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Die sogenannten O-Antiphonen gehören zu den liturgischen Höhepunkten des Advents. Sie werden vom 17. bis 23. Dezember im Stundengebet und in den Gottesdiensten gesungen. In ihnen werden alt-testamentliche Aussagen auf Christus bezogen; das Neue bleibt eng an das Alte Testament geknüpft. Die messianische Erwartung des Judentums verbindet sich mit der adventlichen Haltung des Christentums. Seit über 1000 Jahren bereichern die O-Antiphonen die Adventsliturgie, inspirieren Musik, Kunst und Kirchengestaltung. In ihrer Abfolge beziehen sie sich auf die kosmische Ordnung der Planeten. All dem geht der Autor nach, erklärt die alttestamentliche Bedeutung und Herkunft der einzelnen Antiphonen und deutet sie in einem christlichen Horizont. Eine Meditation zu Aquarellen von Andreas Felger schließt jedes Kapitel ab.
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Seitenzahl: 84
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GREGOR BAUMHOF
DIE O-ANTIPHONENDER RÖMISCHENADVENTSLITURGIE
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2023 Verlag Friedrich Pustet, Regensburg
Gutenbergstraße 8 | 93051 Regensburg
Tel. 0941/920220 | [email protected]
ISBN 978-3-7917-3444-6
Umschlaggestaltung: www.martinveicht.de
Umschlagbild: Andreas Felger, O radix Jesse
Andreas Felger-Stiftung
Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau
Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg
Printed in Germany 2023
eISBN 978-3-7917-6248-7 (epub)
www.verlag-pustet.de
I.Einleitung
1.Die O-Antiphonen im Advent
2.Die O-Antiphonen im Überblick und Aufbau
3.Die Ruflieder als Vorläufer
II.Die O-Antiphonen – ihre Texte, ihre Deutung, ihre Fragen
1.Die Antiphon „O Sapientia“ (17. Dezember)
Die alttestamentliche Prophetie
Deutungsperspektiven
Anfragen
2.Die Antiphon „O Adonai“ (18. Dezember)
Die alttestamentliche Prophetie
Deutungsperspektiven
Anfragen
3.Die Antiphon „O Radix Jesse“ (19. Dezember)
Die alttestamentliche Prophetie
Deutungsperspektiven
Anfragen
4.Die Antiphon „O Clavis David“ (20. Dezember)
Die alttestamentliche Prophetie
Deutungsperspektiven
Anfragen
5.Die Antiphon „O Oriens“ (21. Dezember)
Die alttestamentliche Prophetie
Deutungsperspektiven
Anfragen
6.Die Antiphon „O Rex gentium“ (22. Dezember)
Die alttestamentliche Prophetie
Deutungsperspektiven
Anfragen
7.Die Antiphon „O Emmanuel“ (23. Dezember)
Die alttestamentliche Prophetie
Deutungsperspektiven
Anfragen
III.Die kosmische Deutung
1.Die Planetenwoche
2.Deutungsperspektiven
3.Zusammenfassung und Ausblick
IV.Die O-Antiphonen in der Musik
1.Der Gregorianische Choral
2.Die Vertonung durch Marc-Antoine Charpentier
3.Die Vertonung durch Arvo Pärt
V.Die O-Antiphonen in den Glasfenstern von Rabenstein
Das erste Fenster – O Sapientia
Das zweite Feinster – O Adonai
Das dritte Fenster – O Radix Jesse
Das vierte Fenster – O Clavis David
Das fünfte Fenster – O Oriens
Das sechste Fenster – O Rex gentium
Das siebte Fenster – O Emmanuel
Dank
Literatur
Abbildungen
Wenn man Bach oder eine Gregorianische Melodie hört, verstummen alle Fähigkeiten der Seele und spannen sich an, um diese vollkommen schöne Sache zu begreifen, jede auf ihre Weise. Der Verstand unter anderen; er findet hier nichts zu bejahen und nichts zu verneinen, doch er findet darin seine Nahrung. Muss der Glaube nicht eine Zustimmung dieser Art sein? Man erniedrigt die Mysterien des Glaubens, wenn man aus ihnen einen Gegenstand der Bejahung oder der Verneinung macht, wo sie doch ein Gegenstand der Betrachtung sein müssen. Im Bereich des Verstandes ist die Tugend der Demut nichts anderes als die Aufmerksamkeit.“
Simone Weil(Cahiers. Aufzeichnungen, Bd. 2,München 1993, 163)
Liturgisch gesehen ist der Advent im römischen Ritus eine besonders reiche und eindrucksvolle Zeit des Kirchenjahres. Im lateinischen Offizium haben Laudes und Vesper eigene Antiphonen zum Benedictus und zum Magnificat. Sonntags haben alle Psalmen eigene Antiphonen. Ab dem 17. Dezember gibt es nochmals eine besondere Steigerung. Denn nun erhalten auch die Psalmen der Laudes an Werktagen eigene Antiphonen, und zum Magnificat werden in der Vesper die hier zu betrachtenden großen O-Antiphonen gesungen.
