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Pia Korittkis Schwester heiratet! Doch statt zu feiern steckt die Lübecker Kommissarin bald schon mitten in einem Mordfall, der in jeder Hinsicht Grenzen überschreitet ... Der zweite kurze Urlaubskrimi mit der sympathischen Ermittlerin aus dem hohen Norden.
Pia freut sich auf die Hochzeit ihrer Schwester Nele und auf ein paar unbeschwerte Tage mit ihrer Familie in dem Schlosshotel in Mecklenburg-Vorpommern. Doch dann macht einer der Gäste in den Ruinen eines nahegelegenen Dorfes einen unheimlichen Fund, der Pia keine Ruhe lässt.
Ihre Nachforschungen treten allerdings rasch in den Hintergrund, als eine Hotelangestellte ermordet aufgefunden wird! Doch Pia entdeckt Hinweise für einen möglichen Zusammenhang. Und ehe sie sich versieht, steckt sie mitten in einem Strudel an Ereignissen, der auch auf die Hochzeitsgesellschaft nicht ohne Auswirkungen bleibt ...
Klein aber fein: Ein spannender Ostsee-Kurzkrimi von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Eva Almstädt und mit der sympathischen Kommissarin Pia Korittki aus Lübeck. Die perfekte Krimi-Lektüre für einen Kurzurlaub an der Ostsee!
Weitere Urlaubskrimis mit Pia Korittki:
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Ostseelüge
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Seitenzahl: 193
Cover
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
Nachwort
Pia Korittkis Schwester heiratet! Doch statt zu feiern steckt die Lübecker Kommissarin bald schon mitten in einem Mordfall, der in jeder Hinsicht Grenzen überschreitet …
Pia freut sich auf die Hochzeit ihrer Schwester Nele und auf ein paar unbeschwerte Tage mit ihrer Familie in dem Schlosshotel in Mecklenburg-Vorpommern. Doch dann macht einer der Gäste in den Ruinen eines nahegelegenen Dorfes einen unheimlichen Fund, der Pia keine Ruhe lässt. Ihre Nachforschungen treten allerdings rasch in den Hintergrund, als eine Hotelangestellte ermordet aufgefunden wird – bis Pia Hinweise für einen möglichen Zusammenhang entdeckt. Ehe sie sich versieht, steckt sie mitten in einem Strudel an Ereignissen, der auch auf die Hochzeitsgesellschaft nicht ohne Auswirkungen bleibt …
Eva Almstädt, 1965 in Hamburg geboren und dort auch aufgewachsen, absolvierte eine Ausbildung in den Fernsehproduktionsanstalten der Studio Hamburg GmbH und studierte Innenarchitektur in Hannover. Seit 2001 ist sie freie Autorin. Eva Almstädt lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Schleswig-Holstein.
Eva Almstädt
DUNKLERABGRUND
Ein Urlaubskrimi mit Pia Korittki
beTHRILLED
Digitale Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Dorothee Cabras
Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt
Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de unter Verwendung von Motiven © shutterstock/Daniiel; © shutterstock/Milosz_G
eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-4616-9
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»Dieser Weg führt nirgendwohin!« Jakob Blank, der auf der Rückbank des schwarzen Polo saß, stützte sich auf den Lehnen der Vordersitze auf. Bei jedem Buckel in der Fahrbahn stieß er mit dem Kopf gegen den Dachhimmel.
Mathilda Schubert drehte sich vom Beifahrersitz zu ihm herum. Ihr sommerblondes Haar kitzelte ihn an der Wange. »Ich hab euch doch gleich gesagt, dass der alte Kolonnenweg nirgends hinführt.«
»Da war doch ein Ortsschild«, sagte Leon.
»Ach ja? Ich sehe nur keine Häuser«, erwiderte Mathilda.
»Und ich sehe nur Wald«, ergänzte Jakob.
