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Wir leben ständig zwischen zwei Welten, der Welt der Erscheinungsformen und der Welt geistiger Erkenntnis, zwischen der Welt des menschlichen Geistes und physischen Körpers und der Welt der Seele. In Wirklichkeit aber gibt es nur eine Welt: die Welt des unendlichen Bewusstseins, des göttlichen Geistes. Die andere Welt ist nichts als die materielle Vorstellung, die wir uns von dieser geistigen Welt machen. Es ist die Welt der materiellen Sinne, die ebenso wenig eine wirkliche Welt ist wie die Welt des Geisteskranken. - Die Wahrheit ist also, dass es nur eine einzige Welt gibt. Gott schuf alles, was geschaffen ist, und alles, was Gott schuf, ist gut. Da Gott Geist ist, ist die einzige Welt, die existiert, eine geistige Welt, in der sich Gott als individuelles Sein darstellt, als dein Sein und meines. Wie nun kommen wir aus der Welt der materiellen Einstellung in die Welt der geistigen Erkenntnis, damit die göttliche Liebe in unser tägliches Leben fließen kann und wir die Fülle der göttlichen Herrlichkeit erlangen? Indem uns bewusst wird, dass der Geist Gottes in uns wohnt und durch uns wirkt, dass Gott unser Selbst ist, unsere wahre Identität. Indem wir stille sind und auf die innere Eingebung, auf die Stimme Gottes warten, bis sie sich kundtut. Indem wir uns öffnen, um den Geist Gottes einzulassen, die göttliche Gnade zu empfangen und ständig eins zu sein mit Gott. Dann sehen wir, wie sich die materielle Vorstellung auflöst, und wir erblicken an ihrer Stelle eine Welt der Harmonie. Das ganze Grundprinzip des geistigen Lebens besteht darin, dass wir durch unser eigenes Bewusstsein Zugang zum Unendlichen haben und dass wir uns oft genug nach innen wenden, um es in Fülle herausströmen zu lassen.
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Seitenzahl: 193
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JOEL S. GOLDSMITH
Ein Leben
zwischen
zwei Welten
HEINRICHSCHWABVERLAG
ARGENBÜHL-EGLOFSTAL
Titel der Originalausgabe:
„Living Between Two Worlds“
herausgegeben von Lorraine Sinkler
© 1974 by Emma A. Goldsmith
Der Inhalt dieses Buchs erschien zuerst als „The Infinite Way Letters 1967“
und in deutscher Sprache in Form von zwölf Lehrbriefen, die in der Zeitschrift „Der Weg zur Verwirklichung“ des Heinrich Schwab Verlags herauskamen. Nach diesen Lehrbriefen entstand das Buch „Ein Leben zwischen zwei Welten“ (1. und 2. Auflage).
Deutsche Bearbeitung: Gisela Prym von Becherer
3., überarbeitete Auflage 2015
nach der Ausgabe von Lorraine Sinkler
© 1975 Heinrich Schwab Verlag
D-88260 Argenbühl-Eglofstal
Tel. +49-7566-941957
http://www.heinrichschwabverlag.de
Alle Rechte für die deutsche Ausgabe vorbehalten
E-Book-Umsetzung: Zeilenwert GmbH
ISBN 978-3-7964-0529-7
Cover
Titel
Impressum
Anmerkung der Herausgeberin
1. Kapitel: Die Tür zum Unendlichen öffnen
2. Kapitel: Das Wesen geistigen Fortschritts
3. Kapitel: Ostern, ein Auferstehen aus der materiellen Einstellung
4. Kapitel: Die Wirkung des „fleischlichen Arms“ und die Wirkung der Wahrheit
5. Kapitel: Die Welt der materiellen Vorstellung und die Welt der spirituellen Erkenntnis
6. Kapitel: Den Übergang von der persönlichen Einstellung zum spirituellen Sein vollziehen
7. Kapitel: Das Bewusstsein der Allgegenwart
8. Kapitel: Der Weg zur Erfüllung: die richtige Identifizierung
9. Kapitel: Durch Versöhnung zum Instrument der Gnade werden
10. Kapitel: „Ihr habt die Wahl!“
