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Für andere erfüllt sie alle Wünsche - nun fordert sie auch für sich das Glück, das sie verdient.
Die junge Witwe Lady Eliza führt mit ihren Schwestern die Event-Agentur »Elegant Occasions«. Als der Earl of Foxstead, einst bester Freund ihres verstorbenen Gatten, ihre Dienste in Anspruch nimmt, flammt die Anziehung, die schon lange zwischen ihnen schwelt, erneut auf und stürzt Eliza in Seelennöte. Denn eigentlich wollte sie nie wieder einem Mann Macht über sich geben. Aber auch wenn Eliza nicht bereit ist, ein zweites Mal zu heiraten, will sie doch endlich wahre Leidenschaft erfahren. Trotz aller Vorsätze, ihr Herz zu schützen, keimen bald tiefere Gefühle zwischen ihnen auf. Aber als Eliza herausfindet, was der Earl vor ihr geheimgehalten hat, stellt sie plötzlich alles infrage, was zwischen ihnen erblüht ist ...
»Ich stürze mich auf jedes Buch von Sabrina Jeffries. Ihre Geschichten sind zum Dahinschmelzen, und der Schlagabtausch zwischen den Charakteren ist einfach herrlich!« ONE BOOK MORE
Band 2 der ELEGANT-OCCASIONS-Trilogie
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Seitenzahl: 417
Titel
Zu diesem Buch
Widmung
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
Epilog
Die Autorin
Die Romane von Sabrina Jeffries bei LYX
Leseprobe
Impressum
Sabrina Jeffries
Ein Earl für mich allein
Roman
Ins Deutsche übertragen von Antje Görnig
Lady Eliza Pierce führt mit ihren Schwestern die Event-Agentur »Elegant Occasions«, Elizas Expertise ist die Musik, während ihre Schwestern für Mode und Kulinarisches zuständig sind. Eines Tages taucht der Earl of Foxstead, einst bester Freund von Elizas verstorbenem Gatten auf, um ihre Dienste in Anspruch zu nehmen. Nathaniel will einer jungen Kriegswitwe dabei helfen, Zugang zur feinen Gesellschaft zu finden. Schon bei ihrem ersten Treffen spürt Eliza, dass die leidenschaftliche Anziehung, die schon früher zwischen ihr und Nathaniel schwelte, so stark ist wie eh und je. Dies stürzt sie in Seelennot, denn eigentlich wollte sie nie wieder einem Mann Macht über sich geben – hat sie doch genug schlechte Erfahrungen mit ihrem Ehemann gemacht. Doch auch wenn Eliza nicht bereit ist, noch einmal zu heiraten, will sie doch wahre Leidenschaft erfahren und beschließt, die unausgesprochenen Privilegien einer Witwe zu nutzen und sich auf eine Affäre einzulassen. Doch bald schon merkt sie, dass ihr Herz mehr will. Soll sie ihren Gefühlen folgen und ihre Vorsätze über Bord werfen? Doch bevor sie zu einem Entschluss kommen kann, findet Eliza heraus, was Nathaniel vor ihr geheimgehalten hat, und stellt plötzlich alles infrage, was zwischen ihnen erblüht ist …
Für meinen Mann und Seelengefährten Rene, den ich innig liebe. Danke für alles, was du tust.
London
April 1812
Lord Foxstead, mit bürgerlichem Namen Nathaniel Stanton, hielt inne, als er Mrs Eliza Pierce auf sich zukommen sah. Wie hatte er nur vergessen können, wie schön die Witwe war? Ein knappes Jahr war vergangen, seit sie sich begegnet waren, wenn auch nur kurz im Kreis von Familie und Freunden.
Ihr Anblick raubte ihm aufs Neue den Atem. In ihrem fließenden Abendkleid aus Satin mit einem weit ausgeschnittenen Mieder, das tief blicken ließ, sah sie so verführerisch aus wie eine routinierte Kurtisane, nur dass ihre Gesichtszüge nicht durch zu viel Farbe verunstaltet waren. Ihr goldenes Haar hatte sie mit einer Art Band hochgebunden. Ein loser Lockenstrang ringelte sich jedoch hinunter auf ihre beinahe nackte Schulter. Wenn er an dieser Locke zupfte, malte er sich aus, würde ihre ganze Haarpracht bis zu ihrer Taille hinunterfallen.
Der Herrgott möge ihm beistehen. Es war zu lange her, dass er mit einer Frau zusammen war. Doch ausgerechnet diese Frau war die falsche für ihn, denn sie hielt ihn für einen notorischen Schwerenöter. Was verständlich war, denn vor dem Krieg war er jahrelang einer gewesen.
»Lord Foxstead, es überrascht mich, Sie hier anzutreffen.« Eliza reichte ihm lächelnd ihre behandschuhte Hand. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich für Laienmusik interessieren.«
Er ergriff ihre Hand. »Und doch bin ich hier, Mrs Pierce.«
Sie nickte ihm gewohnt freundlich zu. »Gut, dass Sie gekommen sind. Ihren Freund, den Herzog, konnte ich nicht dazu überreden.«
»Natürlich nicht.« Nathaniel drückte ihr die Hand so fest er wagte. »Seit er Ihre Schwester geheiratet hat, geht er nur noch wegen seiner Bauprojekte aus dem Haus.«
»Wohl wahr.« Ihr vergnügtes Lachen rührte an einem Teil von ihm, der lange vor der Welt verborgen gewesen war. Und vor ihm selbst.
Auch ihre Augen faszinierten ihn. Sie waren ebenso blau wie ihr Kleid, das sie sicherlich genau aus diesem Grund ausgewählt hatte. Sein Gesicht verriet offenbar, dass seine Gedanken abschweiften, denn seine Schwester räusperte sich vernehmlich.
»Verzeihen Sie, Mrs Pierce«, sagte er zu Eliza, »darf ich Ihnen meine Schwester vorstellen, Lady Teresa Usborne? Tess ist zur Ballsaison nach London gekommen.«
Tess reichte ihr die Hand. »Wie schön, Sie kennenzulernen.«
Eliza erwiderte den Handschlag. »Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.« Dann richtete sie ihren Blick auf beide. »Und ich möchte Ihnen mein aufrichtiges Beileid zum Tod Ihrer Mutter vergangenen Herbst aussprechen. Ich hätte eine Karte schicken sollen …«
Als sie verstummte, sagte er: »Sie hatten sicherlich selbst genug um die Ohren, insbesondere mit der Hochzeit Ihrer Schwester. Schade, dass ich sie verpasst habe.«
»Sie waren beide noch in Trauer.«
»Die Trauerzeit ist inzwischen beendet«, sagte seine Schwester verhalten. Tess sprach nicht gern über den Tod, und er konnte es ihr nicht verübeln, denn sie hatten innerhalb von drei Jahren beide Elternteile verloren. Es wunderte ihn also nicht, dass sie das Thema wechselte. »Wie ich hörte, werden Sie heute Abend selbst auftreten, Mrs Pierce.«
»Nennen Sie mich bitte Eliza.« Sie sah Nathaniel mit hochgezogener Augenbraue an. »Wie es Ihr Bruder zu tun pflegt. Aber ja, ich werde spielen und singen.«
»Beides? Sie spielen ein Instrument?« Er versuchte, seine Überraschung zu verbergen. »Warum wusste ich das nicht? Irgendwie habe ich Ihre Darbietungen wohl immer verpasst.«
»Samuel wollte nicht, dass ich vor anderen auftrete«, entgegnete sie knapp. »Hat er nie erwähnt, dass ich spiele?«
»Nein.« Eine weitere Überraschung für ihn. »Ich nehme an, Sie spielen Klavier.«
»Das ist richtig, aber heute Abend werde ich die Harfenlaute spielen. Ich beherrsche außerdem die klassische Harfe und das Cembalo.«
»Lassen Sie mich raten«, sagte er. »Sie haben sich für diese drei entschieden, weil Ihr Mädchenname Harper ist.«
»Dann hätte ich genau genommen Harpist heißen müssen«, neckte sie ihn.
Tess lachte, aber er sah Eliza verwirrt an. Sie hatte ihn noch nie geneckt. Das gab ihm zu denken.
