Ein Angelausflug ins Gebirge - Halldór Laxness - E-Book

Ein Angelausflug ins Gebirge E-Book

Halldór Laxness

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Beschreibung

Eine alte Frau, die ihre Liebe zu Tieren nur in allerlei Kraft ausdrücken zu formulieren weiß. Ein rauschendes Fest würdiger Damen und Herren aus rätselhaftem Anlass. Ein alter Kassierer, der statt Fischen lieber die Dienstmädchen seines Nachbarn angelt, während sein Wohnzimmer von einem merkwürdigen Ungeziefer befallen wird. Seine Ehefrau, die unterdessen mit dem Omnibus auf dem Weg nach Reykjavík ist, oder allenfalls mit dem Omnibusfahrer. In sieben Erzählungen – die noch nie in deutscher Sprache erschienen sind – entführt der Literaturnobelpreisträger Halldór Laxness seine Leser in die große Welt einer kleinen Insel, wo das Tragische über das Komische, das Reale über das Surreale stolpert. Seine höchst skurrilen und doch zutiefst liebenswerten Figuren sind unterwegs auf den denkbar schönsten Reisen, solchen, die selbst dann noch bildhaft in Erinnerung sind, wenn man alt und blind in einem Sessel am Fenster sitzt.

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Halldór Laxness

EIN ANGELAUSFLUG INS GEBIRGE

Aus dem Isländischen und mit einem Nachwort von Hubert Seelow

Eine alte Frau, die ihre Liebe zu Tieren nur in allerlei Kraftausdrücken zu formulieren weiß. Ein rauschendes Fest würdiger Damen und Herren aus rätselhaftem Anlass. Ein alter Kassierer, der statt Fischen lieber die Dienstmädchen seines Nachbarn angelt, während sein Wohnzimmer von einem merkwürdigen Ungeziefer befallen wird. Seine Ehefrau, die unterdessen mit dem Omnibus auf dem Weg nach Reykjavík ist, oder allenfalls mit dem Omnibusfahrer …

In sieben Erzählungen - die noch nie in deutscher Sprache erschienen sind - entführt Halldór Laxness seine Leser in die große Welt einer kleinen Insel, wo das Tragische über das Komische, das Reale über das Surreale stolpert. Seine höchst skurrilen und doch zutiefst liebenswerten Figuren sind unterwegs auf den denkbar schönsten Reisen, solchen, die selbst dann noch bildhaft in Erinnerung sind, wenn man alt und blind in einem Sessel am Fenster sitzt.

HALLDÓR LAXNESS, geboren in Reykjavík, lebte von 1902 bis 1998. Er hat ein umfangreiches Werk geschaffen, das tief in der reichen Tradition der isländischen Literatur wurzelt und gleichzeitig der europäischen Avantgarde angehört. Sechzig Bücher - Romane, Erzählungen, Dramen, Gedichte, Essays und Erinnerungen - hat Laxness veröffentlicht, in über vierzig Sprachen wurde er übersetzt. 1955 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

HUBERT SEELOW, Professor für Nordische Philologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, ist Herausgeber und Übersetzer der Werke von Halldór Laxness.

Inhaltsverzeichnis
EIN ANGELAUSFLUG INS GEBIRGE
EIN SICHERER ORT
DAS TAUBENFEST
EIN ANGELAUSFLUG INS GEBIRGE
EINE GROSSE VERIRRUNG IM NORDWESTLAND
CORDA ATLANTICA
JÓN AUS BROTHAUS
EIN VOGEL AUF DEM ZAUNPFAHL
NACHWORT

EIN SICHERER ORT

Schon mehrmals habe ich von einer alten Frau erzählt, die ich vor langer Zeit kannte und die ihr Leben lang auf einem Hof östlich des Gebirges gewohnt hatte. Sie hatte ihrem Mann sechs Kinder geboren, aber nur eine ihrer Töchter erreichte das Erwachsenenalter. Diese Menschen waren mit mir verwandt.

