Dunkle Küsse - Jeanne C. Stein - E-Book

Dunkle Küsse E-Book

Jeanne C. Stein

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Beschreibung

Anna Strong sieht aus wie eine ganz normale Frau, doch sie ist so viel mehr: Seit Anna zum Vampir wurde, kämpft sie nicht nur gegen Blutsauger und andere Wesen, die eine Bedrohung für die Menschheit darstellen, sondern auch gegen sich selbst: Tief in ihr brodelt ein dunkles Verlangen, dem sie nicht nachgeben darf. Doch zum Glück gibt es im Moment genug, was sie davon ablenkt: ein rachsüchtiger mexikanischer Drogenbaron, ein psychopathischer Killer und eine Hexe, deren schwarze Magie für Anna zur größten Herausforderung ihres untoten Lebens zu werden droht …

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Seitenzahl: 428

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Jeanne C. Stein

Dunkle Küsse

Ein Vampirthriller

Aus dem Amerikanischen von Katharina Volk

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

WidmungKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Kapitel 49Kapitel 50Kapitel 51Kapitel 52Kapitel 53Kapitel 54Kapitel 55Kapitel 56Kapitel 57Kapitel 58Kapitel 59Kapitel 60Kapitel 61Kapitel 62Kapitel 63Kapitel 64Kapitel 65Kapitel 66Danksagung

Meiner Schwester Connie.

Ein Fels in der Brandung.

[home]

Kapitel 1

Es ist später Oktober in San Francisco, und wenn ich noch ein Mensch wäre, würde ich mir den Arsch abfrieren. Ein eisiger Wind pfeift aus der Bucht herauf, so dass sich die zehn Grad eher anfühlen wie minus eins. Sogar mein Partner, der Ex-Football-Spieler David Ryan, fühlt sich sichtlich unwohl.

Aber es ist nicht die Kälte, die ihn die Stirn runzeln lässt, sondern die Erkenntnis, dass unser toller Plan für diese spezielle Festnahme in Rauch aufgegangen ist. Und vor allem, warum.

Wir stehen auf halber Höhe eines Häuserblocks an der Hollister Avenue und beobachten den Eingang einer Bar an der Ecke ein paar Türen weiter. Für einen Mittwoch ist sie proppenvoll. Gut, aber auch schlecht für das, was wir vorhaben. Gut, weil eine Menschenmenge Deckung bietet. Schlecht, weil immer die Gefahr besteht, dass irgendein unbeteiligter, aber übereifriger Zuschauer die Sache falsch versteht und sich einmischen will. Das ist uns schon mal passiert. Aber da wir wissen, dass unser Flüchtiger, Tony Tuturo, da drin ist – wir sind ihm bis hierher gefolgt –, ist das ein Risiko, das wir eingehen müssen.

Ach, habe ich schon erwähnt, dass wir einen Plan hatten?

Ich trage einen kurzen schwarzen Rock, ein knappes Seidentop mit Nackenträger, eine Lederjacke und echte Fick-mich-Pumps. Die Idee war, dass ich reingehe, ihn mit meinen weiblichen Reizen umgarne und ihm ein Angebot mache, das er nicht wird ablehnen können, weil er sein Glück gar nicht fassen kann. Sobald wir draußen wären, würden David und ich ihn in ein Auto verfrachten. In weniger als einer Stunde wären wir am Flughafen und mit unserem Kautionsflüchtigen auf dem Heimweg nach San Diego. Hätte funktionieren müssen. Hätte ein Spaziergang werden sollen.

David sieht mich an. »Das ist eine Schwulenbar. Wusstest du, dass Tuturo schwul ist?«

Jetzt weiß ich es. Ein Lachen platzt aus mir heraus, ehe ich es unterdrücken kann. »Wäre ich wohl so angezogen, wenn ich das geahnt hätte?«

Er runzelt die Stirn. »Was machen wir denn jetzt?«

Nicht zu fassen, dass er überhaupt fragen muss. »Was glaubst du denn? Du gehst rein, und ich warte hier. Herrgott, der wirft einen Blick auf dich, und …«

»Okay«, sagt er gedehnt. Er beobachtet die Tür und den beständigen Strom gutgekleideter Männer zwischen zwanzig und vierzig, die den Laden betreten. Melancholischer Soft Jazz treibt jedes Mal zu uns heraus, wenn die Tür aufgeht. David fährt sich mit der Hand durch das dichte, kurzgeschorene Haar. »Ich glaube, dafür bin ich nicht passend angezogen.«

Er trägt Jeans, ein schwarzes T-Shirt und einen langen, schwarzen Ledermantel. Vielleicht ein wenig underdressed, verglichen mit den schicken Anzügen, die wir in die Bar gehen sehen. Aber David hat als Tight End für die Broncos gespielt, als die noch Super-Bowl-Champions waren, und er ist jetzt ebenso fit und durchtrainiert wie damals. Seine muskulösen hundertzwanzig Kilo sind wohlproportioniert über einen Meter fünfundneunzig verteilt. Er sieht so gut aus, dass er modeln könnte – hohe Wangenknochen, feingebräunte Haut, üppige Lippen.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Glaub mir, niemand wird darauf achten, wie du angezogen bist.«

Er blickt auf mich herab, immer noch stirnrunzelnd. »Also gut.« Er reicht mir die Autoschlüssel. »Bis gleich dann.«

David geht hinein, und ich bleibe auf dem Bürgersteig zurück und darf Däumchen drehen. Ich gehe ein paar Schritte weiter und bleibe neben unserem Mietwagen stehen. Mir ist es viel lieber, selbst den Köder zu spielen. Nichtstun geht mir auf die Nerven. Es erinnert mich nur daran, wie sehr sich mein Leben seit einer Nacht wie dieser hier im vergangenen Sommer verändert hat. Nur dass der Flüchtige damals nicht das war, was wir erwartet hatten. Und als er mich angriff, vermischte sich unser Blut, und ich wurde zum Vampir.

Ich lehne mich mit dem Hintern an die Tür und presse mir die Fingerspitzen auf die Augen.

Ein Vampir.

Ich habe mich damit abgefunden. Zum Großteil. Ich akzeptiere, dass ich menschliches Blut trinken muss, um mich zu ernähren, und dass die Unsterblichkeit meine Zukunft ist. Aber alles habe ich nicht akzeptiert. Das Kräfteverhältnis zwischen der übernatürlichen und der menschlichen Seite meiner Persönlichkeit verschiebt sich. Mit jedem Tag spüre ich es mehr. Das Tier in mir wird stärker und immer schwerer zu beherrschen. Ich habe einen Mentor, der mir hilft, und eine Art Selbsthilfegruppe, wenn man so will, die mir den Übergang erleichtert. Doch ich habe auch eine menschliche Familie und einen Geschäftspartner, die nicht wissen, zu was ich geworden bin, und ich kämpfe darum, an diesen Beziehungen festzuhalten, so lange ich kann.

Die Tür der Bar schwingt auf, und David ist wieder da, einen Arm um die Schultern von Tony Tuturo gelegt. Die beiden lachen, und Tony schlingt einen Arm um Davids Taille und zieht ihn an sich.

Das hat ja nicht lange gedauert – hatte ich auch nicht erwartet. Ich schlüpfe auf den Fahrersitz und lasse den Motor an.

David steuert Tony auf den Wagen zu. Tony ist einen halben Kopf kleiner als David und etwa fünfunddreißig Kilo leichter. Er hat braunes Haar und feine, gebräunte Haut, die im schwachen Licht schimmert und schreiend »Sonnenbank« verkündet. Er ist makellos gekleidet, in einen grauen Armani-Anzug mit Nadelstreifenhemd. Keine Krawatte. Wohl auch keine Schusswaffe – außer, sein Schneider hat das Jackett eigens dafür angepasst. Er wird in New York gesucht, wo man ihm Erpressung und schweren Diebstahl vorwirft. Ich wette, er hat eine Waffe.

