Ein Viscount für Verity - Sabrina Jeffries - E-Book

Ein Viscount für Verity E-Book

Sabrina Jeffries

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Beschreibung

Der krönende Abschluss der sinnlich-vergnüglichen Regency-Reihe

Als Sohn eines Viscount ist Rafe Wolfford verpflichtet, zu heiraten. Aber seine Frau soll bitte nicht zu unabhängig und eigenwillig sein - und vor allem nicht zu neugierig, denn er ist ein Spion für die Krone. Die intelligente und unerschrockene Lady Verity, die mit ihren Schwestern die Event-Agentur "Elegant Occasions" führt, wäre daher die absolut falsche Wahl für ihn. Daher ist sein Werben um sie ist nur ein Vorwand, um herauszufinden, ob die Damen von Elegant Occasions Informationen an die Franzosen geliefert haben. Rafe versucht, sich einzureden, dass seine Mission alles ist, was zählt und er nur deshalb Veritys Nähe sucht - doch das Schicksal und die Leidenschaft haben andere Pläne ...

Abschlussband der ELEGANT OCCASION-Trilogie

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Seitenzahl: 522

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INHALT

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

Epilog

Die Autorin

Die Romane von Sabrina Jeffries bei LYX

Impressum

Sabrina Jeffries

Ein Viscount für Verity

Roman

Ins Deutsche übertragen von Ruth Sander

ZU DIESEM BUCH

Der Viscount Rafe Wolfford ist ein Geheimagent im Auftrag der Krone. Er soll einen Verräter finden, der Informationen an Napoleon weiterträgt und seinen Onkel schwer verletzt hat. Da er den Spion im Umfeld der Event-Agentur »Elegant Occasions« vermutet, beschließt er, Verity, der jüngsten der drei Harper-Schwestern, zum Schein den Hof zu machen. Allerdings ist Verity unerschrocken, intelligent und äußerst neugierig – nicht gerade ideale Bedingungen, um unbemerkt ermitteln zu können. Hinzu kommt, dass sie sich zwar zu ihm hingezogen fühlt, nach einer gescheiterten Verlobung jedoch nicht so einfach bereit ist, ihr Herz wieder zu verschenken. Während einer ausgedehnten Hausparty auf dem Anwesen des Duke of Grenwood kommen sie sich dennoch näher, und Rafe muss sich eingestehen, dass seine Mission nicht mehr der einzige Grund ist, Veritys Nähe zu suchen. Als deren Ex-Verlobter droht, ihren Ruf zu ruinieren, bietet Rafe ihr die Ehe an, um sie vor einem Skandal zu schützen. Und als der Spion, den er jagt, Verity in Gefahr bringt, begreift Rafe endgültig, dass er längst sein Herz an die unerschrockene Lady verloren hat …

Für Wendell Williams und Julie Brennan

und die vielen anderen Betreuer, die sich über die Jahre um meinen autistischen Sohn gekümmert haben. Danke für Eure harte Arbeit, Hingabe und liebevolle Hilfe. Ich weiß, dass Nick sie zu schätzen weiß und seine Eltern erst recht! Ihr seid die Besten!

1. KAPITEL

London

August 1812

Colonel Raphael Wolfford nickte grüßend, als Sir Lucius Fitzgerald sich in der Kutsche auf den Platz ihm gegenüber setzte. Während das Gefährt weiterrumpelte, musterte der Agentenführer Rafe aufmerksam.

Der hob eine Braue. »Vielleicht hätte ich meine Uniform anziehen sollen.«

»Warum jetzt damit anfangen? Auf der Iberischen Halbinsel haben Sie sich doch wahlweise als spanischer Bauer, irischer Söldner oder was auch immer ausgegeben, um die Geheimnisse der Franzosen zu lüften. Sie sind der einzige Soldat, den ich kenne, der sich jemals als Jack in the Green verkleidet hat, um an Informationen heranzukommen. Daher tun Sie heute Abend besser daran, einmal das darzustellen, was Sie tatsächlich sind: der zukünftige Erbe eines Viscount-Titels.«

Verlegen lachte Rafe in sich hinein. »Mir hat man immer erzählt, dass Damen Männer in Uniform vorziehen.«

»Diese nicht. Wenn solche Damen eine Uniform sehen, gehen sie davon aus, einen Zweitgeborenen und nicht den Erben vor sich zu haben, und das wäre ja nun dem Zweck Ihres Vorhabens nicht dienlich, oder?«

»Fürwahr.«

»Zudem möchten wir nicht, dass irgendjemand erfährt, dass Sie noch im Dienst sind. Oder dass Sie sich seit mehr als anderthalb Jahren in England aufhalten.« Sir Lucius schaute auf seine Taschenuhr. »Sie sind also ganz sicher, dass Sie diese Veranstaltung als Sie selber besuchen wollen?«

»Ja.« Selbst wenn er nach wie vor nicht genau wusste, wer er selber war. »Ich sehe keinen anderen Weg, meine Nachforschungen fortzusetzen.«

»Sie sind sich aber darüber im Klaren, dass der Weg, den Sie einschlagen wollen, bestenfalls unsicher und schlimmstenfalls gefährlich ist.«

Rafe zuckte die Achseln. »Onkel Constantine hat sein Leben riskiert, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, somit ist das Mindeste, was ich tun kann, es ihm gleichzutun.« Instinktiv strich er über die versteckte Tasche in seinen Kniehosen, in der das Messer steckte, das er stets bei sich trug. »Obwohl ich, ehrlich gesagt, keine Gefahr dabei sehe. Mein Onkel war, als er angeschossen wurde, unter einem falschen Namen unterwegs, daher wird dieser verfluchte französische Spion wohl kaum wissen, mit wem er es in Wahrheit zu tun hatte, und somit auch nicht, wie ich zu diesem Mann stehe.«

»Dessen können wir uns nicht sicher sein. Constantine kann nicht mehr sagen, ob er als General Wolfford erkannt worden ist … oder vielleicht sogar gezwungen wurde, seine Identität preiszugeben, um mit seiner Untersuchung voranzukommen. Deshalb bin ich so besorgt.«

Ein Streifschuss am Kopf hatte vor anderthalb Jahren den Nachforschungen seines Onkels ein Ende gesetzt, seither war der alte General ans Bett gefesselt und redete wirr. Das wollte Rafe verdammt noch mal nicht auf sich beruhen lassen.

»Nun ja, nach den neuesten Informationen, die wir erhalten haben, muss ich unbedingt mehr tun«, meinte Rafe. »Inkognito herumzuschleichen hat nichts eingebracht. Ich muss in das Schlangennest hinein, um den Schuldigen ausfindig zu machen.«

Sir Lucius beäugte ihn misstrauisch. »Betrachten Sie die Harper-Schwestern und Elegant Occasions wirklich als Schlangennest?«

»Nicht die jungen Damen«, erwiderte Rafe unwirsch. »Ihre Beteiligung an den verräterischen Handlungen ist bestenfalls marginal, auch wenn ich Lady Foxsteads neuen Ehemann noch nicht von der Liste der Verdächtigen gestrichen habe. Aber ihr Vater, seine Diener und vielleicht sogar ihre Mutter und deren neuer Ehemann haben zweifelsohne ihre Finger im Spiel.«

»Das hat jedenfalls Ihr Onkel geglaubt.«

»Und niemand würde je behaupten, dass es ihm als Spion an guten Instinkten mangelte. Er hat mich alles gelehrt, was ich kann.«

Nur dass das nicht reichte. Rafe schaute aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Öllampen, die in etwa so viel Licht auf die Straße warfen wie sein Anschleichen vom Rande her auf die Fragen zur Familie Harper. Ein raffinierterer Feind als Osgood Harper, der Earl von Holtbury, war ihm bislang nicht untergekommen. Der Schurke machte nie einen falschen Schritt, wie man auch an der erfolgreichen Scheidung von seiner ersten Frau und der Wiederheirat mit einer anderen Dame der Gesellschaft sehen konnte. Beides sprach für Holtburys zweifelhaftes Talent, Regeln, Macht und Geld zu seinem Vorteil zu nutzen.

Das fuchste Rafe. »Aber ich weiß immer noch nicht, wer der Spion ist oder wo Onkel Constantine seine Berichte und die letzten Aufzeichnungen zu dieser Sache verwahrt und wer ihn attackiert hat, als er der Lösung zu nahe kam.«

»So etwas braucht Geduld. Und Ihnen ist es bereits gelungen, mehrere Menschen im Dunstkreis der Familie Harper auszuschließen: einige ihrer engen Freunde, den Butler von Elegant Occasions, eine Handvoll anderer Diener …«

»Ja, aber die Zeit wird knapp. Wellington hat wegen dieses Spions bereits mehrere Rückschläge erlitten. Und da Napoleon nun in Russland einmarschiert, muss Wellington, solange es noch geht, auf der Halbinsel mit aller Macht zurückschlagen.«

Hastig wechselte Sir Lucius das Thema. »Was hat dieser neue Arzt aus Edinburgh, den Sie konsultiert haben, über Constantines Gedächtnis gesagt?«

»Er hat mir bestätigt, was ich bereits vermutet hatte. Der alte Mann wird seinen Verstand nie wieder zurückerlangen. Und möglicherweise hat er auch nicht mehr lange zu leben.« Sein Onkel war immer in seiner Arbeit aufgegangen, selbst nach seiner Pensionierung, daher wollte Rafe ihm vor seinem Tod sagen können, dass seine Mission erfolgreich beendet war, selbst wenn er das jemandem mitteilen musste, der es nur noch halb verstand.

Der Schmerz, der ihn bei dem Gedanken durchzuckte, ließ ihn die Zähne zusammenbeißen. Sein Onkel hatte immer gesagt: »Sein Herz über seinen Verstand zu stellen/Ist der sicherste Weg in die Grabstellen.« Der Mann hatte ein Faible für Reime.

