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Patienten- und Angehörigenedukation ist ein zentrales Aufgabengebiet von Pflegefachpersonen im Rahmen der Gesundheitsförderung und Prävention sowie zur Stärkung der Gesundheitskompetenz. Die Unterstützung von Menschen, die sich etwa krankheitsbedingt in einer Ausnahmesituation befinden, ist ein komplexes Tätigkeitsfeld der Pflegepraxis, das umfassende fachliche, methodische sowie kommunikative und soziale Kompetenzen erfordert. Dieses Handbuch beinhaltet Grundlagenwissen für den Bereich der Pflegeedukation mit dem Fokus auf die Patienten- und Angehörigenedukation sowie Reflexionsmöglichkeiten für die Pflegepraxis. Besprochen werden pädagogische Aspekte in der Edukation, ausgewählte Beratungsansätze, Begriffsdefinitionen, Methoden zur Gestaltung einer Beratungssequenz und Überlegungen zum Gesprächssetting in der Pflege – veranschaulicht an zahlreichen Beispielen aus der Praxis.
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Seitenzahl: 242
Veröffentlichungsjahr: 2024
Manuela Hacker, Sigrid Slobodenka, Harald Titzer
Edukation in der Pflege
Manuela Hacker, BSc, MSc
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bachelorstudiengang Allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege an der Fachhochschule Wiener Neustadt. Bachelorstudium in Advanced Nursing Practice mit Schwerpunkt Pflegeentwicklung und Patientenedukation an der IMC Fachhochschule Krems, Masterstudium in Pflegewissenschaft an der Universität Wien.
Sigrid Slobodenka, BSc, MSc
Lehrende in der Gesundheits- und Krankenpflege. Bachelorstudium Advanced Nursing Practice an der FH IMC Krems, Masterstudium Pflegepädagogik an der Donau Universität Krems. Mehrere Jahre Berufserfahrung in der Edukation im pflegerischen Setting sowie in der Organisation und Durchführung von Bildungsveranstaltungen in der Gesundheits- und Krankenpflege.
Harald Titzer, BSc, MSc
Stationsleiter Pflege an einer onkologischen Tagesklinik. Bachelorstudium Advanced Nursing Practice mit Schwerpunkt Pflegeentwicklung und Patientenedukation an der FH-IMC Krems, Masterstudium Pflegewissenschaft an der Universität Wien. Mehrere Jahre Erfahrung in der Patientenedukation und weiter in der Implementierung einer Pflegeambulanz Onkologie und Hämatologie. Derzeit nebenberuflich als Psychotherapeut in Ausbildung unter Supervision in eigener Praxis tätig.
Eine geschlechtergerechte Schreibweise wird in diesem Buch vorwiegend durch die Verwendung der Schreibung mit Stern * realisiert. Ist eine korrekte, alle Endungen berücksichtigende Schreibung auf diese Weise nicht möglich oder erfordert sie Ergänzungen, die den Lesefluss hemmen, so wird – stellvertretend für alle Geschlechter – die weibliche Form gewählt.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Alle Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr, eine Haftung der Autor*innen oder des Verlages ist ausgeschlossen.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung sowie der Übersetzung, sind vorbehalten.
3. Auflage 2024
Copyright © 2017 Facultas Verlags- und Buchhandels AG facultas Verlag, 1050 Wien, Österreich
Umschlagbild: © Helmuth Nusser Lektorat: Laura Hödl, Wien
Satz: Florian Spielauer, Wien Druck: finidr
Printed in the EU
ISBN 978-3-7089-2442-7
E-ISBN 978-3-99111-845-9
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Einführung in die Pädagogik
2 Aufgabenbereiche der Pflege im Kontext der Edukation (pflegerische Kernkompetenzen)
2.1 Gesundheitskompetenz
2.2 Gesundheitsförderung
2.3 Prävention
3 Edukation von Patient*innen und Familienangehörigen
3.1 Selbstmanagement als Ziel der Edukation
3.2 Information
3.3 Schulung
3.3.1 Planung und Durchführung von Anleitungs- und Schulungssequenzen
3.3.2 Evaluierung von Anleitungs- und Schulungsprozessen
3.4 Beratung
3.4.1 Expert*innen- und Fachberatung
3.4.2 Prozessberatung
3.4.3 Komplementärberatung
3.4.4 Beratungsprozess
3.5 Die Moderation
4 Formalisierungsgrade in der Beratung
5 Gesprächssetting
6 Spontane und geplante Beratung
7 Beratungsansätze in der Pflegepraxis
7.1 Ursprünge der Beratungsansätze
7.1.1 Humanistischer Ansatz
7.1.2 Systemischer Ansatz
7.1.3 Verhaltensorientierter Ansatz
7.2 Beratungstechniken
7.3 Lösungsorientierte Beratung
7.3.1 Ziel und Zweck
7.3.2 Lösungsorientierte Berater*innen
7.3.3 Phasen
7.3.4 Lösungsorientierter Werkzeugkoffer
8 Edukation im Pflegeprozess
9 Reflexionsmöglichkeiten für Pflegepersonen
9.1 Reflexionsmöglichkeiten in der Pflege
9.2 Reflexionskompetenz entwickeln
9.3 Kollegiale Beratung in der Pflege (Intervision)
9.3.1 Merkmale der kollegialen Beratung
9.3.2 Rollen in der kollegialen Beratung
9.3.3 Phasen der kollegialen Beratung
9.3.4 Vorbereitung der kollegialen Beratung
9.3.5 Methoden der kollegialen Beratung
9.3.6 Der Unterschied zu Coaching und Supervision
9.4 Fallbesprechung in der Pflege
9.4.1 Durchführung einer Fallbesprechung
9.4.2 Rahmenbedingungen einer Fallbesprechung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Einleitung
Dieses Buch hat zum Ziel, einen ersten Einblick in das Handlungsfeld der Edukation in der Pflege zu geben. Es soll Studierenden und Personen der professionellen Pflege sowie Interessierten als Einführung in das Themengebiet Patient*innen- und Angehörigenedukation dienen. Das Buch stellt eine Grundlage dar, um sich Basiswissen zu erarbeiten. Die gewählten Inhalte und Themen des Handbuchs basieren auf den Erfahrungen der Autor*innen, die sie in ihrer Berufstätigkeit, aber auch in ihrem Studium gesammelt haben.
