Dunkle Stunden der Begierde - Christine Feehan - E-Book
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Dunkle Stunden der Begierde E-Book

Christine Feehan

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Beschreibung

Ein Blick auf Charlotte genügt, und der Karpatianer Tariq steht in Flammen: Plötzlich pocht das Blut in seinen Adern, Farben stürmen auf ihn ein, und er fühlt sich wieder lebendig. Doch Tariq weiß nicht, dass seine Seelengefährtin von den blutrünstigen Mördern ihres Bruders gejagt wird. Und während die beiden sich in einem Strudel aus Leidenschaft und Lust verlieren, kommt ihr Feind immer näher. Ein Feind, dem vielleicht nicht einmal ein uralter Karpatianer wie Tariq gewachsen ist ... Band 30 der NEW YORK TIMES und SPIEGEL-Bestsellerserie "Ein wahrhaft außergewöhnliches Leseerlebnis. Hier stimmt einfach alles" RT BOOK REVIEWS

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Seitenzahl: 680

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Inhalt

Cover

Über die Autorin

Titel

Impressum

Stammbaum

Widmung

1

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Für meine Leser

Danksagung

Über die Autorin

Christine Feehan lebt gemeinsam mit ihrem Mann und ihren elf Kindern in Kalifornien. Sie schreibt seit ihrer frühesten Kindheit. Ihre Romane stürmen regelmäßig die amerikanischen Bestsellerlisten, und sie wurde in den USA bereits mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. Auch in Deutschland erfreut sich die Autorin einer stetig großen Fangemeinde.

Auf Christine Feehans englischsprachiger Homepage www.christinefeehan.com erhalten Sie weitere Informationen über die Autorin.

Christine Feehan

DUNKLESTUNDEN DERBEGIERDE

Roman

Aus dem amerikanischen Englischvon Anita Nirschl

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:Copyright © 2016 by Christine FeehanTitel der amerikanischen Originalausgabe: »Dark Carousel«, Originalverlag: Berkley BooksAll rights reserved including the right of reproduction in whole orin part in any form.This edition published by arrangement with The Berkley Publishing Group, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Anita Hirtreiter, MünchenTitelillustration: © Guter Punkt, München, unter Verwendung von Motiven von © thinkstock/Paolo74s; istock/akurtz;/thinkstock/akviv; istock/themacx; istock/martinhosmartUmschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-5000-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Für Sheila Clover English.Danke, dass du stets eine so gute Freundin bist.Ganz egal, ob in guten oder besonders schlechten Zeiten,

1

Charlotte Vintage strich sich die verirrten rotbraunen Locken hinter die Schultern und lehnte sich zu ihrer besten Freundin Genevieve Marten hinüber. Kalte, unbehagliche Schauer krochen ihr über den Rücken. Sie konnte sich nicht entspannen, nicht einmal bei einem Drink und guter Musik.

»Wir wissen, dass sie uns hierher gefolgt sind, Genevieve«, flüsterte sie hinter vorgehaltener Hand. Im Club zu flüstern, während die Bässe in wildem Rhythmus wummerten, war nicht leicht, doch es gelang ihr. Sie hatten erreicht, was sie wollten, aber nun, da sie ihre drei Verfolger ausfindig gemacht hatten, was sollten sie jetzt tun?

»Wir müssen verrückt gewesen sein zu glauben, dass wir das hier hinkriegen könnten, Genevieve. Wir sollten uns definitiv nicht so einer Gefahr aussetzen.«

Vor allem fand Charlotte, dass sie Genevieve dieser Gefahr nicht hätte aussetzen dürfen. Zumindest nicht, wenn sie beide zusammen waren. Nicht, wenn sie auch noch an eine Dreijährige denken mussten.

Langsam ließ sie den Blick umherschweifen, um zu versuchen, jedes Detail in sich aufzunehmen. Der Palace war der heißeste Club der Stadt. Alle mit Rang und Namen kamen hierher. Obwohl die Location über vier Etagen verfügte, war jede davon vollgestopft, ebenso wie der Underground Club im Untergeschoss. Männer versuchten unablässig, ihren Blick auf sich zu ziehen. Sie würde nicht so tun, als wüsste sie nicht, dass Genevieve bildschön war und dass sie auch nicht unbedingt hässlich anzusehen war. Zusammen erregten sie Aufmerksamkeit, wo auch immer sie hingingen – und das war schlecht.

»Wir verhalten uns zur Abwechslung mal wie normale Frauen«, erwiderte Genevieve ein wenig trotzig. »Ich habe das Versteckspiel satt. Wir müssen mal raus.Vor allem musst du mal raus. Du arbeitest die ganze Zeit. Ehrlich, Charlie, wir werden noch alt und grau, während wir uns verstecken. Was hat es uns denn bisher gebracht? Wir sind noch keinen Schritt näher dran, herauszufinden, wer uns all das antut.«

»Ich kann es mir nicht leisten, den Lockvogel zu spielen«, betonte Charlotte. »Und du kannst es dir auch nicht leisten. Jedenfalls nicht wir beide zusammen, wenn wir uns um Lourdes kümmern müssen. Sie darf nicht jeden Menschen in ihrem Leben verlieren. Alles in mir sträubt sich dagegen, mich zu verstecken, aber ich muss in Betracht ziehen, was mit ihr passieren würde, falls ich getötet werde. Ihr Vater wurde bereits ermordet. Sie hat keine Mutter mehr. Ich bin alles, was sie noch hat.« Als Genevieve ihr einen bedeutsamen Blick zuwarf, korrigierte sie sich hastig. »Ich meine natürlich, wir sind alles, was sie noch hat.«

Charlotte war ebenso wenig der Typ, der sich vor einem Feind versteckt, wie Genevieve. Sie hatten sich in Frankreich kennengelernt, wo sie beide Kunst studiert hatten. Genevieve malte, und sie war gut. Mehr als gut. Ihre Landschaften und Portraits begannen bereits auf großes Interesse zu stoßen und waren bei Sammlern begehrt. Charlotte, die Gemälde und Schnitzereien restaurierte, hatte sich auf alte Karusselle spezialisiert.

Genevieve war Französin. Sie war groß, hatte langes, glänzendes dunkles Haar und große grüne Augen. Der Farbton war nicht einfach nur Grün, sondern ein dunkles Waldgrün. Ein erstaunliches Grün. Sie hatte die Figur eines Models, und tatsächlich hatten mehrere große Agenturen versucht, sie unter Vertrag zu nehmen. Sie war finanziell unabhängig, da sie von ihren Eltern und Großeltern beider Seiten einiges an Vermögen geerbt hatte.

Genevieves Großmutter mütterlicherseits hatte sie aufgezogen. Vor ein paar Monaten war diese Grand-mère, ihre letzte lebende Verwandte, brutal ermordet worden. Wenige Wochen später war ein Mann, mit dem Genevieve regelmäßig ausgegangen war, auf dieselbe Weise umgebracht worden. Man hatte ihm die Kehle aufgerissen, und er hatte keinen Tropfen Blut mehr in seinem Körper. Charlottes Mentor und Ausbilder war eine Woche darauf brutal getötet worden.

Zweimal hatten die beiden Frauen bemerkt, dass jemand spätabends versuchte, in ihr Haus einzudringen. Sie hatten alle Fenster und Türen verriegelt, aber wer auch immer hinter ihnen her war, hatte hartnäckig an den Scheiben und den schweren Türen gerüttelt und sie terrorisiert. Sie riefen die Polizei. Am Morgen fand man zwei Officer tot vor dem Haus, beide ausgeblutet und mit aufgerissener Kehle.

Wenige Wochen später erhielt Charlotte die Nachricht, dass ihr einziger Bruder tot aufgefunden worden war, auf dieselbe Weise ermordet. In Kalifornien. Den Vereinigten Staaten. Weit weg von Frankreich. Weit weg von ihr. Er hinterließ seine Firma und seine Tochter, die dreijährige Lourdes. Lourdes’ Mutter war im Kindbett gestorben, wodurch Charlottes Bruder sie alleine hatte großziehen müssen. Und nun war Charlotte für sie verantwortlich. Genevieve hatte sich entschieden, ihre Freundin nach Kalifornien zu begleiten. Wer auch immer hinter ihnen beiden her war, befand sich nun in den Staaten, und sie wollte ihn finden.

Genevieve legte ihre Hand auf die von Charlotte. »Ich weiß, Lourdes hat für dich oberste Priorität. Für mich genauso. Sie ist ein wunderbares kleines Mädchen und eindeutig traumatisiert durch das, was sie mitangesehen hat. Sie hat solche Albträume, dass sie sogar mich damit aufweckt, und dabei wohne ich noch nicht mal im selben Haus.«

Genevieve übertrieb damit nicht, das war Charlotte völlig klar. Genevieve wusste es jedes Mal, wenn Lourdes Albträume hatte, selbst wenn sie nicht bei ihnen über Nacht war. Dann rief sie jedes Mal an, um sich zu vergewissern, dass es der Kleinen gut ging. Lourdes war dabei gewesen, als man ihren Vater ermordet hatte. Der Killer hatte das Kind am Leben gelassen, und sie hatte mehrere Stunden lang allein im Haus neben ihrem niedergemetzelten Vater gesessen, bis ihre Nanny Grace Parducci sie fand, eine Frau, die mit Charlotte zur Schule gegangen war.