Sie nähern sich dem Wagen. David lässt die Hand von Tonys Schultern sinken, leicht über dessen Jackett streifen und hakt sich dann bei ihm unter.

Sehr geschickt abgetastet. So unauffällig habe ich das selten gesehen.

Nun fällt Tony auf, dass David ihn auf ein Auto zuführt, das mit laufendem Motor am Straßenrand steht. Er tritt noch einen Schritt näher, sieht mich und bleibt stehen.

Sein Lächeln weicht einem verwunderten Stirnrunzeln. »Wer sitzt in dem Auto?«, fragt er.

David verstärkt seinen Griff, eine Hand noch um Tonys Taille, die andere nun an seinem Oberarm. »Eine Freundin, Tony. Meine Fahrerin.«

Ich schenke ihm ein Lächeln.

Tony wird unruhig. »Wir brauchen keine Fahrerin. Wir nehmen meinen Wagen.«

Aber David hat ihn jetzt nah genug am Auto, um die Maske fallen zu lassen. Er versetzt Tony einen Stoß, der ihn hilflos gegen die Seite des Wagens prallen lässt. Während Tony noch darum ringt, sich aufrecht zu halten, lässt David die Handschellen zuschnappen, drückt ihn mit einer Hand an den Wagen und tastet ihn gründlich ab.

Die Waffe, ein hübscher kleiner Smith & Wesson 38er LadySmith-Revolver, steckt in einem hübschen kleinen Wadenholster.

David öffnet die Fondtür und stößt Tony auf den Sitz. Er steigt neben ihm ein, reicht mir die Waffe nach vorn und schnalzt mit der Zunge. »Rosenholzgriff«, sagt er. »Ein bisschen zu schick für meinen Geschmack.«

Ich drehe den Revolver hin und her und bewundere das prächtig verarbeitete Holz. »Sehr hübsche Waffe, Tony.«

Eine Bewegung vor der Bar erregt meine Aufmerksamkeit. Ein Mann stürzt aus der Tür und blickt erst nach links, dann nach rechts.

»Ein Freund von dir, Tony?«, frage ich.

Tony antwortet nicht.

Der Kerl kommt auf unser Auto zu. Er sieht gut aus, wie man eben mit einem italienischen Seidenanzug und zurückgegeltem Haar so aussieht. Er versucht, auf den Rücksitz des Wagens zu spähen, doch in der Dunkelheit sind die getönten Scheiben praktisch undurchsichtig.

»Ich glaube, das ist unser Stichwort«, sage ich zu David und rase los.

Der Kerl starrt uns nach. Er runzelt unsicher die Stirn, macht aber keine Anstalten, uns folgen zu wollen. Ich sage mir, dass ich nun entspannen kann, und fahre in Richtung Freeway.

»Sag San Francisco auf Wiedersehen, Tony«, murmle ich.

Doch auch diesmal kommt keine Reaktion vom Rücksitz. Tony spricht kein Wort, während der gesamten Fahrt zum Flughafen. Er fragt nicht einmal, wer wir sind oder wo wir ihn hinbringen. Seine mangelnde Besorgnis lässt mich umso wachsamer werden. Niemand gibt so leicht einfach auf.

Von San Francisco geht fast stündlich ein Pendlerflug nach San Diego, bis unser Flughafen wegen Lärmschutz um Mitternacht geschlossen wird. Es ist jetzt zehn Uhr. Uns bleibt gerade noch genug Zeit, den letzten Flug nach Hause zu erwischen. Ich stehe mit Tony in der Nähe des Shuttlebusses vor der Autovermietung. Sein Jackett hängt lose über seinen Schultern und verbirgt die Handschellen. Als die Bustüren aufgehen, steige ich zuerst die Stufen hoch. David stupst Tony vorwärts. Er tritt auf die erste Stufe, taumelt rückwärts und stößt gegen David, der das Gleichgewicht verliert. Schneller, als ich es für möglich gehalten hätte, rammt er David den Kopf in den Bauch, schubst ihn beiseite und rennt über den Parkplatz.

Doch so schnell er auch sein mag, ich bin schneller. Ich höre David hinter mir rufen, doch der Adrenalinkick hat eingesetzt. Der Jäger und die Beute. Reiner Instinkt. Ich habe Tony mit dem Gesicht nach unten auf dem Asphalt liegen, ehe die beiden Männer so recht mitbekommen, was passiert ist. Ich habe den Vampir die Kontrolle übernehmen lassen, und solange David noch außer Hörweite ist, knurre ich in Tonys Ohr und drehe sein Gesicht zu mir herum.

Ich weiß nicht, wie mein Vampirgesicht aussieht. Ich werfe kein Spiegelbild mehr. Die Veränderung kann ich nur spüren – die Hitze, das aufwallende Blut. Seit Wochen habe ich nichts mehr getrunken. Mein menschlicher Job hat den Großteil meiner Zeit in Anspruch genommen, und ansonsten war ich mit – anderen Dingen beschäftigt. Mir war nicht klar, welch intensiver Hunger sich in mir aufgebaut hat, bis jetzt, denn unwillkürlich ziehen sich die Lippen von meinen Zähnen zurück, und ein Fauchen bricht aus meinem tiefsten Inneren hervor.

Tony windet sich und versucht zu entkommen.

Finger wie aus Stahl schließen sich um seine Arme. Mein Mund ist dicht an seinem Ohr. »Versuch das noch mal«, flüstere ich. »Und ich reiße dich in Stücke.«

Sein Körper erstarrt unter mir. Ich spüre seinen panisch rasenden Herzschlag. Ich rieche seine Angst und sehe sein Blut in der Halsschlagader pulsieren, nur einen Kuss entfernt.

Nur einen dunklen Kuss entfernt …

David legt mir die Hand auf die Schulter, und ich zucke zusammen.

»Anna, alles in Ordnung?«

Ich brauche ein paar Herzschläge, um mich zu entspannen und die Blutlust zu überwinden. Ich sammle mich und richte mich auf. »Mir geht’s gut.« Meine Stimme ist heiser und zittert, dennoch stehe ich auf und zerre Tony auf die Füße. »Ich habe unserem Freund hier gerade erklärt, wie die Sache läuft.« Während ich spreche, zupfe ich Tonys Jackett zurecht und tätschle ihm die Schulter. »Ich denke, wir verstehen uns. Er wird uns keine Scherereien mehr machen. Nicht wahr, Tony?«

Tony starrt mich mit großen Augen an. Sein Mund geht ein paarmal auf und zu, doch sein Hirn versucht immer noch einzuordnen, was er in meinem Gesicht gesehen hat. Offensichtlich gelingt ihm das nicht schnell genug, um einen zusammenhängenden Gedanken zu fassen.

Ich klopfe ihm auf die Schulter. »Schon gut, Tony, du brauchst nichts zu sagen.«

David versetzt ihm einen Stoß in Richtung Bus. »Herrgott, Anna«, sagt er. »Seit wann bist du so schnell?«

»Ich war schon immer schnell. Das ist dir nur nie aufgefallen.«

Tony holt tief und bebend Luft und rückt an Davids Seite. Er blickt zu ihm auf und sagt in kläglichem Tonfall: »Halt sie mir bloß vom Leib, Mann. Die ist wie ein tollwütiger Hund.«

Ich lächle. Ja, schon irgendwie.

[home]

Kapitel 2

Als wir wieder in San Diego sind, setzt David mich im Büro ab, bevor er Tony der Polizei übergibt. Tony ist offenbar sehr erleichtert, als ich aussteige. Vielleicht wird er es sich das nächste Mal besser überlegen, bevor er seine Kaution verfallen lässt.

Ich steige in mein Auto und will eigentlich nach Hause fahren, doch mein kleines Tänzchen mit Tony hat etwas in mir entfesselt. Der Hunger nagt an mir und lässt sich nicht länger ignorieren. Wenn ich jetzt nach Hause fahre, habe ich eine lange, schlaflose Nacht voll getriebener Unruhe vor mir. Ich brauche Blut.

