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Azrael ap Cwanderay (Titelbild)
»Krachen, Scheppern und dann gewaltiger Lärm, als ein schwerer Gegenstand an die Wand geworfen wurde. Oh verdammt, die Verrückte spielte drüben in der Küche schon wieder ihr absolutes Lieblingsspiel – Geister vertreiben. Gleich würde sie hierher ins Wohnzimmer stürzen, wo ich versuchte, in Ruhe meine Hausaufgaben zu machen. Und dann würde sie mir wieder lang und breit erklären, welches Gespenst gerade versucht hatte, durch die Wand zu gehen und sie anzugreifen.
Ich hasste sie! Ich hasste dieses Weib aus ganzem Herzen!«
Die 13-jährige Eva lebt in einer nach außen hin heilen, kleinbürgerlichen Familie. Hinter der geschlossenen Tür herrscht Tag für Tag eine Hölle aus psychischer und physischer Gewalt durch die psychopathische Mutter und den egomanischen Vater.
Verzweifelt versucht sie, sich daraus zu befreien. Vergebens – bis ihr ein altes Buch in die Hände fällt. Als letzten Ausweg beschwört sie daraus einen Teufel. Er bietet ihr seine Hilfe an. Aber sein Preis ist hoch...
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EIN
DIABOLISCHER
PLAN
von
Doris E. M. Bulenda
Vollständige Taschenbuchausgabe 2019
Copyright © Hammer Boox, Bad Krozingen
Lektorat:
Hammer Boox, Bad Krozingen
Korrektorat:
Ingemar Goldberger
(Fehler sind völlig beabsichtigt und dürfen ohne Aufpreis
behalten werden)
Titelbild: Azrael ap Cwanderay
Satz und Layout: Hammer Boox
»Krachen, Scheppern und dann gewaltiger Lärm, als ein schwerer Gegenstand an die Wand geworfen wurde. Oh verdammt, die Verrückte spielte drüben in der Küche schon wieder ihr absolutes Lieblingsspiel – Geister vertreiben. Gleich würde sie hierher ins Wohnzimmer stürzen, wo ich versuchte, in Ruhe meine Hausaufgaben zu machen. Und dann würde sie mir wieder lang und breit erklären, welches Gespenst gerade versucht hatte, durch die Wand zu gehen und sie anzugreifen.
Ich hasste sie! Ich hasste dieses Weib aus ganzem Herzen!«
Die 13-jährige Eva lebt in einer nach außen hin heilen, kleinbürgerlichen Familie. Hinter der geschlossenen Tür herrscht Tag für Tag eine Hölle aus psychischer und physischer Gewalt durch die psychopathische Mutter und den egomanischen Vater.
Verzweifelt versucht sie, sich daraus zu befreien. Vergebens – bis ihr ein altes Buch in die Hände fällt. Als letzten Ausweg beschwört sie daraus einen Teufel. Er bietet ihr seine Hilfe an. Aber sein Preis ist hoch...
Krachen, Scheppern und dann gewaltiger Lärm, als ein schwerer Gegenstand an die Wand geworfen wurde.
Oh verdammt, die Verrückte spielte drüben in der Küche schon wieder ihr absolutes Lieblingsspiel – Geister vertreiben.
Gleich würde sie hierher ins Wohnzimmer stürzen, wo ich versuchte, in Ruhe meine Hausaufgaben zu machen. Und dann würde sie mir wieder lang und breit erklären, welches Gespenst gerade versucht hatte, durch die Wand zu gehen und sie anzugreifen.
Ich hasste sie! Ich hasste dieses Weib aus ganzem Herzen!
Sie, diese »Verrückte«, das war meine Mutter. Sie war schizophren, eine echte 5-Sterne-Bekloppte. Tut mir leid, das so sagen zu müssen, schließlich ist es meine Mutter. Trotzdem – sie ging mir gewaltig auf die Nerven. Alle sagten, sie sei krank, man müsse vorsichtig mit ihr umgehen. Aufpassen, was man zu ihr sagte, man müsse bei allem und jedem Rücksicht auf sie nehmen.