»Also mir gefällt’s.« Leon steuerte seinen Wagen den holprigen und von Büschen und Bäumen beinahe zugewachsenen Weg entlang. »Oder habt ihr es eilig, zu euren Eltern zu kommen?«
Die drei Jugendlichen waren auf dem Weg zur Hochzeit von Jakobs Onkel Markus, die in den folgenden Tagen in großem Rahmen gefeiert werden sollte. Das Schlosshotel, in dem sie erwartet wurden, lag laut Leons Navi noch eine knappe halbe Stunde entfernt, und gerade vergrößerte sich die Distanz, anstatt sich zu verringern.
»Wir sind hier falsch. Dahinten ist ein See und …« Der Wagen kam vor einem umgestürzten Baum zum Stehen, der die ohnehin schmale Fahrspur versperrte.
»Das war’s dann wohl«, sagte Mathilda. »Will einer von euch Jungs den Baum zur Seite ziehen? Oder habt ihr vielleicht eine Säge oder eine Axt dabei?«
Für Mathilda hätte Jakob gern einen Baum abgesägt, aber das einzige Werkzeug, das er griffbereit hatte, war ein winziger Schraubendreher für seine Brille. Nicht, dass er viel Erfahrung mit Sägen hätte. Jakob wartete, bis Leon und Mathilda ausgestiegen waren, bevor er den Vordersitz umklappte und ebenfalls den Wagen verließ. Die Waldluft war schwülwarm. In den letzten Tagen hatte es ein paar heftige Regengüsse gegeben, und heute lag die Temperatur knapp über fünfundzwanzig Grad.
»Du siehst aus wie ein verhakter Zollstock, wie du dich aus dem Auto rausschälst«, spottete Leon.
»Dann besorg dir einen anständigen Wagen«, murrte Jakob. Er stellte sich neben Mathilda, die die umgestürzte Birke mit in die Hüften gestützten Händen betrachtete. Leon schob einen Ast ein Stück zur Seite, doch der schnellte zurück, und ein Zweig klatschte gegen Jakobs Arm.
»Du musst hier irgendwo umdrehen.« Mathilda blickte über die Schulter zurück. Hinter ihnen bedrängte üppig wuchernde Vegetation den ehemaligen Kolonnenweg, bis er in der Ferne vom Grün verschluckt wurde.
»Oder ziemlich lange rückwärtsfahren«, feixte Jakob.
Leon kümmerte sich nicht um die Kommentare. Er stieg über den Baum hinweg und wanderte weiter den Weg hinunter.
»Was soll das, Leon? Wir kommen zu spät«, mahnte Jakob. »Die fragen sich bestimmt schon alle, wo wir bleiben.«
»Du wolltest mit deinem Cousin Leon mitfahren«, sagte Mathilda. »Also komm, sei kein Spielverderber! Wir schauen uns den See da unten mal an. Vielleicht gibt es eine Badestelle.«
Jakob zuckte mit den Schultern und trottete den beiden anderen hinterher. Die Sonne stand noch hoch am Himmel und schickte flirrende Strahlen durch das dichte Blätterdach. Mücken umschwirrten sie, und in der Ferne klopfte ein Specht. Nach ein paar Minuten wurde der Wald lichter. Leon schlug sich nach rechts. Mathilda folgte ihm. Von schräg oben konnte Jakob auf ihren von der Sonne geröteten Scheitel blicken. Sie war ein Jahr älter als er, volljährig. Waren sie nicht noch vor Kurzem in etwa gleich groß gewesen? Jakob war erst in den letzten Monaten auf seine Körpergröße von fast ein Meter neunzig hochgeschossen. Manchmal fühlte es sich so an, als bewegte er sich in einem fremden Körper. Seine langen Füße in den Sportschuhen, dem dritten Paar in diesem Jahr, blieben an Baumwurzeln hängen, und er musste bei fast jedem Schritt den Kopf einziehen, um nicht gegen Äste zu stoßen. Jakob sah zu, dass er nicht den Anschluss verlor. Er traf Mathilda nicht allzu häufig. Sie war die Tochter einer alten Freundin der Familie und das Patenkind seines Onkels. Sie lebte auch in Hannover. Mathilda wohnte allerdings in Bothfeld und Jakob in der List. Er rutschte aus und sah hinunter auf das, was unter dem Laub verborgen gewesen war.