»Die Polizei ist mit der Aufklärung der Morde noch keinen Schritt weitergekommen, Charlie. Weder hier noch in Frankreich. Lourdes ist ebenso in Gefahr wie wir. Vielleicht noch mehr.« Genevieve stützte das Kinn in die Hand, während sie ihren Stuhl näher an Charlotte heranrückte, um über die Musik hinweg gehört zu werden. »Ich habe viel darüber nachgedacht und wie das alles angefangen hat. Was wir getan haben könnten, um die Aufmerksamkeit irgendeines Verrückten auf uns zu ziehen.«

Charlotte nickte. Sie hatte ebenfalls darüber nachgedacht. Worüber konnte sie sonst nachdenken? Beide hatten alle Familienmitglieder verloren, bis auf die kleine Lourdes. Charlotte wollte sie nicht auch noch verlieren, und obwohl sie alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hatten, fühlte sie sich in letzter Zeit nicht mehr sicher. Überhaupt. Nicht. Mehr. Grace hatte ebenfalls berichtet, dass sie das Gefühl hatte, verfolgt und beobachtet zu werden.

Charlotte wusste, zu einem gewissen Teil war sie deshalb mit Genevieve in den Club gekommen, weil sie versuchen wollte, den Mörder aus der Reserve zu locken. Sie war jedenfalls vorbereitet. Sie hatte Waffen bei sich. Mehrere. Die meisten davon waren eher ungewöhnlich, aber sie hatte sie bei sich. Ehrlich gesagt wusste sie nicht, ob die Leute, die sie verfolgten, dieselben waren, die ihren Bruder ermordet hatten, aber es sah ganz danach aus.

Charlotte war nicht die Sorte Frau, die vor ihren Feinden davonlief, und es machte sie wütend, dass der Mörder ihres Bruders auf freiem Fuß war – dass er oder sie versuchte, sie zu terrorisieren. Nicht nur versuchte – sie hatte tatsächlich schreckliche Angst um Lourdes. Sie hatte keine Ahnung, warum das kleine Mädchen am Leben gelassen worden war, doch sie würde keine Risiken bei ihr eingehen. Alleine in diesen Club zu kommen war eine Chance, den Mörder aus der Reserve zu locken, ohne Lourdes in Gefahr zu bringen.

»Dieses blöde Psychocenter, in das wir gegangen sind, um uns auf übersinnliche Fähigkeiten testen zu lassen«, murmelte Charlotte. »Das war mir gar nicht geheuer.«

Genevieve nickte. »Genau. Das Morrison Center. Das Ganze hatte nur ein Jux sein sollen, aber es war ganz und gar nicht lustig. Die haben sich viel zu schnell für uns interessiert und uns wirklich sehr persönliche Fragen gestellt. Als wir gingen, hatte ich das Gefühl, dass man uns folgte.«

Charlotte war es ebenso gegangen. Das Gebäude war nur ein Verhau gewesen, allerdings in einer belebten Gegend, deshalb hatte sich keine von beiden etwas dabei gedacht. Sie behaupteten beide oft, übersinnlich veranlagt zu sein, und waren der Meinung, es könnte Spaß machen, sich testen zu lassen, so wie man sich aus der Hand lesen lässt. Ein lustiger Zeitvertreib. Er hatte sich allerdings als nicht sehr lustig herausgestellt.

Charlotte schaute in Genevieves grüne Augen und sah darin denselben Schmerz widergespiegelt, den sie fühlte. Wer hätte gedacht, dass etwas, das sie aus einer Laune heraus getan hatten, so schreckliche Folgen haben würde? So war es stets bei ihnen. Sie dachten beide ähnlich, wussten, was der anderen durch den Sinn ging.

»Seit wir dort waren, komme ich mir vor, als würden wir beobachtet«, sagte Genevieve. »Regelrecht observiert. Als wir noch in Frankreich waren, bevor Grand-mère ermordet wurde, haben mich ein paar Männer um ein Date gebeten, und die waren mir irgendwie nicht geheuer. Während sie mit mir geredet haben, tauchte immer wieder das Bild des Testcenters in meinem Kopf auf, und ich konnte nicht anders, als sie damit zu verbinden.«

Charlotte nickte verstehend. Dasselbe war ihr auch mehr als einmal passiert. Und dann waren die Morde geschehen. Seitdem waren sie viel vorsichtiger. Keine Dates. Kein Spaß. Keine Fremden in ihrem Leben. Charlotte führte die Kunsttischlerei ihres Bruders und machte ein wenig Kunstrestauration nebenbei, aber sie hatte seit Monaten nicht wirklich in ihrem eigenen Beruf gearbeitet. Nicht seit sie in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt war.

»Was sollen wir tun, Charlie?«, fragte Genevieve. »Ich kann so nicht mehr lange weiterleben. Ich weiß, ich sollte dankbar sein, dass ich am Leben bin, dass wir am Leben sind, und ich will nichts tun, das Lourdes in Gefahr bringen könnte, aber ich komme mir vor, als würde ich ersticken.«

Charlotte wusste, wie sie sich fühlte. »Wir haben den ersten Schritt gemacht, indem wir hierhergekommen sind. Und dabei waren wir nicht gerade unauffällig, Vi. Wir haben eine Menge Aufmerksamkeit auf uns gezogen. Diese Männer, die immer wieder mit uns tanzen wollen – bei denen spüre ich diese unheimlichen Schwingungen wie in dem Testcenter. Wie ist es bei dir? Und kommen sie dir nicht irgendwie bekannt vor? Ich könnte schwören, dass ich sie schon mal gesehen habe. Ich glaube, in Frankreich.«

Genevieve folgte Charlottes Blick zu den drei Männern, die sie unablässig zum Tanzen aufforderten und ihnen Drinks an den Tisch kommen ließen. Sie zwinkerten ihnen schon den ganzen Abend lang zu und blieben stets in ihrer Nähe. Sie waren gute Tänzer; sie hatten andere Frauen aufgefordert, und Charlotte hatte sie beobachtet. Alle drei Männer wussten auf der Tanzfläche, was sie taten. Alle drei sahen außerordentlich gut aus. Sie wirkten wie Männer, die häufig in den Club kamen und dort jede Menge Frauen abschleppten. Dennoch: Irgendetwas war seltsam an ihnen.

»Geht mir genauso. Der eine namens Vince, Vince Tidwell, berührt mich jedes Mal, wenn er mir nahe genug kommt. Er streichelt mir einfach mit einem Finger über die Haut. Aber anstatt eines angenehmen Schauers bekomme ich davon Gänsehaut, und sofort sehe ich in meinen Gedanken das Testcenter vor mir. Ich sage mir immer wieder, dass wir in Frankreich getestet wurden, also warum sollten sie uns hierher folgen? Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie es getan haben.«

»Also vielleicht sollten wir gehen und dann draußen auf sie warten, um zu versuchen, ihnen zu folgen«, schlug Charlotte vor. »Lourdes ist für heute Nacht in Sicherheit. Ich habe ein halbes Dutzend Mal angerufen, und Grace hat mir versichert, dass an der heimischen Front alles ruhig ist. Wir könnten ihnen heute Nacht folgen und herausfinden, wo sie wohnen und wer sie wirklich sind. Vielleicht finden wir heraus, was sie von uns wollen.«

Genevieves große grüne Augen leuchteten auf. »Absolut. Ich muss irgendwas tun, damit ich nicht das Gefühl habe, untätig herumzusitzen und nur darauf zu warten, dass jemand mich umbringt. Ich muss irgendetwas Nützliches tun, um mir selbst zu helfen.«

Charlotte nickte zustimmend, aber sie sollte es besser wissen. Sie hatte jetzt Lourdes. Musste Verantwortung übernehmen. Eine gewaltige Verantwortung. Charlotte war immer schon abenteuerlustig gewesen. Sie tat alles dafür, um sich ihre Träume zu erfüllen, stürzte sich kopfüber in Dinge, vor denen andere sich fürchteten. Sie war nicht zu Hause bei ihrem Bruder geblieben, sondern hatte schon als Jugendliche hart gearbeitet, um sich ihre Reise nach Frankreich finanzieren zu können, wohin sie schon immer wollte. Sie lernte früh Französisch und büffelte fleißig, bis sie die Sprache wie eine Muttersprachlerin beherrschte. Sie hatte ihren Bruder zurückgelassen und war nur zurückgekommen, um ihm zu helfen, als seine Frau starb. Und dann war sie wieder fortgegangen.

»Egoistisch«, murmelte sie laut. »Ich war immer egoistisch, habe getan, was ich wollte. Ich will ihnen ja auch folgen, Vi. Das schwöre ich.« Sie musste mit ihrem Mund dicht an Genevieves Ohr kommen, um über die Musik hinweg gehört zu werden. Sie war eigentlich nicht der Typ Frau, der sich zu Hause unter der Bettdecke verkroch, aber wie sollte sie sich richtig verhalten? Sie wusste es wirklich nicht.

»Lourdes wäre viel sicherer, wenn wir es herausfinden, Charlie«, betonte Genevieve.

Damit sagte sie nichts, was sich Charlotte nicht auch schon selbst gesagt hatte, doch sie wusste immer noch nicht, ob das vielleicht nur ein Vorwand war, etwas zu unternehmen, weil sie eine Rechtfertigung brauchte, den Kampf aufzunehmen und es ihrem Feind zu zeigen.