Das versuchte ich ja, so gut ich konnte. Auch wenn es meist vergeblich war. Sie konnte mir das Wort im Mund umdrehen und war mit nichts zufriedenzustellen oder zu stoppen.
Aber wer nahm dabei Rücksicht auf mich? Als ihr Kind hatte ich keine Rechte, wie die Verrückte mir immer wieder erklärte.
Durch die vielen Bücher, die ich mir aus der Bibliothek besorgt hatte – mit einigen Tricks, da die natürlich für Erwachsene waren und nicht für 13jährige Schulmädchen – hatte ich mich informiert.
Sie litt unter Schizophrenie wie aus dem Lehrbuch. Mit all den »schönen« Symptomen, die dazugehörten. Sie hörte Stimmen, die ihr alles Mögliche einflüstern wollten. Manchmal flüsterten die nicht nur, sondern brüllten und schrien sie an. Und sie war jedes Mal konsterniert, wenn mein Vater und ich zu behaupten wagten, nichts zu hören. Das gaben wir ihrer Ansicht nach nur vor, um sie zu ärgern. Sie war überzeugt davon, dass wir die Stimmen genauso laut und deutlich wahrnahmen wie sie. Wenn wir beteuerten, nichts zu hören, dann eben nur, weil wir mit den Bösewichtern unter einer Decke steckten.
Warum das so sein sollte, wusste sie nicht. Also verdächtigte sie uns, wir würden das nur machen, um ihr zu schaden.
Darüber hinaus sah sie auch Geister durch die Wände unserer schäbigen, kleinen Altbau-Mietwohnung kommen und gehen. Nicht nur namenlose Geister oder Gespenster, sondern alle möglichen Bekannten, sogar einige Kollegen meines Vaters waren darunter. Außerdem die Bankangestellten unserer Hausbank und die Verkäufer der umliegenden Läden - und alle, aber auch ausnahmslos alle Verwandten meines Vaters! Seine Mutter, seine Schwestern, sein Bruder, alle Nichten und Neffen; und das waren so einige. Nur ihre eigene Familie, die hatte sie noch nie bei uns eindringen gesehen.
Aber das war natürlich noch längst nicht alles. Jeden Morgen erzählte sie uns beim Frühstück, was in der vergangenen Nacht in unserer Wohnung wieder passiert war. Ich konnte mich an keine einzige Nacht erinnern, in der angeblich nicht irgendetwas Übles in unseren heruntergekommenen, schlecht möblierten Räumlichkeiten passiert war.
»Heute haben sie wieder Leute gefoltert. Sie haben ihnen die Augen ausgestochen, die Finger abgehackt und die Zungen herausgerissen. Dann haben sie ihnen Nadeln in den Körper gestochen und mit Messern die Haut aufgeschlitzt. Der Teppich in der Ecke war ganz nass und rot vom Blut. Ich habe alles wegputzen müssen. Da waren übrigens deine Schwestern auch dabei und einer deiner Kollegen, ich habe die dreckige Bande genau erkannt …«
Mein Vater ignorierte diesen direkten Angriff, wie er ohnehin alles ignorierte, was seine Bequemlichkeit auch nur im Geringsten störte. Ich versuchte ebenfalls, diesen Blödsinn, den meine verrückte Mutter da schon am frühen Morgen von sich gab, zu ignorieren, wandte das Gesicht ab und vertiefte mich in mein Frühstück.
Das gefiel ihr nicht. Sie griff nach meinem Arm und krallte ihre Fingernägel tief in meine Haut. Ich schaute nicht allzu entsetzt auf mein Blut, das dabei zum Vorschein kam. Das war ich gewöhnt, sowas machte sie ziemlich regelmäßig.