11. Kapitel: Geistige Versorgung
12. Kapitel: Macht und Herrschaft
Wenn nicht der Herr das Haus erbaut, so arbeiten umsonst, die daran bauen. Psalm 127
Erleuchtung löst alle materiellen Bande und verbindet die Menschen mit der goldenen Kette spirituellen Einvernehmens; sie erkennt allein die Führung des Christus an; sie besitzt keine Regel und kein Ritual außer der göttlichen, überpersönlichen, alles umfassenden Liebe, keine andere Verehrung als die innere Flamme, die ewig im Schrein des Geistes leuchtet. Diese Vereinigung ist der freie Stand geistiger Bruderschaft. Die einzige Beschränkung ist die Disziplin der Seele; daher kennen wir eine Freiheit ohne Übertretungen. Wir sind ein geeintes Universum ohne physische Begrenzungen, ein heiliger Dienst für Gott ohne Zeremonie oder Dogma. Die Erleuchteten wandeln furchtlos – durch Gnade.
Der Unendliche Weg
Bis das Buch „Ein Leben zwischen zwei Welten“ geboren war, verging eine lange Zeit. Anfang 1964 sandte mir Joel Goldsmith, zusammen mit anderen privaten Papieren, anderthalb Seiten von Hand geschrieben, mit Datum vom 29. Juli 1951 und folgendem Inhalt:
ZWISCHEN ZWEI WELTEN
von Joel S. Goldsmith
Meinen Schülern gewidmet, von denen einige schon seit 1931 bei mir sind, als ich die Geheimnisse des inneren Königreichs zu offenbaren begann.
„Du hast das, was ich von der inneren Ebene gesagt habe, recht gut verstanden und hast das Wort so gut weitergetragen, wie es dein Verständnis erlaubte. Nun ist die Zeit gekommen, dich näher zu mir zu ziehen und wenn möglich so sehr nach innen zu ziehen, dass du dieses Universum sowohl von innen wie von außen sehen kannst. Nur so kannst du wirklich das verstehen, was du in Teilen empfangen hast und ich zu einem gewissen Grad offenbaren konnte. Um deine Arbeit in der Welt zu vollenden, ist es nötig, auf beiden Ebenen, der inneren wie auch der äußeren, zu leben und das Leben und das Gesetz der Seele und des Körpers zu begreifen, damit du jene belehren kannst, die nun dich um Weiterführung in der geistigen Entfaltung bitten.
Bisher habe ich deine Entfaltung gelenkt, beschützt und gestärkt, nun musst du deinerseits diese Aufgabe für deine Schüler erfüllen. Indem du es vernimmst, fühlst und liest, wirst du dich zur inneren Welt, wo ich bin, hingezogen fühlen. Bevor das vollendet werden kann, sind Vorbereitungen nötig.“
Dann am 30. März 1964 schrieb mir Joel einen Brief, worin unter anderem stand:
Du erinnerst dich, dass ich vor ungefähr 12 Jahren auf dem Flughafen in Seattle saß und plötzlich eine Offenbarung hatte und diese niederschrieb. Es war der Anfang eines neuen Buchs und ich gab ihm den Titel „Zwischen zwei Welten“.
Doch ich bekam nie mehr als anderthalb Seiten und jedes Jahr, wenn ich einen Blick hineinwarf, staunte ich verwundert, was da wohl noch kommen werde; aber es kam nicht. Dann endlich, gestern in der Frühe, noch auf Maui, erwachte ich und empfing eine Flut von Offenbarungen, die mir den ganzen Rest des Buchs gab. Ich weiß nicht, wie sich das weiter entfaltet, doch was ich tat, ist folgendes: Das Tonband vom Ostersonntag erhielt den Titel „Zwischen zwei Welten“ und ich will diesen Titel weiter benützen, bis ich das Gefühl habe, den Schluss davon erreicht zu haben. Und jede Ansprache, die ich halte und die abgeschrieben werden soll, erhält auch den Titel „Zwischen zwei Welten“, so dass, wenn wir das abgeschlossen haben, eine Reihe von Tonbändern vorliegt, aus denen sich das Buch herausentwickelt.
