16,99 €
»Herr Hauptmann, ach, o halten Sie doch jetzt die Fresse, in diesem Augenblick ertrag' ich Unsinn nicht!« – Heinrich Bölls lyrisches Werk. Wenn man an Heinrich Böll denkt, denkt man an Prosa. Und doch hat er zeitlebens auch Lyrik geschrieben, von den jungen Jahren an bis ins hohe Alter. Die Gedichte sind kein Nebenprodukt seines Schreibens, sondern wichtiger Werkbestandteil. Diese bibliophile Ausgabe macht sie zum ersten Mal sorgsam ediert verfügbar. Böll als Lyriker entdecken, heißt, einen Autor in seiner Stimmfindung erleben. Angefangen bei den ersten lyrischen Gehversuchen, in denen deutlich sein früher Lektürekanon mitschwingt (und sich alles ordentlich reimt!), über freie Klangexperimente wie dem Gedicht »Preußentum« (1938), das seinen Gegenstand in eine absurd-militaristische Lautfolge zerlegt – »Ra Ta, / Tra Ra / Ra Ta Ta! […] Romm, Bomm, Bomm …« – bis zu den späteren Texten, aus denen ein Böll spricht, den man im Ohr zu haben meint: mit all seinem warmen und doch immer scharfzüngigen Humor, seiner gelassenen Menschenfreundlichkeit, seiner politischen Wachsamkeit. Die Veröffentlichung einer so umfassenden Auswahl mit teils unveröffentlichtem Material ist eine Premiere. Und ein Geschenk für alle, die Böll bereits gut kennen oder auch über die kurze Form neu kennenlernen möchten.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 100
Heinrich Böll
Gedichte
Buch lesen
Titelseite
Inhaltsverzeichnis
Über Heinrich Böll
Über dieses Buch
Impressum
Hinweise zur Darstellung dieses E-Books
<Mir träumte heut>
Faksimile zu »<Mir träumte heut>«
Traum im Wald
<Was ist mir die Sonne>
Vagabunden
<Du alte stille Gasse>
<Ihr vielen Unbekannten>
<Ich rufe Euch, Ihr Brüder>
<O Tod, Du anmutiger Mörder>
Beethoven
Faksimile zu »Beethoven«
<Die junge Mannschaft>
<Ich liebe euch, ihr Abgeglittenen>
Das Kreuz
Der Vagabund
Klage eines Verkommenen
Die Arbeiterfrage
Hermann der Kirchenvorstand
Klage einer jungen Dirne
Phantasie
Gericht über das Märchen
<Ich sah eine Flamme schlagen>
<Unsere Zivilisation stinkt>
Madrigal auf den 9. November
Faksimile zu »Madrigal auf den 9. November«
Spaziergang am Rhein
<Die Straße ist lang>
<Blauer Mantel>
<Tandaradei>
Et verbum caro factum est …
Unsere Zeit
Menuett von Mozart
Preußentum
Klarer Wintertag
Dämmerung am Rhein
Der Leutnant
Musik
Faksimile zu »Musik«
Beethoven
Junge Dirne
Lied eines armen Soldaten
Frühling
Gruß
<Brumm, Bienchen>
Mutter
Engel
Meine Muse
später herz später
Für Peter Huchel
Köln I
Köln II
Aufforderung zum »Oho«-Sagen
Gib Alarm!
Köln III
sieben Jahre und zwanzig später
Sie kamen
Für Hans Werner Richter (und Toni natürlich)
Für Walter Warnach zum 70. Geburtstag
Für Beuys zum 60.
Faksimile zu »Für Beuys zum 60.«
Für Helmut Heißenbüttel
<Nie vergessen>
Dem Freund zum Gedenken
<Warum, Walter>
Für Alexander S. zum 65. Geburtstag
Ein Jahr
Faksimile zu »Ein Jahr«
Mutlangen
Für Peter-Jürgen Boock
Versunken die Stadt
Faksimile zu »Versunken die Stadt«
Friedensbandit
Ernesto Cardenal zum 60. Geburtstag
<Für Karl Krolow zum 70. Geburtstag>
Frei nach B.B.
