Ein fast perfektes Team - Katharina Kohal - E-Book
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Ein fast perfektes Team E-Book

Katharina Kohal

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Beschreibung

Ein Kunstbetrug mit Leidenschaft und Folgen:
Sie hätten ihren riskanten Coup noch abbrechen können, doch irgendwann gab es kein Zurück mehr. Wider besseres Wissen und gegen ihr Gewissen führen Norbert und seine Freunde ihren Plan aus. Denn die Aussicht, an dem skrupellosen Bankchef Kai Wenderick Vergeltung auszuüben, ist zu verlockend. Das aus dem Betrug erzielte Geld soll Norbert als Entschädigung für dessen persönlich erlittenen finanziellen Verlust dienen.
Zunächst scheint alles zu gelingen. Doch sie haben ihren Widersacher unterschätzt und nicht damit gerechnet, dass die Liebe ins Spiel kommt.

Der Roman ist mit einem Augenzwinkern und einer Prise Humor geschrieben, wobei die Sympathien in diesem Fall auf Seiten der Betrüger liegen. Bei der Durchführung ihres Coups erfahren sie ein paar Aspekte über den Kunstbetrieb und lernen durch die attraktive Katalanin Estrella auch ein wenig von Barcelona kennen.

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Ein fast perfektes Team

 

 

Ein Kriminalroman

von Katharina Kohal

 

 Das Buch

 

 

Ein Kunstbetrug mit Leidenschaft und Folgen:

 

Sie hätten ihren riskanten Coup noch abbrechen können, doch irgendwann gab es kein Zurück mehr. Wider besseres Wissen und gegen ihr Gewissen führen Norbert und seine Freunde ihren Plan aus. Denn die Aussicht, an dem skrupellosen Bankchef Kai Wenderick Vergeltung auszuüben, ist zu verlockend. Das aus dem Betrug erzielte Geld soll Norbert als Entschädigung für dessen persönlich erlittenen finanziellen Verlust dienen. Zunächst scheint alles zu gelingen. Doch sie haben ihren Widersacher unterschätzt und nicht damit gerechnet, dass die Liebe ins Spiel kommt.

Der Roman ist mit einem Augenzwinkern und einer Prise Humor geschrieben, wobei die Sympathien in diesem Fall auf Seiten der Betrüger liegen. Bei der Durchführung ihres Coups erfahren sie ein paar Aspekte über den Kunstbetrieb und lernen durch die attraktive Katalanin Estrella auch ein wenig von Barcelona kennen.

 

 

Über die Autorin

Eine Prise Humor, ein Schuss Romantik und mitunter ein Hauch Fernweh sind die Zutaten für ihre Kriminalromane.

Katharina Kohal lebt mit ihrer Familie in Leipzig. Mit dem Eintritt in den Ruhestand öffneten sich ihr neue Freiräume und Möglichkeiten, und sie entdeckte ihre Lust am Schreiben neu.

Bisher erschienen von ihr:

 

»Ein fast perfektes Team«,

»Mehr als ein Delikt«,

»Ein perfider Plan – Projekt LoWei Plus«,

»Eine mörderische Tour«,

»Cyber Chess mit tödlicher Rochade«,

»Verstörende Erinnerung« und

»Mosel, Morde und Miseren«.

Inhaltsverzeichnis:
Estrella
Eine folgenschwere Begegnung
Freunde
Bittere Gewissheit
Eine Idee
Ein konkreter Plan
Das Team
Erste Versuche
Barcelona
Ein Erfolg
Ein Missgeschick
Uta Ruland
Carsten Landner
Entgegen aller Vernunft
Zurück in Barcelona
Sascha und Uta Ruland
Aufkommende Skrupel
Norbert und Estrella
Offene Fragen
Verheißungsvolle Aussichten
Attacke
Nächtliche Aktion
Maßnahmen
Befürchtungen
Kai Wenderick
Konsequenzen
Neuerliche Ängste
Die Zeugin
Entscheidungen
Courage
Fatale Erkenntnis
Eingeständnisse
Abschied
Landners Schlussfolgerung
Rückbesinnung
Ein unerwartetes Angebot
Estrella
Zum Schluss
Impressum

 

  Estrella

Es war schon spät am Abend. Estrella Cardona wischte gerade den Flur der Chefetage, als sie hinter sich ein leises Geräusch vernahm. Hastig drehte sie sich um: Vor ihr stand Kai Wenderick, der Chef der SüdBank. Sie hatte ihn nicht kommen hören.

»Oh, jetzt haben Sie mich erschreckt!«, formulierte sie in ihrem unüberhörbar spanischen Akzent. »Ich wusste nicht, dass Sie noch hier sind in der Bank!«

»Ja, ja, und wir beide sind jetzt ganz allein«, erwiderte er.

Mehr als durch diese Worte fühlte sie sich durch sein Lächeln irritiert. In seinen Gesichtszügen und dem Ton vermisste sie die harmlose Freundlichkeit, mit der er sich gestern Vormittag noch mit ihr unterhalten hatte. Da war sie mit der Reinigung der Kunsthalle der SüdBank beschäftigt, und er war dabei, sich die Vorbereitungen für die nächste Ausstellung anzuschauen. Die Kunsthalle war seine persönliche Passion, dort war er der Kunstbeauftragte und betrachtete die Gemälde und Grafiken fast als sein Eigentum. Gestern kam Estrella kurz mit ihm ins Gespräch. Sie hatte ihn als gutaussehenden, charmanten Herrn im besten Alter wahrgenommen. Wie alt genau er war, wusste sie nicht. Mitte fünfzig vielleicht? Offensichtlich war es ein Fehler, dass sie gestern mit ihm gescherzt und ein wenig geflirtet hatte. Auf jeden Fall hatte er sie gründlich missverstanden. Denn jetzt trat er mit einem süffisanten Lächeln an sie heran. Der Fluchtweg zur Treppe war ihr abgeschnitten.

»Warum auf einmal so abweisend, schöne Frau? Gestern jedenfalls schienen Sie mir einer amourösen Episode nicht abgeneigt.« In seinen Augen lag unmissverständlich Begierde, ein unverhohlenes Verlangen. Und noch etwas anderes glaubte sie in den Gesichtszügen zu erkennen: die feste Entschlossenheit, seinen Willen gegen ihren Widerstand durchzusetzen.

Estrellas entschiedenes »No« ignorierte er. Mit den Worten »Komm schon« ergriff er ihr Handgelenk und versuchte sie an sich heranzuziehen. Sie wehrte sich mit aller Vehemenz. Für einen kurzen Augenblick lockerte sich sein Griff, und sie nutzte die Gelegenheit, ihren Arm freizubekommen. Als er versuchte, sie wieder zu packen, langte sie beherzt nach dem vollen Eimer und schüttete ihm das Wischwasser ins Gesicht. Benommen und verdattert stand er für einen Augenblick hilflos da. Die Schmutzbrühe rann über sein weißes Hemd, die Haare und das Gesicht waren klatschnass, und die seifige Lauge brannte in seinen Augen.