Edukation von Patient*innen sowie ihren Angehörigen stellt im Rahmen der Gesundheitsförderung, Prävention und Entwicklung von Gesundheitskompetenz ein zentrales Aufgabengebiet der professionellen Pflege dar. Es bedarf umfassender fachlicher, methodischer sowie kommunikativer und sozialer Kompetenzen, um den Anforderungen komplexer Situationen in der Pflegepraxis gerecht zu werden und Menschen, die sich beispielsweise aufgrund von Krankheit in Ausnahmesituationen befinden, unterstützen zu können.
Der Fokus des Buches liegt auf der Edukation von Patient*innen und ihren Angehörigen, gegen Ende wird kurz die organisationsbezogene Beratung thematisiert. Die Autor*innen befassen sich mit pädagogischen Aspekten der Edukation, Begriffsdefinitionen, dem Beratungsprozess, Beratungssetting, Methoden zur Gestaltung von Anleitungs- und Schulungssequenzen sowie ausgewählten Beratungsansätzen. Der Schwerpunkt der organisationsbezogenen Beratung liegt in der kollegialen Beratung und der Fallbesprechung zur Unterstützung von Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen. Anhand von Praxisbeispielen werden theoretische Inhalte veranschaulicht.
Zudem wird der Bezug zum österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegegesetz hergestellt, indem Bereiche pflegerischer Kernkompetenzen angeführt werden. Dadurch wird der gesetzliche Rahmen für die professionelle Pflege dargelegt.
Dieses Buch behandelt das Thema Edukation in der Pflege unabhängig vom Setting, weshalb die Bezeichnung der betroffenen Personen variiert. Es werden Bezeichnungen wie „Patient*innen“, „Klient*innen“ oder „zu beratende und ratsuchende Personen“ verwendet. Der im Buch überwiegend verwendete Begriff „Pflegeperson“ meint Personen der professionellen Pflege, welche ein Diplom und/oder einen akademischen Grad in der allgemeinen Gesundheits- und Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und/oder psychiatrischen Pflege erlangt haben bzw. anstreben.
1 Einführung in die Pädagogik
Um an das Thema der Edukation in der Pflege heranzuführen, ist zu Beginn ein Exkurs in die Pädagogik erforderlich. Hier werden wenige, jedoch relevante Begrifflichkeiten aus der wissenschaftlichen Disziplin Pädagogik thematisiert, die für ein erstes Verständnis von Edukation notwendig sind. Die Bedeutung von pädagogischen Grundlagen im Pflegeberuf wird dabei hervorgehoben.
Der komplexe und im Deutschen mehrdeutige Begriff „Pädagogik“ ist aus dem griechischen Wort „paideia“ entstanden und meint die wissenschaftliche Lehre von der menschlichen Bildung (Böhm, 2005). Fällt der Begriff Pädagogik, ruft er gleichzeitig eine Assoziation mit der Erziehungswissenschaft hervor. Der Ursprung beider Begrifflichkeiten liegt in der Pädagogie begründet (Raithel, Dollinger & Hörmann, 2009). Der im Deutschen verwendete Begriff Pädagogik umfasst mehr als die Reflexion über die Theorie der Erziehung. Er beinhaltet darüber hinaus auch erzieherisches Handeln, Wertvorstellungen, Ziele, handelnde Personen sowie Rahmenbedingungen einer Institution (Böhm, 2005).
Die Disziplin Pädagogik beschäftigt sich mit den Bereichen der Sozialisation und der Erziehung sowie mit der Entwicklung und dem Lernen. Zudem haben sich in der Pädagogik Teildisziplinen entwickelt. Zu diesen zählen – um nur wenige zu nennen – die Didaktik, die Schulpädagogik, die Sozialpädagogik, die Berufspädagogik und die Erwachsenenbildung (Kron, 2009; Gudjons, 2006). Die Gesundheitspädagogik stellt ebenfalls eine Teildisziplin bzw. Fachrichtung der Pädagogik dar und beinhaltet Begrifflichkeiten wie Gesundheitserziehung, Gesundheitsinformation und Gesundheitsbildung (Raithel, Dollinger & Hörmann, 2009). An dieser Stelle wird auf die Begrifflichkeiten Erziehung und Bildung eingegangen.
Erziehung ist die bewusste oder geplante Beeinflussung einer Person (Kron, 2009). Unter dem transitiven Verb „erziehen“ versteht man einen Vorgang, der ein bestehendes Verhältnis zwischen Menschen voraussetzt. Ein Mensch wird von jemandem erzogen. Ein Subjekt (die erziehende Person) und das Objekt (die zu erziehende Person) stehen in einem Verhältnis zueinander. Erziehung wird demnach von außen veranlasst und ist somit kein Prozess, der von der zu erziehenden Person selbst ausgeht. Zudem erfolgt Erziehung überwiegend auf einer affektiven Ebene. Es werden oft gezielt Emotionen erzeugt und als Erziehungsmittel eingesetzt (Hörner, Drinck & Jobst, 2008).
