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War Deutschland nicht eben noch das beliebteste Land der Welt, beneideter Exportweltmeister und begehrter Investitionsstandort mit einer funktionierenden Verwaltung und bestens ausgebildeten Fachkräften? Der Dreiklang aus Demokratie, Marktwirtschaft und Arbeitsdisziplin hat "Made in Germany" zum Weltkulturerbe gemacht. Trotz aller Krisen galten die 16 Merkel-Jahre als goldene Epoche von Wachstum und pragmatischer Staatsführung, doch zwei Jahre später zeigt sich das wahre Erbe der Ex-Kanzlerin: verteidigungsunfähige Bundeswehr, verfehlte Energiepolitik, Stagnation bei Integration, Digitalisierung, Bildung oder Wohnungsbau. Im Land fehlt es buchstäblich an allem, besonders die tragende Mitte der Gesellschaft ist betroffen. Die Autoren resümieren mit viel Humor und Liebe zum Detail, was in diesem merkwürdigen Land vorgeht und viele ratlos oder wütend zurücklässt: einen größenwahnsinnigen Moralismus, realitätsferne Illusionen, Angst vor der Freiheit, dazu eine Vollkasko-Mentalität und eine Wohlstandsverwahrlosung mit einer kräftigen Portion Geschichtsvergessenheit, die sich als "Lehre aus der Geschichte" tarnt.
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Seitenzahl: 276
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EUROPAVERLAG
Vorwort zur 4. Auflage
Einleitung
KAPITEL 1
Schöne Illusionen oder Die Realitätsblindheit der Bullerbü-Republik
An Tagen wie diesen …
Jeder will »wertgeschätzt« werden – aber wofür eigentlich?
Frau Bas wünscht sich was
Herr Habeck vertritt deutsche Interessen
Was der Tagesschau wirklich wichtig ist
Dr. Montgomery und die Tyrannei der Ungeimpften
Herr Lauterbach – Gesundheitsminister der Herzen
Politik, kinderleicht serviert
Mühldorf: Keine Befüllung durch Unbefugte
Herr Schuster ruft eine Bildungsoffensive aus
Henrike will es wissen
Schöne neue Bullerbü-Welt
Frau Wissler: Frieden schaffen ohne Hausaufgaben
Gedöns war früher – heute ist Zusammenhalt!
Frau Geywitz und die ländlichen Regionen
Nackte Brüste sieht man besser
Herr Steinmeier und die Märchen aus 1001 Nacht
Mehr Mut zum Weniger!
El Hotzo – die Stimme der Antifa
Vorbild Deutschland!
KAPITEL 2
Moralismus als neue Gratis-Tugend – die gute Absicht zählt
Der Aktivismus – ein neues Berufsbild
Der Fluch der blauen Kaffeetasse
Frau Käßmann hat zu allem eine Meinung
Söder, Sex & Circumstances
Vielfalt – das neue Mantra einer Ersatzreligion
Tierrechte: Menschlichkeit kennt keine Grenzen
Herr Bangel erklärt sich für schuldig
Was heißt hier Heimat?
Ostermarsch forever: Der deutsche Pazifismus lebt!
Nie wieder Bücherverbrennung? Warum nicht?
Frau Faeser und das große Glück
Sauberes Olympia – made by Faeser
Wieso eigentlich arbeiten?
Digitale Analphabeten im Taumel der Sinne
Frau Paus rät: Glauben, denken, träumen
Von Schornsteinfegenden und Fußgänger*innen
Antisemitismus – ein ganz neues Phänomen
KAPITEL 3
Die deutsche Apokalypseverliebtheit oder Untergang ist immer
Müll zu verschenken!
Der deutsche Atomausstieg – eine romantische Affäre
Hossa, hossa, Fiesta Mexicana!
Endlich leben ohne Wohnscham!
Unfassbar: Die Militarisierung der Bundeswehr schreitet immer weiter voran!
Deutschland spielt Fußball so, wie es regiert wird
Leben am Kipppunkt
So macht die Revolution keinen Spaß
Boris Palmer – der Bösewicht des Verdrängten
Die Klima-Avantgarde und der neue Klassenkampf
Letzte Generation: Größenwahn in klimatöser Vollendung
Das Volk der Dichter und Denker hat das kleine Einmaleins verlernt
Bloß keine Blumen zum Muttertag!
Spargel – Gemüse der sozialen Ungerechtigkeit
Auch beim Humor ist der Wurm drin
Das Germanistan-Paradox
Der Wahnsinn frisst seine Kinder
Frau Lemke: Über diese Schwelle müssen wir
Horror silentii oder Der Lärm der bunten Republik
Frau Lagarde rechnet die Inflation schön
Begegnung auf Augenhöhe oder Die verlorene Generation
Vom Atomstaat zur Windrad-Republik
Nicht mehr mein Land
Clash of Civilizations im Oberstufenzentrum Anna Freud
Die zehn Glaubenssätze der Lauchbourgeoisie
Notlage auf Vorrat
Und morgen digitalisieren wir die Vulkaneifel!
Wo liegt eigentlich der »globale Süden«?
Atemlos durch die Nacht
Größenwahn der Riesenzwerge
So wird der Begriff der Zivilgesellschaft ad absurdum geführt
Epilog
Das »irre Germanistan« geht in die vierte Auflage, weil auch der tägliche Wahnsinn weitergeht, seitdem unser Buch im vergangenen Spätsommer erschienen ist. Es hat eine großartige Resonanz erfahren, und die famose, abenteuerlich schlingernde Ampel-Regierung, die – verkehrspolitisch herausfordernd – gleichzeitig auf Rot, Gelb und Grün steht, hat mit ihren immer neuen Kalamitäten, Irrungen und Wirrungen dabei eindrucksvoll Pate gestanden. Niemand weiß, wie lange die rotgrüngelbe »Fortschrittskoalition« noch durchhält.
Olaf Scholz’ Mantra »You’ll never walk alone« ist jedenfalls zur bitteren Wahrheit geworden: mitgefangen, mitgehangen! Hier bleibt keiner alleine, hier kommt keiner raus, es sei denn, er – oder sie – entschlösse sich zum Auswandern in die Schweiz, auf die Faröer-Inseln oder nach Südtirol.
