Feuerhimmel - Kat Martin - E-Book

Feuerhimmel E-Book

Kat Martin

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Beschreibung

Der Nachthimmel über Dallas lodert hell, als das frisch sanierte Haus in Flammen aufgeht. Brandstiftung! Und wen verdächtigt der Bauunternehmer Gabriel Raines? Einen vorbestraften Jugendlichen. Einfach unmöglich, findet die sozial engagierte Mattie Baker. Jeder verdient schließlich eine Chance und dafür wird sie kämpfen. Auch wenn sie sich dafür mit Gabriel persönlich auseinander setzen muss. Nicht leicht, denn was attraktive Männer betrifft, ist die schöne Architektin ein gebranntes Kind... Doch der Feuerteufel macht weiter. Und plötzlich geht es um mehr als um Gabriels Baugeschäft. Um mehr als die Hitze der Leidenschaft, die zwischen Mattie und dem Selfmade-Millionär erwacht: Es geht ums nackte Überleben.

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Seitenzahl: 489

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Alle Rechte, einschließlich das der vollständigen oder auszugsweisen Vervielfältigung, des Ab- oder Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten und bedürfen in jedem Fall der Zustimmung des Verlages.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der

gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Kat Martin

Feuerhimmel

Roman

Aus dem Amerikanischen von

Constanze Suhr

MIRA® TASCHENBÜCHER

erscheinen in der Harlequin Enterprises GmbH,

Valentinskamp 24, 20354 Hamburg

Geschäftsführer: Thomas Beckmann

Copyright © 2012 by MIRA Taschenbuch

in der Harlequin Enterprises GmbH

Titel der nordamerikanischen Originalausgabe:

Against The Fire

Copyright © 2011 by Kat Martin

erschienen bei: MIRA Books, Toronto

Published by arrangement with

HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l

Konzeption/Reihengestaltung: fredebold&partner gmbh, Köln

Umschlaggestaltung: pecher und soiron, Köln

Redaktion: Mareike Müller

Titelabbildung: Arcangel; Thinkstock / Getty Images, München

Autorenfoto: © by Harlequin Enterprises S.A., Schweiz;

A Street Photography, Mary Anne Stimpfling

Satz: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN (eBook, EPUB) 978-3-86278-416-5

www.mira-taschenbuch.de

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eBook-Herstellung und Auslieferung: readbox publishing, Dortmundwww.readbox.net

1. KAPITEL

Das Heulen der Sirenen nahm er erst gar nicht wahr. Erschöpft von einem harten Arbeitstag, schlief Gabriel Raines tief und fest. Erst als der schrille Ton näher kam und das flackernde rote Licht an den Schlafzimmerwänden reflektierte, registrierte er den Alarm unbewusst.

Gabe öffnete die Augen und war wie zu seiner Zeit als Marine sofort hellwach. Er war zwar schon lange nicht mehr im Corps, aber manche Angewohnheiten legte man einfach nie ab.

Der hohe, lang gezogene Alarmton schwoll einen Augenblick an, als das Löschfahrzeug direkt unter dem Fenster seiner Eigentumswohnung im Zentrum von Dallas entlangraste. Dann wurde er immer leiser, je weiter der Wagen sich entfernte. Seufzend drehte sich Gabe um und sah auf die roten Ziffern seines Weckers. Halb vier.

Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, ließ sich zurück aufs Kissen fallen und hoffte, dass er verdammt noch mal wieder einschlafen würde.

Vielleicht wäre ihm das auch gelungen, wenn sein Handy nicht geklingelt hätte.

Das Heulen der Sirene war plötzlich verstummt. Die Feuerwehr schien ihr Ziel erreicht zu haben, was bedeutete, dass es ganz in der Nähe war. Kurz darauf ertönte das Signal eines zweiten Einsatzwagens und schrillte durch die Nacht. Gabe streckte die Hand nach seinem Handy aus, das auf dem Nachttisch lag. Er klappte es auf und hielt es sich ans Ohr.