Die O-Antiphonen als Magnificat-Antiphonen vom 17. bis 23. Dezember bilden einen der Höhepunkte der Adventsliturgie. Seit über 1000 Jahren sind sie in der lateinisch-abendländischen Liturgie lebendig. In ihnen werden alttestamentliche theologische Aussagen auf Christus bezogen. So stellen sie auch einen Schatz der Verhältnisbestimmung von Judentum und Christentum dar. Für den Autor der Antiphonen ist das prägende Element des Ersten Testaments die messianische Erwartung. Das ist der Grund, warum das Christentum sich auch mit dem Ersten Testament zu beschäftigen hat.
Als sichere Quelle für unsere O-Antiphonen kann der karolingische „Liber de ordine antiphonarii“ des Amalar von Metz (775–850) gelten. Es ist wahrscheinlich, dass die Lieder im Mailand des 6. Jahrhunderts entstanden sind. Im Rahmen des Liturgieaustausches kommen sie im 8. Jahrhundert über Rom auch nach Franken. Dort finden sich die Antiphonen im St. Gallener Codex Hartker (um 1000).
Die O-Antiphonen kennen keine Neigung zu einer bestimmten Liturgie, haben sich aber über die Zeiten als Magnificat-Antiphonen etabliert. Die Verwendung ist aber nicht zwingend.
Im Lektionar stehen sie als Ruf vor dem Evangelium in den Tagen vom 17. bis zum 23. Dezember. Dort ist allerdings das staunende „O“ durch „Du“ ersetzt. In fast jeder Antiphon ist eine Zeile gestrichen oder interpretierend übersetzt. So ist aus lapis angularis der Eckstein der Kirche geworden. Das hochbedeutsame qui facis utraque unum ist ersatzlos gestrichen.
Die O-Antiphonen haben eine Nachgeschichte: Ihre Beliebtheit hat zu interpretierenden Fortschreibungen geführt. Eine Antiphon hat ihren Weg ins Evangelische Gesangbuch gefunden (EG 19: O komm, o komm, du Morgenstern): Dem Lied ist aber die alte Herkunft nicht mehr anzumerken. Auch im alten Gotteslob findet sich ein Lied, das von den O-Antiphonen inspiriert ist (GL [1975] 112: Herr, send herab uns deinen Sohn). Es handelt sich um eine recht getreuliche Nachdichtung mit einer Einleitungsstrophe, die versucht, die „Defizite“ der Antiphonen dadurch wettzumachen, dass Gott selbst angeredet wird und um Sendung seines Sohnes gebeten wird. Leider wird Erlösung reduziert auf die Tilgung der Sünden. Im neuen Gotteslob von 2013 findet es sich mit einer anderen Melodie und ergänzt um einen „Freu dich“-Refrain unter Nr. 222. Es handelt sich um die gleiche Melodie wie in EG 19, die auf das 15. Jahrhundert zurückgeht und die auch Zoltan Kodály zu seinem A-cappella-Chorstück „Veni, veni Emmanuel“ anregte.
Die O-Antiphonen bilden zusammen einen siebenstrophigen Text. Jede Strophe besteht aus sechs Versen. Am Beginn steht jeweils das O, von dem die Lieder ihren Namen haben. Durch den Staunlaut O wird deutlich, dass es sich bei den Texten um Beziehungsrede handelt: Die Person, die nach dem O mit einem bildhaften Namen genannt wird, wird persönlich angeredet. Insofern können wir tatsächlich von hymnischen Texten reden. Die Bildnamen stammen alle aus dem Alten Testament. Aus neutestamentlicher Sicht sind sie als Aussage über Jesus Christus als den verheißenen Messias zu verstehen. Das erweist den Autor als treuen Schüler des hl. Augustinus, der schreibt, dass der Neue Bund im Alten verborgen und der Alte im Neuen erschlossen sei. Dann folgen in drei kurzen Abschnitten nähere Angaben zur Person, was sie ist, was sie tut.
Hartker-Antiphonar, Cod.Sang.390, Stiftsbibliothek St. Gallen
Mit dem Imperativ veni – komm beginnt der zweite Teil. In zwei Zeilen wird im Anschluss das ersehnte Ziel des erbetenen Kommens zum Ausdruck gebracht. Das veni – komm ist der Ruf aus der Offenbarung des Johannes (22,20) am Ende der Heiligen Schrift. Wenn wir uns anschicken, jedes Jahr die Ankunft des Logos, des ewigen Wortes Gottes in unserem sterblichen Fleisch zu feiern, richtet sich unser Sehnen und Rufen auch auf die verheißene Wiederkunft des Herrn am Ende der Tage.