Ich weiß, wo ich hinmuss. Nach Mexiko.

Culebra wirkt nicht überrascht, als ich um halb drei Uhr morgens in der Tür seiner Bar erscheine. Er sitzt mit zwei männlichen Vampiren und zwei menschlichen Frauen am Tisch. Sonst ist niemand da, und vor Enttäuschung lasse ich die Schultern hängen. Die Frauen gehören offensichtlich zu den beiden Vampiren. Und die Party ist schon vorbei. Sie haben diesen erfüllten, befriedigten Blick von Frauen, die gut bedient sind. Und selbst wenn sie es nicht wären – Vampire teilen sehr ungern ihre Blutvorräte.

Culebra liest meine Stimmung und spürt meinen Hunger in dem kurzen Augenblick, den ich brauche, um zur Bar zu gehen und mich auf einem Hocker niederzulassen. Er gesellt sich zu mir und reicht mir eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank am Ende der Bar.

Hier. Das dürfte helfen.

Nur, wenn es Gruppe null ist. Aber ich nehme die Flasche, öffne sie und trinke.

Culebra ist ein Gestaltwandler, ein barscher alter Bandit mit einem zerfurchten Gesicht und der Fähigkeit, nach Belieben in meinem Kopf herumzustochern. Er ist mein Nahrungslieferant. In Filmen und im Fernsehen sieht man Vampire, die sich von tierischem Blut ernähren. Im wahren Leben ist das nicht so. Wir brauchen Menschenblut, um zu überleben. Culebra bietet einen Ort, an dem Vampire sich mit Menschen treffen können, die geradezu begierig darauf sind, sich aussaugen zu lassen. Menschen empfinden diesen Vorgang als außerordentlichen Genuss. Kombiniert mit Sex macht dieses Erlebnis ebenso süchtig wie Kokain, und es ist ebenso gefährlich. Die meisten Opfer von Vampiren sterben, weil sie nicht wollen, dass es aufhört, und ein skrupelloser oder undisziplinierter Vampir die Kontrolle verliert. Culebra behält diejenigen, die zum Trinken hierherkommen, scharf im Auge und schützt sowohl die Vampire als auch ihre menschlichen Wirte.

Culebra beobachtet mich, und im trüben Licht wirken seine Augen hart und glitzernd. Wo ist dein Freund Frey? Er würde dich nicht abweisen.

Ich schüttele den Kopf. Wahrscheinlich nicht. Aber er ist Lehrer, wie du weißt, und es ist spät. Er schläft bestimmt längst.

Daniel Frey ist ebenfalls ein Gestaltwandler. Wir hatten Sex miteinander, und er hat mir erlaubt, von ihm zu trinken, aber ich habe nicht die Absicht, ihn mitten in der Nacht zu wecken, weil ich zu lange gewartet habe, mir Nahrung zu besorgen. Außerdem ist letztes Mal, als ich ihn angerufen habe, eine Frau ans Telefon gegangen. Als sie fragte, ob ich eine Nachricht hinterlassen wollte, war da etwas in ihrer Stimme, das deutlich sagte, wie unlieb ihr das wäre.

Was du brauchst, ist ein fester menschlicher Freund, erklärt Culebra mit innerlich erhobenem Zeigefinger. Das ist viel sicherer als diese wahllose Suche. Nach allem, was geschehen ist, solltest du das wissen.

Culebra spielt auf etwas an, das vor ein paar Wochen geschehen ist. Ich stand sehr kurz davor, einen Menschen anzugreifen und zu töten, der einem Mitglied meiner Familie etwas angetan hatte. Dabei bin ich Gefahr gelaufen, mich als Vampirin zu offenbaren, und das vor einer ganzen menschlichen Welt, die noch nicht bereit ist zu akzeptieren, dass es so etwas gibt.

Doch für die vorgeschlagene Alternative bin ich auch noch nicht bereit. Ich habe einen menschlichen Freund. Max. Ich konnte mich bisher nicht überwinden, ihm zu sagen, was ich geworden bin, und ich konnte und wollte mich nicht dazu durchringen, von ihm zu trinken. Zugleich konnte ich mich anscheinend aber auch nicht davon abhalten, Sex mit nichtmenschlichen Wesen zu haben, die mir über den Weg liefen, und von ihnen zu trinken. Nein, das entspricht nicht ganz der Wahrheit. Ich habe mich nicht davon abgehalten, weil ich nicht wollte.

Es gibt einen weiteren Grund für mein Zögern. Max scheint plötzlich entschlossen zu sein, in unserer Beziehung einen Schritt weiter zu gehen. Früher einmal hätte mich das vielleicht sehr glücklich gemacht. Aber obwohl Max ein guter Mann ist – stark, treu, gutaussehend –, darf das nicht geschehen, weil ich jetzt bin, was ich bin. Nicht nur wegen der offensichtlichen Probleme, sondern deshalb, weil ich ihm bereits zweimal untreu war, mit übernatürlichen Männern, und ich weiß, dass ich das wieder tun werde.

Das ist die Natur der Bestie in mir.

Max verdient eine Frau, die ihn liebt wie eine echte Frau – eine echte menschliche Frau. Keine, die ihm etwas vorspielt. Ich habe meine kleine Ansprache seit unserem letzten Treffen geprobt. Ich habe ihn nur seither noch nicht wiedergesehen und weiß nicht, ob ich den Mut haben werde, sie ihm auch zu halten.

Ich trinke das Bier aus, stelle die Flasche auf die Bar und stehe auf. Ein letztes Mal lasse ich den Blick durch den alten Saloon schweifen und gehe zur Tür. Als ich Tony Tuturo am Boden hatte, musste ich jedes Quentchen Kraft aufbringen, ihm nicht den Hals aufzureißen. Ich weiß, was geschehen wäre, wenn David nicht da gewesen wäre. Ich darf nächstes Mal nicht wieder so lange warten, bis ich trinke.

Nichts davon brauche ich Culebra mitzuteilen, weder verbal noch telepathisch. Er pflückt meine Gedanken aus der Luft wie Laub, das im Wind dahintreibt.

Du brauchst Blut. Was wirst du tun?

Ich zucke mit den Schultern. Nach Hause fahren, ins Bett gehen und versuchen zu schlafen. Morgen besuche ich Williams.

Endlich ist es mir gelungen, ein wenig von der Besorgnis, die sich auf Culebras Gesicht spiegelt, zu zerstreuen. Ich bin froh, dass du endlich Vernunft angenommen hast, was ihn angeht. Er kann dich vieles lehren.

Er begleitet mich zur Tür. Wenn du morgen wiederkommst, werde ich jemanden für dich dahaben. Er weist auf den Tisch und die vier Gäste, die daran sitzen. Heute Abend war nicht viel los.

Ich nicke und gehe zur Tür. Ehe ich sie aufstoßen kann, schwingt sie nach innen. Die Silhouette eines Mannes zeichnet sich vor dem mondlosen Nachthimmel ab, schwarz auf schwarz. Er tritt einen Schritt vor ins Licht, und ich weiche erschrocken zurück. Das ist der letzte Mensch, den ich hier erwartet hätte oder, wenn ich ehrlich sein soll, den ich hier sehen möchte.

»Max. Was tust du denn hier?«

[home]

Kapitel 3

Ich weiß nicht, wessen Überraschung größer ist. Max weiß, dass ich Culebra kenne. Er war zufällig da, als ich David hierherbrachte, nachdem Avery, ein Vampir, der vorgab, mich zu lieben, ihn übel zugerichtet hatte. Max glaubte natürlich, dass ein Sterblicher David verletzt hatte – ein Kautionsflüchtiger, den wir nach Beso de la Muerte verfolgt hatten. Max selbst arbeitet für die DEA, in der Drogenfahndung, genauer gesagt, und seit Culebra ihm vor einer Weile bei einem seiner Fälle geholfen hat, ist es durchaus erklärlich, dass er jetzt hier ist – nur unerwartet. Erschreckend finde ich allerdings, wie er aussieht.