„Wer auch immer jetzt anruft“, stieß er barsch aus. „Ich hoffe, es ist wirklich wichtig.“

„In den Dallas Towers brennt es“, drang die Stimme seines Vorarbeiters Sam McBride durch die Leitung. „Sieht so aus, als würde unsere ganze harte Arbeit in Flammen aufgehen.“

Gabe spürte, wie Adrenalin durch seine Adern schoss. Er schwang seine langen Beine aus dem Bett und setzte sich auf. „Bist du sicher, dass es die Towers sind?“

„Ich war auf dem Weg nach Hause, etwa einen Block entfernt. Da habe ich den ersten Einsatzwagen gehört. Als ich gesehen habe, dass er in Richtung Towers fährt, wollte ich genau wissen, was los ist.“

Gabe war bereits auf den Beinen. Das Handy noch fester ans Ohr gepresst, fragte er: „Hast du gesehen, welcher Gebäudeteil betroffen ist?“

„Ich habe Flammen aus der Lobby schießen sehen.“

„Verfluchter Mist!“ Sie waren mit der Hauptsanierung der aufwendig gestalteten Marmorlobby im Tower fast fertig gewesen. Fast.

Gabe atmete tief durch, um sich zu sammeln. „Wenn du gerade erst auf dem Weg nach Hause warst, musst du ja ein heißes Date gehabt haben.“

„Ich bin nicht über Nacht geblieben.“

Sam war genauso wie Gabe Single. Beide Männer wohnten im Stadtzentrum. Die ehemals verwahrloste Gegend war saniert und mit Läden und Boutiquen zu einem schicken kleinen Viertel wiederbelebt worden. Gabe hatte das Apartmenthaus gebaut, in dem Sam wohnte, genauso wie das Las-Posas-Gebäude, in dem seine eigene Wohnung lag.

„Ich bin in fünfzehn Minuten da.“

Gabe klappte das Handy zu. Er hätte sich eigentlich denken können, dass sein Glück nicht lange anhalten würde. Nach seiner Erfahrung lauerte immer das Pech in der Nähe, wenn gerade alles im Leben wie geschmiert lief.

Nackt lief er zum Kleiderschrank aus Eichenholz an der gegenüberliegenden Wand, um Boxershorts und Socken aus der Schublade zu ziehen. Dann nahm er noch ein Paar Jeans und sein Dallas-Cowboys-Shirt aus dem Schrank. Seine zahlreichen auf dem Schrankboden aufgereihten Westernboots ignorierte er und schlüpfte stattdessen in die schweren Lederstiefel, die er immer zur Arbeit trug.

Wenige Minuten später verließ Gabe seine Wohnung. Mit seinem großen weißen Pick-up GMC fuhr er so nah wie möglich an die Tower heran und parkte am Straßenrand. Rauchschwaden und Flammen drangen durch die offenen Glastüren der Lobby. Die Löscharbeiten waren bereits in vollem Gange; die Feuerwehrleute hatten drei wuchtige Wasserschläuche aus verschiedenen Richtungen auf das Gebäude gerichtet. Mit etwas Glück wäre das Feuer unter Kontrolle, bevor es die Büros darüber erreichen konnte.

Die schlechte Nachricht war allerdings, dass die Eingangshalle noch einmal komplett saniert werden musste.

Verfluchter Mist!

„Wenigstens war das Gebäude versichert.“ Sam McBride kam ihm entgegen. Er war mit seinen eins neunundachtzig fast so groß wie Gabe. Im Gegensatz zu Gabe mit seinem dunklen Haar, den blauen Augen und muskulösem Körperbau war Sam blond und drahtig. Zusätzlich zu der Tatsache, dass er in Gabes Firma verdammt gute Arbeit leistete, war er sein bester Freund.

„Immerhin etwas! Aber das wirft unseren Arbeitsplan um einiges zurück. Ich hatte eigentlich gehofft, hier ziemlich bald abschließen zu können und mit den Jungs die restlichen Projekte fertig zu machen.“

„Daraus wird wohl nichts“, erwiderte Sam.

Gabe hob den Kopf, als einer der Feuerwehrmänner in voller Montur auf ihn zukam: Feuerschutzanzug, Helm, Schutzbrille und hohe Gummistiefel.