Rafe bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Deshalb muss ich in den inneren Zirkel der Familie.«

»Genau da sehe ich die Gefahr.«

»Die muss man in Kauf nehmen, wenn man irgendetwas Wichtiges erfahren will. Immer größere Risiken ohne den geringsten Erfolg einzugehen – wie am Maifeiertag –, ist zermürbend.« Vor allem wenn er auch bei den Nachforschungen über seine verstorbene Mutter nicht vorankam.

»Bei der Veranstaltung sind Sie immerhin dem Earl näher gekommen als je zuvor.«

»Nicht, dass es mir etwas gebracht hätte«, grollte Rafe leise schnaubend. »In meiner Maskerade als Jack in the Green war es nicht gerade einfach, an den Kerl heranzukommen. Nebenbei bemerkt wäre ich fast enttarnt worden.« Von der Tochter des Mannes, Lady Verity Harper. Der Blaustrumpf war manchmal neugieriger als ihr guttat.

»Bei Ihrem Ruf halte ich es für höchst unwahrscheinlich, dass irgendjemand erraten hat, wer Sie sind. Sie haben doch sogar Beaufort an der Nase herumgeführt, dabei kennt der Koch Sie nur zu gut.«

»Oh, dafür habe ich gesorgt, keine Angst. Aber es war knapp«, meinte Rafe. »Schleichen Sie sich mal auf das Grundstück rund um eine Jagdhütte, wenn alle Gäste aus dem Familien- oder Freundeskreis stammen und die wenigen Bediensteten und Schauspieler von genau den Leuten gründlich inspiziert werden, die Sie aushorchen möchten. Dagegen ist ein Ball in der Stadt, wo man sich unter die Gäste mischen kann, die sich untereinander nicht alle kennen, ein Kinderspiel.«

Sir Lucius hob eine Braue. »Wollen Sie damit sagen, dass das Chamäleon nicht mehr in der Lage ist, wo auch immer es möchte, mit der Umgebung zu verschmelzen?«

Der vertraute Spitzname ärgerte Rafe. Vielleicht hatte er ihn sich während seiner Zeit auf der Halbinsel ja verdient. Sehr viel wahrscheinlicher aber war, dass gelangweilte Soldaten Spaß daran gehabt hatten, ihm dieses Etikett zu verpassen – jedenfalls waren ihre Geschichten von seinen zahlreichen Erfolgen mit jeder Wiederholung legendärer geworden. Besonders seit es ihm gelungen war, seine Arbeit zu verrichten, ohne seine wahre Identität zu enthüllen, die nur einigen wenigen bekannt war. Wellington. Sir Lucius. Und seinem Onkel.

Rafe versteifte sich. »Der Krieg erfordert andere Strategien. Im Ausland habe ich Informationen über den Feind gesammelt und nicht über meine eigenen Landsleute. Selbst Sie müssen zugeben, dass es sinnlos ist, dieser Familie weiter nachzuspionieren, es sei denn, ich schaffe es, mich zu einem vertrauten Freund zu machen.«

»Indem Sie Lady Verity den Hof machen.«

»Warum nicht? Einer muss es ja tun. Die Frau ist schon viel zu lange außer Kontrolle.«

Sir Lucius feixte. »Höre ich da einen Hauch von Gereiztheit heraus?«

»Mitnichten.«

Das war gelogen, dachte Rafe. Natürlich war er gereizt. Schließlich hatte er einen Auftrag, und Lady Verity Harper hatte ihn vereitelt. Jedes verdammte Mal, wenn er nahe genug an jemanden herangekommen war, um eine wichtige Information aufzuschnappen, war sie aufgetaucht, sodass er gezwungen gewesen war, sich zurückzuziehen, ehe er ertappt oder erkannt wurde. Es war an der Zeit, dass er die Kontrolle über die Lage zurückbekam.

»Sie meinen, Sie könnten ihr schöne Augen machen«, sagte Sir Lucius, »damit Sie Ihnen alles sagt, was Sie wissen wollen.«

Rafe zuckte die Achseln. »Jede Dame der Gesellschaft möchte einen Ehemann.«

»Da wäre ich mir nicht so sicher. Aber wenn Sie schon eine Dame umwerben müssen, um unseren Spion zu enttarnen, kann es genauso gut eine hübsche sein.«

»Ihr Aussehen hat nichts damit zu tun.« Zugegeben, er fühlte sich von der Frau angezogen. Warum auch nicht? Die grünäugige, knabenhafte Schönheit mit der goldenen Haut und dem dunkelhonigfarbenen Haar reizte jeden Mann, mehr von ihr zu erfahren.

Doch ungeachtet ihrer offensichtlichen Reize war sie sein bestes Eintrittsticket in den inneren Zirkel. Vor allem weil ihre beiden Schwestern bereits verheiratet waren, und so, wie es aussah, sehr glücklich.

Sir Lucius räusperte sich. »Sobald Sie das gesellschaftliche Parkett als Sie selber betreten, wird es wesentlich schwerer werden, wieder ein Inkognito anzunehmen. Sie werden alle Vorteile einbüßen, die das Versteckspiel für Sie hatte, und diese Rolle bis zum Ende spielen müssen, selbst wenn das bedeutet, dass Sie sich damit Ihren Ruf als zukünftiger Lord Wolfford ruinieren.«

»Das ist mir gleich.« Die Rolle hatte er im Übrigen nie wirklich haben wollen. Als er als Adjutant in die Armee eingetreten war, war er nur der Erbe eines Generals gewesen, da sein Onkel Constantine den Viscount-Titel, den er später für seine Verdienste um sein Vaterland verliehen bekam, noch nicht getragen hatte. Nur wenige von seinen Kameraden hatten ihn als etwas anderes als einen Offizier mit guten militärischen Verbindungen gekannt. »Wenn Onkel Constantine stirbt, muss ich mich ohnehin öffentlich zeigen. So kann ich wenigstens einen Nutzen daraus ziehen.«

Ein Seufzer kam über Sir Lucius’ Lippen. »Der Zeitpunkt ist genau richtig, das muss ich zugeben. Und die bevorstehende Elegant-Occasions-Veranstaltung an der Küste bietet Ihnen die perfekte Gelegenheit, die Familie näher kennenzulernen.«

»Mir wurde gesagt, dass sogar Holtburys frühere Frau zugegen sein wird.«

»Lady Rumridge.«

»Genau«, erwiderte Rafe. »Mit ihr möchte ich als Erstes reden, weil ihr neuer Ehemann ein ranghoher Offizier ist. Sie könnte sogar diejenige sein, die die Informationen weitergibt. Ich kann mir keine bessere Gelegenheit vorstellen, sie zu befragen, als eine zweiwöchige Einweihungsfeier mit ihr und den anderen Verdächtigen.«

»Vorausgesetzt, dass Sie eine Einladung bekommen.«

Rafe kreuzte die Arme vor der Brust. »Elegant Occasions möchte einige junge Damen mit geeigneten Heiratskandidaten bekannt machen, und ich bin ein sehr geeigneter Kandidat zum Heiraten. Ich werde alles tun, was nötig ist, um diese Einladung zu ergattern. Dazu kommt, dass Exmouth nur eine Tagesreise von Lord Holtburys Anwesen entfernt ist, sodass ich, falls ich mit meinem Werben gut vorankomme, als ein Freund der Familie dort hinreisen kann, vielleicht sogar als Lady Veritys Verlobter.«

Sir Lucius’ Gesicht verfinsterte sich. »Sie wollen Lady Verity doch nicht im Ernst einen Heiratsantrag machen, wenn Sie wissen, dass Sie nicht zu Ihrem Wort stehen wollen. Eine derartige Täuschung hätte selbst Ihr Onkel nicht gutgeheißen.«

»Stimmt.« Aber wenn es sein musste … Nein, besser, er gab vor seinem Vorgesetzten nicht zu, dass er so weit gehen würde. Schließlich war Sir Lucius im Herzen ein Gentleman.

Aber Rafe als Soldat konnte den Gedanken nicht ertragen, dass seine Landsleute starben, weil irgendein Aristokrat beschlossen hatte, Geheimnisse über Truppenbewegungen an Englands Feinde zu verraten. »Ich hoffe doch sehr, dass ich weiß, wie man mit einer Frau flirtet, ohne in den Fesseln der Ehe zu enden.«

»Ach ja?« Sir Lucius schnaubte. »Wenn ich irgendwelche Zweifel an Ihrem Plan habe, dann in erster Linie dahingehend, dass Sie imstande sind, einer Dame von Stand den Hof zu machen. In Ihrem Beruf haben Sie nur selten Kontakt zu solchen Damen gehabt, und Sie hatten auch nie eine Mutter oder Schwestern, von denen Sie lernen konnten, also woher sollte dieses große Wissen über das Flirten kommen?«

Rafe straffte die Schultern. »Ich habe oft genug mit Frauen zu tun gehabt, um zu erkennen, dass sie sich nicht von Männern unterscheiden. Sobald man Interesse an ihnen und ihren Angelegenheiten zeigt, sagen sie einem alles, was man wissen möchte.«

Sein Vorgesetzter lachte ihm ins Gesicht. »Das beweist, dass ich recht habe. Frauen können sich nämlich sehr wohl von Männern unterscheiden, was die meisten unterschätzen. Und Sie bekommen es nicht mit einem ungebildeten Dienstmädchen vom Lande oder einer leicht zu beeindruckenden Achtzehnjährigen in ihrer ersten Saison zu tun, sondern mit der Tochter eines Earls, die eine erfahrene Geschäftsfrau ist. Eine kluge, anspruchsvolle Dame wie Lady Verity für sich zu gewinnen könnte Fähigkeiten erfordern, die Sie sich nie haben aneignen müssen.«

