem wenn man so dicht neben einem Mann wie Big Sam Brannigan saß. Bei jedem Schritt, den das Pferd machte, spürte Molly Sams angespannte Brustmuskeln, die sich gegen ihren Rücken drängten. Dabei bemühte sie sich wahrlich um Distanz. Einen Arm hatte er um ihre Taille gelegt, doch er berührte sie nicht wirklich, sondern war nur als Sicherheit gedacht, falls sie vom Pferd fallen sollte.

Für Molly war es befremdlich, von einem Mann gehalten zu werden. Nicht einmal als Kind war sie von ihrem Vater in den Arm genommen oder an die Brust gedrückt worden. Seine Zuneigung hatte er gut zu verbergen gewußt. Natürlich hatte ihr Beau in Chicago sie hin und wieder geküßt, aber in die Arme genommen hatte er sie nie – wenigstens nicht für lange. Geküßt zu werden war keine unangenehme Erfahrung gewesen, aber leider auch nicht gerade das, was sie sich davon versprochen hatte.

Trueno, der hinter Sams Falben hertrabte, wieherte leise. Molly wußte, daß das Pferd ihnen bis ans Ende der Welt folgen würde. Sie liebte den großen, schwarzen Wallach. Er war ein beeindruckendes und stolzes Tier, und seine Treue wurde nur noch von Joaquin und Angelina, dem mexikanischen Ehepaar, übertroffen, das sie – seit sie im Alter von sieben Jahren die Mutter verloren hatte – praktisch großgezogen hatte.

Sie hatte nur einmal erlebt, wie ihr Vater seine Gefühle gezeigt hatte, und das war an dem Tag gewesen, als ihre Mutter gestorben war. »Du kannst es genauso gut gleich erfahren«, hatte er ihr gesagt, nachdem er zu ihr an den Pferch getreten war. »Deine Mutter ist von uns gegangen.« Dabei schaute er sie nicht einmal an. »Tot und von uns gegangen. Gerade so, als ob es sie nie gegeben hätte.« Und dann hatte er wie ein Kind geweint.

Auch Molly hatte geweint, tagelang, wie es ihr erschien. Bis ihr Vater in ihr Zimmer gestürmt war, sie bei den Armen gepackt und vom Bett gezogen hatte.

»Hör auf!« hatte er geschrien. »Ich kann es nicht mehr ertragen. Keine Minute länger!« Molly schniefte, wischte sich die Tränen aus den Augen und verbarg ihre Trauer. Und seitdem hatte sie nie wieder geweint.

Sam lenkte den Falben auf einen schmaleren Pfad, der nach Cedar Valley führte. »Seit wann sind Sie wieder auf der Ranch?« unterbrach er ihre traurigen Gedanken.

»Ungefähr seit zwei Monaten.«

»Es überrascht mich, daß wir uns nicht schon früher über den Weg gelaufen sind.«

»Ich hatte eine Menge zu tun. Die meisten Arbeiter haben gekündigt. Nun versuche ich, neue Männer anzuheuern, aber das ist nicht einfach.«

»Das kann ich mir vorstellen«, erwiderte Sam selbstgefällig. Natürlich wußte er, daß nur wenige Männer bereit waren, für eine Frau zu arbeiten.

Sie überquerten einen Bergbach, dessen leises Plätschern ihre angespannten Nerven beruhigte. Dieser Bach schlängelte sich auch durch das Gebiet der Lady Jay. Früher hatten sie und ihre Mutter dort Picknicks veranstaltet.

Molly erstarrte und rückte von Sams harter Brust ab, als das verschwommene Bild von Colleen James vor ihrem inneren Auge auftauchte. Im Gegensatz zu Molly, die rote Haare und einen blassen Teint hatte, war ihre Mutter dunkelhäutig gewesen und hatte blauschwarze Haare gehabt. Aber Molly hatte ihr die zierliche Statur und den üppigen Busen zu verdanken. Auch die runden, blauen Augen hatte sie von der Mutter geerbt.

Ihr Vater hatte die Mutter leidenschaftlich geliebt. Molly erinnerte sich wohl an seinen Beschützerinstinkt. Wann immer ihre Mutter ausreiten wollte, hatte er sich Sorgen gemacht.

»Es ist besser, wenn ich dich begleite«, hatte er dann vorgeschlagen. »Man kann nie wissen, was passiert. Außerdem können wir so die Zeit zusammen verbringen.«

Molly dachte oft an ihre Mutter und überlegte dann, wie anders ihr Leben verlaufen wäre, wenn ihre Mutter am Leben geblieben wäre – wenn Shamus Brannigan sie nicht getötet hätte.

Wie immer, wenn sie sich an den Verlust erinnerte, lief ihr ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter.