Auch der spektakulär einwärts auswärts eingesprungene »Doppelwumms« mit angezogener Strompreisbremse und zugedrehtem Gasdeckel hat nicht den erhofften Erfolg gebracht. Das Einzige, was zu immer neuer Blüte reift, ist die Massenproduktion hohler Phrasen. Stolz, selbstverliebt und glaubensfest thronen sie auf einem Lügengebäude aus Pappmaché und finden sich im Augenblick ihrer Artikulation im wunderlichsten Widerspruch zur Realität. Emblematisch der notorische Satz aus dem Frank-Walter-Steinmeier-Universum: »»Antisemitismus hat keinen Platz in Deutschland!«
Na und ob er Platz hat! Und wie! Mehr denn je! Ganze Straßenzüge und Stadtviertel sind von ihm okkupiert worden, Tausende Demonstranten skandieren israel- und judenfeindliche Parolen, an Schulen und Universitäten grassiert er wie in jenen queer-feministisch-woken Milieus, in denen ein mit Rum versetztes kakaohaltiges Weihnachtsgetränk namens »Lumumba« die eingeübten antirassistischen Reflexe tausend Mal stärker mobilisiert als das ungeheuerliche Pogrom gegen Israelis durch die Hamas vom 7. Oktober 2023, bei dem brutalste Vergewaltigungen, Verstümmelungen und Leichenschändungen junger Frauen zum Standardprogramm des heroischen palästinensischen Widerstandskämpfers gehörten.
Das dröhnende Schweigen prominenter Feministinnen und narzisstischer Poster-Girlies wie Sophie Passmann und Margarete Stokowski angesichts dieses Massakers an Frauen wird in dem Augenblick sein Ende finden, in dem ein weiterer Fall sexueller Belästigung durch einen berühmten Rockmusiker als »Blusengate« die Öffentlichkeit erschüttert und eine neue »MeToo«-Kampagne flammende Debatten über Machismo in der Popkultur samt ARD-Themenwoche über »Body Positivity und Männergewalt in der postkolonialen Gesellschaft« auslöst, präsentiert von Siham El-Maimouni, Moderatorin des immerfort woken ARD-Kulturmagazins »ttt«.
Die zweitbeliebteste Märchenphrase der Ampel-Republik – »Kein Kind wird zurückgelassen!«, auf Scholz-Deutsch: You’ll never learn alone – wurde durch die jüngste PISA-Studie auf geradezu atemberaubende Weise widerlegt. Francesco Avvisati, Bildungsexperte der OECD, sagte bei der Vorstellung der Studie: »Drei von zehn Schülern sind unter dem Mindestniveau in Mathematik. Sie können nicht einmal sagen, ob sich ein Sonderangebot beim Einkaufen lohnt oder nicht.«
Das mag ein Problem für Aldi, Edeka, Rewe und Lidl sein, doch angesichts der schlechtesten jemals gemessenen Lernergebnisse in deutschen Schulen werden Lesen, Schreiben und Rechnen so oder so zum kulturellen Auslaufmodell. Dafür haben wir jetzt Künstliche Intelligenz.
Andererseits entlastet diese neueste deutsche Bildungskatastrophe auch die Arbeitsagentur von Ex-Sozialministerin Andrea Nahles. Wenn kaum ein Heranwachsender noch richtig rechnen, lesen und schreiben kann, kommen schwer vermittelbare Angebote für anspruchsvollere Jobs gar nicht mehr infrage.
Als Alternative bietet sich ein Praktikum bei einer Antirassismus-Initiative an, ein Schnupperkurs bei der »Meldestelle Antifeminismus« oder den »Neuen deutschen Medienmacher*innen«. Das Bürgergeld wird in jedem Fall gezahlt.
Nebenbei sorgt es dafür, dass sich für immer mehr Menschen, obwohl sie sogar rechnen, lesen und schreiben gelernt haben, Arbeit nicht mehr lohnt.
So schließt sich der irre Ampel-Kreis: immer mehr Bürgergeld, immer weniger Fach- und Arbeitskräfte, immer mehr illegale Flüchtlinge und immer mehr als »Bürger*innen« gelesene Menschen jeglicher Herkunft, die nicht rechnen, lesen und schreiben können. »Eins und eins, das macht zwei« sang einst Hildegard Knef. Eine offensichtlich überholte Ansicht.
An mangelnden Mathe-Kenntnissen hat es aber wohl nicht gelegen, dass die verfassungswidrigen Buchungstricks der Ampel-Regierung erst so spät aufgeflogen sind. Nach dem Urteil der obersten Richter in Karlsruhe ist nun zwischen 60-Milliarden-Loch, durchlöcherter Schuldenbremse, gerupften »Sondervermögen« und an die Wand gefahrener »Wärmewende« die Notstandserklärung zum Gebot der Stunde geworden – und der finanzielle Ausnahmezustand das neue Normal.
Eine Billion Steuereinnahmen, 1.000.000.000.000 Euro im Jahr, reichen hinten und vorne nicht, jedenfalls nicht für das immer weiter verschobene bürokratische Krümelmonster namens »Kindergrundsicherung«, für all die unzähligen Klimafonds, das Generationenprojekt von Energie- und Wärmewende, Preisbremsen und -deckel, die brandneue, kostspielige und mit Weltrettungsauftrag versehene »Klimaaußenpolitik«, die Erneuerung von Bahn und Bundeswehr, für die 50 Milliarden für Flüchtlinge und über 100 Milliarden für Rentnerinnen und Rentner, Landwirtschafts- und Industriesubventionen aller Art, dazu Entwicklungshilfe sogar für die Atom- und Weltraumraketenmacht Indien, die über mehr IT-Spezialisten verfügt als Deutschland Einwohner hat, für Ausgleichszahlungen für ehemalige Braunkohlereviere im Osten, Hunderte Millionen für das »Demokratiefördergesetz« und die Fußballeuropameisterschaft, für Digitalisierung, die Kasseler »Documenta« und neue Stromtrassen nach Bayern, gegen die allerorts geklagt wird, Windräder im hessischen Reinhardswald, die mehr Natur zerstören, als sie retten, den sündhaft teuren Kanzleramtsanbau, achtsame Krötentunnel und flauschige Fledermausbrücken über verkehrsreiche Straßen – ja, die gibt es wirklich!