Nicht gut. Max ist ein großer, kräftiger Mann mit harten Muskeln und starken Knochen. Normalerweise wiegt er gut hundertzehn Kilo bei einer Körpergröße von knapp einem Meter neunzig. Heute sieht er ausgezehrt aus, verhärmt. Seine Kleidung, Jeans, ein T-Shirt, eine Lederjacke, schlabbert an ihm wie Lumpen an einer Vogelscheuche. Er sieht aus, als hätte er mindestens fünfzehn Kilo verloren. Er ist mit Staub bedeckt, die Falten in seinem Gesicht wirken tiefer, seine blauen Augen trübe.

Seine Reflexe haben jedoch nicht gelitten. Ehe er bemerkt, wer vor ihm steht, liegt seine Hand an der Waffe unter seiner Jacke.

Als er mich erkennt, lässt er die Hand sinken, doch seine Augen werden schmal. »Anna. Was tust du hier?«

Culebra antwortet, ehe ich etwas sagen kann. »Sie arbeitet an einem Fall. Ein Entführer, der inzwischen angeblich in Tijuana wohnt. Ich hatte ein paar Informationen für sie.«

Er sieht sich um. »Du bist allein hergekommen? Wo ist David?«

»Wir treffen uns in Tijuana«, antworte ich hastig. »Aber was ist mit dir passiert? Du siehst schrecklich aus.«

Ein Funken des alten Max blitzt auf. »Ganz im Gegensatz zu dir.« Er zieht eine Augenbraue hoch. »Hübscher Rock, aber wo ist der Rest davon hingekommen?«

»Es freut mich, dass du mit Shampoo und Seife nicht auch deinen Sinn für Humor verloren hast.«

Er schwankt, plötzlich unsicher auf den Beinen. Ich deute auf einen Tisch, und er folgt mir. Sobald er neben mir sitzt, legt Culebra ihm eine Hand auf die Schulter.

»Ich besorge dir etwas zu essen.«

Culebra wirft mir einen Blick zu. Hier hast du, was du brauchst. Damit verlässt er uns.

Als wäre Max momentan in der Verfassung für eine Blutspende. Ich ignoriere Culebra und lege meine Hände auf Max’, die auf dem Tisch ruhen. »Ist es Martinez?«

Max antwortet nicht. Das ist auch nicht nötig. Max ist hier, weil Culebra seinen Freunden, menschlich oder nicht, einen gewissen Schutz bietet, an diesem gottverlassenen Ort in der mexikanischen Wüste. Bis vor kurzem hat Max undercover als Fahrer für Rodrigo Martinez gearbeitet, einen der größten Drogenbarone in Lateinamerika. Der Ring wurde gesprengt, mit Culebras Hilfe, wie ich vermute, und die Operation abgeschlossen. Aber Martinez selbst konnte entkommen. Er ist hinter Max her, und Max hinter ihm.

Max reißt sich zusammen und drückt meine Hände. »Wie geht es dir? Und deiner Nichte?«

Ich lächle. »Trish macht sich großartig. Sie ist mit meinen Eltern in Europa. Mom hat sich ein paar Monate beurlauben lassen. Sie meinte, ein langer Urlaub könnte Trish guttun.«

Meine Stimme erstirbt. Trish, gerade dreizehn Jahre alt, wurde von ihrer Mutter und deren widerlichen Freunden missbraucht. Die Täter sind entweder tot oder im Gefängnis. Meine Eltern haben das Mädchen aufgenommen, weil sie glauben, Trish sei die Tochter meines verstorbenen Bruders.

Ein Glauben, den ich noch gefördert habe, weil es so für alle am besten ist.

Max lächelt. »Es freut mich, dass sie bei deinen Eltern ist. Warum bist du nicht mitgefahren?«

Ein Dutzend Gründe schießen mir durch den Kopf – die zahllosen Probleme einer Vampirin, die versucht, ihr wahres Wesen vor ihrer sterblichen Familie und ihren Freunden zu verbergen.

Freunden wie Max.

Ich zucke mit den Schultern. »Schlechter Zeitpunkt. Das Geschäft brummt. Wenn es mit der Wirtschaft bergab geht, scheint das Verbrechen erst recht aufzublühen.«

»Wegen eures Entführers in Tijuana … Du weißt, dass ihr sehr vorsichtig sein müsst? Mexiko hat nichts für Kopfgeldjäger übrig.«

»Daher die Arbeitskleidung«, erwidere ich lächelnd. »Er wird mir bereitwillig folgen, meinst du nicht?«

Ich lasse einen Herzschlag verstreichen, ehe ich meine Frage wiederhole: »Was ist mit dir? Bist du wegen Martinez in Beso de la Muerte?«

Doch nun kehrt Culebra an den Tisch zurück, mit einem Teller, der nach Rindfleisch und gegrilltem Gemüse duftet. Er stellt ihn mit Tortillas und einer Flasche Bier vor Max auf den Tisch.

Max macht sich mit gieriger Begeisterung über das Essen her. Einmal macht er eine kurze Pause, um das Bier herunterzukippen, und Culebra holt eine weitere Flasche, ehe er sich einen Stuhl heranzieht und sich zu uns setzt.

Max’ Hunger ist gestillt, und er schiebt den Teller von sich und blickt zu uns auf. »Es ist eine Weile her, seit ich zuletzt etwas gegessen habe.«

»Offensichtlich«, entgegnet Culebra. »In der Küche gibt es noch mehr.«

Max schüttelt den Kopf und wischt sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Was ich jetzt brauche, ist eine Dusche und eine Mütze voll Schlaf.«

Culebra sieht mich an. Möchtest du heute Nacht mit Max hierbleiben?

Culebra weiß nichts von meiner Entscheidung, mit Max Schluss zu machen. Max auch nicht. Irgendwie scheint mir diese Nacht nicht der geeignete Zeitpunkt und Beso de la Muerte nicht der passende Ort zu sein, um es ihm beizubringen.

Culebra entnimmt die Antwort meinem Zögern und rückt seinen Stuhl vom Tisch ab. »Komm, mein Freund«, sagt er zu Max. »Ich bringe dich in die Tunnel. Dort bist du sicher. Bleib, solange du es für richtig hältst.«

Max schaut mich an, und ich sehe die Frage in seinen Augen. Ich lege eine Hand an seine Wange. »Ich muss weg. David wartet. Außerdem solltest du dich ausruhen.«

Er widerspricht mir nicht, ein schlechtes Zeichen. Er legt nur seine Hand auf meine und küsst mich auf die Wange. »Wir sehen uns bald.«

Sein Gesichtsausdruck sagt etwas anderes, und mir wird das Herz schwer. Ich lasse seine Hand nicht los. »Du hast mir immer noch nicht gesagt, was du hier tust. Was ist mit Martinez?«

Auch diesmal weicht er der Frage aus, er lässt meine Hand fallen und tritt einen Schritt zurück. »Wir sehen uns bald«, wiederholt er und bedeutet Culebra, dass er bereit ist, jetzt zu gehen.

Ich beobachte, wie sie den Saloon durchqueren und im Hinterzimmer verschwinden. Unentschlossenheit und Sorge um Max halten mich zurück. Vielleicht sollte ich doch bleiben. Max steckt in Schwierigkeiten, so viel ist offensichtlich. Ich weiß nur nicht, warum. Ich habe Max noch nie so … verloren gesehen. Und er verschweigt mir etwas.

Aber ich verstehe, dass man in seinem Beruf Geheimnisse haben muss.

Und ich denke daran, was ich vor ihm verheimliche.

Das macht es mir aber nicht leichter, ihn zu verlassen, noch besänftigt es meine wachsende Angst um ihn.