Dabei schrie sie mir direkt ins Ohr:
»Hörst du nicht? Ich habe gesagt, die haben wieder Leute gefoltert, die ganze Nacht! Die haben vielleicht geschrien und um Hilfe gefleht! Aber die Drecksäcke haben nur darüber gelacht!«
Ich fuhr sie an, sie solle ihre blöde Hand von meinem Arm nehmen. Aber erst, als ich ihr meine Gabel ziemlich unsanft in den Handrücken drückte, ließ sie mich wieder los.
Ärgerlich strich ich über die blutigen Stellen, die ihre Nägel in meiner Haut hinterlassen hatten. Dann schleuderte ich das Besteck davon, sprang auf, schnappte meine Schultasche, warf mir eine Jacke über und rannte aus der Wohnung. Das Wutgeschrei der Verrückten folgte mir, aber heute schaffte ich es, rauszukommen, bevor sie mich erwischen und aufhalten konnte.
Ich knallte die Wohnungstür zu und sah, dass unsere »liebe« Nachbarin, eine alte, neugierige und verdammt boshafte Klatschtante, wieder durch den Spion in ihrer Tür verfolgte, dass sich bei uns was tat. Meine Mutter brüllte laut genug, um das ganze Haus aufzuwecken. Vor allem schreckte sie dabei die alte Frau, die sonst keine Unterhaltung hatte und ständig hinter der Tür auf Sensationen im Treppenhaus lauerte, regelrecht auf. Wahrscheinlich dachte die Nachbarin, das würde niemand merken – aber man sah genau, wenn jemand durch den Spion blickte. Jetzt öffnete sie die Tür sogar einen kleinen Spalt, um die Show, die ihr meine Mutter bot, noch besser genießen zu können.
Meine Mutter riss derweil die Tür, die ich zugeknallt hatte, wieder auf, stand zwischen Tür und Angel und brüllte. Durchs ganze Treppenhaus gellte ihre schrille Stimme und ließ alle Nachbarn an unserem »Familienglück« teilhaben. Wir waren im ganzen Haus verschrien – im wahrsten Sinne des Wortes. Kein Wunder ...
»Komm sofort zurück, du widerliches, undankbares, boshaftes, gemeines Gör. Ich hab‘ dir was zu sagen, und du hast gefälligst zuzuhören, wenn ich mit dir rede. Bleibst du wohl da, du Miststück! Du miese Schlampe, du Flittchen …«
Dieses Gezeter war ich hinlänglich gewöhnt. Ich ignorierte es und rannte die drei Treppen hinunter, so schnell ich nur konnte. Meine Mutter war noch ungewaschen, ungekämmt, sie stank und war im Nachthemd. Ich hoffte darauf, dass sie mir diesmal nicht nachlaufen würde.
Ich hatte Glück, kam ungeschoren aus dem Haus und rannte eilig ein paar Straßen weiter entgegengesetzt zu meinem Schulweg. Falsche Spur legen, falls die Bekloppte mir doch noch folgen sollte.
Auf Hilfe von meinem Vater durfte ich auch heute nicht hoffen. Ganz selten kam es vor, dass er die Verrückte wenigstens zurück in die Wohnung zog, aber meist ignorierte er sie und das, was sich zwischen ihr und mir abspielte. Scheinbar in aller Seelenruhe frühstückte er einfach weiter und wartete, bis sie sich von selbst ausgetobt hatte und ließ sich dann Kaffee nachschenken.
Als ich genug Abstand zwischen unsere Wohnung und mich gebracht hatte, blieb ich stehen und atmete durch. Langsam normalisierte sich mein Puls wieder. Es war zum Kotzen! Diese und ähnliche Szenen spielten sich bei uns Tag für Tag ab.
Jeden Morgen durften wir uns die Schilderung der Dinge, die sich angeblich des Nachts bei uns zugetragen hatten, anhören. Mit ausführlicher, detaillierter Beschreibung der Folterungen durch die Geister. Ich hatte es so satt. Mein Magen drehte sich jedes Mal um, wenn ich mir diesen kranken Mist anhören musste. Natürlich wusste ich, dass da nichts dran war. Nichts und niemand war nachts in unserer Wohnung gewesen. Das Blut, das meine Mutter morgens ständig aufwischen musste, hatte außer ihr auch noch nie jemand gesehen.