»Mag sein. Aber sie hatte keinen Verehrer mehr, seit Lord Minton sie schändlicherweise vor einigen Jahren sitzen ließ. Sie wird froh sein, dass sich überhaupt jemand für sie interessiert.«

»Oder sie ist durch sein Verhalten Männern gegenüber misstrauisch geworden. Es könnte sein, dass sie für Ihre Aufmerksamkeit unempfänglicher ist, als Sie annehmen.«

Rafe verzog spöttisch das Gesicht. Wie schwer konnte es schon sein, eine Frau zu verzaubern, die sich in der Welt nur mit einem auskannte: der exklusiven Atmosphäre der höheren Gesellschaft? »Wie auch immer, ihre Familie wird jedenfalls ihr zuliebe an mir interessiert sein. Sicherlich ist ihren Angehörigen jeder seriöse Freier willkommen, daher werden sie versuchen, Lady Veritys Benehmen zu beeinflussen. Schon allein das könnte mir eine Einladung zu der Einweihungsfeier einbringen.« Rafe richtete den Blick auf Sir Lucius. »Es sei denn, Sie machen sich Sorgen, sie könnten mich wegen meiner vorherigen Streifzüge erkennen.«

Sir Lucius winkte ab. »Sicher werden sie nicht einmal wissen, dass Sie überhaupt existieren. Mir ist klar, dass es schwierig war, in der gehobenen Gesellschaft das Chamäleon zu spielen, doch bisher ist Ihnen das tadellos gelungen, andernfalls wäre mir etwas zu Ohren gekommen.«

Rafe warf sich gegen die Sitzpolster. »Also gut, falls Sie keinen besseren Plan haben, scheint mir das hier die beste Gelegenheit zu sein, mich bei der Familie beliebt zu machen.«

Der Agentenführer maß ihn mit einem langen, abschätzenden Blick. »Eins sollten Sie noch wissen – den Gerüchten nach redet Minton davon, sich wieder an Lady Verity heranzumachen. Ich schätze, jetzt wo ihre Schwestern so vorteilhafte Partien gemacht haben, orientiert er sich neu, sodass Sie womöglich mit ihm um die Aufmerksamkeit der Dame buhlen müssen.«

»In der Gesellschaft kursieren ständig Gerüchte – deshalb müssen sie noch lange nicht stimmen. Und selbst wenn es so wäre, mit Minton werde ich fertig.« Vorausschauend hatte er den Baron bereits beschattet und festgestellt, dass er weder einer Lady Verity noch irgendeiner anderen anständigen Frau würdig war. »Er ist ein Dreckskerl.«

»Da möchte ich nicht widersprechen.« Sir Lucius wirkte nachdenklich. »Aber vielleicht hegt Lady Verity immer noch Gefühle für ihn. Wenn Sie ihn ausstechen, was geschieht dann mit ihr, wenn Sie den Spion enttarnt haben und damit aufhören, sie zu umwerben?«

»Was auch immer passiert, es wird ihr besser ergehen als mit Minton. Zudem wird ihre Familie dann weit größere Sorgen haben als meine aufgegebene Werbung. Lady Verity wird mich womöglich nicht einmal heiraten wollen, wenn sie erfährt, warum ich um sie herumscharwenzelt bin.«

»Wir werden ja sehen.« Sir Lucius rieb sich das Kinn. »Und Sie wollen immer noch aus der Armee austreten, sobald Sie herausgefunden haben, wer auf Ihren Onkel geschossen hat?«

»Irgendjemand muss sich doch um ihn und das Anwesen kümmern. Und ich bin der Einzige, der dafür infrage kommt.«

Sir Lucius blickte aus dem Fenster. »Wenn er bis dahin durchhält.«

Rafe unterdrückte einen Fluch. Der Mann, der der einzige Vater war, den er je gekannt hatte, hatte etwas Besseres verdient. Daher hatte er sich vorgenommen, dafür zu sorgen, dass der oder die Schuldige an dem Angriff auf seinen Onkel mit dem Leben dafür bezahlte.

Wippend kam die Kutsche vor einem beeindruckenden Herrenhaus zum Stehen, dem er schon früher Besuche abgestattet hatte, jedoch nie als er selber. Gegenüber vom Hyde Park gelegen stand es auf dem Land des Duke of Grenwood. Der zufälligerweise der frisch angetraute Mann der früheren Lady Diana Harper war.

»Sind alle Schwestern bei dieser Wohltätigkeitsauktion anwesend?«, fragte Rafe.

»Das will ich doch hoffen, wenn die Grenwoods die Gastgeber sind. Haben Sie sich darauf vorbereitet zu bieten? Schließlich muss Ihr Auftauchen glaubwürdig erscheinen.«

»Keine Sorge«, murmelte Rafe, als der Diener die Kutschentür öffnete. »Ich bin auch sehr gut darin, den gelangweilten, reichen Lord auf der Suche nach Zerstreuung zu spielen.«

Sir Lucius lachte in sich hinein. »Aber tun Sie nicht zu gelangweilt, sonst findet Lady Verity Sie nichtssagend. Und mit solchen Zeitgenossen haben sie und ihre Schwestern sicher ständig zu tun.«

»Ich schaue, was verfängt, und sehe dann weiter.«

Danach verfielen die beiden in Schweigen, weil keiner von ihnen es riskieren wollte, belauscht zu werden. Immerhin hatte Rafe seinen Plan erklärt. Er würde Lady Veritys angeborene Neugier nutzen, um sie zu umgarnen, und sie dann so weit bringen, dass sie ihm ihre Familiengeheimnisse verriet … oder zumindest einen Hinweis gab, wo er danach suchen sollte.

Was konnte einfacher sein?

2. KAPITEL

Lady Verity Harper überprüfte die Tische auf irgendetwas, das ihre perfekte Dekoration beeinträchtigen könnte: ein auf das weiße Leinentischtuch gefallenes Törtchen, einen Saucenfleck, der den glänzenden silbernen Tafelaufsatz verunzierte, oder einen mit salzigem statt süßem Gebäck bestückten Plätzchenteller. Dies war die beste Zeit dafür, da die meisten Gäste sich im Ballsaal aufhielten, um die Dinge zu begutachten, die zugunsten des Findelhauses versteigert werden sollten.

Die zweite – und letzte – Veranstaltung, die Elegant Occasions im Laufe des Jahres für diese gute Sache ausrichtete, sollte die feine Gesellschaft beeindrucken und einen Batzen Geld einbringen. Denn im Oktober, wenn sie und ihre Schwestern eine Auktion organisieren wollten, von der ihr anderes großes Wohltätigkeitsprojekt – die Filmore Farm für gefallene Mädchen – profitieren würde, sollten die Gäste auf die dort wartenden Angebote so gespannt sein, dass sie dafür mehr boten, als zu erwarten gewesen wäre.

Es war immer schwieriger, Geld für Einrichtungen zu sammeln, die Frauen mit schlechtem Ruf unterstützten, als für solche, die Babys halfen. So sehr sie das auch verdross, musste sie es doch hinnehmen und angemessen darauf reagieren. Daher war Verity fest entschlossen, diese Auktion zu einem großen Erfolg zu machen.

»Wo soll ich die kleinen Soufflés hinstellen, gnädige Frau?«, fragte ein Diener ihres Schwagers.

»Ein Tablett sollte bei den Truthahnspießen stehen und das andere beim Marzipan. Die ersten Gäste kommen bereits aus dem Versteigerungsraum.«

Sobald das Esszimmer voller Menschen war, würden die Bediensteten Speisen nachlegen müssen, und sie konnte kurz an die frische Luft, denn hier drinnen war es recht warm.

»Alles ist bereit, Madam. Das sind die letzten Tabletts.« Der Diener stellte eines an der angegebenen Stelle ab und verharrte dann mit dem anderen in der Hand. »Ein Sir Lucius Fitzgerald fragt nach Ihnen. Soll ich ihn hereinbitten?«

»Sir Lucius … Sir Lucius …« Nachdenklich klopfte Verity sich mit einem Finger ans Kinn. »Oh! Den Herrn habe ich letzte Woche kennengelernt.« Der einnehmende Mann war ein wenig älter als ihr Schwager, Lord Foxstead, aber dennoch ein begehrter Junggeselle, vor denen sie gemeinhin auf der Hut war.

Doch als Untersekretär des Kriegsministers war Sir Lucius in erster Linie ein wichtiger Kontakt, den zu ignorieren sie sich nicht traute.

Soweit sie sich erinnern konnte, sah Sir Lucius recht gut aus – sehr kurz geschnittenes schwarzes Haar, ein markantes Kinn und überraschend warme blaue Augen. Dennoch widerstand sie dem Drang, sich an die Frisur zu fassen, um sicherzugehen, dass alles an seinem Platz war. Ein Regierungsbeamter wie er erwartete sicherlich von seiner Gattin, dass sie perfekt war. Und das konnte sie niemals sein. Sie wollte es auch gar nicht. Sie war sich ja nicht einmal sicher, ob sie überhaupt heiraten wollte, um Himmels willen.

