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Lord Buckingham, Buck von seiner Familie genannt kann Coombe Castle das seit Jahrhunderten im Besitz seiner Familie gewesen war, nicht länger erhalten und verkauft es an den sehr wohlhabenden und jungen Geschäftsmann Morgan Wright. Dieser investiert viel Zeit und Geld, um das Schloss und das Anwesen wieder instand zu setzten und auch in seine Pferde. Aber es fehlt ihm der Eintritt und die Zugehörigkeit in Gesellschaft auf dem Land, die ihm verwehrt bleibt, vor allem da sich Lord Buckingham seit dem Verkauf des Schlosses sehr unversöhnlich zeigt. Jacinda, die jüngste Tochter des Baron lebt mit dem Baron in Manor House in der Nähe des Schlosses. Helen, die Mutter und die ältere Schwester Fleur hatten die Familie vor einem Jahrzehnt verlassen. Jacinda betet ihren Vater an und liebt wie er die Pferde und die Jagd. Auf einer Jagd wird der Baron schwer verletzt und Jacindas Zukunft wird in Frage gestellt. Wird Morgan seinen Platz in der Gesellschaft um Coombe Castle finden? Wird Jacinda die verschlungenen Pfade der Liebe durchqueren und wahre Liebe finden?
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Seitenzahl: 354
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Es war stockdunkel im Wald.
Der Mann hatte seinen Wagen auf der Straße abgestellt und suchte sich einen Weg zwischen den Stämmen der schottischen Fichten hindurch. Als er eine Lichtung erreichte, verharrte er und blickte zu den erleuchteten Fenstern des Hauses hinüber.
Ein Käuzchen schrie, eine aufgescheuchte Wildtaube flog mit hastigem Flügelschlag davon.
Die Haltung des Mannes spannte sich. Bei der Eibenhecke, die das Haus auf einer Seite begrenzte, hatte es eine Bewegung gegeben.
Sekunden später sah er die schlanke Frauengestalt, die genau auf ihn zulief. Er rührte sich nicht von der Stelle, bis sie nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war.
»Jacinda« rief er leise
»Terry« antwortete sie und blieb stehen »Ich kann dich nicht sehen.«
Sie streckte die Hände nach ihm aus.
»War es schwierige dich davonzustehlen?« fragte er.
»Entsetzlich schwierig. Buck fand mal wieder kein Ende mit seinen alten Geschichten. Ich musste den richtigen Augenblick abpassen, um die Männer mit ihrem Port allein lassen zu können. Hast du dir Sorgen gemacht?«
»Ich war sicher, du würdest kommen«
Er schob seinen Arm durch den ihren und zog sie tiefer in den Schatten der Bäume. Sie gingen einige Schritte und blieben dann wie auf Kommando stehen. Das Mädchen hob ihr Gesicht dem Mann entgegen und fühlte, wie er die Arme um sie legte.
»Liebling«, flüsterte sie »Eine so lange Zeit ist vergangen «
Eine Weile schwiegen beide Jacinda zitterte, als sie sich endlich von ihm löste Mit unsicherer Stimme fragte sie,
»Wann fährst du«
»Morgen« antwortete er.
Wieder Schweigen.
»Komm, setzen wir uns in den Wagen«, sagte sie dann »Ich möchte, dass du mir alles darüber erzählst«.
Ihre Stimme klang bedruckt. Er schluckte, vermochte nicht zu antworten. Schließlich nickte er.
Er legte den Arm um ihre Schultern, und sie gingen auf die Straße zu.
Beim Wagen angelangt, stieg Jacinda auf den Beifahrersitz und ließ sich auf dem abgenutzten Ledersitz nieder. Die Lichter des Armaturenbretts erleuchteten schwach ihr Gesicht.
Terry schloss hinter ihr die Tür und ging um die Kühlerhaube herum zur anderen Wagenseite.
»Sollen wir hierbleiben, oder fahren wir ein Stück den Berg hinauf« fragte er, nachdem er hinter dem Steuer Platz genommen hatte.
»Ein Stück den Berg hinauf«, antwortete sie.
Er betätigte den Anlasser und ließ den Wagen anfahren. Nach kurzer Zeit verließ er die Hauptstraße und bog auf einen Feldweg ein. Unter einer riesigen Eiche hielt er an.
Vor ihnen erstreckte sich ein weites Tal. Feld fügte sich an Feld, Obstwiese an Obstwiese. Es war das Tal von Evesham.
Terry stellte den Motor ab, doch als er den Arm nach Jacinda ausstreckte, wehrte sie ihn ab.