»Ist Ihnen kalt?« störte Sam Brannigans tiefe Stimme die Ruhe, die im Wald herrschte. »Ich habe eine Jacke in meiner Satteltasche.«

»Nein. Nein, danke, es geht ohne.«

»Fühlen Sie sich besser?«

»Ja, viel besser. Ich habe gerade an vergangene Zeiten gedacht. Es ist schon Jahre her, seit ich durch diese Gegend gekommen bin. Erst als ich zurückkehrte, fiel mir auf, wie sehr ich sie vermißt habe.« Warum erzählte sie ihm das? Das ging ihn doch überhaupt nichts an. Außerdem war sie sich sicher, daß es ihn einen feuchten Kehricht interessierte. Wahrscheinlich konnte er sie ebenso wenig leiden wie sie ihn. Na ja, zumindest bemühte sie sich darum, ihn nicht ausstehen zu können.

»Sie sind zur Schule gegangen«, sagte er mit ruhiger Stimme. Offensichtlich wollte er mehr erfahren. »Im Osten, falls ich mich recht erinnere.«

»Ja. Mit dreizehn bin ich von zu Hause weg. Bis sechzehn war ich auf einem Internat in Chicago. Vater wollte, daß ich die beste Ausbildung erhalte.« An der Art und Weise, wie er plötzlich seine Haltung veränderte, konnte sie seinen Zweifel an ihren Worten ablesen. »Sie glauben das nicht, Mr. Brannigan?«

»Ich habe nur wenig von dem, was Ihr Vater gesagt oder getan hat, geglaubt, Miss James. Aber Sie und ich, wir sind Nachbarn, solange Sie auf der Lady Jay wohnen. Was zwischen unseren Familien vorgefallen ist, gehört der Vergangenheit an, und bereitet uns beiden schmerzliche Erinnerungen. Ich möchte jedenfalls lieber nicht darin wühlen.«

Molly sagte nichts. Sie konnte die Vergangenheit nicht so einfach abtun. Seit ihr Vater von einem schweren Baumstamm erschlagen worden war, der aus Versehen beim Fällen in die falsche Richtung gekippt war, hatte sie kaum Zeit gehabt, an anderes zu denken.

Sie wünschte, sie hätte um ihn weinen können.

Statt dessen hatte sie das Telegramm immer und immer wieder gelesen, ihre Sachen gepackt und war nach Westen gefahren. Schon vor drei Jahren, gleich nachdem sie die Schule beendet hatte, hatte sie den Entschluß gefaßt, auf die Lady Jay zurückzukehren. Aber ihr Vater hatte anderes im Sinn, und überredete sie, noch einen anderen Kurs, noch eine weitere Schule zu besuchen. »Du möchtest mich doch glücklich machen, nicht wahr?« hatte er geschrieben.

Und genau das war ihr Lebensziel, ganz egal, wie lange es auch dauerte. Aber es gelang ihr nie wirklich, ihn glücklich zu machen; jedenfalls hatte er es nie gezeigt. Vielleicht konnte sie ihre Fehler von früher ausbügeln, wenn es ihr gelang, die Lady Jay auf Vordermann zu bringen.

Der Falbe stolperte und warf sie gegen Sams Brust.

»Der Pfad ist ein wenig steil«, bemerkte er.

»Hier ist es wunderschön.« Molly ließ ihren Blick über die Landschaft schweifen. Hohe Pinien säumten den Pfad, der sich zwischen riesigen Granitfelsen durchschlängelte. »Ich glaube nicht, daß ich dieses Anblicks jemals müde werde.«

»Dann haben wir wenigstens eine Sache gemein.«

Sie lächelte. »Die Pinien habe ich schon immer geliebt. Für mich sind sie die Könige des Waldes.« Die Pinien hier im Westen waren doppelt so hoch wie die im Osten, und manche von ihnen erreichten eine Höhe von siebzig Metern.

»Ja, sie sind wirklich etwas ganz anderes. Ich hoffe, daß Sie sich daran erinnern, falls Sie verrückt genug sein sollten, wieder mit dem Holzfällen anzufangen.«

Molly sträubte sich. »Soll das eine Anspielung sein?«

»Ich spiele auf gar nichts an, Miss James. Ich glaube nur, daß es wichtig ist, gesunden Menschenverstand walten zu lassen.«

Mollys Mütchen kühlte sich ein wenig ab. Sie glaubte von ganzem Herzen, daß es richtig war, das Land zu erhalten, obwohl die meisten anderer Meinung waren. Zu ihrer Überraschung schien Sam Brannigan ihre Meinung zu teilen.

Ein Blaukehlchen, das auf einem Ast gesessen hatte, flatterte davon, woraufhin der Falbe seitwärts tänzelte. Ein muskulöser Arm schlang sich schützend um sie, und Molly mußte wieder lächeln. Offensichtlich hatte hier im Westen alles ganz andere Proportionen.