»Wartet mal!«, rief er. »Guckt euch das einmal an.« Es war ein Fliesenboden aus quadratischen orangeroten Fliesen.
Leon kam hinzu und kratzte mit dem Schuh in der Erde. Er förderte weitere Bodenfliesen zutage. »Wie krass ist das denn?«
Mathilda begann ebenfalls, mit den Füßen zu scharren, ungeachtet der Tatsache, dass sie sich damit ihre feinen Ledersandalen ruinierte. Zwischen Unkraut und Laub erschienen weitere rötliche Fliesen.
Jakob ging in die Hocke und wischte über die glatte Oberfläche. »Hier muss mal ein Haus gestanden haben. Wir stehen wohl mitten in der ehemaligen Küche oder der Diele.« Er ging ein paar Schritte weiter. »Hier liegen auch Mauersteine und Reste eines Fundaments.«
Mathilda sah sich um. »Komisch. So mitten im Wald.«
»Ob an dieser Stelle noch mehr Häuser standen?«, fragte Leon.
Jakob sah sich mit zusammengekniffenen Augen um. »Ich hab mal gelesen, dass sie damals in der DDR die Dörfer, die sich zu nahe an der innerdeutschen Grenze befanden, einfach plattgemacht haben.«
»Ein geschleiftes Dorf.« Leon lächelte. »Aufregend.«
Sie fanden weitere Mauerreste, einen Schacht, der mit Brettern und einem brüchigen Betondeckel gesichert war, einen Eisenring in einem Rest Beton, der wahrscheinlich zu einem alten Stall gehörte und an dem einst Kühe oder Pferde festgebunden worden waren. Jakob, der sich für Geschichte interessierte, hatte gelesen, dass es in der Gegend ein paar Wüstungen gab: Siedlungen, die innerhalb der fünf Kilometer breiten Sperrzone an der innerdeutschen Grenze gelegen hatten. Die Bewohner waren umgesiedelt worden, die Dörfer hatte man später zerstört. Seltsam, dass sie zufällig auf eines gestoßen waren … Sie waren sicher weit und breit die einzigen Menschen, und trotzdem fühlte er sich in dem Bewusstsein dessen, was hier gewesen und geschehen war, beobachtet. Als sie weitergingen, lichtete sich der Wald und führte sie auf eine Wiese.
Mathilda entdeckte einen Gedenkstein, einen Findling mit der Inschrift: Blenkow, 1209 – 1976, geschleift. »Wie traurig«, sagte sie.
»Auf dem Ortsschild vorhin stand auch Blenkow.« Jakob betrachtete die Gegenstände, die auf dem Gedenkstein abgelegt worden waren: Backstein, Bruchstücke verschiedener Fliesen, ein zerbrochener Isolator aus Keramik.
»Ist doch schon lange her«, sagte Leon. »Wen kratzt das noch?«
»Einige Leute ja wohl offensichtlich schon.« Jakobs Blick wanderte zu dem vertrockneten Blumenstrauß, der unter dem Gedenkstein lag.
»Ich finde es nicht so toll hier.« Mathilda trat von einem Fuß auf den anderen. »Lasst uns wieder zum Auto gehen.«
»Und wenn es gar nicht mehr dort steht?« Leon rollte mit den Augen »Huhuh! Gruselig, was?«
»Wohl kaum.«
Jakob sah sich um. »Aber spannend ist es schon.« Über die ausgedehnte Wiese wehte ein frischer Wind. Mathildas Arme hatten sich mit einer Gänsehaut überzogen. Jakob wollte sie gern an sich ziehen, um sie zu wärmen. Wenn nur Leon nicht da wäre, der ihn beobachtete und alles, was er tat, kommentierte. »Trotzdem hat Mathilda recht. Wir müssen los.«
»Ich dachte, wir wollten noch im See da unten baden?«
»Wir sind zwei gegen einen, wir fahren jetzt zurück«, forderte Jakob.