Angenommen, Gesundheitsexpert*innen geben Patient*innen oder deren Angehörigen vor, was sie in einer bestimmten Situation zu tun haben, z. B. die Durchführung einer Händedesinfektion im Rahmen eines Krankenhausbesuches vor Betreten des Zimmers. In diesem Fall steht hinter den formulierten Maßnahmen eine erzieherische Absicht. Neben der korrekten und hygienischen Vorgehensweise zur Verhinderung von Kreuzinfektionen ist das Ziel der Schutz der Patient*innen, aber auch der Angehörigen vor einer möglichen Übertragung von Keimen. Dabei steht das Eingehen auf die Bedürfnisse der Betroffenen nicht im Vordergrund. Ein weiteres Beispiel für eine erzieherische Absicht ist, wenn Patient*innen vorgegeben wird, was im Rahmen einer Behandlung zu beachten ist, wie etwa bei der Medikamenteneinnahme oder im Umgang mit einem Dosieraerosol (Harking, 2005). Erziehung ist eine psychosoziale Intervention, die im Unterricht oder zur Förderung im Allgemeinen ebenso wie in der Beratung zum Einsatz kommen kann und der persönlichen und sozialen Entwicklung zur Handlungsfähigkeit dient (Raithel, Dollinger & Hörmann, 2009).
Benner (2005) beschreibt, dass der Mensch in seiner Entwicklung durch Erziehung geprägt wird. Das kann gewissermaßen auf den Anbeginn der Zeit bzw. der menschlichen Existenz zurückgeführt werden. Erklärt wird es anhand der Prinzipien pädagogischen Denkens und Handelns, zu denen auch die Bildsamkeit sowie die Aufforderung zur Selbsttätigkeit zählen.
Im Vergleich zur Erziehung, die zumeist die emotionale Ebene anspricht, bezieht sich Bildung auf die kognitive Ebene. Als Ziel von Bildung gilt die Formung der Persönlichkeit durch die Auseinandersetzung mit Bildungsinhalten. Dies erfolgt durch die Person, die sich selbst bildet. Die Bildung der inneren Form eines Menschen kann als Outcome verstanden werden (Hörner, Drinck & Jobst, 2008). Dem Bildungsprozess vorausgehend besteht der grundlegende Wunsch der lernenden Person, sich zu bilden. Die lernende Person nimmt ein Defizit in ihrem Wissen oder Können wahr, dem sie aktiv entgegenwirken möchte. Die Bildungsziele werden demzufolge von der lernenden Person selbst bestimmt. Der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Klafki beschreibt den Begriff Bildung als einen selbstständig erarbeiteten und personal verantworteten Zusammenhang zwischen den Grundfähigkeiten der Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität (Darmann-Finck, 2011). Die Intention eines Menschen, sich zu bilden, ist der Beginn eines Prozesses, der schließlich zur Weiterentwicklung der Person führt, was in den Begriff des Lernens mündet.
Lernen ist ein Prozess, bei dem Informationen aus der Umwelt aufgenommen, gespeichert und zu einem späteren Zeitpunkt wiederverwendet werden. Durch das Speichern und Wiederabrufen von Informationen kann das Handeln der lernenden Person beeinflusst werden. Es entwickelt sich neben dem Informationszuwachs auch zunehmend Erfahrung. Lernen ist somit ein Erkenntnisprozess, der zur Vermehrung von Wissen führt (Blättner, 2005).
Wissen setzt sich aus Informationen und Erfahrungen zusammen und ist aus dem Gedächtnis abrufbar. Es ermöglicht einer Person, ihre Umwelt zu verstehen und in bestimmten Situationen entsprechend zu handeln. Dabei bildet das angeeignete Wissen die Grundlage für weitere Lern- und Denkprozesse (Schrader, 2010).
Allerdings soll hier in Form eines kurzen Exkurses angeführt werden, dass es bei der Definition von Wissen verschiedene Aspekte gibt. So kann zwischen explizitem und implizitem Wissen unterschieden werden. Die Handlungsfähigkeit einer Person wird durch das Vorhandensein dieser beiden Formen von Wissen geprägt. Das vermittelte und subjektiv erlernte Wissen im Rahmen von Bildungsveranstaltungen fällt unter den Begriff des expliziten Wissens. Implizites Wissen wird durch Erfahrungen erworben, ohne dass es zu bewusstem Lernen kommt (Schneider, 2005).
Lernen selbst kann nicht beobachtet werden, sondern ist vielmehr ein Erklärungsprinzip. Die beobachtende Person kann lediglich ermitteln, ob etwas gelernt wurde, indem sie einen Unterschied im Verhalten bzw. im Handeln feststellt. Der Unterschied wird im Nachhinein mit Bezug auf zwei verschiedene Zeitpunkte begründet (Blättner, 2005). Beispielsweise wird sich das Handeln einer Person zu Beginn ihrer Pflegeausbildung und nach Beendigung derselben unterscheiden. Somit ergeben sich zwei Messzeitpunkte, der Zeitpunkt vor und jener nach der Ausbildung. In dieser Zeitspanne findet stufenweise eine Weiterentwicklung statt. Der Wissensstand zum Thema Pflege vor und nach der Ausbildung kann sehr gut beobachtet werden. Benner (2005) beschreibt diesen Entwicklungsprozess bei Pflegepersonen anhand ihres Stufenmodells des Kompetenzerwerbs in der Pflege. Dabei handelt es sich um fünf Leistungsstufen, die durchlaufen werden, wenn Lernende Kompetenzen im pflegerischen Urteilen und Handeln entwickeln. Die einzelnen Stufen, durch die sich eine lernende Pflegeperson hindurch entwickelt, sind: Anfänger*in, fortgeschrittene/r Anfänger*in, kompetente/r Pflegende*r, erfahrene/r Pflegeende*r und Pflegeexpert*in. Das bedeutet, die Entwicklung der Kompetenz erfolgt von einem Zustand, in dem noch keine Erfahrungen zu einem Thema bestehen, hin zu einem Zustand, in dem umfassendes Wissen vorhanden ist.