Aber Estrella blieb keine Zeit für lange Betrachtungen. Sie raste an ihm vorbei in Richtung des Treppenhauses. Den Fahrstuhl ließ sie außer Acht. Vermutlich stand er weiter unten, in der ersten oder zweiten Etage. Auf der Treppe entledigte sie sich blitzschnell ihrer Schuhe. Barfuß und somit völlig lautlos lief sie weiter. Hätte sie mehr Zeit, käme ihr Cinderella in den Sinn. Aber die Situation verlangte nach Eile und Entscheidungskraft, denn sie hörte Wenderick auf dem Flur entlangrennen. Von dem Schock hatte er sich offensichtlich schnell wieder erholt. Wohin in aller Eile? Wie groß war ihr Vorsprung, und hatte sie eine Chance, vor ihm den Ausgang im Erdgeschoss zu erreichen? Mit Sicherheit nicht. Er war schnell und voll rasender Wut. In der zweiten Etage war sie gezwungen, eine Entscheidung zu treffen. Sie hörte ihn unmittelbar auf der Treppe über ihr; mit dem Erreichen des nächsten Absatzes käme sie in sein Sichtfeld. Estrella entschied sich, in den vor ihr liegenden Flur zu flüchten und nach der linken Seite zu laufen. Rechtzeitig fiel ihr ein, dass sowohl die Gänge als auch das Treppenhaus mit Bewegungsmeldern ausgestattet waren. Um die Beleuchtung nicht in Gang zu setzen, presste sie sich dicht an die Wand.

Wenderick rannte ein Stockwerk tiefer. Wann würde er bemerken, dass sie nicht mehr vor ihm im Treppenhaus lief? Spätestens in der ersten Etage. Und jetzt hörte sie, wie er wieder die Stufen hoch raste. Wohin in ihrer Not? Im Dunkeln stieß sie an das große Kopiergerät, das in einer Nische stand. Hastig rollte sie das schwere Gerät ein Stück hervor, stieg über das Netzanschlusskabel und presste sich hinter den Kopierer in die Wandvertiefung hinein. Dann bemühte sie sich, das Gerät so dicht wie möglich an sich heranzuziehen. Es gelang ihr in dem Augenblick, als die Beleuchtung anging und Wenderick in der Mitte des Flures stehenblieb; sie hörte nur seinen keuchenden Atem. Wie sie vermutete, entschied er sich für die rechte Hälfte des Ganges und öffnete zielgerichtet die Toilettentüren. Innerhalb einer halben Minute stand er wieder draußen. Jetzt lief er die linke Flurhälfte ab. Estrella hoffte inständig, dass das Herausragen des Kopierers nicht ins Auge fiel. Zu ihrer Erleichterung wandte er sich wieder dem Treppenhaus zu. Aus der Ferne hörte sie seine Schritte und dann überhaupt nichts mehr. Das Licht erlosch. Wo, um alles in der Welt hielt er sich jetzt auf? Auf keinen Fall hatte er das Haus verlassen, das spürte sie. Vermutlich wartete er in der Finsternis auf ein Geräusch von ihr. Kurzzeitig hatte sie erwogen, mit ihrem Generaltransponder eine Tür zu einem der Mitarbeiterzimmer zu öffnen, um sich dort sicherer verstecken zu können. Aber der Piep-Ton beim Entriegeln des Schlosses würde ihm ihre Position sofort verraten. Also wagte sie sich vorerst nicht aus ihrem Versteck hervor und verharrte weiter in ihrer unbequemen Stellung.

Mit angehaltenem Atem lauschte sie in die unheimliche Stille.

 

Eine folgenschwere Begegnung

»Ja, Herr Lange, wie ich Ihnen bereits sagte: Es tut mir leid, dass ich Ihnen da nicht weiterhelfen kann. Der Kollege, mit dem Sie damals den Vertrag abgeschlossen hatten, befindet sich im Ruhestand. Aber ich denke schon, dass alles soweit in Ordnung geht. Jedenfalls haben wir nichts Gegenteiliges gehört. Wir könnten da ohnehin nichts ausrichten. Uns als Bank sind bei dem weiteren Ablauf die Hände gebunden. Aber Sie können sich ja selbst vor Ort vom aktuellen Stand des Baugeschehens überzeugen. Es tut mir wirklich leid.« Mit diesen Worten geleitete der Kundenberater der SüdBank Norbert zur Tür. Ratlos blieb er ein paar Sekunden auf dem Flur stehen, bis er sich dann dem Treppenhaus zuwandte. In diesem Moment stieß er heftig mit einer Frau mittleren Alters zusammen.

»Na, na! Ein bisschen müssen Sie schon aufpassen!«, meinte Norbert verärgert und schaute gleich darauf in ein verweintes Gesicht.

»Ich muss gar nichts!«, erwiderte Estrella wütend und kam beim Weiterlaufen ins Stolpern.

»So aufgeregt wie Sie sind, können Sie unmöglich auf die Straße. Ist etwas passiert?« Norbert hatte ihren südländischen Akzent bemerkt und auch, dass sie völlig außer sich war.

Ungehalten fuhr sie ihn an: »Natürlich ist etwas passiert! Aber das wollen Sie doch nicht wissen!«, und fügte, als sie sein betroffenes Gesicht sah, etwas versöhnlicher hinzu: »Sie können da nicht helfen. Sie sind ein Kunde, nicht wahr?«

Norbert nickte und meinte lakonisch, dass er wohl die längste Zeit hier Kunde gewesen sei. Estrella verstand nicht alles, aber immerhin so viel, als dass er ebenfalls Probleme mit der SüdBank und deren Personal hatte. Prüfend schaute sie ihn an, und Norbert fiel zum ersten Mal auf, dass sie trotz der verweinten Augen eine attraktive Frau war. Spontan schlug er vor, sich bei einer Tasse Kaffee auszutauschen. Vor allem, so redete er sich selbst ein, müsse er verhindern, dass sie in ihrem aufgebrachten Zustand kopflos auf die Straße lief. Nach einem kurzen Zögern nahm Estrella sein Angebot an.

Minuten später betraten sie die Konditorei auf der gegenüberliegenden Straßenseite und suchten sich einen Platz aus. Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, fragte Norbert vorsichtig, ob sie ebenfalls eine enttäuschte Kundin sei. Aber Estrella schüttelte nur stumm den Kopf; und so entschied er sich, in knappen Worten seine eigene Misere zu schildern.