Schon diese kleine Aufzählung zeigt, dass selbstverständlich nirgendwo gespart werden kann. Deshalb muss die Erklärung einer »Notlage« in Germanistan von Amts wegen auf Dauer gestellt werden, um die lästige Schuldenbremse zu umgehen und den bislang aufgelaufenen öffentlichen Gesamtschulden der Bundesrepublik Deutschland in Höhe von knapp 2,5 Billionen Euro weitere Lasten für zukünftige Generationen hinzuzufügen. Wie sagte irgendjemand aus dem rotgrünen Intellektuellenmilieu: Es ist doch nur Geld! Eben.
»Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch«, sagt Hölderlin, und er hat recht. Unser kleines Sittenpanorama der Ampel-Republik hat neben dem alltäglichen Irrsinn auch viele Sollbruchstellen offenbart, mit Händen zu greifende Widersprüche zwischen Sein und Sollen, Wunsch und Wirklichkeit, Ideologie und den wahren Verhältnissen »draußen im Lande«, wie das früher hieß.
Dass angesichts der wachsenden militärischen Bedrohung durch Putins aggressiv-kriegerisches Russland und der vielfältigen Gefahren des globalen Islamismus die Verteidigungsbereitschaft des Westens, vor allem aber in Deutschland, trotz aller schönen Worte sehr schwach ausgeprägt ist, gehört gleichfalls in die Kategorie »Blinde Kuh« – ein Versteckspiel vor der unangenehmen Wirklichkeit.
In der politisch-medialen Klasse dominiert eine hartnäckige Realitätsblindheit, die bis eben noch tief grün eingefärbt war. Doch o Wunder, es tut sich was. Bei Wahlen und in Meinungsumfragen verlieren die Grünen kontinuierlich – in Ostdeutschland schrumpfen sie gar zur Splittergruppe. »Der grüne Zeitgeist hat sich zu Tode gesiegt«, resümiert der Chefredakteur der Neuen Zürcher Zeitung Eric Gujer.
Und tatsächlich, der grüne Sinkflug resultiert vor allem aus einem schmerzlichen Zusammenprall von Ideologie und Wirklichkeit. Lange Zeit haben die trickreichen grünen Ausweichmanöver mit freundlicher Unterstützung der öffentlich-rechtlichen Medien das echte 1.0-Rendezvous mit der Realität verhindert – nun aber ist der Big Bang da, ob in der Wirtschafts- und Migrations- oder der Klima- und Gesellschaftspolitik.
Es knirscht, quietscht und knallt vernehmlich, und selbst der Großmeister politischer Rhetorik, Robert Habeck, vermag seine »Erzählungen« – neudeutsch: sein »Narrativ« – nicht mehr so leicht und umstandslos an die Frau und den Mann draußen im Lande zu bringen. Wie sagte die englische Komikertruppe »Monty Python«: »Don’t mention the Wärmepumpe!«
Wir Schreiberlinge fragen uns ja insgeheim doch immer mal, ob unsere Arbeit überhaupt irgendeine Wirkung hat, ob es also überhaupt Sinn ergibt, immer wieder neu über das zu schreiben, was tagtäglich an uns vorüberrauscht. Im Fall der Ampel-Republik scheint es aber Hoffnung zu geben, dass für sie eben nicht jene Ewigkeitsregel gilt, die Erich Honecker über die DDR verhängt hatte, als er sagte: »Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf!«
In diesem Sinne wünschen wir Ihnen viel Spaß beim Lesen der aktualisierten und erweiterten vierten Auflage unserer Reise durchs »irre Germanistan«.
Henryk M. Broder und Reinhard Mohr, im Januar 2024
Man kratzt sich am Kopf. War Deutschland nicht eben noch das beliebteste Land der Welt nach Disney World, Exportweltmeister mit Dauer-Abo und ein begehrter Investitionsstandort mit einer funktionierenden Verwaltung, bestens ausgebildeten Fachkräften und einem effektiven Rechtssystem, das Korruption erst gar nicht wachsen lässt?
Der Dreiklang aus Demokratie, Marktwirtschaft und einer Arbeitsdisziplin, die im Rest der Welt zugleich gefürchtet und belächelt wird, hat den Ruf »Made in Germany« zum Weltkulturerbe gemacht. Nachdem weite Teile der europäischen Bevölkerung bei dem Wort »Achtung!!!« lange Zeit intuitiv zusammenzuckten und sich geistig schon in Reih und Glied aufstellten, um alsbald abtransportiert zu werden, hat sich die demokratische Bundesrepublik über Jahrzehnte tatsächlich Respekt und Achtung verschafft.
Trotz aller Krisen galten die 16 Merkel-Jahre als goldene Epoche von Wachstum und pragmatischer Staatsführung im Zeichen der Raute. Ruhe war oberste Bürgerpflicht. Das Motto hieß: »Wir schaffen das:« Der Rest wurde mit Geld ruhiggestellt oder, mit medialer Unterstützung, als »rechtspopulistisch« abgestempelt.
Knapp zwei Jahre danach jedoch zeigt sich das wahre Erbe der Ex-Kanzlerin, die derzeit jede Menge Staatspreise, Bundesverdienstkreuze und sonstige Ehrungen einstreicht. Die Probleme treten geradezu clusterartig auf. Die Realität schlägt mit Macht zurück, ob bei der verteidigungsunfähigen Bundeswehr oder der verfehlten Energiepolitik, ob in Sachen Flüchtlingskrise, Migration und Integration, Digitalisierung, Bildung und Wohnungsbau. Hieß es früher »Über sieben Brücken musst Du gehen«, so kann heute nur davor gewarnt werden: Mehr als 4000 Brücken in Deutschland sind marode und müssen saniert werden.