„Bitte treten Sie ein Stück zurück“, forderte der Mann sie auf, „Sie stehen sonst im Weg.“

„Ich bin Gabriel Raines. Meine Firma hat die Lobby hier renoviert. Da drinnen ist noch eine ganze Menge von unserem Arbeitsgerät.“

„Das tut mir leid, Mr Raines. In der Eingangshalle ist fast alles zerstört. Das Feuer war ziemlich heftig. Wir sind froh, dass wir das so schnell unter Kontrolle bekommen haben.“

Betroffen sah Gabe ihn an. „Ich hoffe, es ist niemand verletzt worden.“

„Nicht dass wir wüssten.“

„Wie ist das passiert?“

„Zu früh, um dazu was sagen zu können. Wenn hier gerade gebaut wurde, lag sicher eine Menge brennbares Material herum. Farbverdünner, Lappen, alles, was die Flammen so richtig schön anheizt.“

„Normalerweise achten wir immer darauf, nach einem Arbeitstag alles zusammenzuräumen und nichts rumliegen zu lassen.“

„Wie ich schon meinte, es ist noch zu früh, um was zu sagen. Unsere Experten werden sich das alles nachher genau ansehen, inklusive des Überwachungsvideos.“

Gabe schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, da werden Sie kein Glück haben. Die alten Kameras sind abmontiert worden. Das neue System war noch nicht installiert.“

„Wer wusste alles davon?“

„Nicht viele. Das Ersetzen der alten Kameras war eine ziemlich spontane Entscheidung der Geschäftsführung. Nur wenige Leute waren darüber informiert.“

Der Feuerwehrmann nickte ihnen zu und verschwand wieder in Richtung Einsatzstelle. Auf dem Weg blieb er bei einem anderen Mann in blauer Uniform stehen, um mit ihm ein paar Worte zu wechseln. Der Kollege hatte grau meliertes Haar und war etwa Ende vierzig. Gabe hatte gesehen, wie der Mann sich unter die Gruppe der Schaulustigen gemischt und ihnen Fragen gestellt hatte. Jetzt kam er zu Gabe und Sam herüber.

„Ich bin Captain Daily vom Dezernat für Brandstiftung“, stellte er sich vor. „Sie sind Gabriel Raines?“

„Richtig.“

„Wie ich hörte, war Ihre Firma dabei, die Eingangshalle zu sanieren.“

„Tatsächlich waren wir fast fertig damit.“

„Wir sind uns noch nie begegnet, aber ich weiß, wer Sie sind. Sie haben mal meinem Vater geholfen, Jim Daily – erinnern Sie sich an ihn? Er brauchte eine Genehmigung, um seine Reinigung um einen Raum zu erweitern. Es war ein altes Gebäude, und die Verwaltung hat ihm deshalb ziemlichen Ärger gemacht. Sie haben ein gutes Wort für ihn eingelegt, und er hat das Stück Papier bekommen. Dafür war ich Ihnen sehr dankbar.“

„Ich mochte Ihren Vater. Es tat mir leid, als ich von seinem Tod erfuhr.“

„Er war ein guter Mann.“ Daily straffte die Schultern und nahm wieder seine professionelle Haltung ein. Er warf einen Blick auf die zerstörte Eingangshalle der Tower. „Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen.“

„Kein Problem. Das hier ist mein Vorarbeiter, Sam McBride.“

Daily nickte Sam zu und wandte sich dann wieder an Gabe.

„Wann sind Sie hier angekommen?“

„Ungefähr vor zwanzig Minuten. Wir wohnen beide in der Nähe. Sam kam gerade von einer Verabredung nach Hause. Er ist dem Einsatzwagen gefolgt und hat mich angerufen.“

„Haben Sie irgendjemanden beim Betreten oder Verlassen des Gebäudes beobachtet?“

„Sie haben schon gelöscht, als ich hier ankam“, erwiderte Gabe. „Ich habe niemand anderen gesehen.“

Daily drehte sich zu Sam um. „Und Sie?“

Sam blickte zu der Einsatztruppe hinüber, die auf dem Gelände bereits mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt war. „Bei meinem Eintreffen war der erste Löschwagen schon da. Ich habe die Flammen in der Lobby gesehen und sofort Gabe angerufen. Während ich auf ihn wartete, habe ich euch bei der Arbeit beobachtet. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis sich die Schaulustigen hier einfanden. Nein, ich habe niemanden gesehen, der ins Gebäude gegangen oder rausgekommen ist.“

Der Captain nickte. „Der Feuerwehrmann, mit dem Sie gesprochen haben … Mike Dougherty. Er meint, die Überwachungskameras wären abmontiert.“

„Das schien für niemanden ein Problem zu sein. Während der Bauarbeiten ist keiner durch die Lobby gegangen.“

„Ich brauche eine Liste von den Leuten, die davon wussten.“

„Kein Problem.“

„Vielen Dank. Wir werden uns bei Ihnen melden, wenn wir noch Fragen haben.“ Daily drehte sich um und lief wieder zur Einsatzstelle hinüber, wo die Löscharbeiten fast schon beendet waren. Er mischte sich unter die Gruppe der Schaulustigen.