2. KAPITEL

»Ich fühle mich schon viel besser«, sagte Molly, als Sam sie mit seinen großen, kräftigen Händen vom Pferd hob. »Ich denke wirklich, daß ich nach Hause gehen sollte.«

»Tut mir leid, Miss James. Sie haben diesen kleinen Krieg angezettelt, und ich werde ihn jetzt zu Ende bringen. Ich möchte, daß der Doktor einen Blick auf Sie wirft, und in der Zwischenzeit können wir uns unterhalten.«

Molly überhörte den Sarkasmus, der in Sams tiefer Stimme mitschwang, und begleitete ihn auf die weitläufige Veranda an der Vorderseite des Hauses. Das Haupthaus der Ranch war ein beeindruckendes, zweistöckiges Gebäude, das Sams Vater, Shamus Brannigan, vor vielen Jahren aus Holz errichtet hatte. Im oberen Stockwerk waren die Schlafzimmer untergebracht, von denen aus man einen herrlichen Ausblick auf den Hof hatte, während das Erdgeschoß mit seinen großen Fenstern vom Sonnenlicht durchflutet war.

Sam riß die schwere Holztür auf, und Molly trat geschwind in den großzügigen Wohnraum. Das hier war ganz offensichtlich das Haus eines Mannes, mit rustikalen Holzwänden und dicken Balken, die unter der Decke verliefen. Die Flure waren mit Stein ausgelegt, und eine breite Treppe verband die beiden Stockwerke. In diesem Haus roch es sogar nach Mann – ein rauchiger Pinienduft erfüllte die Luft. Als sie zusammen zur Ranch geritten waren, war ihr aufgefallen, daß Sam genauso roch.

Molly ließ sich von Sam durch den Raum führen. Ihr Kinn schmerzte nicht mehr, aber die Beule an ihrem Hinterkopf pulsierte immer noch heftig. Obwohl sie insgeheim das Durcheinander genoß, das ihre Schießerei hervorgerufen hatte, fragte sie sich langsam, ob ihr Unterfangen klug gewesen war. Nicht im Traum hatte sie damit gerechnet, daß Sam ein so vernünftiger Mann sein könnte. Er paßte überhaupt nicht in das Bild, das ihr Vater von den Brannigans gezeichnet hatte.

Sam brachte sie zu einer großen Ledercouch, die vor einem breiten Steinkamin stand. Nachdem sie sich gesetzt hatte, fiel ihr auf, daß der weitläufige Raum ihr eine gewisse Ehrfurcht einjagte. Aber andererseits hatte alles, was den Brannigans gehörte oder was sie taten, ihr in den vergangenen Jahren Ehrfurcht eingejagt – oder sie wütend gemacht.

Sam forderte sie auf, sich hinzulegen, zog ihr fachmännisch die Stiefel aus und deckte sie dann mit einer Navajo-Decke zu, die über die Sofalehne drapiert gewesen war.

»Lee Chin!« rief Sam Brannigan, und nur ein paar Sekunden später betrat ein Chinese mit einem langen, geflochtenen Zopf und laut klappernden Holzschuhen das Wohnzimmer.

»Ja, Mr. Sam?«

»Unser Gast, Miss James, hatte unglücklicherweise einen Unfall. Schicken Sie jemanden zu Doc Weston. In der Zwischenzeit wollen wir uns mit einem feuchten Tuch weiterhelfen.«

»Ja, Sir, Mr. Sam. Auf der Stelle.« Der Chinese verbeugte sich knapp und schlurfte aus dem Zimmer, kehrte aber schon kurz darauf mit dem feuchten Tuch zurück.

»Miss James und ich müssen uns über ein paar Dinge unterhalten, Lee. Wenn wir fertig sind, können Sie hier übernehmen.«

Lee Chin verneigte sich und verließ das Zimmer. Molly mußte lächeln, denn sie mochte den Mann auf der Stelle. Auf seinem Gesicht war ein beinah väterlicher Ausdruck aufgetaucht, als er den blauen Fleck gesehen hatte, der ihr Kinn zierte.

Sam half Molly dabei, ihre üppige Haarpracht hochzuheben, und legte das feuchte Tuch auf die Beule an ihrem Hinterkopf. Obwohl Sam groß und stark war, fürchtete Molly sich nicht vor ihm. Sein aufmerksames Verhalten verriet die Besorgnis, die er empfand. Sie wußte, daß die Schießerei ihn verärgert hatte, und trotzdem fühlte sie sich in seiner Gegenwart sicher und umhegt. Da er aber auch das Oberhaupt der Familie war, die die ihre vernichtet hatte, behagte ihr dieser Gedanke überhaupt nicht.

»Wissen Sie, Miss Molly«, begann Sam, »das, was sie heute getan haben, war ziemlich dumm. Sie hätten dabei getötet werden können.«

Molly setzte sich auf der Couch aufrecht hin. »Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu, Mr. Brannigan.«

»Ist das Ihr Ernst?« fragte Sam verblüfft nach.

»Aber gewiß doch. Hätte ich gewußt, was für ein vernünftiger Gegenspieler Sie sind, wäre ich einfach hierher geritten und hätte meine Botschaft persönlich überbracht.«

Der respektvolle Ton, den sie anschlug, besänftigte Sams Zorn ein wenig. Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen.

