Geliebte der Dunkelheit - Christine Feehan - E-Book

Geliebte der Dunkelheit E-Book

Christine Feehan

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Beschreibung

Sie sind die Schattengänger, eine Gruppe herausragender Kämpfer, deren Fähigkeiten durch den genialen Wissenschaftler Dr. Peter Whitney verstärkt wurden. Einer von ihnen ist Wyatt Fontenot, ein Mann von geradezu tödlicher Schnelligkeit und Schönheit. Ein Mann, den die verführerische Pepper gerade dringend an ihrer Seite braucht, denn die drei kleinen Mädchen, die sich in Peppers Obhut befinden, schweben in höchster Gefahr. Kann Wyatt Pepper und ihren Schützlingen helfen? Und können Wyatt und Pepper der ebenso magischen wie verbotenen Anziehungskraft, die sie aufeinander ausüben, widerstehen?

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Seitenzahl: 657

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CHRISTINE FEEHAN

GELIEBTE DER DUNKELHEIT

Ein Schattengänger-Roman

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

DAS BUCH

Wyatt Fontenot ist attraktiv, dominant und der Traum einer jeden Frau. Und doch wurde ihm das Herz gebrochen, woraufhin er seine Heimat, die Bayous, verließ und sich den Schattengängern anschloss. Nach langen Jahren ist er – dank seiner genetisch verbesserten Fähigkeiten nun ein Mann von geradezu tödlicher Schnelligkeit – endlich nach Hause zurückgekehrt, um sich um seine Familie zu kümmern. Eine Frau will Wyatt allerdings nicht mehr in sein Leben lassen, das hat er sich geschworen, und bisher ist er diesem Schwur auch treu geblieben. Bisher … Denn als Wyatt im Wohnzimmer seiner Großmutter eines Tages der betörend schönen Pepper gegenübersteht, ist er vom ersten Augenblick an gefesselt von ihrer Sinnlichkeit. Sie ist die eine, die er leidenschaftlich lieben will, und zwar für den Rest seines Lebens. Doch Pepper ist gerade erst aus dem Labor des verrückten Wissenschaftlers Dr. Peter Whitney entkommen, und sie braucht dringend Wyatts Hilfe, denn dort hat sie drei kleine Mädchen zurückgelassen, die nun in tödlicher Gefahr schweben …

DIE AUTORIN

Christine Feehan wurde in Kalifornien geboren, wo sie heute noch mit ihrem Mann und ihren elf Kindern lebt. Sie begann bereits als Kind zu schreiben und hat seit 1999 mehr als vierzig Romane veröffentlicht, die in den USA mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet wurden und regelmäßig auf den Bestsellerlisten stehen. Auch in Deutschland ist sie mit ihrer Schattengänger-Serie, der Leopardenmenschen-Saga, den Drake-Schwestern und der Sea-Haven-Saga äußerst erfolgreich.

Ein ausführliches Werkverzeichnis aller von Christine Feehan im Heyne Verlag erschienenen Romane finden Sie am Ende des Buches.

Mehr über Autorin und Werk erfahren Sie auf:

www.christinefeehan.com

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

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Titel der amerikanischen Originalausgabe VIPER GAME – GHOSTWALKER BOOK 11 Deutsche Übersetzung von Ruth Sander
Redaktion: Sabine Kranzow Copyright © 2015 by Christine Feehan Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Covergestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von shutterstock/PADRONA Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, GmbH
ISBN 978-3-641-19003-3V002
www.heyne.de

Für meine Tochter Manda, nicht nur weil sie Shylah und Skyler zur Welt gebracht hat und die beiden Mädchen Freude in mein Leben bringen, sondern auch, weil Manda mich stolz macht und zum Lachen bringt, und weil ich mich immer auf sie verlassen kann, gleichgültig, worum es geht. In Liebe!

DAS BEKENNTNIS DER SCHATTENGÄNGER

Wir sind die Schattengänger, wir leben in den Schatten.

Das Meer, die Erde und die Luft sind unsere Heimat.

Nie lassen wir einen gefallenen Kameraden zurück.

Wir sind einander in Ehre und Loyalität verbunden.

Für unsere Feinde sind wir unsichtbar, und wir vernichten sie, wo wir sie finden.

Wir glauben an Gerechtigkeit und beschützen unser Land und jene, die sich selbst nicht schützen können.

Ungesehen, ungehört und unbekannt bleiben wir Schattengänger.

Ehre liegt in den Schatten, und die Schatten sind wir.

Wir bewegen uns absolut lautlos, im Dschungel ebenso wie in der Wüste.

Unhörbar und unsichtbar bewegen wir uns mitten unter unseren Feinden.

Wir kämpfen ohne den geringsten Laut, noch bevor sie unsere Existenz überhaupt erahnen.

Wir sammeln Informationen und warten mit unendlicher Geduld auf den passenden Augenblick, um Gerechtigkeit walten zu lassen.

Wir sind gnädig und gnadenlos zugleich.

Wir sind unnachgiebig und unerbittlich in unserem Tun.

Wir sind Schattengänger, und die Nacht gehört uns.

DIE EINZELNEN BESTANDTEILE DES SCHATTENGÄNGERSYMBOLS

STEHT FÜR

Schatten

STEHT FÜR

Schutz vor den Mächten des Bösen

STEHT FÜR

Psi, den griechischen Buchstaben, der in der Parapsychologie für außersinnliche Wahrnehmungen oder andere übersinnliche Fähigkeiten benutzt wird

STEHT FÜR

Eigenschaften eines Ritters – Loyalität, Großzügigkeit, Mut und Ehre

STEHT FÜR

Ritter der Schatten schützen vor den Mächten des Bösen unter Einsatz von übersinnlichen Kräften, Mut und Ehre

1

WYATT FONTENOT VERTÄUTE sein Propellerboot, blieb dann im Dunkeln stehen und lauschte den vertrauten Geräuschen des Bayou. Er war in diesen Sümpfen aufgewachsen, mit dem Quaken der Ochsenfrösche, dem Knurren der Alligatoren und dem platschenden Geräusch, mit dem die Schlangen sich von den Zypressen ins trübe Wasser fallen ließen, und das unaufhörliche Summen der Insekten war sein Schlaflied gewesen. In dieser Gegend brachte der rieselnde Regen keine Abkühlung, sondern verstärkte die Hitze eher, denn er hüllte alles in Feuchtigkeit und den atemberaubenden Duft des Marschlandes.

Langsam ließ Wyatt den Atem entweichen und weidete sich einfach an dem Anblick, der sich ihm bot. Er hatte sich im Bayou immer zu Hause gefühlt. Eigentlich war er nie besonders gern woanders hingefahren, doch im Moment war er nicht sicher, ob die Entscheidung, so bald zurückzukehren, wahnsinnig klug gewesen war. In Städten konnte er nicht atmen, doch nun, da er nach Hause gekommen war, fühlte sich seine Brust wie zugeschnürt an und sein berüchtigtes aufbrausendes Temperament grummelte in der Magengrube.

»Alles in Ordnung?«, fragte Malichai Fortunes leise. Er stand gleich links neben Wyatt, im tiefen Schatten der ausladenden Zypressen und war nicht zu sehen, solange er sich nicht bewegte.

Wyatt sah zu ihm hinüber. Malichai war ein großer Mann, kaltblütig und muskelbepackt, mit seltsamen, beinahe goldenen Augen, die einen auf den ersten Blick durchschauten. Wyatt hatte gelernt, ihm vorbehaltlos zu vertrauen. Sie waren beide todmüde und erschöpft. Vier Monate mit über vierhundert Rettungseinsätzen, die meisten in »heißen« Kriegsgebieten. Der letzte davon war komplett den Bach runtergegangen und sie beide gleich mit.

»Ja, alles in Ordnung. Ich genieße nur den Duft der Heimat«, erwiderte Wyatt.

Pfeifentabakgeruch stieg ihm in die Nase. Ein leichter Wind rauschte durch die Bäume und ließ die Äste gespenstisch hin- und herschwingen. Es hatte ihm immer Spaß gemacht, seine Freunde aus der Stadt nachts in den Sumpf mitzunehmen und ihnen einen Mordsschrecken einzujagen, ehe er sie in eine der umliegenden Bars führte, wo sie sich betrinken und mit jedem anlegen konnten, der sie falsch ansah.

Er hatte gelernt, mit Schnur und Messer zu fischen. Und zur Not auch einen Alligator mit dem Messer zu töten. Er war einer der besten Jäger in den Sümpfen. Nur wenige der Jungs, die ihn kannten, hatten ihn je zum Kampf herausgefordert. Sein Wort galt viel in der Gegend. Er hatte lange und hart studiert, um Arzt zu werden, Chirurg, damit er nach Hause zurückkehren und den Leuten im Bayou helfen konnte. Nicht, dass er nicht hätte gehen können – er hatte nicht gehen wollen. Das war ein gewaltiger Unterschied.

Wieder atmete Wyatt bewusst aus und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er wünschte, er könnte die Erinnerung an seine eigene verdammte Dummheit auch so einfach wegwischen.

»Hast du deiner Grand-mère gesagt, dass wir bei dir sind?«, fragte Ezekiel Fortunes, Malichais Bruder, leise. Viel zu leise. Es klang eher wie das leise Grummeln einer Raubkatze auf der nächtlichen Pirsch.

