Ein Held unserer Zeit - Michail Lermontow - E-Book

Ein Held unserer Zeit E-Book

Michail Lermontow

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Beschreibung

In dem Roman "Ein Held unserer Zeit"wird die Tragödie der gebildeten und freiheitlich denkenden Jugend seiner Zeit geschildert, welche mit gesellschaftlichem Stillstand unzufrieden war, sich vereinsamt fühlte und das Leben als nichtig ansah. Mit diesem Werk schuf Lermontow wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung eines psychologischen Romans in Russland als Genre und gilt damit als Begründer des russischen Realismus. aus wikipedia.e)

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Ein Held unserer Zeit

Michail Jurjewitsch Lermontov

Inhalt:

Michail Jurjewitsch Lermontow – Biografie und Bibliografie

Ein Held unserer Zeit

1. Bela.

2. Maxim Maximitsch.

Petschorins Tagebuch.

3. Taman.

4. Fürstin Mary.

5. Der Fatalist.

Ein Held unserer Zeit, Michail Lermontow

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

Michail Jurjewitsch Lermontow – Biografie und Bibliografie

Einer der größten russ. Dichter, geb. 15. (3.) Okt. 1814 in Moskau als Sohn eines Obersten a. D., gest. 27. (15.) Juli 1841 im Kaukasus, erhielt, nachdem seine Mutter Maria Michajlowna, geborne Arßenjew, 1817 im Alter von 21 Jahren gestorben war, im Hause seiner Großmutter Jelissaweta (Elisabeth) Alexejewna Arßenjew in Tarchany (Kreis Tschembary, Gouv. Pensa) eine sorgfältige Erziehung und gründlichen Unterricht in den modernen Sprachen, machte im 11. Lebensjahr nach überstandener schwerer Krankheit mit seiner Großmutter eine Reise nach einem Badeort im Kaukasus, kam 1828 in die Universitätspension für Adlige zu Moskau und bezog im April 1830 die dortige Universität. Wegen eines Jugendstreichs relegiert, ging er 1832 nach Petersburg und trat in die Junkerschule ein, von wo aus er 1834 als Offizier in das Leibgardehusarenregiment kam, ward aber infolge eines racheheischenden Gedichts auf den Tod Puschkins, eines seiner berühmtesten Gedichte, betitelt: »Na smert' poeta« (»Auf den Tod des Dichters«), 1837 als Fähnrich in ein Dragonerregiment nach dem Kaukasus geschickt. Zwar wurde er, nach ein paar Monaten begnadigt, zuerst in ein Grodnoer und im April 1838 in sein ursprüngliches Regiment zurückversetzt, doch mußte er 1840 infolge eines Duells mit dem Sohne des französischen Botschafters Barante (1. März [18. Febr.]) zum zweitemal in den Kaukasus wandern, wo er in einem Infanterieregiment an den Kämpfen gegen die Tschetschenen teilnahm. Noch Ende des Jahres erhielt er die Erlaubnis, auf einige Zeit nach Petersburg zurückzukehren, woselbst er bis April 1841 blieb. Auf der Rückreise nach dem Kaukasus wurde er in Moskau mit Fr. v. Bodenstedt bekannt, der in der Folge Lermontows Gedichte ins Deutsche übersetzte und eine Charakteristik Lermontows: »Erinnerungen an L.«, schrieb. Gleich nach seiner Rückkehr in den Kaukasus nahm L. Urlaub nach dem Badeort Pjatigorsk, in dessen Nähe ihm bald darauf ein zweites Duell den Tod brachte; die Kugel seines Gegners Martynow, eines Kollegen und Schulfreundes, traf ihn mitten ins Herz. Sein Leichnam wurde im März 1842 auf das Gut seiner Großmutter gebracht und dort bestattet. 1881 wurde in St. Petersburg ein eignes L.-Museum gegründet. In Pjatigorsk, unweit der Stelle, wo er fiel, wurde ihm 28. (16.) Aug. 1889 ein Denkmal errichtet. L. war ein begeisterter und äußerst talentvoller Anhänger und Mitstrebender Puschkins und gehörte zu den rein subjektiven Dichtern. Frühzeitig abgestumpft für jeden Lebensgenuss, ward er einer der bedeutendsten Vertreter Byronscher »Zerrissenheitspoesie«, die in seinen Dichtungen das rastlose Ringen eines einsamen, freien und vornehmen Geistes gegen den Druck einer unerbittlichen Autokratie offenbarte. L. ist bedeutend in der Lyrik und groß in der poetischen Erzählung; namentlich war es die großartige Gebirgswelt des Kaukasus, die ihn zu den schönsten und bedeutsamsten seiner Poesien begeisterte. Die vorzüglichsten seiner byronisch gefärbten, durch Kühnheit und Genialität der Behandlung hervorragenden epischen Gedichte, wie »Mcyri« (»Der Novize«), »Ismail Bey«, »Valerik«, »Hadži-Abrek«, »Kaznačejsa« (»Die Rentmeisterin«), »Der Dämon« etc., spielen fast alle im Kaukasus. Am originellsten aber erweist er sich in dem echt nationalen »Lied vom Zaren Iwan Waßiljewitsch, seinem Leibwächter und dem mutigen Kaufmann Kalaschnikow«, das Geist und Form altrussischer Volkspoesie mit naiver Treue wiedergibt. Sein vortrefflicher Roman »Geroj našego vremeni« (»Ein Het d unsrer Zeit«, mehrfach ins Deutsche übersetzt, so Berl. 1852, Wien 1856, auch in Reclams Universal-Bibliothek) ward Anlaß zu dem Zweikampf, der ihn das Leben kostete. Lermontows sämtliche Werke erschienen in zahlreichen Ausgaben; hervorzuheben ist die von I. N. Kuschnerew, mit Illustrationen von den ersten russischen Künstlern (Moskau 1891, 2 Bde.). Zahlreich sind auch die Abhandlungen über Lermontows Schriften. Ins Deutsche sind seine Gedichte wiederholt übertragen worden (auch in Reclams Universal-Bibliothek), am besten von A. Ascharin (Dorpat 1877; 2. Aufl., Reval 1885).