Also ließ sie die Hände unten und drehte sich zur Tür um, durch die sich jedoch zwei Gentlemen näherten. Einer davon war selbstredend Sir Lucius, doch es war der andere, der ihre Aufmerksamkeit fesselte. Irgendetwas an seinem Gang und seiner Gesichtsform kam ihr bekannt vor. Zwar riefen seine olivfarbene Haut und sein ebenholzschwarzes Haar keine Erinnerungen wach, der verdeckte Blick und die lange Nase dagegen ließen sie an eine ganz bestimmte Begegnung denken …

Ihr stockte das Herz. Einen Augenblick war sie sich beinahe sicher …

Aber nein, wie könnte er dieser Jack in the Green sein? Haut und Haare waren zu dunkel. Die wenigen Male, bei denen sie einen Blick auf den Mann erhascht hatte, den sie das Phantom nannte, war er weißhäutig und blond gewesen. Andererseits war Eliza, nachdem sie ihn einmal gesehen hatte, der Meinung gewesen, sein blondes Haar hätte seltsam ausgesehen, »wie eine Perücke«. Und vermutlich konnte man Haut aufhellen, doch das hielt sie für äußerst unwahrscheinlich.

Zudem wäre das Phantom doch sicher nicht so wagemutig, ihr auf gesellschaftlichem Parkett zu begegnen. Nicht, nachdem es in diversen Verkleidungen bei etlichen Elegant-Occasion-Festivitäten aufgetaucht war. Und in den letzten Monaten schien es ohnehin von der Bildfläche verschwunden zu sein. Oder es war inzwischen so gut verkleidet, dass sie es nicht mehr entdeckte.

Unsinn. Sie würde diesen hinterlistigen Teufel immer erkennen, selbst wenn ihre Schwestern sie für verrückt hielten, weil sie ihn überall erspähte. Sie vergaß nie ein Gesicht. Somit konnte dieser Mann nicht das Phantom sein, schloss sie.

»Lady Verity«, sagte Sir Lucius im Näherkommen. »Wie schön, Sie zu sehen.«

»Meine Schwestern und ich fühlen uns sehr geehrt, dass Sie uns Ihre Aufwartung machen«, begrüßte Verity den Untersekretär und reichte ihm ihre Hand. »Als wir Sie einluden, waren wir nicht sicher, ob Sie Zeit für uns haben würden. Ich weiß, dass Sie mit der Kriegsführung über die Maßen beschäftigt sind.«

Sir Lucius lachte. »Ich führe nicht direkt Krieg, doch ich kümmere mich um die Angelegenheiten, die der Kriegsminister nicht übernehmen kann.« Als Verity eine Braue hob, fügte er hinzu: »Wie zum Beispiel Ihnen und Ihrer Familie einen gemeinsamen Freund vorzustellen. Das hier ist Mr Raphael Wolfford, der Neffe des Viscount Wolfford aus Wiltshire. Rafe, das ist meine neue Bekannte – oder darf ich sagen Freundin? – Lady Verity Harper. Lady Verity und ihre Schwestern leiten Elegant Occasions, eine Event-Agentur, die meines Wissens gastgebend bei dieser Auktion ist.«

»Ganz recht.« Verity wandte sich Mr Wolfford zu. »Wie schön, Sie kennenzulernen, Sir.« Verstohlen musterte sie die Gesichtszüge des Mannes, doch da sie bisher noch nie einem Menschen, den sie für das Phantom hielt, so nahe gekommen war, wusste sie nicht genau, wonach sie suchte.

Vor ihr stand ein gut gekleideter Mann um die dreißig mit Augen so eisgrau wie der Winterhimmel unter dicken Brauen in der Farbe starken Kaffees. Anders als bei den anderen Männern im Raum wirkte sein glattes Haar, als hätte er nur hindurchgekämmt und es weder gewachst noch gelockt … oder anderweitig verschönert.

Zudem war er größer als sie, was eine nette Abwechslung war, weil sie die meisten Männer überragte. Sein mazarinblauer Schoßrock mit den goldenen Knöpfen und die cremefarbenen Kniehosen betonten eine Figur, wie eine anspruchsvolle Frau sie sich nicht wohlgestalteter wünschen konnte. Dazu trug er ein sehr einfach gebundenes Halstuch.

Das mochte eine weitere Verkleidung des Phantoms sein, die ihr aber dennoch gefiel. Rasch versuchte sie, sich ihre Reaktion nicht anmerken zu lassen. »Ich nehme an, Sir Lucius hat Sie mit Berichten über unsere exotischen Auktionsangebote für die Versteigerung hergelockt.«

Sein unvermitteltes Lächeln überrumpelte sie, denn es war hinreißend und jagte ihr einen köstlichen Schauer über den Rücken. »Eigentlich bin ich wegen des guten Zwecks gekommen, der hier unterstützt werden soll. Ich habe ein Herz für Waisen.«

»Rafes Eltern starben, als er noch ein Säugling war«, erklärte Sir Lucius, »daher hat sein Onkel ihn großgezogen, dessen einziger Erbe er ist.«

Die Art, wie Mr Wolfford dabei den Kopf schief legte, weckte ihr Interesse. Sie hätte schwören können, dass sie genau diese Geste beim Phantom gesehen hatte. Aber das ergab keinen Sinn. Falls dieser Mann das Phantom war, wonach hatte er bei ihren zahlreichen Veranstaltungen gesucht? Und warum sollte er sich jetzt zu erkennen geben? Oder besser, nicht zu erkennen geben, sondern unverkleidet erscheinen? Was hatte sich verändert?

Liebe Güte, diese Unsicherheit war irritierend. Sie sah dem Mann in die Augen. »Nun, wir wissen alle, was es bedeutet, ein Erbe zu sein. Sie suchen mithin nach einer Frau.«

Sir Lucius schien verblüfft über die unverblümte Bemerkung, doch Mr Wolfford nickte nur. »Eine äußerst scharfsinnige Schlussfolgerung, Madam.«

»Nicht so scharfsinnig, wie Sie wohl denken, denn das gehört zu dem, was meine Schwestern und ich anbieten: die Begegnung angemessener Partien in angenehmer Atmosphäre zu arrangieren, um zu einer Werbung zu animieren.«

»Ah.« Mr Wolffords Augen begannen zu glänzen, was sie eher silbrig als grau wirken ließ. »Dann bin ich ja hier richtig.«

»In der Tat.« Verity nahm ihn ins Visier und beschloss, direkter zu werden. »Sind wir uns schon einmal begegnet, mein Herr?«

Verspannte sich das kräftige Kinn des Mannes daraufhin ein wenig, oder interpretierte sie womöglich in all seine Regungen etwas hinein? »Ich wage zu behaupten, dass ich mich an eine so bezaubernde Lady sicherlich erinnern würde.«

Die Antwort schien ehrlich zu sein und nicht die eines erfahrenen Verführers. Andererseits hatte sie zuweilen Schwierigkeiten damit, Falschheit in einem Mann zu erkennen, was allein dadurch bewiesen wurde, wie leicht sie vor einigen Jahren Lord Minton ins Garn gegangen war.

Jedenfalls hatte Mr Wolfford eine wohltönende Baritonstimme, bei der ihr warm ums Herz wurde, was, gelinde gesagt, unter den gegebenen Umständen etwas enervierend war.

»Mein Freund ist gerade erst als frisch ausgeschiedener Colonel von der Iberischen Halbinsel zurückgekehrt«, erklärte Sir Lucius, »also falls Sie nie dort gewesen sind, Lady Verity …«

»Natürlich nicht«, erwiderte sie mit einem Lachen. »Von Spanien oder Portugal aus hätte ich wohl kaum dabei helfen können, Elegant Occasions aufzubauen.« Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Colonel zu. »Seit wann sind Sie wieder im Land, Sir?«

»Seit einem Monat. Aber die letzten drei Wochen habe ich auf dem Landsitz meines Onkels verbracht, um dort nach dem Rechten zu sehen. Langsam wird er leider zu alt, um sich allein um alles zu kümmern.«

»Verstehe.« Sollte sie dem Mann glauben? Wenn er erst seit einem Monat wieder in England war – und erst seit einer Woche in der Stadt –, konnte er unmöglich das Phantom sein. Und Sir Lucius hätte sie bezüglich Mr Wolffords Identität sicherlich nicht belogen. Immerhin arbeitete er für die Regierung.

Es sei denn, er wusste nichts vom anderen Leben seines Freundes. Doch das wäre eher unwahrscheinlich, oder?

Verity zwang sich, zu lächeln. »Nun denn, Mr Wolfford, wir sind sehr erfreut, dass Sie sich die Zeit genommen haben, zu uns zu kommen. Verzeihen Sie mir meine Impertinenz, aber ich hoffe doch sehr, dass Sie darauf vorbereitet sind, auf ein oder zwei Stücke zu bieten.«

»Natürlich. Tatsächlich hoffe ich, dass Sie einige Minuten erübrigen können, um sie mir persönlich zu zeigen … und mir vielleicht sogar eins ans Herz zu legen, auf das ich bieten sollte?«

Ein weiterer Hinweis darauf, dass er wohl nicht das Phantom war. Das würde doch sicherlich nicht das Risiko eingehen, mit ihr allein zu sein, wenn es glaubte, sie habe es aufgrund ihrer vorherigen Begegnungen womöglich erkannt.

Höflich senkte Verity den Kopf. »Es wäre mir eine Freude. Auch wenn ich Sie warnen möchte – ich werde versuchen, Ihre Aufmerksamkeit bei jeder Gelegenheit auf die teuersten zu lenken.«

Mr Wolfford lachte in sich hinein. »Ich habe nichts anderes erwartet.«

Halb an Sir Lucius gewandt sagte Verity: »Möchten Sie sich uns anschließen, Sir? Vermutlich kann ich eine juwelenbesetzte Taschenuhr oder einen seidenen Hut finden, die Sie zum Kauf reizen könnten.«

»Da bin ich mir sicher«, erwiderte Sir Lucius. »Und aus genau diesem Grunde lasse ich Sie Ihren Charme bei Mr Wolfford ausspielen, denn er verfügt über ein weit größeres Vermögen als ich.«

»Und ich weiß genau, wofür er es ausgeben sollte«, flötete Verity. Dann führte sie Mr Wolfford in den Raum, in dem die Dinge, die versteigert werden sollten, ausgestellt waren. Sobald sie allein herumschlenderten, fragte sie: »Soll ich Sie vielleicht ›Colonel‹ nennen? Wäre Ihnen das lieber?«

»Ich habe mein Offizierspatent verkauft, also nein. ›Mr Wolfford‹ reicht. Oder … Rafe, wenn Sie das bevorzugen.«

Das überraschte Verity. »Wir sind uns doch eben erst vorgestellt worden.«

Rafe zuckte die Achseln. »Alle nennen mich so, selbst mein Onkel. Daher gibt es keinen Grund, warum Sie es nicht auch tun sollten.«

»Wie ungewöhnlich.« Und ein klein wenig verdächtig, auch wenn sie nicht wusste, warum. Hatte Lord Minton ihre Meinung über Männer so nachhaltig beschädigt, dass sie keinem mehr traute, der auch nur halbwegs freundlich war?