Wyatt betrachtete den dritten Mann im Boot, der rechts von ihm stand. Ezekiel war etwas kleiner als seine Begleiter, hatte jedoch den gleichen kräftigen Körperbau. Und seine seltsamen bernsteinfarbenen Augen glühten so wie die der anderen im Dunkeln. Alle drei Männer sahen bei Nacht ebenso gut wie am Tag, was ihnen bei nächtlichen Kampfeinsätzen einen entscheidenden Vorteil verschaffte.

»Ja, Nonny erwartet uns alle drei«, sagte Wyatt. »Und ihr zwei solltet euch besser gut benehmen. Sonst packt sie euch bei den Ohren, das kann sie richtig gut.« Er rieb sich das Ohr, und ein kleines Grinsen erschien auf seinem Gesicht, als er an einige Gelegenheiten dachte, bei denen sie ihm die Ohren langgezogen hatte. »Auf Kriegswunden nimmt sie dabei keine Rücksicht.«

»Ist sie eine gute Köchin?«, fragte Malichai. »Ich bin am Verhungern.«

Wyatt und Ezekiel lachten. »Das ist bei dir doch immer so.«

»Wir haben ja auch nie Zeit zum Essen. Dauernd versucht irgendjemand, uns zu töten«, klagte Malichai und schaute sich um. »Ich wette, hier kann man gut jagen gehen.«

Wyatt nickte bedächtig. »Aber wir werden uns ausruhen, Jungs. Ausruhen und entspannen. Nicht jagen. Die Leute hier sind meine Nachbarn. Ihr könnt gern mit ihnen trinken oder streiten, aber ihr werdet ihnen nichts tun.«

»Du bist ein echter Spielverderber«, murrte Ezekiel.

Wyatt stieg aus dem Propellerboot und musterte den soliden Holzsteg. Als er das letzte Mal zu Hause gewesen war, hatte er die faulenden Bretter ausgewechselt, und die Anlegestelle sah immer noch gut aus. Er hatte befürchtet, dass seine Großmutter trotz ihres Alters und ihrer nachlassenden Gesundheit versuchen würde, den Steg zu reparieren. Das hätte ihr ähnlich gesehen. Es war das Letzte gewesen, was er für sie getan hatte, bevor er gegangen war – mitten in der Nacht – ohne ein Wort. Er hatte sich davongeschlichen wie ein schmollendes Kind, nur weil man ihm das Herz herausgerissen hatte. Nein, weil er das geglaubt hatte, was noch viel schlimmer war.

Er blieb noch eine Minute stehen. Es fiel ihm nicht leicht, zum Haus hochzugehen, obwohl er wusste, dass seine Großmutter ihn mit offenen Armen empfangen und kein Wort des Vorwurfs äußern würde, aber er fühlte sich schuldig. Immer wieder versuchte er sich auszumalen, was er ihr sagen würde. Aber ihm fiel nichts ein. Gar nichts. Sie würde es auf den ersten Blick wissen, sowie sie ihm in die Augen schaute und sah, was er getan hatte; dass er sich für alle Zeiten verändert hatte – genau wie sein Bruder Raoul.

»Was ist los, Wyatt?«, fragte Malichai noch einmal. Seine leise Stimme klang genauso jagdhungrig wie die seines Bruders.

»Nonny wird es erkennen. Sobald sie mich zu Gesicht bekommt, wird sie wissen, was aus mir geworden ist.«

Ezekiel ließ den Blick über den Bayou schweifen und vermied es, ihn anzusehen.

Malichai schüttelte den Kopf. »Nein, wird sie nicht, Wyatt. Sie wird merken, dass du dich ein wenig verändert hast, aber sie wird nicht wissen, was du bist.«

»Als ich ging, war ich Arzt, einer, der Menschen heilt.« Wyatt blickte auf seine Hände hinunter. »Und nun bin ich ein Mörder. Wie soll sie das nicht merken?«

»Wir müssen ja nicht bleiben«, bemerkte Ezekiel sachlich. »Wir können uns umdrehen und zusehen, dass wir schnell wieder verschwinden, wenn du dich dann besser fühlst.«

»Sie hat mich gebeten, nach Hause zu kommen«, sagte Wyatt. »Und sie bittet nicht oft um etwas. Sie meinte, sie braucht Hilfe, und meine Brüder sind momentan nicht im Land. Mein Urlaub stand kurz bevor, und mir war klar, dass ich ihr früher oder später gegenübertreten muss. Es ist eine Weile her, aber der Bayou fühlt sich immer noch wie meine Heimat an.«

Wieder schaute Malichai langsam in die Runde. »Sieht für mich aus wie ein Jagdrevier.«

Das Haus der Fontenots war alt, selbst nach den Maßstäben im Bayou, aber sehr gut erhalten. Eiserne Tore und ein großer Zaun sorgten dafür, dass das Anwesen mit der eigenen Anlegestelle am Fluss nicht von Fremden betreten wurde. Nonnys Jagdhunde hatten angeschlagen, als das Propellerboot angelegt hatte, doch Wyatt hatte sie mit einem kurzen, stummen Befehl gleich wieder zum Schweigen gebracht.

Es gab zwei große Gebäude, das Wohnhaus und die Garage. Die Garage konnte durch zwei Niederzugtüren und eine kleinere Eingangstür betreten werden, die alle mit Schlössern gesichert waren. Das Haus hatte zwei Etagen, eine umlaufende Veranda und einen Balkon.

»Es ist hübsch hier, Wyatt«, sagte Malichai. »Ein schönes Haus.«

»Am Anfang ist es ein sehr traditionelles Holzhaus gewesen«, erklärte Wyatt. »Anderthalb Stockwerke mit einer Galerie, auf Pfählen gebaut, um es vom matschigen Grund fernzuhalten. Wir haben eine breite Front zum Bayou hin, was uns einen guten Zugang zum Wasser gewährt. Außerdem viele Wälder zum Jagen, in denen wir die Bäume geschlagen haben, um das Haus auszubauen. Dazu Felder, um etwas anzupflanzen, und Grand-mère hat ein gutes Händchen dafür. Uns ging es ganz gut.« Stolz fügte er hinzu. »Wir haben das Haus erweitert, meine Brüder und ich, für Nonny.«

»Das ist wunderbar, Wyatt. Was für ein schöner Platz, um dort aufzuwachsen«, meinte Malichai mit einem Blick auf seinen Bruder. »Wir hätten hier bestimmt einiges angestellt.«

»Aber wir hätten hin und wieder etwas zu essen gehabt«, meinte Ezekiel mit einem weiteren langsamen Blick in die Runde. »Viel mehr, als einem hier geboten wird, braucht man nicht.«

»Bei uns gibt es immer reichlich zu essen«, versicherte Wyatt und trat einen Schritt zurück, um seinen beiden Freunden den Vortritt zu lassen. »Ehrlich, da sie vier große Jungs zu ernähren hatte, war Nonny jeden Tag unterwegs, um Fallen zu stellen und zu jagen und zu fischen. Sie wollte, dass wir alle in die Schule gehen und etwas lernen. Dann hatte sie eine Herzattacke und Raoul – Gator, wie wir ihn hier im Bayou nennen – hat sich aus der Schule geschlichen, um uns was zu essen zu besorgen. Als wir anderen dann auch geschwänzt haben, hat er uns natürlich ordentlich verprügelt.« Bei der Erinnerung daran musste Wyatt lachen.

»Mit dem Verprügeln kennen wir uns aus«, sagte Malichai. »So sind wir gewöhnlich an unser Essen gekommen.«

Ezekiel nickte. »Ja, darin waren wir am Ende richtig gut.«

»Grand-mère ist in ihren Achtzigern und hat ein krankes Herz. Ihr bringt sie also besser nicht dazu, irgendwelche Ruten abzuschneiden, um sie einem von euch über den Hosenboden zu ziehen«, warnte Wyatt seine Freunde, halb im Spaß und halb im Ernst. »Denn das würde sie tun, wenn ihr euch nicht anständig benehmt.«

Unbehaglich schaute Ezekiel zum Haus hinüber. »Wir haben nie eine Familie gehabt, Wyatt. Es gab immer nur uns drei. Malichai, Mordichai und mich. Wir sind nicht gerade gut erzogen. Bist du sicher, dass du uns deiner Großmutter vorstellen willst?«

»Ganz sicher. Nonny wird sich über die Gesellschaft freuen. Es gibt keinen besseren Platz, um einfach zu entspannen und auszuruhen. Richtet euch schon mal darauf ein, dass sie euch nach Strich und Faden verwöhnt, wenn sie erfährt, dass ihr beide verwundet worden seid. Wenn es nötig ist, greift sie hart durch, aber sie ist diejenige, die unsere Familie zusammenhält. Ihr werdet sie lieben.«

Wieder sah Ezekiel sich langsam um. »Mordichai würde es hier sehr gut gefallen. Er will zu uns stoßen, wenn er sicher sein kann, dass Joe durchkommt. Dies ist genau der richtige Ort für ihn.«

»Ja, verdammt, du hast recht«, stimmte Malichai seinem Bruder zu.

»Wyatt, mein Junge, komm her und hör auf, da draußen Lügen zu erzählen. In letzter Zeit haben sich immer wieder ein paar Alligatoren auf dem Rasen vergnügt. Ich möchte nicht, dass ihr ihnen begegnet. Außerdem hat sich kürzlich der Rougarou in der Gegend blicken lassen. Ich will nicht, dass er dich oder deine Freunde noch auf freiem Feld überrascht«, durchschnitt Grand-mères Stimme die Nacht. Klar und knapp, aber freundlich.