Für Samay
Gedicht für H. G. Adler zum 75. Geburtstag
Anhang
Zu dieser Ausgabe
Abkürzungen
Vom »punktuellen Zünden der Welt im Subjekt«
Anmerkungen
Abbildungsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Mir träumte heut: ich läge
auf einem Hügelberg,
auf grünen Wiesenmatten
beseelt geschützt, doch Zwerg.
Ich blickte froh zur Sonne
sah gern hinab ins Tal …
doch leis, ganz still sich schleichend
stieg in mir eine Qual.
Die Sonne sauste abwärts
und schwüler Dämmer rings,
ich schrie wohl vor Entsetzen,
denn höhnend kalt und scharf
entstand im Rund ein Echo,
das hart sich auf mich warf.
Und glucksend, lüstern glucksend
entstand im Tal ein Brei …
er hebt sich langsam höher
und wieder hallt ein Schrei …
er nähert sich so zotig, so frech,
und ich schaudre, schaudre, jammre
und immerzu nickt er,
ich seh nicht Baum und Wiese,
nur Grau und schwülen Dunst,
ich sinke, schon klebt ziehend
mir dicker Schleim am Fuß
mir ekelt so zum Sterben,
und nirgendsher ein Gruß …
Da plötzlich gellt ein Donner,
ein Blitz erhellt das Grau …
und oben hoch am Himmel …
ich schau, schau, schau,
da blitzet groß und leuchtend
und siegend über Schmutz
ein Kreuz, ein Kreuz erleuchtet,
nun wußt’ ich, wo mein Schutz.
Ich wachte aus dem Träumen
und Alltag sah mich an
und ich neigte mich wachend dem Kreuze
und fing mein Tagwerk an.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Als das Mädchen unter den dunklen Bäumen herschritt,
da kam ihm ein seltsames Sehnen.
Der Juniduft war so zaubernd süß
und sie mußte sich zitternd lehnen
an einen der moosigen Stämme …
… sie träumte von einem Koboldreich,
von dämmrigen, schimmernden Tälern,
von Felsengewölben, bläulich-zart,
von plaudrigem, lockrem Erzählen …
und von heiteren Küssen
auf willigen Mund
und von wohligem, mildem Umarmen
und betörendem Singen aus Elfenmund
und verwirrendem Klingen von Geigen
und über den weichen Rasen schritt
ein nebliger Prinzenreigen …
… sie nickte allen so freundlich zu,
doch die andern lächeln so schwächlich,
und als sie ein wenig näher gerückt,
ist das Lächeln ein Grinsen, gebrechlich …
und die Augen der Prinzen sind geiles Glas
nicht brennende Punkte des Geistes …
da packt sie von hinten ein wüster Arm,
sie wendet sich schreiend,
erwacht aus dem Traum
und sie sieht, daß ein Ast von dem Erdenbaum
um ihren Leib sich gebogen.
Ihr Kopf ist schwer von nebligem Dunst,
ihre Zunge klebt von der Schwüle
und sie atmet begierig die Waldesluft,
die herrliche, süße Kühle.
Sie schreitet ernst aus dem dunklen Wald,
denkt prüfend zurück an das Träumen,
an der zarten, brüchigen Wesen Reich
an der Sinne betörendes Schäumen.
An den dumpfen, lächelnden, leidlosen Schein
weitab von jeglicher Freude,
an der Prinzenaugen zitternden Schleim
an das laue, verführende Treiben.
Sie kennt das wahre, ewige Sein
in des Kreuzes leidender Lehre,
die voll von göttlicher Freude ist
und voll von der Wahrheit Schwere.
Und in Demut ward ihre Seele bereit,
die Bürde Gottes zu tragen
und sie fleht um Kraft wegen Wahrheitsmord
gegen Schwäche, weiches Verzagen …
Wo das rauschende Korn den Wald berührt,
wo die Helle das Dunkel besiegt,
wo die staubige Straße ins Weite führt,
da stand das alte Kreuz …
Und das Mädchen zuckte jubelnd hin,
ihre Hände sich schlossen zum Beten
und Du Schöpfer, ewiges Wort, vernimm
von der Menschheit verzweifelt Erflehtem …
Inhaltsverzeichnis
Was ist mir die Sonne, der Regen der Wind,
seh ich die Sterne? Wenn wir beieinander sind.