Die Offenbarung hat eine Türe geöffnet, die bisher völlig verschlossen war. Ich glaube, ich schrieb dir letzte Woche von Maui aus, dass ich wie vor einer leeren Wand stand oder vor einem neuen Horizont, doch tatsächlich war es eher eine leere Wand oder eine verschlossene Türe, und die Erfahrung von gestern früh hat diese Türe völlig aufgestoßen, die Wand oder den Horizont aufgelöst, und ich bin sicher, dass ich sagen kann, dass mir eine ganz neue Sicht gegeben worden ist. Prüfe sorgfältig die Tonbänder, die vom heutigen Ostersonntag an kommen.
Die Tonbänder, auf die sich Joel bezieht, sind die sechs Tonbandspulen „The 1964 Oahu-Maui Series“, die dann die Briefe für 1967 an die Studierenden rings um die Welt ergaben. So wurde Joels Buch, das sich schon lange vorher angekündigt hatte, das er seinen Schülern widmen wollte und das erstmals in Form der Seminare auf den Inseln von Oahu und Maui erschienen war, schlussendlich veröffentlicht.
Lorraine Sinkler
Zivilisationen sind gekommen und gegangen; Zivilisationen haben geblüht und sind wieder verschwunden und es gibt keinerlei Gewissheit, dass unsere heutige Zivilisation von ewiger Dauer ist. Später einmal wird vielleicht eine neue Menschenrasse ein paar Überreste von jenen Schachteln finden, die wir Gebäude und Wohnungen nennen, und vielleicht sogar Rock-and-roll-Aufnahmen, die vom Stand unserer Kultur Zeugnis ablegen. Ebenso wie frühere Zivilisationen untergegangen sind, können auch viele weitere verschwinden, bevor die Wahrheit, die jeder Mystiker offenbart hat, gefunden und verwirklicht wird, nämlich dass dem Menschen die Fähigkeit angeboren ist, auf Schutzmaßnahmen wie die Selbsterhaltung zu verzichten; er besitzt die Fähigkeit, die Tür in seinem Bewusstsein aufzutun und den Geist Gottes zu empfangen.
Es bestehen zwei Bewusstseinsebenen. Zunächst gibt es die spirituelle, unkörperliche, wie sie im 1. Kapitel der Genesis beschrieben wird. Auf dieser Ebene haftet dem Menschen, der als Bild und Gleichnis Gottes geschaffen ist, weder Sünde noch Krankheit, Tod, Not oder Beschränkung an. In diesem Bewusstseinszustand gibt es keinerlei Unmenschlichkeiten der Menschen untereinander. Jene, die im Bewusstsein des 1. Kapitels der Genesis geboren sind, haben weder Vater noch Mutter. Sie sind das Melchizedek-Bewusstsein; sie haben keine physische Abstammung und keine menschlichen Vorfahren. Sie sind unkörperlich.
Jene aber, die von irdischen Eltern abstammen, sind in die Ebene des 2. Kapitels der Genesis hineingeboren und das heißt in die Welt des menschlichen Geistes, in das sterbliche Bewusstsein von Gut und Böse, was ja das Menschsein ausmacht. Es ist unser irdisches Menschsein, das uns glauben lässt, wir könnten leben und vorwärtskommen, wenn wir unseren Feind oder die Konkurrenz vernichteten, oder wir würden groß, wenn wir jemanden der Freiheit beraubten.