Zum ersten Mal lächelte Wyatt. Schon wenn er ihre Stimme hörte, beruhigte sich sein Magen. »Du rauchst schon wieder Pfeife, Nonny. Ich dachte, der Arzt hätte dir gesagt, du sollst damit aufhören.«

Was zum Teufel ist ein Rougarou?, fragte Malichai, indem er seine telepathischen Fähigkeiten nutzte.

Ein Untier aus einer Legende, die hier in erster Linie dazu benutzt wird, eigensinnigen kleinen Jungs eine Heidenangst einzujagen, damit sie bei Nacht aus den Sümpfen und Bayous herausbleiben, antwortete Wyatt mit einem schnellen Grinsen. Aber die Taktik ist nicht besonders erfolgreich.

»Ach Wyatt, dieser Arzt ist noch nicht einmal trocken hinter den Ohren«, sagte seine Großmutter. »Ich rauche diese Pfeife seit fast siebzig Jahren und habe nicht vor, jetzt damit aufzuhören.«

Nonny saß in einem alten, robusten Schaukelstuhl auf der Veranda, die Pfeife in der einen Hand und ihre Schrotflinte neben der anderen. Wyatt runzelte die Stirn, als er die Waffe sah. Mit mehreren langen Schritten überquerte er den Steg und die kreisrunde Zufahrt, setzte mit ein paar Sprüngen über den Rasen und das Verandageländer und landete geduckt neben seiner Großmutter.

Sie wirkte sehr klein und zerbrechlich, die Schrotflinte war fast so groß wie sie, doch ihre Hände waren ganz ruhig. Sie hatte das silberweiße Haar geflochten und im Nacken zu einem Knoten verdreht. Ihre Haut war dünn und blass, aber ihr Blick klar und so ruhig wie die Hände.

»Was zum Teufel geht hier vor, Nonny? Hat dich jemand bedroht?«

Seine Großmutter nahm die Pfeife aus dem Mund. »Begrüß mich erst mal richtig, mein Junge. Ich habe dich ja nun schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.«

»Entschuldige. Ich mache mir nur Sorgen, weil du die Schrotflinte griffbereit hast.« Wyatt beugte sich vor und küsste seine Großmutter auf beide Wangen. »Du duftest genauso wie immer. Nach würzigem Pfeifentabak, Gumbo und frisch gebackenem Brot. Erst wenn ich diesen Duft rieche, fühle ich mich zu Hause.«

Nonny zwinkerte, um nicht zu weinen vor Freude und wandte das Gesicht ab. »Seit wann springst du herum wie eine Raubkatze, Wyatt? Bringt man euch so etwas bei der Armee bei?«

Wyatt erschrak. Er hatte ohne aufzupassen seine gesteigerten Fähigkeiten vor den Augen seiner Großmutter eingesetzt. »Schnell rennen hab ich doch schon hier im Bayou gelernt, auf der Flucht vor deiner Rute.« Zumindest war das keine Lüge.

Mit einem leisen Schnauben schaute seine Großmutter an ihm vorbei auf die zwei Männer, die ihm sehr viel langsamer gefolgt waren. Nonnys scharfem Blick war natürlich nicht entgangen, dass der größere der beiden hinkte und der kleinere etwas hinter ihm geblieben war und so tat, als zögerte er näher zu kommen, in Wahrheit aber den anderen beschützte, indem er den Bayou und die umliegenden Gebäude ständig im Auge behielt.

Nonny erhob sich, trat an eine der Verandasäulen heran und betrachtete die beiden Männer. »Bist du auch verletzt, Wyatt? Anscheinend habt ihr alle etwas abbekommen.«

»Ja, wir haben Pech gehabt«, gab ihr Enkel zu. »Unser Helikopter ist abgestürzt und wir waren hinter den feindlichen Linien gefangen, aber wir haben uns durchgeschlagen. Jeder von uns ist ein- oder zweimal verwundet worden, aber es geht uns gut. Wir sind gekommen, um dir bei deinem Problem zu helfen und vielleicht ein wenig Ruhe und Erholung zu finden.«

»Kannst du mir das mit den ein oder zwei Verwundungen genauer erklären, Wyatt?« Nonnys Tonfall verriet, dass sie sich nicht einfach abspeisen lassen würde.

Wyatt seufzte. Manchmal kam man nicht um seine Großmutter herum. Sie konnte sehr stur und hart sein, wenn sie es für angebracht hielt. »Malichai ist ins Bein geschossen worden. Es war eine recht schlimme Wunde, aber ich habe sie an Ort und Stelle verarzten können. Ezekiel hat sich schützend über uns geworfen, als eine Granate auf uns zugeflogen kam. Deshalb hat sein Rücken das meiste abgekriegt. Und ich hatte ein paar kleinere Blessuren, einen Einschuss von einem Querschläger, als der Hubschrauber zu brennen begann, und eine Stichwunde, gleich unter dem Herzen. Joe, unseren Piloten, hat es am schlimmsten erwischt, aber Mordichai, der Bruder dieser beiden Jungs, ist bei ihm geblieben und kümmert sich um ihn.«

Nonny schloss kurz die Augen und hielt sich an der Säule fest. Dann schluckte sie schwer, holte tief Luft und nickte. »Dank sei dem Herrn, dass keiner von euch getötet worden ist.«

Die beiden Brüder waren am Fuß der Treppe stehen geblieben und machten keine Anstalten näher zu kommen. Es war unmöglich zu übersehen, dass ihre Augen im Dunkeln glühten wie Katzenaugen. Nonny war eine erfahrene Jägerin, und dieses Detail war ihr sicher nicht entgangen, dennoch lächelte sie die beiden einfach ganz offen an.

»Alle Freunde von Wyatt sind hier willkommen. Ich nehme an, ihr seid hungrig. Ich habe immer Essen auf dem Herd. Einfache Kost, aber sehr nahrhaft.«

»Nonny, das sind Ezekiel und Malichai Fortunes. Meine Grand-mère, Grace Fontenot. Nonny«, stellte Wyatt vor.

Es gelang ihm nicht, den liebevollen Ton zu unterdrücken, der zeigte, wie stolz er auf seine Großmutter war. Sie hatte praktisch ohne jede Hilfe vier große Cajun-Jungs aufgezogen, eine wilde Rasselbande. In Wahrheit hatte er Ezekiel und Malichai nicht nur mit nach Hause gebracht, weil sie seine besten Freunde waren, sondern weil er den Eindruck hatte, dass sie beide eine gute Dosis Nonny vertragen konnten. Sie sollten wissen, wie es war, ein Heim und eine Familie zu haben, denn das jagdhungrige Raubtier in ihnen versuchte immer wieder, die Oberhand zu gewinnen.

»Danke, dass Sie uns aufnehmen, Mrs. Fontenot«, sagte Malichai überaus förmlich.

»Nennen Sie mich Nonny. Das tun alle hier«, erwiderte Wyatts Großmutter. »Und Ezekiel, danke, dass Sie nicht nur Ihren Bruder, sondern auch meinen Enkel beschützt haben.«

Verlegen senkte Ezekiel den Kopf.

»Ja, Ma’am – Nonny«, murmelte Malichai und stieg die Stufen so vorsichtig hinauf, als wäre unter jeder einzelnen eine Mine versteckt. Dann streckte er die Hand aus. »Ich bin Malichai. Ezekiel ist mein älterer Bruder.«

Nonnys blasse Augen richteten sich auf den Mann, der still am Fuße der Treppe stand. So reglos, dass er mit der Nacht verschwamm. »Gute christliche Namen«, sagte sie lobend.

Die zwei Brüder wechselten einen langen Blick. »Aber ziemlich unpassend, Ma’am«, erwiderte Malichai. »Wir sind nicht besonders christlich.« Mit dem Kopf deutete er auf ihre Schrotflinte. »Wenn wir jemandem die Leviten lesen, dann mit so etwas.«

»Es sind keine Alligatoren in der Nähe, Ma’am«, bemerkte Ezekiel. »Wollten Sie auf Eichhörnchen schießen oder auf andere Räuber?«

Nonny lächelte ihn an. »Nur auf menschliche, Junge, deshalb die alte Flinte. Wegen der Räuber und dem Rougarou.«

»Das ist ein sehr schönes Gewehr, Nonny«, sagte Wyatt und nahm die Waffe in die Hand. Sie war sauber, geölt und voll geladen. »Sieht neu aus, finde ich.«

»Gator hat es mir zum Geburtstag geschenkt. Ich habe ihm gesagt, dass ich nichts haben möchte, aber als ich gesehen habe, wie schön es ist, habe ich mich doch darüber gefreut.« Sie winkte die Männer ins Haus.

Sobald Wyatt über die Schwelle getreten war, freute er sich, dass er zurückgekehrt war. Die Atmosphäre im Haus seiner Großmutter war immer einladend und friedlich. Er hätte sich von seiner Scham nicht so lange fernhalten lassen sollen. An der Wand neben der Treppe hingen Fotos von ihm und seinen Brüdern, als sie noch jung gewesen waren. Je weiter man nach unten kam, desto älter wurden die Kinder, doch alle hatten stets das gleiche dichte, wellige Haar und strahlende Augen.

Wyatt schluckte schwer und schaute mit undurchdringlicher Miene geradeaus. Seine Augen strahlten nicht mehr, und daran war er selbst schuld. Er musste mit Nonny reden – ihr gestehen, was er getan hatte. So wie er sie kannte, würde sie ihm den Kopf waschen und ihm sagen, dass keine Frau das wert war – worin er ihr zustimmen würde. Er hatte seine Lektion auf die harte Art gelernt.