»Sie müssen sehr begabt sein«, bemerkte Tess, »und nicht nur, was die Musik angeht. Mein Bruder hat mir schon so viel über Sie und Ihre Schwestern und Elegant Occasions erzählt.«
Obwohl sie als Töchter eines geschiedenen Marquess und seiner ehebrecherischen Frau als skandalbehaftet galten, hatten die Harper-Schwestern ein Geschäft gegründet, dessen Dienste zu den gefragtesten zählten, wenn es um die Organisation eines erfolgreichen gesellschaftlichen Ereignisses ging. Was nicht zuletzt durch die Tatsache bewiesen wurde, dass das heutige Hauskonzert in den Räumlichkeiten eines Marquess stattfand.
»Soll ich mich durch das, was Ihr Bruder über mich gesagt hat, geschmeichelt fühlen oder eher gekränkt?«, frage Eliza.
Tess kicherte. »Oh, ganz gewiss geschmeichelt. Nat hat nur Gutes berichtet.«
»Nat?« Eliza sah ihn mit funkelnden Augen an. »Selbst Samuel hat Sie nie anders genannt als Nathaniel.«
Er stöhnte. »Leider nennt mich meine Familie schon mein Leben lang Nat. Ich kann es ihnen einfach nicht abgewöhnen.«
»Als er klein war, haben wir ihn Natty gerufen«, vertraute Tess ihr an, ohne den finsteren Blick zu beachten, den er ihr zuwarf. »Bis er gedroht hat, von zu Hause wegzulaufen, wenn wir nicht damit aufhören.« Sie schmunzelte. »Er war damals schon tyrannisch.«
»Ich bin kein Tyrann«, erwiderte er. »Es ist nicht ›tyrannisch‹, wenn das, was man will, das Richtige ist.«
Eliza lachte. »Sie klingen wie mein neuer Schwager.«
»Er klingt wie ich, meinen Sie.«
»Sie sind doch jünger als er, oder?«, fragte Eliza.
Er zog eine Augenbraue hoch. »Wollen Sie etwa behaupten, Sie wüssten mein Alter, Madam?«
»Ich weiß genau, wie alt sie sind: einunddreißig. Sie und Samuel haben im gleichen Alter in Eton angefangen. Das hat er mir jedenfalls gesagt.«
»Fast richtig. Ich bin ein Jahr jünger als Sam. Aber dass wir zusammen in Eton angefangen haben, ist wahr.« Er runzelte die Stirn. »Er wusste, dass ich ein Jahr jünger bin. Ich verstehe nicht, warum er Ihnen etwas anderes gesagt hat.«
»Falls es Ihnen entgangen ist«, entgegnete Eliza trocken, »war mein verstorbener Mann ziemlich eitel. Er hat sich häufig als jünger ausgegeben.«
»Das überrascht mich nicht.« Er hielt inne, weil er eigentlich nicht über Sam reden wollte. In dieser Hinsicht gab es zu viel zu verbergen. »Ich bin gerade dreißig geworden.«
Sie sah ihn neugierig an. »Und auf welches Alter schätzen Sie mich?«
»Großer Gott, ich würde es nicht wagen, einen Tipp abzugeben«, sagte er und ignorierte den skeptischen Blick seiner Schwester. »Ich weiß, Sie sind älter als Ihre Schwestern. Aber Sie sind auf jeden Fall jünger als ich.«
»Ich bin siebenundzwanzig. Alt genug, um zu wissen, dass Sie mir schmeicheln. Und ich frage mich, warum Sie das tun?«
Er zögerte mit der Antwort, und in diesem Moment kam seine andere Begleiterin für den Abend mit bekümmerter Miene in die Eingangshalle und hielt auf Tess zu. »Gnädige Frau, ich habe mit einem Diener die ganze Kutsche durchsucht, aber wir konnten Ihr Schultertuch nicht finden. Ob Sie es vielleicht zu Hause vergessen haben?«
Bevor Nathaniel sie beruhigen konnte, sagte Tess: »Ganz bestimmt. Mach dir keine Gedanken.«
»Eliza, darf ich Ihnen Mrs Jocelin March vorstellen«, sagte Nathaniel. »Sie verbringt die Saison bei mir und meiner Schwester.«
Jocelin errötete und machte einen Knicks, und Eliza reichte ihr liebenswürdig wie immer die Hand. »Wie schön, Sie kennenzulernen, Mrs March.«
Die junge Frau starrte ihre Hand halb verlegen, halb verschüchtert an, bevor sie einschlug. Nathaniel seufzte. Er musste Jocelin noch einmal in Erinnerung rufen, dass sie zur feinen Gesellschaft gehörte, obwohl sie es anders empfand. Obwohl es … Erschwernisse gab.
»Geh doch schon mit Jocelin Plätze suchen«, sagte er zu Tess. »Ich würde gern noch etwas mit Eliza besprechen.«
Tess nickte und entfernte sich mit Jocelin, denn er hatte ihr bereits gesagt, was er mit Eliza zu besprechen hatte. Eliza sah ihnen nach, dann sagte sie mit gesenkter Stimme: »Verzeihen Sie, aber Ihnen scheint nicht bewusst zu sein, dass ich die Verantwortung für dieses Hauskonzert trage. Kann das, was Sie mit mir zu bereden haben, nicht bis anschließend warten?«
Er schmunzelte. »Sie haben gewiss schon alles vorbereitet und können sicherlich fünf Minuten für den ältesten und besten Freund Ihres verstorbenen Mannes erübrigen.«
Sie sah ihn schief an. »Fünf Minuten?«
»So in etwa. Wir können nach dem Konzert leider nicht bleiben, weil wir schnell nach Hause müssen, um das arme Hausmädchen zu erlösen, das auf Jocelins zweijährigen Sohn aufpasst. Als Junggeselle habe ich nicht das geeignete Personal für die Beaufsichtigung eines Kindes.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Ihre Lippen zuckten. »Und Jocelins Mann ist der Aufgabe sicherlich nicht gewachsen.«
»Verzeihen Sie, ich vergaß zu erwähnen, dass sie verwitwet ist wie Sie. Ihr Mann hat auch auf der Iberischen Halbinsel gedient, aber nicht mit mir im achtundzwanzigsten Infanterieregiment. Ich nehme an, Sam hat in seinen Briefen den Mann erwähnt, dessen Adjutant er war – General James Anson? Nun, Jocelin ist Ansons Tochter.« Nicht zu viele Details, Mann. Das bringt dich immer in Schwierigkeiten.
Ein gequälter Ausdruck huschte über ihr Gesicht. »Ist der General nicht in derselben Schlacht gefallen wie Samuel?«
Nathaniel nickte. »Und Jocelins Mann ebenfalls. An der Schlacht bei Talavera waren mehrere Regimenter beteiligt.«
»Das weiß ich«, sagte sie und bekam feuchte Augen. »Ich habe alles darüber gelesen, was ich bekommen konnte.«
»Als der General eine Woche darauf seinen Verletzungen erlag, war ich bei ihm. Bevor er starb, hat er mich zu Jocelins Vormund ernannt, weil er erfahren hatte, dass ihr Mann gefallen war und sie mittellos zurückließ.« Verdammt, er musste sehr vorsichtig sein. Aber es war ja nicht so, als würde er lügen. Er sagte nur nicht die ganze Wahrheit. »Als sie feststellte, dass sie guter Hoffnung war, wurde alles komplizierter, wie Sie sich vorstellen können.«
»Ach, die arme Frau!«, sagte Eliza. »Sie kommt mir schrecklich jung für das vor, was sie zu schultern hat.«
»Sie ist zwanzig. Als ich sie kennengelernt habe, war sie erst sechzehn. Deshalb wollte ich mit Ihnen reden. Ich habe ihrem Vater versprochen, einen guten Ehemann für sie zu suchen, der sich um sie kümmert, aber bislang konnte ich nicht viel tun – wegen ihrer Schwangerschaft und Trauerzeit, und danach waren wir in Trauer. Sie hat bei unserer Mutter gewohnt, bis diese starb, und nun lebt sie bei Tess und Lord Usborne in Gloucestershire. Aber da kann sie nicht ewig bleiben.«
»Jocelin und Ihre Schwester scheinen sich gut zu verstehen«, sagte Eliza vorsichtig.