Drei der Kinder dieser Frau trugen den Namen Gudrun. Die erste Gudrun wurde im ersten Ehejahr während der Heuernte geboren. Sie starb im Alter von gut drei Jahren; das war Ende Oktober. Im Jahr darauf, auch während der Heuernte, wurde die zweite Gudrun geboren. Als sie vierzehn Jahre alt war, trug der Pfarrer sie als Bauerntochter von jenem Hof ein; das war damals ein großes Wort. Nun erinnert nur noch dieses Wort an das Mädchen. Sie starb im selben Jahr, in dem sie im Kirchenbuch diesen Ehrentitel erhielt. Die dritte Gudrun lächelte nicht lange auf der Welt, denn sie wurde im Jahr darauf Ende Juni geboren und starb im selben Jahr an Weihnachten. Es ist eigenartig, dass diese Frau so starrköpfig an dem Namen Gudrun festgehalten hat bei ihrem Ringen mit jenem Herrn, der gibt und nimmt und immer gleich groß ist. Die Gudrun, nach der sie ihre Töchter nannte, muss der Frau ganz besonders unvergesslich gewesen sein. Schließlich musste sich die Frau in diesem ungleichen Wettstreit geschlagen geben, denn ihr Mann ertrank im Frühjahr an Ostern. Somit entstanden keine neuen Gudrunen mehr.

Wahrscheinlich war diese Frau nur durchschnittlich intelligent. Doch sie war intelligent genug, sich nie mit philosophischen Dingen abzugeben. Ich habe sie aber auch nie klagen hören, und ich kannte diese Frau recht gut, da ich lange zu ihren Füßen saß. Sie konnte die Passionslieder auswendig, sprach aber in seltsam schleppendem Ton, wenn sie sie aufsagte, als ob es Latein wäre. Diese Frau war schon meiner frühesten Erinnerung nach so schmächtig und zerbrechlich, dass wahrscheinlich schon ein kleiner Windhauch genügt hätte, um sie wegzuwehen wie einen dürren Grashalm. Sie trotzte jedoch mehr Winden als viele starke Männer, denn sie lebte, bis sie zweiundneunzig war, da schlief sie eines Morgens wieder ein, nachdem sie aufgewacht war, und starb.

Sagte ich, dass sie nicht gut in philosophischen Dingen gewesen sei? Na ja. Möglicherweise war ich selber schlecht in philosophischen Dingen. Das eine Mal, als ich hätte fragen sollen, da fragte ich nicht. Ich war wohl kaum zehn Jahre alt, als dies geschah. Ich las in der neuen Bibel. Da kam diese alte Frau zu mir. Sie hatte nicht viel für Bücher übrig, wollte aber immer wissen, was ich las. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass sie mich je gebeten hätte, ihr aus einem anderen Buch als der Heljarslódarorrusta vorzulesen. Und obwohl sie nie lachte, war es immer dasselbe, wenn ich eine Weile aus diesem Buch vorgelesen hatte, bekam sie Seitenstechen und bat mich, das Buch zuzumachen.

Was liest du denn da, kleiner Dóri, sagt die Frau.

Das ist die Bibel, sage ich.

Schau an, sagt die Frau.

Sie steckte sich oft den Zeigefinger zwischen die Kiefer, wenn sie nachdenklich war. Dann ging sie weiter und murmelte vor sich hin:

Ach, es ist nicht alles wahr, was da drinsteht, in dieser Bibel.

Was wollte die Frau damit sagen? Sie hat hoffentlich damit nicht sagen wollen, dass er, der die Bibel inspiriert hat, nicht der wahre Gott sei? Oder die Welt, die er geschaffen hat, nicht echt? Vielleicht noch nicht völlig erlöst? Nicht alles wahr, aber manches vielleicht! Mit anderen Worten, lieber weniger glauben als viel. War sie der Ansicht, die Allmacht habe sie für die Sünde bestraft, zu viel zu glauben, als sie die drei Gudrunen bekam und hoffte, dass vielleicht eine am Leben bleiben dürfe? Trotz allem saß dort der kleine Dóri, so dass es vielleicht nichts schadete, ein klein wenig zu glauben. Es ist wirklich schade, dass ich nicht fragte.