Gabe und Sam sahen den Feuerwehrleuten eine Weile bei der Arbeit zu. Nach und nach begann der Rauch dünner zu werden, einer der Wasserschläuche war bereits ausgestellt.

„Meinst du, wir könnten irgendwie dafür verantwortlich sein?“, fragte Gabe.

„Ich war bis zum Feierabend hier. Wir haben alles ordentlich und sauber hinterlassen.“ Sam schüttelte den Kopf. „Es war fast fertig.“

„So was kann passieren.“

„Da hast du wohl recht.“

„Wenigstens hat man das Feuer ziemlich schnell unter Kontrolle bekommen, und es scheint niemand verletzt worden zu sein. Ich werde Fred Parsons anrufen, um zu hören, was wir jetzt tun sollen.“ Parsons war der Geschäftsführer des Hauses. Er hatte Raines Construction beauftragt, die Renovierungsarbeiten durchzuführen. Der Besitzer wollte die Eingangshalle so schnell wie möglich fertiggestellt haben, damit der Betrieb im Haus wieder normal weitergehen konnte. Sicher erwartete Parsons, dass seine Truppe so bald wie möglich wieder anfing.

„Und mit Rich Simmons werde ich auch sprechen“, sagte Gabe. Simmons arbeitete für die American Insurance. „Wir müssen den Schaden bei der Versicherung melden.“ Aber selbst dann würde das Ganze ziemlich teuer werden.

Sam klopfte ihm auf den Rücken. „Ich glaube nicht, dass einer von uns beiden noch ein Auge zumachen kann. Lass uns irgendwo frühstücken.“

Damit hatte er vollkommen recht. Am Horizont zeigte sich bereits ein blasser grau-rosa Streifen. Gabes Team begann um sieben mit der Arbeit. Und obwohl sie hier für eine Weile nichts mehr tun konnten, gab es noch genug bei den anderen Bauprojekten zu erledigen, die sie hier in der Gegend ausführten.

„Mrs Olson?“, fragte Gabe. In diesem Café an der Straßenecke wurde das beste Frühstück in der Stadt serviert, und das Lokal öffnete früh.

„Ja. Ich könnte wirklich eine Tasse Kaffee gebrauchen.“

Gabe sah auf seine schwere Armbanduhr. „Es ist nach fünf. Sollte inzwischen schon offen sein.“

Sie kletterten beide in Gabes Pick-up. In großen Lettern prangte unübersehbar sein Firmenname auf der Tür. Die Schrift blitzte im Licht der Morgendämmerung. Er warf den riesigen, benzinfressenden Motor seines V-8 an, den er bei nächster Gelegenheit durch ein sparsames Modell ersetzen wollte, und fuhr los.

Sein Magen knurrte. Ein großer Teller mit Schinken und Eiern erschien ihm inzwischen äußerst verlockend. Das könnte ihn vielleicht von den Gedanken ablenken, dass er mit den Arbeiten an der verfluchten Lobby des Towers nun noch einmal von vorn anfangen musste.

Gabe arbeitete den ganzen Vormittag an seinem Lieblingsprojekt – dem Wiederaufbau eines alten Lichtspieltheaters, das ihm gehörte. Das Backsteingebäude im Stadtteil Deep Ellum war einmal ein Kino gewesen, und zwar zu Zeiten, als diese noch aufwendig und elegant ausgestattet gewesen waren. Die Decken hatte man mit einer Menge Blattgold und kräftigen Farben handbemalt. Jedenfalls war das noch zu Glanzzeiten des Gebäudes so gewesen. Die Türen, durch die man in den Kinosaal eintrat, wurden zu beiden Seiten von vergoldeten ägyptischen Statuen bewacht.

Von all dem war nicht mehr allzu viel vorhanden gewesen, als Gabe mit der Renovierung begonnen hatte. Die roten Samtsessel hatte der Regen, der jahrelang durch ein Loch im Dach eingedrungen war, vollkommen ruiniert. Sie waren verrostet und voller Schimmelflecken gewesen. Aber die Bausubstanz des Hauses war noch in Ordnung. Nachdem Gabe die Backsteinmauern verstärkt hatte, waren sie wieder robust genug.