»Vielen Dank für das Kompliment, Miss James, aber ich fürchte, daß Sie Ihre Meinung ein wenig voreilig gebildet haben. Sie und ich wissen, daß der Weg zur Mühle zehn Meilen länger ist, wenn man die Straße benutzt. Meine Ochsen können das Holz nicht so weit schleppen.« Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, und jede Spur von Humor war auf einmal aus seinem Gesicht verschwunden. »Ich habe vor, den Pfad auch weiterhin zu benutzen, so, wie wir es immer getan haben.«

Molly blieb unverzagt. Bis jetzt hatten die Brannigans sie wesentlich besser behandelt, als sie je erwartet hatte. Aber sie war natürlich nicht davon ausgegangen, daß der Mann ihren Forderungen gleich beim ersten Mal nachkam.

»In diesem Fall, Mr. Brannigan, will ich Ihnen einen Gefallen tun, da Sie sich heute als äußerst ritterlich erwiesen haben – wenn wir einmal davon absehen, daß Sie einer Frau einen Schlag aufs Kinn verpaßt haben. Sie können den Paß solange benutzen, bis der Fall vor Gericht entschieden wird. Doch dann erwarte ich, daß Sie dem Gesetz Folge leisten.«

Sams haselnußbraune Augen funkelten sie ungläubig an. »Sie geben mir die Erlaubnis, den Paß zu benutzen? Die Erlaubnis, meine eigene Straße zu benutzen?« Zuerst kicherte er nur, aber dann wurde sein kraftvoller Körper von einem Lachanfall durchgeschüttelt.

Molly entspannte sich auf der Couch und warf mit einer lässigen Geste ein paar rote Haarsträhnen über die Schulter. Schon vor langer Zeit hatte sie gelernt, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten, und diese Fähigkeit war ihr bei mehr als einer Gelegenheit zupaß gekommen.

Als Sam sich schließlich wieder im Griff hatte, sagte er: »Sie sind wirklich etwas Besonderes, Miss James. Sagen Sie mir, was Sie tun werden, falls Sie vor Gericht verlieren werden?«

»Ich werde nicht verlieren, Mr. Brannigan.«

Sams Kinnmuskel zuckte auf, als sein Zorn wieder die Oberhand gewann. »Wissen Sie, Miss James, Sie treiben es doch etwas zu weit. Die Cedar Creek Ranch und die Lady Jay benutzen diesen Paß nun schon seit vielen Jahren zusammen. Es gibt keinen Grund, warum wir das nicht auch in Zukunft so halten sollten. Sie besitzen ausreichend Land, auf dem Holz steht; warum drängt es Sie nun so, einen Streit vom Zaun zu brechen?«

Molly schob ihr Kinn vor und warf ihm einen wutentbrannten Blick zu. Sie zwang sich dazu, an die einsamen Jahre im fernen Internat zu denken, an die Vernachlässigung, an den Verlust ihrer Mutter und der Liebe, die sie ihr entgegengebracht hatte. »Ihr Vater hat meine Mutter umgebracht, Mr. Brannigan. Deshalb möchte ich, daß jede Verbindung zu Ihrer Familie ein und für alle Mal beendet wird. Ich möchte, was mir gehört, was mein Vater für mich aufgebaut hat – und zwar jeden Hektar!«

»Sie meinen, Sie wollen Rache.«

Molly fühlte sich plötzlich unwohl, als sie Sam Brannigans aufgebrachten Gesichtsausdruck bemerkte. »So könnte man es auch ausdrücken, ja.«

»Und was ist mit meinem Vater?« fragte er. »Mein Vater hat im Gefängnis mit dem Leben bezahlt, für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat. Mein Vater ist gestorben, weil Ihr Vater ihn fälschlicherweise beschuldigt hat!« Seine Stimme strahlte eine tödliche Ruhe aus. »Aber im Gegensatz zu Ihnen, Miss James, lebe ich nicht in der Vergangenheit. Cedar Creek ist mein Leben, meine Heimat. Meine Brüder und ich haben schwer gearbeitet, um den Erfolg zu erzielen, den diese Ranch heute hat. Ich möchte mit Ihnen keine Schwierigkeiten. Was geschehen ist, war weder Ihre, noch meine Schuld.« Er atmete tief durch, um sich etwas zu beruhigen. »Aber wenn Schwierigkeiten das sind, was Sie wirklich wollen, dann, das schwöre ich bei Gott, werden Sie sie kriegen. Und zwar mehr, als Ihnen lieb sein dürfte!« Er ballte die Hand zur Faust. Sein Gesicht lief rot an, glich beinah dem Farbton von Mollys Haaren, und seine Nasenflügel bebten vor Wut.

»Lee Chin! Kommen Sie her und setzen Sie sich zu Miss James.« Dann richtete er seinen ernsten Blick auf Molly, die einen ersten Anflug von Angst verspürte, wie kleine Nadeln, die in ihrer Magengrube rumorten.