Natürlich würde ich jetzt eine Dreiviertelstunde zu früh in der Schule ankommen, dazu hatte ich noch meine Hausschuhe an – aber das war das kleinere Übel.
Hauptsache weg von zu Hause!
Schon heute Morgen war meine verrückte Mutter also wieder in absoluter Hochform gewesen. Wenn sie schon so früh am Tag anfing, mich körperlich anzugreifen, dann würde der Nachmittag erfahrungsgemäß erst richtig lustig werden … Sicher würde sie wieder auf mich einprügeln, wenn ich ihr nicht genug Aufmerksamkeit schenkte und ich es ablehnte, mir ihre dämlichen Gespenstergeschichten anzuhören. Es war ja sowieso immer dasselbe, immer die gleiche Story, nur mit kleinen Abweichungen bei den Personen und in dem, was sie ihr wieder angetan hatten.
Warum es denn alle auf sie abgesehen haben, hatte ich sie oft gefragt, aber nie eine zufriedenstellende Antwort bekommen. Sie behaupte es, also stimme es auch und ich müsse es glauben. Das war ihr einziger Kommentar dazu gewesen. Sie sage immer die Wahrheit, als Einzige auf der ganzen Welt. An ihr und ihren Worten dürfe nicht gezweifelt werden. Schon gar nicht von mir.
Ich saß am Wohnzimmertisch, beugte mich tief über mein Erdkundebuch und zählte insgeheim die Sekunden, bis die Verrückte wieder auftauchen würde. Da wurde die Tür auch schon aufgerissen und sie baute sich vor mir auf wie eine massive Mauer.
»Hast du nichts gehört? Da hat schon wieder einer von diesen Geistern versucht, reinzukommen. Durch die Wand ist er geschwebt, er ist direkt aus der Mauer gewachsen. Der wollte uns foltern oder uns bestehlen. Was weiß ich? Ich habe nach dir geschrien, du sollst sofort herkommen und mir beistehen. Warum bist du nicht gekommen?«
Sie stemmte ihre Fäuste in die Taille, und ihre Augen blitzten mich bösartig an.
»Warum hilfst du mir nicht, du undankbares Kind? Wozu habe ich eine Tochter, wenn die sich nicht rührt, wenn ihre Mutter sie braucht? Du kannst deinen faulen Arsch ruhig mal in Bewegung setzen und einen Geist fangen, du …«
Bei diesen Worten war sie ganz nahe herangekommen und holte schon zu einer gewaltigen Ohrfeige aus. Sie brauchte jetzt dringend ein Opfer, um sich abzureagieren. In ihren Augen war ich perfekt, um an mir ihre Wut auszulassen. Außerdem war ich ihr Kind, sie hatte mich geboren und deshalb durfte sie ihres Erachtens nach mit mir machen, was sie wollte. Auch das erklärte sie mir ständig.
Alles war wie immer … Tausende von Malen hatte ich das schon erlebt.
Doch diesmal hatte ich mir vorgenommen, anders zu reagieren als sonst. Ich hatte dieses Spielchen so satt, genauso satt wie ihre harten, brutalen Schläge ins Gesicht, die die Verrückte jedes Mal austeilte, wenn sie wütend war. Auch dabei konnte ich nicht auf Hilfe meines Vaters hoffen. Er glaubte mir nicht, wenn ich ihm erzählte, was sich abspielte, wenn er nicht zugegen war. Nach außen hin hätte keiner der beiden je zugegeben, dass ich regelmäßig geschlagen wurde. Da hätten sie schön zusammengehalten und mich als notorische kleine Lügnerin hingestellt.