»Das ist richtig, aber Linwood ist zu klein für die Suche nach einem geeigneten Mann. Und auch wenn sie mein Mündel ist, bis sie einundzwanzig wird, kann sie nicht bei mir wohnen.«
»Natürlich nicht.« Sie musterte ihn interessiert. »Hat sie sonst keine Angehörigen? Eigene, meine ich. Der General und ihre Mutter hatten bestimmt welche, und vielleicht auch ihr verstorbener Mann –«
»March war Waise, auf seiner Seite gibt es also keine Angehörigen.« Diese Lüge ging ihm leicht über die Lippen. »Die Eltern und einzigen Angehörigen des Generals starben, bevor er zur Armee ging, und danach hat ihm ein wohlhabender Herr, dem er einen großen Dienst erwiesen hatte, ein Offizierspatent besorgt. Einmal hat er sogar in Amerika gekämpft, wo er seine Frau kennengelernt hat.«
»Sie war Amerikanerin?«
»Ja. Sie ist schon vor längerer Zeit bei der Niederkunft gestorben und ihr Baby auch. Jocelin blieb ihr einziges Kind.« Der Teil über die Ansons entsprach bedauerlicherweise der Wahrheit. »In Anbetracht der Spannungen zwischen unseren Ländern ist es nicht einmal möglich, Jocelin zu ihren amerikanischen Verwandten zu bringen. Außerdem wurde ihre Mutter, nachdem sie einen britischen Offizier geheiratet hatte, von ihrer Familie verstoßen.« In Elizas Gesicht malte sich Mitgefühl, was ihn darauf hoffen ließ, dass Elegant Occasions Jocelin als Kundin annahm.
»Das macht die Situation von Mrs March noch tragischer«, sagte sie teilnahmsvoll.
Sie machen sich keine Vorstellung. »Ich bin froh, dass Sie es so sehen. Denn ich habe gehofft, Sie könnten, wenn ich Sie und Ihre Schwestern – besser gesagt Elegant Occasions – bezahle, vielleicht … nun ja …«
»Einen ›guten Mann‹ für sie finden?«
»Genau. Das ist es doch, was Sie und Ihre Schwestern tun, oder?«
Sie runzelte die Stirn. »Nicht unbedingt. Wir können schwerlich ein Debüt für eine Witwe mit einem kleinen Kind organisieren, selbst wenn sie Verbindungen zum Adel hat.«
»An ein klassisches Debüt habe ich auch nicht gedacht. Aber Sie könnten sie in gewisse Kreise einführen und dafür sorgen, dass sie von heiratswilligen Männern wahrgenommen wird. Wegen ihres jungen Alters braucht sie Begleitung, und meine ist nicht ausreichend. Momentan ist Tess dafür zuständig, aber sie kennt sich nicht aus in London. Wenn Sie und Ihre Schwestern also diese Funktion übernehmen –«
Jemand rief von der Tür des Musiksaals aus nach Eliza.
Sie drehte sich um und seufzte. »Ich kann das jetzt nicht mit Ihnen besprechen. Möchten Sie morgen mit Mrs March zu uns kommen, damit wir es in Veritys Anwesenheit bereden können? Ich werde zusehen, dass auch Diana dabei ist. Was meinen Sie?«
»Natürlich, wir kommen gern. Vielen Dank.«
Mit einem flüchtigen Lächeln in seine Richtung eilte sie davon.
Er atmete tief durch. Besser hätte es nicht laufen können. Immerhin bot sich ihm nun die Möglichkeit, die drei Schwestern zu überzeugen. Und es war ihm ohnehin eine Freude, sie wiederzusehen. Er hatte sie schon immer gemocht, sowohl vor als auch nach ihrer Heirat. Besser gesagt, bevor zwei von ihnen geheiratet hatten. Wie er gehört hatte, war Verity noch ungebunden.
Er ging in den Musiksaal und setzte sich auf den Platz, den seine Schwester ihm frei gehalten hatte. »Und? Hat deine Eliza zugesagt, Jocelin behilflich zu sein?«, flüsterte sie ihm zu.
»Sie ist nicht meine Eliza, aber sie hat angeboten, sich morgen mit uns zu treffen, um die Angelegenheit zu besprechen. Wenn ich ein paar Stunden mit ihr habe, werde ich sie überreden.«
»Da bin ich nicht so sicher. Sie hat ihren eigenen Kopf.«
»Eliza? Sicherlich. Obwohl ich sie immer als sanftmütig empfunden habe; als jemanden, der sich der Meinung anderer anschließt.«
Doch um ehrlich zu sein, hatte er diesen Eindruck nur durch Sam gewonnen, der darüber geklagt hatte, dass es ihr an Leidenschaft mangele, nicht nur im Bett, sondern ganz allgemein. Sie habe kein Temperament, hatte Sam gesagt, was in seinen Augen bewies, dass ihr außer ihren »geschätzten Schwestern« nichts wichtig genug war, um auch nur eine Spur Begeisterung an den Tag zu legen. Wenn er es recht bedachte, hatten Sams Äußerungen etwas nach Eifersucht geklungen.
Eifersüchtig auf ihre Schwestern? Das war nun doch etwas abwegig, oder?
»Ich bezweifle, dass sie so sanftmütig ist, wenn einmal etwas nicht nach Plan läuft«, sagte Tess. »Ich könnte mir denken, dass sie sehr kämpferisch sein kann, wenn es nottut. Eine Frau erkennt solche Dinge bei anderen Frauen.« Sie schöpfte Atem. »Und sollte ich morgen nicht mitkommen? Dann ist Jocelin vielleicht nicht so nervös.«
»Dafür gibt es keinen Grund – ich bin für sie verantwortlich, und du brauchst ohnehin Zeit für dich. Es ist ja nicht so, als wäre es anstößig, wenn ich eine Witwe zu Elegant Occasions begleite. Nicht einmal Eliza hätte etwas daran auszusetzen.«
»Wenn du es sagst.« Tess sah verstohlen zu Jocelin hinüber, die an ihrem Schultertuch nestelte, das sich in ihren Haarnadeln verfangen hatte, und rückte näher an ihn heran. »Du magst sie, nicht wahr?«
»Jocelin?« Er verstand sie mit Absicht falsch.
»Nicht Jocelin, du Dummkopf. Mrs Pierce.«
Verflucht. Dass Tess die Kupplerin für ihn spielte, war das Letzte, was er brauchte. »Ich mag sie recht gern. Schließlich war sie Sams Frau.« Mit der zu schlafen er nicht abgeneigt wäre.
Verdammter Mist. Das jahrelange Junggesellenleben forderte seinen Tribut. Aber das spielte keine Rolle. Bevor Jocelin ein Zuhause gefunden hatte, konnte er nicht versuchen, Eliza zu verführen. Er durfte es nicht.
Wen versuchst du zu überzeugen, alter Knabe?
Er blickte stur geradeaus. »Ich werde sie immer als Freundin betrachten.«
Seine Schwester schnaubte. Offenbar war sie ebenso skeptisch wie sein Gewissen. »Sie ist sehr hübsch und genau der Typ Frau, der dir gefällt.«
Er hütete sich zu antworten, und so saßen sie einen Moment schweigend beieinander.
Als Tess klar wurde, dass er nichts dazu sagen wollte, schnaufte sie. »Vielleicht solltest du Jocelins Sohn auch mitnehmen. Ich kann mir vorstellen, dass Mrs Pierce Vergnügen an seinen Faxen findet. Sie scheint mir empfänglich dafür zu sein, und du könntest dir auf diese Weise ihre Hilfe sichern.«
Das war im Grunde keine schlechte Idee. »Du willst nur nicht, dass er bei dir und der Dienerschaft bleibt. Warum besorgen wir uns kein Kindermädchen? Ich bin bereit, dafür zu zahlen.«
»Dieses Kind braucht ein ganzes Heer von Kindermädchen, fürchte ich.«
»Er ist nur ungestüm. Wie es alle Jungs in seinem Alter sind.«
»Seit wann bist du Kinderexperte?«, fragte seine Schwester.
Bevor er antworten konnte, kam Eliza auf das Podium und stellte die erste Vortragende vor. Er unterdrückte einen Seufzer. Nun musste er unterschiedlich schlechte Darbietungen junger Damen mit wenig Talent ertragen.