»Auf Wiedersehen, Miss James«, sagte Sam leise. Sein Tonfall zeugte nicht von dem Zorn, der in ihm wütete. Dann wandte er ihr seinen breiten Rücken zu und marschierte mit großen Schritten aus dem Zimmer. Mit einem lauten Knall flog die schwere Tür ins Schloß.

Sam band die Pferde vom Pfosten vor dem Haus los und führte sie entschlossen zum Pferch hinüber, wo er Gil und den großen Rappen des Mädchens zur Tränke brachte. Ihm war alles recht, solange er damit seine Wut lindern konnte. Das Letzte, was er wollte, war, die ganze alte Angelegenheit wieder auf den Tisch zu bringen. Die Jameses und die Brannigans. Es hatte Jahre gedauert, bis sich das Gerede in der Stadt gelegt hatte. Es hatte Jahre gedauert, bis seine Familie wieder in die Gesellschaft aufgenommen wurde. Emmet hatte eine Frau und zwei Kinder. Sams jüngster Bruder, Peter, schloß gerade ein Jurastudium in Harvard ab. Peter schmiedete Pläne und wollte Karriere in der Politik machen. Die Brannigans waren dabei, ein Imperium aufzubauen, und ein Imperium brauchte Führer. Peter, der über eine unbekümmerte Persönlichkeit, einen makellosen Lebenslauf und über ein hohes Maß an moralischer Integrität verfügte, war dazu auserkoren.

Nun hatte sein Bruder seinen ersten Fall: er mußte die Cedar Creek Ranch gegen die Landansprüche der Lady Jay vertreten. Wenn der Paß für den Abtransport des Holzes nicht so wichtig wäre, würde Sam den Forderungen des Mädchens nachgeben, nur um den Frieden zu wahren. Aber, zum Teufel noch mal, er war wichtig! Und außerdem gefiel es ihm nicht, daß eine Frau, die Hosen trug, ihm das Leben vergällte. Der Platz einer Frau war ihr Heim; sie sollte Kinder gebären, sich um ihren Ehemann kümmern – zumindest hatte er das bis jetzt immer geglaubt.

Seine Mutter hatte das für richtig gehalten. Lorna Brealorne Brannigan war die süßeste, sanfteste und freundlichste Frau gewesen, die Sam je gekannt hatte. Seinen Vater hatte sie auf einem Viehfrachtschiff kennengelernt, auf dem irische Emigranten nach Amerika gefahren waren. Sie hatten sich ineinander verliebt und geheiratet, sobald die lange, beschwerliche Fahrt ein Ende gehabt hatte. In den fünfziger Jahren hatte Shamus seine Frau nach Kalifornien gebracht, um dort nach Gold zu suchen. Und er hatte auch etwas gefunden. Nicht viel, aber genug, um ein Stück Land zu kaufen und die Cedar Creek Ranch zu gründen.

Sam war gerade zehn, als seine Mutter bei Peters Geburt starb. Bis dahin war es ihr gelungen, Sam einen Respekt gegenüber Frauen zu vermitteln, den er tief in seinem Herzen bewahrte. Er hielt sie für etwas Besonderes. Er konnte es nicht ertragen, wenn er eine Frau weinen sah, konnte es nicht ertragen, einer Frau weh zu tun. Und das war mit ein Grund, warum er nie geheiratet hatte. Bis jetzt hatte er noch nie eine Frau getroffen, der er treu bleiben konnte – schon gar nicht ein Leben lang. Und der Gedanke an Untreue, der beinhaltete, daß er ein nettes Mädchen anlog, war schuld daran, daß er Junggeselle geblieben war. Selbstverständlich hatte er Freundinnen, aber das ging nie so tief, als daß er ihnen die Ehe versprochen hätte. Auf diese Weise konnte er sie nicht verletzen.

Was ihn betraf, er hatte ja die Ranch, die ihn mehr als genug beanspruchte. Wann immer er sich einsam fühlte, stürzte er sich tiefer in die Arbeit. Außerdem waren da noch Emmet, seine Familie und Peter, um die er sich kümmern konnte. Auf keinen Fall brauchte er eine Frau, die ihn belastete.

Sam öffnete die Tür des Pferchs und führte den Falben hinein. Dann holte er den Rappen, achtete aber darauf, daß sie nicht beieinander standen. Es war sehr wohl möglich, daß Gil sich dem Gefährten im Pferch unsanft näherte, und Sam wollte nicht das Risiko eingehen, daß er seine Spuren auf dem glatten Fell von Mollys Pferd hinterließ.

Er mußte dem Geschmack des Mädchens, was Pferde betraf, Respekt zollen. Auch ihren Mut bewunderte er. Nur wenige Männer würden es wagen, sich mit einem Brannigan anzulegen. Molly James war in der Tat etwas ganz Besonderes. Sie hatte Colleens Augen und Figur – eine atemberaubende Figur – aber die Haare und die Dreistigkeit hatte sie von Malcolm James geerbt. Mal war ein rücksichtsloser und herrischer Tyrann gewesen. War Molly ebenso rücksichtslos wie er? Sie war eine Närrin – daran hatte Sam keinen Zweifel – und dumm genug, zu glauben, daß sie die Lady Jay führen konnte.