»Es ist mein Auto. Ich bin der Fahrer. Wenn wir in dem See schwimmen waren, geht’s weiter.«
»Wir haben nicht mal Badesachen dabei.«
Leon bedachte Jakob mit einem verächtlichen Blick.
»Also, ich geh zum Auto.« Mathilda marschierte los.
Leon stieß Jakob mit dem Ellenbogen in die Seite. »Und ich dachte, du wolltest sie gern mal nackt sehen«, raunte er seinem Cousin zu.
»Halt die Klappe!«
Mathilda war schon am Waldrand angelangt. Sie drehte sich um. »Kommt ihr? Ich hab Hunger und Durst. Unsere Eltern und die anderen warten bestimmt schon auf uns.«
»Da entdecken wir ein Mal was Spannendes, und du willst zurück?«, fragte Leon.
»Wir können ja heute Abend noch mal herkommen«, schlug Mathilda vor. »Aber nur, wenn wir jetzt weiterfahren.«
Leon lief los und holte Mathilda ein. »Versprochen? Mit einem Mitternachtsbad im See?«
Sie lachte. »Und wovon träumst du nachts?«
»Nur von dir.« Er bot ihr übertrieben galant seinen Arm an, und sie hakte sich bei ihm ein.
Jakobs Herz zog sich zusammen, und er wandte den Blick ab. Mürrisch schlenderte er hinter den beiden her, die sich über irgendetwas, das Leon gerade gesagt hatte, vor Lachen ausschütteten.
Nach der Fahrt zwischen goldgelben Feldern und sattgrünen Weiden hindurch, durch Alleen und verschlafene Dörfer hätte Pia die Abzweigung zum Schloss beinahe verpasst. Sie bremste scharf, bog rechts ab, fuhr an einem Teich vorbei, und dann lag es vor ihr: Schloss Tedendorf, in dem ihre Schwester Nele und ihr zukünftiger Mann Markus ihre Hochzeit feiern wollten.
»Felix, schau mal, da ist es schon!«, rief sie ihrem vierjährigen Sohn zu, der hinter ihr in seinem Kindersitz saß. Keine Reaktion. Sie warf einen Blick über ihre Schulter. Die ganze Fahrt über hatte Felix aufgeregt von Schlössern, Burgen, Rittern und Drachen erzählt, um sich im entscheidenden Moment einen verspäteten Mittagsschlaf zu gönnen.
Eine kreisrunde Auffahrt führte auf das Gebäude mit der klassizistischen weißen Fassade zu. In der Mitte der gepflegten Rasenfläche hoben zwei steinerne Hirsche ihren Kopf in den Himmel. Es gab einen Hotelparkplatz, wo die die Optik störenden Autos abgestellt werden sollten, aber Pia wollte mit ihrem schlafenden Sohn auf dem Arm und dem Rollkoffer im Schlepptau nicht kilometerweit laufen, also fuhr sie vor.
Felix erwachte in dem Moment, als sie ihn aus dem Wagen gehoben hatte. Er rieb sich die Augen und setzte an, ein wenig zu jammern und zu quengeln. Sie stellte ihn auf die Füße, und er blinzelte und legte den Kopf in den Nacken, um an der Schlossfassade hinaufzuschauen. »Schön«, befand er und marschierte los, die Stufen zum Portal hinauf, sodass Pia nur noch sehen konnte, wie sie mit dem Koffer hinterherkam.