Jetzt wollte ich eine kleine Änderung bei den Regeln einführen. Während ihrer Tirade hatte ich mich nicht vom Fleck bewegt und benahm mich, als sei ich ausschließlich in mein Schulbuch vertieft.
Als meine Mutter nahe genug war und bereits den Arm hob, um zuzuschlagen, natürlich mit voller Kraft wie immer und natürlich auf meine Wange, da sprang ich auf. Mit der Linken packte ich ihre rechte Schlag-Hand und dreht ihr das Gelenk um. Gleichzeitig schlug ich ihr mit voller Wucht meine Rechte ins Gesicht. Ich traf gut und hart, es klatschte laut. Sofort wurde ihre linke Wange knallrot und schwoll an.
In der nächsten Sekunde saß ich schon wieder am Tisch und war in mein Erdkundebuch vertieft, genau wie zuvor. So, als ob überhaupt nichts passiert wäre. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, dass die Bekloppte halb entsetzt, halb überrascht ein Stück zurückgewichen war.
»Was – was – was hast du getan, du Mistvieh?« Sie war fassungslos. »Du Dreckstück hast mich geschlagen? Du gemeines Biest hast die Hand gegen deine eigene Mutter erhoben?«
Ich zuckte zusammen, hob den Kopf und schaute drein, als hätte ich sie gerade eben erst wahrgenommen.
»Wovon redest du, du blödes Weib?«, zischte ich sie an. »Ich bin die ganze Zeit dagesessen und habe gelernt. Siehst du doch. Ich habe noch nicht einmal gesehen oder gehört, dass du reingekommen bist, so vertieft war ich.«
Vielsagend schüttelte ich nur den Kopf, dann fuhr ich fort:
»Wahrscheinlich hat dich einer deiner komischen Geister geschlagen. Ist mir doch egal, du wirst es schon verdient haben. Und jetzt hau‘ gefälligst ab, ich muss meine Hausaufgaben machen. Ich habe keine Lust, deinetwegen schlechte Noten zu bekommen.«
Meine Mutter war konsterniert und geschockt, ich sah ihr das an. Aber sie war auch von Natur aus hochgradig feige. Sie entfernte sich ein Stück von mir. »Aber – aber – du hast doch – du hast mich geschlagen! Du hast mir eine geknallt!«
Ungläubigkeit sprach aus ihrer Stimme.
»Nein, habe ich nicht«, beharrte ich. »Auch wenn du es noch so sehr verdient hättest. Das haben wohl deine Geister gemacht. Du weißt doch genau, wie grausam die sind. Hast du uns doch oft genug erzählt. Jeden Tag setzt du uns zum Frühstück vor, was sie alles an Foltermethoden draufhaben. Jetzt haben sie dich eben erwischt. Vielleicht erwischen sie dich ja noch öfter. Ich würde es dir gönnen, wirklich, das kannst du mir glauben. Sicher haben die dich zur Strafe geschlagen – weil du das, was sie hier nachts tun, ausgeplaudert hast. Und jetzt lass‘ mich in Ruhe meine Hausaufgaben machen. Raus hier!«
Die letzten Worte hatte ich gebrüllt.
Tatsächlich war meine Mutter so verwirrt, dass sie abzog. Ich seufzte auf – so hatte ich wenigstens eine Weile Ruhe vor ihr und konnte meine Aufgaben fertigmachen. Wahrscheinlich würde die Bekloppte erst gründlich darüber nachdenken, was eigentlich passiert war. Ob ich sie geschlagen hatte oder ob es doch eher einer ihrer Geister gewesen war. Ganz egal, zu welchem Resultat sie kommen würde, ich beschloss, in Zukunft jedes Mal, wenn sie mich angriff, wieder zuzuschlagen und die Schuld daran auf die Geister schieben. Irgendwann würde sie schon kapieren, dass sie mich nicht mehr anlangen durfte und sich von mir fernhalten, das hoffte ich jedenfalls.