Ein Held unserer Zeit

1. Bela.

Ich hatte Tiflis mit einem Postfuhrwerk verlassen. Mein ganzes Gepäck bestand aus einem kleinen Koffer, der zur Hälfte mit Reisenotizen über Georgien vollgepfropft war. Zum Glück für dich, lieber Leser, ist der größte Theil dieser Manuscripte verloren gegangen, und zum Glück für mich ist mir der Koffer mit den übrigen Sachen, die er enthielt, erhalten geblieben.

Die Sonne begann bereits hinter den schneebedeckten Bergzinnen zu verschwinden, als ich in das Koyschauer Thal gelangte. Der Ossete, der mir als Kutscher diente, hörte nicht auf, seine Pferde anzuspornen, um vor Einbruch der Nacht den Koyschauer Berg zu erreichen, und sang daher unterwegs aus voller Kehle.

Welch ein prachtvolles Schauspiel gewährt dieses Thal! Von allen Seiten unersteigliche Berge, röthliche Felsen, bedeckt mit langen grünen Epheuranken und gekrönt mit dichtem Ahorngebüsch; hier und da auf den Abhängen die gelben Spuren reißender Bergströme und dort, ganz in der Höhe, der goldene Saum der Schneeberge, und endlich tief unten im Thal die Aragua, welche, nachdem sie einen andern namenlosen Fluß in sich aufgenommen, dessen Wasser schäumend aus einer finstern, mit nebelartigen Dünsten erfüllten Schlucht hervorstürzen, wie ein Silberfaden sich hinzieht und schimmert wie das Schuppengewand einer Schlange.

Am Fuße des Berges machten wir neben einem Duchan1 Halt. Dort befanden sich etwa zwanzig Georgier und Bergbewohner, welche sich sehr laut unterhielten; und nicht weit von ihnen hielt eine Kameelkarawane, welche hier zu übernachten gedachte.

Ich war genöthigt, Ochsen vor meinen Wagen spannen zu lassen, um diesen verwünschten Berg zu erklimmen; denn es war bereits Herbst und der Weg mit Glatteis bedeckt, – und dieser Berg hat eine Länge von ungefähr zwei Werst.

Was sollte ich machen? Ich miethete mir sechs Ochsen und einige Osseten. Einer von diesen nahm meinen Koffer, während die andern das Ochsengespann durch ihr Geschrei anspornten.

Hinter meinem Wagen fuhr eine andere Telege. Ich bemerkte, daß, obgleich sie schwer beladen war, sie doch von nur vier Ochsen mit Leichtigkeit gezogen wurde. Dieser Umstand überraschte mich. Der Herr dieses Gefährts folgte zu Fuße nach und rauchte aus einer kleinen, silberbeschlagenen Kabardinerpfeife. Er trug einen Offiziermantel ohne Epauletten und eine tscherkessische Pelzmütze. Er mochte etwa fünfzig Jahre zählen. Seine braune Gesichtsfarbe deutete darauf hin, daß er bereits lange unter der kaukasischen Sonne gelebt, und sein vor der Zeit ergrauter Schnurrbart harmonirte nicht mit seinem festen Schritt und seiner männlichen Physiognomie. Ich ging auf ihn zu und grüßte ihn. Schweigend erwiederte er meinen Gruß mit einem Kopfnicken, wobei er eine ungeheure Rauchwolke in die Luft blies.

"Wie es scheint", sagte ich, "sind wir Reisegefährten." Wiederum nickte er schweigend mit dem Kopfe.

"Sie gehen ohne Zweifel nach Stawropol?"

"Ja wol ... mit Sachen, welche der Regierung gehören."

"Sagen Sie mir gefälligst, woher kommt es, daß Ihr Wagen trotz seiner schweren Ladung von nur vier Ochsen ganz leicht gezogen wird, während der meine, obgleich er fast ganz leer ist, mit seinen sechs Ochsen und einer Escorte von Osseten sich kaum von der Stelle bewegt?"

Er begann verschmitzt zu lächeln und sah mich dann vielsagend an.

"Sie sind wol noch nicht lange im Kaukasus?" versetzte er.

"Seit einem Jahr," antwortete ich.

Er lächelte zum zweiten Mal.

"Aber ich fragte ..."

"Ach," versetzte er, "diese Asiaten sind ganz schauderhafte Halunken. Sie glauben wol, sie spornten die Ochsen an, weil sie so schreien? Der Teufel allein mag wissen, was sie schreien! Aber von ihren Ochsen werden sie ganz gut verstanden. Sie könnten getrost zwanzig anspannen, die Thiere würden trotz dieses Geschreis nicht von der Stelle kommen ... Wie gesagt, schauderhafte Spitzbuben! Aber wie soll man ihnen entgehen? Sie verstehen es, den Reisenden das Geld aus der Tasche zu ziehen, und übrigens hat man sie auch verwöhnt! Sie sollen sehen, sie fordern Ihnen noch obendrein ein Trinkgeld ab. Ich kenne sie; mich führen sie nicht mehr an!"