Ich kann Max nicht helfen, wenn ich nicht weiß, in was für Schwierigkeiten er steckt. Er mag nicht bereit sein, es mir zu sagen, aber ich wette, ich kenne jemanden, der es herausfinden kann.

[home]

Kapitel 4

Ich verlasse die Bar und fahre zurück in Richtung San Diego. Ich habe Culebra erzählt, dass ich heute Vormittag mit Williams verabredet bin. Warren Williams ist der Polizeichef von San Diego. Allerdings ist er noch wesentlich mehr als das. Williams ist ein Vampir, ein sehr alter Vampir, der zufällig auch Polizeichef ist, auch wenn man das kaum fassen mag.

Seit Wochen krieche ich jeden Morgen um halb fünf aus dem Bett, um ihn in seinem inoffiziellen Büro im Balboa Park zu treffen, wo sich eine Art geheimes Hauptquartier der übernatürlichen Gemeinschaft von San Diego befindet. Ich arbeite inzwischen auch für seine »Wächter«-Brigade. Wir behalten die übernatürliche Gemeinde im Auge und schreiten notfalls ein, um sowohl Geschöpfe wie mich als auch unsere menschlichen Nachbarn zu schützen. Meist tun wir nur das, was unser Name besagt, nämlich wachen und beobachten, aber manchmal …

Ich parke vor dem Museum of Art und gehe den El Prado entlang. In der kalten Dunkelheit des frühen Morgens ist das ein unheimlicher Ort. Das einzige Licht ist der matte Schein der hohen Straßenlaternen am Parkplatz, aber Nebel schlängelt sich um die Lampen und kriecht zu meinen Füßen herum. Selbst die Türme und Gesimse werfen unheimliche Bilder auf den Weg. Vampire fürchten sich nicht vor der Dunkelheit. Nicht so richtig. Aber seit ich zu einem geworden bin, ist mir nur zu bewusst, was in der Nacht noch alles herumschleicht. Ich beschleunige meine Schritte. Das beste Versteck ist da, wo dich alle sehen können.

Dieser Satz schießt mir durch den Kopf, als ich mich dem mystischen Wasserfall nähere, der den Eingang zu dem unterirdischen Versteck vor der ahnungslosen Öffentlichkeit verbirgt. Ich trete hindurch, kein ganz angenehmes Gefühl, außer man geht gern durch kalte, nasse Spinnennetze. Ich weiß nicht viel über die Magie, die dahintersteckt, aber ich weiß, dass ich auf der anderen Seite unsichtbar für jeden bin, der hinter mir vorübergeht.

Ich fische in meiner Handtasche nach dem glänzenden Messingschlüssel, der die Tür öffnet, vor der ich jetzt stehe. Dahinter ist ein Empfangsbereich mit einem Schreibtisch, auf dem ein Computer steht. Ich drücke ein paar Tasten, und das gesamte »Vorzimmer« verwandelt sich in einen Aufzug, der mich nach unten bringt.

Ganz gleich, wie oft ich das mache, es erstaunt mich jedes Mal wieder. Mission Impossible meets Stargate.

Und dieser Vergleich setzt sich drinnen fort.

Der Aufzug entlässt mich in einen großen, offenen Raum voller Schreibtische, selbst zu dieser frühen Stunde von der Schar menschlicher Medien und Hellseher besetzt, deren Arbeit diese Operation finanziert. Auf der Kante eines Schreibtischs, im Gespräch mit einer Frau, die ich nicht kenne, sitzt eine vertraute Gestalt.

»Guten Morgen, Sorrel«, sage ich.

Die Frau dreht sich um und lächelt strahlend, während ihre ruhigen blauen Augen mich erkunden. Sie erinnert mich an eine Disney-Cinderella – groß, gertenschlank, blond. Doch diese Cinderella ist aufgebrezelt mit einem Donna-Karan-Business-Kostüm und schicken Jimmy Choos. Ihr Gesichtsausdruck erinnert mich an den einer Katze, sie prüft die Luft, liest darin, bis sie die Antwort erhält, die sie sucht. »Guten Morgen, Anna. Wir sind wohl heute Nacht gar nicht ins Bett gekommen?«

Sorrel ist blind, obgleich man das nie vermuten würde, wenn man sie beobachtet. Sie ist außerdem Empathin. »Diesen Trick musst du mir irgendwann einmal verraten.«

Sie lacht. »Trick? Nein. Das ist eine Begabung. Und wie bei den meisten Gaben braucht man dafür Übung und Konzentration.« Sie lässt die manikürten Finger leicht flattern. »Es liegt alles in der Luft, Anna. Du brauchst es nur herauszufiltern.«

Ich ahme ihre flatternden Finger nach. »Dass ich die ganze Nacht lang aufgeblieben bin, schwebt also irgendwo im Äther herum?«

»Nein, aber deine Erschöpfung. Die kann ich spüren. Ich könnte dir helfen, das weißt du ja.«

Ihre besondere Gabe ist es, anderen Gelassenheit zu bringen. Sie hat es einmal bei mir versucht. Es hat funktioniert. Es hat mir aber auch den Drive genommen, den ich brauche, um die Dinge tun zu können, die ich eben tue. Wenn ich überleben will, kommt das nicht in Frage.

Ich brauche ihr das nicht zu erklären, sie weiß es und hat Verständnis dafür.

Sorrel lächelt. »Ich freue mich immer, dich zu sehen, Anna.«

Obwohl sie ihre Gabe nicht absichtlich einsetzt, wirkt sie auf mich. Ihr Lächeln hebt meine Laune enorm.

Sie wendet sich wieder der Unterhaltung zu, die ich unterbrochen habe, und ich gehe weiter zu den Büros an der hinteren Wand. Williams’ Tür steht offen, und er blickt kurz auf, als ich eintrete, um sich gleich wieder seiner Lektüre zuzuwenden.

Williams sitzt hinter einem metallenen Schreibtisch, mit konzentriert gesenktem Kopf. Er ist groß, schlank und sieht aus wie Mitte fünfzig, weil er sich das dunkle Haar von einem Profi mit grauen Strähnen durchziehen lässt. Heute trägt er keine Uniform, sondern Jeans, eine Bomberjacke aus braunem Leder, ausgelatschte Nikes und ein rosa Polohemd.

Ein rosa Hemd?

Er blickt von den Unterlagen auf, die er studiert hat, runzelt die Stirn und hebt verlegen eine Hand an die Brust. Meine Frau hat es mir geschenkt. Was stimmt denn nicht damit?

Williams’ Frau ist menschlich. Sie weiß von der wahren Natur ihres Mannes und akzeptiert sie. Es gibt viele in der übernatürlichen Gemeinschaft, die mit Sterblichen »verheiratet« sind – ein Konzept, das mir immer noch nicht ganz in den Kopf will. Dennoch finde ich es amüsant, dass dieser mächtige alte Vampir fürchtet, ich könnte mich wegen der Farbe eines Hemdes abschätzig über seine Frau äußern. Amüsant und rührend.

Er liest all das aus meinen Gedanken, weil ich sie zu ihm durchdringen lasse. Zufällig mag ich Rosa. Sein Tonfall klingt beinahe nach Defensive.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch und lasse mich auf einem Stuhl nieder. Ist unbedingt deine Farbe.