Dieses Gebäude hatte ihn nur einen Apfel und ein Ei gekostet – und eine Menge Entschlossenheit. Er wollte sehen, wie sich dieses Art-déco-Theater wieder in seiner vollen Blüte entfaltete und in Betrieb genommen wurde. Bisher hatte er bereits mit mehreren lokalen Theatergruppen und den Veranstaltern des Deep Ellum Arts Festivals verhandelt. Gabe war sich sicher, dass die Spielstätte großes Interesse wecken würde, sobald er das elegante Interieur restauriert hatte.

Er liebte das Flair dieser alten Zeiten, seit er in Wyoming aufgewachsen war. Wind Canyon war eine echte Westernstadt. Obwohl er und seine Brüder damals in einem heruntergekommenen Haus neben den alten stillgelegten Eisenbahnschienen gelebt hatten, hatte dort seine Liebe zum alten Westen mit den hölzernen Bürgersteigen, den Saloons mit den langen Theken und den Ranches im Umland ihren Ursprung.

Alle drei Raines-Brüder hatten Wind Canyon sofort nach der Highschool verlassen. Aber vor ein paar Jahren war sein älterer Bruder Jackson zurückgekehrt. Er hatte mit seinem Ölgeschäft einen Haufen Geld gemacht und sich dann um die fünftausend Quadratmeter bestes Weideland gekauft und die alte Farm Raintree Ranch getauft.

Gabe hatte Wind Canyon verlassen, um zu den Marines zu gehen. Nach vier Jahren hartem Dienst war er nach Dallas gezogen. Mit Jacksons Hilfe hatte er sein erstes Bauobjekt erworben, es renoviert und wieder verkauft. Die Arbeit und das Geld, das er damit verdiente, gefielen ihm, also hatte er das nächste Haus in Angriff genommen.

Damals brodelte der Immobilienmarkt, und Gabe konnte richtig schuften. Es hatte nicht lange gedauert, bis er genug zusammenhatte, um seine eigene Firma zu gründen. Seitdem war sein Unternehmen immer weiter gewachsen. Auf Jacksons Rat hatte er auch noch etwas von seinem sauer verdienten Geld in Aktien von Wildcat Oil angelegt, der Firma, in der sein Bruder als Geologe gearbeitet hatte. Auch damit hatte er Geld gemacht.

Gabe war clever genug gewesen, um die Rezession kommen zu sehen. Mit einigen Veränderungen in seinem Unternehmen konnte er verhindern, wie so viele andere im Baugewerbe bankrottzugehen. Wie er herausfand, gab es eine Menge Möglichkeiten, Steuerkredite und Leistungsprämien für Innenstadtsanierung und Sanierung von Stadtvierteln zu erhalten. Darum hatte er sich in den vergangenen zwei Jahren vor allem auf solche Projekte konzentriert. Diese Art der Restaurierung gefiel ihm sogar noch besser. Es war eine Freude, ein heruntergekommenes und verlassenes Viertel wieder zum Leben zu erwecken und zu sehen, wie positiv das auf die Bewohner wirkte.

Gabe griff nach der Nagelmaschine. In letzter Zeit hatte er nicht oft die Gelegenheit, die Zimmererarbeiten selbst zu erledigen. Aber wenn er neben all den Geschäftstreffen und dem Lösen von Problemen auf den verschiedenen Baustellen etwas Luft hatte, legte er gern selbst Hand an. Das war es letztendlich, was ihm überhaupt die Gründung eines eigenen Unternehmens ermöglicht hatte.

Das Kreischen der Säge nebenan verstummte plötzlich, und Gabe schaute auf. Zwei uniformierte Polizisten schlenderten den Gang entlang auf ihn zu. Er legte die Nagelpistole beiseite, stand auf und sprang von der Bühne, um den beiden entgegenzugehen.

„Sie sind Gabriel Raines?“, erkundigte sich der erste Beamte, auf dessen Namensschild „Gonzales“ stand.