"Dienen Sie schon lange im Kaukasus?" fragte ich.

"Ich habe schon unter Alexis Petrowitsch2 gedient," versetzte er, und sein Gesicht erheiterte sich. "Als er das Commando übernahm, war ich Second-Lieutenant; und ich habe mir in unsern Kriegen gegen die Bergbewohner zwei Grade erworben."

"Und jetzt?"

"Jetzt gehöre ich zum dritten Linienbataillon, und Sie, wenn ich fragen darf?"

Ich gab ihm die gewünschte Auskunft.

Damit schloß unsere Unterhaltung, und schweigend gingen wir von jetzt an neben einander her.

Wir kamen auf dem Gipfel des Berges an. Er war mit Schnee bedeckt. Die Sonne war untergegangen, und die Nacht folgte dem Tage ohne allen Uebergang, wie das im Orient gewöhnlich der Fall ist; allein – Dank dem Wiederschein des Schnees vermochten wir unsern Weg noch leicht zu erkennen, der, wenn auch mit geringerer Steigung, noch immer bergan führte.

Ich ließ meinen Koffer wieder auf den Wagen binden, vertauschte die Ochsen mit Pferden und warf einen letzten Blick in das Thal hinunter. Aber ein dichter Nebel, der wie Wellen aus den Schluchten in den Bergflanken aufstieg, hatte es vollständig bedeckt, und in dieser Höhe vermochte kein einziger Laut mehr an unser Ohr zu dringen. Die Osseten drängten sich lärmend um mich und forderten ein Trinkgeld. Aber der Stabscapitain redete sie so energisch an, daß sie im Nu auseinanderstoben.

"Ist das ein Volk!" sagte er. "Ein Stück Brod auf Russisch zu verlangen ist ihnen vollständig unmöglich; aber sie können sehr verständlich sagen: ›Gib mir etwas zum Trinken, Offizier!‹ Da sind mir doch die Tataren lieber; die sind wenigstens keine Trunkenbolde ..."

Wir hatten noch eine Werst bis zur Station. Rings um uns herrschte ein so tiefes Schweigen, daß man den Flug einer Fliege an ihrem Gesumme hätte verfolgen können.

Zu unserer Linken gähnte ein tiefer Abgrund; jenseits desselben und vor uns erhoben sich dunkelblaue, von Schluchten zerrissene und mit Schneemassen bedeckte Bergzinnen, die sich von dem blassen Horizont abhoben, und auf welchem noch ein letzter purpurartiger Glanz schimmerte. An dem dunklen Himmel begannen die Sterne zu blinzeln und – seltsam! es schien mir, als ob sie sich in einer viel weiteren Entfernung befänden, als bei uns im Norden.

Zu beiden Seiten des Weges ragten nackte, finstere Felsblöcke in die Höhe; da und dort drangen schwächliche Gesträuche durch die Schneedecke hervor; aber Alles war regungslos, nicht ein einziges Blättchen ward vom Winde bewegt, und so war es inmitten dieses Todtenschlafes der Natur ein Vergnügen, das Schnauben unserer müden Pferde und das ungleichmäßige Klingeln des russischen Glöckchens anzuhören.

"Morgen werden wir ein herrliches Wetter haben," sagte ich zu dem Hauptmann.

Ohne zu antworten zeigte dieser mit dem Finger nach einem hohen Berge, der sich gerade vor uns erhob.

"Was ist das?" fragte ich.

"Das ist die Gut-Gora."

"Nun ...?"

"Sehen Sie, wie sie raucht!"

Und in der That, die Gut-Gora rauchte. An ihren Flanken wogten leichte Wolken hin und her, und auf ihrer Spitze lagerte eine so schwarze Dunstwolke, daß sie sich wie ein Fleck an dem dunklen Himmel ausnahm. 

Schon vermochten wir die Poststation und die Dächer der sie umgebenden Hütten zu unterscheiden: schon schimmerte uns ein gastlicher Lichtschein entgegen, – da plötzlich erhob sich ein feuchter, eisiger Wind, in dem Abgrunde heulte der Sturm, und ein feiner Regen drang uns in die Kleider. Kaum hatte ich meine Burka3 umgeworfen, als es in dichten Flocken zu schneien begann. Ich warf dem Stabscapitain einen respectvollen Blick zu ...

"Wir müssen uns dazu verstehen, die Nacht hier zuzubringen," sagte er ärgerlich. "Bei einem solchen Schneegestöber kann man nicht daran denken, den Berg zu passiren." Und sich dann zu dem Postillon wendend, fuhr er fort: "Sind schon Lawinen gefallen?"

"Nein, noch nicht, Herr," antwortete der Ossete; "aber es sind viele im Anzuge."

Auf der Poststation war es nicht möglich, Zimmer für Reisende zu finden. Man führte uns in eine verräucherte Hütte, wo ich meinen Reisegefährten einlud, eine Tasse Thee mit mir zu trinken; denn ich nahm überall eine eiserne Theemaschine mit mir herum, – und mehr als einmal war sie mein einziger Trost gewesen auf meinen Kreuz- und Querzügen im Kaukasus.