Sie traf eine Entscheidung. Sie konnte sich einfach nicht weiter verstecken. Es entsprach nicht ihrem Charakter, und Genevieve hatte so recht – Lourdes brauchte ein normales Leben. Sie konnten nicht ständig umziehen und versuchen, ihre Spuren zu verwischen. »Dann tun wir es, Vi. Wir können ihnen folgen und sehen, ob wir herausfinden können, was sie im Schilde führen. Du darfst allerdings nicht so aussehen, wie du aussiehst. Du ziehst viel zu viel Aufmerksamkeit auf dich.«

Charlotte riskierte einen weiteren raschen Blick zu den drei Männern. Der eine namens Daniel Forester schien ihr Anführer zu sein. Seine beiden Freunde richteten sich definitiv nach ihm. Er war groß und gut aussehend und wusste das auch. Selbst während er mit einer anderen Frau tanzte, starrte er zu Charlotte herüber. Die Frau himmelte ihn regelrecht an, aber er ignorierte sie, um stattdessen Charlotte zu fixieren.

Sie zog die Augenbrauen hoch, um ihn wissen zu lassen, dass sie ihn für unhöflich hielt, doch er grinste sie nur an, als teilten sie ein Geheimnis miteinander. »Er ist ein arrogantes Arschloch«, zischte sie.

»Genau wie seine Freunde. Playboys. Alle drei«, erwiderte Genevieve. »Sie wissen, dass sie attraktiv sind, und setzen ihr gutes Aussehen ein, um Frauen abzuschleppen.«

Charlotte konnte nicht anders, sie lachte leise und unterbrach den Blickkontakt mit Daniel, um ihre beste Freundin zu mustern. Genevieve war perfekt geschminkt und sah aus wie ein Laufstegmodel. »Ernsthaft? Wir verhalten uns gerade wirklich schlimm, Vi. Wir wissen schließlich auch beide, dass wir gut aussehen, und sind hergekommen, um ein bisschen Spaß zu haben.«

»Keine Ahnung, wovon du redest, Charlie«, protestierte Genevieve hochmütig. »Ich sehe immer so aus. Schon wenn ich morgens aufwache.«

Charlotte warf ihr eine Kusshand zu. »Um die Wahrheit zu sagen, du siehst wirklich schon beim Aufwachen so aus. Das ist geradezu ekelhaft.«

»Oh-oh, da kommen sie. Sie bringen Drinks. Vince und sein Freund Bruce auf neun Uhr. Für ihren Freund Daniel haben sie auch noch einen dabei.« Genevieve hatte die Stimme gesenkt, sodass Charlotte über die Musik hinweg kaum noch verstehen konnte, was sie sagte.

Beide Frauen setzten ein Lächeln auf, als die beiden Männer sich mit den Füßen Stühle herbeizogen und sich ungefragt an ihren Tisch setzten.

»Ich weiß, ihr habt uns vermisst«, sagte Bruce Van Hues. »Also haben wir euch was mitgebracht.« Er stellte die Drinks vor sie hin und ließ ein Lächeln aufblitzen, als würde sie das überzeugen, dass er nur scherzte.

»Wir waren schon ganz krank vor Sehnsucht«, erwiderte Charlotte. »Konnten kaum noch atmen ohne euch.«

Vince lachte und stupste Genevieve spielerisch mit der Schulter an, dann rückte er seinen Stuhl sehr dicht an sie heran, um zu demonstrieren, dass er sie für sich beanspruchte. Charlotte bemerkte, dass Genevieves Augen sich von ihrem normalen leuchtenden Grün zu einem viel tieferen Waldgrün verdunkelten, wie Moos nach einem Regenschauer. Das war immer, immer ein schlechtes Zeichen bei ihrer besten Freundin. Genevieve hatte ein leicht aufbrausendes Temperament. Ihre Wut loderte heiß und wild auf, hielt jedoch nie lange an. Charlotte dagegen konnte ziemlich nachtragend sein. Darüber war sie nicht glücklich, aber sie musste der Ehrlichkeit halber zugeben, dass sie einen Groll lange hegen konnte. Sehr lange.

Charlotte wusste, dass Vince sich aufrichtig von Genevieve angezogen fühlte. Den meisten Männern ging das so. Genevieve war umwerfend. Aber Charlotte war ziemlich sicher, dass ihnen die drei Männer in den Club gefolgt waren und sie nicht einfach zufällig aus einer Menge Frauen ausgewählt hatten. Vier Stockwerke voller Frauen. Viele davon waren schön, und die meisten von ihnen waren darauf aus, jemanden mit nach Hause zu nehmen. Genevieve und Charlotte dagegen hatten dem Trio mehrmals deutlich zu verstehen gegeben, dass sie nicht auf unverbindliche Bettgeschichten aus waren. Doch das hatte sie nicht im Geringsten abgehalten.

Nun kam auch Daniel herübergeschlendert, zog sich einen Stuhl neben den von Charlotte und ließ sich darauffallen. »Ich glaube, für heute Abend habe ich meine Pflicht getan.« Er nahm den Drink, der vor Charlotte stand, grinste sie an und trank einen Schluck davon. »Aber du noch nicht, Lady. Du hast fast überhaupt nicht getanzt. Stell dir nur vor, wie viele Männer du damit enttäuschst.«

Charlotte warf ihm kopfschüttelnd ein leichtes Lächeln zu. Er hielt sich wirklich für charmant. Als er ihr den Drink zuschob, legte sie die Finger bewusst genau an der Stelle um das Glas, an der seine Finger es berührt hatten, bevor sie es an die Lippen setzte und etwas von seinem Inhalt in ihren Mund kippte. Der Schock traf sie heftig, wie jedes Mal, wenn sie sich einer übersinnlichen Verbindung öffnete. Ihr Geist wurde zu einem Tunnel, und sie fand sich in leerem Raum wieder, in dem sie die letzten Gedankengänge der Männer vor sich sah, die das Glas vor ihr berührt hatten.

Zuerst der Barkeeper. Seine Berührung hatte sich im Glas eingeprägt. Er machte sich Sorgen um seine Mutter und mochte seinen Vater nicht. Er wollte eine Gehaltserhöhung und hatte es satt, von betrunkenen Frauen angemacht zu werden. Er wünschte sich, er könnte sich offen outen und verkünden, dass er auf Männer stand, aber sein Vater hatte deutlich gemacht, dass er dadurch die Familie kaputt machen und von ihr verstoßen werden würde. Der Barkeeper wünschte, er hätte den Mut, seinem Vater zu sagen, er solle sich zum Teufel scheren, und seiner Familie einfach den Rücken zu kehren, anstatt eine Lüge zu leben.

Charlotte hatte Mitleid mit dem Mann und riskierte einen raschen Blick in Richtung Bar. Davor drängten sich zu viele tanzende Leiber, als dass sie ihn sehen konnte, und sie wusste, dass sie damit das Unvermeidliche nur hinauszögerte – nämlich zuzulassen, Daniels Erinnerungen zu lesen. Kurze Szenen aus Horrorfilmen drängten sich in ihr Blickfeld. Ein Pflock, der einem Mann in die Brust gerammt wurde. Blut spritzte wie eine Fontäne hervor. Die Augen des Opfers waren weit aufgerissen und enthüllten Entsetzen und schreckliches Leid. Daniel schwang einen Hammer, um den Pflock tiefer in die Brust zu treiben. Stimmen spornten ihn an. Mit Widerwillen für die Aufgabe, aber voller Entschlossenheit.

Keuchend ließ Charlotte das Glas los, sprang auf und wich so jäh vom Tisch zurück, dass sie dabei ihren Stuhl umstieß. Das war kein Horrorfilm. Sondern Wirklichkeit. Einen Augenblick lang konnte sie nicht mehr atmen. Es war keine Luft mehr im Raum. Er hatte das wirklich getan. Einen Menschen getötet, indem er ihm einen Pflock ins Herz gestoßen hatte. Vince war auch dabei gewesen. Ebenso wie Bruce. Sie hatte ihre Stimmen erkannt.

Benommen nahm sie wahr, dass die Männer aufgestanden waren und Genevieve ihren Arm packte. Daniel legte ihr die Hand in den Nacken, weil er befürchtete, sie könnte in Ohnmacht fallen. Seine Berührung machte es nur noch schlimmer. Sie empfing keine Erinnerungen durch die Berührung von Menschen, nur von Gegenständen, aber sie kam sich immer noch so vor, als wäre sie unmittelbar dabei, als sähe sie dabei zu, wie er einem Mann einen Pflock ins Herz hämmerte, ihn bei vollem Bewusstsein quälte. Bei der Vorstellung stieg ihr Magensäure in der Kehle hoch, und sie hielt sich eine Hand vor den Mund.

»Ich glaube, mir wird schlecht«, flüsterte sie.