„Das bin ich, ja. Was kann ich für Sie tun?“

„Bei dem Feuer in den Towern handelt es sich definitiv um Brandstiftung. Wir haben einen Verdächtigen festgenommen. Wir möchten, dass Sie uns begleiten und einen Blick auf ihn werfen. Vielleicht haben Sie ihn gestern Nacht in der Gegend gesehen.“

Brandstiftung. Gabe hatte gehofft, dass es sich um einen Kurzschluss oder Ähnliches gehandelt hätte. „Natürlich, kann ich machen.“

Mit Officer Gonzales, der die scharfen Züge eines erfahrenen, abgehärteten Polizisten hatte, und Delaney, seinem jungen Partner mit Babyface, lief Gabe den Gang zurück zum Ausgang.

„Sie können mit uns fahren oder uns auch in Ihrem eigenen Wagen folgen, wenn Ihnen das lieber ist“, schlug Gonzales vor, während sie in die warme Septemberluft hinaustraten.

Gabe betrachtet den weiß-blauen Streifenwagen und schüttelte den Kopf. „Danke, ich treffe mich mit Ihnen dort.“ Als Junge hatte er mehr als einmal auf dem Rücksitz eines Polizeiwagens gesessen. In der Highschool waren die drei Raines-Brüder ein echtes Höllentrio gewesen. Damals hatte die halbe Stadt ständig damit gerechnet, dass sie irgendwann im Gefängnis landeten.

Steve Whitelaw, der Boxtrainer der Schule, hatte Jacksons Talent erkannt. Gabes älterer Bruder war jahrelang Straßenkämpfer gewesen, und zwar ein ziemlich gefürchteter. Whitelaw brachte ihn dazu, mit den Schlägereien aufzuhören und mit dem Boxen anzufangen. Er zeigte ihm, dass dieser Sport auch einen Weg aus der Armut bedeuten konnte, in der die Jungen aufwuchsen. Und Jackson veränderte sich.

Nachdem das passiert war, bemühte sein Bruder sich darum, dass er und Devlin ebenfalls ihr wildes Leben aufgaben. Was sie auch taten. Größtenteils jedenfalls.

Gabe erreichte das Revier ein paar Minuten später und schob sich durch die Doppelglastür am Eingang. Eine Polizeibeamtin am Empfangstresen kündigte einigen Kollegen im hinteren Raum seine Ankunft an. Wenige Minuten darauf erschien der Brandstiftungsinspektor der Feuerwehr mit dem grau melierten Haar, an den er sich vom gestrigen Abend erinnerte, im Warteraum.

„Vielen Dank, dass Sie gekommen sind“, begrüßte Captain Daily ihn. Gabe wusste, dass das Dezernat für Brandstiftung mit der Feuerwehr von Dallas zusammenarbeitete.

„Keine Ursache.“

„Wir denken, wir haben den Jungen gefunden, der das Feuer in den Towern gelegt hat.“

„Den Jungen?“

„Er ist siebzehn. Die Polizei hat ihn in der Nachbarschaft aufgegriffen – bei einer routinemäßigen Verkehrskontrolle. Sein Rücklicht war kaputt. Einer der Beamten erinnerte sich daran, dass er vor ein paar Jahren schon mal ein Feuer gelegt hat.“

„Und Sie wollen jetzt wissen, ob ich ihn gestern Abend gesehen habe.“

„Wir haben eine Gruppengegenüberstellung vorbereitet. Mal sehen, ob Sie ihn wiedererkennen.“

„Okay. Aber ich habe nicht sehr viel von dem mitbekommen, was um mich herum passiert ist. Die meiste Zeit habe ich den Feuerwehrleuten bei der Arbeit zugesehen.“

„Es ist einen Versuch wert.“

„Sicher.“ Gabe folgte dem Untersuchungsbeamten einen langen grellweiß gestrichenen Flur entlang zu einem winzigen Zimmer mit Glasfenster, das den Blick auf die Verdächtigen ermöglichte. Fünf Typen verschiedenster Größe und Herkunft standen auf einem Podest an der gegenüberliegenden Wand. Alle waren ziemlich jung. Einer von ihnen kam Gabe vage bekannt vor.

Das Bild eines kleinen muskulösen Jungen mit dunkler Haut und dichtem schwarzen Haar erschien vor seinen Augen. Er hatte neben einem anderen gestanden, der ungefähr in seinem Alter und wahrscheinlich ebenfalls ein Latino war.