Andererseits könnte in diesem Fall durchaus Vorsicht geboten sein.

Während sie sich an den Tischen vorbeischlängelten, überlegte Verity, was sie Rafe wie fragen könnte, um herauszufinden, ob er das Phantom war. Doch er lenkte ihre Aufmerksamkeit ein ums andere Mal auf ein neues Objekt, das versteigert werden sollte, und bat um weitere Informationen dazu.

Als er an einem Nähetui vorüberging, blieb er stehen und schaute es sich genauer an. »Ist das etwa aus Muscheln gemacht?«

»Ja, es besteht fast ausschließlich aus Schalen und Perlmutt und ist mit reinem Gold eingefasst.«

»Und irgendjemand hat dieses Schmuckstück gespendet?«

»Ein sehr reicher Jemand.«

Rafe betrachtete die restlichen Objekte auf dem Tisch. »Sie haben offenbar viele Sachen aus Muscheln. Sind die alle von dieser reichen Person?«

»Oh nein. Ungefähr die Hälfte dieser Kunstwerke hat Mary Parminter beigesteuert, ein nicht ganz so reiches älteres Fräulein. Die Stücke haben ihrer Cousine Jane gehört, die bis zu ihrem Tod im vergangenen Jahr mit ihr zusammengewohnt hat. Die zwei haben die ganze Welt bereist und überall Muscheln gesammelt, aus denen sie dann Kunstwerke schufen. Sogar ihr Haus ist üppig mit allen möglichen Muscheln geschmückt.«

»Waren Sie schon einmal dort?«

»Nur kurz. Meine Schwester und mein Schwager haben sich in Exmouth, wo auch das Haus der Parminters steht, ein Anwesen am Meer gekauft, daher haben wir alle eine kleine Tour durch A La Ronde gemacht, als wir zum ersten Mal in der Stadt waren.«

»Dann muss ich dort bei Gelegenheit hinfahren. Ich kann mir ein Haus, das mit Muscheln dekoriert ist, gar nicht vorstellen. Es hört sich ein wenig …«

»Seltsam an? Traumhaft? Oder eher vulgär?«

»Interessant«, sagte Rafe mit einem milden Lächeln und beäugte weiter das Nähetui. »Ich vermute, Sie versuchen, mich einzuschätzen, indem Sie mich nach meiner Meinung fragen, Madam.«

»Wie soll ich sonst herausfinden, was für eine Frau Sie suchen?« Und ob Sie der sind, der Sie vorgeben zu sein.

Plötzlich richtete Rafe seinen Blick auf sie. »Haben Sie etwa beschlossen, sich meiner anzunehmen und eine Frau für mich zu finden?«

»Ich sagte Ihnen doch bereits, dass meine Schwestern und ich uns genau das zur Aufgabe gemacht haben.«

»Für Ihre Kunden, möchte ich annehmen, aber doch nicht für jeden Gentleman, den Sie zufällig kennenlernen.«

Verity zuckte die Achseln. »Unsere Kunden sind in der Regel Frauen, daher möchten wir ihnen respektable potenzielle Ehemänner präsentieren. Und darüber hinaus gebe ich gern auch kostenlos Ratschläge, wenn ich es für angebracht halte.«

Rafe hob eine Braue. »Und ich nehme gern Ratschläge an, wenn ich es für angebracht halte. Vorausgesetzt, dass sie mir gefallen.« Er musterte sie eindringlich. »Wie hat Ihnen das Muschelhaus gefallen?«

Die abrupte Rückkehr zu ihrem vorherigen Thema warf Verity aus der Bahn. »Also … nun … ich fand es wunderschön. Man sollte es nicht glauben, aber ich liebe es. Warum?«

»Sie sind nicht der einzige Mensch, der versucht, andere einzuschätzen. Und nach dieser Antwort wage ich zu behaupten, dass Sie eine künstlerische Ader haben, Lady Verity.«

»Das kann man wohl sagen.« Ihr kam eine Idee. »Mir machen alle möglichen Künste Freude, vor allem wenn sie etwas mit der Natur zu tun haben. Ganz besonders liebe ich zum Beispiel Auftritte von Jacks in the Green.«

Rafe zuckte nicht mit der Wimper. »Sind das nicht Schornsteinfeger, die sich am Ersten Mai als Bäume verkleiden?«

»Und als Büsche«, fügte Verity hinzu. »Im Grunde nehmen sie jede Art von Grün, das sich an dem Weidengestell, mit dem sie sich tarnen, befestigen lässt.«

Rafe warf ihr einen skeptischen Blick zu. »Das hört sich für mich nicht besonders künstlerisch an. Auch wenn grüne Männer in vielen Kulturen auf der Welt vorkommen. Ich habe sogar einmal eine Darstellung in einer Kirche in Lissabon gesehen.«

»Zwischen den Kämpfen, nehme ich an?«, fragte Verity ein wenig schnippisch.

Rafe lachte leise. »Sie würden sich wundern, wie viele architektonische Sehenswürdigkeiten Soldaten bei den Märschen von einer Stadt zur anderen zu sehen bekommen. Zudem gibt es lange Zeitspannen, die man tatenlos im Lager verbringt, während die höheren Offiziere darüber beraten, wann und wo sie zuschlagen wollen.«

»Darüber werde ich mich später noch mit meinem Schwager Lord Foxstead unterhalten. Er war Captain in der Infanterie.«

»Ach wirklich?« Mr Wolfford setzte seinen Weg an zwei Tischen entlang fort. »Wie interessant.«

»Das Wort haben Sie schon einmal benutzt. Sie scheinen damit vermeiden zu wollen, Ihre ehrliche Meinung kundzutun.«

Rafe lachte. »Touché, meine Teure. Ich gratuliere.«

Aus den Augenwinkeln sah Verity, dass ihre Schwester vor ihnen durch den gleichen Gang wandelte, was sie auf eine Idee brachte. »Mein Schwager würde Ihnen sicher gefallen. Er hat auch eine militärische Denkweise. Zufällig geht da vorn seine Frau. Eliza kann Ihnen genauer sagen, unter wem er gedient hat und dergleichen.«

Auf diese Weise konnte sie eventuell in Erfahrung bringen, ob Mr Wolfford tatsächlich Soldat gewesen war, auch wenn der Untersekretär in diesem Punkt gewiss nicht gelogen hatte.

Doch noch besser an der Idee war, dass Eliza das Phantom von Angesicht zu Angesicht gesehen hatte, und »Rafe« somit womöglich enttarnen konnte. Vorausgesetzt, dass Mr Wolfford dieser Mummenschanz tatsächlich zur Last gelegt werden konnte, was sie nach wie vor nicht mit Sicherheit wusste.

»Ich habe immer sehr gern die Bekanntschaft anderer Soldaten und ihrer Gattinnen gemacht«, erwiderte Rafe, was Verity zögern ließ, denn es hätte ihm wieder einfallen müssen, wenn er Eliza schon einmal begegnet wäre.

Dennoch war Verity entschlossen, sich Gewissheit zu verschaffen. »Eliza, warte! Ich möchte dir jemanden vorstellen!«

Als ihre Schwester stehen blieb und sich zu ihnen umdrehte, beobachtete Verity ihr Gesicht, doch nichts darin deutete auf ein Erkennen hin. Daher spulte Verity rasch die Vorstellungsprozedur ab, und Eliza gab dieselben Floskeln von sich wie bei jedem anderen Fremden.

Verity seufzte enttäuscht. »Eliza ist diejenige, die bei unseren Festivitäten für die Musik zuständig ist – und sie ab und an sogar selber macht«, erklärte sie. »Man sollte immer gute Musik hören, meinen Sie nicht, Mr Wolfford?«

Rafe lächelte. »Ganz meine Meinung, denn ›Musik hat Reize, um eine wilde Brust zu beruhigen‹.«

Eliza blinzelte erstaunt. »Sie lesen Congreve, Sir?«

»Tut das nicht jeder?«

»Bei den Menschen, die wir treffen, nicht«, entgegnete Verity. Geschweige denn einer von den Offizieren, die sie kannte, obschon sie alle eine gute Erziehung genossen hatten.

»Ich habe einen Großteil meiner Kindheit allein verbracht«, sagte Rafe. »Mein Onkel hat eine sehr umfangreiche Bibliothek. Ich habe so viele Bücher gelesen, wie ich konnte.«

»Da trifft es sich ja gut, dass heute auch Bücher versteigert werden. Manche davon sind sehr alt und wertvoll.«

»Der Wert eines Buches kümmert mich nicht«, erwiderte Rafe, »nur der Inhalt.«

»Ist ja auch nicht schwer, wenn man sich jedes Buch, das man lesen möchte, leisten kann«, murmelte Verity in sich hinein.