Im Land fehlt es buchstäblich an allem: Soldaten, Panzer und Pflegekräfte, Lehrerinnen, Straßenbahnfahrer und Bäcker, Polizistinnen, Feuerwehrleute und Richter, Sozialarbeiterinnen, Krankenschwestern und Köche, Kellner, Handwerker und Psychotherapeutinnen, Schwimmlehrer und DLRG-Retter. Die tragende Mitte der Gesellschaft also, neudeutsch »systemrelevant« – all jene, die sich nicht genug »wertgeschätzt« fühlen.
Viele fragen sich inzwischen: Will eigentlich niemand mehr arbeiten? Wo sind sie denn alle, was machen sie denn sonst so? Influencer, irgendwas mit Medien, Atemkurs auf Fuerteventura, Dauer-Chillen? Die Work-Life-Balance der Republik scheint jedenfalls in massiver Schieflage, was am Ende dazu führt, dass weder Work noch Life im Gleichgewicht sind. Und wenn die Vier-Tage-Woche tatsächlich eingeführt werden sollte: Wer backt dann sonntagmorgens um vier Uhr die Dinkelbrötchen?
Zugleich strömen Hunderttausende Asylbewerber, Migranten, Schutzsuchende und illegale Einwanderer ins Land, die, anders als offiziell verkündet, leider keinen neuen Wirtschaftsboom ausgelöst haben, sondern in der Mehrheit über viele Jahre arbeitslos sind, von Sozialleistungen leben und überproportional häufig schwere Straftaten begehen. Gerade bei Sexualverbrechen gegen Frauen sind junge männliche Migranten laut aktuellen Statistiken des Bundeskriminalamts weit überrepräsentiert.
In einer merkwürdigen Übersprunghandlung versucht die neue Ampel-Regierung unter dem Merkel-Schüler Scholz mit dem Temperament einer gebrauchten Büroklammer, weitere Hunderttausende Migranten – die »Wirtschaftsweise« Monika Schnitzer fordert gar 1,5 Millionen Zuwanderer pro Jahr – ins Land zu locken, um den Fachkräftemangel zu beheben. Dazu reist der Arbeitsminister bis nach Brasilien. Dass für diese Zuwanderer gar keine Wohnungen vorhanden sind, spielt keine Rolle. Währenddessen beziehen vier Millionen erwerbsfähige Menschen das »Bürgergeld«, formerly known as »Hartz IV«, und die Rente mit 63 sorgt dafür, dass Hunderttausende Fachkräfte vorzeitig in Pension gehen. Eine dreifach teure Ressourcenverschwendung, ein Irrsinn von Staats wegen, der nur mit Humor zu nehmen ist.
Apropos: Humor gehört auch zur Mangelware in der Ampel-Republik, denn Ironie und Sarkasmus passen nicht zur woken, politisch korrekten, achtsamen, diversen und nachhaltigen Gesellschaft, die niemanden zurücklassen will und eben deshalb nicht vorwärtskommt. Man kennt das vom Schulwandertag. Zum Ausgleich soll Cannabis legalisiert werden, denn selbst im Land der »feministischen Reflexe« und verordneten Regenbogenfahnen geht es nicht ganz ohne gute Laune, auch wenn sie aus der Tüte kommt.
Die Deutsche Bahn setzt aber wenig Hoffnung darauf, dass deshalb nun die »besten Köpfe« aus aller Welt in die Bundesrepublik streben. So verspricht sie das endgültige Erreichen des beschleunigten »Deutschlandtakts« erst für das Jahr 2070, optimistisch gerechnet also in rund 48 Jahren: die vierfache Dauer des »Dritten Reiches«, damals, als die Züge noch pünktlich gen Osten rollten.
Der Einbau von neuen Gasheizungen soll allerdings demnächst verboten sein ebenso wie »antifeministische« Meinungsäußerungen, die umgehend der neu geschaffenen »Meldestelle« des Bundesfamilienministeriums angezeigt werden können. Dort gibt es offensichtlich, anders als in Wirtshäusern, Schulen und Strafvollzugsanstalten, keinerlei Mangel an engagierten Fachkräften, darunter auch eine ehemalige informelle Mitarbeiterin der DDR-Staatssicherheit.
Personalmangel herrscht ebenso wenig in der immer weiter aufgeblähten Ministerialbürokratie, wo Tausende neue Fachkräfte am Deutschlandtakt arbeiten, um viele weitere »Gute-Kita-« und »Starke-Familien-Gesetze« aus der Taufe zu heben – ein tolles Vorbild für die ganze gute Welt. Urbi et orbi: »Vier bis fünf Windräder« müssten pro Tag installiert werden, um das Weltklima zu retten, fordert der Kanzler, der sich mit Wumms stets um die ganz großen Linien kümmert.
Deshalb kann er sich nicht mit Kleingedrucktem abgeben wie den alarmierenden Prognosen von Energieexperten, denen zufolge Deutschland in absehbarer Zeit massive Stromlücken zu befürchten hat, die allenfalls notdürftig durch den Import von Atom- und Kohlestrom aus europäischen Ländern gestopft werden könnten. Schon werden Stromabschaltungen avisiert, auf die sich auch die Industrie vorbereitet – vor allem durch Abwanderung in andere Länder. Etwa nach China, wo Dutzende neue Kohlekraftwerke gebaut werden, während in Deutschland Sonnenkollektoren auf Balkonen boomen. Nur der jährliche Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und seines Chefs mit den markanten Mega-Koteletten ist so verlässlich wie eh und je: Es wird immer schlimmer. Die »Führungsmacht Deutschland« (Olaf Scholz) – ein einziges Armenhaus.
Aber wir wollen keine schlechte Stimmung verbreiten. Im Gegenteil. Wir beobachten, protokollieren und resümieren mit viel Liebe zum Detail das, was in diesem merkwürdigen Land vorgeht und viele Zeitgenossen ratlos bis wütend zurücklässt. Doch wir wissen aus Erfahrung: Veränderung kommt nur durch Einsicht, also auch durch konkrete Ansichten – genaue Beschreibungen dessen, was passiert. Anders als Marx sagte, bestimmt eben auch das Bewusstsein das Sein.