Vor reichlichen zehn Jahren hatten er und seine Frau sich entschlossen, in den Bau einer Immobilie in der Nähe des Bodensees zu investieren, gewissermaßen als Altersvorsorge. Ein Anlagenberater bei der SüdBank hatte sie zum Kauf des »Betongoldes« animiert. In der Nähe des Ortes Hagnau plante ein Bauunternehmen eine Wohnanlage mit altersgerechten komfortablen Wohnungen. Norbert und seine Frau Christa hatten vor, im Rentenalter dorthin zu ziehen. Entsprechend seinen Unterlagen war der Kredit an die Bank unterdessen abbezahlt und die Wohnanlage längt bezugsfertig. Heute wollte er sich bei der SüdBank über den aktuellen Stand informieren. Aber niemand von den jetzigen Mitarbeitern fühlte sich in dieser Angelegenheit zuständig. Mit Christa hatte er nicht über seine Befürchtungen gesprochen. »Ja, das sind zurzeit so meine Sorgen«, beendete er die Schilderung. Er war nicht sicher, ob ihn die Frau verstanden hatte.

Aber offenbar doch, denn nun meinte sie: »Sicher muss Ihnen jemand sagen können, wie jetzt der Stand ist?«

Norbert zuckte mit den Schultern. »Ich werde zurzeit nur vertröstet. Aber augenscheinlich haben auch Sie Kummer?«

Nervös rührte Estrella in ihrem Kaffee, dann schaute sie ihn an. Sie sah sein gutmütiges Gesicht mit ausgeprägten Lachfältchen um die jetzt sorgenvoll blickenden Augen. Sein Haar war nicht völlig ergraut. Flüchtig bemerkte sie die Tendenz zu einem leichten Bauchansatz. Seine Figur hatte sie vorhin in ihrer Aufregung nicht so recht wahrgenommen. Er fing ihren Blick auf und schmunzelte. Auch in ihren ausdrucksvollen Augen zeigte sich nun der Anflug eines Lächelns. Über ihnen schwangen sich in sanftem Bogen dunkle, dichte Augenbrauen, zwischen denen sich jetzt eine steile Zornesfalte andeutete.

»Ich habe fast die ganze Nacht hinter einem Kopiergerät verbracht.«

»Wie bitte?« Er glaubte, sie falsch verstanden zu haben.

»Nein, nein, es stimmt«, versicherte sie rasch. Und in wütenden Worten schilderte sie die Ereignisse der letzten Nacht. Sprachlos hörte er ihr zu.

Als sie geendet hatte, meinte er empört: »Das ist eine bodenlose Frechheit! Eine Unverschämtheit! Und Sie haben ihm wirklich das Dreckwasser ins Gesicht geschüttet?«

»Was sollte ich tun? Ich musste mich wehren.«

»Das nenne ich mutig! Sie müssen den Kerl wegen versuchter Vergewaltigung anzeigen!« Und als die Kellnerin interessiert aufhorchte, fügte er leiser hinzu: »Ich kann Ihnen natürlich dabei behilflich sein, ich meine, falls es sprachliche Schwierigkeiten geben sollte.«

Aber Estrella schüttelte den Kopf. »Als wir heute zusammenstießen im Treppenhaus, ich kam gerade vom Personalchef. Er hat mir gar nicht zugehört, sondern gesagt, dass Herr Wenderick eine angesehene Person ist und Ehefrau und zwei erwachsene Kinder hat. Und ich soll überlegen, ob ich ihn nicht ermutigt habe.« Dann schüttelte sie verständnislos den Kopf. »Nur weil ich mich gestern freundlich unterhalten habe mit ihm in der Kunsthalle, er kann doch nicht denken, dass alles erlaubt ist!«

»Sie hatten ihn zufällig in der Kunsthalle kennengelernt?«

»Nein, er ist auch Vorsitzender von der Geschäftsstelle in der Kunsthalle, und ich reinige dort zweimal in der Woche.« Und dann erklärte sie ihm, dass sie auf den Nebenjob als Reinigungskraft angewiesen sei, um ihren einjährigen Aufenthalt in Berlin zu finanzieren, jetzt aber gekündigt habe.

»Ich möchte mein Deutsch etwas verbessern in einem Sprachkurs an der Uni. Die Firma in meiner Heimat, bei der ich bisher gearbeitet habe, musste viele Mitarbeiter entlassen, auch mich. Wenn der Sprachkurs hier zu Ende ist, werde ich mich bei einer Reiseagentur bewerben.«

»Ihr Deutsch klingt doch schon ganz gut«, beeilte sich Norbert, zu versichern.

Aber Estrella wehrte lächelnd ab. »Ganz gut ist nicht gut. Ich muss es besser lernen. Ich hatte früher in der Schule schon Deutschunterricht. Das hilft etwas. Aber meinen Akzent hört man sicher sehr.«

»Das ist doch gerade reizvoll. Sind sie Spanierin?«

»Ich komme aus Barcelona, ich bin Katalanin!«, stellte sie klar.

»Aha, verstehe.« Dann schaute Norbert auf die Uhr. »Ich befürchte, ich muss los, sonst gibt es Ärger zu Hause. Meine Frau wartet nicht gerne mit dem Essen auf mich. Sie hat diese Woche Spätdienst und für uns beide gekocht.«

»Ach ja, die Deutschen sind immer so pünktlich! Und sie essen Punkt zwölf Uhr, nicht wahr?« Zum ersten Mal sah Norbert sie jetzt lachen. Wie alt mochte sie sein? Sicher nicht mehr ganz jung. Er schätzte sie auf Mitte vierzig, vielleicht auch etwas älter.

»Wie wird es jetzt für Sie weitergehen? Bei der SüdBank haben Sie ja gekündigt.«

»Ich werde schon etwas finden. Vielleicht als Verkäuferin. Wenn der Sommerkurs zu Ende ist, gehe ich zurück nach Barcelona.«

Norbert gab ihr seine Handynummer. »Rufen Sie mich bitte an, falls Sie doch Hilfe bezüglich einer Anzeige brauchen.«

Doch Estrella schüttelte energisch den Kopf. »Die SüdBank und der Herr Wenderick sind für mich gestorben.« Ihre Worte unterstrich sie mit einer eindeutigen Geste. »Aber es ist eine gute Idee, wenn wir in Kontakt bleiben. Ich möchte erfahren, ob Sie betrogen wurden oder ob alles in Ordnung geht.« Aus ihrer Tasche holte sie einen Stift und schrieb auf den Rand der Serviette. Norbert las den Namen Estrella Cardona und dahinter eine Handynummer. Dann bezahlte er die beiden Kaffee, und sie verabschiedeten sich mit dem Versprechen, in Verbindung zu bleiben.

 

Freunde

Der Timer klingelte und zeigte ihm an, dass die Kartoffeln fertig waren. Holger Grafe schlurfte von der kleinen Terrasse der Berliner Altbauwohnung zurück in die Küche. Das Alleinsein bekam ihm nicht. Seit seine Frau vor fünf Jahren verstarb, fühlte er sich verloren, ihm fehlte ein Stück Lebensfreude. Und wie an so vielen anderen Tagen wusste er auch heute wiedermal nichts Rechtes mit sich anzufangen. Zum Glück wohnten seine beiden Freunde Norbert und Alexander in der Nähe. Seit sie alle drei in Rente waren, sahen sie sich öfter als die Jahre zuvor. Ein paar Mal hatten sie versucht, ihn aus seiner Lethargie zu reißen. »Holle, warum malst du nicht mehr? Fang doch einfach wieder an! Jetzt, wo du als Rentner Zeit dazu hättest.« Und jedes Mal hatte Holger daraufhin gleichgültig mit den Schultern gezuckt und erwidert: »Wozu, die Wände hängen voller Bilder.«

Das stimmte. Im Flur, im Wohnzimmer und Schlafzimmer, ja selbst in der Küche hingen Gemälde aus einer Schaffensperiode von mindestens drei Jahrzehnten. Für die Malerei hatte er sich immer interessiert und in seiner Freizeit früher gerne und oft gemalt oder gezeichnet. Aber seit Hannahs Tod fehlte ihm der Antrieb dazu und generell wohl auch die Energie und der Unternehmungsgeist.