Mit vor der Brust verschränkten Armen sank er auf seinem Stuhl zusammen.
»Bring mich bloß nicht in Verlegenheit«, zischte seine Schwester.
»Wie um alles in der Welt könnte ich dich in Verlegenheit bringen?«, zischte er zurück.
»Als wir das letzte Mal ein Hauskonzert besucht haben, bist du eingeschlafen und hast angefangen zu schnarchen.«
»Ich habe noch nie in meinem Leben geschnarcht.«
»Das sehe ich anders.« Tess wandte sich zu seiner Überraschung Jocelin zu. »Als wir mit der Kutsche nach London gekommen sind und mein Bruder eingeschlafen ist, hat er da geschnarcht oder nicht?«
Jocelin erstarrte wie das Kaninchen vor der Schlange und sah sie erschrocken an. »Äh … also …«
»Ist schon gut, Jocelin. Ich weiß, dass ich schnarche. Gelegentlich.« Er grinste Tess an. »Ich behaupte nur das Gegenteil, um meine Schwester zu ärgern.«
Die Musik setzte ein, und er lauschte. Der Auftritt war sogar etwas besser, als er erwartet hatte. Er hätte wissen müssen, dass Eliza keine schlechten Darbietungen zusammenstellte, von denen man Ohrenschmerzen bekam. Sie und ihre Schwestern waren ausgemachte Profis. Was ungewöhnlich war, wenn man bedachte, dass Damen eigentlich nicht arbeiten durften. Diese Erwartung hatten sie auf den Kopf gestellt.
Gut für sie. Für sich selbst war ihm dies noch nicht gelungen, aber er gab sich alle Mühe.
Im Verlauf der nächsten Stunde hörten sie eine durchaus annehmbare Sonate, ein gelungenes Harfensolo und ein fades Duett. Er hatte sich gerade seiner Schwester zugewandt, um sie zu fragen, wie viele verdammte Vorträge im Programm aufgelistet waren, als die Stimme eines Engels an sein Ohr drang.
In der Annahme, er bilde es sich nur ein, drehte er sich um und stellte fest, dass Eliza die Harfenlaute spielte und dazu Cherubinos Arie aus Figaros Hochzeit sang. Er war verblüfft. Sie hatte einen reinen Sopran wie eine Opernsängerin, und ihr Lautenspiel konnte es mit allem aufnehmen, was er bisher gehört hatte.
Er fragte sich allerdings, ob sie wusste, dass der Cherubino im Theater als »Hosenrolle« galt und für eine verkleidete Frau gedacht war und nicht für einen Mann.
Mmm, Eliza in Kniehosen. Das konnte er sich gut vorstellen. Man würde ihre Waden lediglich von Strümpfen umhüllt sehen, ihre Oberschenkel und ihr rundes Gesäß eng von Stoff umspannt, statt verborgen unter Röcken.
Bei einer öffentlichen Veranstaltung wie dieser würde sie natürlich niemals Kniehosen tragen. Nur Schauspielerinnen wagten das, und auch nur im Theater. Es wäre außerordentlich skandalös, und das entsprach Eliza nicht, zumindest laut ihrem verstorbenen Mann.
Doch ihr ausdrucksvolles Gesicht beim Singen und ihre kesse Interpretation der Arie als humorvollen Kommentar zur Mannwerdung ließ ihn alles überdenken, was Sam ihm erzählt hatte. Niemand, der Ohren hatte, würde glauben, dass es Eliza an Leidenschaft mangelte. Vielleicht war sie gar nicht so, wie Sam sie dargestellt hatte.
Vielleicht war sie bereit für eine Romanze.
Nathaniel stöhnte. Ihm standen ohnehin schon schwierige Monate bevor, gesetzt den Fall, dass sich Elegant Occasions um Jocelin kümmerte. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, war eine Affäre mit der Witwe seines besten Freundes.
Dennoch, als sie ihren Vortrag unter großem Applaus beendete, spürte er, wie die alten Triebe, von denen er längere Zeit verschont geblieben war, wieder in ihm hervorkamen. Er hatte es zwar nicht geplant und es war sicherlich unklug, aber eines nicht allzu fernen Tages wollte er Eliza Harper-Pierce in seinem Bett haben.
Wie auch immer er sie dorthin bekam.
Wie gewohnt kam Eliza als Letzte zum Frühstück nach unten. Der Morgen war nicht ihr Freund. Sie brauchte in der Regel zwei Tassen Kaffee, nur um sich anzukleiden und ihr Schlafgemach zu verlassen. Heute war es noch schlimmer, denn sie hatte kaum geschlafen.
In der Nacht hatte sie immer wieder daran denken müssen, dass Lord Foxstead sie bei ihrem Auftritt mit Blicken verschlungen hatte wie der Wolf seine Beute. Solche Blicke war sie von ihm nicht gewöhnt. Da sie ihn schon vor ihrer Hochzeit mit Samuel gekannt hatte, wusste sie, wie viele andere Frauen er schon auf diese Weise angesehen hatte. Doch obwohl er als Schürzenjäger ersten Ranges galt, hatte er noch nie mit ihr geflirtet.
Bis gestern Abend.
Sie hatte es aufregend gefunden. Damit hatte sie nicht gerechnet, war ihr doch klar gewesen, dass er es nur tat, weil er etwas von ihr wollte. Aber selbst in Tagesgarderobe – Frack aus königsblauem Wollstoff, taillierte Weste aus cremefarbener Seide und Kniehosen aus salbeigrünem Leinen – hatte er so gut ausgesehen, dass sie mit ihm geschäkert hatte.
Vor der Tür des Speisezimmers blieb sie stehen, um ihre Gedanken zu ordnen, und betete, man möge ihr den Schlafmangel nicht ansehen. Diana war Modeexpertin und Verity eine kapriziöse Künstlerin, doch Eliza war diejenige, die hinter den Kulissen die Fäden zog, Rechnungen ausstellte, Forderungen der Händler beglich und die Gemüter von Geschäftsleuten wie auch Kunden besänftigte. Dazu waren eine systematische Detailgenauigkeit und die Begabung erforderlich, die Beweggründe und Emotionen anderer zu verstehen, und vor allem ein ruhiges Auftreten. Daher sparte sie ihre wahren Gefühle für die Musik auf.
Das tat Lord Foxstead allem Anschein nach auch. Denn das Feuer in seinen wunderschönen dunklen Augen während ihres Gesangvortrags am vergangenen Abend hatte etwas in ihr entzündet, das sie längst totgeglaubt hatte.
Nun musste sie sich jedoch gelassen geben und hoffen, dass ihre wirren Gefühle hinter ihrer Maske verborgen blieben. Wenigstens war Dianas Schwägerin Rosy nicht anwesend, die auf Hochzeitreise war und Diana bald vertreten würde. Und Diana selbst kam meist erst später am Tag zu ihnen herüber, sodass Eliza vorläufig nur mit Verity zu tun hatte.
Sie betrat mit geradem Rücken das Speisezimmer und hielt schnurstracks auf die Anrichte zu. »Guten Morgen.«
»Du siehst bezaubernd aus«, sagte ihre Schwester. »Dieses Papageiengrün steht dir wirklich gut. Ist das nicht dein neues Promenadenkleid? Wolltest du es nicht für einen besonderen Anlass aufbewahren?«
Eliza füllte ihre Schüssel mit Porridge. »Ich dachte, ich probiere es aus, damit ich sehe, ob es nicht zu unbequem ist, um es den ganzen Tag zu tragen.«
Verity lachte. »Es hat also nichts damit zu tun, dass Lord Foxstead in Kürze eintrifft.«
»Bestimmt nicht.« Eliza sah ihr mit – wie sie hoffte – festem Blick in die Augen. »Warum auch? Woher weißt du überhaupt, dass er kommt?«
»Er hat eine Nachricht geschickt, in der steht, dass er gegen Mittag kommt.«
Ihr Herz schlug schneller.
Hör auf!, schalt sie ihr unverbesserliches Herz. Lord Foxstead ist nicht der Typ Mann, den du willst, das weißt du ganz genau! Leider gehorchte ihr Körper nicht.
Unterdessen nippte Verity an ihrem Tee. Mit ihrer weiß gepunkteten, gerüschten Morgenhaube sah sie wie ein sittsames Fräulein aus. Bei ihr trog der Schein ganz gewiss.