Und da sind wir schon beim ersten Leitmotiv der fortgeschrittenen deutschen Phrasen-Republik: Ständig wird gepredigt, wie wunderbar es sein wird, statt erst einmal darüber zu reden, wie es ist. »Strukturelles«, also betreutes Wegschauen in Tateinheit mit betreutem Denken ist vor allem in den Massenmedien Programm, jedenfalls dort, wo die Realität buchstäblich wehtut: dem eigenen Weltbild, den ideologischen Überzeugungen, den politischen Tabuzonen.
Endemischer Moralismus, realitätsferne Illusionen, Größenwahn und Selbstverleugnung, schlechte Laune und Angst vor der Freiheit, dazu Vollkasko-Mentalität und apokalypseversessen Wohlstandsverwahrlosung mit einer kräftigen Portion Geschichtsvergessenheit, die sich als »Lehre aus der Geschichte« tarnt – darum geht es in diesem Buch. Ob in Form einer kleinen Miszelle, einer tagebuchähnlichen Eintragung, einer Glosse, eines pointierten Essays oder als szenisch-reportagehafte Darstellung – alles trägt zur Zeichnung eines Sittenbilds der Ampel-Republik bei, deren Maxime Heinrich Heine schon 1844 in seinem Zyklus Deutschland, ein Wintermärchen mit beispielhafter Ironie und Sarkasmus formulierte, ohne Robert Habeck, Ricarda Lang und Annalena Baerbock überhaupt zu kennen:
Franzosen und Russen gehört das Land,
Das Meer gehört den Britten,
Wir aber besitzen im Luftreich’ des Traums
Die Herrschaft unbestritten.
Hier üben wir die Hegemonie,
Hier sind wir unzerstückelt;
Die andern Völker haben sich
Auf platter Erde entwickelt.
Es gibt Tage, da geht es schon um kurz nach acht los mit dem Gefühl, im falschen Film zu sein. Im Morgenmagazin von ARD und ZDF beschwört eine Ministerin unentwegt den »sozialen Zusammenhalt« und fordert »Respekt für alle«, weil Menschlichkeit keine »Obergrenze« kenne. Gerade ist die erste Tasse Kaffee eingegossen, und man fühlt sich schon defizitär, irgendwie schuldig. Tue ich genug für die »Wärmewende« und den »Zusammenhalt«? Und wie genau geht der? Mit wem soll ich eigentlich zusammenhalten?
Mittags im Deutschlandfunk fordert ein Politikwissenschaftler ultimativ »Mehr Europa!« und fügt hinzu: »Gewalt ist keine Lösung. Niemand darf ausgegrenzt werden.« Spontan erinnert man sich daran, dass im Tagesspiegel, dem ehemaligen Lieblingsblatt aller weltoffenen Wilmersdorfer Witwen, die Kolumnistin Hatice Akyün unlängst dekretierte: »Stark ist das neue hübsch. Wir müssen aufhören, unsere Töchter hübsch zu finden.« Okidoki, das eigene Kind hübsch zu finden diskriminiert andere Kinder, die vielleicht nicht ganz so hübsch sind. Wir lernen: Das neue »Narrativ« der Body-Positivity ist Teil jener Dauerwerbesendung für Vielfalt, die inzwischen den Status eines neuen Grundrechts, ja eines Staatsziels erlangt hat. Olaf Scholzens Drohung ist wahr geworden: »You’ll never walk alone!«
Selbst regierungsamtliche Stellen engagieren sich für ein achtsames Miteinander, die aktive »Gestaltung von Vielfalt« im Sinne von Diversität. Seltsam nur: Schon beim Aldi um die Ecke findet man jede Menge Vielfalt, nicht nur im Joghurtregal, sondern auch in der Schlange an der Kasse. Echte Regenbogen-Diversität, vom grauhaarigen Cis-Rollator-Rentner bis zur jungen afghanischen Frau mit Kopftuch. Ein holländischer Sozialforscher prophezeit ohnehin, dass Menschen ohne Migrationshintergrund, die sogenannten Kartoffeln, in einigen Jahren auch in Deutschland in der Minderheit sein werden. Schon wieder eine Sorge weniger: Die Vielfalt setzt sich ganz von selbst durch.
Das gilt auch für den Bürgersteig. Nach »Latte to go« und »Wegbier« ist nun »Wandschrank to go« angesagt. Weil man sich hier im Reich einer bunten »Positivkultur der Emotionen« befindet, wie der Soziologe Andreas Reckwitz es formuliert, wird die versiffte schwarze Polstergarnitur kulturadäquat und milieugerecht beworben. In heiligem Ernst steht da wortwörtlich: »Zum Mitnehmen! Viel Spaß damit!«
Auf Radio 1 vom rbb wirbt derweil ein Aktivist – wer heute kein Aktivist ist, hat nichts verstanden – für die Enteignung privater Wohnungsbaugesellschaften. Irgendwie soll das auch der Klimaneutralität Berlins zugutekommen. Wir vermuten: Durch weniger Wohnungsbau – so wie durch weniger Parkplätze und Autos, die perspektivisch nach Brandenburg ausgelagert werden sollen.
Dafür dürfen mehr Frauen oben ohne durchs Freibad kraulen. Eine rbb-Reporterin hat unter falschem Namen den Selbstversuch gewagt und mit ihren unverhüllten, »als weiblich gelesenen Brüsten« im Hallenbad ihre Bahnen gezogen. Ihre praktischen Erkenntnisse – sie war die Einzige geblieben, die ihr Oberteil ablegte – fasste sie in den Aufruf »Den Wandel leben! Traut euch!« zusammen.
In Transgender-Zeiten wird das alles natürlich noch viel komplizierter. Lesben auf Partnerinnensuche werden nicht nur auf Dating-Portalen von biologischen Männern, die sich plötzlich »Lesben« nennen, sexuell bedrängt. »Diese Männer«, so eine Lesben-Initiative, »fordern von uns, dass wir sie als Partnerinnen und ihr Genital als Girl dick/Lady dick akzeptieren. Weil wir das nicht tun, werden wir als transphobe Nazis und Schlimmeres diffamiert.« So hat der Wandel seine vielfältigen Tücken.