Holger hatte gerade am Küchentisch Platz genommen, als es an der Tür klingelte. Unwillig ließ er das Essen stehen und schlurfte zur Tür. Aber dann hellte sich seine Miene auf.

»Nobbe, komm rein! Du hast sicher schon gegessen. Was gab’s denn Gutes?«

Aber Norbert winkte ab. Er sah nicht glücklich aus. »Ich glaube, ich habe ein Problem.«

»Doch hoffentlich nicht mit Christa?«

»Noch nicht, aber es könnte eins werden.« Und mit knappen Worten informierte er den Freund über das unbefriedigende Gespräch in der SüdBank und seine Befürchtungen, dass da gründlich etwas schiefgelaufen sei.

Holger schnitt ein Stück von dem Schnitzel ab und brummte: »Wie sieht denn die Wohnanlage aus? Du hast sie dir doch bestimmt schon irgendwann mal in natura angeschaut.«

»Nein, leider nicht. Ich hatte den geplanten Gebäudekomplex und die Grundrisse der Wohnung nur auf dem Papier gesehen. Es sah alles prima und sehr ansprechend aus.« Für einen Moment war Holger sprachlos. Seine Gabel mit dem Stück Schnitzel hing in der Luft.

»Willst du damit sagen, dass du noch nie dort gewesen bist?«

Norbert gab unwillig zu, dass er sich auf die ansprechenden Bilder im Hochglanzprospekt verlassen hatte. Außerdem fühlte er sich damals zu einer schnellen Entscheidung gedrängt, da angeblich kaum noch Wohnungen verfügbar wären.

»Na ja, und der nächste Weg an den Bodensee nach Hagnau ist es ja von hier aus auch nicht gerade«, versuchte er, sich zu rechtfertigen.

Verständnislos sah Holger seinen Freund an. »Mensch Nobbe! So naiv kann doch keiner sein!«

Norbert seufzte »Wenn etwas schiefgegangen sein sollte, weiß ich gar nicht, wie ich es Christa beibringen soll. Letztendlich hatte ich sie damals zum Abschluss des Kaufvertrages überredet. Du kennst sie ja. Sie wird mir Vorwürfe machen.«

»Na, das dürfte ja jetzt die kleinste Sorge sein. Wollen wir mal Sascha anrufen? Vielleicht hat der eine Idee.«

 

Am späten Nachmittag trudelte Alexander, genannt Sascha, mit seinem Rennrad ein. Er trug es die wenigen Stufen hinauf bis zur Wohnung im Hochparterre.

»Du glaubst jetzt aber nicht, dass du es bei mir im Flur abstellen kannst?«, empfing ihn Holger, um ihn aber dennoch gleich darauf mitsamt dem Rad hineinzulassen.

Dr. Alexander Niermeyer war sichtbar der fitteste der drei Freunde; er unternahm etliches dafür und pflegte, begleitet vom gutmütigen Spott der beiden anderen, beständig seine Eitelkeit. Mit der sportlichen, hochgewachsenen Figur, dem jungenhaften Lächeln und dem kurzen Haarschnitt würde man nicht annehmen, dass er bereits fünfundsechzig war. Seinen Eintritt in den Ruhestand hatte er noch nicht so recht verkraftet. Nach wie vor betreute er Doktoranden, genauer gesagt Doktorandinnen, und erschien zwei- bis dreimal wöchentlich im Institut. Verheiratet war er nie und würde sich auch nicht binden wollen.

Jetzt stand er im neongelben Fahrradoutfit und leicht verschwitzt in Holgers Flur.

»Wo brennt’s Leute?«

Und Norbert schilderte zum zweiten Mal seine Sorgen und Befürchtungen. Mit den Worten: »Vorwürfe kannst du dir sparen, die hat Holle mir schon gemacht«, beendete er die Darlegung der Fakten.

Sascha runzelte die Stirn: »Das klingt ja wirklich nicht gerade beruhigend. Wie wäre es, wenn wir mal zu dritt dort am Bodensee auftauchen und uns die Lage vor Ort anschauen würden?«

»Aber ohne Christa«, warf Norbert sofort ein.

»Natürlich ohne Christa. Sie muss doch sowieso während der Woche arbeiten, und am Samstag sind wir wieder zurück. Als Begründung kannst du ihr ja sagen, dass wir dort eine Radtour machen«, schlug Sascha nicht ohne Hintergedanken vor.

Norbert grinste schief und deutete auf seinen Bauch. »Das glaubt sie mir nie!«

Auch Holger äußerte Bedenken: »Wir könnten doch sowieso nicht drei Räder auf dem Fahrradträger transportieren.«

»Die kann man theoretisch vor Ort ausleihen. Mein Rennrad nehme ich jedenfalls mit.«

Weitere Fragen gab es vorerst nicht, und man einigte sich darauf, dass Sascha die beiden Freunde morgen in aller Frühe mit dem Auto abholen würde.

 

Etwas verschlafen stiegen Holger und Norbert am nächsten Morgen mit ihren Reisetaschen zu.

Vor ihnen lagen laut Routenplaner eine Strecke von 760 Kilometern und eine Fahrzeit von reichlich sieben Stunden. Staus und Pausen nicht eingerechnet.

Hinter Bayreuth fuhren sie auf einen Parkplatz und vertraten sich die Beine. Wortlos übergab Sascha den Autoschlüssel an Holger. In der Höhe von Nürnberg nahmen sie ein spätes Mittagessen ein. Danach fuhr Norbert den Rest der Strecke. Erst kurz vor siebzehn Uhr erreichten sie Hagnau.

Aber für die weite Anreise wurden sie belohnt. Der Ort lag idyllisch zwischen Weinbergen und dem Bodensee. Norbert hatte für sie ein familiengeführtes kleines Hotel direkt an der Seestraße gebucht. Wie in alten Zeiten teilten sie sich ein Zimmer. In diesem Fall war es eher eine große Junior Suite denn ein normales Hotelzimmer. Holger bevorzugte die Couch, die beiden anderen die komfortableren Betten. Vom Balkon aus bot sich ihnen ein sensationeller Ausblick auf den See.