Ein Sauerteig ist notwendig, um beim Menschen die Kruste der Selbsterhaltung aufzubrechen. Dieser Sauerteig ist der Geist Gottes im Menschen, der, wenn er zur Wirkung kommt, den Menschen auf göttliche Ebene erhebt. Und dann haben wir anstelle des Menschen, „der nur ein Hauch ist“,1 anstelle des irdischen Menschen den Sohn Gottes, den Menschen, dessen Wesen in Christus ist.
Der Meister erklärte, dass zwei Menschen da seien, der irdische Mensch – die Kreatur, der Sterbliche, „das Otterngezücht“ – und die göttliche Gegenwart im individuellen Bewusstsein, die, wenn sie erkannt und befreit wird, den Menschen vom irdischen Menschen zum Sohn Gottes macht. Er offenbarte, dass der Mensch von Gottes Geist geweiht und erhoben werden müsse. Der Mensch kann nicht mit Hilfe eines Diploms oder Zulassungsscheins vergeistigt werden. Er kann auch nicht durch eine Organisation zum Geistlichen gemacht werden. Keine äußerliche Zeremonie trägt irgendetwas zum geistigen Leben und zur spirituellen Entwicklung eines Menschen bei, wenn der äußere Ritus nicht von einem inneren göttlichen Geist oder Gnade begleitet ist. Es ist die Erfahrung der göttlichen Gegenwart selbst, die für den spirituellen Fortschritt notwendig ist. Wenn wir auch den Geist Gottes nicht sehen, hören, schmecken, berühren oder durch den Geruchsinn wahrnehmen können, so vermögen wir ihn doch zu erfahren, indem wir die innere Tür öffnen.
Dem Öffnen der Tür folgt größere Aktivität und innerer Friede
Die Meditation ist der Schlüssel, der die Tür öffnet. „Ich stehe vor der Tür und klopfe an.“2 Dieses Ich ist Gott und die Tür ist in uns; aber es ist keine Tür zur äußeren Welt. Es ist eine Tür, die zu tieferen Schichten unseres Selbst führt. Wenn wir die Tür öffnen, nehmen wir ein Reich, eine Aktivität, ein Gesetz wahr, das in der spirituellen Sprache als „Fleisch“, „Brot“, „Wein“, „Wasser“, als die Substanz allen Lebens und aller Form bezeichnet wird. Wir öffnen diese Tür in unserem Bewusstsein, damit aus unserem Innern das Unsichtbare, der Geist Gottes im Menschen zum Ausdruck gelangen möge.
Wenn wir bei diesem inneren Königreich angekommen sind und mit ihm Kontakt aufgenommen haben, leben wir nicht mehr für uns selbst, nicht einmal allein für unsere Familie, sondern nehmen aktiver am weltlichen Leben teil und an den Dingen, die zu einem glücklicheren, erfolgreicheren, friedlicheren Leben beitragen. Das Reich Gottes hat es nicht mit etwas zu tun, das vom Leben abgesondert ist; es befasst sich mit unserem Alltag. Es will uns nicht aus dieser Welt herausnehmen, sondern uns vielmehr in ihr lassen, abgesondert und getrennt von deren negativen Seiten.