Nur: Ich musste mich unverzüglich zusätzlich absichern. Kurz bevor mein Vater von seinem »ach so wichtigen« Job nach Hause kam, räumte ich mein Schulzeug weg und zog mir Schuhe und Jacke an. Kurz streckte ich den Kopf durch die Küchentür, wo die Verrückte am Tisch saß und reglos ins Leere starrte. So saß sie oft stundenlang da, gefangen in ihrer eigenen Welt und murmelte dabei unverständliches Zeug vor sich hin. Ab und zu schlug sie mit der flachen Hand kräftig auf den Tisch, wenn sie wieder einen Geist dort sitzen sah.
»Ich muss noch schnell nach unten, ins Schreibwarengeschäft«, sagte ich ihr. »Ich brauche ein neues Heft für Deutsch.«
Bevor sie sich dazu äußern konnte, war ich auch schon wieder verschwunden. Natürlich kaufte ich als erstes das Heft, schließlich wusste ich, dass das genau nachgeprüft werden würde. Einkäufe für die Schule musste ich immer selbst auslegen und genehmigen lassen, bevor ich das Geld dafür zurückbekam, was eine ärgerliche, fiese Schikane in meinen Augen war. Und wenn ab und zu eine der Schulsachen keine Gnade vor dem mütterlichen Auge fand, egal ob ich es haben musste oder nicht, dann durfte ich es von meinem ohnehin verdammt knappen Taschengeld bezahlen. Dafür musste ich dann tagelang in der Schulpause auf einen kleinen Snack verzichten …
Nach dem Einkauf wartete ich vor der verschlossenen Haustür auf meinen Vater. Da ich keinen Schlüssel hatte, musste ich entweder auf ihn warten oder läuten. Auch so eine Schikane meiner Mutter, die meinen Hass auf sie jeden Tag aufs Neue verstärkte. Noch dazu durfte ich nicht ganz normal läuten, nein, die Verrückte hatte Klingelsignale eingeführt, die wöchentlich, manchmal sogar täglich, gewechselt wurden. Es hätte ja jemand anders sein können, bevorzugt einer jener Geister, die nicht durch die Wand gehen konnten. Falls es die gab …
Wehe, ich hatte das aktuelle Zeichen vergessen, verwechselte die Reihenfolge oder verwendete das Signal von letzter Woche. Mehr als einmal schon hatte ich stundenlang vor der Tür gestanden, weil sie mir einfach nicht aufmachte.
Wenn ich mich bei meinem Vater darüber beschwerte, zuckte der nur mit den Achseln. Dann solle ich halt besser aufpassen und mir merken, was das aktuelle Klingelzeichen war. Oder es mir aufschreiben. Dabei hatte ich die Verrückte im Verdacht, dass sie sich ihre Klingelsignale manchmal selbst nicht merken konnte, oder sie einfach willkürlich änderte, ohne mir Bescheid zu sagen. Einfach nur, um mich zu ärgern.
Alle meine Schulfreundinnen, sogar die kleinen Mädchen in den unteren Klassen, hatten ihre eigenen Schlüssel. Nur ich nicht. Weil ich mich ja sonst – laut Aussage der Verrückten – sonstwo rumtreiben würde. Mich vielleicht sogar mit Männern treffen und unanständige, ekelhafte Dinge machen würde. Meine Unschuld verlieren und noch mehr … Sie wisse genau, dass ich eine geborene Schlampe sei, denn sie würde die Anzeichen dafür genau kennen und mir ansehen, was ich tun würde, sobald sie einmal nicht genau aufpasste.
Das war so lächerlich, so absolut lächerlich. Außerdem: Meine Unschuld, die hatte ich sowieso nicht mehr. Ich hatte sie direkt in der Schule verloren, in einem kleinen, schäbigen Lehrerzimmer. Das war vor gut drei Jahren gewesen, mit einem Referendar, der eine besondere Neigung für kleine Mädchen hatte. Wenn mir schon – in dem Alter! – von der eigenen Mutter unterstellt wurde, dass ich auf Männer aus war und schmutzige Dinge mit ihnen vorhatte, dann wollte ich wenigstens wissen, was diese »schmutzigen« Dinge genau waren und wie das überhaupt ging.