Genevieve fasste sie um die Taille und führte sie von Daniel und den anderen fort in Richtung der Toiletten. »Was ist los, Charlie?«, flüsterte sie. »Was hast du gesehen?«

»Er hat einen Mann umgebracht«, stieß Charlotte erstickt hervor. »Heute Abend.Bevor sie hergekommen sind. Er hat dem Mann einen Pflock ins Herz gestoßen, während er noch am Leben war. Bei vollem Bewusstsein. Die anderen beiden waren auch bei ihm. Und dann sind sie hierhergekommen. Um zu trinken. Zu tanzen. Zu lachen.«

Genevieve blieb direkt vor den Damentoiletten stehen und warf einen Blick über ihre Schulter. »Sie beobachten uns, Charlie. Lass uns reingehen, wo wir außer Sichtweite sind.«

Charlotte nickte. Sie musste sich zusammenreißen. »Es war nur so ein Schock. Sie haben einen Mann getötet und sind dann hierhergekommen, um zu tanzen.« Sie ließ sich von Genevieve in die Damentoilette führen. »Oder Frauen abzuschleppen.«

»Besonders uns«, betonte Genevieve. »Ich empfange von ihnen die Schwingungen, dass sie es total auf uns abgesehen haben. Nicht auf irgendwelche Frauen. Sie hätten heute Abend definitiv die freie Auswahl gehabt. Mehrere Frauen haben deutlich zu verstehen gegeben, dass sie gern mit ihnen nach Hause gehen würden, aber sie kommen immer wieder zu uns zurück.« Sie schaute sich in der überfüllten Damentoilette um und senkte ihre Stimme noch mehr. »Denkst du, sie könnten diejenigen sein, die deinen Bruder und meine Großmutter umgebracht haben?«

Charlotte runzelte die Stirn und zwang sich, sich nicht länger auf Genevieve zu stützen und wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Ihr Magen hob sich zwar noch immer, aber nun hatte sie es unter Kontrolle. »Es tut mir leid, Vi – es war einfach nur so schockierend. Ich habe das Glas losgelassen, bevor ich noch mehr sehen konnte. Das hätte ich nicht tun sollen, obwohl der Mord so frisch war, dass er wahrscheinlich alles andere überdeckt hätte.« Sie rieb sich die Falten aus der Stirn und warf Genevieve ein schiefes, halbherziges Lächeln zu. »Ich bin in Panik geraten. Das ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht passiert. Da sieht man eben, was passiert, wenn man ein Kind hat. Man wird nachlässig.«

»Was sollen wir jetzt tun, Charlie?«

Charlotte holte tief Luft, dann straffte sie die Schultern. »Wir werden versuchen, so viele Informationen wie möglich in so wenig Zeit wie möglich herauszubekommen, und dann verschwinden wir. Mal sehen, ob sie uns folgen. Wenn ich herausfinden kann, wo sich die Leiche befindet, kann ich den Cops einen anonymen Tipp geben und sie als die Mörder nennen.«

»Du willst zurück an den Tisch gehen und dich wieder zu ihnen setzen?«, fragte Genevieve mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen.

Charlotte nickte. »Wir dürfen uns nicht anmerken lassen, dass wir über sie Bescheid wissen. Wir müssen es einfach herunterspielen, so als wäre mir plötzlich schlecht geworden oder so was. Ich lasse mir eine Erklärung einfallen.«

Genevieve holte tief Luft und nickte dann langsam. »Okay. Ich kann es, wenn du es kannst. Aber lass uns so bald wie möglich von hier verschwinden.«

»Einverstanden. Wir müssen vor ihnen aus dem Club rauskommen und dann eine Möglichkeit finden, wie wir beobachten können, ob sie versuchen, uns zu folgen. Den Spieß umzudrehen wird gefährlich werden, Vi. Wenn sie uns folgen, dann wollen sie etwas von uns. Und der Mord an diesem Mann muss irgendwie damit zusammenhängen.«

Genevieve schluckte heftig. »Hast du ihn erkannt? War es jemand, den wir kennen?«

Charlotte versuchte, sich auf den Ermordeten zu konzentrieren. Er war um die vierzig gewesen. Dunkles Haar. Sein Gesicht war vor Schmerz verzerrt gewesen, seine Augen voller Entsetzen und grausamer Qual. Diese Augen würden sie bis in den Schlaf verfolgen. Sie schüttelte den Kopf und versuchte, den Schauer zu unterdrücken, der durch ihren Körper lief. »Ich weiß es nicht. Er kam mir schwach bekannt vor. Möglicherweise hat er für Matt gearbeitet. Mein Bruder hatte eine Menge Angestellte. Als ich die Firma verkauft habe, wurden ein paar von ihnen entlassen, und das hat sie wütend gemacht. Ich bekam viele Drohungen.« Sie fuhr sich mit der Hand durch ihr dichtes Haar. »Ich kann ihn einfach nicht zuordnen. Er sah … entsetzt aus. So gequält und voller Schmerzen. Ich verstehe nicht, was sie ihm angetan haben.«

»Sie haben ihm einen Pflock ins Herz gestoßen? Du meinst, so wie bei Vampiren im Film?«, fragte Genevieve. »Denn als Grand-mère und dein Bruder ermordet wurden, waren ihre Leichen blutleer und ihre Kehlen aufgerissen. Jemand könnte das so interpretieren, dass sie von einem Vampir getötet wurden.«

Charlottes Augenbrauen schnellten in die Höhe. »Jetzt geraten wir aber wirklich außerhalb des Möglichen und in den Bereich absoluter Fantasie.«

»Ich habe nicht gesagt, dass es Vampire gibt, nur dass irgendein Verrückter vielleicht glaubt, dass es sie gibt.« Genevieve seufzte. »Okay, ich gebe zu, als ich Grand-mère gesehen habe, hatte ich auch kurz den Gedanken, dass es solche Dinge wirklich geben könnte.«

Charlotte legte den Arm um ihre Freundin, um sie zu trösten. »Es tut mir leid, Süße. Ich weiß, das war schrecklich für dich. Jeder hätte das gedacht, wenn er sie so gesehen hätte. Hoffen wir, dass es nicht wirklich so etwas wie Vampire da draußen gibt, denn bei unserem Glück wären sie mit Sicherheit hinter uns her.« Sie versuchte, ein wenig zu scherzen, obwohl ihr bei dem Klumpen, der ihr im Magen lag, absolut nicht nach Lachen zumute war.

Daniel, Vince und Bruce, die drei gut aussehenden Männer, die den Abend damit verbracht hatten, mit jeder Frau im Club und besonders mit Genevieve und ihr zu flirten, waren grausame, kaltblütige Monster. Sie machte einen Schritt in Richtung Tür.

Genevieve hielt sie am Arm fest. »Warte. Warte nur noch eine Minute, Charlie, und lass mich noch mal darüber nachdenken. Ich weiß, ich war diejenige, die darauf gedrängt hat, aus unserem Versteck herauszukommen und zu versuchen, die Mörder deines Bruders und meiner Großmutter zu finden, aber vielleicht war es falsch von mir, uns zur Zielscheibe zu machen. Diese Männer sind eindeutig Mörder, und wenn du nicht glaubst, dass sie dieselben sind, die unsere Familien umgebracht haben, dann sollten wir ihre Aufmerksamkeit nicht noch stärker auf uns ziehen, als wir es bereits getan haben.«

Sie waren schon viel zu lang auf der Toilette. »Wir laufen nicht davon. Das haben wir einander versprochen«, erinnerte Charlotte sie. »Wir werden nie frei sein, wenn wir nicht herausfinden, wer unsere Lieben umgebracht hat. Lourdes wird nie frei sein. Du hattest recht, Genevieve. Ich war diejenige, die versucht hat, sich zu verstecken. Für ein Kind verantwortlich zu sein hat mich aus der Bahn geworfen, aber wir sind stark. Wir haben bisher alles gemeinsam durchgestanden, und wir können es schaffen.«

»Sie werden damit nicht davonkommen, nicht wahr?«, sagte Genevieve und versuchte, ihrer Stimme einen stählernen Klang zu geben. »Wir werden herausfinden, wer uns unsere Familien genommen hat, und zwar gemeinsam.«

Charlotte blickte hoch in das schöne Gesicht ihrer Freundin und sah darin Entschlossenheit. Angst, allerdings auch Mut. Sie nickte. »Da hast du verdammt recht. Lass uns da rausgehen und wieder die Kontrolle übernehmen. Die denken vielleicht, sie hätten die Kontrolle, aber wir sind gut in dem, was wir tun.«

Genevieve warf einen Blick auf ihr Spiegelbild. »Charlie?« Sie zögerte. Lange Wimpern verschleierten ihre Augen. »Was, wenn es wirklich so etwas wie Vampire gibt? Was, wenn diese Männer sie töten?«

Charlotte öffnete den Mund, klappte ihn dann jedoch wieder zu. Genevieve hatte keine spöttische Antwort verdient. Sie musste sich sorgfältig überlegen, was sie sagte. Logisch denken. »Erstens einmal, Süße: Wenn es Vampire wirklich gäbe, hätte denn dann die Welt nicht nach all der Zeit schon von ihnen erfahren? Und zweitens: Der Mann, den sie getötet haben, war kein Vampir. Ich habe seinen Tod gesehen. Ich habe ihn gesehen. Ich habe ihn gespürt. Er war genauso ein Mensch wie wir beide. Vielleicht glauben diese Männer, Vampire zu töten, aber ich verstehe nicht, warum. Und jemandem bei lebendigem Leib und vollem Bewusstsein einen Pflock durchs Herz zu jagen, egal ob Mensch oder Vampir, ist einfach nur sadistisch. Wir dürfen bei diesen Männern kein Risiko eingehen. Wir müssen herausfinden, was sie wollen, und dabei müssen wir sehr vorsichtig sein. Wenn sie es auf uns abgesehen haben, müssen wir herausfinden, warum.«

Genevieve holte tief Luft und nickte dann. Sie war zwar diejenige gewesen, die darauf bestanden hatte, ihr Versteck zu verlassen und so zu tun, als würden sie wieder ein normales Leben führen, doch Charlotte war eher die Kriegerin von ihnen beiden. Wenn es darauf ankam, einer Gefahr entgegenzutreten, dann war es Charlotte, die sich schützend vor Genevieve stellte.