»Hast du bei dem Hauskonzert zufällig den Phantommann gesehen?«, fragte Verity.
»So nennen wir ihn jetzt?«
»So nenne ich ihn schon die ganze Zeit«, entgegnete Verity.
»Eine passende Bezeichnung«, sagte Eliza. »Er verschwindet ja immer, bevor ihn der Rest von uns zu sehen bekommt.«
»Du hast einmal einen Blick auf ihn erhascht. Bei diesem großen Anlass in Eaton.«
»Einen winzigen Blick. Du hast recht, was den Mann angeht. Er setzt alles daran, von niemandem gesehen zu werden.« Eliza musterte ihre Schwester prüfend. »Außer dir.«
»Er fällt mir halt immer wieder auf. Andere halten ihn einfach für einen Gast, den sie nicht kennen. Ich wünschte, ich könnte seinen Namen herausfinden.«
»Warum? Damit du mit ihm anbandeln kannst?«
»Sei nicht albern. In dieser Hinsicht habe ich kein Interesse an ihm.« Verity stellte ihre Teetasse ab. »Ich habe allerdings gehört, dass du gestern bei dem Hauskonzert mit Lord Foxstead unter vier Augen gesprochen hast. Und dass er von deiner Darbietung hingerissen war.«
Oh je. Sie hatte es sich also nicht eingebildet. Hatte er es womöglich ernst gemeint?
Völlig absurd.
Eliza warf Verity einen finsteren Blick zu, als sie sich an den Tisch setzte. »Du musst gute Spione in diesem Haus haben.«
»Ich habe überall gute Spione«, sagte Verity mit einem Funkeln in ihren grünen Augen. Sie stand auf, um sich noch ein pochiertes Ei aufzutun. »Aber als sie gemutmaßt haben, er könne an dir interessiert sein …«
»Was für ein Unsinn.« Allerdings wünschte sie, es wäre wahr. »Er will nur etwas von mir – von uns. Allein aus diesem Grund hat er mir Beachtung geschenkt. Du wirst es verstehen, wenn ich dir erkläre, warum er heute herkommt.«
»Weil er uns engagieren will?« Verity grinste. »Oder will er etwa um deine Hand anhalten?«
»Sicher.« Eliza schnaubte. »Ein Graf braucht genau eine Frau wie mich – eine skandalbehaftete Witwe, die auf die Dreißig zugeht und keine Mitgift hat.«
»Von dreißig bist du noch weit entfernt. Außerdem ist er ein wohlhabender Graf, der keine Mitgift nötig hat. Und als guter Freund von Geoffrey sehnt er sich vielleicht danach, sich zu unserer trauten kleinen Familie zu gesellen.«
Eliza lachte schallend. »Danach hat er sich noch nie gesehnt, und er war schon lange mit Samuel befreundet, bevor wir geheiratet haben. Und seit wann streben reiche Männer nach weniger Reichtum?« Sie rührte in ihrem Porridge. »Eines Tages wird er einen Erben und einen Ersatz brauchen, und er sollte sich besser eine Jungfrau von unanfechtbarer Tugendhaftigkeit suchen, die von ihrer glücklosen Mama so erzogen wurde, dass sie wegsieht, wenn er mit einer Mätresse tändelt.«
»Ich werde deine Anregungen in Bezug auf seine zukünftige Frau an ihn weitergeben. Er wird deinen Rat gewiss zu schätzen wissen.«
Eliza schnaubte. »Du bist heute Morgen wirklich amüsant. Aber er ist nicht unser zukünftiger Kunde, er übernimmt lediglich die Kosten für die Frau, die unsere Kundin sein wird.« Sie legte ihrer Schwester alles dar, was Lord Foxstead ihr am Vorabend gesagt hatte.
Verity war im Begriff, ihr Toast mit Butter zu bestreichen, und hielt inne. »Was hältst du von seiner Schutzbefohlenen?«
»Sie ist fürwahr ein unschuldiges Lämmchen – kaum zu glauben, dass sie schon zwanzig ist. Und ich frage mich, warum ihr Vater einen wohlbekannten Taugenichts wie Lord Foxstead zu ihrem Vormund bestimmt hat.«
»Da Mrs March die Tochter seines Generals war und abgesehen von ihrem Kind keine Angehörigen oder Freunde in England hatte …« Verity legte ihren Toast ab. »Und wenn die Mutter und Schwester des Grafen auch für sie eintreten …«
»Ich weiß. Und wir könnten das Geld gut gebrauchen. Aber wie ist sie zu einem Kind gekommen, wenn ihr verstorbener Mann auf der Iberischen Halbinsel war?«
Verity zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hatte Mr March aus irgendeinem Grund Heimaturlaub. Warum? Willst du andeuten, Lord Foxstead sei der Vater des Jungen?«
»Es ist immerhin möglich, oder? Ich erinnere mich genau an den Tag vor zweieinhalb Jahren, als Lord Foxstead aus dem Krieg heimkehrte und mich besucht hat, um mich über Samuels Tod zu informieren. Da kann es doch sein, dass sein nächster Besuch der jungen Witwe March galt, um ihr wiederum die Nachricht vom Tod ihres Mannes zu überbringen? Und vielleicht hat die Witwe gar nicht so sehr getrauert? Es wäre ein Leichtes, beim Alter des Kindes um ein paar Monate zu schummeln, um die Beteiligung des Grafen zu vertuschen.«
»Du vergisst, dass Mrs March zusammen mit ihrem Mann in Spanien gewesen sein könnte.«
»Die Armee schickt keine Frauen in den Krieg, Verity. Jedenfalls bis jetzt nicht.«
»Ach? Wer versorgt denn die Verwundeten und wäscht die vielen Uniformen?« Verity schenkte sich Tee nach. »Die Männer werden es wohl kaum tun. Schließlich hat man noch nie von einem Waschmann gehört. Und es gibt zwar Küchenchefs, aber ich bezweifle, dass Armeeköche sich ebenso gut wie Ehefrauen darauf verstehen, aus knappen Vorräten etwas Genießbares zu zaubern.«
Eliza runzelte die Stirn. Samuel hatte ihr erzählt, Offiziere dürften ihre Frauen nicht mitbringen. Andererseits hatte sie schon vor langer Zeit begriffen, dass Samuel es mit der Wahrheit nicht so genau genommen hatte.
»Ist sie hübsch?«, fragte Verity. »Lord Foxstead mag hübsche Frauen, wie ich hörte.«
»Sie ist ein schüchternes Ding, wie es jeder Graf gern zur Frau hätte – hüpfende schwarze Locken, unglaublich lange Wimpern und ein scheuer Blick aus grünen Augen.« Obendrein hatte sie eine perfekte Figur; genau in der Mitte zwischen Verity, die etwas zu schlank war, und Eliza, die ein wenig zu Üppigkeit neigte. »Oh«, schob sie nach, »und er nennt sie bei ihrem Vornamen.«
»Geoffrey nennt mich auch beim Vornamen, und ich bin nicht seine Mätresse.«
»Das will ich hoffen. Unsere Schwester würde ihn ohrfeigen, wenn er auch nur daran dächte. Außerdem scheint er sie unendlich zu lieben.«
»Stimmt.« Verity zeigte auf sehr unziemliche Weise mit ihrem Messer auf Eliza; eine Geste, die ihre Gouvernante ihr früher vergeblich versucht hatte abzugewöhnen. »Hat die junge Frau Lord Foxstead denn auch beim Vornamen genannt?«
Nathaniel.WasfüreinschönerName. »Ich glaube nicht. Ich kann mich nicht erinnern. Aber du weißt, wie er ist. Er versucht jede attraktive Frau zu verführen, die ihm über den Weg läuft.«
Verity zog die Augenbrauen hoch. »Hat er es auch bei dir versucht, als er mit dir allein war?«
»Rede keinen Unsinn. Dazu hatte er keine Zeit«, entgegnete sie abwehrend. Leider. Um Tratsch mit Tratsch zu parieren, sagte sie: »Soll ich glauben, was Geoffrey über Lord Foxstead gesagt hat? Dass er dir und Diana und sogar Rosy in der letzten Ballsaison Avancen gemacht hat?«
»Avancen!« Verity lachte. »Weil er mit uns getanzt hat? Das ist lächerlich. Du musst bedenken, von wem das kommt. Geoffrey konnte es nicht ertragen, wenn ein Mann seine zukünftige Frau auch nur ansah – oder mit seiner Schwester schäkerte –, und wollte Lord Foxstead als Frauenjäger hinstellen.«
»Als ich ihn kennengelernt habe, lange vor meiner Hochzeit, war er tatsächlich einer. Und auch danach war er für seine Liebschaften bekannt. Soll das heißen, dass er dir keine Avancen gemacht hat? Dass du keinerlei Interesse an ihm hast?« Warum wollte sie das unbedingt wissen? Warum sollte es sie kümmern, ob Verity es auf Lord Foxstead abgesehen hatte?