Unter der Treppe stand eine handgeschnitzte Truhe, über die eine Hochzeitsdecke gebreitet war. Daneben waren zwei weitere Truhen aufgereiht, ebenfalls mit Hochzeitsdecken darüber. Die vierte – Gators – war inzwischen nicht mehr da. Wyatt erinnerte sich noch, wie Flame, die Frau seines Bruders, weinend die Decke in den Arm genommen hatte, die Nonny vor langer Zeit gequiltet hatte. Aber natürlich war seine Schwägerin eine Ausnahme von der »Frauen sind das nicht wert«-Regel. Sie gehörte jetzt fest zur Familie.

Wyatt wusste, dass Nonny sich nach Enkelkindern sehnte. Sie hatte gehofft, dass Flame und Gator ihr welche schenkten, doch Flame konnte keine Kinder bekommen. Nonny mochte sie sehr und betete um ein Wunder, was sie auch keinem verheimlichte. Oft hatte sie Wyatt so gespannt angesehen, als könnte er ein paar Babys aus dem Hut zaubern, dabei hatte er dieses Thema immer gemieden. Er schaute zu Malichai und Ezekiel hinüber. Er hätte sie davor warnen sollen, dass Nonny hartnäckig war und einen dazu bringen konnte, Dinge zu versprechen, die man nie in Betracht gezogen hatte.

Seine zwei Freunde sahen sich gerade mit großen, beinahe verwunderten Augen im Haus um. Wyatt folgte ihren Blicken. Er wusste, was die beiden empfanden. In seiner Kindheit waren die Fontenots nicht die reichste Familie im Bayou gewesen, bei Weitem nicht, aber an Liebe hatte es ihnen nie gemangelt. Und das spürte man, wenn man das Haus betrat.

Der Duft von frisch gebackenem Brot und Gumbo hing in der Luft. Wyatt schnupperte und lächelte unwillkürlich. Nonny hatte auch seinen Lieblingsnachtisch gemacht. So war sie. Sie sorgte für die kleinen Dinge, die so unglaublich wichtig waren.

»Als ich dich angerufen habe, hast du mir nicht erzählt, dass du dich so bedroht fühlst, dass du mit einer Schrotflinte auf der Veranda sitzt«, sagte Wyatt auf dem Weg in die Küche.

»Ich wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen«, sagte Nonny und zuckte die knochigen Schultern. »Es hätte ja sein können, dass du keine Zeit hast, und dann hättest du ein schlechtes Gewissen gehabt. Das will ich nicht.«

Natürlich nicht. Seine Großmutter hatte nie gewollt, dass einer ihrer Enkel ihretwegen Schuldgefühle oder Sorgen hatte. Manchmal beschämte es ihn, wie großzügig sie war.

Der Topf mit Gumbo stand genau da, wo er immer stand. Wyatt konnte sich nicht daran erinnern, jemals ins Haus gekommen zu sein, ohne dass etwas auf dem Herd schmorte. Er ging zum Schrank und holte die Suppenteller heraus.

»Das wird euch schmecken, Jungs.«

»Willst du ihnen nicht erst das Haus zeigen?«, fragte Nonny mit einem lachenden Unterton.

»Nein, wir wollen bloß essen, Grand-mère«, gestand Wyatt.

»Er hat so viel von Ihren Kochkünsten erzählt, Ma’am«, ergänzte Malichai, »dass wir an nichts anderes mehr denken konnten.«

»Das ist gut«, meinte Nonny und ließ sich auf ihrem gewohnten Platz am Küchentisch nieder.

Wyatt musste an all die Male denken, die er mit seinen Brüdern an diesem Tisch gesessen und gescherzt und geredet hatte. Ein Teil von ihm wäre gern in diese sorglose Zeit zurückgekehrt, als das Leben im Bayou noch genug gewesen – alles gewesen war.

Sobald alle drei Männer einen Teller Gumbo, warmes Brot und einen heißen Café vor sich hatten, sah Wyatt seine Großmutter an.

»Sag mir, was hier vorgeht, dass du bewaffnet auf der Veranda sitzt, Nonny.«

Seine Großmutter lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und musterte ihn mit ihren verblassten blauen Augen, doch ihr Blick war immer noch so scharf wie früher. »Es sind ein paar seltsame Dinge passiert, Junge. Ich weiß, dass du nicht an den Rougarou glaubst, und ehrlich gesagt ging es mir genauso, aber im Sumpf geschehen Dinge, für die es keine Erklärung gibt.«

Sie legte eine dramatische Pause ein. Malichai und Ezekiel, die gerade den Löffel zum Mund führten, hielten auf halbem Wege inne, während Wyatt weiter Essen in sich hineinschaufelte. Er war daran gewöhnt, dass seine Großmutter ihre Zuhörer mit ihrer Erzählkunst in den Bann schlug. Sie hatte diese Fähigkeit mehr als einmal eingesetzt, um ihn und seine Brüder daran zu hindern, das Essen herunterzuschlingen.

»Lebensmittel verschwinden, und Kleider werden von der Leine gestohlen.«

»Hört sich so an, als hätte jemand Hunger, vielleicht ein Obdachloser, Nonny.«

Bei dem Wort »Hunger« aßen Malichai und Ezekiel wie auf Kommando weiter.

»Vielleicht«, räumte Nonny ein. »Aber das Essen ist von drinnen gestohlen worden. Und die Kleider manchmal auch. Aus Häusern, die abgeschlossen waren.«

»Im Bayou schließt doch keiner sein Haus ab«, sagte Wyatt.

»Nach all den Vorfällen schon. Ich habe immer einen Topf mit Essen auf dem Herd stehen. Das weißt du, Wyatt. Manchmal schauen Nachbarn vorbei. Und manchmal kommt Flame überraschend, wenn Gator wieder auf einem dieser Einsätze ist, über die er nicht reden darf. Ich schließe jetzt ab, und ich habe die Hunde. Zweimal habe ich sie sogar mit ins Haus genommen, aber jeden dritten oder vierten Morgen ist das Essen aus dem Topf verschwunden, sogar wenn die Hunde im Haus waren.«

»Jemand ist ins Haus eingedrungen, während du geschlafen hast?«, fragte Wyatt, und er spürte seine Wut langsam hochkommen.

Nonny nickte. »So ist es. Ich habe nicht mal herausfinden können, wie. Als immer wieder Essen verschwand, habe ich angefangen, Päckchen nach draußen zu legen, mit Kleinigkeiten, die ich für nützlich hielt. Nahrung, Kleidung, und sogar ein, zwei Decken. Und jedes Mal waren diese Päckchen am nächsten Morgen verschwunden, und ich habe dann drei Tage nacheinander frischen Fisch auf meinem Tisch gefunden. Die Hunde haben nicht angeschlagen. Die Türen waren abgeschlossen. Ich habe keine Ahnung, wie das geschehen konnte, aber bei der Vorstellung, dass der Rougarou in meinem Haus war, ist mir ein bisschen mulmig geworden.«

»Warum soll es der Rougarou gewesen sein und kein Mensch, Ma’am?«, fragte Malichai.

»Delmar Thibodeaux hat ihn gesehen, mit eigenen Augen. Es ist so schnell durchs Unterholz gelaufen, dass er ihm kaum mit dem Blick folgen konnte.«

»Delmar Thibodeaux ist der Besitzer vom Huracan Club, und da fließt der Alkohol in Strömen«, erklärte Wyatt den anderen.

»Er hat geschworen, dass er nichts getrunken hatte, als er das gesehen hat.«

Wyatt seufzte. »Was geht sonst noch hier vor, Nonny? Diese Schrotflinte lag nicht wegen des Rougarous griffbereit. Du würdest niemals auf ihn schießen.«

»Vielleicht doch«, widersprach die alte Dame. »Wenn er mich bedroht.«

Mit hochgezogener Augenbraue sah ihr Enkel sie an. »Du brauchst keine Angst vor Tieren zu haben, Nonny. Alle im Bayou wissen das. Selbst die Alligatoren lassen dich in Ruhe.«

Er und seine Brüder waren sich ziemlich sicher, dass sie ihre besonderen Gaben von ihrer Großmutter hatten, auch wenn Nonny nie zugegeben hätte, dass sie so etwas besaß.

Nun stieß sie einen resignierten Seufzer aus. Ganz offenbar wollte sie gern an der Gestaltwandler-Geschichte festhalten. »Kannst du dich noch an das alte Sanatorium erinnern, das vor ein paar Jahren abgebrannt ist? Den Gerüchten nach gehörte es irgendeinem Irren, der dort ein Mädchen gefangen hielt, das alles in Brand gesetzt hat, um flüchten zu können.«

Wyatt nickte widerstrebend. Im Bayou erzählte man sich immer Gerüchte, in denen sich Aberglaube und Wahrheit mischten. Auch die Mythen und Legenden aus der Gegend hatten oft einen wahren Kern. In diesem Fall wusste er sogar, dass das, was man munkelte, stimmte.

Dr. Whitney, der ehemalige Besitzer des Sanatoriums, war in der Tat ein Irrer, der sein Leben der Aufgabe gewidmet hatte, Supersoldaten zu erschaffen. Diese Soldaten wurden als Schattengänger bezeichnet, weil ihnen die Nacht gehörte. Nur wenige sahen oder hörten sie, wenn sie ihre Aufträge ausführten. Und noch weniger wussten, dass ihre DNA manipuliert worden war, um ihre geistigen und körperlichen Kräfte zu steigern.