Ich sehe nichts als Dich und dein Gesicht
ich fühle mich als Gott und Satan hör ich nicht
Ich spüre meiner Adern junges Blut
und ohne Grenze wächst mir starker Mut.
Du bist das einzigste Geschöpf der Erde,
das mich noch hören lässt das: Werde, Werde.
Und mich nicht treibet zu dem Lass Dich, Stirb.
Das mich nicht fühlen lässt das Töte Dich, Verstirb.
Du warst die einzige, die ich nicht aus dem Herzen strich.
Doch, Gott, was red ich viel herum, Du warst katholisch.
Inhaltsverzeichnis
Man sieht sie immer langsam durch die Gassen gehen
oder da und dort an alten Gebäuden stehn.
Sie reden immer wenig, denken sicher viel
ihr einziges Festes, ist ein unbestimmtes Ziel.
Sie sprechen kaum von Gott, sie glauben ihn nur
und überall finden sie leise seine Spur
Und ob sie alt und ob sie jung,
immer sind sie scheinbar schlaff und doch voller Schwung,
immer ist ihr Auge kühn und voller Mut
und tief im Herzen sind sie alle gut.
Und werden sie alt, dann sterben sie jung irgendwo
Warum? Warum dies alles? Ich glaube, Gott liebt es so.
Inhaltsverzeichnis
Du alte stille Gasse
in unsrer lauten Stadt
du weißt, wie oft ein Jüngling
in dir gestanden hat.
Du weißt, wie oft ihm wurde
das Herz so leidvoll schwer
du weißt, des Lebens Bürde
sie quälte ihn so sehr.
In dir, du stille Gasse,
aus schöner, alter Zeit
da ging ich manche Stunde
die Liebste war so weit.
Ich stand vor ihrem Hause
und wußte nichts zu tun
als ihrer zu gedenken
in ihrem Geist zu ruhn.
Inhaltsverzeichnis
Ihr vielen Unbekannten,
Du leidbeladene Schar
Ich lieb Euch, nie Genannte,
Auch mir ist Leid so nah.
Ihr tausende, Ungezählte
Du schmerzenstaubes Heer
vom Leid so schwer Gequälte
ich liebe Euch so sehr.
Ihr leidet um die Wahrheit,
um Eurer Keuschheit Hort,
Ihr leidet um die Klarheit
um Gottes wahres Wort.
Ich freue mich, Ihr Lieben.
Ich freue mich auf den Tod
nur er kann uns befreien,
zerreissen all’ die Not.
O, selig, die da leiden,
die leiden um das Wort
O, selig, die Befreiten
befreit vom Wahrheitsmord.
Ich schenk Euch meine Tränen
ganz Euer ist mein Sinn,
ich schenk Euch mein Sehnen,
bei Euch ist nur Gewinn.
Und lasst uns weiter glauben,
O, lasst uns bleiben rein,
uns immer soll im Herzen,
nur Gottes Klarheit sein.
Inhaltsverzeichnis
Ich rufe Euch, Ihr Brüder,
Gequälte aller Welt
Ihr Schwestern, zitternde Blumen,
in Gottes weitem Feld.
Ihr mir geehrten Kämpfer
um eine andre Zeit,
die ohne jede Grenze,
die Gottes-Ewigkeit.
Ich lieb Euch mit der Seele,
mit Leib und Herz und Blut,
und wenn die anderen quälen,
ich weiß, Ihr seid mir gut.
Inhaltsverzeichnis
O Tod, Du anmutiger Mörder
ich lade Dich jubelnd ein
mir zum herrlichen Himmelreich
ein sanfter Mittler zu sein
O trenne das Wahre vom Fleisch,
ersticke des Blutes Lauf
und ich schwinge die brennende Seele
zu Gottes Höhen hinauf.
Inhaltsverzeichnis
Wenn mir des Lebens Mut gebrach
wenn zitternd ich nach Satan rief,
daß er mir helfe, diesen quälenden Funken,
der sich Leben nennt, zu löschen,
wenn ich in Wahn verrannt
und hilfesuchend schrie,
Du warst mir Freund und lehrtest mich
so klar wie nie ein Mensch,
daß Gott da sei und jenes andere Leben,
das Tausende gequälte Erdenjahre wert.