»Sei nicht albern. Obwohl ich zugeben muss, dass er umwerfend aussieht. Sogar besser als dein verstorbener Mann.«
Der so ziemlich der attraktivste Mann gewesen war, dem Eliza je begegnet war … bis er ihr seinen Freund vorgestellt hatte.
Sie verdrängte das Gefühl der Illoyalität, das sie beschlich. Mit seinem schwarzen Haar und der Titus-Frisur, den aparten Gesichtszügen und seinem unbekümmerten Lächeln stellte Lord Foxstead alle anderen Männer in den Schatten. Und die frische Narbe an seiner Wange, die er sich in seinen zwei Kriegsjahren zugezogen haben musste, machte sein Gesicht nur interessanter.
»Aber zwischen uns besteht nicht das geringste bisschen Anziehungskraft«, fuhr Verity fort. »Als er letztes Jahr im Almack’s mit mir getanzt hat – bevor seine Mutter starb und er London verlassen musste, haben wir die ganze Zeit nur von dir geredet.«
»Von mir?« Eliza ignorierte das alberne Flattern in ihrer Brust. »Warum?«
»Er wollte wissen, wie du mit Samuels Tod fertig wirst.«
Veritys Antwort ernüchterte sie. »Oh. Das war nett von ihm.«
Wie sie zugeben musste, konnte Graf Foxstead nett sein, wenn die Situation es erforderte. Als er nach England zurückgekehrt war, um seinen Titel anzunehmen und ihr von Samuels Tod zu berichten, hatte er gesagt, er wolle nicht, dass sie es aus der Zeitung erfuhr. Irgendwie hatte der frischgebackene Graf ihr die Nachricht mit mehr Mitgefühl überbracht als sie ihm jemals zugetraut hätte.
»Was hast du ihm gesagt?« Eliza kostete ihr Porridge. »Darüber, wie ich mit Samuels Tod fertig werde, meine ich.«
»Dass bei dir alles in Ordnung zu sein scheint.« Verity betrachtete sie mit forschendem Blick. »Wie immer. Ganz im Gegensatz zu mir, die ich meine wechselnden Emotionen nicht verbergen kann.«
Eliza verkniff sich ein Grinsen. »Du bist eben launenhaft.«
»Da komme ich leider nach Mama.« Ihre Schwester seufzte. »Deshalb sollte ich niemals heiraten. Männer kommen nicht gut mit Launenhaftigkeit zurecht.«
Eliza tätschelte ihr die Hand. »Bitte halte Papa und deinen törichten ehemaligen Verlobten nicht für typische Männer. Manche Männer – nettere Männer – können sehr wohl mit deinem Temperament umgehen.«
»Ich glaube nicht, dass Lord Foxstead zu ihnen zählt. Obwohl ich nicht abgeneigt wäre, mit ihm umzugehen, wenn du verstehst, was ich meine.«
Als Verity mit den Augenbrauen wackelte, musste Eliza unwillkürlich lachen. »Für eine unverheiratete Dame hast du recht wollüstige Gedanken.« Sie erhob sich, um kandierte Apfelringe für ihr Porridge zu holen. »Jedenfalls fände ich es schlimm, Mrs March nicht als Kundin anzunehmen. Die junge Frau braucht wirklich Hilfe – wenn nicht, um einen Mann zu finden, dann auf jeden Fall, um von Graf Foxstead wegzukommen, bevor ihr Ruf öffentlich ruiniert ist.«
»Weißt du«, sagte Verity, »womöglich will er sie nur auf die feine Gesellschaft vorbereiten lassen, um sie dann selbst zu heiraten. Vorausgesetzt natürlich, es gab nie eine anstößige Beziehung zwischen ihnen und ihr Sohn ist nicht von ihm. Außerdem bist du diejenige, die stets darauf drängt, dass wir wohlhabende Kunden von hohem Rang annehmen.«
»Richtig. Leider haben wir zwei keinen Herzog geheiratet wie unsere teure Schwester und können uns den Luxus nicht leisten, die Aussicht auf eine großzügige Vergütung außer Acht zu lassen, obwohl uns bedürftigere Kunden wesentlich lieber sind.«
»Mit ihnen kommt man viel besser zurecht«, bekräftigte Verity. »Aber solche Kunden haben wir im Moment nicht.«
»Und Rosys Ehemann ist nicht reich. Ganz abgesehen davon, dass mein verstorbener Mann aus einer Laune heraus in den Krieg gezogen ist und mich unversorgt zurückließ, und du, meine Liebe, immer wieder betonst, dass du nicht heiraten willst. Hätten wir nicht das Haus, das Großmutter mir hinterlassen hat, gäbe es unser Geschäft nicht, und du und Diana, ihr würdet noch bei Papa wohnen.«
Sie erschauderten beide.
Eliza seufzte. »Um bis ins hohe Alter versorgt zu sein und falls keine von uns heiratet, brauchen wir reiche, adlige Kunden.«
»Lord Foxstead erfüllt beide Kriterien. Deshalb sollten wir Mrs March annehmen.«
»So ist es.« Auch wenn sie ihn am liebsten jedes Mal schlagen würde, wenn er mit anderen Frauen flirtete. »Aber ich denke, wir sollten sie heute genau unter die Lupe nehmen, um herauszufinden, ob es Hinweise auf Unschicklichkeiten zwischen den beiden gibt.«
»Da stimme ich dir zu. Wir müssen unbedingt ergründen, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Bislang hatten wir mit unserem Geschäft nur Erfolg, weil unsere Kunden uns trotz des skandalösen Verhaltens unserer Eltern für untadelig halten.«
»Genau«, sagte Eliza. Und falls Mrs March Lord Foxstead hörig war und er sich ihr junges Alter zunutze machte, wollte sie ihr helfen, ihm zu entrinnen, bevor ihre Zukunft zerstört war. »Ich bin froh, dass wir uns in diesem Punkt einig sind.«
Sie wechselte das Thema, denn sie hatten noch etwas anderes zu besprechen. »Wo wir vom Betragen unserer Eltern reden, wann hast du zuletzt mit einem von ihnen gesprochen?«
»Nun, Mama sehe ich selten, aber da Papa manchmal zu von uns ausgerichteten Festen kommt, sehe ich ihn etwas öfter. Letzte Woche war er bei dem Ball, den wir organisiert haben.«
»Ich weiß. Ich hatte dem Himmel sei Dank keine Gelegenheit, mit ihm zu reden, weil ich mit Frisieren beschäftigt war und dir danach mit dem Essen geholfen habe.«
Verity musterte sie skeptisch. »Ich habe deine Hilfe nicht gebraucht. Du meidest ihn einfach, so gut du kannst. Aber er ist immer noch unser Vater, weißt du.«
»Der sich geweigert hat, meinem Ehemann meine Mitgift zu geben, wovon ich natürlich indirekt betroffen war. Und nach Samuels Tod wollte er mich dazu zwingen, einen Freund von ihm zu heiraten. Was für ein Vater.«
»Du bist eigentlich die Nachsichtige unter uns dreien.«
Eliza hob ihr Kinn. »Er verdient meine Nachsicht nicht.« Aus mehr Gründen, als sie erläutern wollte. »Du hast doch gesehen, wie er sich auf Dianas Hochzeit Mama gegenüber verhalten hat.«
»Mama war auch nicht gerade freundlich. Sie haben sich halt so gut benommen, wie es Todfeinden möglich ist.«
»Genau das ist meine Sorge.« Eliza stellte ihre Schüssel auf dem Tisch ab, nahm aber nicht Platz, sondern begann, auf und ab zu gehen. »Vorausgesetzt, bei der Geburt geht alles gut, möchte Diana die Kindstaufe von uns ausgerichtet haben, wofür Geoffrey selbstverständlich bezahlt. Wenn sie ihn überreden kann, würde sie in diesem Rahmen auch gern eine Hausparty geben. Aber Mama und Papa wollen natürlich beide zur Taufe eingeladen werden, noch dazu mit ihren jeweiligen neuen Partnern. Kannst du dir vorstellen, sie mehrere Tage zusammen unter einem Dach zu haben?«
»Leider Gottes kann ich das. Wir bräuchten viele Wischlappen für das Blutvergießen.«
»Und Watte für die Ohren der anderen Gäste, damit sie das Gezeter nicht hören.«
Als hätte es ihr Gespräch heraufbeschworen, kam in diesem Moment ein kleiner Junge in einem blauen einteiligen Hosenanzug ins Zimmer gelaufen und rief: »Toos!«
»Sag bloß!«, entgegnete Verity, obwohl sie keine Ahnung hatte, was er meinte.