Nein, dieser Referendar hatte mich nicht gezwungen, ganz im Gegenteil. Nachdem ich die Gerüchte über ihn gehört hatte, hatte ich mich ihm freiwillig angeboten. Er war auch keineswegs brutal oder grob, überhaupt nicht. Er war vorsichtig und behutsam vorgegangen und hatte mich zart in die körperliche Liebe eingeführt. Wir hatten eine Menge Spaß miteinander. Er war so geschickt, dass ich dabei voll auf meine Kosten kam.
Nach drei Monaten war er wieder weg, versetzt an eine andere Schule – und ich konnte sicher sein, dass er über unsere kleine Affäre das Maul halten würde. Genauso wie ich …
Danach hatte ich in unserer Schule noch zwei andere Referendare gefunden, die ebenfalls auf süße, naive, kleine Schulmädchen standen. Ich hatte mit ihnen meine Erfahrungen erweitert und meine Macht über diese Art von Männern entdeckt und natürlich auch gründlich auszunutzen gelernt.
Meine Gedanken schweiften ein wenig ab, als ich daran zurück dachte, was wir alles zusammen angestellt hatten. Ich ermahnte mich, mich zusammenzureißen und konzentrierte mich wieder darauf, meinen Vater abzufangen, bevor er nach Hause kam - da bog er auch schon um die Ecke.
Hastig trat ich aus dem Hauseingang und begegnete ihm »zufällig«, weil ich gerade vom Schreibwarengeschäft zurückkam. Das Heft, das ich dort gekauft hatte, hielt ich wie eine Trophäe vor mir.
»Hey, Paps, schon Feierabend heute?« Blöde Frage, mein Vater kam jeden Tag zur gleichen Zeit heim, da er es ablehnte, Überstunden oder andere Zugeständnisse an seinen Arbeitgeber zu machen. Er war so pünktlich wie der Sekundenzeiger der Uhr. All das nur, um schnellstens zu seiner Familie zurückzukommen, so sagte er uns dauernd. Auch wenn seine Gegenwart in meinen Augen nicht wirklich ein Gewinn war.
»Ach was, die kleine Eva, mein Töchterchen.« Sein Desinteresse war fast greifbar. Kein Lächeln zeigte sich auf seinen Lippen, und seine Augen streiften mich ziemlich gleichgültig. Doch noch bevor er damit anfangen konnte, mir seine Heldengeschichten aus dem Büro aufzudrücken, redete ich auf ihn ein:
»Hör mal, Paps, die Verrückte, sie ist heute wieder in Top-Form. Sie hat am Nachmittag getobt wie bekloppt, hat Geschirr an die Wand geschmissen und ein paar teure Sachen zertrümmert. Sie wollte einen ihrer komischen Geister daran hindern, durch die Mauer zu ihr zu kommen.« Ich seufzte vielsagend. »Und der Höhepunkt war, dass sie danach ins Wohnzimmer gerast ist, wo ich meine Schulaufgaben gemacht habe. Da hat sie sich hingestellt und rumgebrüllt. Ich habe gar nicht darauf geachtet, ich habe mich auf mein Schulbuch konzentriert. Aber auf einmal hat sie behauptet, ich hätte sie geschlagen. Kannst du dir das vorstellen? Sie hat doch glatt gesagt, ich hätte ihr eine Ohrfeige verpasst!«
Demonstrativ schüttelte ich mich vor Abscheu.
»Die hat sie doch nicht mehr alle! Aber so ausgeflippt wie heute ist sie noch nie.«
»Sowas …« Kurz überlegte mein Vater, ob die Angelegenheit es wert war, um seinen ach so überlegenen Verstand damit zu beschäftigen. Kritisch sah er mich an. »Du hast doch nicht etwa … Weil, meine liebe Tochter, wenn du das tust, also dann …«