Die Rezeption des Schlosshotels war dezent in einer Ecke der Empfangshalle untergebracht. Pia bekam ihren Zimmerschlüssel ausgehändigt und eine kurze Einweisung, was die Frühstückszeiten und die vorhandenen Räumlichkeiten anbelangte. Durch eine zweiflügelige Glastür konnte sie eine sonnige Terrasse sehen, auf der schon ein paar Leute standen. Stimmengewirr klang gedämpft bis in die Halle.
Sie fühlte sich verschwitzt, weil sie im Kommissariat stundenlang mit einem Beschuldigten in einem viel zu warmen Verhörraum gesessen hatte. Auf Felix’ geringeltem T-Shirt prangte ein handtellergroßer Kakaofleck. Pia hatte ihn nach der Arbeit aus dem Kindergarten abgeholt und war von dort aus direkt aufgebrochen. Die Fahrt hatte nur eine Stunde gedauert, trotzdem wollte sie ihr Hotelzimmer aufsuchen, bevor sie sich der übrigen Gästeschar stellte.
Ihre kleine Schwester Nele heiratete! Pia hatte sie bestimmt ein paar Monate lang nicht gesehen, und davor auch immer nur kurz, zum Beispiel bei ihren Eltern. Sie kannte nicht mal den Bräutigam besonders gut. »Markus«, murmelte sie, »er heißt Markus.« Entschlossen, sich der Herausforderung der Begegnung mit Nele erst in einem einigermaßen ansehnlichen Zustand zu stellen, griff Pia ihren kleinen Koffer, lockte Felix von einer Ritterrüstung fort und machte sich an den Aufstieg die Schlosstreppe hinauf. Sie waren in einem Zimmer unter dem Dach untergebracht. Ein großzügiges Doppelbett in Pastelltönen unter dunklen Eichenbalken, flauschiger Teppichboden. Für Felix stand wie bestellt ein Kinderbett bereit.
Eine halbe Stunde später trat Pia etwas frischer als zuvor und neu eingekleidet mit Felix an der Hand auf die Schlossterrasse. Es dauerte einen Moment, bis sie zwischen den vielen Leuten ein paar bekannte Gesichter ausmachte. Sie begrüßte ihre Mutter und ihren Stiefvater; Felix wurde auf den Arm genommen und herumgeschwenkt, bis er vor Vergnügen kreischte. Pia entdeckte auch ihren Bruder Tom, ihre Schwägerin Marlene und beider Kinder Clarissa und Philipp. Sie sprach gerade mit ihrer Nichte Clarissa, als jemand sie auf die Schulter tippte. Nele, in einem sonnengelben Kleid und geschminkt wie ein Model, stand mit einem Mal hinter ihr.
»Pia! Hast du es auch endlich geschafft.« Sie umarmten sich – Pia wehte der Duft von Sekt und etwas Blumigem in die Nase, und Neles lockiges Haar streifte ihre Wange. Die braunen Augen ihrer Schwester leuchteten, und ihr Gesicht war gerötet, als sie einen Mann am Ärmel seines hellblauen Hemdes zu sich heranzog. »Und das ist er! Markus – mein Zukünftiger. Und das ist Pia, meine Schwester. Kennt ihr euch eigentlich schon?«
Der so Vorgestellte lächelte ein wenig verlegen und reichte Pia die Hand. »Ja klar, wir sind uns schon bei euren Eltern begegnet, Nele. Weißt du nicht mehr? Aber nun lerne ich die berühmt-berüchtigte Schwester meiner Frau endlich mal richtig kennen. Freut mich sehr, Pia.«
»Schön, dich wiederzusehen, Markus.« Wieso berühmt-berüchtigt? Was hatte ihre Schwester über sie erzählt?
»Noch nicht Frau, Markus. Noch heißt es Verlobte oder Zukünftige. Alles Weitere kommt erst am Samstag«, sagte Nele. Ihre Aufmerksamkeit galt schon den nächsten Gästen, die auf die Terrasse traten, und sie ließ Pia mit ihrem zukünftigen Ehemann stehen.