Die beiden machten sich wieder auf den Weg zurück zum Tisch und schlängelten sich durch die Menge. Alle drei Männer warteten bereits auf sie und musterten sie aufmerksam, als sie näher kamen.

»Warum ist immer eine Schlange vor den Damentoiletten, aber bei den Männern nie?«, fragte Charlotte und warf sich auf den Stuhl neben Daniel. »Jedes Mal. Es ist verrückt, und dann würde ich am liebsten mit einem Haufen gleichgesinnter Frauen die Herrentoilette stürmen.«

»Was war los mit dir?«, fragte Daniel. Er klang charmant. Einfühlsam. Regelrecht besorgt. Aber er konnte die kalte Wachsamkeit in seinen Augen nicht verbergen. Den Argwohn.

Sie musste das Glas noch einmal berühren, ohne eine Reaktion zu zeigen. Charlotte ließ ein verlegenes Lächeln aufblitzen. Bewusst streckte sie die Finger zu dem Glas aus, aus dem er getrunken hatte. »Ich bin stark allergisch gegen etwas, das sie in manche alkoholischen Sachen mischen. Ich hätte vorsichtiger sein sollen.« Sie legte die Handfläche um das Glas, genau dort, wo sie seine Fingerabdrücke vermutete, und schob es betont langsam von sich fort.

Diesmal war sie viel besser auf den Schock vorbereitet, deshalb hielt sie ihn aus und wagte sich tiefer in den Tunnel, um noch mehr Erinnerungen zu finden. Um zu sehen, ob diese Männer ihren Bruder ermordet hatten. Sie erhaschte Bilder von Daniel, wie er Genevieve und Grace folgte, als sie ein Geschäft verließen. So hatte er herausgefunden, wo sie wohnten.

Die drei Männer hatten sich häufig abgewechselt, während sie den beiden Frauen gefolgt waren, dadurch war kein Auto längere Zeit hinter ihnen gewesen. Das erklärte, warum die stets so vorsichtige Genevieve ihre Verfolger nicht bemerkt hatte. Es erklärte auch, wie es dazu gekommen war, dass sie Grace verfolgten.

Dort in dem Tunnel fand Charlotte heraus, dass es auch noch zwei ältere Morde gab, beide ebenfalls durch einen Pflock ins Herz. Alle drei Männer waren dabei gewesen. Sie spürte nichts als einen erbitterten Hass von ihnen ausgehen. Ihr Bruder war keines der Opfer. Dennoch hatte einer der Morde in Frankreich stattgefunden. Sie erkannte die Gärten wieder, in denen Daniel sein Opfer gepfählt hatte.

Diese drei Männer waren Serienmörder. Die Leichen konnten nicht entdeckt worden sein, sonst wären die Morde in allen Nachrichten gekommen.

Charlotte wusste, dass sie die Hand nicht viel länger auf dem Glas lassen konnte, und lächelte weiterhin verlegen. Genevieve sah so ängstlich und nervös aus. Ihr Gesicht war blass, und ihr Blick wich den drei Männern geflissentlich aus und richtete sich stattdessen auf Charlotte, als hinge ihr Leben davon ab.

Als wüsste sie, dass die Männer ihre verzweifelte Angst bemerken könnten, lehnte sie sich zu Charlotte. »Bist du sicher, dass wir nicht lieber gehen sollten? Das letzte Mal, als du was getrunken hast, das dir so zugesetzt hat, musste ich dich ins Krankenhaus fahren.«

Charlotte war sehr stolz auf sie. Genevieve mochte zwar Angst haben, doch ihr Verstand arbeitete unablässig weiter. Sie hatte genau das Richtige gesagt, um Charlottes Erklärung zu untermauern. Langsam ließ sie das Glas los, nachdem sie es halb über den ganzen Tisch geschoben hatte.

»Es geht mir gut, Vi. Ich habe nur einen kleinen Schluck getrunken und sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmt.« Sie zuckte die Schultern. »Ich hätte es ausspucken sollen, aber ich wollte nicht, dass Daniel denkt, ich spucke ihn an.«

Die Männer lachten, obwohl sie merkte, dass es gezwungen klang. Sie war nicht sicher, ob sie ihr die kleine Scharade abkauften. Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Es war an der Zeit, das Thema zu wechseln und ein wenig nachzuforschen. »Vi und ich haben uns in Frankreich kennengelernt und sind seitdem beste Freundinnen. Woher kennt ihr drei euch? Ihr seid offensichtlich schon lange befreundet.«

»Aus der Schule«, antwortete Vince sofort und richtete seine Aufmerksamkeit auf Genevieve. Er streichelte ihr mit einem Finger von der nackten Schulter hinunter zu ihrem Handgelenk. »Der Grundschule. Ich liebe diesen sexy französischen Akzent, den du hast.«

Bruce nickte und lehnte sich zu Genevieve. »Wie lange bist du schon in den Staaten?«

Charlotte war dankbar für Genevieves französischen Akzent. Er war immer gut, um bei einer Unterhaltung für einen Themenwechsel zu sorgen. Als Ablenkung funktionierte er ausgezeichnet.

»Wir haben uns kennengelernt, als wir in Paris an Kunstprojekten gearbeitet haben«, erklärte Genevieve, wobei sie bewusst die Aufmerksamkeit von Charlotte ablenkte. »Charlie lernte von einem der Besten der Welt, wie man Kunstwerke restauriert, und ich habe gemalt. Wir wurden enge Freundinnen.«

Wie beiläufig griff Charlotte nach Daniels Serviette, auf der seine Hand gelegen hatte. Sie knüllte sie langsam zusammen, Finger für Finger, und zog sie wie abwesend in ihre Handfläche, während sie weiter lächelte und nickte, um zu zeigen, dass sie sich in Frankreich zur richtigen Zeit kennengelernt hatten.

Es fiel Charlotte schwer, das Lächeln aufrechtzuerhalten, und sie war froh darüber, dass sich die Aufmerksamkeit auf Genevieve verlagerte, denn auch wenn die Serviette ein neuer und frischer Gegenstand war, anstatt alt, wie ihre Gabe es bevorzugte, empfing sie von ihr genug Bilder, um zu wissen, dass Daniel und seine Freunde Genevieve und sie schon eine ganze Weile verfolgten. Und sie waren definitiv in Frankreich gewesen.

Ihr Herz hämmerte heftig. Sie sah das Gebäude aufblitzen, in dem sie sich auf übersinnliche Fähigkeiten hatten testen lassen. Genevieve und sie waren lachend hineingegangen, entschlossen, ein wenig Spaß zu haben. Keiner von ihnen war es in den Sinn gekommen, dass sie vielleicht in Gefahr sein könnten, oder dass ihnen die Gefahr folgen und womöglich anderen, die sie liebten, schaden könnte.

Daniel und Vince waren ihnen zu der Wohnung gefolgt, die sie gemeinsam gemietet hatten. Aber Charlotte sah sie nirgendwo in der Nähe der Wohnung von Genevieves Großmutter, auch war da nicht einmal die schwächste Erinnerung daran, nach oder während des Mordes über deren Leiche gestanden zu haben. Sie sah sie auch nicht in der Nähe ihres Bruders oder seiner Wohnung.

Mit einem tiefen Atemzug ließ sie die Serviette los. Die drei Männer waren in Frankreich gewesen, ihnen vom Morrison Center aus gefolgt, wo Genevieve und Charlotte sich hatten testen lassen, und nun waren sie den beiden Frauen in die Vereinigten Staaten nachgereist. Sie waren Amerikaner, aber aus welcher Gegend genau, konnte sie nicht sicher sagen. Es frustrierte Charlotte, dass sie keine klaren, detaillierten Informationen bekam, wie es bei älteren Gegenständen der Fall war.

Vince setzte seine Unterhaltung mit Genevieve fort, fragte sie über ihre Malerei aus und was sie gerne malte und bot sich freiwillig als ihr nächstes männliches Modell an, falls sie eines suchte. Daniel und Bruce dagegen schienen auf Charlotte konzentriert zu sein, und einen Moment lang befürchtete sie, dass die beiden sie vielleicht etwas gefragt hatten, während sie versucht hatte, Informationen zu sammeln.

»Du restaurierst Kunstwerke?«, fragte Daniel. Er rückte näher zu ihr und legte seinen Arm auf die Rückenlehne ihres Stuhls, dabei strichen seine Finger über ihre nackte Haut und folgten den Spaghettiträgern ihres Tops.

Sie zwang sich, nicht zurückzuweichen, und schenkte ihm stattdessen ein leichtes Lächeln.

»Ja. Ich habe mich auf die Restaurierung sehr alter Karussellpferde, der hölzernen Wagen und ganzer Karusselle spezialisiert. Ich kann amerikanische Karusselle restaurieren, die, die mich am meisten interessieren, stammen allerdings aus Europa. Außerhalb von Museen oder privaten Sammlungen besteht daran kein großer Bedarf, und sogar noch weniger hier in den Staaten, aber es ist mein Steckenpferd.«

Daniel sah verwirrt aus, wie die meisten Leute. Sie konnte ihnen nicht erklären, warum es ihr gefiel, das alte Holz zu berühren und jede Vertiefung darin, jede Schnitzerei zu spüren. Sie liebte es, alles zu erfahren, was es über den Schnitzer zu erfahren gab, der zwar schon lange von dieser Welt verschwunden, ihr aber dennoch so vertraut war, sobald sie das Kunstwerk des Schnitzers berührte.