Die Hütte, in welcher wir die Nacht zubringen sollten, lehnte mit der einen Seite an einem Felsen. Drei glitschige, nasse Stufen führten zu ihrer Thür. Ich dringe zuerst tastend ein und falle über eine Kuh (in diesem Lande dient der Stall als Vorzimmer). Ich wußte nicht, wohin ich mich wenden sollte: von der einen Seite blöken Schafe, von der andern bellt ein Hund. Zum Glück gewahre ich endlich mit Hilfe eines schwachen Lichtscheines eine andere Oeffnung, die eine Art Thür zu sein scheint.

Ich trat ein, und da bot sich mir ein ziemlich merkwürdiges Schauspiel: Ein weiter, saalartiger Raum, dessen Dach auf zwei von Rauch geschwärzten Balken ruhte, war mit einer Menge Menschen angefüllt. In der Mitte brannte ein armseliges Feuer auf dem Boden, und der in Wirbeln aufsteigende Rauch, welcher durch eine im Dache angebrachte Oeffnung hätte hinausziehen sollen, wurde vom Winde zurückgetrieben und verbreitete daher eine solche Finsterniß um uns her, daß es mir längere Zeit unmöglich war, etwas zu unterscheiden.

Um das Feuer hockten zwei alte Weiber, eine große Anzahl Kinder und ein gebrechlicher Georgier; Alle in Lumpen. Was sollten wir machen? Wir mußten uns mit unserm Quartier begnügen! Wir ließen uns am Feuer nieder, steckten unsere Pfeifen an, und bald begann die Theemaschine fröhlich zu singen.

"Ein armseliges Volk!" sagte ich zu dem Stabscapitain, indem ich auf unsere schmutzigen Wirthe zeigte, die uns mit einer gewissen Bestürzung stumm betrachteten.

"Und noch dazu sehr dumm!" versetzte mein Reisegefährte. "Sie verstehen nichts, zu nichts sind sie fähig, ohne jede Anlage zur Cultur ... es ist unglaublich! Da sind doch wenigstens unsere Kabardiner und Tschetschenzen, obgleich wilde Räuber, unerschrockene Taugenichtse, während dieses Gesindel von Osseten nicht den geringsten Geschmack an dem Waffenhandwerk hat. Sie werden nicht einmal einen halbwegs brauchbaren Dolch bei ihnen finden. Ein heruntergekommenes Volk, diese Osseten!"

"Sind Sie lange im Lande der Tschetschenzen gewesen?"

"Zehn Jahre war ich dort; ich stand mit meiner Compagnie in dem Fort bei Kamenoibrod, – kennen Sie das?"

"Ich habe davon gehört."

"Ja, mein Lieber, diese Kopfabschneider machten uns zu schaffen! Gegenwärtig halten sie sich Gott sei Dank etwas ruhiger; aber früher, wenn man sich nur hundert Schritt von den Wällen entfernte, – da lag so ein Teufelskerl in irgend einem Versteck und lauerte einem auf: man hatte kaum die Zeit, zu gähnen – da flog einem eine Schlinge um den Hals oder eine Kugel in den Kopf. Sind das Bursche!"

"Da haben Sie gewiß manches Abenteuer erlebt?" sagte ich neugierig.

"Das sollt' ich meinen! Manches Abenteuer ..."

Bei diesen Worten begann er an seinem großen Schnurrbart zu zupfen; dann stützte er den Kopf in die Hand und versank in Nachdenken.

Ich hätte mir gern die eine oder andere Geschichte von ihm erzählen lassen – ein Wunsch, der bei einem reisenden Schriftsteller sehr natürlich ist. Aber der Thee war schon fertig. Ich zog aus meinem Mantelsack zwei kleine Tassen, goß sie voll und stellte die eine vor meinen Gefährten hin. Er schlürfte das heiße Getränk und wiederholte dabei, wie wenn er mit sich selbst spräche: "Ja, ja, manches Abenteuer habe ich erlebt!"

Dieser Ausruf gab mir neue Hoffnung. Ich weiß, daß die Veteranen des Kaukasus gern plaudern und erzählen. Sie haben dazu so selten Gelegenheit! Fünf Jahre hindurch bleibt mancher mit seiner Compagnie auf irgend einem verlorenen Posten, und während dieser ganzen fünf Jahre vernimmt er nicht ein einziges Mal die alltäglichen Worte: "Wie geht's Ihnen, Hauptmann?" – aus dem ganz einfachen Grunde, weil der Unteroffizier zu seinem Vorgesetzten sagt und sagen muß: "Ich wünsche Ihnen guten Tag ..." Und doch hätte er so viel Stoff zum Reden! Er lebt mitten unter einem wilden, merkwürdigen Volke; jeder Tag bringt die eine oder andere Gefahr, bald diese, bald jene außerordentlichen Ereignisse, – da muß man sehr bedauern, daß über ein solches Leben bei uns so wenig geschrieben wird.

"Nehmen Sie keinen Rum?" sagte ich zu meinem Reisegefährten. "Ich habe weißen aus Tiflis mitgebracht ... und bei so kaltem Wetter ..."

"Nein, ich danke, ich trinke nie geistige Getränke."

"Warum nicht?"

"Ich hab's verschworen. Als ich noch einfacher Lieutenant war, da fand einmal ein Zechgelage bei uns statt; und in der folgenden Nacht wurde Alarm geschlagen. Sie können sich denken, in welchem Zustande wir ins Feuer eilten! Alexis Petrowitsch erfuhr die Geschichte, – mein Gott, wie gerieth er in Wuth! Wenig fehlte, so hätte er uns vor ein Kriegsgericht gestellt. Zu andern Zeiten kann oft ein ganzes Jahr vergehen, ohne daß man eine Seele zu sehen bekommt; aber Sie begreifen, in einem Lande, wo man immer auf dem Posten sein muß – sobald man da ein wenig zu viel trinkt, ist man verloren." Als ich solche Worte hörte, verlor ich fast alle Hoffnung auf eine Geschichte.