Robert Habecks Äußerung gegenüber brasilianischen Ureinwohnern, Minister wie er seien so was wie »Häuptlinge«, englisch »Chiefs«, hat freilich gezeigt, wie steinig der Weg zum nachhaltigen Wandel ist, der auch wirklich jeden erreicht. Wenigstens sprach er nicht von »Indianerhäuptling« wie seine grüne Parteikollegin Bettina Jarasch, die sich für ihren Jahrzehnte zurückliegenden Kinderwunsch zu Fastnacht vor versammelter Mannschaft entschuldigen musste.
Nicht abschließend zu klären war, ob Habecks etwas holzschnittartiger Übersetzungsversuch eine unzulässige rassistische Äußerung darstellte. In Fachkreisen wurde jedenfalls problematisiert, dass die folkloristische Bemalung des Gesichts von Habeck durch junge Eingeborene ein passives Vergehen im Sinne der »kulturellen Aneignung« gewesen sein könnte, die der deutsche Häuptling hätte entrüstet zurückweisen müssen. Immerhin kam Häuptling Habecks politische Botschaft im Jargon eines Kreuzberger Streetworkers authentisch rüber: »Für uns ist das sehr spannend zu verstehen, wie ihr im Wald leben könnt und den Wald schützen könnt, weil in Deutschland vor tausend Jahren die Deutschen alle Bäume gefällt haben.«
Megakrass. Grüne Völkerkunde in altgermanischer Tradition, auch wenn der Minister hätte darauf hinweisen können, dass Taunus, Hunsrück und Schwarzwald, Bayerischer Wald, Rhön, Odenwald, Harz und Westerwald noch stehen – wenigstens ein Stück weit. Aber so genau müssen es die Bimbos ja auch nicht wissen. Die grüne Bundestagsabgeordnete Emilia Fester, 25, wusste bis vor Kurzem ja auch nicht, wer Bismarck war (vom gleichnamigen Hering hatte sie offenbar auch noch nichts gehört). Als ihr gesagt wurde, dass der gute Mann mal Reichskanzler war, entfuhr ihr: »Ach was, wirklich? Der war Kanzler? Witzig!«
Während jetzt das erste Glas Kaiserstühler Spätburgunder fällig ist, läuft bei kulturzeit auf 3Sat ein Beitrag gegen »Hass und Hetze im Netz«, Islamophobie, Transfeindlichkeit, Antiziganismus, Rassismus und Rechtsextremismus, der gefühlt jeden zweiten Abend gesendet wird. Obwohl noch kein Islamwissenschaftler erklären konnte, wieso es »antimuslimischen Rassismus« geben soll, wenn der Islam doch gar keine Rasse, sondern eine Religion ist: Der Begriff ist in den allgemeinen Sprachgebrauch der progressiven Kräfte eingegangen wie die Mietpreisbremse und das 9-Euro-Ticket. Auch die anlassgebundene Empörung über den wachsenden Antisemitismus ist Teil des routinierten Medienbetriebs, doch leider erfährt man nie, wer denn nun die Täter sein könnten. Vor lauter demonstrativer Abscheu angesichts der Schande vergisst man, etwa auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln einmal genauer nachzuforschen. Klar: Man will es lieber nicht wissen. Das Ergebnis könnte Teile der Bevölkerung verunsichern.
In der Abendschau des rbb schließlich wird Berlin mit seinen bald vier Millionen Einwohnern wie fast jeden Abend als sozialer Querschnitt aus Neonazis und Obdachlosen, queeren Transgender-People, von Kündigung bedrohten Mietern und aktivistischen Demonstranten vorgeführt, die den Berufsverkehr lahmlegen.
Dann ist man endgültig reif für den Bergdoktor oder die Bergretter – schöne Landschaften und halbwegs normale Menschen, die allenfalls mal in eine Gletscherspalte fallen, bevor sie vom Heli zum Krankenhaus geflogen werden, wo ein ganzes Ärzteteam auf sie wartet. Fast wie im richtigen Leben.
In der Blütezeit des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, also in den Sechziger- und Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts, fürchteten nicht nur Minister und Staatssekretäre, Industriebosse und Gewerkschaftsbonzen das montägliche Erscheinen des Enthüllungsblattes – auch die Redakteure (Redakteurinnen gab es damals nur in Spurenelementen) lebten in einer Welt, in die jederzeit der Blitz einschlagen konnte. Ob Herausgeber, Chefredakteure oder Ressortleiter – der Zorn der einen war die Angst der anderen, die sich in der Hierarchie von oben nach unten kaskadenartig verstärkten. Wer im Aufzug grüßte, galt als bedauernswerter Schwächling und weltfremdes Weichei. Die Abwesenheit von Tadel war die höchste Form der Anerkennung, und noch in den 1990er-Jahren wurde ein fulminanter Text vom Ressortleiter mit der Bemerkung »hübsch geworden« in die Sphären höchster Lobpreisung katapultiert. Was den Redakteuren blieb, war ein gut sechsstelliges Jahresgehalt, die Sauna im Keller und das Statusgefühl, Teil des »Sturmgeschützes der Demokratie« (Rudolf Augstein) zu sein, wenn auch nur als einfacher Infanterist mit gelegentlicher Ladehemmung.
Niemand wäre damals auf die Idee gekommen, für sich »Wertschätzung« zu erbitten, und sei es mit noch so vielen Trillerpfeifen. Heute ist es das oberste Gebot, von der Pflegekraft bis zur Balletttänzerin, vom Busfahrer bis zur Teilzeit-Kunstlehrerin auf Probe mit Burn-out-Perspektive. Ähnlich wie der »Respekt«, der meist von Leuten gefordert wird, die selbst vor nichts Respekt haben, repräsentiert die erbetene »Wertschätzung« eine Umkehrung der Verhältnisse.