Sie lachte leicht über seinen Gesichtsausdruck. »Ich sehe schon, du verstehst es nicht. Die Pferde sind einzigartig, jedes einzelne wurde anders geschnitzt, manche davon bereits vor mehr als dreihundert Jahren. Das ist doch unglaublich cool, oder? Ich konnte an einem arbeiten, das im Mittelalter geschnitzt worden war. Für junge Ritter, um sie auf die Turnierwettkämpfe vorzubereiten. Man benutzte eine sich drehende Plattform mit Holzpferden ohne Beine, damit sie ihr Geschick üben konnten.« Trotz der gefährlichen Situation konnte sie nicht verhindern, dass sich Begeisterung in ihre Stimme mischte. Sie fand es faszinierend, dass man das Karussell bis weit ins zwölfte Jahrhundert zurückverfolgen konnte, als Araber und Türken auf Pferderücken ein Spiel mit einem parfümierten Ball gespielt hatten. Italiener und Spanier hatten den Wettkampf beobachtet und das Spiel als »kleinen Krieg«, bezeichnet: carosello oder garosello.

»Erzähl weiter«, brummte Daniel unwirsch. »Zuerst habe ich es für irgendwie albern gehalten, aber eigentlich ist es wirklich interessant.«

»Nicht wahr?« Sie nickte, was ihr dabei half, ihn nicht direkt ansehen zu müssen. Sie wollte das Bild nicht sehen, wie er einem Mann einen Pflock ins Herz rammte. »Ein Franzose hatte die Idee, ein Gerät mit Wagen und geschnitzten Pferden zu bauen, die an Ketten von Speichen um einen Pfahl in der Mitte hingen. Es wurde dazu benutzt, Edelmänner in der Kunst des Ringstechens zu trainieren. Damen und Kindern gefiel das Gerät ebenso und noch mehr als den Edelmännern.« Sie warf einen Blick zu Genevieve. Die Anspannung begann, sich auf dem Gesicht ihrer Freundin zu zeigen. Charlotte gab einen leichten übertriebenen Seufzer von sich. »Wir sollten gehen. Wir müssen morgen früh aus den Federn.«

Sie stand auf, bevor die drei Männer protestieren konnten. Sie musste Genevieve so schnell wie möglich hier rausbringen, bevor sie sich anmerken ließ, dass sie Angst hatte. Charlotte hatte ebenfalls Angst vor ihnen, aber sie war entschlossen, herauszufinden, was vor sich ging. Die Tatsache, dass die drei Männer ihnen aus Frankreich gefolgt waren, herausgefunden hatten, wo sie wohnten, und ihnen in den Club gefolgt waren, bedeutete, dass Lourdes nicht sicher war. Sie mussten ihre Taktik ändern. Sie mussten damit aufhören, den Kopf in den Sand zu stecken, und herausfinden, was und wer genau sie bedrohte und warum.

»Danke für die Drinks. Wir sehen uns sicher mal wieder«, sagte Genevieve und schenkte ihnen gespielt ihr schönstes Lächeln. Sie stand ebenfalls auf und machte einen Schritt rückwärts, als Vince auf die Füße kam. Genevieve war groß, aber er überragte sie dennoch.

»Gib mir dein Handy. Dann speichere ich dir meine Nummer ein«, sagte er durch und durch charmant.

Genevieve warf ihrer Freundin sofort einen Blick zu, die kaum wahrnehmbar nickte. Daniel mit seinen Argusaugen sollte nicht bemerken, dass sie ihnen auf die Schliche gekommen waren; das war wirklich das Letzte, was Charlotte wollte. Schließlich waren sie anfangs abweisend zu ihnen gewesen, weil sie nicht darauf aus waren, Männer abzuschleppen.

Die drei Männer sahen sehr gut aus und waren es eindeutig gewohnt, leichte Eroberungen zu machen. Zweimal hatte Charlotte Daniel gegenüber angedeutet, dass sie nicht auf eine schnelle Nummer aus war und er sich lieber eine willige Gespielin suchen sollte. Anfangs hatte sie gehofft, er wäre nur an ihr interessiert, weil sie es ihm nicht leicht machte. Nun wusste sie es besser.

Widerstrebend holte Genevieve ihr Handy hervor, doch anstatt es ihm zu geben, tippte sie Vince’ Nummer selbst ein. Charlotte machte sich bereits auf den Weg zur Tür und fasste Genevieve im Vorbeigehen am Arm, um sie mit sich zu ziehen, während sie den drei Männern zum Abschied winkte. Als Daniel protestierend sein Handy herausholte, warf sie ihm ein Lächeln zu.

»Ernsthaft? Es gibt ja wohl genügend Frauen, die dich anschmachten.« Sie mussten weg hier, auf der Stelle. Sie wusste, dass die Männer ihnen folgen würden, und das bedeutete, sie brauchen einen Vorsprung, bevor sie ebenfalls nach draußen kamen. Sie mussten zu ihrem Auto, aus dem Parkhaus raus und ein Versteck finden, wo sie auf die Männer warten konnten, um sie zu beschatten.

»Mit denen habe ich aber nicht den ganzen Abend meine Zeit verbracht«, widersprach Daniel.

»Vielleicht beim nächsten Mal«, erwiderte Charlotte, bevor sie sich absichtlich in die Menge schlängelte und in Richtung Ausgang eilte. »Komm schon, Genevieve. Wir müssen zum Auto, und zwar schnell. Wir haben nicht viel Zeit.«

Genevieve nickte und fischte bereits in ihrer Handtasche nach den Schlüsseln.

2

Es gab viele Möglichkeiten, nach seiner Beute zu jagen. Tariq Asenguard starrte vom Balkon hinunter auf die Menschenmassen unter ihm. Er und sein Partner Maksim Volkov hatten vor langer Zeit das palastartige Theater in einen Club verwandelt, um die Massen hierher zu bringen. Er konnte über ihnen stehen und über vier Etagen hinunter auf die sich windenden Leiber unter ihm blicken.

Tariq hatte die Pläne für die Renovierungen selbst entworfen und dabei darauf geachtet, dass die Ebenen in der Mitte offen blieben, damit man jede Tanzfläche und jede Bar sehen konnte, wenn man über die Brüstung auf die Ebenen darunter schaute. Das Arrangement war einzigartig, und die Gäste liebten es und kamen so oft wie möglich wieder. Der einzige Ort, den er nicht sehen konnte, war das Untergeschoss, das er zu einem Underground Club für die Goths, Grunge- und Vampirliebhaber umgebaut hatte, die nachts herauskamen, um ihr Leben so zu leben, wie sie es wollten, akzeptiert von Gleichgesinnten.

Jede Ebene hatte eine andere Musikrichtung und zog eine bunte Mischung von Leuten an. Je vielfältiger, desto besser für ihn. Desto besser konnte er jagen. Er konnte ihre Herzen schlagen und das Blut verlockend durch ihre Adern rauschen hören. Es war leicht, innerhalb der Grenzen des Gebäudes zu jagen, in dem sich so viele Leiber drängten.

Er konnte die feierwütigen Männer oder Frauen benutzen, um sich von ihnen zu nähren, wenn es nötig war. Es war leicht, mit einer Frau an jedem Arm den hiesigen Playboy der Stadt zu spielen. Diesen Ruf hatte er sich allmählich aufgebaut. Ein reicher, begehrenswerter Junggeselle, Miteigentümer eines der heißesten Clubs der Stadt.

Frauen flogen ihm in Scharen zu. Genau das war es, was er bezweckt hatte, als er sich diese Idee mit dem Club hatte einfallen lassen. Er besaß noch vier weitere Clubs in verschiedenen Städten, jeden davon zusammen mit einem anderen Partner, der auf die Geschäfte achtete, während Tariq an seinem Hauptwohnsitz war.

Der Entwurf mit der Öffnung in der Mitte der Tanzflächen war nun sogar noch wichtiger, seit er wusste, dass seine größten Feinde in die Stadt eingefallen waren, in der er lebte. Vampire hatten sich im Untergrund zusammengerottet, und das waren nicht die Untoten aus alten Zeiten. Es waren denkende, technikaffine, einen Krieg planende Vampire. Weltgewandte und organisierte. Tariq konnte die Gedanken der Tanzenden nach Neuigkeiten über ungewöhnliche Morde absuchen, was signalisieren würde, dass möglicherweise ein Vampir in der Nähe war, der versuchte, die Menschen in der Gegend in seine Gewalt zu bringen, um eine Armee über der Erde aufzubauen.

»Irgendetwas Neues?« Maksim trat neben ihn. Er umfasste die Brüstung und beugte sich vor, um die Massen aus tanzenden Leibern auf jeder Ebene unter ihnen zu mustern.

»Nein. Das beunruhigt mich mehr, als wenn ich jemanden entdeckt hätte, der von einem Vampir verdorben wurde.« Tariq sog scharf den Atem ein. Runzelte die Stirn. »Da ist ein Geruch …« Er verstummte.

»Schweiß«, meinte Maksim mit einem trockenen Lächeln.