Sein Gesichtsausdruck wird weicher. »Die Liebe«, sagt er, »bringt einen Vampir dazu, seltsame Dinge zu tun.« Dann sieht er mich zum ersten Mal richtig an. Er lässt das Blatt Papier auf den Schreibtisch fallen und runzelt die Stirn. »Du musst trinken. Und du hast seit mindestens vierundzwanzig Stunden nicht geschlafen. Ich brauche dich fit und wach, Anna. Vor allem heute. Jetzt bin ich nicht sicher, ob ich dir diesen Auftrag anvertrauen kann.«

Die Härchen in meinem Nacken sträuben sich vor Wut. Hat er eine Standleitung zu Sorrel? »Ich kann jede Aufgabe bewältigen, vor die ich gestellt werde. Ich denke, das habe ich bewiesen.«

Er hebt beschwichtigend die Hand, doch seine grimmige Miene ändert sich nicht. »Der Abtrünnige, auf den ich dich ansetzen will, ist mächtig und schlau. Zahlreiche Todesfälle werden ihm zugeschrieben. Er ist erst seit zehn Jahren Vampir, aber er hat schon als Mensch gemordet, und mit seiner Macht ist auch sein Spaß am Töten gewachsen. Er operiert jetzt in San Diego und hat bereits die Aufmerksamkeit der Rächer erregt. Wir müssen ihn schnell ausschalten.«

Die Rächer sind eine Geheimorganisation menschlicher Vollstrecker, deren einziges Ziel darin besteht, Vampire ausfindig zu machen und zu töten. Wenn sie diesen Abtrünnigen schon im Visier haben, warum überlassen wir ihn dann nicht denen?

Er runzelt die Stirn. Das sollte dir eigentlich klar sein, Anna. Die Rächer unterscheiden nicht zwischen jenen in unserer Gemeinschaft, die gut sind, und jenen, die es nicht sind.

Da hat er recht. An meinem zweiten Tag als Vampirin hätten sie mich beinahe getötet.

Und es gibt einen zweiten offensichtlichen Grund: Wenn wir als schwach angesehen werden, unfähig, unsere Leute unter Kontrolle zu halten, wird das die Rächer nur darin bestärken, dass das ihre Aufgabe sei.

Er funkelt mich an. »Aber dieser wird nicht leicht zu töten sein, vor allem, wenn du nicht bei Kräften bist.«

Diesmal zügele ich mich bei meiner Antwort. »Also gut. Ich gebe zu, dass ich nicht geschlafen habe und dringend trinken muss. Aber ich kann beides zu meinem Vorteil nutzen.« Ich lasse ihn aus meinen Gedanken lesen, was mit unserem Kautionsflüchtigen in San Francisco passiert ist. »Der Lockruf des Blutes ist heute sehr stark für mich.«

Williams verschließt seinen Geist und mustert mich mit grauen Augen, so unermesslich wie der Ozean. Du trinkst immer in zu großen Abständen. Du darfst nicht so lange warten, sagt er schließlich.

Ich winke ab. Kann sein. Es ging eben nicht anders. Ich war in Beso de la Muerte, aber es gab keinen Wirt.

Seine Antwort ist ein missbilligendes Knurren. Anna, du musst damit aufhören. Du brauchst einen eigenen, festen menschlichen Wirt, männlich oder weiblich. Bleib bei diesem einen Wirt. Das ist die einzige Möglichkeit, dich zu schützen und deine Kraft aufrechtzuerhalten.

Drei Monate sind seit meiner Wandlung vergangen, und es kommt mir so vor, als hätte ich mir genau diesen Rat seitdem jeden verdammten Tag anhören müssen. Es wird allmählich lästig. In hundert Jahren werde ich mich vielleicht mit dem Gedanken anfreunden können, mir einen Menschen zu halten, bei dem ich ein-, zweimal im Monat trinken kann – wie ein Haustier.

Vielleicht.

Aber ich glaube es nicht. Und ich lasse mir meine Gereiztheit anmerken.

Können wir bitte wieder auf den Job zu sprechen kommen?

Ich erwarte einen weiteren hitzigen Redeschwall bezüglich meiner Ernährungsgewohnheiten. Zu meiner Überraschung und Erleichterung lässt Williams es aber gut sein. Ein weiterer Hinweis darauf, wie wichtig es ihm sein muss, diesen gefährlichen Einzelgänger aufzuhalten.

Er reicht mir ein Blatt Papier mit der Skizze eines Polizeizeichners. Das Phantombild zeigt einen Mann Ende vierzig, helle Haut, dunkle Augen, graues Haar, aus einem schmalen Gesicht zurückgekämmt. »Simon Fisher«, sagt er. »Knapp eins fünfundsiebzig groß, etwa fünfundachtzig Kilo schwer. Wird in drei Staaten gesucht. Seine letzten beiden Opfer hat er in die Höhlen in La Jolla verschleppt. Kennst du die?«

Ich blicke von dem Bild auf und nicke. »Könnte ich ihn jetzt dort finden?«

Williams sieht auf seine Armbanduhr. »Wenn meine Quellen recht behalten, wird er in etwa einer Stunde da sein. Er wurde vor zwanzig Minuten gesehen, als er seine Wohnung mit einer Frau verlassen hat. Er tötet am liebsten im Morgengrauen.«

Ich falte das Blatt zusammen und schiebe es in die Tasche meiner Jeans. Dann sollte ich wohl los.

Williams erhebt sich, als ich aufstehe. Sei vorsichtig, Anna. Er ist gerissen und sehr stark. Und, Anna – sein Leichnam muss gefunden werden.

Sein Blick ist ernst. Er sagt mir damit, dass ich dem Dreckskerl keinen Pflock durchs Herz rammen darf. Ohne Pflock habe ich das erst einmal gemacht, und ich kann mich nur zu gut erinnern, wie das war.

Schaffst du das?

Ich stoße seufzend den Atem aus. Ich weiß, warum es so wichtig ist, einen Leichnam zu hinterlassen. Auf diese Weise kann die Polizei den Fall abschließen, und die trauernden Angehörigen der Opfer haben zumindest diese Gewissheit. Doch der Preis für den Vampir, der der Öffentlichkeit diesen Dienst erweist, ist hoch. Ich habe ein flaues Gefühl im Magen.

Dennoch nicke ich. Ich tue das hier schließlich, damit ich lerne, die Bestie in mir zu beherrschen, und um mir die Folgen zu verdeutlichen, die es hätte, wenn mir das nicht gelingt.

Ich bin schon an der Tür, als mir Max wieder einfällt. Ich blicke zu Williams zurück. »Hast du einen Kontakt bei der Drogenbehörde?«

»Ich bin der Polizeichef einer bedeutenden Großstadt. Ich habe überall Kontakte.«

Ich glaube, ich habe ihn beleidigt. Vampire, vor allem die alten, scheinen ziemlich dünnhäutig zu sein. Ich runzle entschuldigend die Stirn und bitte: »Könntest du jemanden für mich überprüfen?«

Er antwortet nicht, wedelt aber mit der Hand, als wollte er sagen: »Na los, raus damit.«

Rasch erkläre ich ihm, wie es um Max steht und in was er verwickelt ist. »Ich wüsste gern mehr über Martinez. Offenbar schafft er es, sowohl dem FBI als auch den mexikanischen Behörden zu entwischen. Vielleicht kann ich irgendwie helfen.«

Williams neigt den Kopf zur Seite, sein gereizter Gesichtsausdruck ist verflogen. »Max hatte ich ganz vergessen. Vielleicht ist er genau das, was du brauchst.«

»Würdest du bitte mal kurz vergessen, was ich brauche? Ich habe dich gebeten, mir etwas über Martinez zu beschaffen.«

Wieder diese wedelnde Geste. »Ich werde sehen, was ich herausfinden kann.«

Seine Haltung macht sehr deutlich, dass er sich nur insofern für Max interessiert, als der mir nützlich sein könnte. Ich will mich jetzt nicht mit ihm darüber streiten. Es gilt, eine junge Maid zu retten, und diese Wonder Woman hier besitzt leider keinen unsichtbaren Düsenjet. Ich muss mit dem Auto quer durch die Stadt fahren.

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Kapitel 5

Es ist ein verdammt schickes Auto. Ich fahre einen zwei Jahre alten Jaguar XKR Cabrio, British Racing Green. Damit ist die Fahrt vom Balboa Park nach La Jolla ein Katzensprung, vor allem, da es noch zu früh für den Berufsverkehr ist.