"Da haben Sie z.B. die Tscherkessen," fuhr er fort; "wenn die ihre Busa trinken, sei's auf einer Hochzeit oder bei einem Begräbniß, so kommt es immer zu einem Gefecht. Einmal wurde ich fast mit Gewalt zu einer solchen Festlichkeit hingeführt, wo es mir bald übel ergangen wäre, und noch dazu bei einem mit uns in Frieden lebenden Fürsten."

"Was fiel denn vor?"

"Ich will's Ihnen erzählen," versetzte er. Hier unterbrach sich der Hauptmann, um seine Pfeife zu stopfen; als er sie angesteckt, fuhr er folgendermaßen fort:

"Zunächst muß ich Ihnen bemerken, daß ich damals mit meiner Compagnie in einem Fort jenseit des Terek lag – es werden bald fünf Jahre her sein. Eines Tages im Herbst sahen wir einen Transport Proviant herankommen; bei demselben befand sich ein Offizier, ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren. Er machte mir in Galauniform die Aufwartung und theilte mir mit, daß er den Befehl habe, bei mir im Fort zu bleiben.

Er hatte eine so feine weiße Haut, einen so zarten Teint und eine so glänzende neue Uniform, daß man es ihm sofort ansah, er müsse sich erst seit ganz kurzer Zeit im Kaukasus befinden."

"Sie sind vermuthlich", sagte ich zu ihm, "hierher in die Verbannung geschickt."

"Ganz recht, Herr Stabscapitain," versetzte er.

"Es freut mich sehr, Sie bei uns zu sehen," entgegnete ich und reichte ihm die Hand. "Sie werden sich hier ein wenig langweilen; allein ich hoffe, wir werden als gute Freunde mit einander leben. Was mich betrifft, nennen Sie mich einfach Maxim Maximitsch, – und diese Galauniform, – bitte, kommen Sie ganz einfach in der Mütze zu mir."

"Es wurde ihm ein Quartier angewiesen und er richtete sich in dem Fort ein."

"Wie hieß er?" fragte ich.

"Gregor Alexandrowitsch Petschorin. Ein ausgezeichneter Junge, kann ich Ihnen sagen; nur ein wenig seltsam. So z.B. konnte er bei Frost oder Regenwetter ganze Tage auf der Jagd zubringen. Jeder Andere wäre von solch einer Expedition erstarrt oder todtmüde zurückgekommen, – er wußte von gar nichts. Ein anderes Mal zog er sich in sein Zimmer zurück wie ein altes Weib und fürchtete sich bei dem geringsten Lufthauch zu erkälten und fröstelte und erblaßte, sobald das Fenster geöffnet wurde; und dabei habe ich ihn mit eigenen Augen ganz allein einen Eber angreifen sehen! Manchmal verbrachte er ganze Stunden bei mir, ohne auch nur einmal den Mund aufzuthun, wogegen er wieder zu anderen Zeiten plötzlich anfangen konnte Geschichten zu erzählen, daß man sich vor Lachen den Bauch halten mußte ... Ja, ja, er war ein merkwürdiger Mensch; übrigens mußte er auch sehr reich sein: er besaß eine solche Menge kostbarer Gegenstände!"

"Und haben Sie lange mit ihm zusammengelebt?" fragte ich wieder.

"Etwa ein Jahr. Ich werde es nie vergessen, dieses Jahr! Wie manche Sorge hat er mir gemacht! ... Es scheint fast, als ob es Menschen gäbe, die schon von Geburt an zu außerordentlichen Abenteuern bestimmt sind."

"Außerordentliche Abenteuer!" rief ich noch neugieriger, indem ich dem Hauptmann eine neue Tasse Thee eingoß.

"Ich will Ihnen aus unserm damaligen Leben einen Vorfall erzählen. Sechs Werst von dem Fort wohnte ein mit uns in Frieden lebender Fürst. Sein Sohn, ein Knabe von fünfzehn Jahren, kam fast täglich zu uns, bald unter diesem, bald unter jenem Vorwande, und wir verhätschelten ihn vollständig, Petschorin und ich. So jung er auch noch war, an Geschicklichkeit und Verwegenheit that's ihm keiner zuvor: In vollem Galopp hob er seine Mütze von der Erde auf, und wie er zu schießen verstand, – das war ganz wunderbar! Nur einen Fehler hatte er an sich: Er besaß eine schreckliche Leidenschaft für das Geld. Eines Tages versprach ihm Petschorin scherzend einen Dukaten, wenn er den schönsten Bock aus den Heerden seines Vaters raube, und denken Sie sich, – in der folgenden Nacht brachte uns der Taugenichts den Bock an den Hörnern herbei! Sobald wir ihn ein wenig stark foppten, flammten ihm gleich die Augen, und die Hand fuhr sofort nach dem Dolche. ›Nun, nun, Asamat,‹ sagte ich zuweilen zu ihm, ›nicht so rasch; deine Heftigkeit könnte dir noch einmal übel bekommen!‹"

"Eines Tages kam der alte Fürst, sein Vater, zu uns, um uns zur Hochzeit seiner ältesten Tochter einzuladen. Wir sollten seine Kunaks, Gäste, sein, und so durften wir, obgleich er ein Tatar war, uns nicht weigern, zu kommen. Wir gingen also hin. Beim Eintritt in den Aul4 stürzten uns bellend eine Menge Hunde entgegen, und die Frauen versteckten sich bei unserm Anblick, und diejenigen, welche wir zu Gesicht bekamen, waren nichts weniger als schön."