Tariq hatte keinen Sinn für Humor. Für ihn gab es keinen Rausch von Farben, als er nach unten auf die tanzenden Männer und Frauen blickte. Er sah nur ein trübes Grau. Er fühlte … nichts. Er lebte, um zu jagen. Zu töten. Selbst wenn er das tat, fühlte er … nichts. Er atmete noch einmal ein, und wieder war er da. Dieser Geruch. Er rief nach ihm. Ließ sein Herz hämmern. Das Blut heiß durch seine Adern pumpen. Er beugte sich noch weiter über die Brüstung.

»Er ist schwer fassbar. Schwach. Kaum vorhanden.«

Das Lächeln wich von Maksims rauem Gesicht. »Was für eine Art von Geruch, Tariq? Ein Vampir? Es hat keine Spur von Aktivität gegeben, seit wir das unterirdische Versteck ausgehoben haben. Wir patrouillieren …«

Tariq schüttelte den Kopf. »Nein. Orangenblüten und Vanille und noch etwas anderes. Er ist schwach, aber er ist da. Kannst du es nicht riechen? Irgendwo …«

Wieder brach er ab und suchte jede einzelne Ebene nach der Quelle dieses außerordentlichen Dufts ab. Er atmete wieder ein und fing den flüchtigen Duft auf, sog ihn tief in seine Lunge. Sofort reagierte sein Körper aus eigenem Antrieb, etwas, das noch nie vorgekommen war. Eine Regung. Sein Blut wurde heiß. Zähflüssig. Es begann sich tief und sündig zu sammeln.

Tariq wurde so vollständig reglos, wie es nur ein Raubtier vermochte, und ließ das Wunder des Empfindens auf sich wirken. Den Schock. Er fühlte nicht. Das konnte er nicht. Er war uralt und hatte schon vor langer Zeit jede Fähigkeit, irgendetwas zu empfinden, verloren. Sein Körper reagierte nicht auf einen Geruch. Auf überhaupt nichts. Und doch …

Maksim atmete tief ein. Er nickte langsam. »Ich kann nicht sagen, auf welcher Ebene sie ist. Eine Frau.« Sein Blick wurde schmal und richtete sich scharf auf seinen Partner.

»Interessant, dass dieser Geruch dich fasziniert, wo es doch so viele sind. Warum konzentrierst du dich auf diesen einen?«

Tariq kannte die Antwort, hatte jedoch Angst davor, sie laut auszusprechen, nachdem er jahrhundertelang danach gesucht hatte. Nach seiner Seelengefährtin. DerFrau für ihn. Seinem persönlichen Wunder. Der Duft ließ ihn nicht in Ruhe. Tariq besaß außergewöhnliches Jagdgeschick, wohlerprobt im Lauf der Jahrhunderte, und doch gelang es der Frau, einem Menschen, ihm immer wieder zu entkommen. Mehr als einmal in den letzten paar Wochen hatte er ihre Nähe gespürt, ein Sich-Kräuseln im Universum, ein leichtes Beben der Erde unter seinen Füßen oder ein plötzliches elektrisches Knistern in der Luft, und doch hatte sie es geschafft, ihm zu entschlüpfen. Nicht dieses Mal, Weib. Jetzt habe ich dich.

Wieder atmete er ein … und wusste es mit Sicherheit. Dieser Geruch … nach Orangenblüten und Vanille überwand seine Schutzschilde, bis ihm das Blut in den Ohren dröhnte und heiß durch seine Adern rauschte. Bis er davon besessen war, seine Trägerin zu finden. Doch er empfand keine Gefühle wie Besessenheit. Das konnte er nicht. Es war unmöglich für einen alten Karpatianer, welche zu haben, bis er seine Seelengefährtin fand. Bis er ihre Stimme hörte.

»Sie ist hier. In diesem Club. In diesem Moment. Das weiß ich. Meine Seelengefährtin«, flüsterte er laut. Ehrfürchtig. Im Wissen, dass es die Wahrheit war. Sie war hier, irgendwo in diesem Gebäude. Es gab keine andere Erklärung. Er musste in diesem Augenblick ein Flüstern ihrer Stimme hören. Einen Gesprächsfaden unter all den anderen. Sie war da. So nah. Die eine Frau, nach der er jahrhundertelang gesucht hatte. Die eine Frau, die wieder Farbe zurück in sein Leben bringen, seiner grauen Welt den Garaus machen würde. Sie würde ihm seine verlorenen Gefühle zurückgeben, nachdem er jahrhundertelang nichts empfunden hatte. Er hatte all die langen, endlosen Jahre nach ihr gesucht, auf jedem Kontinent, aber sie hatte sich ihm entzogen. Endlich war er ihr nahe, spürte sie, seine Seele, seine Seelengefährtin, seine andere Hälfte.

Seine Finger umklammerten das dicke handgeschnitzte Geländer so fest, dass er Abdrücke in dem harten Holz hinterließ. Er beugte sich vor, um die Tänzer abzusuchen, die sich auf den verschiedenen Ebenen so dicht aneinanderdrängten. Seine Geduld ging langsam zu Ende. Sie widersetzte sich ihm. Er wusste, dass sie seinen Ruf spürte. Wie könnte sie das nicht? Er flüsterte ihr Nacht um Nacht zu, sanfte Worte, um sie zu sich zu locken. Er ließ den Takt der Musik durch die Luft pulsieren, sandte ein Netz aus Noten aus, um sie zu ihm zu führen, und dennoch schlüpfte sie ihm durch die Maschen.

»Sie muss in der Nähe sein, Tariq«, sagte Maksim, der neben ihn an die Brüstung trat.

Er umklammerte ebenfalls das Holz und beugte sich vor, um zu lauschen, als könne er sie in der Masse aus Leibern finden, während sie tanzten, tranken und unzählige Unterhaltungen führten.

Da war das Klirren von Gläsern. Der Klang von Gelächter. Von Streitereien. Von Flirts. Das Flüstern von Geliebten, die in der Dunkelheit zueinander kamen. Beide Männer versuchten, diese eine Stimme zu hören. Die Stimme, die Farbe und Gefühl wieder zurück in Tariqs Leben bringen würde. Er hatte Jahrhunderte auf sie gewartet, und immer noch entzog sie sich ihm.

Sie könnte sich auf jeder Ebene befinden, trotzdem würden sie dieses Flüstern hören. Sie könnte im unterirdischen Club sein. Auch von dort konnten sie die Unterhaltungen hören. Sie hatten den Club so entworfen, dass sich die Gäste sicher fühlten. Geborgen. Der Underground Club hatte separate Ein- und Ausgänge. Die Musik war laut, die kerkerähnliche Einrichtung dunkel und in tiefen, schattenhaften Blau- und Lilatönen gehalten.

Tariq würde nicht aufgeben, bis er sie in Händen hatte. Dessen war sie sich über ihn nicht bewusst. Er war so unnachgiebig und gnadenlos wie die wütende See. Es war unmöglich, ihn aufzuhalten, sobald er seine Beute im Visier hatte. Er war Karpatianer, Jäger von Vampiren, und er hatte überlebt, während die meisten seiner Spezies schon vor langer Zeit der Verlockung von Macht nachgegeben hatten. Er hatte seinem Prinzen und seinem Volk gegenüber seine Pflicht getan und die ihm zugewiesenen Regionen sicher und frei vom Gestank des Bösen gehalten.

Nach all den Jahrhunderten wusste er nun, dass sie nahe war, und dennoch blieb sie gerade außerhalb seiner Reichweite, obwohl er seine durch jahrhundertelanges strategisches Planen geschärften Jagdinstinkte darauf ausgerichtet hatte, sie zu finden. Er wandte sich von der dröhnenden Musik ab, und dem Geruch von so viel Blut, das heiß durch Adern strömte und nach ihm rief. Es war eine berauschende Verlockung, gegen die er unablässig ankämpfte. Gereizt über seine Unfähigkeit, sie zu finden, obwohl sie so nahe war, hätte er seine Frustration am liebsten in den Nachthimmel hinausgebrüllt. Er brauchte Luft, er musste hinausgehen und durchatmen.

Leise fluchte Tariq in seiner eigenen Sprache und trat vom Geländer zurück in die tieferen Schatten. Schon allein die Tatsache, dass er Frustration spüren konnte, bedeutete, dass sie sehr, sehr nahe war und er ihre Stimme hören konnte, auch wenn er sie unter all den anderen Stimmen nicht erkennen konnte. Die Art, wie seine lange verlorenen Emotionen sich unerwartet anschlichen, um ihn dabei zu stören, wie er in Ruhe logisch nachdachte, verriet ihm, dass sie irgendwo im Gebäude war, gerade außer Reichweite. Sie musste über einen starken Geist verfügen, wenn sie seine vielen Scans der Stadt auf der Suche nach ihr hatte abwehren können. Wenn sie sich seinen Befehlen widersetzen konnte, dann war sie sehr stark.

Er war ein mächtiges Geschöpf, das es gewohnt war, mit minimaler Anstrengung seinen Willen zu bekommen. Er hatte Jahrhunderte der Schlachten, Jahrhunderte ohne Emotionen, ohne Farbe überlebt. Stets verlockte ihn das heimtückische Flüstern des Rufs des Bösen, der Macht, trotzdem hatte er aus einem einzigen Grund durchgehalten. Einer Frau. Der einen Frau. Seiner Seelengefährtin. Der anderen Hälfte seiner Seele. Nur sie konnte seine Welt, sein Leben wieder zu dem machen, was es sein sollte. Er hatte sich vor langer Zeit seinem Schicksal ergeben, in einer freudlosen, harten Welt zu überdauern, bis die Versuchung der Macht zu stark wurde. Doch jetzt, als er dem Ende so nahe war, spürte er ihre Gegenwart, diese winzige Welle der Hoffnung in einer Welt der Leere.