Unser Hund hieß nur Snati, es hat uns wahrscheinlich an Phantasie gefehlt, was Hundenamen betraf, und er war zweifellos auch ein ganz gewöhnlicher Hund. Wir waren dennoch gute Freunde, und ich tätschelte ihn und sagte ein Gebet für ihn auf, wenn er sich am Morgen draußen auf der Wiese, wo alle mähten und rechten, schlafen legte. Ich glaubte, dass dieser Hund mein bester Freund sei, obwohl er meinte, er habe gemeinsame Pflichten mit dem Hütejungen, was sich daran zeigte, dass er mit dem Hütejungen ging, wenn er vom Hütejungen und von mir gleichzeitig gerufen wurde; wenn er aber vom Knecht und vom Hütejungen gleichzeitig gerufen wurde, dann lief Snati dem Knecht hinterher. Ich deutete das so, dass der Hund sich seiner Pflichten in der Gesellschaft bewusst sei. Wenn der Hund weibliche Wesen sah, wurde er immer sehr unterwürfig, denn er wusste, woher Fischhäute und Knochen kamen, obwohl es ihm nie eingefallen wäre, einer Frau auch nur bis zum Schafspferch zu folgen.

Ach, du sollst kein Kreuz schlagen über dem Hundevieh, mein Kleiner, sagte die alte Frau.

Sie sprach in einem entschuldigenden, nachsichtigen Ton über alles und alle, selbst über schlechtes Wetter. Als ich zum ersten Mal ins Ausland reiste, bat sie mich, einen Gruß auszurichten: Wenn du irgendwo eine arme, alte Frau triffst, die genauso kränklich ist wie ich, dann grüße sie bitte von mir.

Ich fand, dass das eine ziemlich dürftige Botschaft an die große Welt sei. Jetzt, viele Jahre später, wundere ich mich über all die Bescheidenheit, Güte und Furchtlosigkeit, die in diesen wenigen Worten zum Ausdruck kommt.

Wenn sie über Tiere sprach, folgte sie einer festen nationalen Rangordnung. Da wurden die Präzedenzregeln nicht durcheinandergebracht. Sie sagte, man sollte bei Gott nie Fürbitte einlegen für einen Hund, auch nie freundlich zu einem Hund oder über einen Hund sprechen. Man durfte ihn nicht als Tier bezeichnen und eigentlich auch nicht als Geschöpf, sondern sollte ihn Vieh, Töle oder Köter nennen. Luder, Untier, Abschaum, Schlingel, Teufel waren dagegen die Titel, die der Katze vorbehalten waren. Dabei goss die Frau immer ein paar Tropfen von ihrer Milch in eine Untertasse für das Katzenluder. Es war undenkbar, dass diese Frau mit dem Fuß nach einem Tier trat. Einmal verbot sie mir, die Katze gegen den Strich zu streicheln. Ich habe jedoch nie gesehen, dass sie die Katze mit dem Strich gestreichelt oder an diesen Teufel ein freundliches Wort verloren hätte. Trotzdem kann ich mich nicht daran erinnern, dass die Katze während meiner ganzen Kindheit ihren selbstverständlichen und unbestreitbaren Platz irgendwo anders als auf dem Bett bei dieser alten Frau zu haben glaubte.

Obwohl sie Snati selten etwas anderes als Vieh oder Köter nannte, hob sie immer die Knochen aus ihrem Fleischstück und die schrumplige Haut vom Stockfisch für ihn auf, oder die Schwarzbrotkanten, die sie nicht beißen konnte. Sie wickelte diese Köstlichkeiten in ein Tuch und steckte sie in ihre Rocktasche, bis sie das nächste Mal hinausging. Dabei gehörte es nicht zu ihren Aufgaben, den Hund zu füttern, der im Übrigen reichlich zu fressen bekam. Aber kaum war diese Frau vor die Haustür getreten, vergaß der Hund mich, seinen besten Freund, und fing an, voller Freude und Zutraulichkeit an ihr hochzuspringen, was ausdrücken sollte, dass ihm andere Leute eine Zeitlang unwichtig waren. Sie machte nie Anstalten, ihn zu streicheln, sondern zog die Essensreste aus ihrer Rocktasche und warf sie ihm hin mit den Worten: Da, und pfui, schäm’ dich.

Ich möchte hinzufügen, dass unsere Katze der größte Feind des Hundes war. Die Feindschaft zwischen den beiden schien außerhalb der Welt, die wir wahrnehmen, ihren Ursprung zu haben. In dem Verhältnis zwischen ihnen ging es nicht um Argumente, nur um Maul und Klauen, und da gab es kein Pardon. Manchmal gingen sie in großem Bogen umeinander herum, damit den Leuten die Schwierigkeiten, die dieses schlechte Einvernehmen mit sich brachte, erspart blieben. Diese Höflichkeit galt nicht, wenn sie außerhalb des Hauses aufeinandertrafen. Manchmal glaube ich, dass diese Frau es am liebsten gesehen hätte, wenn sowohl der Hund als auch die Katze aufgehängt worden wären.