Das Gespräch steuerte auf Themen zu, die geheim waren – Dinge, über die er nicht mit seiner Großmutter sprechen durfte. Mit gesenktem Kopf aß Wyatt weiter.

»Ja, ich glaube schon«, gab er zu.

»Irgendein hohes Tier hat das Land gleich darauf aufgekauft und den Schutt wegräumen lassen. Dann hat man einen langen, hässlichen Bau hochgezogen, mit wenigen Fenstern und Betonwänden, die mindestens dreißig Zentimeter dick sind. Kein einziger Mensch aus der Gegend ist dazu angeheuert worden.«

Die kleine Schärfe in ihrem Ton war unüberhörbar. Bei den meisten Familien entlang des Flusses wurde es nicht gern gesehen, wenn eine große Firma sich im Bayou niederließ und keine Einheimischen einstellte, die Arbeit brauchten. Das »hohe Tier« hatte sich mit seiner Entscheidung, den Bau von Fremden errichten zu lassen, keine Freunde gemacht, aber auch keine Gesetze gebrochen.

»Wem gehört das Land denn inzwischen, Nonny?«, fragte Wyatt.

Früher war es im Besitz der Whitney-Stiftung gewesen, aber Lily, Whitneys Tochter, hatte es sofort verkauft, sobald sie erfuhr, dass ihr Vater das Anwesen benutzt hatte, um Experimente an einem Kind durchzuführen. Wyatt vermied es, seine beiden Freunde anzusehen. Sie waren ebenfalls recht neu bei den Schattengängern, aber er wusste mehr über den Erfinder und Leiter des Programms als sie.

»Sie haben ein großes Schild an ihrem vier Meter hohen Maschendrahtzaun mit der Stacheldrahtkrone. Und dahinter lassen sie Männer mit Waffen und Hunden patrouillieren«, sagte Nonny verächtlich. »Als ob sie Angst hätten, dass die Leute im Bayou wissen wollten, was sie da treiben.«

Wyatt musste grinsen. »Aber so ist es doch, Nonny.«

Als seine Großmutter den Kopf zurückwarf und lachte, fühlte er sich gleich noch mehr zu Hause.

»Ma’am«, mischte sich Malichai ein. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich mir noch einen Teller von diesem großartigen Gumbo hole? So etwas habe ich noch nie gegessen.«

»Das ist eine hiesige Spezialität, nach einem alten Rezept, das seit Generationen in meiner Familie weitergereicht wird«, sagte Nonny geschmeichelt. »Bedien dich nur, dafür ist es ja da. Wir haben immer etwas auf dem Herd, für den Fall, dass wir Besucher bekommen, die Hunger haben.«

»Ich habe immer Hunger«, gestand Malichai.

»Du bist ein großer Mann, also musst du auch viel essen«, meinte Nonny.

»Wenn ich dazu etwas sagen darf, Ma’am«, meinte Ezekiel, »mein Bruder scheint ein Loch im Bauch zu haben, das man einfach nicht füllen kann. Ich sollte es wissen, denn ich habe es viele Jahre lang versucht.«

»Einmal ist er in einen Lebensmittelladen eingebrochen«, sagte Malichai. »Weißt du noch? Als wir Kinder waren«, fügte er hastig hinzu, da Wyatt ihm einen warnenden Blick zuwarf. »Das war so ein Laden, in dem es Hähnchen am Grill und warmes Essen gibt. Mein Bruder Mordichai und ich haben die ganze Nacht gefuttert und waren am nächsten Morgen immer noch hungrig. Ezekiel hat behauptet, es würde niemand je schaffen, uns satt zu bekommen.«

»Er ist wie ein ausgehungerter Wolf, Ma’am«, sagte Ezekiel. »Wenn wir etwas zu essen haben, schlingt er es ruckzuck herunter, aber er nimmt kein Gramm zu. Und der andere Bruder ist genauso.«

Missbilligend zog Nonny die Brauen zusammen. »Hat denn niemand auf euch aufgepasst, als ihr klein wart? Seid ihr ganz allein gewesen?«

Malichai zuckte die Achseln. »Ja, aber wir haben uns ganz gut durchgeschlagen, Ma’am. Wir haben uns gegenseitig geholfen. Wir sind in einer großen Stadt aufgewachsen und haben jeden Winkel dort gekannt.« Er häufte sich eine riesige Portion Gumbo auf den Teller und nahm ein großes Stück Brot, ehe er sich wieder setzte.

»Und je älter wir wurden, desto leichter wurde es für uns«, fügte Ezekiel hinzu. »Wir haben jeden Kampf gewonnen, also hat man uns in Ruhe gelassen.«

Nonny schüttelte den Kopf. »Ach Jungs. Dann passt ihr ja gut zu meinen Enkeln. Die haben sich auch gern geprügelt.« Sie lehnte sich zurück und ließ scheinbar resigniert die Schultern heruntersacken. »Ich sollte Delmar eigentlich anrufen und ihm sagen, er soll euch nicht reinlassen, wenn ihr in seine Bar wollt.«

»Den Delmar, der den Rougarou gesehen hat?«, wollte Malichai wissen.

»Genau den«, sagte Wyatt. »Ihm gehört der Huracan Club, der beste Laden im Bayou, wenn einem der Sinn nach Drinks, Frauen und Streit steht. Okay, eher nach Drinks und Streit. Oder einfach nur Streit«, erklärte Wyatt den Fortunes. Dann lachte er und zog eine Augenbraue nach oben, indem er seine Großmutter ansah. »Aber das wäre gemein, Grand-mère. Wir sind doch jetzt alle erwachsen und suchen nicht mehr so viel Streit wie früher.«

Nonny schnaubte recht undamenhaft. »Pass auf, dass du wegen dieser Lüge nicht vom Blitz erschlagen wirst, Junge.«

»Warum liegt die Schrotflinte griffbereit, Nonny?«, fragte Wyatt lässig, aber beharrlich, während er sich Butter aufs Brot strich. Dann nahm er einen Bissen. Es schmeckte himmlisch. Ezekiel und Malichai waren offenbar zu der gleichen Erkenntnis gelangt, denn sie machten kurzen Prozess mit den drei Laiben, die Nonny gebacken hatte.

»Dieser Zaun, von dem ich gesprochen habe, grenzt an den Teil des Sumpfes, in dem ich den Garten für meine Heilkräuter angelegt habe. Als ich neulich da war, um ein paar zu holen, ist plötzlich in dem Gebäude irgendein Alarm losgegangen, mit Sirenengeheul und irgendwelchen Stimmen über Lautsprecher. Die Hunde haben gebellt wie verrückt, und die Wachen liefen wild durcheinander. Aber das geht mich nichts an. Ich habe mich nur um meine Pflanzen gekümmert, Wyatt.«

Ihr Enkel legte seinen Löffel weg, lehnte sich zurück und sah sie aufmerksam an.

»Dann kamen auf einmal von allen Seiten Männer, trampelten durch meine Beete und schrien, als ob sie mich umbringen wollten. Ich musste die Hände hochnehmen, und einer von ihnen hat mich angefasst, also habe ich ihn dahin getreten, wo es wehtut.«

Wyatt spürte die vertraute heiße Wut in sich aufsteigen. Er wusste, dass er aufbrausend war, doch seit seine Gene manipuliert worden waren, fiel es ihm noch schwerer als früher, seinen Zorn zu zügeln, und die Vorstellung, dass irgendjemand Hand an seine Großmutter gelegt hatte, brachte sein Blut zum Kochen. Unter dem Tisch ballte er die Fäuste, während der Boden unter seinen Füßen bebte.

Wachsam hoben Ezekiel und Malichai den Kopf, legten ebenfalls ihre Löffel beiseite und hörten gut zu, was Nonny zu sagen hatte.

»Was heißt, er hat Sie angefasst, Grand-mère?«, fragte Ezekiel mit ruhiger Grabesstimme.

»Jetzt macht kein Theater darum, Jungs. Ich kann mich wehren, so alt bin ich noch nicht. Dieser Mann hat mich nach Waffen abgetastet. Und mir mein bestes Messer weggenommen. Er hat es immer noch, und ich will es wiederhaben. Sie haben mir gesagt, dass sie wissen, wo ich wohne, und mich mit meinem Namen angeredet. Ms. Fontenot haben sie zu mir gesagt. Der größte von ihnen hat mir gedroht, dass er mich besuchen und seinen Hund auf mich hetzen würde, wenn ich weiter bei ihnen herumschnüffele oder von dem Alarm erzähle.«

»Was hast du denn davon mitgekriegt?«

»Das ist es ja, Wyatt.« Nonny klang verärgert. »Ich habe gearbeitet und die Kopfhörer von diesem Ding im Ohr gehabt, das du mir zu Weihnachten geschenkt hast, das mit all der Musik drauf. Ich habe nichts gesehen und gehört, bis die Sirenen aufgeheult haben.« Offenbar war Nonny schwer enttäuscht, dass sie nicht mitbekommen hatte, was man vor ihr verbergen wollte. »Vielleicht stellen sie dort schmutzige Bomben her.«

»Schmutzige Bomben?«, wiederholte Wyatt. »Wie kommst du denn darauf?«

»Ich höre doch Nachrichten«, erwiderte seine Großmutter würdevoll. »Ich weiß, was in der Welt vorgeht, und diese Männer haben nichts Gutes im Sinn.« Sie beugte sich vor. »Wenn sie in den Huracan Club gehen, reden sie mit niemandem. Nicht einmal mit Delmar. Sie stellen sich einfach in eine Ecke und sehen die anderen finster an. Selbst wenn die Jungs sie ein wenig reizen, lassen sie sich nicht auf einen Kampf ein, und das ist einfach nicht normal. Delmar sagt, sie trinken nie etwas anderes als Bier, und nie mehr als zwei pro Kopf.«

»Vielleicht macht der Bayou sie nicht so furchtbar durstig wie uns. Kommen die Typen aus der Stadt?«, fragte Wyatt.