»Mataias hat Vadim Malinovs Spur bis zum Hafen verfolgt«, berichtete Maksim. »Vadim war schon immer intelligent, auch schon in jungen Jahren. Jetzt, als Meistervampir mit dem Splitter von Xavier in sich, einem der mächtigsten Magier, die je geboren wurden, erweist Vadim sich als gefährlicher Gegenspieler. Es gefällt mir nicht, dass er zum Hafen gegangen ist.«

»Das würde vermuten lassen, dass er hinaus aufs Meer gefahren ist?« Tariq formulierte es als Frage.

Sein Verstand sollte sich eigentlich auf die Jagd nach dem Meistervampir konzentrieren. Vadim war zweifellos die größte Bedrohung für die Karpatianer und die menschliche Welt seit Xavier, dem Magier. Doch Tariq war zu abgelenkt von diesem Duft. Nun, da er den Geruch eingefangen hatte, wusste er, dass er seine ganze Aufmerksamkeit darauf richten musste, dessen Besitzerin zu finden. »Sie muss irgendwo hier im Gebäude stecken.«

Es war ein großes Gebäude. Riesig. Fünf Etagen ohne das Untergeschoss, vier davon wurden für die verschiedenen Clubs benutzt und das oberste Stockwerk für seine persönlichen Räume. Das Untergeschoss beherbergte den Underground Club, also waren es im Grunde genommen fünf Clubs. Vier Bars auf jeder der Ebenen. Vier Tanzflächen auf jeder Ebene mit Tischen um die inneren Balkone. Jede Ebene war beinahe bis an die Grenzen ihrer Kapazität gefüllt. Aber er war Karpatianer. Er konnte schnell eine große Fläche absuchen.

»Geh«, sagte Maksim. »Du wirst mir ohnehin nichts nützen, bis du diese Frau gefunden hast. Lojos und Mataias sind heute Nacht auf Patrouille, und wenn es irgendeine Spur davon gibt, dass Vadims Armee in unserer Heimatstadt operiert, dann werden sie Beweise dafür finden. Es war in den letzten paar Wochen sehr ruhig.«

Vadim Malinov, ein einzigartiger und begabter Meistervampir, stellte eine Armee von Vampiren zusammen. Er benutzte die neuesten Technologien und schaffte es sogar, Menschen dazu zu rekrutieren, ihm Folge zu leisten. Es war beispiellos, was Vadim getan hatte. Er war aus den Karpaten geflohen, fort vom Prinzen des karpatianischen Volkes und den alten Jägern dort, um in die Vereinigten Staaten zu reisen, wo er eindeutig eine Armee sowohl gegen Karpatianer als auch Menschen zusammenstellte. Er musste aufgehalten werden.

Tariq wartete keine weitere Unterhaltung ab. Er machte sich unsichtbar und schwebte von seinem persönlichen Bereich hinunter in den vierstöckigen Club. Harte, antreibende Salsa-Rhythmen hämmerten durch die Luft. Auf dieser Ebene war die Musikrichtung Latin Dance, und die Atmosphäre spiegelte das wider. Gehoben, trendy und äußerst beliebt. Leiber rieben sich aneinander. Die Tanzflächen waren stets voll mit Tänzern aller Klassen, vom Anfänger bis zum Profitänzer.

Er schlängelte sich zwischen den Tischen und dann den Tänzern hindurch, witternd, suchend. Akribisch genau. Unvermittelt kam ihm der Gedanke: Wenn seine Frau sich hier auf dieser Ebene befand, dann würde sie Hüfte an Hüfte mit einem anderen Mann tanzen. Warum sollte sich bei der Vorstellung, dass seine Seelengefährtin sich am Körper eines anderen Mannes rieb, das Raubtier in ihm regen, wenn sie nicht in der Nähe war? Wenn er nicht ihre Stimme gehört hatte – diese magische Stimme, die seine Welt verändern würde? Sie musste hier sein. Der Klang schwebte durch all die Unterhaltungen, die er gewohnheitsmäßig als Lärm ausblendete, zu ihm hindurch.

Weil sie hier sein muss, pflichtete Maksim ihm auf dem gemeinsamen telepathischen Kommunikationspfad der Karpatianer bei.

Wo bist du?, sandte Tariq flüsternd dieFrage hinaus zu ihr in die Nacht.

Als keine Antwort kam und die Frage nur auf Schweigen traf, grenzte seine Frustration an Gewaltbereitschaft. Die Tatsache, dass er Frustration spüren konnte, bewies Tariq nur, dass er die Stimme seiner Seelengefährtin gehört hatte. Er musste ihren Weg gekreuzt und den Klang ihrer Stimme vernommen haben, um den Ansatz von Emotionen empfinden zu können. Es waren negative Emotionen, und sie waren sehr schwach, aber wenigstens erkannte er, dass sie ihm nahe genug war, um eine Wirkung auf ihn zu haben. Ihn zu verändern. Nicht zum Besseren.

Er musste ihre Stimme vermischt mit all den anderen Geräuschen gehört haben, den hämmernden Rhythmen der verschiedenen Bands sowie all den Unterhaltungen auf jeder der Ebenen. Jetzt hatte er ihren Geruch wieder eingefangen, diesen wunderbaren flüchtigen Duft, der einzig und allein ihr gehörte. Er bewegte sich von der vierten Ebene auf die dritte, während er versuchte, dem Geruch zu folgen. Versuchte, auf den Klang ihrer Stimme zu lauschen, der ihm Gefühle und Farben vollständig zurück in sein Leben bringen würde.

Er durchsuchte das Durcheinander von Geräuschen, lauschte auf Hunderte von Unterhaltungsfäden, Hunderte von Stimmen, während er rasch die dritte Ebene durchquerte. Er war sicher, dass sie sich von ihm fortbewegte, beinahe als wüsste sie, dass sie verfolgt wurde. Er war ein uralter Karpatianer, der seine Emotionen schon lange verloren hatte, dennoch spürte er einen Hauch Erregung. Ein erwartungsvoller Schauer lief ihm über den Rücken wie die Liebkosung zarter Finger. Federleicht. Kaum spürbar. Eine herrliche Berührung.

»Charlie restauriert alte Karussellpferde«, sagte eine Männerstimme. »Wir wissen, dass sie eine starke übersinnliche Gabe hat, weil ihre Testergebnisse jeden Rahmen gesprengt haben, aber ihre Gabe scheint mit älteren Dingen zu tun zu haben. Antiquitäten. Sie kann unmöglich etwas gesehen haben, indem sie einen von uns oder irgendeinen Gegenstand von uns berührt hat.« In der Stimme lag Zweifel. »Oder doch?«

Tariq hatte keine Ahnung, warum er sich auf diese Stimme konzentrierte, doch das Bedürfnis, dieser Unterhaltung zu folgen, war beinahe ebenso stark wie der Zwang, den Club nach seiner Frau zu durchsuchen. Konnte Charlie diese Frau sein? Jedenfalls hatte der Mann erwähnt, dass sie eine übersinnliche Gabe besaß.

»Warum sollte irgendjemand alte, kaputte Karussellpferdchen restaurieren wollen, Daniel? Werden die Dinger denn nicht jeden Tag hergestellt?«, spottete ein anderer Mann, als empfinde er völlige Verachtung für alles Alte.

Tariq war alt. Uralt, um genau zu sein. Er stammte aus längst vergangenen Jahrhunderten, und dass dieser Mann davon sprach, einen Teil der Geschichte wegzuwerfen, ärgerte ihn. Das war etwas völlig Neues. Dass ihn die Meinung eines Menschen ärgerte. Eines unbedeutenden Fremden. Dennoch faszinierte ihn das Gesprächsthema nicht nur, jetzt verstand er auch, warum diese Unterhaltung unter all den anderen seine Aufmerksamkeit erregt hatte.

Er ließ sich über die Brüstung der dritten Ebene fallen und schwebte hinunter zum Erdgeschoss, wo das Gespräch stattfand.

»Ernsthaft, Bruce, warum zum Teufel laberst du noch rum? Wir müssen hier raus, ihnen folgen und herausfinden, ob sie etwas weiß. Lass den Blödsinn und trink deinen Drink aus oder nimm ihn mit, weil sie schon auf dem Weg nach draußen sind.«

»Du willst sie doch nur vögeln, Daniel«, feixte derjenige namens Bruce. »Verdammt, du bist ihr doch den ganzen Abend nicht von der Pelle gerückt. Das war’s, was sie in die Flucht getrieben hat. Und wir dürfen ihnen nicht zu offensichtlich folgen. Wir müssen ihnen ein wenig Zeit geben. Ist ja schließlich nicht so, als wüssten wir nicht, wo sie wohnen.«

Tariqs Welt kam zum Stillstand. Die Erde wankte unter seinen Füßen, und etwas Dunkles und Hässliches stieg in ihm hoch, um ihn zu verschlingen. Ein Mann wagte es, sich an etwas zu vergehen, das ihm gehörte. Wonach er jahrhundertelang gesucht hatte.Er hatte für die Sicherheit von Karpatianern und Menschen gleichermaßen gesorgt, indem er mit aller Kraft an seiner Ehre festgehalten hatte. Er hatte Jahrhunderte erbarmungsloser Einsamkeit ertragen. Der Leere. Eines grauen Nichts, das endlos war.