»Sei nicht so unhöflich«, schalt ihre Schwester. »Mr Wolfford hat nur seine Meinung geäußert.«

»Ja, Lady Verity«, fügte Rafe mit einem amüsierten Funkeln in den Augen hinzu. »Meine ehrliche Meinung.«

Machte er sich etwa über sie lustig?

»Abgesehen davon dachte ich«, fuhr Rafe fort, »dass von Frauen auf der Jagd nach einem Verehrer solche mit Vermögen bevorzugt werden.«

Er machte sich definitiv über sie lustig.

Verity reckte das Kinn. »Stimmt, denn in allem anderen sind sie sich ja gleich – Alter, Charakter, Liebenswürdigkeit … Ehrlichkeit.« Dann ging ihr auf, dass Rafe und Eliza natürlich nicht verstanden, warum sie so gereizt reagierte, daher fügte sie hinzu: »Vergeben Sie mir, an den Abenden, an denen die Auktionen stattfinden, bin ich stets ein wenig … nervös. Weil ich möchte, dass alles gut geht.«

Eliza tätschelte ihr den Arm. »Das wird es, meine Liebe. Wie immer.«

»Und ich tue mein Bestes, um dabei zu helfen«, warf Rafe ein.

Er machte sich nach wie vor über sie lustig.

Er musste das Phantom sein. Es musste so sein. Er hatte diese ganz bestimmte subtile Arroganz, die sie ungemein reizte. Und seine silbergrauen Augen waren einfach zu schön.

Oh, ihre Schwestern würden sich die Seiten halten vor Lachen, wenn sie ihnen das gestand.

Möchtest du vielleicht nur, dass dieser hübsche, geistreiche Kerl das Phantom ist, damit du mehr Zeit mit ihm verbringen kannst?

Das mochte sein. Und angesichts des Mangels an interessanten Männern in ihren Kreisen war das wohl kaum überraschend.

Rafe schaute auf den nächsten Tisch herunter, auf dem ein kunstvolles Gedeck lag, dann studierte er die ausführliche Erklärung auf dem Kärtchen daneben. »Anscheinend hat Elegant Occasions ebenfalls einen Beitrag zu der Auktion geleistet.«

Er blickte wieder auf und fuhr fort: »Das erinnert mich an etwas, das ich fragen wollte. Wie kommt es, dass Sie drei eine Agentur leiten? Laut Sir Lucius ist Ihr Vater ein Earl. Ich verkehre zwar noch nicht sehr lang in der feinen Gesellschaft, doch selbst ich weiß, dass es missbilligt wird, wenn höhere Töchter ein Geschäft betreiben.«

»Hat Sir Lucius Ihnen denn nicht von der skandalösen Scheidung unserer Eltern berichtet?«, fragte Eliza. »Ich dachte, alle reden darüber.«

Verity musste ihr Temperament zügeln. Warum erzählte Eliza das ausgerechnet ihm? »Das ist sechs Jahre her, liebe Schwester. Inzwischen hat sich das Gerede doch sicherlich gelegt.«

Eliza kicherte. »Ein wenig vielleicht. Aber ich gehe davon aus, dass es Mr Wolfford irgendwann zu Ohren kommen wird. Da wäre es wohl besser, es ihm selber zu sagen. Auf diese Weise erfährt er die Wahrheit. Aber ich mache es kurz.«

Sie wandte sich wieder an Rafe. »Zuerst ist unsere Mutter mit ihrem allseits bekannten Liebhaber, einem Generalmajor der Armee, davongelaufen. Dann hat unser Vater sich in aller Öffentlichkeit von ihr scheiden lassen, und meine beiden Schwestern, die noch nicht verheiratet waren, galten fortan ohne eigenes Verschulden als Parias. Bei uns rangiert das Ganze unter der Bezeichnung ›Das Begebnis‹.«

»Eine ziemliche Untertreibung«, sagte Rafe gedehnt.

»Wie kommen Sie denn darauf?« Veritys Stimme triefte vor Sarkasmus.

Elizas Blick flog irritiert zwischen Rafe und Verity hin und her. »Wie auch immer, zu der Zeit lief mein Mann davon, um im Krieg zu kämpfen, und ließ mich in unserem Londoner Stadthaus allein. Als uns dann jemand bat, einen Ball zu organisieren, und uns dafür bezahlen wollte, schien es uns eine gute Idee zu sein, unsere Kräfte zu bündeln und ein Geschäft daraus zu machen.«

»Um ehrlich zu sein«, fügte Verity hinzu, »waren wir es leid, dass über etwas getratscht wurde, das wir nicht gemacht hatten, daher beschlossen wir, etwas zu unternehmen, damit über das getratscht wurde, was wir schon immer gemacht hatten, ohne dafür bezahlt zu werden.«

»Zumal wir gut darin sind«, meinte Eliza. »Nachdem mein Mann im Krieg gefallen war und mich mit nichts zurückließ, brauchten wir ohnehin alle Geld, und so konnten wir uns selbst ernähren, ohne uns auf unsere unzuverlässigen Eltern verlassen zu müssen.«

»Verstehe«, sagte Rafe in einem ausdruckslosen Tonfall, der seinem interessierten Blick widersprach. »Und nun sind Sie so erfolgreich, dass Sie einen Teil des Geldes wohltätigen Zwecken zukommen lassen können.«

»Ganz genau«, sagte Verity. »Jetzt, wo unsere Dienste gewürdigt werden, bieten die Leute sogar Geld dafür.«

Rafe schaute wieder auf das Kärtchen, auf dem beschrieben war, was Elegant Occasions offerierte. »Was genau soll das heißen, dass der Höchstbietende sich auf ein aufwendiges Essen nach seinem ›besonderen Geschmack‹ freuen darf, zubereitet von Monsieur Beaufort, dem Chefkoch von Elegant Occasions? Ist der Koch für das Essen zuständig oder Sie, Lady Verity?«

»Ich entscheide über die Speisenfolge, nachdem ich mit dem Gewinner gesprochen habe und mir eine Meinung darüber gebildet habe, wie das ideale Menü für ihn aussehen würde.«

Arrogant zog Rafe eine Braue hoch. »Könnte er dem Chefkoch nicht einfach sagen, was er essen möchte?«

»Durchaus. Er könnte mir aber auch seine Lieblingsgerichte nennen und mich herausfinden lassen, wonach es ihn in Wahrheit gelüstet.«

»Dann müssten Sie ja Gedanken lesen können«, sagte Rafe zweifelnd.

Eliza lächelte. »Und das kann sie, ob Sie es glauben oder nicht.«

»Sei nicht albern, Eliza. Natürlich kann ich keine Gedanken lesen.« Verity kreuzte den Blick mit Rafe. »Aber ich habe das besondere Talent, zu wissen, wie ich Menschen Ambrosia reichen kann, auch wenn sie gar nicht wissen, welche Art von Ambrosia sie sich wünschen.«

Flüchtig schaute Rafe auf ihren Mund. »Erraten zu können, was ein anderer sich wünscht, wäre in der Tat ein feines Kunststück.«

»Ich errate es nicht, ich … schließe es eher aus den Antworten auf meine Fragen, wenn Sie so wollen.« Verity warf ihm einen scheuen Blick zu. Zumindest hoffte sie, dass er scheu wirkte, da sie in solchen Dingen jämmerlich aus der Übung war. »Und falls Sie gern erleben möchten, wie gut ich das mache, sollten Sie bei dem Angebot mitbieten, Sir.«

»Ich versichere Ihnen«, mischte Eliza sich ein, »dass Veritys Menüs bei diesen Veranstaltungen sehr gefragt sind. Sie weiß genau, wie sie einem Menschen entlockt, was er mag, und übersetzt das dann in eine Abfolge von Gerichten, die Monsieur Beaufort perfekt zubereitet.«

Ein Lächeln huschte über Rafes Lippen. »Oha. Sie sind offenbar beide sehr gut im Ködern. Vielleicht biete ich tatsächlich auf dieses Essen, wenn auch nur, um zu erfahren, wie Lady Verity sich schlägt.«

Verity nickte. »Tun Sie sich keinen Zwang an. Wir hoffen, bei dieser Versteigerung viel Geld einzunehmen.« Und nebenbei womöglich endlich das Phantom zu stellen.

In dem Moment trat der Kapellmeister an sie heran und flüsterte Eliza etwas ins Ohr, dann eilte ihre Schwester unter Entschuldigungen an sie beide mit ihm davon, zweifellos um sich um einen dieser musikalischen Notfälle zu kümmern, zu denen es gelegentlich bei solchen Festivitäten kam.

Eine weitere provozierende Bemerkung lag Verity bereits auf der Zunge, als sie jemanden eintreten sah, dem sie unter keinen Umständen noch einmal begegnen wollte. Denn es handelte sich um genau den Gentleman, der ihr vor einigen Jahren ihr dummes Mädchenherz gebrochen hatte – Lord Silas Minton.

Was zum Teufel wollte der Schuft bei dieser Auktion? In den vergangenen Jahren hatte er sie und ihre Familie tunlichst gemieden, und nun tauchte er plötzlich bei einer ihrer Veranstaltungen auf? Wie konnte er es wagen?

Nun, sie würde nicht bleiben, um das zu eruieren. Sollte dieser Halunke auch nur versuchen, mit ihr zu sprechen, musste er damit rechnen, dass sie ihm den nächstbesten Eiskübel über den Schädel zog. Und das sollte besser vermieden werden.

Daher beschloss Verity, dass die Frage, ob Mr Wolfford das Phantom war, vorerst unbeantwortet bleiben würde.

3. KAPITEL

Rafe konnte nicht umhin zu bemerken, dass Lady Verity die Gesichtszüge entgleisten. Also folgte er ihrem Blick und unterdrückte ein Stöhnen. Minton. Nun musste er so tun, als kenne er den Kerl nicht, sonst würde sie sich fragen, in welcher Verbindung er zu dem Baron stand, da er ja angeblich erst seit einer Woche in der Stadt weilte.