»Erzähle zuerst«, verlangte sie »Vergiss nicht, dass ich nur das weiß, was du mir am Telefon gesagt hast. Ich muss alles wissen. Vor allem, wie Tante Margaret es herausgefunden hat.«
»Mutter hat den Brief gefunden, den ich dir geschrieben hatte. Sie hat ihn gelesen.«
»O Terry, wie konnte sie.«
»Ich glaube, es war meine Schuld«, erwiderte er finster. »Ich war dabei, dir zu schreiben, als Travers wegen eines Pferdes zu mir kam. Ich legte den Brief in die Schreibmappe, weil ich dachte, es würde nur ein paar Minuten dauern, bis ich wieder zurück wäre, verstehst du. Doch bis ich nur das Tier angeschaut hatte, verging eine Menge Zeit, und als ich wieder an meinem Schreibtisch saß, waren Stunden vergangen. In der Zwischenzeit muss Mutter bei mir aufgeräumt und gleichzeitig ein wenig in meinen Sachen herumgeschnüffelt haben. Zuzutrauen wäre es ihr, du kennst sie ja. Jedenfalls habe ich schon lange den Verdacht, dass sie meine Briefe liest.«
»O Terry, wie kann sie nur.«
»Nun, sie glaubt einfach, sie hätte das Recht dazu. In ihren Augen bin ich immer noch der kleine Junge von damals, und ich werde es wohl auch immer bleiben. Für sie führt jede Frau, mit der ich irgendwie in Verbindung komme, etwas gegen mich im Schilde. Alle haben es auf mich abgesehen, alle wollen etwas von mir. Davon ist sie fest überzeugt.«
»Mich eingeschlossen.«
»Bei dir ist es noch schlimmer«, gab er ehrlich zu. »Da ist zunächst einmal die Tatsache, dass wir Vetter und Cousine sind. Außerdem gab es diesen unseligen Streit mit deinem Vater wegen Coombe Castle Sie hat es ihm nie verziehen.«
»Und ich werde ihr nie verzeihen, wie sie sich mir gegenüber verhält.« rief Jacinda heftig. Dann gewann sie wieder die Kontrolle über sich und fügte ruhig hinzu »Sprich weiter.«
»Nun ja, es war eine ganze Litanei, die sie vorzubringen hatte«, erwiderte Terry bedrückt. »Stundenlang hat sie auf mich eingeredet, und schließlich rückte sie mit der Hauptsache heraus. Sie stellte mir eine Art Ultimatum. Entweder ich trete in London eine Stelle bei der Bank an, oder ich begebe mich für ein ganzes Jahr auf eine Weltreise, die in New York beginnt, wo ich bei den Sherbrooks wohnen soll.«
»Bei den Sherbrooks?« entfuhr es Jacinda »Meinst du dieses Mädchen, das im letzten Sommer hier war und mit dem Tante Margaret dich unbedingt verkuppeln wollte?«
»Genau die«, antwortete Terry »Schließlich handelt es sich um eine millionenschwere Erbin.«
»O Terry, du darfst nicht fortgehen«, rief Jacinda »Unter keinen Umständen darfst du nach New York reisen.«
»Wenn ich es nicht tue, muss ich sofort bei der Bank anfangen, und du weißt, was das für mich bedeuten wurde, Jacinda. Keine Jagd mehr, keine Pferde. Ständig in der Gesellschaft dieses entsetzlichen Anwalts, der für Mutter den Spitzel macht und mich keine Sekunde mehr aus den Augen lassen würde. Ich könnte es nicht ertragen. Ich würde dabei langsam, aber sicher zugrunde gehen.«
Jacinda starrte vor sich hin.
»Aber ein ganzes Jahr,« flüsterte sie. »Es ist eine entsetzlich lange Zeit.«
»Sie geht vorüber, Liebling. Schneller, als du denkst. Und sobald ich zurück bin, werde ich bei der Bank anfangen, und werde so viel Geld verdienen, dass wir heiraten können. Vielleicht hat Mutter ihre Einstellung bis dahin geändert.«
»Ihre Einstellung zu mir?« fragte Jacinda »Liebling, du weißt, dass sie eine Ehe zwischen uns nicht will. Sie wird es nie zulassen, dass du mich heiratest. Sie war so wütend, als Buck das Schloss verkaufte und ich damit einverstanden war. Sie erklärte nur, sie habe sich für mich geschämt, und ich glaube, sie meinte es ernst.«
»Aus Mutter wäre besser ein Mann geworden.«
»Das gilt, glaube ich, auch für mich«, sagte Jacinda unglücklich. »Wenn ich ein Mann wäre, gäbe es keine Probleme. Dann hatte Vater das Erbe nicht veräußern können.«
»Es ist jedenfalls sinnlos, die Geschichte immer wieder durchzukauen«, meinte Terry. »Du bist nun mal kein Mann, und im Augenblick bin ich dem Schöpfer sehr dankbar dafür.«
Er zog sie enger an sich.