"Ich hatte mir eine bessere Vorstellung von den Tscherkessinnen gemacht!" sagte Petschorin zu mir.

"Nur Geduld," gab ich ihm zur Antwort und lachte. Und dazu hatte ich meine guten Gründe.

"In der Wohnung des Fürsten war bereits eine große Menge Menschen versammelt. Sie wissen, wenn diese Asiaten eine Hochzeit feiern, so laden sie alle ein, die ihnen begegnen. Wir wurden mit allen Zeichen der Auszeichnung empfangen und in den Ehrensaal geführt. Da ich das Land kannte, so hatte ich mir jedoch wohl gemerkt, wohin man unsere Pferde gebracht, um sie, wenn etwas vorfallen sollte, sofort zur Hand zu haben."

"Und wie sind denn dort die Hochzeitsgebräuche?" fragte ich den Hauptmann.

"Die bieten nichts Auffallendes," versetzte er. "Zunächst liest ihnen der Geistliche, der Mulla, ein paar Stellen aus dem Koran vor; dann macht man den Neuvermählten und allen ihren Verwandten Geschenke; dann wird gegessen und Busa getrunken, worauf ein Nationaltanz, die Dschigitowka, getanzt wird, während ununterbrochen irgend ein schmutziger, in Lumpen gehüllter und auf einem erbärmlichen Klepper sitzender Bursch die ehrenwerthe Gesellschaft mit seinen Späßen amüsirt; und wenn die Dunkelheit eintritt, findet eine Art Ball statt, wozu ein armer alter Musikant auf einem Instrument – der Name desselben ist mir entfallen, es gleicht unserer Balalaika – die Musik macht. Die Mädchen und jungen Burschen stellen sich in zwei Reihen einander gegenüber und singen und schlagen in ihre Hände. Dann treten ein Mädchen und ein Bursch in die Mitte des Kreises und fangen an, nach einander Verse in schleppendem Tone herzusagen ... Alles, was ihnen gerade in den Sinn kommt; und diese Verse werden dann von dem ganzen Chor wiederholt."

"Petschorin und ich saßen auf dem Ehrenplatze. Plötzlich kommt die jüngste Tochter unseres Wirthes, ein Mädchen von sechzehn Jahren, auf meinen Begleiter zu und singt ihm eine Art Compliment vor."

"Können Sie sich nicht erinnern, was sie ihm eigentlich vorsang?"

"Ja, so ungefähr: ›Schlank und schön sind unsere Tänzer mit ihren silberbesetzten Kaftans; aber der junge russische Offizier ist noch schöner, und seine Tressen sind von Gold. Er erhebt sich unter ihnen wie eine Pappel; aber in unseren Gärten ist er nicht geboren und aufgeblüht.‹"

"Bei dieser Rede stand Petschorin auf, verbeugte sich vor der jungen Prinzessin, legte die Hand erst auf die Stirn, dann auf das Herz und bat mich, ihr seine Antwort in ihre Sprache zu übersetzen."

"Nun," raunte ich meinem jungen Freunde zu, als das Mädchen sich wieder entfernt hatte, "wie finden Sie sie?"

"Entzückend!" antwortete er; "entzückend! Wie heißt sie?"

"Bela," versetzte ich.

"Und in der That, sie war sehr schön: hoch, schlank, prachtvoll gebaut, Augen schwarz wie die der Gazelle, – ihr Blick drang einem bis ins Innerste der Seele.

Petschorin war ganz träumerisch geworden; er verlor sie nicht mehr aus den Augen; und auch sie richtete häufig verstohlen den Blick auf ihn. Aber mein Begleiter war nicht der Einzige, der Bela schön fand: aus einem Winkel des Saales richteten sich unablässig zwei andere unbewegliche, flammende Augen auf die junge Fürstin. Es waren die eines jungen Mannes meiner Bekanntschaft, Kasbitsch mit Namen.

Dieser Kasbitsch, müssen Sie wissen, stand zu uns in einem eigenthümlichen Verhältniß; er war weder unser Freund noch unser Feind. Sein Benehmen war mehr als einmal sehr verdächtig gewesen; allein er hatte sich nie bei einem Gefecht sehen lassen. Von Zeit zu Zeit brachte er uns Schafe in das Fort und überließ sie uns zu einem billigen Preise; nur ließ er nie mit sich handeln; was er forderte, mußte man ihm auch geben, – man hätte ihn eher umbringen als ihm etwas abhandeln können. Man sagte ihm nach, er schlösse sich gern den Zügen an, welche die Abreken über den Kuban unternahmen; und in der That, mit seiner kleinen trockenen Gestalt und seinen breiten Schultern hatte er ganz das Aussehen eines Räubers ... Und zu dem besaß er eine wahrhaft diabolische Geschicklichkeit! Sein Beschmet5 war immer in Fetzen zerrissen, aber seine Waffen glänzten von Silber; und sein Pferd galt für das schönste und beste in der ganzen Kabardie, und in der That, es war nicht möglich, einen ausgezeichneteren Renner zu finden als dieses Pferd. Nicht umsonst beneideten ihn Alle darum, und mehr als einmal hatte man versucht, es ihm zu stehlen; allein es war nie geglückt. Mir ist, als sähe ich noch jetzt dieses Pferd vor mir: Pechschwarz, Beine wie Stahl, und Augen ... ich glaube, daß Belas Augen nicht schöner waren; und welche Kraft! Fünfzig Werst konnte es im Galopp zurücklegen, ohne einmal zu rasten; und dabei war es so fromm und wohldressirt, daß es wie ein Hund auf seinen Herrn zueilte und seiner Stimme gehorchte! Manchmal nahm sich Kasbitsch nicht einmal die Mühe, es anzubinden; kurz, es war das Ideal eines Räuberpferdes! ...