Jenes Ich3, das vor der Tür unseres Bewusstseins steht und anklopft, bringt uns „Frieden ... nicht den Frieden, den die Welt gibt“,4 sondern Meinen Frieden, den Frieden des Ich. Es hat keinen Zweck, draußen umherzuschauen, in welcher Form er wohl in Erscheinung treten wird, denn er kommt in keiner weltlichen Gestalt. Seltsamerweise jedoch wandelt und erneuert dieser innere Friede die Formen des äußeren Lebens. Er wandelt unsere Beziehungen zu den Mitmenschen. Er wandelt die Art und den Umfang unserer Versorgung, denn es ist seine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir reichlich ernährt und gekleidet sind. Alle diese Dinge werden uns zufallen, jedoch nicht, wenn wir uns um diese Dinge kümmern und sorgen:
Lass von allen Gedanken an Dinge ab. Wende dich nach innen und lass Mich ein. Öffne die innere Tür deines Bewusstseins, damit Ich in den Tempel deines Seins kommen kann. Denn in Wahrheit bin ich der Tempel deines Seins. Ich bin der Herr deines Seins. Sei gelöst und ruhe in dieser Zusicherung, sei ein Beobachter, wenn Ich dir vorangehe, dir „die Stätte zu bereiten“,5 dir einen Weg zu bahnen, Ich, jener Geist Gottes in dir. Dies ist Meine Aufgabe. Deshalb habe Ich den Samen meines Selbst in dich gelegt. Deshalb habe Ich dir Mein Leben eingehaucht. 6
In unserer Arbeit liegt der Schwerpunkt nicht darauf, dass wir uns bemühen, liebevoller, gerechter oder freundlicher zu sein. Unsere ganze Aufmerksamkeit ist darauf gerichtet, den göttlichen Geist einzulassen, woraufhin Er durch uns liebevoller und freundlicher wird. Er wird in uns Geduld und Wohlwollen zum Ausdruck bringen. Wir brauchen uns um Dinge keine Gedanken zu machen; wir werden Instrumente Seiner Gnade und Herrlichkeit sein. Wir werden nicht zu Zeugen unserer eigenen Güte und Wohltätigkeiten; wir werden Zeugen von Gottes Gnade, die durch uns wirkt.
Erfahrung ist der Beweis der Wahrheit
Die ganze Grundlage des Unendlichen Wegs beruht darauf, tatsächlich die Erfahrung der göttlichen Gegenwart zu erlangen. Zitate aus der Bibel und andere Quellen dienen in meinen Schriften zur Illustration, aber sie werden nicht als Beweis angeführt. Was mir offenbart und enthüllt wurde, ist allein als meine Erfahrung an dich weitergegeben und mit dir geteilt worden. Irgendein Beweis über die Richtigkeit kann nur durch deine eigene Erfahrung kommen, denn – und ich bin ganz sicher, dass die Heilige Schrift in diesem Punkt immer gültig ist – sie „werden ... auch nicht glauben, wenn jemand von den Toten aufstände“.7 Du musst nicht erwarten, dass deine Verwandten oder Freunde daran glauben. Sie werden irgendeinen Zufall finden, der alles erklärt. Wenn wir die Gegenwart Gottes erleben, werden wir jeden Beweis haben, der je notwendig ist. Es handelt sich um den Beweis für uns selbst, und was noch wichtiger ist, wir erhalten dadurch das Grundprinzip, mit dem wir unseren Nächsten, unseren Freunden und unserer Familie helfen können, auch wenn sie es nicht erkennen oder anerkennen.
Im Menschen ist ein göttlicher Geist. Dieser Geist weiht und heilt, er richtet auf, erhebt und erleuchtet uns. Er muss jedoch erfahren werden. Der Weg dorthin führt durch die Vergegenwärtigung Gottes und durch die Meditation. Je mehr wir der Worte aus den Werken der Mystik und der Heiligen Schrift gedenken, desto mehr leben wir im Gewahrsein dieses Geistes und seines Wirkens und desto näher kommen wir dem tatsächlichen Erleben.
Die Erfahrung der Gegenwart Gottes erzeugt eine innere Ruhe, eine Stille – jedenfalls in stärkerem Ausmaß, als wir sie bisher erlebt haben. Sie bringt den Tag näher, an dem die Erfahrung eintritt, und wir verstehen, was der Meister meinte, als er sagte: „Der Geist des Herrn ist bei mir, weil er mich gesalbt hat.“8
Zeichen des höheren Bewusstseins
Das höhere Bewusstsein zeigt sich auf mancherlei Weise. Überall in den Werken der Mystik lesen wir von Gewändern und wir wissen, dass der Meister ein weißes nahtloses Gewand trug. Das bedeutet, dass sein Bewusstsein in die nahtlose Ganzheit und in die unkörperliche Reinheit des göttlichen Geistes gekleidet war.