»Einen tollen Ort habt ihr für eure Hochzeit gefunden«, sagte Pia mit Blick über den weitläufigen Park. Die Bäume warfen lange Schatten auf die gepflegte Rasenfläche. Noch schien die Sonne, doch am Horizont ballten sich Quellwolken zusammen.
»Ja. Es passt einfach alles. Wir haben uns einiges angeschaut, aber Schloss Tedendorf ist nicht zu übertreffen. Bist du auch gut untergebracht?«
»Ich hab ein wunderschönes Zimmer hier im Haus, direkt unter dem Dach.« Ihr zukünftiger Schwager lächelte. Er war schlank, ohne sonderlich sportlich auszusehen, hatte dunkelblonde Haare, modisch geschnitten mit etwas zu viel Gel darin, und blassgraue Augen. Pia wusste von ihrer Mutter, dass er fast zehn Jahre älter war als Nele. Sie war zweiunddreißig, er Anfang vierzig.
»Findet die große Feier auch hier im Schloss statt?«, fragte sie.
»Nein, dort hinten im ehemaligen Marstall. Sie haben ihn zu einem Festsaal umgebaut. Ist nicht wiederzuerkennen.«
»Kennst du den denn von früher?«
»Ich komme aus der Gegend hier. Aus Färsendorf. Das ist nicht sehr weit von hier entfernt.«
»Dann ist das für dich ja fast ein Heimspiel«, sagte Pia. »Wie viele Gäste erwartet ihr eigentlich insgesamt?«
»Heute und bis nach der standesamtlichen Trauung sind nur die Familien und engere Freunde hier, am Samstag zur kirchlichen Trauung und zur Feier sind wir dann über hundert Leute.«
»Alle Achtung«, murmelte Pia. Heute war Mittwoch. Immerhin würden sie eine Menge Zeit haben, sich alle ein bisschen besser kennenzulernen. Sie behielt Felix im Blick, der sich von ihrer Mutter mit Häppchen füttern ließ, die herumgereicht wurden. Pia nahm sich ein Glas Sekt und hoffte, dass es sie lockerer machen würde.
»Nele sagte mir, dein … Freund kommt auch?«, fragte Markus.
»Ja, aber etwas später. Lars wollte eigentlich schon heute mit uns mitfahren, doch ihm ist beruflich etwas dazwischengekommen.«
»Ja, ja, der Beruf. Du bist bei der Polizei, oder?«
»Stimmt. In Lübeck.«
»Nele sagte so etwas.« Er sah sich um. »Jakob? Komm doch mal her.«
Erst jetzt fiel Pias Blick auf drei Jugendliche, die auf der Steinbrüstung saßen und die langen Beine baumeln ließen. Sie waren schätzungsweise um die siebzehn, achtzehn Jahre alt. Einer von ihnen tippte auf seinem Handy, die anderen, ein Junge und ein Mädchen, schienen müßig die ankommenden Gäste zu beobachten. Der Kopf des einen jungen Mannes flog hoch, als er gerufen wurde. Er sah die beiden anderen an, und zu dritt bewegten sie sich auf Pia und Markus zu.
Markus umarmte den Jungen mit einer etwas aufgesetzt kumpelhaften Geste, was seine beiden Gefährten dazu veranlasste, peinlich berührt Löcher in die Luft zu starren. »Das ist mein Neffe Jakob. Der Sohn meines Bruders Rolf und seiner Frau Andrea. Jakob, dass ist Neles Schwester Pia. Du weißt doch, die Polizistin.«
»Oh, hallo.« Jakob reichte ihr eine große, kühle Hand.
»Ich bin Mathilda«, stellte sich die junge Frau neben ihm vor und trat auf Pia zu. »Nicht so richtig verwandt mit der Sippe hier, aber ich bin Markus’ Patenkind.« Sie lächelte. »Und der Herr zu meiner Rechten ist Leon Pretzel. Leo, wie gehörst du eigentlich dazu? Du bist bestimmt nur hier, weil gerade Sommerferien sind und du das leckere Essen abstauben willst«, neckte sie ihn.