»Eigentlich sehen sie nicht so aus. Nur die Anzugträger, die gelegentlich hier auftauchen.«

»Also beobachtest du doch das Gelände«, bemerkte Wyatt möglichst milde.

Doch es half ihm nichts. Seine Großmutter maß ihn mit einem Blick, der ihn als Kind das Fürchten gelehrt hatte und ihm immer noch auf den Magen schlug.

»Das tun doch alle. Ich sage dir, dort geht es nicht mit rechten Dingen zu.«

»Also, weißt du, Großmutter, ich glaube, es ist am besten, du erntest vorerst keine Kräuter mehr, bis ich mir das genauer angeschaut habe. Wie hat der Mann denn ausgesehen, der dich angefasst hat? Kannst du ihn mir beschreiben?«

»Ich hab was Besseres, Wyatt. Ich habe ihn fotografiert, mit diesem neumodischen Apparat, den Flame mir gegeben hat. Sie sagt, es wäre ein schnurloses Telefon, und es klingelt auch manchmal, aber ich weiß nicht, wie man rangeht, deshalb mache ich einfach nur Fotos damit.«

Wyatt schüttelte den Kopf. »Du gehst nicht an dein Handy, Nonny?«

»Wer will schon plaudern, wenn er allerhand zu tun hat?«

»Ein Punkt für Nonny«, sagte Malichai. »Könnten wir dieses Foto mal sehen?« Er schaute zu Wyatt hinüber. Offenbar machte seinem Freund die Vorstellung schwer zu schaffen, wie jemand seine Großmutter von oben bis unten abtastete, und sie dann auch noch mit der Drohung einschüchterte, sie zu Hause zu besuchen. »Ich bin froh, dass Sie diese Schrotflinte haben, Ma’am.«

»Vielleicht benutze ich sie sogar, wenn du mich weiter Ma’am nennst«, erwiderte Nonny. »Meine Enkel nennen mich Grand-mère oder Nonny. Und da ihr hier in meinem Haus seid, verlange ich, dass ihr es genauso macht.«

»Ja, Ma’am«, sagte Ezekiel. »Vielen Dank. Wir haben noch nie eine Oma gehabt.«

Wyatt schnaubte spöttisch. »Vielleicht solltet ihr es euch auch nicht wünschen. Denn das bedeutet, dass sie euch den Hosenboden versohlt, wenn sie sich über euch ärgert.«

»Hört sich so an, als wäre ihm das öfter passiert, Nonny«, meinte Malichai.

»Es hätte zumindest öfter passieren müssen«, erwiderte Nonny, »doch er und seine Brüder waren viel zu charmant.« Sie klang stolz – und liebevoll.

Wyatt konnte es hören. Er wusste nicht mehr, warum er so gezögert hatte, in die Heimat zurückzukehren. Er liebte sie, alles an ihr, und ganz besonders seine Großmutter. Nachdem er mehr über die Wachleute der neuen Fabrik erfahren hatte, war er mehr als froh, dass er nach Hause gekommen war. Aber dennoch, welcher Mann wollte schon bei seiner Rückkehr der Frau, die er am meisten respektierte und bewunderte, gestehen, dass er sich zum Trottel gemacht hatte?

»Bist du noch mal hingegangen?«, fragte er misstrauisch.

»Nein, aber ich habe es vor. Sie haben die ganzen Kräuter zertrampelt, die ich über die Jahre alle zusammen an diesem einen Ort angepflanzt habe, damit ich sie leichter sammeln kann. Ich bin zu alt, um den ganzen Sumpf nach den richtigen Kräutern abzusuchen, um die Medizin für den Traiteur zu machen.«

»Was ist ein Traiteur?«, fragte Malichai.

»So heißen hier die Heiler«, erklärte Wyatt.

»Ich werde nach Ihren Pflanzen sehen, Ma’am«, sagte Ezekiel. Als er Nonnys strengen Blick sah, räusperte er sich. »Grand-mère, meine ich. Es wird mir ein Vergnügen sein, jedem, der nachschauen kommt und wieder auf die Pflanzen tritt, eine Lektion zu erteilen.«

»Du bist ein guter Junge, Ezekiel. Auch wenn du keine Eltern gehabt hast. Wahrscheinlich bist du einer von denen, der seinen Weg auch so findet«, sagte Nonny.

Wyatt sah Ezekiel warnend an. Sie waren alle drei körperlich und geistig weiterentwickelt worden. Leider aber sorgte ihre Katzen-DNA dafür, dass sie ständig den Drang verspürten, auf die Jagd zu gehen. Manchmal kam es Wyatt so vor, als kämpfe er unentwegt mit sich selbst. Der Heiler gegen den Killerinstinkt des Raubtiers. Ezekiel war schon immer ein aggressiver, dominanter Mann gewesen. Er kämpfte nicht zum Spaß, so wie Wyatt und seine Brüder – Malichai, Mordichai und Ezekiel hatten von Geburt an darum kämpfen müssen, am Leben zu bleiben. Diese an sich schon gefährliche Veranlagung zusammen mit der neuen DNA konnte unter den falschen Umständen eine explosive Mischung sein.

Du kannst nicht in Großmutters Hinterhof auf die Jagd gehen, mahnte Wyatt telepathisch.

Ohne aufzusehen, wischte Ezekiel weiter den Gumbo mit dem Brot vom Teller.

Was hattest du denn vor, Wyatt?, fragte Malichai. Ihnen die Hand zu schütteln und dich höflich dafür zu bedanken, dass sie deine Großmutter angefasst haben?

Spar dir deinen Sarkasmus. Ich werde mich ein wenig schlaumachen, ehe ich ins Bett gehe. Ich möchte wissen, was mit diesem Gebäude los ist und wem es gehört. Ich werde Mordichai schreiben und ihn fragen, ob er etwas darüber herausfinden kann, während er sich um Joe kümmert.

Wyatt war nicht allzu erstaunt gewesen, als er festgestellt hatte, wie leicht es ihm fiel, sich mit seinem Team telepathisch zu verständigen – er hatte schon immer andere in seinem Kopf sprechen hören und den ein oder anderen Gedanken aufgeschnappt –, so hatte er auch herausgefunden, dass die Liebe seines Lebens ihn betrogen hatte. Zumindest hatte er sie damals für die Liebe seines Lebens gehalten. Inzwischen, nach vielem Nachdenken, hatte er erkannt, dass er einfach ein verdammter Narr mit einem Helfersyndrom war.

Der Tisch unter seinen Händen zitterte kaum merklich, aber dennoch genug, um die Aufmerksamkeit seiner Freunde auf ihn zu lenken.

Was ist los? Wir kriegen diese Kerle, sagte Ezekiel. Keiner tut deiner Großmutter etwas, wenn wir bei ihr sind.

Was hätte er schon sagen können? Dass er den Gedanken nicht ertragen konnte, wie idiotisch es von ihm gewesen war zu denken, eine Frau hätte ihm das Herz herausgerissen, darauf herumgetrampelt – um ihm dann zu sagen, was sie wirklich von ihm hielt, und zwar nichts Gutes. Seit seinem fünften Lebensjahr, seit er sie bei einem fais do-do in der Nachbarschaft zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er geglaubt, dass er sie liebte. Er hatte sie sein Leben lang angehimmelt, obwohl sie in der Schulzeit nie miteinander ausgegangen waren. Sie hatte so zerbrechlich gewirkt, und immer wenn mit ihrem neuesten Freund Schluss war, hatte sie sich ihm anvertraut.

Trotz Nonnys wiederholter Warnungen hatte er nie, nicht eine Sekunde, den Gedanken zugelassen, dass Joy Chiasson mit ihm spielte und ihn nur benutzte, bis sie jemanden finden würde, der sie aus dem Bayou herausholen konnte. Er hatte nicht wissen – oder glauben – wollen, hatte nie auch nur einen Augenblick lang in Erwägung gezogen, dass sein Urteilsvermögen derart schlecht sein könnte.

Er war noch nie so verletzt worden und wollte diese Erfahrung ganz sicher nie wieder machen. Er wollte nichts mehr mit Frauen zu tun haben. Sie waren unzuverlässig und untreu. Er wollte sich verdammt noch mal nie mehr verlieben. Aber das Schlimmste war die Erkenntnis, dass er seinem eigenen Urteil offenbar nicht vertrauen konnte. Joy war es nicht wert gewesen, und die traurige Wahrheit war, dass er sie nie wirklich geliebt hatte, nur in seiner Fantasie. Er hatte einen kompletten Narren aus sich gemacht und würde für den Rest seines Lebens mit den Konsequenzen leben müssen – und seine Familie auch. Nonny musste zusehen, dass die Babys von anderer Seite kamen.

Das Lustige war, dass er die ganze Zeit hätte wissen sollen, dass Joy nicht zu trauen war. Sie hatte Geld haben wollen, und ein anderes Leben. Er wäre imstande gewesen, ihr beides zu geben, aber das hatte er ihr nie gesagt. Nicht gewollt, dass sie es wusste. Sie sollte ihn für das lieben, was er war, nicht für das, was er für sie tun konnte.