Sascha streckte sich und breitete die Arme weit aus. »Jungs, hier könnte ich bleiben. Wenn du wirklich hierherziehen solltest, Nobbe, dann musst du mit mir als Dauergast rechnen.«

»Nichts lieber als das, aber das Örtchen, in dem die Wohnanlage steht, liegt ja mindestens 30 km von hier entfernt. Für heute reicht es aber erst einmal. Ich schlage vor, wir suchen uns jetzt eine gemütliche Gaststätte mit Blick aufs Wasser.«

Schon bald fanden sie ein Restaurant direkt am See. Das frühlingshafte Wetter war warm und mild, und so wählten die Freunde einen Tisch auf der Terrasse.

»Ihr seid heute Abend meine Gäste«, verkündete Norbert. »Und danke nochmal, dass ihr so spontan mitgekommen seid!«

»Was heißt hier mitgekommen. Wärst du denn alleine überhaupt gefahren?« Norbert gab freimütig zu, dass ihm dies schwergefallen wäre, zumal Christa auf keinen Fall dabei sein sollte. Dann bestellten sie und schoben alle Bedenken und Befürchtungen erst einmal weit von sich. Als der Kellner die Hauptspeisen brachte, widmeten sie sich schweigend ihren Tellern. Nur hin und wieder ließ einer von ihnen eine anerkennende Bemerkung zum Essen oder zu der herrlichen Landschaft fallen.

Bei einer Flasche Wein ließen die drei Freunde dann später auf dem Balkon den Abend ausklingen. In der einbrechenden Dunkelheit sahen sie weit entfernt am gegenüberliegenden Ufer auf der Schweizer Seite die Lichter der ihnen unbekannten Ortschaften.

Norbert seufzte: »Das alles könnte so schön sein. Aber ich befürchte, dass es morgen eine böse Überraschung geben wird. Nein, eigentlich keine Überraschung, sondern die Bestätigung meiner schlimmsten Vorahnungen.«

»Nobbe, nun male mal den Teufel nicht an die Wand!«

 

Bittere Gewissheit

»Und du bist sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragte Sascha zweifelnd.

»Ja ganz sicher, zwischen Beuren und Lellwangen. Hier ist ja weiter nichts.« Fassungslos schauten sie auf die Bauruine. Ein Neubau, der aber offensichtlich vor Jahren abgebrochen und nie fertiggestellt wurde, lag vor ihnen. Deutlich waren die Absätze, die einmal als Terrassen geplant wurden und die begonnenen Treppenhäuser zu erkennen. Auf dem öden Gelände wucherte Gestrüpp. Das verwahrloste Baugelände war mit einem mittlerweile verrosteten Drahtzaun abgesichert. Nachfragen bei Anwohnern der benachbarten Orte bestätigten Norberts Befürchtungen: Hier wurde vor reichlichen zehn Jahren mit dem Bau einer Wohnanlage begonnen, in der altersgerechte Wohnungen mit großzügigen Terrassen und Balkonen entstehen sollten. Aber nach drei Jahren ging der Bauträger in Konkurs, und übrig blieb diese unansehnliche Bauruine.

Norbert fehlten die Worte, er war verzweifelt.

Sascha klopfte ihm tröstend auf die Schulter. »Jetzt hast du zumindest Gewissheit. Wir müssen nun mal überlegen, wie es weitergehen soll.« Schweigend liefen die drei Freunde zum Auto zurück.

»Und wie könnte es deiner Meinung nach weitergehen?«, fragte Norbert gereizt. »Der Kundenberater hat mir ja bereits gesagt, dass die SüdBank da ohnehin nichts machen kann, weil sie mit dem Bauträger nichts zu tun hätte.«

»Das wollen wir doch erst einmal sehen. Du lässt dir gleich Anfang nächster Woche einen Termin bei der Bank geben, aber diesmal zu einem Gespräch mit dem Chef. «

Die restlichen beiden Tage verbrachten die Freunde wie geplant in Hagnau. Doch die entspannte Stimmung des ersten Abends, als sie in der Gaststätte saßen und später vom Balkon ihres Zimmers die grandiose Aussicht auf den Bodensee genossen, war endgültig dahin. Sascha zumindest versuchte das Beste aus dem Aufenthalt herauszuholen und stieg auf sein Rennrad.

Zwei Tage später, es war ein Freitag, traten sie in aller Frühe die Rückfahrt an.

 

»Na, der Ausflug zu dritt ist dir wohl nicht bekommen? Du hast dich doch hoffentlich nicht bei den Radtouren übernommen!«, lästerte Christa und bestückte den Geschirrspüler. Schon die ganze Zeit während des Abendessens fiel ihr auf, wie wortkarg Norbert war, aber er begründete die gedrückte Stimmung mit der langen Autofahrt und seiner Übermüdung. Ein paar Mal war er drauf und dran, Christa alles zu beichten, entschied sich aber letzten Endes dagegen. Im Gegensatz zu der Euphorie, mit der er damals den Vertrag abgeschlossen hatte, war sie von Anfang an skeptisch und misstrauisch. Letztendlich behielt sie mit ihren Vorbehalten Recht und würde ihm nun mit Sicherheit seine Gutgläubigkeit vorwerfen. Ihre Eigenheiten und Launen kannte er mittlerweile bestens. Über vierzig Jahre waren sie miteinander verheiratet.

Als er sie damals kennenlernte, war sie ein zurückhaltendes junges Mädchen mit braunen Augen und dunklen Locken. Ein paarmal noch hatten sie sich gesehen, doch bald darauf wieder aus den Augen verloren und erst drei Jahre und fünf Kilo später wiedergetroffen. Aus dem stillen, schüchternen Mädchen war mittlerweile eine selbstbewusste Frau geworden. Es waren ihr Lächeln und die dunklen Augen, die ihn sofort wieder in ihren Bann zogen. Ein halbes Jahr später heirateten sie. Kinder hatten sie keine, und so begann Christa zunehmend und sehr zu seinem Verdruss ihre ausgeprägten pädagogischen Ambitionen auf ihn zu richten. »Wo willst du denn hin? …Warum hast du noch nicht …? Was machst du da eigentlich?«, waren Fragen, denen Norbert gerne aus dem Weg ging. So gesehen graute ihm vor dem kommenden Ruhestand seiner Frau.

Und nun also zeichnete sich ein weiteres, ernsthaftes Problem ab. Beschuldigungen waren das Letzte, was er momentan ertragen würde. Nein, da musste er jetzt alleine durch und versuchen, die Angelegenheit wieder ins Reine zu bringen.

 

Gleich am Montagmorgen rief Norbert bei der SüdBank an und bat um einen Termin, diesmal bei dem Leiter der Bank.

Am Mittwochmorgen empfing ihn ein gutaussehender, wortgewandter Herr und stellte sich als Kai Wenderick vor.

Wenderick? Den Namen hatte Norbert vor kurzem aber in einem ganz anderen Zusammenhang gehört.