Dieser Gedanke beschwichtigte ihn ein wenig. Schon bald würde sie erkennen, wie sinnlos es war, die Arbeit eines Mannes erledigen zu wollen. Vielleicht würde sie dorthin zurückkehren, wo sie hergekommen war, und die Klage fallenlassen. Zumindest hoffte er das.

Seiner Meinung nach wären damit beide Parteien gut bedient. Schon ein paar Stunden später verließ Molly die Cedar Creek Ranch, ohne auf das Eintreffen des Doktors zu warten. Sie hatte sich schlafend gestellt, und Lee Chin war in die Küche zurückgegangen, um sich dort um seine Aufgaben zu kümmern. Kaum, daß er verschwunden war, hatte sie sich aus der Vordertür geschlichen. Inzwischen war ihr nicht mehr schwindelig, und die Schmerzen am Hinterkopf hatten auch nachgelassen. Wenn sie sich beeilte, konnte sie noch vor Einbruch der Dunkelheit ihr Zuhause erreichen. Und um diese Zeit kehrte auch Joaquin zurück.

Molly führte True aus dem Pferch und schwang sich auf den Sattel, ohne die Steigbügel zu verwenden. Wenn ein Brannigan so aufsteigen konnte, dann konnte sie das auch. Ihr fiel auf, daß der Karabiner wieder in dem Holster verstaut war. Das zur Bedrohung, die sie darstellen wollte. Es war ganz offensichtlich, daß niemand sie ernst nahm. Sie mußte lächeln. Die sollten sich nur in Sicherheit wähnen, bis sie die Klageschrift zugestellt bekamen. Dann mußten sie sie ernst nehmen.

Mollys Blick schweifte durch den Pferch, in dem auch Sams Falbe stand. Aber der Mann war – Gott sei Dank – nirgendwo zu sehen. Die erste Runde hatte ihr gereicht!

Auch ihr Vater war ein großer, stattlicher Mann gewesen, hatte ungefähr die gleiche Statur wie Emmet gehabt. Die roten Haare hatte Molly von ihm geerbt – und auch das Temperament, auch wenn sie gelernt hatte, ihre Gefühle ziemlich gut unter Kontrolle zu halten. Obwohl sie sich niemals richtig nahegestanden hatten, wünschte Molly, daß ihr Vater hier wäre, um ihr zu zeigen, wie man die Lady Jay leitete. Ohne seine Unterstützung erforderte diese Aufgabe jedes Quentchen Willenskraft, das sie aufbringen konnte, und ein hohes Maß an Bestimmtheit, um die Ranch erfolgreich zu führen. Als sie aus dem Osten zurückgekehrt war, hatten die meisten Arbeiter ihren Job hingeschmissen, weil sie davon ausgegangen waren, daß das Land verkauft wurde. Nur Joaquin, Angelina und der alte Torger Johnson, der oben im Holzfällerlager lebte, waren geblieben. Seit ihrer Ankunft hatte Molly tagsüber jede Minute mit den beiden Männern verbracht, und sie war ihnen für ihr Wissen und ihre Hilfsbereitschaft dankbar.

Joaquin war ein vaquero. Es gab weit und breit niemanden, der sich besser um das Vieh kümmern konnte als er, aber von der Holzfällerei verstand er gar nichts, Torger hingegen kannte sich im Holzfällergeschäft besser aus, als jeder andere Mann auf dieser Erde. Aber er war leider kein Vormann und wollte es auch nicht werden. Seit ihrer Kindheit war er ihr ein guter Freund gewesen und hatte unzählige Stunden damit verbracht, ihr Dinge über den Wald und die Holzfällerei beizubringen. Nun dankte sie ihm seine Geduld. Ihr Wissen um die Fähigkeiten, die in der Welt der Männer zählten, gab ihr vielleicht die Chance, die sie so dringend brauchte.

Molly trieb True an. Sie ritt an dem Schuppen vorbei, trabte durch den Flußarm und verschwand in den Wäldern. Da sie sich in den Bergen gut auskannte, mußte sie sich nicht an die Wege halten. Bevor sie mit dreizehn ins Internat gekommen war, hatte sie jeden Quadratzentimeter, der zur Ranch gehörte, abgeritten. In den drei darauffolgenden Jahren hatte sie den Sommer auch auf der Ranch verlebt, aber dann hatte der Vater ihr nicht mehr erlaubt, nach Hause zu kommen. In ihren Briefen hatte Angelina angedeutet, daß der Vater wollte, daß sie sich voll und ganz auf das Lernen konzentrierte. Der Vater war immer viel zu beschäftigt gewesen, um selbst zu schreiben.