»Stimmt etwas nicht?«, fragte er.

Hastig richtete sie ihren Blick wieder auf ihn und gab sich betont fröhlich. »Verzeihen Sie, aber ich … ich muss gehen. Es ist stickig hier und viel zu warm.«

Sie strebte zu den Fenstertüren, die auf die Terrasse führten, und er folgte ihr auf dem Fuße. »Das ist eine großartige Idee. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mich anschließe? Ich könnte auch etwas frische Luft gebrauchen.«

Das schien sie zu überraschen. Doch dann nickte sie. »Warum nicht? Der Garten sieht jetzt, wo die Lampen angezündet sind, wunderschön aus.«

»Zweifellos.« Rafe bot ihr seinen Arm und war erleichtert, als sie ihre Hand auf seinen Unterarm legte. Das zeigte, dass sie ihm vertraute.

Und dass sie ihn nicht wiedererkannt hatte.

Womit er auch nicht gerechnet hatte, da er ihr nie so nahe gekommen war, dass sie sich seine Gesichtszüge hätte einprägen können. Zudem war er jedes Mal verkleidet gewesen. Doch einen Herzschlag lang, als sie die Jacks in the Green erwähnt hatte …

Nein, das war reiner Zufall gewesen. Überdies hatte sie sich auf das Gespräch über das neue Grenwood-Heim an der Küste eingelassen, was sie vermutlich nicht getan hätte, wenn sie den Verdacht hegte, dass er ihr eine Einladung zu der mehrtägigen Einweihungsfeier abluchsen wollte.

An den Fenstern angekommen trat er vor, um sie für Verity zu öffnen, und sie holte tief Luft, ehe sie hinaustrat. Dabei erhaschte er einen Blick auf ihre sich hebenden Brüste, die er ebenso reizvoll fand wie ihr spielerisches Sticheln und ihre forschenden Blicke.

Sie war vielleicht nicht so vollbusig wie ihre Schwestern, hatte aber dennoch verdammt hübsche Brüste, vor allem in einem Kleid, welches sie bestens zur Geltung brachte, mit einem eng sitzenden Oberteil, das so tief ausgeschnitten war, dass der Blick eines Mannes förmlich nach unten gezogen wurde. Man hätte das Kleid sogar als gewagt bezeichnen können, als nur dazu gedacht, die Aufmerksamkeit von Männern zu fesseln.

Verdammt noch mal. Rafe riss seinen Blick los, denn ihn überfiel ein ungewohntes Gefühl. Nämlich Schuld.

Das war das Problem, wenn man seine eigenen Landsleute bespitzelte. Ein wahrer Gentleman tat so etwas nicht. Ein wahrer Gentleman betrog keine Frauen und nutzte auch ihr Vertrauen nicht aus.

Und gierte erst recht nicht nach ihren Brüsten.

Rafe zwang sich, das Schuldgefühl zu ignorieren, denn da er nie ein wahrer Gentleman gewesen war, war es nicht von Bedeutung. Sein Onkel hatte ihn zu einem Soldaten erzogen, und das würde er immer sein, mehr als alles andere. Ob die Leute in ihm Mr Wolfford oder den mutmaßlichen Erben von Viscount Wolfford sahen, in seinem Herzen war er Colonel Wolfford auf einer Mission, nicht mehr und nicht weniger.

Verity war so in Gedanken, dass sie seinen Arm kein zweites Mal nahm, was bei ihm leichtes Bedauern auslöste. Er mochte es, wenn ihre Hand auf seinem Ärmel lag. Das war irgendwie … interessant.

»Geht es Ihnen jetzt besser?«, fragte Rafe, als sie durch die Nacht schritten.

»Hmmm?«, fragte Verity und schaute kurz nach hinten, zweifellos auf der Suche nach Minton. »Oh. Ja.« Sie entspannte sich ein wenig. »Hier ist es viel besser, finden Sie nicht? Ein August in der Stadt ist immer recht anstrengend.«

»Ich kenne mich da nicht aus. Ich bin ja erst seit einer Woche hier.« Es laut auszusprechen half ihm, sich an seinen Plan zu erinnern. Und an die Lügen, die er erzählen musste, um seine Geschichte zu untermauern und Veritys Verdacht zu zerstreuen, falls sie einen hegte.

In seinem Kopf hörte er die Stimme seines Onkels Constantine. WenndueineRollespielst,haltdichimmersoengwiemöglichandieFakten.SichanLügenzuerinnernistschwerer,alssichandieWahrheitzuerinnern.AbergibnichtzuvieleDetailspreis.Bleibinallemehervage,soistesnichtgutnachprüfbar.

Das war leichter gesagt als getan.

Erstaunt schaute Verity zu ihm auf. Ihre Augen glänzten im Licht der Terrassenlampen. »Waren Sie, bevor Sie Offizier wurden, nie in der Stadt?«

»Schon möglich, aber wenn, dann nur kurz. Ich kann mich jedenfalls nicht mehr daran erinnern.« Das stimmte. Da Verity überrascht wirkte, fügte er hinzu: »Ich bin mit sechzehn in die Armee eingetreten.« Das stimmte ebenfalls.

»So jung?«

Der gerührte Unterton in ihrer Stimme verunsicherte Rafe. Doch zumindest hatte er sie von Minton abgelenkt.

Er zuckte die Achseln. »Für eine Waise wie mich war das nicht abwegig.«

»Wie alt waren Sie, als Ihre Eltern gestorben sind?«

»Oh, da war ich noch ein Baby. Sie kamen bei einem Kutschenunfall im Ausland ums Leben. Ich wurde irgendwie verschont und der Kutscher ebenso. Er hat dann an meinen Onkel geschrieben, der nach Südamerika kam, um mich nach England zu holen.«

»Gott sei Dank, wer weiß, wo Sie sonst gelandet wären.«

Ja, wer weiß? Er hatte es jedenfalls nie gewusst, da Onkel Constantine sich immer nur sehr vage darüber geäußert hatte, wie seine Eltern zu Tode gekommen waren und wie er überlebt hatte. Er wusste nur, dass sein Vater Kartograph gewesen und deshalb nach Brasilien gereist war, um einen Teil des Landes zu kartieren. Dort hatte er die Frau getroffen, die er geheiratet hatte, die Tochter eines brasilianischen Kaufmanns namens Julieta. Rafe kannte nicht einmal den Mädchennamen seiner Mutter, und ihm war auch nicht bekannt, wo sie gelebt hatte, als sie seinem Vater begegnet war.

Zugegebenermaßen war ihm in letzter Zeit der Gedanke gekommen, dass sein Onkel sich diesbezüglich absichtlich bedeckt hielt. Jedenfalls war es ihm seit seiner Rückkehr nach England nicht gelungen, mehr über seine Eltern in Erfahrung zu bringen, sosehr er sich auch bemühte. Das kam ihm seltsam vor.

Andererseits hatte die Tatsache, dass seine Eltern ihr Leben auf Reisen verbracht hatten, es seinem Onkel vielleicht unmöglich gemacht, weitere Nachforschungen anzustellen, ohne den Spuren seines Bruders in Brasilien zu folgen, um Julietas Familie zu finden. Das musste für einen Mann in seiner Lage schwierig gewesen sein, denn er war auf der anderen Seite der Welt stationiert gewesen, als er sich auf den Weg gemacht hatte, um Rafe zu holen. Und verständlicherweise hatte er sich weniger um weitere Informationen über die Frau seines Bruders gekümmert als darum, seinen Neffen nach England zu bringen, wo für das Kind gesorgt werden konnte.

Doch in letzter Zeit, insbesondere nach seinem Aufenthalt auf der Iberischen Halbinsel, hatte Rafe angefangen, die Geschichte infrage zu stellen. Es gab darin Ungereimtheiten, die er nicht ignorieren konnte. Sie ließen sich zwar irgendwie erklären, aber dennoch …

»Dann«, fragte Verity, als er sie einige Stufen in den Garten hinunterbegleitete, »hat Ihr Onkel Sie also großgezogen?«

»Nicht direkt. Da er ein unverheirateter Armeeoffizier im aktiven Dienst war, überließ er das den Bediensteten auf seinem Anwesen in Wiltshire. Später hatte ich Tutoren – und sobald ich alt genug war, mich meinem Onkel anzuschließen, ein Patent als sein Adjutant. Ich habe ihm gedient, bis er, nachdem er in der Schlacht von Alexandria verwundet worden war, aus der Armee ausschied. Danach war ich Husar in der Deutschen Legion des Königs und am Ende Wellington auf der Iberischen Halbinsel unterstellt. Ich war mein halbes Leben lang Soldat.«

»Gütiger Himmel. Das ist … Die Armee nimmt so junge Knaben?«

»Ich hatte noch Glück. Wenn ich zur Navy gegangen wäre, wäre ich noch jünger gewesen.«

Verity schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid. Das wusste ich nicht. Wir haben keine Brüder, und alle Offiziere, die ich kenne, sind älter.«

»Es ist gar nicht so schlecht, früh in die Armee einzutreten. Sie macht recht schnell einen Mann aus einem.«

»Zwangsläufig, wie mir scheint.« Ein wenig mitleidig schaute sie zu ihm auf. »Haben Sie überhaupt Soldat werden wollen?«

Das hatte ihn noch nie jemand gefragt, nicht einmal sein Onkel. Und dass Verity es tat, war ihm seltsam unangenehm. Eilig ging er in die Defensive. »So habe ich immerhin die Welt gesehen, oder? Zudem war ich froh, bei meinem Onkel zu sein – der für mich wie ein Vater war –, statt die ganze Zeit zu lesen und auf dem Landsitz herumzustreunen, auf dem nur ein paar Bedienstete lebten, und erst recht niemand in meinem Alter.«

»Das hört sich so an, als wären Sie einsam gewesen.«

Ihr mitfühlender Tonfall behagte ihm nicht. »Ein wenig wohl schon.« Bestrebt, das Thema zu wechseln, lächelte Rafe Verity an. »Doch wenn ein so zauberhaftes Geschöpf wie Sie mir Gesellschaft geleistet hätte …«

Veritys überraschtes Auflachen traf ihn unvorbereitet. »Falls Sie darauf bestehen, mir weiter zu schmeicheln, Sir, sollten Sie zumindest lernen, Ihre Komplimente abzuwandeln.«

»Was meinen Sie damit?«, fragte Rafe argwöhnisch.