»Gib mir einen Kuss, Jacinda. Sei doch nicht so unglücklich«
Jacinda hob ihren Mund bereitwillig dem seinen entgegen und zeigte ihm damit, wie tief sie ihn liebte.
Er küsste sie voller Leidenschaft, bis sie atemlos und verschämt zugleich die Hände gegen seine Brust legte und ihn von sich schob.
»Und du wirst mich nicht vergessen« fragte sie traurig.
»Hältst du das für wahrscheinlich? Du weißt, Jacinda, ich habe immer nur dich geliebt. Das glaubst du mir doch, nicht wahr?«
»Wenn du es sagst«, erwiderte sie mit kaum hörbarer Stimme. »Aber du wirst mir doch schreiben «
»Natürlich schreibe ich. Ich werde dir meine Anschrift von jedem Anlaufhafen aus telegraphieren, sobald ich von New York aufgebrochen bin.«
»Kann ich mich darauf verlassen« fragte Jacinda halb im Ernst, halb im Spaß.
»Oh, das denke ich doch«, erwiderte Terry »Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, wie Mutter mich noch erreichen könnte, nachdem ich einmal den Atlantik überquert habe.«
»Es wird herrlich für dich sein«, sagte sie nachdenklich »Denk nur, was du alles sehen wirst, wie viele neue Eindrücke du bekommst, wie viele Städte und Menschen du kennenlernst.«
»Mit etwas Glück werde ich auch eine Einladung nach Florida erhalten. Zum Polospiel. Stell dir das vor’ Ich werde endlich auf einem vernünftigen Pferd sitzen und nicht mehr auf einer dieser Schindmähren, die ich hier reite.«
Jacinda schwieg. Schließlich sagte sie mit erstickter Stimme.
»Terry, ich habe Angst.«
»Angst, Liebling. Doch nicht um mich.«
»Um uns«, erwiderte sie. »Um unsere Liebe, Terry. Du könntest mich vergessen. Ein Jahr ist eine lange Zeit. Du weißt, du lernst gern neue Leute lernen, und Geld ist eine solche Versuchung.«
»Mein kleines Dummchen,« sagte er und hob ihr Gesicht zu sich empor.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass dies unser letztes Beisammensein ist«, murmelte Jacinda. »Ein ganzes Jahr voneinander getrennt. Wie glücklich waren wir in den letzten Monaten. Es war der schönste Frühling meines Lebens.«
»Zu dumm auch, dass ich den Brief in der Schreibmappe liegen ließ,« stieß Terry heftig hervor.
»Es war nicht deine Schuld«, beruhigte ihn Jacinda »Früher oder später hätte, Tante Margaret es sowieso herausgefunden.«
»Ja, ich glaube, misstrauisch war sie schon lange«, antwortete er. »Schließlich bin ich kein besonders guter Lügner. Und ich war so oft von zu Hause weg, dass mir fast schon keine Ausreden mehr einfielen.«
Jacinda lachte.
»Du bist zu bescheiden«, neckte sie ihn. »Du bist der beste Lügner, der mir jemals begegnet ist.«
Nun lachten sie beide. Doch als der Klang ihrer Stimmen sie in die Wirklichkeit zurückholte, klammerten sie sich fester aneinander.
»Terry«, flüsterte Janice. Ihre Stimme war so leise, dass er sie kaum hörte »Glaubst du nicht, wir könnten heiraten, bevor du England verlässt. Ich, meine, heimlich heiraten. Niemand braucht etwas davon zu erfahren, niemand braucht es zu wissen außer uns beiden. Für mich jedenfalls wäre es etwas, woran ich mich festhalten konnte. Ich wüsste, ich bin deine Frau.«
»Aber wie sollte das gehen« fragte Terry. »Du weißt so gut wie ich, dass es unmöglich ist Die Zeitungen würden dahinterkommen, und dann wäre der Teufel los. Nein, Liebling, wir müssen vernünftig sein und warten. Es wird schon nicht so schlimm werden, wirklich.«
»Ja, du hast recht«, erwiderte sie tapfer »Wir werden die Zeit schon überstehen.«
»So gefällst du mir,« rief Terry »Du wirst sehen, die Wochen und Monate vergehen wie im Flug. Ehe du es für möglich hältst, bin ich wieder auf dem Heimweg. Ein dickes Bündel Geldscheine in der Tasche und in einer Einzelkabine. Mutter wird dann zwar schrecklich wütend sein, aber was kümmerts mich.«
»Warum wütend« fragte Jacinda rasch. Dann blickte sie ihn forschend an und stammelte »Soll das heißen, Terry. Tante Margaret will, dass du das Sherbrook Mädchen heiratest, oder?«
Terry nickte, als wäre ihm unbehaglich zumute.