Nachdem sie über einen kahlen Bergkamm geritten waren, suchte True sich an diesem felsigen Abhang seinen Weg selbst. Molly konnte in der Ferne ein paar Männer erkennen, die sich um die Herde auf den Feldern kümmerten. Da sich der Horizont langsam rot färbte, mußten sie die Arbeit bald niederlegen. Mollys Gesicht zierte ein breites Grinsen. Der Himmel hatte fast genau die Farbe von Sam Brannigans Gesicht, als sie ihm gesagt hatte, daß sie den Paß für sich allein beanspruchte. Dieser Mann hatte wirklich Temperament. Andererseits spürte sie aber eine unterschwellige Sanftheit, mit der sie nicht gerechnet hatte.

Nach einem einstündigen Ritt gelangte sie zu dem Kiesweg, der zum Haupthaus führte. Anfänglich hatte die Ranch Vagabund geheißen, aber Mal James hatte sie dann zu Ehren seiner Frau Colleen James in Lady Jay umbenannt.

Zu ihrer Überraschung stand ein leerer Buggy vor dem Haus. Seit ihrer Rückkehr vor zwei Monaten hatte sie keine Besucher gehabt. Und nach dem heutigen Streit mit den Brannigans hatte sie kein Bedürfnis nach sozialen Kontakten. So ritt sie direkt zum Schuppen, sattelte True ab, striegelte ihn und wischte ihn trocken. Nachdem sie damit fertig war, marschierte sie zum Haus hinüber. In den Kleidern, die sie trug, konnte sie eigentlich niemanden empfangen, und außerdem waren die Kopfschmerzen wieder zurückgekehrt.

Angelina machte die Hintertür auf und begrüßte sie. »Chica. Donde estuviste? Du hast Besuch.« Angel legte ihre kräftige Hand unter Mollys Kinn, hob es hoch und inspizierte den blauen Fleck. »Was ist dir zugestoßen?«

»Ich… ich hatte einen Unfall«, antwortete sie ausweichend und wechselte sofort das Thema. »Warum bist du schon so früh zurück?« Angelina, die schon wieder hinter dem Herd stand, drehte ein Stück Teig von einem großen Klumpen ab, der auf dem Tisch neben dem Herd lag, und formte mit ihren dick gepolsterten Handflächen eine Tortilla.

»Ich bin drüben auf der Cedar Creek gewesen und habe unseren Nachbarn, Sam Brannigan, getroffen.« Molly beobachtete Angels Reaktion. Die dicken Halsfalten unter ihrem Doppelkinn kamen in Bewegung, als sie laut kicherte.

»Unser Nachbar ist ein Mann, nicht wahr, chica? Vielleicht hätte ich dich warnen sollen.«

Molly grinste. »Vielleicht wäre das wirklich besser gewesen. Ich fürchte, ich habe nicht gerade einen guten Eindruck hinterlassen. Ich habe ihm gesagt, daß wir vor Gericht um den Paß kämpfen werden.«

Angel gackerte und legte die Stirn in Falten. Dann wedelte sie mit einem dicken Finger vor Mollys Gesicht herum. »Ich habe dir gesagt, daß du diesen Unsinn lassen sollst. Die Vergangenheit ist vorbei. Laß sie ruhen. Sam Brannigan ist ein guter Mann.«

»Wer ist zu Besuch gekommen?« fragte Molly, die wieder das Thema wechseln wollte. Sie wußte ganz genau, was Angel von der Klage hielt. Die Frau, die ihr wie eine zweite Mutter war, hielt niemals mit ihrer Meinung hinterm Berg.

»Oh, si, das hätte ich ja fast vergessen. Dein Onkel Jason ist hier.«

»Onkel Jason? Ist Tante Vera auch da?« Doch die Antwort wartete sie gar nicht erst ab. Erfreut, ihre Tante und ihren neuen Onkel zu sehen, stürmte sie von der Küche in den Salon. Das Haus war wesentlich kleiner als Sams weitläufiges Haus auf der Cedar Creek, die Möbel aber feiner: Da standen Queen-Anne-Tischchen mit zarten Beinen, Chippendale-Stühle aus Mahagoni, ein Windsor-Schaukelstuhl, eine geschnitzte Walnußtruhe und ein Sofa, das mit einem Gobelin überzogen war. Anmutige Spitzenzierdecken, die ihre Mutter eigenhändig gefertigt hatte, waren auf den Tischen ausgebreitet.

Als Molly in den Salon gelaufen kam, erhob sich ein großer Mann, der ganz in Schwarz gekleidet war, vom Sofa. Als sein Blick auf ihr dreckiges Hemd und die Reithosen fiel, verschwand das Begrüßungslächeln, und der Mann blickte bestürzt drein.

Molly bemerkte sein Erstaunen und seine weit aufgerissenen Augen und unterdrückte ein Lachen. Warum erstaunte es die Männer so sehr, daß eine Frau zur Arbeit praktische Kleidung trug?

»Sie müssen Onkel Jason sein«, sagte sie mit kontrollierter Stimme. »Ich freue mich wirklich, Sie kennenzulernen. Tante Vera hat mir geschrieben und mir von Ihnen erzählt. Wo ist sie?« Sie streckte ihm ihre rauhe Hand entgegen und suchte das Zimmer nach dem Sommersprossengesicht ihrer Tante ab. Obwohl ihr Onkel von ihrer Aufmachung verwirrt zu sein schien, führte er galant ihre Hand an seine Lippen.