„Nummer drei“, sagte Gabe. „Ich habe ihn gestern Abend zusammen mit einem anderen Jungen gesehen. Sie standen auf dem Bürgersteig, als ich ankam.“

Daily nickte. „Ihr Freund, Mr McBride, war vor zwei Stunden hier und hat denselben Jungen erkannt. Sein Name ist Angel Ramirez. Es sieht so aus, als hätten wir den Täter.“

Gabe sah wieder durch die Scheibe zu dem Jungen hinüber, der gerade hinausgeführt wurde. „Was sagt er denn dazu?“

„Er behauptet, gestern Abend nicht in der Nähe des Feuers gewesen zu sein. Wäre interessant, was er jetzt meint.“

„Sie erwähnten, er hätte schon mal einen Brand gelegt?“

Daily nickte. Er öffnete die Tür und führte Gabe aus dem Zeugenraum. „Vor drei Jahren. Da hat er ein altes verlassenes Haus angezündet. Glücklicherweise wurde niemand verletzt, aber das Gebäude war vollkommen zerstört. Der Junge hat für seinen kleinen Streich zwei Jahre Jugendknast bekommen. Nach zwölf Monaten ist er wegen guter Führung entlassen worden. Da wundert man sich.“

Daily begleitete Gabe den Flur hinunter zum Ausgang.

„Wie gesagt, vielen Dank, dass Sie hergekommen sind.“ Der Captain streckte die Hand aus, Gabe ergriff sie und schüttelte sie.

„Viel Erfolg bei Ihrer Untersuchung“, wünschte er auf dem Weg in den Warteraum. Als er die Ausgangstüren fast erreicht hatte, kam eine Rothaarige wie ein Wirbelwind durch die Doppelglastür hereingestürzt und baute sich vor dem Empfangstresen auf.

„Entschuldigung. Mein Name ist Mattie Baker. Ich muss unbedingt mit dem verantwortlichen Beamten sprechen, der die Untersuchung im Fall der Brandstiftung in den Dallas Towers führt!“

Gabe blieb stehen und betrachtete die Frau genauer. Etwa eins sechzig, Ende zwanzig, vielleicht Anfang dreißig. Schlank, aber mit netten Rundungen, soweit man das unter diesem konservativen braunen Kostüm, das sie mit einer blassgelben Bluse kombiniert hatte, beurteilen konnte. Wunderbar geformte Beine jedenfalls, und dann das Haar. Es war nicht einfach kastanienbraun, sondern hatte einen intensiven Rotschimmer – es erinnerte ihn an die Flammen gestern Abend.

Gabe musste innerlich grinsen. Diese Lady konnte man einfach nicht übersehen. Die Sommersprossen auf der Nase und die hohen Wangenknochen taten ihr Übriges. Diese Kleidung und wie sie ihr herrliches Haar im Nacken zu einem festen Knoten gebunden hatte, ließen in ihm unwillkürlich die Frage aufkommen, was für eine Frau sie wohl sein mochte.

Inzwischen neugierig geworden, wartete Gabe geduldig, während die blonde Beamtin hinterm Tresen etwas in ihren Computer eintippte und der Lady dann Auskunft gab.

„Der Beamte, der die Untersuchung leitet … Das ist Captain Thomas Daily. Ich nehme an, Sie können ihm ein paar Hinweise in Bezug auf den Brand gestern geben.“

„Allerdings.“

„Der Captain ist im Haus. Ich werde ihm ausrichten, dass Sie ihn sprechen wollen.“

Was Frauen betraf, so gehörte Gabe mehr zu den Gejagten als den Jägern. Aber diese Lady hatte etwas an sich, das ihn faszinierte.

Er ging die paar Schritte zum Tresen zurück. „Miss Baker?“

Beim Klang seiner Stimme drehte sie sich um. „Ja?“

„Mein Name ist Gabriel Raines. Meine Firma war mit der Sanierung der Tower beauftragt. Es ließ sich nicht vermeiden, dass ich gerade mitgehört habe … Ich nehme an, Sie haben Informationen zu dem Fall?“

„Eigentlich bin ich hier wegen eines Freundes.“ Sie warf kurz einen besorgten Blick den Gang hinunter zu dem Raum, in dem Gabe gerade den Verdächtigen identifiziert hatte. „Die Polizei glaubt, dass er etwas mit der Brandstiftung zu tun hat.“