»Nun, Sie haben mir bereits mehrfach Komplimente in diese Richtung gemacht. Und ich versichere Ihnen, einmal pro Abend ist mehr als genug. Aber Sie können mich gern öfter als ›klug‹ bezeichnen. Das Kompliment finde ich besonders schön.«

Verdammt. Wer hätte geahnt, dass es auch beim Süßholzraspeln Regeln gab? »Ich befürchte, ich bin nicht daran gewöhnt, mit zauberhaften … klugen Frauen zu tun zu haben. Anscheinend werde ich dann zu einem Schwätzer.«

Verity hob eine Braue und lächelte kokett. »Das möchte ich bezweifeln. Ich wette, Sie haben in Ihrem ganzen Leben noch kein falsches Wort gesagt, weder zu einer Frau noch zu jemand anders.«

»Die Wette würden Sie verlieren. Meine Tutoren haben mir in schöner Regelmäßigkeit auf die Finger gehauen, weil ich die falschen Wörter benutzt habe.«

Verity kicherte in sich hinein. »Meine Gouvernante hat das auch gemacht. Nicht, dass es etwas geholfen hätte. Ich neige dazu, trotz allem offen meine Meinung zu sagen.«

»Das ist mir nicht entgangen.«

Veritys Gesichtsausdruck wurde angriffslustig. »Missbilligen Sie das etwa?«

»Mitnichten. Ich ziehe offenherzige Frauen undurchsichtigen in jedem Fall vor.«

»Komisch«, schoss Verity zurück. »Mir geht es bei Männern genauso.«

Hmm. »Wenn ich Ihnen also sagte, dass Ihr Perlenstirnband verrutscht ist, wären Sie mir dankbar und nicht beschämt?«

Verity riss den Mund auf und fasste sich an ihr Stirnband. Als sie feststellte, dass es richtig saß, erwiderte sie kühl: »Wären Sie ehrlich gewesen, würde ich mich bei Ihnen bedanken. Doch so, wie die Dinge liegen, bin ich eher verärgert. Ich hoffe doch sehr, dass Sie es sich nicht zur Gewohnheit machen möchten, Lügen über die Frisur einer Dame zu verbreiten.«

Rafe lachte laut auf. Dann hörte er hinter ihnen leise Kies knirschen. Sicher wollte noch jemand frische Luft schöpfen, daher senkte er die Stimme. »Das hängt davon ab, ob Sie es sich zur Gewohnheit machen werden, mich bei meinen Besuchen zu empfangen.«

Er gratulierte sich selber dafür, Verity verblüfft zu haben, denn sie blieb auf dem Weg stehen und warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. »Da bin ich mir noch nicht sicher, mein Herr. Lassen Sie uns abwarten, wie der Abend verläuft.«

»Darauf würde ich mich einlassen, unter der Voraussetzung, dass ich dann mehr Zeit mit Ihnen verbringen kann.«

Die Schritte auf dem Kies hielten inne, und als Rafe nach hinten schaute, entdeckte er Lord Minton, der wie angewurzelt dastand und ihn und Verity anstarrte.

Tod und Teufel. Nun gut, so bot sich eine gute Gelegenheit zu erkunden, ob Verity noch Gefühle für den Mann hatte. »Sie da«, rief Rafe, da Minton Anstalten machte, sich zu entfernen. »Verfolgen Sie uns etwa? Haben Sie uns belauscht?«

Nun blickte auch Lady Verity zurück und stöhnte hörbar. »Achten Sie nicht auf ihn«, murmelte sie, obwohl sie Minton wütend fixierte.

Der hatte inzwischen eine gekränkte Haltung angenommen. »Ich wollte mich nur vergewissern, dass die Lady nicht von einem hochstaplerischen Neuling in der feinen Gesellschaft ausgenutzt wird.«

»Als ob Sie das kümmerte«, zischte Lady Verity. »Und dieser Mann ist kein Hochstapler, Lord Minton, sondern Colonel Wolfford von den Wolffords in Wiltshire. Und zufällig auch noch der Erbe des Viscount Wolfford.«

Da das Minton anscheinend die Sprache verschlagen hatte, fragte Rafe: »Sie kennen unseren Verfolger also, meine Teure?«

»Oh ja. Von früher.« Ihr Blick zwang Minton, wegzuschauen. »Doch es ist eine Weile her, dass ich das Missvergnügen hatte, seine Bekanntschaft zu machen.«

Rafe konnte sich einer unbändigen Freude über ihre Hochnäsigkeit gegenüber dem Baron nicht erwehren.

»Ich möchte nur mit Ihnen reden, Verity«, sagte Minton. »Mehr nicht. Schenken Sie mir einen Moment Ihrer Zeit.« Herausfordernd blickte er zu Rafe hinüber. »Unter vier Augen.«

Aus irgendeinem Grund stellten sich Rafe bei diesen Worten die Nackenhaare auf. Und da er wusste, dass Minton Verity in der Vergangenheit verschmäht hatte, war er nicht geneigt, Nachsicht walten zu lassen. »Zuerst einmal, Sir, heißt es Lady Verity. Und ich glaube nicht, dass sie mit Ihnen reden möchte.«

»Ich kann selber für mich sprechen«, sagte Verity, obschon sie näher an ihn heranrückte. »Aber Mr Wolfford hat recht. Sie sind der letzte Mensch auf der Welt, dem ich einen Moment meiner Zeit schenken möchte. Sie haben vor sechs Jahren mehr als genug gesagt, Lord Minton.«

Der Baron trat einen Schritt vor und schlug einen besänftigenden Ton an. »Damals wusste ich nicht, was ich tat.«

Verity maß ihn mit einem kalten Blick. »Dann lassen Sie es mich Ihnen erklären: Sie haben sich vor einem Skandal in Sicherheit gebracht. Unglücklicherweise konnte ich es Ihnen nicht nachtun. Doch es gelang mir, mich darüber zu erheben, womit Sie nicht das Geringste zu tun hatten, also verzeihen Sie mir, wenn ich kein Wort mehr mit Ihnen wechseln möchte.« Sie fasste Rafe am Arm. »Und nun entschuldigen Sie uns, Sir, Mr Wolfford und ich wollten gerade ins Haus zurückgehen, um bei der Auktion dabei zu sein. Wir möchten sie auf keinen Fall versäumen.«

Rafe nickte Minton knapp zu und führte Verity dann über einen Umweg an ihm vorbei zur Terrasse, während der Baron ihnen nachschaute wie ein geprügelter Welpe.

Sobald sie außer Hörweite waren, flüsterte Rafe Verity zu: »Nachdem ich Zeuge Ihrer Feindseligkeit gegenüber diesem erbärmlichen Halunken geworden bin, müssen Sie mir verraten, was er Ihnen angetan hat.« Da er nicht mehr als das Nötigste über Mintons Fehlverhalten wusste, wollte er die ganze Geschichte gern aus Veritys Mund hören.

»Warum?«, erwiderte sie scharf. Offenbar war sie von der Begegnung mit dem Baron nach wie vor aufgewühlt.

»Na, damit ich nicht dieselben Fehler mache wie er.«

Blinzelnd schaute Verity zu ihm auf und schluckte schwer. »Das ist unmöglich, Sir, da meine Eltern sich von ihren augenblicklichen Ehegesponsen wohl nicht trennen werden.«

»Mintons Benehmen ist auf ›das Begebnis‹ zurückzuführen, nicht?«

»Natürlich, worauf sonst?« Verity blieb kurz vor den Terrassenfenstern stehen und seufzte. »Ich kann es Ihnen auch gleich erzählen. Die gesamte Londoner Gesellschaft weiß, was passiert ist, und wenn Sie sich lange genug hier aufhalten, werden Sie es ebenfalls in Kürze erfahren. Lord Minton hat es ja nicht geheim gehalten.«

Verity schaute ihn an. Im Licht, das von innen auf die Terrasse fiel, schimmerten ihre Augen goldgrün. »Und da Sie wild entschlossen zu sein scheinen, mich zu beschützen – aus welchem Grund auch immer –, sollte ich Sie zumindest warnen, dass ich von den größten Pedanten der oberen Zehntausend immer noch nicht akzeptiert werde. Das macht mir, wohlgemerkt, nicht das Geringste aus, doch Sie sollten es wissen.«

»Die Warnung ist bei mir angekommen, dennoch wüsste ich immer noch gern, was der Baron angestellt hat.«

Verity schaute Rafe ins Gesicht und straffte die Schultern. »Lord Minton hatte mir soeben unter vier Augen einen Heiratsantrag gemacht, als meine Mutter mit Generalmajor Tobias Ord davonlief. Kaum dass seine Lordschaft von ihrem Fehltritt erfuhr, schlug er vor, unsere Verlobung erst zu verkünden, wenn die Wogen sich geglättet hätten. Nur dass sie das nie taten. Meine Mutter weigerte sich, nach Hause zurückzukommen, alle zerrissen sich den Mund darüber, und Lord Mintons Familie war entsetzt.«