»Es ist mir eine Ehre, Sie endlich kennenzulernen, Miss James.«

»Bitte nennen Sie mich Molly«, schlug sie vor. »Wo ist Tante Vera? Ist sie nicht mitgekommen?« Sie konnte es nicht erwarten, ihre Tante zu sehen. Obwohl Tante Vera nie nach Kalifornien gekommen war, hatte sie Molly mehrmals in Mrs. Finchs Mädchenpensionat in Chicago besucht. Zwischen den beiden Frauen hatte sich zaghaft eine Freundschaft entwickelt, von der Molly hoffte, daß sie noch enger würde. Vor gut sechs Monaten hatte Molly einen Brief erhalten, in dem ihre unverheiratete Tante von ihrer bevorstehenden Hochzeit berichtete. Danach hatte sie nichts mehr von ihr gehört. Molly war davon ausgegangen, daß sie sich erst einmal an ihr neues Leben gewöhnen mußte und insofern viel zu beschäftigt gewesen war, um zu schreiben.

»Bitte, nehmen Sie Platz, Miss James«, sagte Jason Foley. Er hatte wieder die Fassung erlangt, aber auf seinem wohl geschnittenen Gesicht lag trotzdem noch ein ernster Ausdruck.

Auch sein Tonfall war ernst, so daß Molly auf der Stelle seinem Vorschlag nachkam.

»Es behagt mir gar nicht, der Überbringer trauriger Nachrichten zu sein, aber ich muß Ihnen sagen, daß Ihre Tante vor drei Wochen bei einem scheußlichen Unfall ums Leben gekommen ist. Ich hätte Ihnen ein Telegramm geschickt, aber da sie und ich schon beabsichtigt hatten, in den Westen zu reisen, hielt ich es für besser, Ihnen die Nachricht persönlich zu überbringen.«

Molly spürte, wie Verzweiflung in ihr aufkeimte. »Tante Vera ist tot?«

»Ja, leider.«

Molly faltete die Hände, damit sie nicht so zitterte. Ihr Onkel legte seine Hand auf ihre, um seiner Anteilnahme Ausdruck zu verleihen. Erst vor relativ kurzer Zeit hatte Molly die grazile Frau kennengelernt, die ihre Tante war.

Vera James Foley war die Schwester ihres Vaters gewesen und somit ihre letzte Blutsverwandte. Nun wo Tante Vera tot war, fühlte sich Molly James so einsam wie noch nie zuvor in ihrem Leben.

»Ich weiß, daß das ein harter Schlag für Sie ist«, sagte ihr Onkel. »Zuerst der Verlust Ihres Vaters – und jetzt das. Glauben Sie mir, auch ich habe sehr gelitten. Ihre Tante habe ich über alle Maßen geliebt. Unsere gemeinsame Zeit ist sehr kurz gewesen.«

Als Molly aufblickte, sah sie, daß Tränen die schwarzen Augen ihres Onkels zum Funkeln brachten. Sie wünschte, sie hätte es ihm gleichtun und ebenfalls weinen können, aber sie spürte nur eine große Benommenheit.

Erst jetzt fiel ihr der weiße, steife Kragen auf, der im harten Kontrast zu seiner dunklen Haut und seinem noch dunkleren, düsteren Anzug stand.

»Sind Sie… sind Sie ein Prediger?« fragte sie gelähmt.

»Gott, ja, hat Ihre Tante Ihnen das nicht erzählt?«

»Nein. Nein, das hat sie nicht. Wahrscheinlich fürchtete sie, daß mein Vater es herausfinden könnte. Er hätte die Ehe mit einem Protestanten nicht gutgeheißen. Die Jameses sind seit Generationen katholisch.«

»Als Ihre Tante und ich uns ineinander verliebt haben, ist sie zu meinem Glauben übergetreten, der mir auch geholfen hat, die Trauer über ihren Verlust zu ertragen.«

Er wandte sich ab und wischte sich eine Träne von der Wange. Molly beneidete ihn darum, daß er so offen trauern konnte. Statt dessen saß sie schweigend da und starrte ihre Hände an, die sie im Schoß gefaltet hatte. Obwohl der Pfarrer ein frommer Mann zu sein schien, hatte er etwas Seltsames an sich – etwas, das ihr gebot, sich vor ihm in acht zu nehmen.

»Wie ist sie gestorben?« fragte Molly leise nach. Einerseits wollte sie Bescheid wissen, aber auf der anderen Seite wünschte sie inständig, daß sie aufwachte und alles nur ein böser Traum gewesen war.

»In der Pension, in der wir wohnten, brach ein Feuer aus. Es war scheußlich. Scheußlich.« Er zog ein Taschentuch aus seiner Anzugjacke und wischte die Tränen aus den Augen. »Ich fürchte, es regt mich zu sehr auf, darüber zu sprechen.«