Das Gewand hatte stets eine mystische Bedeutung. Da gibt es die weißen Gewänder, die den höchsten unkörperlichen Geist Gottes im Menschen darstellen. Da ist das rote Gewand des Königtums, das einen Bewusstseinszustand mehr irdischer als spiritueller Macht anzeigt. Die gelben Gewänder werden im Allgemeinen von den Heiligen des Ostens getragen. Alle diese Gewänder sollen einen Bewusstseinszustand beschreiben. Es interessiert uns nicht, ob wir materiell mit Kleidung geschmückt sind, aber wir sind darum bemüht, immer mit dem Geist Gottes bekleidet zu sein.
In diesem Zusammenhang gibt es auch den Juwelenring, der die Autorität des Gottessohns symbolisiert und manchmal zum Zeichen der Anerkennung göttlicher Macht geküsst wird. Kein Ring hat von sich aus Macht, aber das Küssen eines Rings, äußerlich oder unsichtbar innerlich, könnte Macht haben, wenn es in der Anerkennung jenes Juwels gegeben würde, das ohne „Preis“9 ist, des Wortes, das ohne Form ist. Jede Anerkennung dieses innewohnenden Wortes ist gleichbedeutend mit der äußeren Zeremonie des Küssens des Rings.
Durch äußerliche Kommunion wird das Öffnen der inneren Tür erfahren; dort können „ich und der Vater“10 Gemeinschaft haben – nicht als seien wir zwei Wesen, sondern indem der Vater sich als das tiefere Wesen unseres eigenen Selbst offenbart. Es ist eine innere Verbindung, die dann eintritt, wenn der Geist Gottes, des Herrn, über uns ist und wir bewusst eine spirituelle Gegenwart wahrnehmen.
Wenn wir diesen Geist Gottes des Herrn über uns wahrnehmen, ist es, als seien wir rein gewaschen, als hätte eine Taufe stattgefunden – so als ob ein kräftiges, aber behutsames Strömen von Wasser uns von außen berührte, wobei uns dieser Strom gleichzeitig auch von innen durchdränge und durch die Adern flösse. Dies ist tatsächlich eine Taufe des göttlichen Geistes. Sein äußeres Symbol ist klares Wasser; diese Taufe hat jedoch keinen Wert, wenn sie nicht von der inneren Erfahrung begleitet wird.
Das Einssein von „ich und der Vater“ ist eine innere Erfahrung, bei der sich der Geist Gottes mit unserem Geist vereint. Das Leben Gottes wird unser Leben und selbst unser Körper wird zum Tempel Gottes. Dies ist das spirituelle Einssein, das als Resultat der Öffnung unseres Bewusstseins zustande kommt.
Es gibt zwei Möglichkeiten, das Bewusstsein aufzutun. Die eine Art tritt sehr selten ein und wurde von nur ganz wenigen Menschen in der Geschichte erlebt, nämlich wenn Gott die Tür unseres Bewusstseins öffnet, ohne dass wir irgendetwas dazutun. Bei der anderen wird die Tür durch die Meditation, Gemeinschaft aufgetan, und durch ein inneres Vermögen, bei dem Geist Gottes zu weilen. Eine Erfahrung im Innern bestätigt die Tatsache, dass wir eins mit dem Vater sind und dass alles, was der Vater hat, unser ist.
Worte zu wiederholen oder Gedanken zu denken, ist Zeitvergeudung, es sei denn, dass sie zu der tatsächlichen Erfahrung hinführen. Der Glaube an die Macht einiger Wortkombinationen ist so wertlos wie der Glaube an ein goldenes Kalb. Ob wir nun das goldene Kalb nach außen verlegen oder es innen in Form von Aussagen, Worten oder Gedanken haben, in beiden Fällen sind wir gleich weit vom Ziel entfernt.