Höflich hörte er sich Norberts Anliegen an. Kai Wendericks Tonfall war verbindlich, und seine Miene drückte Verständnis aus. »Ich verstehe Sie vollkommen, Herr Lange. Glauben Sie mir, wenn ich eine Lösung parat hätte, würde ich sie Ihnen unverzüglich anbieten. Aber leider …«, und hierbei hob Wenderick bedauernd die Hände, »… kann unsere Bank Ihnen da nicht weiterhelfen. Ich rate Ihnen dringend, gegen die Baugesellschaft zu klagen. Aber da die Firma bereits vor Jahren in den Konkurs ging und die Gesellschaft de facto nicht mehr existiert, sehe ich ehrlichgesagt wenig Chancen auf einen Erfolg.«

Norberts letzte Hoffnung schwand dahin. Mit einem Anflug von Verzweiflung warf er ein: »Letztendlich hat aber der Kundenberater Ihrer Bank mir zu dieser Anlage geraten. Sicher gibt es doch eine Art Versicherungsfonds, um derart getäuschte Kunden zu entschädigen.«

Herrn Wendericks bis dahin freundlicher Ton wurde um eine Nuance schärfer. »Leider nein, Herr Lange. Die Beratung erfolgte damals über eine Tochterfirma. Es handelte sich um eine ausgelagerte Beratungsgesellschaft, die schon vor Jahren aufgelöst wurde. Unsere Bank ist hierfür nicht zuständig und haftet demnach auch nicht für Ihren Verlust.« Für Herrn Wenderick war die Angelegenheit damit erledigt und das Gespräch beendet. Nicht aber für Norbert. Ungebremst verschaffte er nun seinem Ärger Luft.

»Das kann ja wohl nicht wahr sein! Damals überredete mich Ihr Mitarbeiter zur Zahlung in diesen Fonds, und nun lassen Sie mich als Kunden im Regen stehen! Ich werde Ihrer Bank gegenüber Haftungsansprüche geltend machen!«

Wenderick hatte sich unterdessen erhoben. In kaltem Ton erklärte er: »Das steht Ihnen natürlich frei. Sie werden aber keinen Erfolg haben. Wie ich Ihnen bereits darzulegen versuchte, war der Kundenberater kein Mitarbeiter unserer Bank. Ich kann Ihren Ärger durchaus verstehen, aber wir sind für diesen Fall nicht zuständig.« Innerhalb von Sekunden war sein Lächeln zu einer eisigen Miene gefroren. Jede weitere Bemerkung seines Gegenübers glitt an ihm ab.

Eine Minute später fand sich Norbert auf dem gepflegten Korridor der Chefetage wieder. Beim Anblick des tadellos gereinigten Fußbodens fiel ihm plötzlich das Gespräch mit der Katalanin ein. Sie war es, die den Namen Wenderick zum ersten Mal genannt hatte. Aber unterdessen arbeitete sie nicht mehr hier in der Bank. Wenn Norbert ihr damals eine leichte Übertreibung bei der Schilderung des Geschehenen unterstellt hatte, so glaubte er ihr nun uneingeschränkt. Die freundliche Verbindlichkeit war eine Maske, unter der sich ein knallharter, vermutlich sogar gefährlicher Typ verbarg.

Wie mochte es der temperamentvollen Katalanin jetzt gehen? Irgendwo hatte Norbert noch die Serviette mit ihrem Namen und der Handynummer.

Momentan hatte er keine Lust, nach Hause zu gehen. Und bei dem Gedanken an das unausweichliche Gespräch mit Christa und dem anschließenden Disput bekam er Kopfschmerzen. Er wählte Saschas Handynummer und kurz darauf die von Holger.

Eine Stunde später saßen alle drei in dessen Küche.

»Es ist ja noch nicht aller Tage Abend, Nobbe!«, versuchten die beiden Freunde, ihn zu trösten.

»Irgendeine Möglichkeit, die Bank für den entstandenen Verlust haftbar zu machen, muss es doch geben. Ein Bekannter von mir ist Anwalt. Ich werde ihn heute Abend anrufen und deinen Fall schildern«, versprach Sascha. Die drei verabredeten sich für den nächsten Tag zur gleichen Zeit wieder bei Holger in der Wohnung.

Aber es war keine gute Nachricht, die Sascha am darauffolgenden Tag überbrachte. Der Anwalt sagte zwar zu, sich den Fall nochmal genauer anzuschauen, wies aber fairerweise daraufhin, dass nur wenig Hoffnung auf eine aussichtsreiche Klage bestünde. Als Gründe nannte er die Kaufberatung durch eine externe Beratungsgesellschaft und dass die rechtlichen Ansprüche womöglich verjährt wären. Die Aussichten auf eine Haftung seitens der Bank seien denkbar schlecht.

Auf Saschas Mitteilung folgte ein bedrücktes Schweigen. Schließlich erhob sich Holger und schlurfte zur Kaffeemaschine. Aber auch der sich bald darauf verbreitende aromatische Duft trug nicht wesentlich zur Hebung der Stimmung bei.

Norbert nahm einen Schluck Kaffee und monierte: »Es ist schon eine Schande, dass die Bank keinerlei Entgegenkommen für falsch beratene Kunden zeigt. An Geld kann es doch nicht fehlen, wenn sich die SüdBank eine Kunsthalle leisten kann. Sie soll ja angeblich Wendericks persönliche Leidenschaft sein. Dafür gibt er offensichtlich gerne Geld aus.«

»Na ja, das Geld dafür kommt sicher aus einem ganz anderen Topf. Aber woher weißt du eigentlich, dass die Kunsthalle seine Leidenschaft ist? Habt ihr euch etwa darüber unterhalten?«

»Nein, natürlich nicht.« Und Norbert erzählte von der Begegnung mit Estrella und davon, dass sie Wenderick in der Kunsthalle antraf, als sie dort putzte. »Sie ist übrigens eine gebürtige Katalanin und kommt aus Barcelona. In Berlin wohnt sie nur für ein Jahr, um ihre Deutschkenntnisse aufzubessern.«

Die beiden anderen grinsten: »Hast du Christa von ihr erzählt?« Statt einer Antwort tippte Norbert mit dem Zeigefinger unmissverständlich an seine Stirn. Dann meinte Sascha: »Es kann ja nichts schaden, wenn ich mir die Kunsthalle mal anschaue.«

»Seit wann interessierst du dich denn für Kunst?«, wollte Holger wissen.

»Ich bin einfach neugierig geworden, was dort so ausgestellt wird«, meinte er ausweichend. Damit war das Thema vorerst erledigt. Abschließend wandte sich Sascha an Norbert: »Ich gebe dir auf jeden Fall die Telefonnummer des Anwalts. Vielleicht hat er doch noch eine Idee, wie du an dein Geld kommst. Aber die Sache wird sehr langwierig werden. Irgendwann musst du mit Christa darüber sprechen.«

Am Abend surfte Sascha ein wenig im Internet und fand heraus, dass am kommenden Donnerstag um neunzehn Uhr in der Kunsthalle der SüdBank eine Ausstellungseröffnung stattfinden würde. Kurzentschlossen griff er zum Telefon. »Holle, kommst Du mit?«

 

Eine Idee

An dem Donnerstagabend betraten beide die Kunsthalle und schoben sich durch das dichte Gedränge.