Im Kontext der Edukation von Patient*innen sowie ihrer Angehörigen verhält es sich ähnlich wie in dem genannten Beispiel in der Pflegeausbildung. Menschen, die das erste Mal mit ihrer Diagnose konfrontiert sind, fehlt oftmals das notwendige Wissen über die Erkrankung. Das bedeutet, dass sich Betroffene zu Beginn erst einmal mit dem Krankheitsbild und weiters mit den damit verbundenen Veränderungen auseinandersetzen müssen, um schließlich das Leben mit ihrer Erkrankung neu zu gestalten. Dafür wird einerseits Wissen über die Krankheit und andererseits Erfahrung, die sich mit der Zeit ebenfalls einstellt, benötigt. Demzufolge entwickeln sich die betroffenen Personen und werden Expert*innen im Leben mit ihrer Erkrankung. Diese Sichtweise findet sich auch als Grundhaltung von beratenden Personen wieder, konkret im humanistischen Menschenbild. Personen mit humanistischer Grundhaltung gehen davon aus, dass Menschen aktive Gestalter ihrer Existenz sind, über verschiedene Ressourcen und Kompetenzen verfügen und ihr Leben selbst gestalten können (Bamberger, 2010).
Didaktik wird als Wissenschaft vom Lehren und Lernen definiert. Für Lehrende in der Pflege stehen wissenschaftlich begründete Handlungs- und Reflexionstheorien zur Verfügung, sogenannte pflegedidaktische Modelle. Diese Modelle beschreiben, wie Unterricht idealerweise sein soll (Darmann-Finck, 2011). Auch in der Patient*innen- und Angehörigenedukation werden didaktische Überlegungen bei der Gestaltung von Beratungssequenzen angestellt. Zum Beispiel: Wie können notwendiges Wissen und optimales Handling bei der Versorgung von Kolostomien vermittelt werden?
Im Bereich der Pädagogik finden im Kontext von Gesundheit Begrifflichkeiten wie Gesundheitsaufklärung und -information, Gesundheitserziehung sowie Gesundheitsbildung Verwendung. Unter Gesundheitsaufklärung und -information wird das Bereitstellen gesundheitsrelevanten Wissens verstanden. Im Rahmen der Gesundheitserziehung wird gesundheitsrelevantes Wissen vermittelt, das zu einer Verhaltensänderung motivieren soll. Dies erfolgt schließlich in darauf ausgerichteten Programmen, um das Gelernte zu trainieren und zu verinnerlichen. Gesundheitsbildung hat zum Ziel, Kenntnisse und Fertigkeiten zu entwickeln, um gesundheitliches Wohlbefinden selbstbestimmt zu erlangen (Raithel, Dollinger & Hörmann, 2009).
Pflegepädagogik im Speziellen versteht unter dem Begriff Didaktik die konkrete Vermittlung von Pflegewissen und befasst sich mit pflegepädagogischen Aspekten wie beispielsweise der Beratung, Gesundheitsförderung oder Anleitung (Wied & Warmbrunn, 2012).
Beratung stellt eine Grundform pädagogischen Handelns dar. Unabhängig davon, in welchen Situationen oder Settings Beratung stattfindet, ob zwischen Tür und Angel oder als geplante und prozessorientierte Aktion, finden sich zentrale pädagogische Elemente wieder (Engel, 2007a). Fran London (2010) beschreibt Beratung als einen Wesenszug der Pflege, da Pflegepersonen im Rahmen des Betreuungsprozesses sehr häufig bereits während der Verrichtung einzelner Pflegetätigkeiten entsprechendes Wissen vermitteln und somit eine beratende Funktion einnehmen.
Zentrale Merkmale der Beratung und des in ihr verankerten pädagogischen Handelns liegen im wissenschaftlichen und ethisch-moralischen Wissen begründet. Beratung ist dabei immer situations- und kontextabhängig und findet zwischen verschiedenen Personen und deren Lebenskontexten statt (Engel, 2007b).
Das Ziel einer pädagogisch gestalteten Intervention ist, dass die betroffenen Personen ihre veränderte Lebenssituation so gut wie möglich unabhängig von Gesundheitsexpert*innen gestalten können (Harking, 2005). In der Edukation werden Situationen so gestaltet, dass gemeinsam Ziele erarbeitet und formuliert werden, die es dann zu erreichen gilt. Dabei ist einerseits entscheidend, dass auf die Bedürfnisse der betreffenden Person eingegangen wird, und andererseits, dass wertvolle Informationen, die zur Bewältigung einer bestimmten Situation erforderlich sind, in das Gespräch einfließen – unter der Voraussetzung, dass die ratsuchende Person entscheidet, was sie lernen und umsetzen möchte. Die entsprechenden Lernbedürfnisse, die dann als Zielformulierungen festgelegt werden, geben schließlich Auskunft darüber, welche Verantwortung sich jeweils für die ratsuchende und die beratende Person ergibt. Dadurch entsteht eine geteilte Verantwortung in Bezug auf die Zielerreichung (London, 2010).
Um im Beruf kompetent handeln zu können, bedarf es verschiedener Kompetenzen. Der Begriff Kompetenz wird als „Lernerfolg in Bezug auf den einzelnen Lernenden und seine Befähigung zu eigenverantwortlichem Handeln in beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Situationen“ (Schewior-Popp, 2014, S. 4) definiert. Die Entwicklung individueller Handlungskompetenz ist abhängig vom Erwerb expliziten und impliziten Wissens und wird von der Handlungsbereitschaft, die als Fähigkeit vorhanden ist und durch den Willen und das Selbstvertrauen der betreffenden Person bestimmt wird, beeinflusst (Schneider, 2005).