Wenn wir den Überblick in der Tabelle genauer anschauen, können wir in den Titeln eine Chronologie ablesen:
–Die erste Antiphon bezeugt die Präexistenz der Weisheit vor der Schöpfung.
–Die zweite Antiphon handelt vom Exodus.
–Die beiden nächsten Antiphonen erzählen von der davidischen Genealogie.
–Die Titel der fünften und sechsten Antiphon sind den Propheten entnommen.
–Erst die siebte Antiphon schließt mit einer auf Christus bezogenen Gottesanrede: Domine, Deus noster. Der Name „Emmanuel“ ist der einzige direkte Hinweis auf Weihnachten (vgl. Mt 1,23: „Siehe, die Jungfrau wird einen Sohn gebären und du sollst ihm den Namen Emmanuel geben.“). Es ist aber auffällig, dass in keiner der Antiphonen der Neugeborene Christus genannt wird.
Die O-Antiphonen. Übersicht und Aufbau
Wir sehen also deutlich, dass der Autor quasi das ganze Alte Testament abschreitet, um Hinweise auf das erwartete Kommen des Messias zu finden. Von der Thora bis zu den Propheten findet er entsprechende Belege.
Die O-Antiphonen haben Vorläufer in kultischen Liedern der vorchristlichen griechischen und römischen Religion: In sog. Rufliedern, den „Hymnoi kletikoi“, wurde die Ankunft der Gottheiten in ihrem Heiligtum erfleht, später – seit Kaiser Augustus – auch der als Götter verehrten Kaiser. Diese kultisch gefeierte Ankunft wurde im Lateinischen adventus genannt.
In ihrer Form fügen sich die O-Antiphonen in diesen festen Typ kultischer „Ruflieder“ ein. Im Mittelpunkt: eine meist streng imperativische Aufforderung, zu kommen. Die Gottesanrede ist verbunden mit Adjektivattributen oder Appositionen; typisch auch die Relativprädikation. Der Zweck des Kommens wird in finaler Unterordnung, partizipial (ad) oder in Satzbeiordnung (et) eingeführt.
Die römische Liturgietradition übernahm für ihre Feier der Vorbereitung auf Weihnachten den Begriff „Adventus“ und die zugehörige Liedform. Mit ihr gaben die Menschen der Sehnsucht ihres Herzens auf die Ankunft des Christus als Retter Ausdruck: „Christ, der Retter ist da“.
Im Folgenden werden wir zunächst die objektive Seite der Antiphonen betrachten, ihre Textquellen suchen und offenlegen. Im Anschluss daran möchte ich verdeutlichen, wie wir selbst mit diesen Texten umgehen können. Hilfreich dazu mag die Begleitung durch die Aquarelle sein, die von Andreas Felger stammen und in einer kleinen Andacht der Jesusbruderschaft aus Gnadental zu den O-Antiphonen veröffentlicht waren. Auch die Vertonungen der O-Antiphonen im Gregorianischen Choral wie auch die von Marc-Antoine Charpentier und Arvo Pärt, die auf YouTube angehört werden können, sind geeignet, die Meditation zu unterstützen.
O Weisheit,
hervorgegangen aus dem Munde des Höchsten,
die Welt umspannst Du von einem Ende zum anderen,
mit Kraft und Milde ordnest Du alles;
nun komm, uns zu lehren
den Weg der Einsicht.
„O sapientia“. In den im lichtvollem Blau, der Farbe der Geistigkeit, gemalten Kreis als Symbol der Vollkommenheit ist in weiß das Kreuz hinterlegt. Es wird mit goldgelber Farbe ins Licht gehoben, damit Kreuzestod und Auferstehung aufzeigend. Mit ihm verbunden ist das Dreieck, welches Symbol für die Dreifaltigkeit oder als Auge Gottes gedeutet werden kann. In dieses hinein sind sieben Zeichen eingefügt, die Hinweis geben auf die sieben Sakramente, mit denen sich ja Irdisches mit Himmlischem verbindet.
Besonders eindrücklich ist die Kraft der Linien und die Milde der Farben. Sie spiegeln damit die Worte, die auch im Text der Antiphon zentrale Bedeutung haben.
Der Dichter muss ein ungeheuer belesener Kenner des Ersten Testaments gewesen sein, denn kaum ein Wort seiner Antiphonen ist nicht der Bibel entlehnt. Wir wollen das genauer nachweisen. So finden wir bei Jesus Sirach in Kapitel 24 die Worte: Ego ex ore Altissimi prodivi