Holger griff nach einem Flyer. »Worum geht es heute eigentlich?«

»Du hast dich wohl überhaupt nicht informiert?«, meinte Sascha grinsend. »Es geht um Papiercollagen und Farblithografien von Georges Braque. Ausgestellt sind der Neuerwerb einer Lithografie und einige Leihgaben aus Privatbesitz und vom Kunstmuseum Pablo Picasso in Münster. Eine Menge Vogelbilder sind hier in der Ausstellung zu sehen. In Braques Spätwerk nimmt das Bildthema Der Vogel im Flug eine zentrale Bedeutung ein.«

Verblüfft schaute Holger seinen Freund an. »Wieso interessiert dich das? Bist du jetzt unter die Ornithologen gegangen?«

»Ehrlichgesagt interessiert mich hier nur ein Vogel, nämlich dieser Wenderick, der sich offensichtlich als Kurator präsentiert. Ich bin gespannt, wie er aussieht.« Saschas Bemerkungen gingen in den einsetzenden Klavierklängen unter. An einem Flügel, den er bis dahin nicht bemerkt hatte, saß ein junger Mann und spielte ein lyrisches Stück von Mendelssohn Bartholdy. Nachdem der letzte Ton verklungen war, trat ein gutgekleideter Herr nach vorne, er mochte Mitte fünfzig sein, und sprach ein paar einleitende Worte.

»Das muss er sein«, raunte Sascha seinem Freund zu.

»Der ist das? Auf mich macht er einen ausgesprochen kultivierten Eindruck.«

Sascha schaute nochmal auf den Flyer. »Das muss er aber sein. Außer einer Frau Dr. Uta Ruland und ihm wird hier keiner weiter sprechen.« Als er den mahnenden Blick eines anderen Gastes auffing, verstummte er. Die Begrüßungsrede zog sich nach seinem Ermessen endlos lange hin.

Schließlich beendete Kai Wenderick die Ausführungen mit den Worten: »Ich wünsche Ihnen viel Freude beim Betrachten der zauberhaften Werke von Georges Braque. Frau Dr. Uta Ruland wird Ihnen eine kurze Einführung zu dieser Ausstellung und zur Geschichte unserer neuerworbenen Farblithografie geben.« Frau Ruland trat hervor. Weitere Ausführungen folgten. Fasziniert schaute Sascha zu ihr hin.

Gerade zitierte sie den Künstler mit den Worten: »Ich suche nicht die Überspanntheit, die Spannung genügt mir«, und betonte, dass Georges Braque ein Künstler der eher leisen Töne sei aber gleichwohl die Kunst revolutioniert habe. Neben Picasso und Matisse gehöre er zu den Pionieren der Moderne des 20. Jahrhunderts.

Holger beobachtete seinen Freund von der Seite und lästerte: »Sicher ist sie etwas älter als deine Doktorandinnen.« Aber Sascha überhörte die ironische Bemerkung. Wie gebannt beobachtete er die Rednerin und sog ihre Worte förmlich auf. Ihre Stimme hatte einen sanften Klang. Das leicht gewellte Haar trug sie offen. Und es war nicht gefärbt, denn zwischen dem dunkelblond glaubte Sascha, ein paar silbern schimmernde Haare zu erkennen. Ihr Alter war schwer zu schätzen. Sie war schlank und zierlich, die auffällige Brille, die sie bei ihrem Vortrag trug, betonte ihre intellektuelle Ausstrahlung. Dadurch wirkte sie ein wenig distinguiert und unnahbar. Vermutlich lebte sie allein und ließ niemanden näher an sich heran.

»Wie alt schätzt du sie?«, flüsterte Sascha.

»Vielleicht fünfzig oder knapp darüber«, raunte Holger zurück. Diesmal handelte er sich den ärgerlichen Blick eines neben ihm stehenden Gastes ein. Schließlich beendete Frau Dr. Ruland ihren Vortrag. Abschließend spielte noch einmal der junge Pianist. Nachdem der letzte Ton und der Applaus verklungen waren, lud Herr Wenderick die Gäste zu einem Glas Wein und einem kleinen Imbiss ein.

Saschas Blick folgte Frau Dr. Ruland. Was er dann bemerkte, mochte er kaum glauben. Und es gefiel ihm nicht. Herr Wenderick legte den Arm um ihre Taille und küsste sie flüchtig. Sascha musste sein Vorurteil, dass sie niemanden an sich heranließe, revidieren. In seinen Augen war ihre aparte Ausstrahlung somit entzaubert. Ausgerechnet Wenderick! Enttäuscht wandte er sich ab.

Holger und er ließen sich in der Menge zu dem kleinen Buffet treiben, und jeder nahm ein Glas Rotwein. Dann betrachteten sie die ausgestellten Werke, insbesondere die neuerworbene Farblithografie. Nach einer halben Stunde reichte es Sascha.

»Kommst du noch mit auf ein Glas Bier? Außerdem habe ich heute Abend noch nichts Vernünftiges gegessen.« Bereitwillig ließ sich Holger überreden, und beide suchten eine nahegelegene Gaststätte. Kurz darauf betraten sie ein volles Lokal, fanden aber trotzdem bald einen freien Tisch.

Nachdem sie bestellt hatten und die Getränke gebracht wurden, fragte Sascha: »Was hältst du nun von diesem Kai Wenderick? Im Prinzip waren wir doch vor allem seinetwegen da, um ihn uns mal genauer anzuschauen. Was ist dein erster Eindruck von ihm?«

Holger nahm einen Schluck Bier und meinte nachdenklich: »Er wirkt keineswegs unsympathisch. Außerdem scheint er sehr redegewandt und kunstverständig zu sein. Aber hast du mal seine Augen beobachtet, wenn er lacht? Sie lächeln nicht mit, sie bleiben wachsam, beobachtend, irgendwie hart. Kurz und gut: Ich glaube, es würde wenig Sinn machen, ihn nochmal um einen Gesprächstermin zu bitten. Der würde Nobbe wieder eiskalt abservieren.«

Sascha stimmte ihm zu. Dann fragte er unvermittelt: »Wie haben dir eigentlich die Bilder von Braque gefallen?«

Holger zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Sie sind nicht so ganz mein Fall.«

Aber zu seiner Überraschung kam Sascha nun so richtig in Fahrt und begann in ironischem Ton zu dozieren. »Empfindest du nicht auch die Ästhetik, die bildnerische Aura der Stillleben? Wenn er zwei, drei Gegenstände in reduzierten Farbtönen miteinander in Beziehung setzt, folgt er damit fast einer mathematischen Logik. Und in seinem grafischen Spätwerk schafft er mit den Vogelbildern eine beeindruckende Beziehung zwischen Bewegung und Raum.«

Holger deutete einen Applaus an. »Ich gratuliere dir zu deinem Kurzzeitgedächtnis. Du gibst komplette Passagen aus Frau Dr. Rulands Einführungsrede fast wortwörtlich wieder. Wieso machst du dich über sie lustig? Ich dachte, sie gefällt dir.«

»Im Prinzip schon, aber sie ist Wendericks Geliebte und fällt damit aus meinem Interessenbereich.«

»Da wird sie sich aber grämen!«, zog Holger ihn auf.