Grundvoraussetzungen für die Entwicklung von Handlungskompetenz sind kognitive, affektive und psychomotorische Fähigkeiten (Mamerow, 2016):
•kognitive (intellektuelle) Fähigkeiten: systematisches Denken, verantwortliches Handeln, Allgemeinbildung, kritisches Denken, Urteilsvermögen, Verständnis, Anwendung von Fachwissen;
•affektive (zwischenmenschliche) Fähigkeiten: Kontakt- und Beziehungsfähigkeit, Empathie, Akzeptanz, Fürsorgefähigkeit, emotionale Kompetenz, Kreativität, Anpassungsfähigkeit, Kritikfähigkeit, Kooperationsfähigkeit, Beobachtungsfähigkeit, Beratungsfähigkeit;
•psychomotorische (technische) Fertigkeiten: Geschicklichkeit, Fähigkeit, Techniken und Verfahrensweisen zu nutzen, Umgang mit Geräten und Instrumenten sowie Hilfsmitteln.
Die unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten können verschiedenen Kompetenzbereichen zugeordnet werden. Zu den einzelnen Kompetenzbereichen gehören Fach-, Methoden-, Sozial- und Personalkompetenz. Für die Entwicklung von Handlungskompetenz bedarf es der Fähigkeiten und Fertigkeiten aus den genannten Kompetenzbereichen.
Fachkompetenz entwickelt sich durch den Erwerb pflegerischen Fachwissens, das auf den Erkenntnissen und dem aktuellen Stand der Pflegewissenschaft beruht. Dies bezieht sich beispielsweise auf die Kenntnisse bestimmter Leitlinien zu Themen wie Schmerzmanagement, Sturzprophylaxe oder Entlassungsmanagement, aber auch auf Fachwissen über Wahrnehmungsprozesse oder Kommunikationsregeln (Büker, 2015). Das erworbene Fachwissen führt zu selbstorganisiertem Handeln, weil durch die fachlichen Kenntnisse und Fertigkeiten an fachbezogenen Problemen gearbeitet werden kann (Schneider, 2005).
Methodenkompetenz umfasst alle Fähigkeiten und Fertigkeiten, die dazu beitragen, Lern- und Arbeitsmethoden in bestimmten Situationen korrekt anzuwenden – z. B. die situationsgerechte Anwendung eines bestimmten Beratungsmodells, die Integration von Informations- und Anschauungsmaterial in den Beratungsprozess (Büker, 2015) oder die systematische Anwendung des Pflegeprozesses für die Erarbeitung eines individuell gestalteten Pflegeplans.
Sozialkompetenz zählt zu den Soft Skills; darunter versteht man Fähigkeiten, die für sämtliche Kommunikations- und Interaktionsprozesse benötigt werden. Dazu gehört beispielsweise die Fähigkeit, Patient*innen sowie deren Familienmitglieder in ihrem biografischen und lebensweltlichen Kontext wahrzunehmen und die systemischen Zusammenhänge zu erfassen sowie die gruppendynamischen Prozesse in Beratungsprozesse miteinzubeziehen (Büker, 2015).
Personale Kompetenz wird von Wertehaltungen, dem Selbstbild und den individuellen Motiven geprägt (Schneider, 2005), zählt ebenfalls zu den erwähnten Soft Skills und bezieht sich auf die Fähigkeit der Selbstwahrnehmung, auf die Selbstsicherheit und/oder die Reflexionsfähigkeit (Büker, 2015).
Übung zur personalen Kompetenz
Machen Sie sich zu folgenden Fragen Gedanken und notieren Sie diese: Wie nehme ich mich selbst und wie nimmt mich mein Umfeld als Pflegeperson wahr? Wie gehe ich mit meinen Emotionen im beruflichen Alltag um? Inwieweit reflektiere ich mein Handeln nach einer abgeschlossenen Pflegetätigkeit?
2 Aufgabenbereiche der Pflege im Kontext der Edukation (pflegerische Kernkompetenzen)
Pflegerische Kernkompetenzen sind in Österreich im § 14 des Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes (GuKG) (BGBl. I Nr. 54/2017 idgF) geregelt. Das GuKG bietet den rechtlichen Rahmen für den gehobenen Dienst der Gesundheits- und Krankenpflege. Hier sind u. a. Berufspflichten sowie sämtliche Kompetenzbereiche im Zusammenhang mit dem Berufsbild abgebildet. Für die Edukation in der Pflege soll nun auf einen Teilbereich daraus eingegangen werden. Neben der Beratung zur Gesundheits- und Krankenpflege sowie der Durchführung von Schulungen sind insbesondere die Förderung der Gesundheitskompetenz, die Gesundheitsförderung und die Prävention als pflegerische Kernkompetenzen angeführt. Die genannten pflegerischen Kernkompetenzen weisen auf mehrere Aufgabenfelder der Pflege hin. Um ein Verständnis davon zu vermitteln, welche Zuständigkeiten die Pflege hat, wird im Folgenden auf die Teilbereiche
• Gesundheitskompetenz,
• Gesundheitsförderung und
• Prävention
eingegangen und eine Verbindung zum Aufgabenfeld Edukation in der Pflege hergestellt. Da es sich bei den Begrifflichkeiten um komplexe Aufgabenfelder handelt, liegt das Ziel vor allem darin, diese Begrifflichkeiten bzw. Schlagworte verstehbar zu machen.