Wyatt schüttelte den Kopf. »Grand-mère, ich habe vor Malichai und Ezekiel damit angegeben, dass es nichts Besseres gibt als unseren Café und unsere Beignets. Sie haben beides noch nie probiert.«

Nonny wirkte völlig entsetzt. »Noch nie im Leben?«

Sofort stand sie auf, ging zum Speisewärmer und nahm eine große Platte mit Beignets heraus, die sie mitten zwischen die beiden Brüder stellte. Dann ging sie wieder zurück, um ihnen noch zwei Tassen heißen schwarzen Kaffees zu holen.

Wyatt wartete, bis sie sich wieder gesetzt hatte und seine beiden Freunde voller Puderzucker waren. Dann wandte er sich seiner Großmutter zu und streckte die Hand aus. »Dein Telefon, Nonny. Ich möchte wissen, wie diese Männer aussehen.«

Seine Großmutter zog ein kleines Handy aus der Tasche ihres Pullovers. »Ich habe mehrere gemacht. Das sind die Männer, die durch meine Pflanzen getrampelt sind. Der mit dem Hund hat versucht, mir Angst einzujagen, aber ich habe das Tier dazu gebracht, mit dem Geknurre aufzuhören. Sein Herrchen war nicht allzu erfreut darüber, und ich hoffe, ich habe den Hund nicht in Schwierigkeiten gebracht.«

Malichai und Ezekiel legten ihre Beignets weg, um sich die Fotos auf Nonnys Handy genauer zu betrachten. Die meisten waren recht scharf, obwohl sie heimlich gemacht worden waren.

»Wer ist der, der es gewagt hat, Sie anzufassen?«, erkundigte sich Ezekiel.

»Jetzt hörst du dich genauso an wie meine Enkel. Übertreib es doch nicht. So schmutzig bin ich ja gar nicht geworden, und außerdem hätte ich meine Sachen sowieso waschen müssen.«

Wyatt versteifte sich. »Was soll das heißen? Bist du gefallen?«, fragte er. »Bist du gestürzt? Haben sie dich etwa geschubst?«

»Ich habe doch schon erzählt, dass ich mich gewehrt habe, als einer von ihnen mich angefasst hat«, sagte Nonny. »Das hat dem Kerl nicht besonders gut gefallen, weil seine Freunde ihn ausgelacht haben.«

Diesmal wackelte der Tisch tatsächlich. Hastig sprang Wyatt auf und lief rastlos hin und her, um sich zu beruhigen – bei seinem Temperament konnte angestaute Energie schnell gefährlich werden.

»Er hat dich zu Boden gestoßen?«, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Wütend starrte er Malichai an, der wieder in sein Beignet biss. »Und du isst einfach weiter?«

Malichai zog eine Augenbraue nach oben. »Nervennahrung, mein Freund. Einer von uns muss doch einen klaren Kopf behalten, wenn ihr beide euch so aufregt. Nur aus reiner Neugier, Grand-mère, war Ihnen klar, was für einen Hitzkopf Sie da großziehen?«

Nonny nickte nachdenklich. »Ich weiß, Malichai. Ich weiß. Ich habe gehofft, dass es eines Tages besser wird, aber er und seine Brüder sind eben Cajuns und ihr Temperament ist einfach mit ihnen größer geworden.«

»Du hättest mir sofort sagen sollen, dass diese Männer dich zu Boden gerissen haben, Nonny«, beschwerte sich Wyatt. »Das ist kein Spaß. Ich habe gedacht, sie wären vielleicht etwas übereifrig gewesen, um ihre Fabrik zu schützen, als etwas schieflief, und das war schon schlimm genug, aber …«

Mit beiden Händen fuhr er sich durchs Haar. Seine Augen glitzerten wie die einer hungrigen Raubkatze auf der Jagd. »Dass man dich abtastet, bedroht und in den Schlamm stößt ist unerträglich. Ich glaube, ich muss mich mal ein wenig mit diesen Männern unterhalten.«

Ezekiel stand auf, schob seinen Stuhl zurück und stapelte die Teller aufeinander. »Danke für das leckere Essen. Ich sammle nur die Teller ein, Nonny, dann sehen wir uns diese Kerle mal an.«

Malichai schob die Stühle wieder unter den Tisch und half beim Abräumen. »Das hat wunderbar geschmeckt, Nonny. Ich bin wirklich voll … im Moment.«

»Lasst die Teller einfach stehen, Jungs«, sagte sie. »Ich kümmere mich schon darum. Bleibt nicht zu lange weg, und Malichai, wenn du wiederkommst, steht wieder etwas Warmes auf dem Herd.«

2

»WIR NEHMEN DIE PIROGE, dann machen wir keinen Lärm«, bestimmte Wyatt, während sie von der Veranda stiegen. »Aber ihr müsst nicht mitkommen. Ich will mich nur anschleichen, um zu sehen, womit ich es zu tun habe.«

»Du glaubst doch wohl nicht, dass wir dich allein gehen lassen«, sagte Malichai. »Ich habe sehr viel gegessen. Ich brauche etwas Bewegung, ehe ich ins Bett gehe.« Und ich kaufe dir nicht ab, dass du dich nur anschleichen willst. Ich komme einfach mit und achte darauf, dass du brav bleibst.

Wyatt warf ihm einen unschuldigen Blick zu.

Ezekiel stieß seinen Bruder gegen die Schulter. »Du willst doch bloß einen Verdauungsspaziergang machen, damit du hinterher weiterfuttern kannst. Eigentlich müsstest du eine Tonne wiegen.«

»Ich habe eben gute Gene«, sagte Malichai und stieg in die Piroge. »Was zum Teufel ist das für ein Ding? Bist du sicher, dass es nicht untergeht?«

Er spähte in das schwarze Wasser. Dicke Moosstränge hingen von Zypressen herunter, strichen mit dünnen, fedrigen Spitzen über die Wasseroberfläche und schufen eine gespenstische Atmosphäre. Die Luftfeuchtigkeit war so hoch, dass alles sich langsam und träge bewegte und selbst das Atemholen schwerfiel.

Misstrauisch musterte Ezekiel das kleine Flachbodenboot, das aus einem Baumstamm gemacht zu sein schien. Das Letzte, was er sich wünschte, war, sich mit Schnappschildkröten, Schlangen und Alligatoren im dunklen Wasser wiederzufinden.

Wyatt stützte sich auf eine lange Stange. »Das Wasser ist flach. Also keine Sorge, wenn ihr herausfallen solltet. Es reicht euch nur bis an die Oberschenkel. Oder die Taille. Es sei denn, wir wären über einer Stelle, wo der Grund abfällt.«

Ezekiel warf ihm einen bösen Blick zu. »Mach keine Witze, ich bin bewaffnet.«

Wyatt lachte. »Wenn es dir lieber ist, kannst du auch hierbleiben und dich von Grand-mère mit ihrem Gewehr beschützen lassen.«

Vorsichtig stieg Ezekiel in die Piroge. »Deine Großmutter ist eine tolle Frau. Gibt es solche wie sie heute überhaupt noch?«

Langsam stieß Wyatt das Boot mit der langen Stange ab. Malichai nahm eine andere, um ihm zu helfen. Dann beobachtete er Wyatt und ahmte seine Bewegungen nach.

»Ich glaube, die letzte hat mein Bruder Gator bekommen«, räumte Wyatt ein. »Sie hat ein riesengroßes Messer und keine Angst, es zu benutzen. Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, hielt sie Gator ein Messer an die Kehle. Sie war in unser Haus eingebrochen und hatte sich an ihn herangeschlichen, weil er ihr Motorrad gestohlen hatte. Also hat sie ihn mit meinem Jeep verfolgt. Es war eine sehr interessante Begegnung.«

»So eine Frau wünsche ich mir auch«, sagte Ezekiel.

»Sie ist eine von uns«, fügte Wyatt hinzu. »Eine Schattengängerin.«

»Das habe ich mir schon gedacht. Immerhin hat sie es geschafft, deinen Bruder zu überrumpeln«, sagte Malichai. »Und dem eilt schließlich sein Ruf voraus.«

Dann sah er sich langsam um. Es war dunkel und unheimlich in den Bayous. Die verzweigten Wasserwege waren hinter hohem Schilf und Landstreifen mit Hängezypressen verborgen.

»Hier könnte man sich glatt verlaufen«, konstatierte er. »Im Dschungel oder in der Wüste habe ich nie Probleme gehabt, aber das da ist etwas völlig anderes.«

»Ich bin hier aufgewachsen, Malichai«, beruhigte ihn Wyatt. »Das war mein Spielplatz. Wir haben hier gejagt und gefischt. Wir hatten Krabben- und Krebsreusen, um die wir uns täglich noch vor der Schule kümmern mussten. Dann sind wir mit einem Ruderboot zum French Quarter gefahren und haben den Bus zur Schule genommen.«

»Was habt ihr denn gejagt?«, fragte Ezekiel.

»Alles, was essbar ist. Wir konnten uns nicht viel Munition leisten, deshalb musste jeder Schuss sitzen. Wir haben unser Ziel nie verfehlt.«

»Hat deine Großmutter dir das Schießen beigebracht?«, fragte Malichai.