Eliza lächelte den flachsblonden Jungen an, dessen Wangen so rot waren wie seine Lippen. »Wie heißt du, junger Mann?«, fragte sie, obwohl sie in Anbetracht des erwarteten Besuchs ziemlich genau wusste, wer er war.
»Jimmy.« Er trat mit nachdenklich gerunzelter Stirn von einem Bein aufs andere. »Wenn Mama böse …« Er warf sich in die Brust und rief: »James! William! March!«
Sie mussten beide lachen.
»Ist deine Mama oft böse?«, fragte Eliza entzückt.
»Mama nicht böse«, antwortete er kopfschüttelnd. »Jimmy brav.«
»Das sehe ich«, sagte Eliza.
Er warf ihr einen schelmischen Blick zu. »James William March böööser Junge.«
Mrs March kam in den Raum geeilt. »Das ist er in der Tat.«
Elizas Butler Norris kam atemlos hinter ihr her. »Mrs William March, Master James March und Lord Foxstead, Madam«, meldete er.
Mrs March machte errötend einen Knicks vor Eliza und Verity. »Es tut mir so leid. Bitte verzeihen Sie uns.« Sie bückte sich, um ihren Sohn anzusehen, der sich unter dem Tisch versteckt hatte. »James Wi– Jimmy, komm sofort heraus!«
Zu Elizas Überraschung gehorchte er. »Toos, Mama!«
»Du kannst nicht einfach bei anderen Leuten nach Essen fragen, Junge«, sagte Lord Foxstead milde, als er den Raum betrat.
»Oooh, Toast!«, riefen Eliza und Verity gleichzeitig.
»Wir haben Toast.« Eliza ging zur Anrichte. »Wie viele hättest du gern, Jimmy?«
Der Junge schaute auf seine Hände, als wollte er es an seinen Fingern abzählen. Dann hielt er alle zehn hoch. »So viele!«
Lord Foxstead folgte Eliza zur Anrichte. »Du bekommst keine zehn Scheiben Toast, du kleiner Schlingel. Zwei genügen vollauf.« Er zeigte auf die Servierzange in Elizas Hand. »Darf ich?«
»Selbstverständlich«, sagte Eliza. Als seine Hand die ihre berührte, bekam sie weiche Knie. Törichte Beine.
Es war eindeutig zu lange her, seit sie zuletzt einen Mann getroffen hatte, der ihr gefiel. Und in seinem eisengrauen Gesellschaftsanzug sah der Graf sogar noch besser aus als in der formelleren Kleidung am vergangenen Abend. So oder so, im Anzug machte er in jedem Fall eine gute Figur.
»Wenn man sieht, wie viel der Junge isst«, sagte Lord Foxstead, »könnte man meinen, wir würden ihm zu Hause nichts geben.«
»Er braucht wirklich nicht mehr Toast, gnädiger Herr«, warf Mrs March ein.
Lord Foxstead lächelte Jimmy an. »Ein Bursche wie du braucht immer Toast, nicht wahr, Jimmy?«
»Toos!«
Der Graf trug lachend den Teller zum Tisch und setzte Jimmy auf einen Stuhl. Der Junge reichte mit der Nase gerade eben an die Tischkante heran.
»Ich hole ihm ein Kissen«, sagte Eliza.
Doch bevor sie aufstehen konnte, nahm der Graf Jimmy auf den Schoß. Dann stöhnte er. »Du hast recht, Jocelin«, sagte er, als Jimmy ein wenig zappelte. »Dieser Junge wiegt bald so viel wie ein Pony, wenn wir nicht die Zügel anziehen.«
Weil die beiden so nah beieinander waren, konnte Eliza nach Ähnlichkeiten zwischen ihnen suchen. Sie glaubte ein paar zu erkennen, aber wahrscheinlich bildete sie sich die wenigen, die sie sah, nur ein. Sie reichten gewiss nicht aus, um den Gedanken zu legitimieren, der Graf sei der Vater des Jungen. Sie hoffte inständig, dass er es nicht war. Schürzenjäger hin oder her – die Vorstellung, Lord Foxstead würde so tief sinken, dass er eine Frau verführte, der zu helfen er sich verpflichtet hatte, war ihr unerträglich.
Andererseits hatte er damals wirklich einen schlechten Einfluss auf Samuel gehabt.
Als Jimmy die Hand nach dem Teller ausstreckte, sagte er: »Langsam, Jimmy. Es ist noch keine Butter drauf.«
Jimmy schüttelte mürrisch den Kopf. »Keine Butter. Mag ich nicht.«
»Aber sicherlich –«, begann Graf Foxstead.
»Keine Butter!«, schrie Jimmy.
»Na schön. Greif zu«, sagte der Graf und schob ihm den Teller hin. »Dann eben ohne Butter.«
Der Junge verschlang die zwei Scheiben und krümelte den Anzug des Grafen voll. Der Mann schien es nicht einmal zu merken. Es kümmerte ihn jedenfalls nicht.
Eliza hingegen fiel in diesem Moment der Gesichtsausdruck von Mrs March auf, die ihn bewundernd ansah. Aus ihrem Blick sprach die reine Heldenverehrung. Oh je.
Es wurde Zeit herauszufinden, ob sie mit ihren Befürchtungen recht hatte. Denn wenn ja, mussten sie und Verity ihre Strategie ändern.
Damit du ihn haben kannst?
Eliza verbannte diesen Gedanken in den hintersten Winkel ihres Bewusstseins, um sich später damit zu befassen. »Nachdem der kleine Jimmy gegessen hat, könnte Verity vielleicht mit ihm in den Garten gehen? Das würde ihm bestimmt gefallen.«
»Gute Idee.« Lord Foxstead setzte den Jungen auf dem Boden ab. »Dann können wir auch besser reden.«
Verity sprang sofort auf und nahm das Kind an die Hand. »Jimmy, magst du Fische? Möchtest du unseren Goldfischteich sehen?«
»Fische!«, rief Jimmy. Er schlug immer den gleichen Ton an – einen sehr energischen.
Fröhlich ging er mit Verity davon. Es gab nicht viele Kinder, die so gefügig waren. Andererseits wurde Jimmy wahrscheinlich ständig von Kindermädchen und Familienmitgliedern wie der Schwester von Lord Foxstead betreut. Doch wenn dem so war, warum war er dann hier?