Der »ehrbare Kaufmann«, der stolze Handwerker und der klassenbewusste Arbeiter, nicht zuletzt die deutschen, polnischen und türkischen Malocher unter Tage im Ruhrpott wussten selbst, was sie wert waren. Man nannte das Selbstbewusstsein. Das Gefühl, Anerkennung zu verdienen, kam aus der Tätigkeit selbst, die Sinn und Zweck hatte, Selbstbestätigung und Befriedigung bot. Und Gemeinschaft. Wer dagegen ständig klagt, zu wenig »wertgeschätzt« zu werden – von wem eigentlich genau? –, verrät einen Mangel an intrinsischer, also innerer Motivation. Exemplarisch dafür stehen die notorischen Influencer, die nichts ohne ihre »Follower« sind – die klassisch-narzisstische Konstellation in der Selfie-Epoche: Das dicke Make-up der Selbstbewunderung klebt an der Zahl der digitalen Beifallklatscher.
Und solange die Ampel-Regierung kein »Respekt-für-gute-Arbeit-Wertschätzungs-Gesetz« vorlegt, bleibt dem Müllwerker nur, zehn oder zwölf Prozent mehr Lohn zu fordern. Follower hat er keine außer der gelben Tonne, die er hinter sich herzieht.
Kaum hatte der Bundestag mit den Stimmen der Ampel-Koalition und gegen heftigen, aber erfolglosen Widerstand der Opposition eine Änderung des Bundeswahlgesetzes verschiedet, meldete sich die Präsidentin des Bundestages, Bärbel Bas, zu Wort. Diese Reform ginge nicht weit genug. Ihr »persönlicher Wunsch« sei es, »in dieser Wahlperiode noch ein Paket zum Wahlrecht zu schnüren«, das Wahlalter sollte auf 16 Jahre gesenkt und die Wahllisten der Parteien »paritätisch« besetzt werden, damit im Bundestag genauso viele Frauen wie Männer sitzen.
Nun ist der Bundestag nicht der Ort, an dem »persönliche Wünsche« wahr werden. Dafür gibt es, allein in Berlin, das KdW, das Artemis, die Grüne Woche, den Christopher Street Day, die Sonnenallee und das Columbia Bad, also mehr als genug Orte und Gelegenheiten, sich zu verwirklichen, jeder und jede nach seinem/ihrem Gusto.
Der Bundestag ist dazu da, Gesetze und Verordnungen zu beschließen, zum Beispiel das »Gute-Kita-Gesetz«, das »Klimaanpassungsgesetz«, die »Massenzuwanderungsrichtlinie« und das »Demokratiefördergesetz«, ein echter Kracher der Berliner Republik. Normalerweise ist es in Demokratien so, dass das Volk der Regierung Demokratie beibringt. Nur in Deutschland ist es umgekehrt. Die Regierung verpasst dem Volk Nachhilfe in Demokratie. Vielleicht ist es das, was Willy Brandt meinte, als er von »mehr Demokratie wagen!« sprach.
Was nun die »persönlichen Wünsche« der Bundestagspräsidentin angeht, so sind diese nicht wirklich neu. Über die Absenkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre wird schon so lange diskutiert wie über ein bundesweites Abitur, das für mehr Prüfungsgerechtigkeit sorgen würde. Ein beliebtes Argument für Wahlrecht ab 16 ist: Es soll jungen Menschen die Gelegenheit geben, sich politisch zu engagieren. Dabei gibt es diese Gelegenheiten in Hülle und Fülle. Jugendliche unter 18 können den Jusos, den JuLis, der Jungen Union, der grünen Jugend, der Linksjugend, der Naturfreundejugend, der Arbeiter-Samariter-Jugend, der DGB-Jugend, der FKK-Jugend und dem Bund junger Naturisten beitreten; sie können bei Fridays for Future, bei der Letzten Generation, bei Extinction Rebellion mitmachen, lernen, wie man Baumhäuser baut und Straßensperren errichtet, den Verkehr lahmlegt und worauf es sonst noch im späteren Leben als Empfänger eines bedingungslosen Grundeinkommens ankommt.
Solche praktischen Erfahrungen sind mehr wert als das Recht, mit 16 wählen zu dürfen.
Bärbel Bas und ihre Freunde bei der SPD und den Grünen, die für eine Herabsetzung des Wahlalters plädieren, sind sich darüber im Klaren. Sie tun nur so, als wollten sie mehr Jugendliche »an Politik heranführen«. Sie gehen, vermutlich zu Recht, davon aus, dass junge Menschen eher dazu neigen, »progressive« Parteien zu wählen, die den Drogenkonsum legalisieren und die Work-Life-Balance zugunsten von Chillen und Surfen verschieben möchten, als die Schnarchnasen von der Union, die Philipp Amthor bei der Auswahl seiner Anzüge beraten. Es geht einfach darum, den Verfall der SPD durch die Anwerbung nachrückender Jahrgänge auszugleichen. Deswegen sollen auch die Einbürgerungsverfahren erleichtert und die Anforderungen an die Antragsteller gesenkt werden. Die »Schutzsuchenden« von heute sind die Wähler von morgen. Mögen sie nicht wissen, was den Bundesrat vom Bundestag unterscheidet oder wie der erste Kanzler der Bundesrepublik hieß, wichtig ist nur, dass sie nicht vergessen, wem sie die sozialen Wohltaten verdanken. Gerade jetzt, da die in migrantischen Kreisen sehr beliebte »Mama Merkel« nicht mehr im Amt ist.
Die »paritätische Besetzung« der Wahllisten – auch das müsste Bärbel Bas wissen – ist in zwei Ländern – Brandenburg und Thüringen – von den Parlamenten beschlossen und wenig später von den jeweiligen Landesverfassungsgerichten aufgehoben worden. Aber das ist noch nicht das Ende des Liedes von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens. Es fehlen noch ein paar Strophen, an denen gerade gearbeitet wird.