2.1 Gesundheitskompetenz
Der Begriff Gesundheitskompetenz wurde aus dem Englischen health literacy übersetzt (Thilo, Sommerhalder & Hahn, 2012) und stellt ein multidimensionales Konzept dar, welches in den 1970er-Jahren im angloamerikanischen Raum eingeführt wurde, als Gesundheitserziehung (health education) zunehmend an Bedeutung gewann. Die Wurzeln des Konzepts Gesundheitskompetenz liegen demnach im Bildungswesen (Nutbeam, 2000).
Gesundheitskompetenz verfolgt das Ziel, Menschen in der Bevölkerung dahingehend zu befähigen, sich im Gesundheitswesen zurechtzufinden und Maßnahmen zur Krankheitsprävention sowie Gesundheitsförderung zu ergreifen und umzusetzen. Dafür ist eine Vielzahl von Fähigkeiten erforderlich, welche von jedem Individuum, einer Gruppe und/ oder einer Gesellschaft benötigt werden, um den hohen Anforderungen des komplexen Gesundheitssystems unserer modernen Gesellschaft gerecht zu werden (Sørensen et al., 2012). Grundfertigkeiten, die für die Entwicklung von Gesundheitskompetenz benötigt werden, beziehen sich auf individuelle und soziale Fertigkeiten. Allgemein zählen dazu die Fähigkeiten zu lesen, zu schreiben und zu rechnen. Um sinnerfassend lesen zu können, ist ein entsprechendes Sprachverständnis erforderlich. Darüber hinaus werden Fertigkeiten benötigt, die es einem ermöglichen, Zugang zu Gesundheitsinformationen zu bekommen. Dies setzt bspw. Recherchefähigkeiten, aber auch Kommunikationsfähigkeiten im Umgang mit Personen aus dem Gesundheitswesen voraus. Danach müssen die erhaltenen Informationen richtig verstanden und beurteilt werden, damit schließlich die relevanten Gesundheitsinformationen für die eigene Gesundheit eingesetzt und genutzt werden können (BMG, 2012; Thilo et al., 2012). Für die Entwicklung von Gesundheitskompetenz sind konkret vier Kompetenzbereiche wichtig: access, understand, appraise und apply (Sørenson et al., 2012):
• „Access“ beschreibt die Fähigkeit, nach gesundheitsrelevanten Informationen zu suchen und relevante Informationen zu finden.
• „Understand“ bezieht sich auf die Fähigkeit, die Informationen inhaltlich zu verstehen.
• „Appraise“ meint die Fähigkeit, die recherchierten Informationen kritisch zu betrachten, d. h. beurteilen und somit bewerten zu können.
• „Apply“ ist die Fähigkeit, die Informationen anzuwenden, um gesundheitsrelevante Entscheidungen treffen zu können und dadurch den Erhalt der Gesundheit sicherzustellen.
Beeinflusst wird die Entwicklung von Gesundheitskompetenz von individuellen Verhaltensweisen, sozioökonomischen und/oder umweltbedingten Faktoren (Nutbeam, 2000).
Thilo et al. (2012) haben die nachfolgend angeführte Definition von Gesundheitskompetenz für den Pflegebereich entwickelt:
„Gesundheitskompetenz ermöglicht der/dem Patienten(in)/Angehörigen, gesundheitsrelevante Informationen zu erschließen, zu verstehen, zu nutzen, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden, Fragen im Kontext von Gesundheit und Krankheit zu stellen und eigene Bedürfnisse zu formulieren. Um gesundheitskompetent zu sein, benötigt die/der Patienten(in)/Angehörige die Fähigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens. Gesundheitskompetenz trägt dazu bei, informierte Entscheidungen zu treffen und dadurch eine aktive Rolle für die Gesundheit zu übernehmen, um diese aufrechtzuerhalten, zu fördern oder wiederherzustellen.“ (Thilo, Sommerhalder & Hahn, 2012, S. 434)
Die Definition veranschaulicht die Komplexität, die hinter dem Begriff Gesundheitskompetenz steht, und zeigt, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten Patient*innen und ihre Angehörigen benötigen, um sich selbst gesund zu halten und folglich die gesundheitsbezogene Lebensqualität zu verbessern. Die daraus resultierende Aufgabe der professionellen Pflege ist die Unterstützung von Patient*innen und deren Angehörigen bei der Entwicklung von Gesundheitskompetenz, um ausreichend Informationen bzw. Wissen zu erwerben, um gesundheitsbezogene Entscheidungen treffen und eine aktive Rolle für die Aufrechterhaltung ihrer Gesundheit übernehmen zu können.
Gesundheitskompetenz ist also ein bestimmender Faktor (Determinante) für die Entwicklung und/oder Aufrechterhaltung des Gesundheitszustandes. Das bedeutet, dass Gesundheitskompetenz maßgeblich dazu beiträgt, dass eine Person oder eine Bevölkerungsgruppe Verantwortung für die eigene Gesundheit übernimmt. Gleichzeitig ist Gesundheitskompetenz als Outcome für gesetzte Maßnahmen in den drei Gesundheitsbereichen Gesundheitsversorgung (health care), Gesundheitsförderung (health promotion) und Krankheitsprävention (prevention) zu verstehen. Zu den Maßnahmen zur Entwicklung von Gesundheitskompetenz zählen unter anderem die Gesundheitsaufklärung im Sinne der Patient*innenedukation sowie das Bereitstellen von gedruckten und/ oder digitalisierten Gesundheitsinformationen (Mancuso, 2008; Nutbeam, 2000; Sørensen et al., 2012).