Selten habe ich einen so feierlichen Gesichtsausdruck gesehen wie den Snatis, als ich mit der Frau an einem wolkenlosen Frühlingstag auf die Heide hinausging, um Rossäpfel zu suchen. Sie liegen da wie lackierte und polierte Gegenstände aus Hartholz und glänzen in der Sonne, hervorragendes Brennmaterial. Sie trug es in ihrer Schürze nach Hause. Alle Vögel waren schon wieder da. Wir gingen auch an einem ruhigen sonnenhellen Herbsttag und holten Süßgras in der Senke am unteren Ende der Hauswiese, wo die drei Bäche zusammenflossen. Da waren alle Vögel schon fort, und es war still geworden in der Natur. Der Duft des Süßgrases ist noch immer dort, man riecht ihn auch mitten im Winter. Aus diesem Süßgras machten wir kleine Sträußchen, die sie in ihre Sonntagsjacke legte, in der sie dann begraben wurde.

Es macht Spaß, wenn wir zu dritt bei dem schönen Wetter draußen sind und etwas holen, sage ich.

Wir sind doch nur zu zweit, lieber Dóri, sagte die alte Frau.

Eins, zwei, drei, zählte ich.

Einen Hund zählt man nicht, sagte die alte Frau.

Er ist doch ein Geschöpf, sage ich.

Das habe ich noch nie gehört, sagte die alte Frau. Die Kuh hingegen, die hat man östlich vom Gebirge Geschöpf genannt, sogar gesegnetes Geschöpf.

Irgendwie schien mir das nicht besonders demokratisch gedacht zu sein, aber ich sagte nichts, denn ich wusste, dass diese Frau keinen Unsinn sagte. Der Hund wälzte sich in der Heide und brummte vor Wohlbehagen über diese Reise. Noch immer finde ich, dass dies eine der schönsten Reisen war, die ich je unternommen habe, und wahrscheinlich ist sie die einzige, an die ich mich erinnern werde, wenn ich als Hundertjähriger in meinem Sessel am Fenster sitze, ohne sehen zu können.

Ich weiß nicht, ob es in Island schon immer so gewesen ist, aber überall dort, wo ich mich auskannte, durften Hunde nicht ins Haus. Vielleicht war dieser Brauch nur so alt wie der Kampf gegen den Hundebandwurm. Snati ging nie weiter als bis in den Anbau am Kellereingang. Dort war sein Sack. Wenige wussten besser, wo die Rechte eines Hundes an ihre Grenzen stießen. Von dem Anbau gelangte man in einen großen Vorraum, wo das Gesinde seine nasse Arbeitskleidung und sein Werkzeug ablegte. Dann kam eine Tür, die aufging, wenn man leicht von außen dagegen drückte. Dahinter führte eine Treppe in die Küche hinauf. Die Küche war verbunden mit der Frauenstube, die Schlafraum und gleichzeitig der Ort war, an dem die Wolle verarbeitet wurde. Dort stand unter dem Fenster am inneren Ende das Bett dieser alten Frau. Im Sommer saß sie Tag für Tag allein dort, wenn die anderen draußen arbeiteten. Sie kardete dann Wolle, spann und strickte, und ich kam, um ihr Neuigkeiten aus der Welt zu berichten.

Es war an einem Tag während der Heuernte, als ich draußen bei den Leuten war und der Hund im frisch gemähten Gras schlief. Da kam der Donner. Ich muss etwa sieben Jahre alt gewesen sein. Es war das erste Gewitter, das ich erlebte, und ich war völlig überrascht. Ich hatte nicht geahnt, dass es so etwas gab. Eben schien noch die Sonne am wolkenlosen Himmel. Ich hatte den Hund mit Gras zugedeckt und angefangen in der Mahd Purzelbäume zu schlagen. Plötzlich verschwand die Sonne. Der Himmel hatte sich unversehens zugezogen. Eine dicke, blauschwarze Wolke türmte sich auf, und es wehte ein kalter Wind. In der Wolke erschien ein feuriges Bild. Über den Bergen zuckten Blitze. Dann kam der Donner. Es dröhnte in einem Berg und hallte von einem anderen wider.