Als hätte er Elizas Gedanken gelesen, sagte der Graf: »Wir haben Schwierigkeiten, ein geeignetes Kindermädchen für Jimmy zu finden – und vor allem zu behalten. Ich weiß nicht, warum.«
»Offenbar haben Sie kaum mit Jungen in seinem Alter zu tun, sonst wüssten Sie, wie abenteuerlustig und enervierend sie sind«, entgegnete Eliza. »Da bleibt es nicht aus, dass sie in Schlammpfützen springen oder von einer Biene gestochen werden oder dass ein Hund nach ihnen schnappt.«
»Das war bei mir anders.« Lord Foxsteads Stimme wurde hart. »Solche Freiheiten hatte ich in der Kindheit nicht. Aber so soll es dem kleinen Jimmy nicht ergehen.« Er hielt inne. »Woher wissen Sie überhaupt, wie kleine Jungen sind?«
»Erstens hat mein Vater drei kleine Stiefsöhne, die ich gelegentlich sehe, und zweitens arbeite ich ehrenamtlich im Findelhaus. Da habe ich Umgang mit vielen kleinen Jungen.« Eliza wandte sich Mrs March zu. »Das Findelhaus sucht laufend Stellen für die jungen Damen, die es unterstützt. Wenn Sie also gestatten, könnte ich ein Kindermädchen für Jimmy finden, das wahrscheinlich länger bleibt, und sei es nur aus Dankbarkeit für die Anstellung.«
»Danke, aber er braucht kein Kindermädchen. Alle, die wir bisher hatten, waren … fies. Ich kann selbst auf ihn aufpassen.«
Es würde nur gelingen, wenn sie Mrs March beruhigen konnte. »Das glaube ich Ihnen, aber Sie werden mit den Vorbereitungen für Ihre Einführung in die Gesellschaft beschäftigt sein. Die Ballsaison ist anstrengend, und jemand wird auf Jimmy aufpassen müssen, während Sie Bälle und andere Veranstaltungen besuchen. Vorausgesetzt, Lord Foxstead ist bereit, für ein Kindermädchen zu bezahlen.« Falls ja, würde es ihr eine Menge sagen.
»D-daran hatte ich nicht gedacht«, sagte Mrs March mit leiser Stimme. »Jimmy ist ein guter Junge, wissen Sie. Er hat nur in solchen Situationen eine Menge Energie. Er will alles auf einmal sehen und tun.«
»Natürlich«, entgegnete sie besänftigend. »Bei Jungen seines Alters ist es nicht anders zu erwarten.«
»Er ist schon über zwei Jahre alt«, sagte Mrs March abwehrend.
Das ließ Eliza innehalten. Wenn Jimmy tatsächlich in diesem Alter war, hatte Lord Foxstead ihn wahrscheinlich nicht gezeugt. »Ihr Sohn braucht auf jeden Fall jemanden, der mit ihm nach draußen geht und ihn beschäftigt, während Sie sich einen Ehemann suchen.«
»Oh.« Mrs March gab sich geschlagen. »Aber ich kann selbst ein Kindermädchen besorgen, wenn mir jemand sagt, wie man es macht – wonach ich gehen sollte und so weiter.«
»Sie meint, wenn ihr jemand hilft, der mehr Sachverstand hat als ich«, bemerkte Lord Foxstead trocken in Elizas Richtung. Dann wandte er sich Mrs March zu. »Vielleicht könnte Mrs Pierce uns eine Liste mit jungen Damen geben, die Arbeit brauchen und die wir uns dann gemeinsam ansehen? Was meinst du?«
Mrs March strahlte ihn an. »Das wäre wundervoll, gnädiger Herr.«
Eliza konnte ihre Reaktion auf den Austausch der beiden nur mit Mühe verbergen. Aber nicht das, was Mrs March gesagt hatte, störte sie, sondern vielmehr die Verehrung, die aus ihren ausdrucksvollen Augen sprach. Das konnte ihre Bemühungen, der jungen Dame zu helfen, erschweren.
Und du bist eifersüchtig.
Unsinn. Sie neigte nicht zu Eifersucht. Und hatte sie nicht ohnehin schon beschlossen, dass Lord Foxstead nichts für sie war?
»Ich stelle Ihnen gern eine Liste mit möglichen Kindermädchen aus.« Eliza sah die beiden an. »Und nachdem wir das geklärt haben, begleiten Sie mich bitte nach oben in den Salon.«
Auf dem Weg dorthin achtete sie genau darauf, wie der Graf sich gegenüber Mrs March verhielt. Er schien fürsorglich zu sein, jedoch nicht in größerem Maße als es jeder andere Gentleman gegenüber einer jungen Dame wäre. Und als sie sich auf dem Sofa niederließ und ihn hoffnungsvoll ansah, nahm er in einem Sessel Platz, obwohl er sich problemlos neben sie hätte setzen können.
Vielleicht interpretierte sie aber auch nur zu viel in die Platzwahl hinein, weil sie aus egoistischen Gründen nicht wollte, dass er etwas für Mrs March empfand.
Sie schob den Gedanken beiseite und setzte sich selbst neben die junge Frau. »Lassen Sie uns darüber reden, was Sie erreichen möchten – außer einen Ehemann zu finden natürlich. Auch wäre es hilfreich, wenn Sie mir sagen könnten, welche Art der Unterstützung Sie sich von Elegant Occasions wünschen, um zu bekommen, was Sie wollen.«
»Sehr wohl«, entgegnete Lord Foxstead, obwohl sie Mrs March angesprochen hatte. »Jocelin muss natürlich diverse gesellschaftliche Ereignisse besuchen, wo sie Gentlemen von gutem Ruf und Stand kennenlernen kann.«
Als Mrs March konsterniert den Blick senkte, seufzte Eliza. War sich Lord Foxstead der Gefühle, die Mrs March für ihn hegte, wirklich nicht bewusst?
Es sah ganz danach aus, denn er verfolgte das Thema weiter. »Ein Witwer mit Kindern wäre passend, denke ich, denn er würde Jimmy bereitwilliger akzeptieren. Manchen Männern widerstrebt es, die Kinder eines anderen aufzuziehen.«
»Aber nicht allen«, merkte Eliza an. »Papa hat Sarah gerade deshalb geheiratet, weil sie ihrem verstorbenen Mann Söhne geschenkt hat.« Sie sah Mrs March an und hoffte, sie zu einer Reaktion zu bringen. »Mein Vater braucht einen Erben, wenn Sie verstehen.«
Die junge Frau sah nicht einmal auf. Aber dann wisperte sie: »Brauchen nicht alle adligen Herren einen Erben?«
»Richtig, jeder Gentleman mit familiärem Grundbesitz braucht einen. Und es ist ein zusätzlicher Ansporn, dass Sie Ihrem Mann einen Sohn geschenkt haben.«
Im Gegensatz zu mir, die ich meinem gar nichts gegeben habe, nicht einmal eine anständige Mitgift. Doch angesichts dessen, was Samuel über ihren Vater gewusst hatte, hätte er mit Letzterem rechnen müssen – ganz zu schweigen davon, dass sie durchgebrannt waren, um heimlich zu heiraten.
Eliza holte Stift und Notizbuch hervor und verdrängte ihre trüben Gedanken. »Haben Sie Wünsche, was den Mann angeht, den Sie für sich gewinnen möchten, Mrs March?«
Als diese die Stirn runzelte, sagte der Graf hastig: »Er sollte relativ wohlhabend sein, meine ich.«
Eliza bedachte ihn mit einem tadelnden Blick. »Soweit ich unterrichtet bin, Graf Foxstead, lautet Ihr Name nicht Mrs March.«
Seine Schutzbefohlene musste lachen.
Lord Foxstead sah Eliza mit zusammengekniffenen Augen an. »Soweit ich unterrichtet bin, macht der, der die Rechnungen bezahlt, auch die Regeln.«
»Damit hatte Ihr Freund, der Herzog, schon im vergangenen Jahr keinen Erfolg, Sir, und ich bezweifle, dass es bei Ihnen anders sein wird«, gab sie scharfzüngig zurück. »Überdies haben Sie nicht den Vorzug, mit der jungen Dame in Verbindung zu stehen, mit deren Einführung in die Gesellschaft Sie uns betrauen möchten.«
Nachdem sie ihn praktisch herausgefordert hatte, Jocelin als seine Mätresse zu bezeichnen, wartete Eliza ab.
Er studierte ihr Gesicht, als suchte er nach einer Schwäche, die er sich zunutze machen konnte. Dann zuckte er mit den Schultern. »Na schön. Ich werde schweigen, bis wir auf Ihre Vergütung zu sprechen kommen.«
»Eine gute Entscheidung.« Eliza wandte sich Mrs March zu. »Sagen Sie, meine Liebe, bevorzugen Sie einen bestimmten Typ von Mann?«
Die Frau schaute auf ihre Hände. »Solange er freundlich und gut ist, kümmert mich nicht, wie er aussieht und ob er reich ist.« Als sich der Graf räusperte, fügte sie hinzu: »Tut mir leid, gnädiger Herr, aber Geld spielt für mich wirklich keine Rolle.«