An diesem Abend war Kasbitsch finsterer als gewöhnlich, und ich bemerkte, daß er unter seinem Beschmet ein Panzerhemd trug ... Dieses Panzerhemd, sagte ich zu mir, trägt er nicht umsonst; er muß etwas im Schilde führen.

Es war sehr heiß im Saal, und so ging ich ein wenig hinaus in die frische Luft. Die Nacht hatte sich bereits auf die Berge herabgesenkt, und der Nebel begann aus den Thalschluchten heraufzuziehen.

Da kam mir der Gedanke, einmal nach unseren Pferden zu sehen, um mich zu überzeugen, ob ihnen nichts fehle. Vorsicht kann nie schaden, und ich hatte damals ein ausgezeichnetes Pferd, das mehr als ein Kabardiner mit neidischen Blicken betrachtet hatte. Ich ging unbemerkt auf den Hangar zu, – da hörte ich plötzlich Stimmen; die eine erkannte ich sofort: es war die des Asamat, des Sohnes unseres Wirthes; die andere ließ sich nur selten und ziemlich leise vernehmen.

Wovon mögen die denn dort reden, dachte ich bei mir; etwa von unsern Pferden?

Verstohlen näherte ich mich ihnen und begann zu lauschen, um mir kein Wort von ihrer Unterhaltung entgehen zu lassen, was nicht sehr leicht war; denn nicht selten machten es mir das Singen und Tanzen in dem Saal nebenan unmöglich, etwas von ihrem Gespräch zu unterscheiden."

"Du hast ein herrliches Pferd!" sagte Asamat; "und wenn ich hier Herr im Hause wäre und hätte einen Tabun von dreihundert Fohlen, die Hälfte davon würde ich dir hingeben für deinen Renner, Kasbitsch!"

Aha, da ist Kasbitsch, murmelte ich vor mich hin, – und ich dachte unwillkürlich an sein Panzerhemd.

"Ja," antwortete Kasbitsch nach einigem Schweigen; "in der ganzen Kabardie findet man ein solches Pferd nicht wieder. Eines Tages – es war jenseit des Terek – hatte ich mit einigen Abreken eine Jagd auf russische Pferde unternommen. Unser Plan mißlang, und wir nahmen die Flucht, der Eine hierhin, der Andere dorthin. Ich ward von vier Kosaken verfolgt; schon hörte ich hinter mir die Rufe dieser Giauren, und vor mir befand sich ein dichter Wald. Ich legte mich auf meinen Sattel und empfahl mich dem Schutze Allahs, und zum ersten Mal in meinem Leben beleidigte ich mein Pferd mit einem Peitschenschlage. Wie ein Vogel stürzte sich das edle Thier durch die Zweige – die Dornen zerrissen meine Kleider, die Zweige schlugen mir ins Gesicht; mein Pferd setzte über alle Hindernisse hinweg und bahnte sich mit der Brust einen Weg durch das Dickicht.

Vielleicht hätte ich am besten daran gethan, es sich selbst zu überlassen und mich in dem Dickicht zu verstecken. Aber ich konnte mich nicht dazu entschließen, mich von ihm zu trennen – und der Prophet belohnte mich dafür. Schon pfiffen mir einige Kugeln um den Kopf; schon waren die Kosaken ganz nahe hinter mir, und sie verdoppelten ihre Anstrengungen, um mich zu ergreifen ... Da plötzlich befinde ich mich am Rande eines tiefen Abgrundes; mein Pferd macht einen Augenblick Halt und fliegt dann hinüber. Seine Hinterbeine gleiten am jenseitigen Rande ab und da bleibt es mit den Vorderfüßen hängen. Ich lasse die Zügel los und stürze mich in den Abgrund; das rettete mein Pferd; es machte eine neue Anstrengung, und da hat es wieder festen Grund unter den Füßen! Die Kosaken hatten Alles mit angesehen; aber keiner steigt in den Abgrund hinunter, um mich zu suchen; wahrscheinlich glaubten sie, ich hätte mir bei dem Fall das Genick gebrochen, und ich hörte, wie sie sich daran machten, mein Pferd zu verfolgen. Alles Blut strömte mir nach dem Herzen; ich schleiche in dem hohen dichten Grase an dem Abgrunde entlang und schaue mich um: Ich befinde mich am Ende des Waldes, einige Kosaken jagen gerade aus demselben hervor, aber schon galoppirt mein Karagos unten durch die Ebene. Lange, sehr lange verfolgten sie ihn; und einer von ihnen hätte ihm zweimal beinah seine Schlinge um den Hals geworfen. Ich zitterte am ganzen Körper, schloß die Augen und begann zu beten. Einige Augenblicke später blicke ich wieder auf, und da sehe ich meinen Karagos mit hocherhobenem Schweif und flatternder Mähne frei wie der Wind durch die Ebene fliegen, – die Giauren aber schleppen sich auf ihren ermüdeten Pferden nach verschiedenen Richtungen durch die Steppe. Bei Allah, was ich dir da erzählte, ist die Wahrheit, die reinste Wahrheit! Bis tief in die Nacht blieb ich in meinem Abgrunde versteckt. Plötzlich – stelle dir mein Erstaunen vor, Asamat! – plötzlich höre ich in der Dunkelheit am Rande des Abgrundes ein Pferd hin und her galoppiren: es wiehert und stampft mit den Füßen die Erde, ich erkannte die Stimme meines Karagos, – und er war es, mein treuer Gefährte! ... Seit diesem Tage haben wir uns nie mehr getrennt."