Die Berge zittern wie ein Laubblatt, sagte die dichterisch veranlagte Magd.

Jetzt kommt sicher der Weltuntergang, sagte eine pessimistische Magd und sah mich von der Seite an, als ob das alles meinetwegen sei.

Ich stand starr vor Schreck auf der Wiese. Alle mähten und rechten zunächst weiter, als ob nichts wäre, auch das Mädchen, das den Weltuntergang vorausgesagt hatte. Ich wusste nicht, ob ich anfangen sollte zu weinen oder zu versuchen, es nicht zu tun. Ich wusste auch nicht, wohin ich fliehen sollte. Dann ergoss sich die hässliche, blauschwarze Wolke über uns alle, und das Donnern wurde stärker. Dennoch schien keiner Notiz zu nehmen von dem, was geschah - außer dem Hund. Er stand mit eingezogenem Schwanz da und jaulte erbärmlich zum Himmel. Es regnete so heftig, dass im Handumdrehen kein Mensch auch nur einen trockenen Faden am Leib hatte. Keiner kümmerte sich um mich oder den Hund. Als aber von nirgendsher Trost kam und das Blitzen und Donnern nicht nachließ, fasste das Tier seinen eigenen Entschluss und lief, so schnell es konnte, zum Haus. Der Arme zog heulend den Schwanz hinter sich her, als sei jemand mit einem Knüppel hinter ihm her. Ich hatte angefangen zu weinen.

Den Leuten wurde zugerufen, sie sollten ihre Gerätschaften weglegen, ins Haus gehen und warten, bis der Schauer vorbei war. Das Gewitter ging noch eine ganze Weile weiter, ohne dass der Regen nachließ.

Wo ist Snati?

Erwachsene Leute fragen nicht nach einem Tier, doch die Angst eines Kindes und die Angst eines Hundes sind von gleicher Art, und ich weinte noch immer, als ich nach meinem Genossen in der Furcht fragte.

Ach, ich weiß es eigentlich kaum, sagte die alte Frau und strickte weiter.

Die Katze lag nicht auf ihrem Bett wie gewöhnlich, sondern saß auf dem Schrank, kniff die Augen zusammen und machte einen Buckel. Über den Fußboden zog sich eine feuchte Spur.

Es wird wohl kaum so sein, dass sich unter meinem Bett ein lästiges Gepäckstück versteckt, fügte die Frau hinzu.

Ich spähte darunter und sah, dass dort in der Dunkelheit zwei grüne Lichter schimmerten.

Ich habe Augen gesehen, sagte ich.

Das wäre ja noch schöner, wenn ein Hund Augen hätte, Jungchen, sagte die alte Frau; das nennt man Glubscher.

Am Nachmittag hörte der Regen auf, und die Sonne fing wieder an zu scheinen. Sie schickte ihre Strahlen auf den Boden zu Füßen dieser alten Frau. Der Hund kroch verschämt unter dem Bett hervor. Dieser Hund hatte aus Angst gegen alle Anstandsregeln der Hunde verstoßen. Er war über seine Schwelle im Anbau gelaufen und hatte mit der Schnauze die Tür aufgedrückt, was er noch nie zuvor getan hatte; war dann die Treppe hinauf in die Küche gerast, obwohl keiner besser wusste als er, dass ein Hund nie dorthin gelangen durfte. Schließlich hatte er sich bis in die Frauenstube zu der alten Frau weitergeschnuppert. Es war kein Wunder, dass er sich schämte, als er unter ihrem Bett hervorkroch: kein irdisches Geschöpf hat ein so offensichtliches Schuldbewusstsein wie ein Hund. Er schüttelte sich, dass einem das Wasser ins Gesicht spritzte, denn er war noch immer nass.

Geh, du Strolch, sagte die alte Frau.

Damit schlich der Hund hinunter und ging daran, sich draußen auf dem Hofplatz im Sonnenschein zu flöhen. Er hatte seine Furcht vergessen und erinnerte sich erst wieder an sie, als im Jahr danach das nächste Gewitter kam, da verkroch er sich wieder an demselben Ort. Weshalb lief dieser Hund nicht zum Hütejungen, wenn der Weltuntergang bevorstand - sie hegten doch große Bewunderung für einander; oder zum Knecht, den er doch sogar noch mehr respektierte als den Hütejungen, wenn es darauf ankam, ja und weshalb nicht zu mir, seinem vertrauten Freund, der für ihn gesungen und Gebete aufgesagt und ihn getätschelt hatte? Weshalb war dieser Ort der einzig sichere für ein verängstigtes Tier hier auf Erden?