Ich kenne die Stelle, zu der Williams mich geschickt hat. Sie liegt tief in einem Naturschutzgebiet, dem Torrey Pines State Park, und der versteckte Strand ist nicht leicht zu erreichen – es gibt nur einen steilen Pfad, der an einer Klippe hinabführt. Wegen dieser Lage ist der Strand ein beliebtes Revier zum Nacktbaden und wird vor allem von Leuten bevölkert, die sich eigentlich nicht nackt sehen lassen sollten. Doch so früh am Tag bietet er einem Vampir, der klettern kann wie eine Bergziege, die Abgeschiedenheit, die er für sein Vorhaben braucht.

Ich bin weder nervös, noch fürchte ich mich vor dem, was mich erwartet. Es ist nicht neu für mich. Seit einem Monat arbeite ich mit Williams zusammen und tue das, was die menschliche Strafverfolgung nicht kann: Ich ziehe übernatürliche Verbrecher für ihre Taten zur Rechenschaft. Williams und andere, die ich noch nicht kenne, dienen als Richter und Geschworene. Ich gehöre zu den Vollstreckern oder Scharfrichtern, je nachdem, wie das Urteil ausfällt.

Es ist einfach. Es geht schnell. Es ist sinnvoll.

Und ich habe festgestellt, dass ich recht gut darin bin.

Die Ironie darin ist mir sehr wohl bewusst. Tagsüber verdiene ich meine Brötchen damit, Kautionsflüchtige aufzuspüren und sie einem Justizsystem auszuliefern, das sie vermutlich recht bald wieder auf die Straße entlassen wird, wo sie sich neue Opfer suchen werden. Die Methode unserer, der anderen Welt bietet den Unschuldigen mehr Schutz und ist sehr viel wirkungsvoller.

Ich fahre so dicht an den State Park heran, wie ich es wagen kann, und stelle dann den Motor ab. Ich will nicht, dass Simon Fisher beim unerwarteten Erscheinen eines fremden Wagens die Flucht ergreift. Es ist schon fast sechs, und die Herbstsonne wird bald einen ersten zarten, strahlenden Blick auf das Meer werfen. Ich darf keine Zeit verlieren.

Ehe ich aus dem Auto steige, öffne ich das Handschuhfach. Darin liegt ein Messer in einer hübschen, praktischen Lederscheide. Ich befestige sie im Rücken an meinem Rockbund. Wenn ich Fisher den Rücken zuwende, würde er es sehen, aber ich habe nicht vor, ihm den Rücken zuzuwenden.

Dann steige ich aus, werfe meine Jacke auf den Fahrersitz, streife die hochhackigen Schuhe ab und renne durch die Bäume, mit einer Lockerheit, die daher rührt, dass ich der tierischen Welt nun ebenso wie der menschlichen angehöre. Ich komme an einem dunklen Auto vorbei, das am Anfang des Klippenpfades am Rand einer Lichtung versteckt ist. Als ich näher komme, höre ich keinen Laut aus dem Wagen. Er ist leer. Der Zündschlüssel steckt, die Türen sind nicht verschlossen. Ich öffne die Beifahrertür, und ein berauschendes Bouquet von Blut, Lust und Angst schlägt mir entgegen.

Fishers Geruch, vermischt mit dem seines Opfers. An der Kopfstütze kleben ein paar Blutstropfen. Ich streiche mit den Fingerspitzen darüber, und sie werden feucht. Der Geschmack des Frauenblutes verbreitet sich üppig über meine Zunge, und ein Schauer der Vorfreude überläuft mich. Gleich heute Nacht werde ich wieder nach Beso de la Muerte fahren. Mir wird nichts anderes übrigbleiben.

Leise schließe ich die Tür. Vor mir liegt der Pfad zu den Höhlen, noch in den tiefen Schatten der späten Nachtstunden verborgen.

Mit geneigtem Kopf lausche ich aufmerksam. Unterhalb der Kante, die den Pfad und die Klippe verbirgt, höre ich das Grollen der Wellen, das leise Klappern von Krallen auf Sand, als etwas Größeres die kleineren Geschöpfe ins Meer fliehen lässt. Dieses Etwas bewegt sich mit schweren, sicheren Schritten – ein Paar Füße, nicht zwei.

Ich hoffe, ich bin nicht zu spät gekommen.

Der Pfad führt den felsigen, gefährlich steilen Abhang hinab zum Eingang der ersten Höhle. Ich sende vorsichtig einen forschenden Gedanken aus und achte darauf, meine Identität zu verhüllen und meine eigenen Gedanken zu verschließen – ich will nur das Ding da unten identifizieren. Wie beim Radar einer Fledermaus hallt das Echo zu mir zurück – ein Vampir.

Das ist alles, was ich wissen muss. Ich rase den Pfad hinunter. Diesen Simon Fisher will ich überraschen, ihm etwas geben, das ihn von seinem Opfer ablenkt. Etwas, das er noch mehr wollen wird als eine sterbliche Frau. Etwas Besseres.

Am Fuß des Abhangs gähnt der Eingang zur ersten Höhle. Er ist weit offen, man hat freies Schussfeld über den Sand zum Meer. Hierher gehen die meisten Leute, die diesen Strand besuchen. Wenn man nicht weiß, was sonst noch hier unten ist, würde man es nicht finden. Links von der ersten Höhle, hinter einem gezackten Felsvorsprung, der nach völlig massivem Gestein aussieht, liegt ein zweiter Eingang. Unsichtbar, dunkel, abschreckend. Dahinter höre ich gleichmäßige Schritte, schwere Schritte von jemandem, der eine Last trägt. Und leise, unregelmäßige Atemzüge.

Vampire atmen nicht.

Vielleicht bin ich doch noch rechtzeitig gekommen.

Eine weitere gedankliche Erkundung sagt mir, dass sich der Vampir nur wenige Meter hinter dem Eingang befindet. Seine Gedanken sind fiebrig, der Blutdurst gierig. Er freut sich aufs Töten. Er wird die Frau erst vergewaltigen und kann seine Erregung kaum mehr zügeln. Dann wird er sie leer trinken und die gesteigerte sexuelle Lust auskosten, wenn ihr Leben in seinen Körper strömt.

Ich trete um den Felsvorsprung herum vor den Höhleneingang. Er ist zu sehr mit seinen Phantasien beschäftigt, um mich zu bemerken. Er legt die Frau auf den Boden und schlägt ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Er weiß, dass das Betäubungsmittel, das er ihr verabreicht hat, allmählich nachlassen sollte. Er schlägt sie noch einmal.

Sie stöhnt und regt sich.

Ich sende meine erste Botschaft aus. Simon Fisher?

Sein Körper fährt ruckartig zu mir herum. In seinen Augen glimmt ein wüstes inneres Feuer, dann wird ihr Ausdruck schlagartig undurchdringlich. Er starrt mich an, versucht, in meinen Geist einzudringen.

Ich lasse ihn nicht herein.

Was bist du? Was tust du hier?

Als ich einen Schritt vortrete, weicht er instinktiv zurück. Seine Hände ballen sich zu Fäusten. Sein Gesicht kommt mir bekannt vor – es ist das Gesicht des Tieres, das uns beide überwältigt, die Fratze des Vampirs. Er knurrt mir eine Warnung zu.

Ich hebe die Hand. Mein Name ist Anna Strong. Ich bin Wächterin. Ich komme, um dich zu warnen.

Wovor?

Die Polizei weiß, dass du hier bist.

Die Frau auf dem Boden ringt japsend nach Atem. Ihre Augen sind weit aufgerissen, der Blick von Verwirrung benebelt. Als sie endlich klar sieht und Fisher, den Vampir, entdeckt, versucht sie auf allen vieren davonzukriechen.

Er streckt die Hand aus, packt sie am Handgelenk und reißt sie zu sich zurück. Dann drückt er mit dem Finger auf ihre Drosselvene, bis sie an seiner Seite zusammensackt.