Wyatt nickte. »Ja, sie hat mir gezeigt, wie man mit Gewehren und Messern und Pfeil und Bogen umgeht. Jeder von uns hatte seine Pflichten. Einmal im Jahr haben wir das Moos gesammelt, das an den Zypressen hängt, und es zum Trocknen ausgelegt. Das war viel Arbeit. Wir waren zu fünft und haben es gebraucht, um unsere Matratzen zu stopfen. Und da wir weich schlafen wollten, haben wir eine ganze Menge dafür benötigt.«

»Mir ist aufgefallen, dass fast all eure Möbel sehr stabil sind«, sagte Malichai. »Derjenige, der sie geschreinert hat, hat seine Sache gut gemacht.«

Wyatt lächelte ihn an. »Das war auch nötig. Nachdem ein paar Stühle zusammengebrochen waren und wir einmal sogar das Sofa kaputt gemacht haben, haben wir begriffen, dass wir uns besser Mühe geben sollten, wenn wir einen Stuhl zum Sitzen oder einen Tisch zum Essen haben wollten. Als wir erwachsen waren und etwas mehr Geld hatten, haben wir Nonny angeboten, ihr neue Möbel zu kaufen, aber sie mag die Sachen, die wir gemacht haben. Sie ist sehr sentimental.«

»Ich würde die Möbel auch nicht hergeben«, sagte Ezekiel. »Ich finde, der Tisch und die Stühle sind etwas Besonderes und sehr gemütlich. Habt ihr auch diese geschnitzten Truhen im Flur unter der Treppe selbst gemacht?«

»Ja, jeder seine eigene. Das sind Hochzeitstruhen. Nonny wollte, dass wir welche haben – für unsere zukünftigen Bräute. Gator hat seine nach der Hochzeit mitgenommen, und Flame hat sich sehr darüber gefreut. Sie hat keine Familie, und ich glaube, durch die Kiste und die Dinge fühlt sie sich mit uns verbunden, wirklich als Teil der Familie – was sie ja auch ist.«

»Und die Quiltdecken darauf hat deine Großmutter gemacht?«, fragte Malichai.

Wyatt sah zu ihm hinüber und dann rasch wieder weg. In Malichais Stimme hatte ein Hauch von Sehnsucht gelegen, und Wyatt war sicher, dass es seinem Freund peinlich gewesen wäre, wenn irgendjemand es bemerkt hätte. Arm in den Bayous aufzuwachsen war zwar ein harter Kampf gewesen, aber ihnen war ihre Armut gar nicht bewusst geworden. Nonny hatte dafür gesorgt, dass sie glücklich waren und sich geliebt fühlten. Und er wusste, dass es seinen Brüdern, wenn sie an zu Hause dachten, ebenso ging wie ihm.

»Ihr hattet eine schöne Kindheit«, bemerkte Ezekiel.

»Ja«, bestätigte Wyatt. »Die beste. Wir haben zwar hart gearbeitet, aber auch viel gespielt.« Dann gebot er mit einer Handbewegung Ruhe und bedeutete Malichai, seine Stange wegzulegen.

Ihr glaubt nicht, wie weit in diesen Gewässern der Schall trägt. Also macht keinen Krach. Ezekiel, kannst du dich um die Insekten kümmern? Wenn sie stillschweigen, werden die Wachen gewarnt. Wir möchten, dass die Alligatoren weiterbellen und die Frösche weiterquaken.

Ezekiel hatte schon als kleiner Junge herausgefunden, dass er Insekten herbeirufen und wieder wegschicken konnte. Keiner aus dem Team wusste, wie er das machte, doch diese Gabe war oft sehr nützlich. Er konnte sich, ohne entdeckt zu werden, über jede Art von Terrain bewegen und dabei das gesamte Team schützen. Seit seine Fähigkeiten gesteigert worden waren, war Ezekiels Talent zu einer mächtigen Waffe geworden. Wenn er wollte, konnte er das ganze Fabrikgelände mit Schwärmen von Insekten, Schlangen und Fröschen überschwemmen.

Kein Problem. Gibt mir eine Minute, sagte Ezekiel sachlich. Sobald er auf der Jagd war, machte er keine Scherze mehr, wie andere aus dem Team es taten – auch Wyatt.

Also sind wir gleich da?, fragte Malichai.

Wir haben noch einen kurzen Marsch durch den Sumpf vor uns. Das ist gefährlich. Es gibt ein paar schwammige Stellen in dieser Richtung.

Vorsichtig stakte Wyatt weiter, mit so langsamen, fließenden Bewegungen, dass nicht einmal die Stange, die er in den Boden stieß, um das Boot durch das flache Wasser auf das Ufer zuzuschieben, ein Plätschern verursachte. Die Piroge lief leicht auf Grund, und die drei Männer stiegen heraus.

Du stehst auf einer Alligatorrutsche, Malichai. Geh weiter nach links. Du wirst dem großen Burschen doch heute Nacht nicht begegnen wollen. Er lebt schon sehr lange hier und ist ziemlich gerissen. Der hat schon mehr als einen Jagdhund zum Abendessen verspeist.

Ach, deshalb habt ihr so viele Hunde zu Hause. Ihr braucht sie zum Jagen, sagte Malichai.

Es beruhigt uns auch, dass Nonny sie bei sich hat, wenn wir alle nicht da sind.

Malichai zog sein Messer aus dem Stiefel und verließ die matschige Rutschbahn, über die ein großer Alligator offenbar regelmäßig ins Wasser glitt. Sobald die Männer an Land waren, veränderten sie sich fast unmerklich und hoben alle drei wachsam den Kopf.

Ihre Bart- und Körperhaare funktionierten wie ein Sonar, ein Radar, das ihnen präzise Informationen über ihre Umgebung lieferte. Auf diese Weise konnten sie herausfinden, ob eine Schmalstelle breit genug war, um sich hindurchzuzwängen, oder ob die Äste eines Baumes stark genug waren, um sie zu tragen. Außerdem orteten sie darüber jedes Tier in ihrer Nähe. Sie hatten sich alle das Haar länger wachsen lassen, weil sie glaubten, dass ihnen das half, mehr Informationen über ihr Umfeld und die darin lauernden Gefahren zu bekommen.

Sollen wir in die Bäume gehen?, fragte Malichai.

Sobald wir näher am Fabrikgelände sind. Hier unten kommen wir recht schnell voran. Es gibt nur wenige Stellen, die gefährlich sind. Aber achtet auf Schlangen.

Ich halte sie von uns fern, versicherte Ezekiel.

Wyatt ging voraus. Lautlos und geschmeidig schlichen sie über Land, durch dichtes Buschwerk und Schilf, nutzten ihre außergewöhnliche Kraft und Gelenkigkeit, um rasch in den Teil des Sumpfes zu gelangen, in dem Nonny über Jahre hinweg ihre Kräuter und Heilpflanzen gesammelt hatte.

Wir sind jetzt an Großmutters Garten. Der örtliche Traiteur benutzt schon lange ihre Tinkturen. Wyatt machte sich nicht die Mühe, den stolzen Unterton zu unterdrücken.

Er erinnerte sich noch daran, wie er als kleiner Junge mit seiner Großmutter in diesen Teil des Sumpfes gegangen war. Sie hatte immer Pflanzen dabeigehabt, die sie gut verpackt hatte, um sie dort anzubauen. Eine nach der anderen. Sie hatte sie an verschiedenen Stellen im riesigen Sumpfland gefunden, sie in der feuchten Hitze ausgegraben, attackiert von Mosquitoschwärmen, und sie dann über gefährliches Terrain in diesen Garten gebracht.

Warum hat sie das getan?, fragte Ezekiel, während er den großen Garten musterte.

Sie hat mir gesagt, dass wir alle alt werden, und wenn wir die Pflanzen an einem Ort haben, wo wir sie schützen und gedeihen lassen können, wäre sichergestellt, dass unsere Familien immer Heilmittel zur Verfügung haben, auch wenn wir uns moderne Medizin nicht leisten können. Bedenke, dass sie in ihren Achtzigern ist. Sie ist seit Jahren die Kräuterfrau hier. Jedes Mal, wenn der Traiteur eine Medizin gebraucht hat, hat sie mit Pflanzen und Kräutern experimentiert, bis sie die beste Mischung gefunden hatte. Darum geht es. Das da ist unsere Apotheke.

Deine Großmutter ist eine tolle Frau, wiederholte Malichai.

Wyatt war stolz auf seine Großmutter und freute sich, dass sein Freund sie bewunderte. Nonny trug alte Sachen, rauchte Pfeife und war in vielen Dingen sehr altmodisch, daher mochten manche Menschen sie nicht. Er war froh, dass seine Freunde nicht nur auf das Äußere achteten.

Malichai und Ezekiel gehörten zu den härtesten Männern, die Wyatt kannte – und er kannte viele knallharte Burschen. Normalerweise blieben die Brüder eher unter sich. Erst nach unzähligen Einsätzen hatten die beiden ihn in den kleinen Zirkel der Freunde aufgenommen, denen sie blind vertrauten.

Wyatt hatte gehofft, dass seine Großmutter die beiden beeindrucken würde, insbesondere Ezekiel. Er war auf den Straßen von Detroit aufgewachsen und schon von Natur aus sehr aggressiv. Ihm Katzen-DNA einzupflanzen hatte ihn noch angriffslustiger und gefährlicher gemacht. Wyatts Grand-mère war auf jeden Fall ein stabilisierender Faktor. Er konnte sich nicht vorstellen, dass irgendjemand den einfachen Weisheiten und den offenen Armen widerstehen konnte, mit denen sie völlig Fremde willkommen hieß. Es war gut, dass seine Freunde offenbar bereits Respekt vor ihr hatten.

Hunde, warnte Ezekiel. Vorne links.