Bei diesen Worten klopfte Kasbitsch dem Pferde liebkosend auf den Hals und redete es mit allen möglichen Schmeichelworten an.

"Hätte ich einen Tabun von tausend Fohlen," sagte Asamat, "ich würde ihn dir ganz hingeben für deinen Karagos!"

"Und ich," antwortete Kasbitsch kalt, "würde ihn nicht annehmen."

"Hör', Kasbitsch," sagte Asamat in bittendem Tone zu ihm, "du bist ein braver Mensch und ein tapferer Krieger; du weißt, mein Vater fürchtet die Russen und läßt mich nicht an den Streifzügen in die Berge theilnehmen. Gib mir dein Pferd, und ich thue für dich Alles, was du verlangst. Wenn du es wünschest, stehle ich dir meines Vaters beste Büchse oder seine Schaschka ... Du brauchst nur zu wollen, – und du weißt, seine Schaschka ist in Kurdistan gemacht; man braucht ihr nur die Hand nahe zu bringen, und es ist, als ob der Stahl von selbst schneiden wollte. Ich werde dir auch noch das beste Panzerhemd meines Vaters geben, und das ist gleich dem deinen von unschätzbarem Werthe."

Kasbitsch bewahrte Schweigen.

"Seit dem Tage, wo ich dein Pferd zum ersten Mal gesehen," fuhr Asamat fort, "wo ich es unter dir springen und mit weit geöffneten Nüstern stampfen sah, während Kies und Funken unter seinen Hufen stoben, – seit diesem Tage empfinde ich etwas ganz Unerklärliches in meiner Brust, und alles Andere ist mir gleichgiltig geworden. Die schönsten Renner meines Vaters sehe ich nur noch mit Verachtung an; ich schäme mich, sie zu reiten und ... Traurigkeit hat mich erfaßt und ganze Tage bringe ich auf einem Felsenzacken zu, und dann denke ich an nichts Anderes, als an dein schönes Pferd mit seinem edlen Gange und seinen glänzenden und pfeilgeraden Flanken. Mir ist, als suche sein kluger Blick den meinen, als hätte es mir etwas zu sagen. Kurz," rief Asamat mit zitternder Stimme, "ich sterbe, Kasbitsch, wenn du dich weigerst, mir dein Pferd abzutreten."

Bei diesen Worten brach Asamat in Thränen aus und begann zu schluchzen. Und doch hatte dieser Knabe einen eisernen Willen, und er hatte vielleicht niemals geweint, sogar als Kind nicht.

Als Antwort auf seine Thränen hörte ich eine Art Lachen.

"Höre," sagte Asamat mit fester Stimme; "du siehst, ich bin zu allem entschlossen. Wenn du willst, so entführe ich dir meine Schwester. Du weißt, wie sie tanzt, wie sie singt, und welch wundervolle Goldstickereien sie verfertigt! Nein, ein so schönes Mädchen gibt es nicht einmal in dem Serail des türkischen Padischah! ... Sag', Kasbitsch, willst du? Erwarte mich morgen Abend in der Nähe der Schlucht, da, wo der Waldbach herabstürzt: ich werde sie nach dem benachbarten Aul bringen – und sie ist dein ... Ist denn Bela nicht so viel werth wie dein Karagos?"

Lange, sehr lange bewahrte Kasbitsch Schweigen. Endlich hörte ich ihn statt einer Antwort folgende Strophe eines alten Volksliedes singen:

 Wol reich ist unser Land an schönen Frauen,

 Und ihre Reize rühmt man weit und breit;

 Süß ist's, in ihrer Augen Glut zu schauen,

 Zu kosten ihrer Liebe Seligkeit.

 Doch süßer leuchten mir der Freiheit Strahlen,

 Und höher schätze ich mein braves Pferd:

 Ein gutes Roß ist nimmer zu bezahlen –

 Vier Frauen tauscht man ein um Geldeswerth ...

 Was gleicht dem Muth des Rosses, seiner Schnelle,

 Was seiner Treue und Beständigkeit?

 Der Frauen Sinn ist launisch wie die Welle

 Und wechselnd wie das Wetter und die Zeit!

Vergebens flehte und weinte Asamat; vergebens wurde er zornig ...

Endlich wurde Kasbitsch ungeduldig und rief ihm zu:

"Lass' mich in Ruh', unsinniger Knabe! Du willst mein Pferd reiten? Keine drei Schritt würdest du zurücklegen, und es würfe dich zu Boden und zerschmetterte dir den Kopf an einem Felsen."

"Mir!" rief Asamat wüthend, und in demselben Augenblick hörte ich den Dolch des Knaben an dem Panzerhemd des Bergbewohners erklingen.

Mit kräftiger Faust schleuderte Kasbitsch seinen Gegner gegen den Bretterzaun, – so heftig, daß dieser davon erzitterte.

Das wird einen schönen Lärm geben, dachte ich bei mir. Und damit eilte ich nach dem Stalle, machte unsere Pferde los und führte sie durch eine Hinterpforte hinaus.