Vorsichtig rücke ich einen Schritt vor. Lass sie gehen. Es wird nur schlimmer für dich, wenn sie sie hier finden.

Er grinst, drückt sich ihre schlaffe Hand an die Lippen und leckt an ihrem Handgelenk. Zuerst werde ich mir meine Beute schmecken lassen. Die menschliche Polizei kann mich nicht festhalten. Das weißt du.

Aber die Rächer können es. Du warst achtlos und hast ihre Aufmerksamkeit erregt. Sie schicken einen ihrer Leute mit der Polizei hierher. Er wird dich in seine Gewalt bringen. Und dann wird dich niemals jemand wiedersehen.

Fisher überdenkt meine Worte. Es ist in der vampirischen Gemeinschaft wohlbekannt, dass die Rächer auch Leute bei der Polizei haben. So identifizieren sie kriminelle Aktivitäten, die nur einem Vampir zugeschrieben werden können. Blutlose Leichen lassen sie sofort Verdacht schöpfen.

Die Frau öffnet die Augen. Sie wehrt sich gegen Fishers Griff. Als er ihn lockert, stößt sie ihm das Knie in den Schritt. Doch es steckt nicht viel Kraft in dem Tritt, und statt sie ganz loszulassen, verzerrt er das Gesicht vor Wut und hebt die Hand, um sie zu schlagen.

Ich bin bei ihm, ehe er zuschlagen kann, und fange seine Hand mitten im Schwung ab.

Ich ziehe ihn an mich. Lass sie gehen. Ich biete dir etwas Besseres an.

Einen Augenblick lang fürchte ich, dass er kämpfen wird. Aber ich riskiere es, lasse seine Hand los und erlaube ihm, mein Angebot aus meinen Gedanken zu lesen.

Interesse funkelt in seinen Augen auf. Er hält seine Gedanken vor mir verschlossen, doch ich kann mir vorstellen, was ihm durch den Kopf geht. Sein Blick gleitet von meinen Brüsten zum Saum des Minirocks.

Der Sexualtrieb eines männlichen Vampirs ist sehr machtvoll – sogar noch machtvoller als der eines sterblichen Mannes. Und Sex mit einem anderen Vampir ist der beste Sex überhaupt. Die Verbindung von Blutlust und Sex übersteigt alles, was man als Sterblicher oder mit einem Sterblichen je erleben könnte. Den Blick immer noch auf die Stelle gerichtet, wo der Rock aufhört und meine Beine anfangen, öffnet Fisher mir seinen Geist mit hitzigen Bildern dessen, was er tun will und wie er es tun will.

Ich nicke zustimmend. Lass erst die Frau gehen.

Er blickt verächtlich auf sie hinab. Solche wie die gibt es viele. Sie ist kein Verlust.

Er lässt sie los und tritt einen Schritt zurück.

Sofort springt sie auf, das Gesicht von Verwirrung und Angst überschattet.

»Am oberen Ende des Klippenpfads steht ein Auto«, sage ich zu ihr. »Der Zündschlüssel steckt. Verschwinden Sie von hier.«

Sie schüttelt den Kopf, als wollte sie ihn klar bekommen. »Was ist mit Ihnen? Sie kommen doch mit, oder?«

»Nein. Mir passiert schon nichts. Gehen Sie einfach.«

Sie zögert immer noch.

Ich starre sie mit meinem Tiergesicht an und knurre den Befehl: »Gehen Sie. Jetzt.«

Sie schnappt nach Luft, rennt los und stolpert über den nassen Sand. Sie blickt nicht zurück.

Während ich mich auf die Frau konzentriere, greift Fisher an. Er packt mich. Mit einer Hand an meinem Hals, der anderen in meinem Schritt, zwingt er mich auf den Sand hinab. Als ich unter ihm feststecke, zerreißt er mit klauenartigen Nägeln meine Bluse und zerrt meinen Rock hoch, bis er sich in meiner Taille knüllt. Seine Augen glühen, und einen Augenblick lang fühle ich mich auf einen finsteren Parkplatz in einer heißen Julinacht zurückversetzt, in der ein anderer Vampir über mich herfiel.

Heute wird es anders laufen.

Fisher hält inne und löst eine Hand von mir, um an seinem Gürtel zu zerren. Diese kleine Verzögerung ist alles, was ich brauche.

Ich reiße die Hände hoch, schleudere ihn von mir und lasse ihm keinen Augenblick Zeit, sich wieder zu fassen, ehe ich unsere Position umdrehe. Nun liegt er unter mir, die Hände hinter seinem Rücken vom Gewicht unserer Körper auf den Boden gepresst.

Er grinst. Du liegst gern oben. Ist mir auch recht. Aber du musst meinen Kragen öffnen. Ich komme irgendwie nicht dran.

Seine Worte sind höhnisch. Das macht mir nichts. Ich erwidere das Lächeln und tue, worum er mich gebeten hat.

Er windet sich unter mir und reibt das Becken an meinem dünnen Unterhöschen. Ich spüre seine Erregung, und mir wird übel davon. Genau wie von den Gedanken, die er zu mir projiziert, und von der Lust, die meine Haut versengt wie Säure, wo sein Fleisch das meine berührt.

Komm schon. Lass mich rein.

Sein Tonfall klingt wie das schrille Betteln eines fordernden Kindes.

Ich will erst ein bisschen trinken, erwidere ich. Um in Stimmung zu kommen.

Gereiztheit flammt in ihm auf und beginnender Zorn. Er hebt den Kopf und funkelt mich an. Nein. Erst ficken wir.

Ich stemme mich gegen ihn und drücke mit dem Handballen seinen Kopf zurück in den Sand. Nein. Erst trinke ich.

Zum ersten Mal wird ihm bewusst, dass ich stärker bin als er, dass er die Situation nicht unter Kontrolle hat. Er reagiert vorhersehbar, wehrt sich und flucht.

Ich spiele mit ihm wie eine Katze mit einem verletzten Vogel. Er darf ruhig versuchen, sich unter mir hervorzuwinden, die Hände freizubekommen. Er soll die gleiche Hilflosigkeit empfinden, die seine Opfer gefühlt haben, soll ihre Angst und Verzweiflung selbst zu spüren bekommen. Er versucht, in meinen Geist vorzudringen, und fragt mich, ob das ein Spiel sei. Ich wehre seine Bemühungen, in meinen Gedanken zu lesen, mit Leichtigkeit ab. Er ist verblüfft über die plötzliche Wendung, die diese Sache genommen hat.

Was tust du denn?

Ich lächle. Na, ich spiele mit dir. Gefällt dir das etwa nicht? Ich schiebe das Knie in seinen Schritt und drücke, bis sich sein Gesicht verzerrt. Schmerz. Grauen. Hilflosigkeit. Ist das nicht genau das, worauf du stehst?

Er schnappt nach Luft und versucht, sich tiefer in den Sand einzugraben, um dem Druck zu entkommen. Als er erkennt, dass er sich nicht herauswinden kann, bäumt er sich gegen mich auf. Du Miststück. Du hast mich reingelegt. Dafür werde ich dich töten.

In der Ferne höre ich schwaches Sirenengeheul. Es wird Zeit, das hier zu beenden.

Seine Haut schmeckt salzig. Als er meine Zähne an seinem Hals spürt, entspannt sich sein ganzer Körper, und seine Gedanken senden die Botschaft, dass es jetzt wohl endlich losgeht. Er drückt sein geschwollenes Glied an mich und bewegt es im Rhythmus seines Herzschlags. Mit einem einzigen Biss eröffne ich seinen Hals und beginne zu trinken.

Er glaubt, er habe gewonnen. Er drängt mich noch einmal, ihn reinzulassen, und fordert Sex. Erst als ich mich weigere – mich weigere, mit dem Trinken aufzuhören, mich weigere, Sex mit ihm zu haben, mich weigere, ihn an meinen Hals zu lassen –, begreift er, was geschieht.