Aber Sascha ging nicht auf diese Bemerkung ein, sondern fuhr mit seinen Betrachtungen fort. »Trotzdem finde ich, dass Georges Braques Bilder leicht zu fälschen wären.«

»Du musst es ja wissen!«

Mit einem hintergründigen Lächeln ergänzte Sascha: »Und gerade deshalb gefallen mir seine Werke.«

Jetzt glaubte Holger, sich verhört zu haben. In diesem Augenblick kam der Kellner und brachte das Essen, nachdem er sich entfernt hatte, forderte er: »Den Zusammenhang musst du mir erst einmal erklären!«, und ergänzte nach zwei, drei Sekunden mit einem schiefen Lächeln: »Du willst mir jetzt doch nicht zu verstehen geben, dass es dir ein Leichtes wäre, einen Braque zu fälschen?«

»Ich spreche nicht von mir.«

»Sondern?« Sascha schwieg. Sein Blick ruhte unmissverständlich auf seinem Freund. »Das ist jetzt nicht dein Ernst!« Doch als Sascha nichts erwiderte, ahnte Holger, dass er es genau so meinte. »Sag jetzt bitte nicht, ich soll ein Bild fälschen, damit wir es dann diesem Wenderick zum Kauf anbieten können, sozusagen als Entschädigung für Nobbe! Vergiss es.« Doch Sascha zuckte nur mit den Schultern und griff zum Besteck. Auch Holger widmete sich jetzt seinem Steak, stellte aber nochmal klar: »Du kannst nicht ernsthaft erwarten, dass ich einen Braque fälsche.«

In beruhigendem Ton erwiderte Sascha: »Nein, ich dachte eigentlich auch nicht an einen Braque ...«. Diesmal wartete der andere einfach ab, bis sein Freund weitersprach. »… sondern an einen Picasso.«

»Geht in Ordnung.« Entspannt aß Holger weiter. Er wusste, dass Sascha mitunter zu sarkastischen Bemerkungen und makabren Späßen neigte. Aber ein paar Augenblicke später fragte er in bemüht beiläufigem Ton: »Warum eigentlich einen Picasso und keinen Braque?«

»Wenn du Nobbe zugehört hättest, würdest du von alleine darauf kommen.«

»Rede bitte nicht in Rätseln. Ich habe keine Lust auf ein Quiz beim Essen.« Holgers Worte klangen genervt und deuteten Sascha an, dass er die Geduld seines Freundes lange genug strapaziert hatte. Bereitwillig ließ er sich deshalb auf eine Erklärung ein.

»Dir ist sicher bekannt, dass es beim Verkauf eines Kunstwerkes außer auf den Namen des Künstlers und der Qualität des Bildes auch auf eine lückenlose Provenienz ankommt. Ein bis dahin unbekanntes Werk kann nicht plötzlich aus dem Nichts auftauchen. Die früheren Besitzverhältnisse müssen eindeutig geklärt sein. Und das wäre für uns im Fall eines Georges Braque äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich.«

Obwohl Holger den letzten Satz nicht ernst nahm, ergänzte er in provokantem Ton: »Bei einem Picasso wäre das natürlich viel einfacher.«

Aber Sascha erwiderte nur: »Kommt drauf an.«

Demonstrativ legte Holger sein Besteck beiseite und verschränkte die Arme. »Jetzt machst du mich wirklich neugierig.«

Verstohlen warf Sascha einen Blick in den Raum. Schon das allein und dessen ernste Miene waren Holger Beweis genug, dass sein Freund offensichtlich etwas Unlauteres im Schilde führte. Dieser Zug an ihm war höchst ungewöhnlich. Der Lärmpegel in der Gaststätte hatte unterdessen einen Level erreicht, der ein unerwünschtes Mithören ausschloss. Trotzdem senkte Sascha seine Stimme, als er erklärte: »Im Prinzip brachten mich erst die Braque-Ausstellung, Braques enge Verbindung zu Picasso und die Tatsache, dass Nobbe eine Katalanin aus Barcelona kennengelernt hat auf die Idee.«

Holger schaute ihn verständnislos an. »Abgesehen davon, dass du nicht von mir verlangen kannst, einen Picasso zu fälschen: Was hätte die Katalanin denn mit der Provenienz des Bildes zu tun?«

»Erst einmal nichts, da müssten wir natürlich nachhelfen.« Während Holger gleichmütig wieder nach Messer und Gabel griff und sein Steak zu Ende aß, beeilte sich Sascha, zu erklären: »Dir dürfte ja bekannt sein, dass Picasso eine Zeit lang in Barcelona gelebt hat. Deshalb kam ich ja erst auf den Gedanken, dass wir Norberts Bekanntschaft mit der Katalanin nutzen könnten, um eine fiktive Verbindung zu dem Maler herzustellen.«

Bis hierhin hatte Holger seinem Freund zumindest zugehört. Aber nun fragte er zu Recht: »Warum sollte ausgerechnet sie uns bei einem Betrug helfen wollen?«

»Wenn die Geschichte, die sie Norbert erzählt hat, wirklich so stimmt und nicht übertrieben ist, muss sie diesen Wenderick abgrundtief hassen. Und das dürfte für sie Grund genug sein, ihm ordentlich eins auswischen zu wollen.«

Zumindest ließ sich Holger auf Saschas Gedankenspiel ein und spann den Faden weiter. »Nur mal angenommen, wir würden die Sache tatsächlich durchziehen. Denkst du nicht, dass wir die Geschichte mit der Provenienz auch alleine hinkriegen würden?«

»Eben nicht. Wir müssten mit einem Kaufbeleg nachweisen, wo und wann wir das Bild zu welchem Preis erworben haben. Am einfachsten wäre, es hätte sich seit Jahrzehnten in Familienbesitz befunden. Der Künstler könnte doch zu seinen Lebzeiten ein Werk verschenkt haben. Da bietet sich eine fiktive Bekanntschaft mit Picasso geradezu an. Sicher hat die Katalanin Vorfahren, die zu seiner Zeit in Barcelona gelebt haben. Und was das Künstlerische betrifft, Holle, da würde ich mich voll und ganz auf dich verlassen.«

Nach einem kurzen Schweigen meinte Holger lakonisch: »Du traust mir ja eine Menge zu.«

»Natürlich, Holle! Du hast dein Leben lang gemalt. Deine Wände hängen voller Bilder, und sie sehen professionell aus!«

Aber Holger schüttelte den Kopf. »Ich meine das nicht unbedingt künstlerisch, sondern vor allem moralisch. Bis jetzt habe ich mir nichts Ernsthaftes zuschulden kommen lassen, und so sollte es auch bleiben.

---ENDE DER LESEPROBE---