Die Entwicklung von Gesundheitskompetenz ist ein Prozess, welcher sich im Laufe eines Lebens stetig verändert (Sørenson et al., 2012) und Menschen dazu befähigt, gesundheitsrelevante Entscheidungen zu treffen, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden und ihre Gesundheit zu fördern und zu erhalten. Das bedeutet, dass Menschen über die bereits genannten Fähigkeiten hinaus auch die Fähigkeit zur Reflexion über das eigene Handeln benötigen. Das Bewusstsein über das eigene Gesundheitsverhalten und die Reflexion darüber werden von den individuellen Fähigkeiten geleitet. Es ist nicht nur die Reflexion, sondern auch der Austausch über bestehendes Gesundheitswissen, der zu vermehrter Selbstbestimmung und gesundheitsförderndem Verhalten befähigt (Thilo, Sommerhalder & Hahn, 2012).
Demzufolge kann Gesundheitskompetenz als geteilte Aufgabe verstanden werden. Soziale und individuelle Faktoren interagieren mit individuellen Fähigkeiten und den Forderungen des Gesundheitssystems. Alle Beteiligten, die in Sachen Gesundheit an der Kommunikation beteiligt und in die Entscheidungen involviert sind (Patient*innen, Gesundheitsanbieter*innen und Lai*innen), sind für die Entwicklung der erforderlichen Gesundheitskompetenz eines Individuums oder einer Gesellschaft entscheidend (Sørensen et al., 2012).
Um den Kontext zur Edukation in der professionellen Pflege herzustellen, wird ein Auszug aus dem Berufsbild des österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes angeführt, in dem explizit auf die Förderung von Gesundheitskompetenz eingegangen wird:
„Der gehobene Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege entwickelt, organisiert und implementiert pflegerische Strategien, Konzepte und Programme zur Stärkung der Gesundheitskompetenz, insbesondere bei chronischen Erkrankungen, im Rahmen der Familiengesundheitspflege, der Schulgesundheitspflege sowie der gemeinde- und bevölkerungsorientierten Pflege.“ (BGBl. I Nr. 54/2017 GuKG § 12 [5])
Wie dem Gesetzestext entnommen werden kann, ist als wesentliche Aufgabe der Pflege die Stärkung von Gesundheitskompetenz im Berufsbild verankert. Nicht nur die Stärkung allein, auch die Entwicklung und Organisation von pflegerischen Konzepten zur Stärkung der Gesundheitskompetenz ist Teil der pflegerischen Kernkompetenzen der Gesundheits- und Krankenpflege in Österreich.
Pflegepersonen leisten einen Beitrag im Bereich der Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention, wenn sie Menschen bei der Entwicklung von Gesundheitskompetenz fördern. Dabei kann als zentrale Aufgabe beispielsweise die Unterstützung von Menschen mit chronischen Erkrankungen sowie ihres sozialen Umfeldes genannt werden. Durch Programme, die zur krankheitsspezifischen Förderung des Selbstmanagements konzipiert wurden, können die Betroffenen dahingehend unterstützt werden, ihr Leben eigenverantwortlich zu bewältigen und ungünstige Krankheitsverläufe zu verhindern. Dabei werden sie bestärkt, aktiv die eigene Gesundheit zu gestalten (BMG, 2012).
Im Allgemeinen werden Fachpersonen der Gesundheitsförderung und Gesundheitsberufe dazu angehalten, durch bestimmte Maßnahmen wie z. B. Bereitstellung von materiellen Hilfen, Unterstützung bei der Reflexion von Problemen und Bedürfnissen sowie bei Entscheidungen und Lösungsfindung (BMG, 2012) eine unterstützende und begleitende Funktion einzunehmen. Pflegepersonen nehmen im Rahmen der Patient*innen- und Angehörigenedukation eine zentrale Rolle ein, da sie durch die Erfassung und Förderung der Gesundheitskompetenz gezielt Einfluss auf die Entwicklung derselben nehmen, indem sie gesundheitsrelevante Informationen verständlich aufbereiten. Hinzu kommt die wesentliche Aufgabe der professionellen Pflege, Patient*innen sowie ihre Angehörigen dabei zu unterstützen, gesundheitsrelevante Fragen zu stellen, damit sie ausreichend Wissen generieren können, um informierte Entscheidungen im Kontext von Gesundheit und Krankheit treffen zu können (Thilo, Sommerhalder & Hahn, 2012). Wichtig dafür ist vor allem auch die Auseinandersetzung damit, wie zentrale Informationen in schriftlicher und/oder mündlicher Form gut aufbereitet werden können. Dafür ist eine Fülle von Überlegungen notwendig, wie beispielsweise, ob die Informationen gut lesbar, verständlich, in mehreren Sprachen vorhanden und unter Verwendung klarer Piktogramme aufbereitet sind (BMG, 2012). Im Kap. 3.2 (Tabelle 2) befindet sich dazu eine Checkliste, welche konkrete Kriterien für die Erstellung von Patient*inneninformationen beinhaltet.
Gesundheitskompetenz kann anhand unterschiedlicher Outcomes, wie etwa den Gesundheitsausgaben, dem Gesundheitsverhalten und/oder der Nutzung gesundheitsbezogener Dienstleistungen, beobachtet werden (Sørensen et al., 2012). Hohe Gesundheitskosten, ein Wissensdefizit hinsichtlich Erkrankungsbildern und Behandlungen, eingeschränkte Selbstmanagementfähigkeiten, vermehrte Medikationsfehler bzw. medikamentös bedingte Behandlungsfehler und/oder eingeschränkte Fähigkeiten, sich im Gesundheitssystem zurechtzufinden, sind Auswirkungen mangelnder Gesundheitskompetenz (Mancuso, 2008).