DAS TAUBENFEST

Die gut aufgelegten Kellner schlugen die Serviette über den linken Unterarm, dass es knallte. Sie schwebten unbehindert durch die Säle, als ob die vielen Gäste nur Gespenster und Nebelwesen seien. Ich hatte schon befürchtet, dass ich vielleicht als erster ankommen könnte, und wie hätte ich eine solche Ungeduld erklären sollen? Ich hätte nicht vorgeben können, ein Jugendfreund des Gastgebers zu sein. Glücklicherweise kam ich nicht in diese Verlegenheit. Ganz im Gegenteil, ich wunderte mich darüber, dass es schon so voll war, nur gut fünf Minuten nach der Zeit, die am Telefon genannt worden war. Als ich mich durch die Tür hineingeschlängelt hatte, wandte ich mich einem Ehepaar zu, das aus einem weltraumforschungshaften, etwas zerstreuten Mann und einer erdgebundenen, fülligen Frau bestand; sie lächelte in den Saal hinein. Die beiden drängelten sich nicht vor, sondern warteten in der Nähe des Eingangs darauf, dass ihnen etwas angeboten wurde.

Mit Verlaub, sagte ich. Hm?

Ja, es ist wie ich sage, sagte die Frau. Aber es ist deshalb nicht weniger spannend.

Das war eine äußerst freundliche Frau, und sie war sehr entgegenkommend, wie das bei Frauen griesgrämiger Männer häufig der Fall ist. Sie fuhr fort, sich über dieses Wunder auszulassen: Mein Mann hörte nicht genau, was am Telefon gesagt wurde. Aber jemand sagte etwas und nannte den Ort. Und du hast ja gesagt, Liebling, oder hast du das nicht gesagt?

Ich sagte ja, danke, sagte der Mann. Ich weiß, dass du gern auf Feste gehst.

Nie hätte ich gedacht, dass es so werden würde, sagte die Frau.

Da brauchst du dich jetzt zumindest nicht zu beklagen, sagte der Mann; nicht in diesem Augenblick.

Beklage ich mich vielleicht, sagte die Frau. Unglaublich, wie sehr sich unser Bischof verändert hat, seitdem das letzte Bild von ihm in der Zeitung war.

Die lassen immer alte Bilder von sich abdrucken, sagte der Ehemann der Frau.

Dieser Goldbetresste, wenn mich nicht alles täuscht, ist er ein hoher Würdenträger im königlichen Schloss oder so etwas, sagte die Frau.

Wenn ich mich nicht täusche, ist er ein niederer Beamter beim Zoll, sagte der Mann.

Weshalb ich wohl hierher eingeladen wurde, sagt da ein sehbehinderter Mann, der zufällig an uns geraten war. Ich kann mich nur darüber wundern, dass man mich zu so einem Fest eingeladen hat. Vielleicht in Anerkennung dessen, dass ich auf dem einen Auge blind bin und mit dem anderen nur noch schlecht sehen kann?

Was? antwortet da ein anderer Mann. Er zittert und ist eigenartig weiß im Gesicht, sein Engelshaar ähnelt dem, das man vor Weihnachten in den Geschäften kaufen kann. Völlig blind auf dem einen, ja. Das hier ist sicher eine vornehme Gesellschaft, obwohl ich nicht genau gehört habe, was am Telefon gesagt wurde. Ich habe schon seit fünfunddreißig Jahren einen Druck auf dem Ohr. Vielleicht bin ich deshalb eingeladen worden.

Einen Druck auf dem Ohr? Seit fünfunddreißig Jahren! Das ist ein Rekord. Sie sollten zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt gehen, sagte die Frau.

Freut mich, einen Mann kennenzulernen, der einen Druck auf dem Ohr hat, sagte ein breitbeiniger Mann, der im Stresemann auf uns zu kam, einer von denen, die freudig jede Gelegenheit ergreifen, Verbindungen zu knüpfen, ohne jedoch selbst etwas bieten zu können. Mit Verlaub, wie äußert sich das, wenn man einen Druck auf dem Ohr hat?