Du lehrtest mich, daß Kreuz die Hilfe sei.
Du lehrtest mich, wenn Bürgergeist mich
wie ein feiger Dieb beschleichen wollte,
daß Gott um Lohn zu lieben
größte Lauheit sei.
So hilf mir fernerhin, so heiß zu sein wie Du,
nicht lau, nicht kalt:
nicht schwülig-schleimig-wagnerisch
nicht phrasig-halb.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Die junge Mannschaft
unserer ersten Kaste
gibt sich ein Sommergartenfest
bei bunter Lampen Licht.
Organisator war der Sohn
des Fabrikanten jener Soßenpaste,
die unseren Armen
schon seit Jahren in den Därmen sticht.
Die Alten ließen »junges Blut« gewähren
denn pubertäre
Geilheit muß – Hygiene! – schnell heraus
und allzu faule Drüsen aufzupeitschen
gab man zu Anfang
einen Schärfe-Schmaus
und morgen torkeln schon die Jungen
wie alte Schleimer müd nach Haus!
Inhaltsverzeichnis
Ich liebe euch, ihr Abgeglittenen …
ihr berufslosen Herumtreiber,
ihr Bettler, Strolche, verpönte Künstler,
lieber eure schmutzigen Kleider,
eure zerfetzten Gewänder,
eure wüsten, stoppeligen,
kühnen Männergesichter
als die feisten sauberen Bürger.
Möget ihr schwachen Mutes sein,
lieber euch, die ihr nichts erreicht,
als die sicheren Kalten …
ihr seid demütig …
Lieber euch, ihr Dirnen,
als die vielen, heimlich lockenden
anständigen Weiber, die die Ehe
mehr entweihen als ihr,
die ihr euch sicherlich heimlich
für schlecht haltet …
Gräßlich, hinter die Maske
dieser Ruhigen zu schauen …
herrlich in euren Lumpen
und hinter euren geschmückten Fratzen
Gold zu entdecken …
ihr seid ohne den Haß, der den
Bürgern ekelhaft scharf
wie Fuchsenpisse aus dem Maule spritzt …
Ihr Könige und Fürsten des Elends,
lieber den Hunger als Bruder und ständigen Freund
als die triefende Tagespresse.
Wehe allen, die euch peitschen und höhnen …
für jeden Pfennig, den sie mehr lieben als euch,
werden Türme der Qual auf sie niederbrechen.
Wehe allen, die sich mehr dünken als ihr.
Für jeden Zoll, den sie sich höherschätzen,
werden sie peintriefende Jahrhunderte stöhnen.
Du Heer von Zöllnern und Dirnen
nähere dich dem Kreuze …
kommt aus euren Straßengräben,
aus Wäldern, Asylen, Bordellen,
aus schmutzigen Kneipen, schwülen Spelunken
ihr seid ebenso wert der Wahrheit
wie alle …
Euch liebe ich.
Inhaltsverzeichnis
Kein Flammenzeichen, kein Feuersignal
… zwei schlichte Balken, kein Brüllfanal …
keine grölende Menge, kein flatterndes Tuch
… zwei schlichte Balken, ein kleines Buch …
kein mordendes Messer, kein Feindesblut
... Brot und Wein, ein ewiges Gut
Inhaltsverzeichnis
Wie oft griff man mich auf
wenn ich in süßem Rausch
am Wegrand schlief
wenn mir im Traum
aus schöner Zeit
die süße Stimme rief
»Papiere, Hund, verfluchter Lump«
ein Schnauzbart über mir
der mich mit seinen Füßen weckt …
und immer wieder werd ich,
weil ich namenlos,
in ein bepißtes und bekacktes Loch gesteckt.
Ich suche Tabak, Schnaps und Wein
in dem milden, süßen Bett
ich mich begierig wühle
und morgens früh geschieht es mir wohl oft,
daß ich in meiner halb erstarrten Hand
des Rosenkranzes harte Perlen fühle
Auf dem öden Vorortfriedhof einer großen Stadt
da ist im weißen Stein mein Name eingeprägt
Das ist das einzige Dokument
das meinen Namen trägt
Da liegt mein junges Weib,
die dunkle Straßenpflanze
ihr Bein fault unter jenem Grab