»Nein, Mattie, ich verdinge mich als Chauffeur.« Leon begrüßte Pia lässig mit Küsschen links und Küsschen rechts. »Und du bist also die berühmte Schwägerin«, sagte nun auch er. »Aber da die Wahrheit sowieso ans Licht kommen wird: Ich bin ein Cousin zweiten Grades des Bräutigams, glaube ich.«
»Eher eine Art Neffe«, sagte Jakob.
Leon zuckte mit den Schultern.
»Also, Jakob überlegt, auch zur Polizei zu gehen«, schaltete Markus sich ein. »Er macht nächstes Frühjahr sein Abitur. Vielleicht könnt ihr euch in den nächsten Tagen ja mal unterhalten.« Er nickte seinem Neffen noch einmal aufmunternd zu und widmete seine Aufmerksamkeit dann einem älteren Paar, das gerade die Stufen zur Terrasse heraufkam.
»Wenn du Fragen hast, jederzeit gern«, sagte Pia. Jakob, dessen Blick auf Mathilda und Leon gerichtet war, die miteinander herumalberten, nickte abwesend.
»Sind Sie allein hier?« Mathilda nippte an ihrem Sekt.
»Nein, mit meinem Sohn. Und wir können uns auch gern duzen.« Pia deutete mit dem Kopf in die Richtung, wo Felix auf dem Arm seines Großvaters gerade alle Umstehenden unterhielt. Die Details zu Lars’ verspäteter Ankunft ersparte sie den Anwesenden.
»Oh, der Kleine dort ist deiner? Der ist ja sooo süß!«
»Ist dir kalt, Mattie?« Leon legte Mathilda einen Arm um die Schultern. Sie sagte etwas in sein Ohr, und er grinste. Als er merkte, dass Jakob sie beobachtete, zog er die junge Frau näher zu sich heran. Zwei rote Flecken erschienen auf Jakobs blassen Wangen, und sein Ausdruck wurde starr.
»Mach dir nichts draus, sie will gar nichts von ihm«, hätte Pia am liebsten zu dem jungen Mann gesagt. Doch sie wusste, dass sie ihm weder die Selbstzweifel noch die brennende Eifersucht nehmen konnte. Jakob standen während der Hochzeitsfeierlichkeiten allem Anschein nach harte Tage bevor.
Auf den Begrüßungssekt auf der Terrasse folgte das eher lockere Abendessen in der Jägerstube. Es gab eine große Terrine Pilzsuppe und belegte Brote. Dazu Wein und Bier, Kaffee, Brandy, Obstler, Portwein und was den Leuten noch einfällt, wenn sie in Gesellschaft sind, sich eine gut bestückte Bar und ein Weinkeller in ihrem Zugriff befindet und sie nicht mehr Auto fahren müssen. Von Markus erfuhr Pia, dass die bisher angereisten Hochzeitsgäste alle im Schloss untergebracht waren. Diejenigen, die erst am Samstag eintrafen, hatten Zimmer in den angrenzenden Ortschaften gebucht oder fuhren abends noch nach Hause.
Gegen neun brachte Pia Felix ins Bett und installierte ein Babyfon und sein Nachtlicht, das sie extra aus Lübeck mitgebracht hatte. Ihr Sohn war so voller neuer Eindrücke, dass er nicht gleich einschlafen konnte. Zweimal musste sie das Nachtlicht, eine Lampe in Form eines Fliegenpilzes, anders positionieren, sodass Felix das Licht nicht direkt ins Gesicht schien, er es aber vom Bett aus sehen konnte.
»Ist es so gut?«, fragte sie, als er endlich eingekuschelt in dem bereitgestellten Kinderbett lag.
»Jaaa«, kam es gedehnt. »Kann aber immer noch nicht schlafen. Ich kann nie einschlafen.«
»Soll ich dir noch etwas vorlesen?«
»Nöö.« Er rieb sich die Augen. Felix war offensichtlich hundemüde, und wenn er nicht bald zur Ruhe kam, rechnete Pia mit einer Katastrophe.