Im Jahr 2011 wurde von der Gesundheitspolitik in Europa eine Erhebung der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung durchgeführt, welche sich mit Fragen zu den vier Kompetenzbereichen und den drei Gesundheitsbereichen befasste (Sørensen et al., 2013, 2015). Die Ergebnisse zeigten, dass die Gesundheitskompetenz der untersuchten europäischen Bevölkerung im Durchschnitt bei 47,6 % liegt. Das bedeutet, dass jede zweite Person eine unzureichende oder problematische Gesundheitskompetenz aufweist, wobei bestimmte Subgruppen – Personen mit schlechtem Gesundheitszustand, niedrigem sozioökonomischem Status, niedrigem Bildungsniveau, hoher Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen sowie hohem Alter – besonders betroffen sind (Sørensen et al., 2015). An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass weitere Untersuchungen darauf hinweisen, dass Faktoren wie etwa der soziökonomische Status und/oder das Bildungsniveau nicht zwingend mit der Entwicklung von Gesundheitskompetenz in Verbindung gebracht werden können. Auch Personen unterschiedlicher Professionen wie Lehrer*innen, Mediziner*innen und Pflegefachkräfte verfügen nicht durchgehend über dasselbe Maß an gesundheitsbezogenen Kompetenzen (Steckelberg, 2014). Demnach ist es wichtig, auf die jeweilige Situation der Betroffenen einzugehen, um individuelle Unterstützungsangebote zur Entwicklung von Gesundheitskompetenz anbieten zu können.
2.2 Gesundheitsförderung
Die Gesundheitsförderung beschäftigt sich mit Prozessen, die es einem Menschen ermöglichen, bei verändertem Gesundheitszustand Probleme zu bewältigen und seine Gesundheit wieder zu stärken (Bartholomeyczik, 2006).
Definition der Gesundheitsförderung laut Weltgesundheitsorganisation
„Health promotion is the process of enabling people to increase control over, and to improve their health. It moves beyond a focus on individual behavior towards a wide range of social and environmental interventions.“ (WHO, 2017)
Ziel der Gesundheitsförderung ist es, Gesundheit und Wohlbefinden zu erhalten (Röhrle, 2007). Gesundheitsförderung hängt eng mit dem salutogenetischen Modell zusammen. Dieses wurde von dem Medizinsoziologen Aaron Antonovsky (1923–1994) begründet. Er beschäftigte sich mit der Frage, warum Menschen trotz vielfältiger Risikofaktoren und Belastungen meist gesund bleiben und welche Ressourcen wirksam werden, wenn Menschen bestimmte Situationen bewältigen oder sich behaupten müssen (Antonovsky, 1998; Bamberger, 2010). Dabei wird nicht nach psychosozialen Faktoren gefragt, die einen Menschen krank machen, sondern nach Einflüssen, die es ermöglichen, dass Menschen trotz krankmachender Faktoren gesund bleiben (Bartholomeyczik, 2006). Die Salutogenese als Gegenstück zur Pathogenese befasst sich mit der Entwicklung und Entstehung von Gesundheit (Klemperer, 2010). Eine zentrale Ressource dafür ist das Kohärenzerleben, das Menschen dazu befähigt, ihr Leben und Handeln innerlich als zusammenhängend wahrzunehmen (Hausmann, 2005).
Das Gesundheits-Krankheits-Kontinuum ist ein zentraler Aspekt des salutogenetischen Modells. Das Wort „Kontinuum“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „zusammenhängend“. Gesundheit und Krankheit sind als die beiden Pole eines Kontinuums zu verstehen und hängen somit zusammen (Abb. 1). Eine strikte Trennung voneinander ist demnach nicht möglich (Antonovsky, 1997). Krankheit kann unter dieser Annahme nicht als ein abgesondertes Phänomen angesehen werden. Der Mensch ist nicht absolut krank oder absolut gesund, es sind fortwährend beide Anteile vorhanden (Hüper & Hellige, 2009). Das folgende Zitat verdeutlicht diese Betrachtungsweise: „Wir sind alle sterblich. Ebenso sind wir alle, solange noch ein Hauch von Leben in uns ist, in einem gewissen Ausmaß auch gesund.“ (Antonovsky, 1997, S. 23)
Abbildung 1: Salutogenetisches Model noch Antonovsky (Antonovsky, 1997; Brieskorn-Zinke, 2000; Schieron, 2021), eigene Darstellung.
Alle Bestrebungen zielen folglich darauf ab, die Situation des Menschen zu jedem Zeitpunkt des Lebens in diesem Kontinuum zu untersuchen, zu lokalisieren und einen Beitrag zur Veränderung in Richtung Gesundheit zu leisten (Antonovsky, 1997). Dabei wird die Perspektive weg von der Erkrankung und von den Fragen nach der Ätiologie hin zur Gesundheit gerichtet. Das Ziel ist schließlich die Beantwortung der Frage, wie Menschen gesünder und weniger krank werden (Hüper & Hellige, 2009). Bartholomeyczik (2006) beschreibt den Perspektivenwechsel treffend als eine Entwicklung von der Sichtweise der Krankheitsentstehung hin zur Sichtweise der Gesundheitsentstehung; aus der Pathogenese wird die Salutogenese. Dieser Perspektivenwechsel entstand aus der Erkenntnis, dass Stress krank machen kann, dies aber nicht auf alle Menschen in gleichem Maße zutreffen muss.
Das Kohärenzgefühl oder sense of coherence (SOC) ist die Hauptdeterminante für jene Position, auf der sich ein Mensch im Gesundheits-Krankheits-Kontinuum befindet, je nachdem, wie nahe er der Gesundheit ist (Antonovsky, 1997). Es beschreibt, inwieweit eine Person das Leben als sinnvoll, lohnend, verstehbar und handhabbar wahrnimmt (Bartholomeyczik, 2006; Klemperer, 2010). Der Grad der Ausprägung des Kohärenzgefühls ist für die Bewältigung allgemeiner Belastungen und im Speziellen für die Bewältigung von Notfällen und akuten Erkrankungen wesentlich und beinhaltet die Fähigkeit, passende Copingstrategien zu entwickeln (Hausmann, 2005).