Der 2008 gegründete Verein »Neue Deutsche Medienmacher« setzt sich »für mehr Vielfalt im Journalismus« ein; die Mitglieder verstehen sich »als Interessenvertretung für Journalist:innen of Color und Medienschaffende mit Einwanderungsgeschichte«, sie streiten »für mehr Diversität in den Redaktionen und für guten Journalismus« und für »eine ausgewogene Berichterstattung, die das Einwanderungsland Deutschland adäquat wiedergibt«. Und weil man sich selbst nicht genug loben kann, kommen dieselben Blasen und Bläschen immer wieder zum Einsatz. Die Neuen Deutschen Medienmacher »wollen Medienschaffende of Color oder mit Einwanderungsbiografien empowern«, sie engagieren sich »für mehr diverses Medienpersonal und gegen Diskriminierung in den Redaktionen und bieten … Informationen und Handwerkszeug für Journalist:innen und Medienhäuser, die rassismusfrei berichten wollen«.
Was implizit bedeutet, dass dort, wo die Neuen Deutschen Medienmacher nicht präsent sind, die rassistisch unterlegte Berichterstattung der Normalfall ist. Und was Rassismus ist, bestimmen die Neuen Deutschen Medienmacher, die für ihre Bemühungen generös aus dem Etat des Projekts »Demokratie leben!« des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und anderen Bundesbehörden gefördert werden.
Die Neuen Deutschen Medienmacher wollen freilich nicht nur »Medienschaffende of Color oder mit Einwanderungsbiografien empowern«, sie wollen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vom Kopf auf die Beine stellen. Und sie haben dafür einen Plan, der sich so liest, als habe ihn ein Mensch mit Klaustrophobie nach einem längeren Aufenthalt in einer fensterlosen und schalldichten Gummizelle geschrieben. Kurze Zusammenfassung:
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse sich »erneuern, um dem kritischen Publikum und seinen veränderten Seh- und Hörgewohnheiten gerecht zu werden«. Er müsse »die vielfältige Migrationsgesellschaft« widerspiegeln und dabei für »gerechte Repräsentation« sorgen, denn: »Die Hälfte Frauen, fast ein Viertel mit Einwanderungsgeschichte, jede*r Zehnte mit Behinderung. So setzt sich die deutsche Gesellschaft zusammen.« In der »Welt der Redaktionen« sähe es aber anders aus. »Insbesondere in den Chefetagen dominieren nach wie vor weiße Männer ohne Einwanderungsgeschichte oder Behinderung.« Das hat Folgen. »Nach wie vor gestalten homogen besetzte Chefredaktionen die Programme für unsere vielfältige Gesellschaft: Nur 6 Prozent der Chefredakteur* innen deutscher Medien hatten 2020 sog. Migrationshintergrund.« Und behindert war wohl keine oder keiner.
Ich versuche, mir vorzustellen, wie es wäre, würde ich mich bei einem ÖR-Sender für einen Spitzenposten bewerben, als Chefredakteur, Programmdirektor oder Intendant. Der oder die für die Annahme von Bewerbungen zuständige Mitarbeitende würde sich meine Bewerbung ansehen und fragen: »Was qualifiziert Sie für diesen Job?« Und ich würde antworten: »Ich denke, dass ich die von den Neuen Deutschen Medienmachern geforderten Kriterien erfülle. Zwar wurde mir bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen, aber ich fühle mich eher als Frau. Ich habe einen hundertprozentigen Migrationshintergrund, bin zwar nicht im üblichen Sinn behindert, dafür aber jüdisch, und das ist genauso schlimm, wenn nicht schlimmer.«
Sollte ich dennoch den Job nicht bekommen, würde ich mich umgehend an die Unabhängige Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, Ferda Ataman, wenden.
Sie gehörte 2008 zu den Gründer:innen der Neuen Deutschen Medienmacher, stieg 2016 zur stellvertretenden Vorsitzenden des Vereins auf und wurde zwei Jahre später zur ersten Vorsitzenden gewählt. Ihren eigenen Migrationshintergrund als Tochter türkischer Einwanderer nutzte sie geschickt, indem sie ein Buch darüber schrieb, wie sehr es sie nerven würde, immer wieder gefragt zu werden, woher sie käme: Ich bin von hier. Hört auf zu fragen! Die Strategie erwies sich als zielführend. Im Juli 2022 wählte sie der Bundestag zur Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundes.
Ferda Ataman ist nun voll integriert. Und sorgt dafür, dass es mit der Parität und der Repräsentanz weiblich gelesener Personen, Menschen mit Migrationshintergrund und Behinderungen vorangeht.
Nach seinem kurzen Besuch beim ukrainischen Energieminister Herman Haluschtschenko gab der für Wirtschaft und Klima zuständige deutsche Minister, Robert Habeck, dem Nachrichtensender WELT TV ein Interview, in dem er sagte: »Die Ukraine wird an der Atomkraft festhalten. Das ist völlig klar – und das ist auch in Ordnung, solange die Dinger sicher laufen. Sie sind ja gebaut.«
Kaum hatte Habeck diesen Satz ausgesprochen, fand er sich im Auge eines Shitstorms wieder, mit dem er offenbar nicht gerechnet hatte. Wie könne er so etwas sagen, und das ausgerechnet vor der unmittelbar bevorstehenden Abschaltung der letzten drei deutschen AKWs? Hatte er nicht immer den Ausstieg aus der Kernkraft gefordert zugunsten der Sonne, des Windes, des Wassers und anderer erneuerbarer und sicherer Energiequellen? Wie passte das zusammen – das Aus der friedlichen Nutzung der Kernkraft in Deutschland und die Empfehlung an die Ukrainer, an der Atomkraft festzuhalten, »solange die Dinge sicher laufen«? Erst wenige Tage zuvor hatte Habeck einmal mehr den Ausstieg aus der Kernenergie damit begründet, es handle sich um eine »Hochrisiko-Technologie«, von der man sich verabschieden müsse.
Gehören die ukrainischen AKWs nicht in den Bereich der »Hochrisiko-Technologie«? Werden die Brennstäbe nicht aus angereichertem Uran hergestellt, sondern aus Buchweizen und Kuhdung? Habeck, da waren sich die Kommentatoren einig, habe irrational und unverantwortlich gehandelt. Er hätte die Ukrainer auffordern müssen, dem deutschen Beispiel zu folgen und die AKWs abzuschalten, je früher, desto besser. Kernkraft überwindet Grenzen und kann von keiner Menschenkette gestoppt werden.