»Soll ich einfach noch ein bisschen bei dir sitzen bleiben?«
»Hm.«
Pia setzte sich neben das Bett, streichelte Felix über den Kopf und schloss einen Moment die Augen. Wie still es im Zimmer war. Zu Hause in ihrer Lübecker Wohnung war es kaum je so ruhig. Sie gähnte. Die Abgeschiedenheit hinter den dicken Schlossmauern war ungewohnt. Pias Tag hatte um halb sechs begonnen und war anstrengend gewesen. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie gleich fest eingeschlafen sein.
Felix fuhr wieder hoch.
»Was hast du denn, Schatz?«
»Ist zu dunkel.«
»Aber schau mal, da vorn ist doch dein Nachtlicht.«
»Ich mag den Fliegenpilz nicht«, maulte er.
»Das ist ja ganz neu. Wieso denn nicht?«
»Der macht nur Glück. Kein Licht!«
Als Pia aufwachte, schlief Felix tief und fest. Sie sah im Licht der Fliegenpilzleuchte auf ihre Armbanduhr. Halb elf. Ihr ärmelloses, kurzes Kleid war nicht für ein Nickerchen hinter kühlen Schlossmauern gemacht. Sie rieb sich die kalt gewordenen Arme, warf noch einen Blick in den Spiegel und griff nach dem Empfänger des Babyfons.
Im Restaurant hatten sich die Reihen gelichtet. Gut die Hälfte der Gäste schien sich schon auf ihre Zimmer zurückgezogen zu haben. Die übrigen saßen in kleinen Gruppen zusammen oder waren zum Rauchen auf die Terrasse gegangen.
Pia wollte die ungewohnte Freiheit, einen Abend außer Haus ohne Kind und ohne Verpflichtungen, nicht ungenutzt verstreichen lassen. Sie ging an die Bar.
Die Kellnerin, die sie zuvor in der Jägerstube bedient hatte, eine Frau Ende vierzig mit gefärbtem Haar, das vom Ton her nah bei Roter Bete lag, sprach gerade mit dem Barkeeper. »Ich fahr nach Hause, Alexander. Jackie meint, du schaffst das hier jetzt auch allein.«
»Wenn Jackie das sagt. Aber klar, kein Problem, Ramona. Ich wünsch dir einen schönen Feierabend.«
Sie lachte bitter auf. »Dein Wort in Gottes Ohr. Und morgen früh geht es gleich weiter.«
»Das wird so sein.« Der Mann hinter der Bar, der einen halben Kopf größer war als Pia und die Schultern eines Rugby-Spielers hatte, wandte sich ihr zu. »Hi! Womit kann ich dienen?«
Sie musste nicht mehr fahren. »Mit einem Cocktail. Gibt es eine Empfehlung des Hauses?« Pia nahm auf dem Barhocker Platz.
»Aber sicher. Ich nenne ihn ›Castle Rock Surprise‹.«
»Solange die Überraschung nicht darin besteht, dass ich nach einem Drink sturzbetrunken vom Stuhl kippe …«
Er taxierte Pia, schüttelte den Kopf. »Sie sehen nicht so aus. Keine Sorge.«
Sie schaute ihm müßig zu, wie er routiniert zu mixen begann. Es war ein netter Anblick. »Und wer ist Jackie?«
»Unsere Chefin. Jacqueline von Kieslow. Haben Sie sie noch nicht gesehen?« Er hob die Hand etwas über Schulterhöhe. »So groß, dunkles Haar, Zopf, ein unglaubliches Energiebündel.«
»Doch. Sie war am Empfang, als ich gekommen bin.« Pia nahm das mit Physalis, einer Scheibe Sternfrucht und einem schwarzen Strohhalm dekorierte Getränk entgegen und schlug die Beine übereinander.