„Und Sie nicht?“

„Nein. Angel würde so etwas nie tun.“

„Soweit ich unterrichtet bin, hat er vor drei Jahren schon mal ein Feuer gelegt. Ich habe ihn gestern auch vor den Towern gesehen. Wenn er nichts damit zu tun hat, warum war er dann dort?“

Aus ihren großen blauen Augen, die etwas heller als seine eigenen waren, starrte sie ihn ungläubig an. „Sie … Sie haben Angel gestern dort gesehen? Bei den Towern?“

„So ist es. Er und ein anderer Junge standen auf dem Bürgersteig, als ich aus meinem Truck gestiegen bin. Es war immer noch ziemlich früh. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch nicht so viele Schaulustige, deshalb kann ich mich auch an ihn erinnern.“

Sie ließ kurz die Schultern sinken, dann richtete sie sich wieder gerade auf. „Ich muss mit ihm reden. Dafür gibt es bestimmt eine Erklärung.“

„Entschuldigung, Miss Baker“, mischte sich die Beamtin vom Empfangstresen ein. „Captain Daily möchte Sie jetzt sprechen.“

Gabe zog seine Brieftasche hervor und reichte Mattie Baker eine Visitenkarte. „Wenn ich irgendwas tun kann, lassen Sie mich es wissen.“

Mattie nahm die Karte an sich. „Danke, das werde ich.“

„Viel Glück!“, sagte er. Das würde sie wohl brauchen, wenn sie vorhatte, dem Jungen zu helfen.

Die Beamtin zeigte den Gang hinunter, wo Captain Daily gerade auftauchte. Mattie eilte ihm entgegen. Ein paar Strähnen ihres feurigen Haars hatten sich aus dem Knoten in ihrem Nacken gelöst. Gabe ging auf die Tür zu und fragte sich, ob er Mattie Baker jemals wiedersehen würde.

Und das, Teufel noch mal, hoffte er sehr.

2. KAPITEL

„Ich hab’s nicht getan, Mattie!“ Angel rutschte nervös auf seinem Stuhl ihr gegenüber herum. Er war kleiner als andere Jungen in seinem Alter, etwa eins fünfundsechzig, mit leicht stämmigem Körperbau und weit auseinanderliegenden braunen Augen. Aber er war ein hübscher Typ und ziemlich intelligent. Jedenfalls meistens.

„Ich hab vor drei Jahren meine Lektion gelernt“, fuhr er fort. „So was würde ich nie wieder tun!“ Er blickte zu ihr hoch, und sie sah die Furcht in seinen Augen. „Sie glauben mir doch, oder?“

Mattie seufzte. „Wenn du sagst, du hast das Feuer nicht gelegt, dann glaube ich dir das. Sag mir bloß, was du gestern Nacht in der Stadt gemacht hast.“

Angel wich ihrem Blick aus.

„Angel, bitte sieh mich an!“ Er blickte betrübt hoch. „Du wohnst in Oak Cliff. Gestern Nacht hat man dich an der Brandstelle gesehen. Ich muss wissen, was du so weit weg von zu Hause gemacht hast.“

Seine Hand, die auf der Tischplatte lag, zuckte leicht. „Ich bin herumgefahren. Dann habe ich das Feuer gesehen und bin da hin, um zuzusehen, so wie die anderen alle. Das ist doch kein Verbrechen, oder?“

Mattie ging nicht auf diese Bemerkung ein. „Die Polizisten meinten, du wärst noch mit jemand anderem da gewesen. Wer war das denn?“

Angel schüttelte den Kopf. „Ich war allein. Und ich habe das Feuer nicht gelegt.“

„Okay, du hast das Feuer nicht gelegt. Aber du verheimlichst mir doch irgendwas! Ich kann dir nicht helfen, wenn du mir gegenüber nicht ehrlich bist.“

Er schluckte, und ganz kurz war ein Glitzern in seinen Augen zu sehen. „Ich hab das Feuer nicht gelegt.“

Mattie seufzte frustriert. „Dann sag mir doch mal …“

„Ihre Zeit ist um, Miss Baker.“ Ein Polizist stand an der Tür. „Sie müssen jetzt gehen.“

Sie war überrascht, dass sie sie überhaupt zu Angel hineingelassen hatten; schließlich gehörte sie weder zur Familie noch war sie seine Anwältin. Aber Captain Daily schienen die Standhaftigkeit, mit der sie den Jungen verteidigte, und ihre offensichtliche Sorge berührt zu haben.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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