Gedanken, Worte und das Wissen um den Wortlaut der Wahrheit haben ihren rechtmäßigen Sinn, jedoch nur als Zwischenstufen zur Erfahrung der inneren göttlichen Gegenwart. Wenn wir in unserer Meditation die Tür des Bewusstseins aufgetan und gespürt haben, dass die Gegenwart da ist – und sie nicht in irgendeiner bestimmten Form erwarten, was nämlich wiederum ein goldenes Kalb wäre, sondern sie nur als Gewahrwerdung spüren, als Vergewisserung, als Frieden –, dann können wir gewiss sein, dass Gott auf dem Plan ist.
Geistige Heilung tritt nur ein, wenn der Geist Gottes im Bewusstsein dessen, der betet, zugegen ist. Gebet oder Behandlung ohne die Erfahrung der Gegenwart Gottes bringt keine Heilung hervor. Andererseits macht das Erleben der Gegenwart Gottes sehr oft Gebet und Behandlung überflüssig. In unserer Arbeit des Unendlichen Wegs wird den Heilern nahegelegt, sich niemals auf Gebet oder Behandlung zu verlassen, es sei denn, dass sie den Geist Gottes in sich gegenwärtig spüren und eine innere Befreiung fühlen.
Zuweilen kann die Stimme selbst sagen: „Dies ist mein lieber Sohn, alles ist gut“, oder „Ich bin zugegen, Ich werde dich nie verlassen und nie aufgeben.“ Ob das nun in greifbarer Form wie durch eine Stimme oder auf andere Art geschieht, es muss auf jeden Fall die innere Vergewisserung da sein, dass Gott auf dem Plan ist. Sonst sind Gebet oder Behandlung nutzlos. Dies gilt ebenso für die spirituelle Arbeit, die wir im Zusammenhang mit unserer Familie, unserem Geschäft, unserem künstlerischen oder beruflichen Leben leisten. Die tatsächliche Erfahrung der Gegenwart muss im Innern gemacht werden. Wenn das geschieht, tritt das Wunder im äußeren Bereich ein.
Völliges Aufgeben aller menschlichen Eigenschaften und Vorstellungen ist notwendig
Ein weiterer Grund für das Versagen der Heilung liegt darin, dass wir sehr oft Heilung anstatt Vollkommenheit suchen. Heilung suchen heißt Befreiung von irgendeiner Krankheit erstreben oder von Schmerzen, Disharmonien, Beeinträchtigungen oder Missklang. Auf diesem Weg kommt man nicht zu Gott. Die einzig richtige Art, zu Gott zu gehen, besteht darin, die Ganzheit und Vollkommenheit in Gott zu suchen, und das bedeutet, bereit zu sein, uns von allen menschlichen Eigenschaften, an die wir uns alle klammern, reinwaschen zu lassen. Wir alle haben Eigenschaften, von denen wir allzu gern befreit wären; aber es gibt auch solche, bei denen wir niemandem erlauben würden, sie uns zu nehmen, und das sind gerade die, welche unserer Heilung im Weg stehen.
Wenn wir Acht geben, inwieweit wir einen guten irdischen Zustand anstelle eines schlechten schaffen möchten, werden wir wissen, warum unsere Gebete kein Gehör finden. Sich an einen spirituellen Gott um einer irdischen Lösung willen zu wenden, die auf menschlichen Vorstellungen beruht, ist sinnlos. Wir müssen bereit sein, alle Vorstellungen, die wir zur Lösung irgendeines Problems haben, aufzugeben, denn der Erfolg tritt allein dann ein, wenn wir die irdischen oder materiellen Wünsche aufgeben und die Herrschaft Gottes auf der Erde nicht mehr herbeisehnen. Wenn wir aber unser Bewusstsein für eine geistige Lösung öffnen, so setzt sie sich auf eine menschliche Weise um, die wir nicht geplant und an die wir nicht einmal gedacht hätten. Sich an Gott wenden um der Ganzheit und Vollkommenheit willen – um der Ganzheit des Gewandes, der Vollständigkeit des Geistes, der wirklichen Taufe willen – bedeutet die Bereitschaft, sich gründlich von innen und außen reinwaschen zu lassen.
Geistiges Heilen ist eine wunderbare Tätigkeit, wenn wir uns über den Wunsch, jemanden zu heilen, erheben können, wenn wir über das Mitleid mit seinen Beschwerden und Schmerzen hinauskommen und uns sogar davon frei machen können, ihn von seinem Kummer befreien zu wollen. Selbst wenn wir damit Erfolg hätten, würden neunundneunzig von hundert Personen in etwas noch Schlimmeres zurückfallen. Wenn es sich jedoch um eine Wandlung des Bewusstseins handelt, so ist das etwas anderes.
Der Bewusstseinszustand auf der metaphysischen Ebene, bei dem es sich in den meisten Fällen um die Wirkung handelt – die Erstrebung von Gesundheit, Versorgung und Reinheit oder Überwindung von Gelüsten –, kann niemals zur Mystik gehören. In der Mystik suchen wir allein jene „Gesinnung ... die auch in Jesus Christus war“11, die Erlangung des Gewandes, den ganzen Menschen.
Ehe nicht die Erkenntnis da ist, dass Ich vor der Tür des Bewusstseins steht, besteht keine Möglichkeit, in das mystische Reich zu gelangen. Wenn dieses Erkennen jedoch eintritt, dann ist das Bewusstsein sogleich offen, um den Geist Gottes zu empfangen, und schließlich werden wir auch dorthin kommen, wo wir mit Paulus sagen können: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.“12 Es ist jene innewohnende Gegenwart, die mein Leben lebt.
Wenn wir unser Bewusstsein für den Einfluss jenes Ichs öffnen, steigert sich unsere Fähigkeit im Geschäftsleben oder in der Kunst und im Beruf, denn diese Wirksamkeit der vierten Dimension aktiviert uns nicht nur, sondern veranlasst uns auch dazu, in Begriffen des allgemeinen Wohls anstatt des persönlichen zu denken. Wir sind in unserem Bewusstsein vom irdischen zum spirituellen Menschen geworden.
Die neueren Entdeckungen der Heiligen Schrift erhärten die Richtigkeit der Vorstellung von „zwei Menschen“, dem irdischen und dem spirituellen, und vom Wesen dessen, was im irdischen Menschen den spirituellen Menschen ans Licht bringt. Die metaphysische Anschauung hat die Idee von den „zwei Menschen“ nicht akzeptiert. Sie besteht stattdessen darauf, dass der Mensch als irdisches Wesen spirituell und vollkommen sei, was lächerlich ist, wenn wir die Person betrachten, die sie als spirituell und vollkommen bezeichnet.
In der Bibel wird der Mensch in seinem zweifachen Wesen gezeigt, als der irdische Mensch, der die Sterblichkeit ablegen und die Unsterblichkeit anziehen muss, „damit das Sterbliche vom Leben verschlungen werde“.13 Dies wird erreicht, wie wir hören, durch eine Umwandlung des Bewusstseins. Diese Umwandlung kann entweder durch ein direktes Eingreifen Gottes herbeigeführt werden wie im Fall von Mose auf dem Berg oder durch die Vermittlung eines geistigen Lehrers. Wenn Jesus sagt: „Und ihr sollt hier auf der Erde niemand Vater nennen“,14 so zeigt er damit, dass das schöpferische Grundprinzip für alle gleich ist. Deshalb müssen wir alle gleich sein, wenn auch keineswegs in der sichtbaren Ausdrucksform. Die Schönheit ist nicht allein in der Rose zu finden. Wir können sie auch in einem Stein oder einem Stück Holz sehen. So müssen wir auch erkennen, dass die Intelligenz von Gott verliehen ist, wenn auch nicht bei allen der gleiche Umfang an Intelligenz zum Ausdruck gekommen ist. Sie ist in uns aufgespeichert. Wieviel wir indessen von ihr zum Ausdruck bringen, hängt davon ab, in welchem Umfang wir uns ihrer bedienen.
Die Kraft der Stille