»Nun zieh keine falschen Schlüsse, Jacinda.«
»Das tue ich nicht«, sagte Jacinda. »Aber es ist so, nicht wahr. Sie schickt dich nach Amerika, damit du um Mary Sherbrooks Hand anhältst. Das ist also Tante Margarets Plan.«
»Ihre und meine Pläne vereinbaren sich nicht immer miteinander«, antwortete Terry. »Ich bin für Ruhe und Frieden. Aber wenn sie denkt…«
»Aber Terry, begreifst du denn nicht« unterbrach ihn Jacinda »Es ist genau das, was sie will Du solltest ihr in aller Deutlichkeit klarmachen, dass du nicht einmal im Traum daran denkst, ihr in diesem Punkt nachzugeben.«
»Aber warum sollte ich Streit mit ihr anfangen, bevor es nötig ist. Wenn ich erst mal drüben in Amerika bin, kann ich immer noch sagen, ich hätte es mir anders überlegt. Es ist sowieso viel leichter, meiner Mutter diese Dinge zu schreiben, als mit ihr darüber zu reden, das weißt du doch.«
»Es kommt nicht darauf an, was leichter ist«, antwortete Jacinda. »Es kommt darauf an, dass dein Paktieren eine Enttäuschung für mich ist. Dass du Tante Margaret den Eindruck gibst, du wärest nicht bereit, um mich zu kämpfen, dass sie glauben muss, ich bedeute dir in Wirklichkeit nichts.«
»O Jacinda, bitte, sprich nicht so weiter« bat Terry. »Du weißt doch, dass ich Mutter mit nichts dazu bringen kann, dich zu mögen. Als sie feststellte, dass ausgerechnet das Mädchen, das sie abgrundtief hasst, von ihrem Sohn über alles geliebt wird, bekam sie einen Tobsuchtsanfall. Wenn ich sie glauben machen kann, die Dinge wären gar nicht so ernst, was ist daran schlimm. Wem kann das schaden.«
»Aber warum die Sherbrooks?« fragte Jacinda »Warum soll unbedingt Mary Sherbrobk ins Spiel gebracht werden.«
»Oh, du kennst Mutter doch. Ich bin siebenundzwanzig, und in dem Alter war mein Vater bereits drei Jahre verheiratet und besaß einen Sohn. Sie sagt, die richtige Frau würde einen guten Einfluss auf mich ausüben und so weiter und so weiter. Du kennst ja die Sprüche, Jacinda. Himmel, wie oft habe ich das schon gehört. Geht an einem Ohr rein, am anderen wieder raus. Als sie sich dann anbot, mir eine Fahrkarte nach Amerika zu spendieren, bin ich natürlich sofort auf ihr Angebot eingegangen. Sie verlangte allerdings von mir, dass ich anschließend eine Weltreise mache.«
»Für den Fall, dass Mary Sherbrook deinen Antrag ablehnt, nehme ich an«, sagte Jacinda voller Bitterkeit.
»Vielleicht. Aber darüber mache ich mir keine großen Gedanken«, erwiderte Terry leichthin.
»Tust du das überhaupt jemals« fragte Jacinda.
Die Worte gingen unter in einem Aufschluchzen, das sie nicht unterdrücken konnte.
»Jacinda, Liebling, du solltest nicht so unglücklich sein.« rief Terry »Ich liebe dich, und du weißt es. Niemand kann daran etwas, ändern. Und wenn sich die Mütter sämtlicher amerikanischer Millionenerbinnen gegen uns verbünden würden.«
»Schwöre es mir,« verlangte Jacinda.
»Ich schwöre es,« sagte er und hob ihre Hand an seine Lippen.
Es war einige Stunden später, als sie zurückfuhren. Der Mond stand hoch am nachtdunklen Firmament, und während sie langsam ins Tal hinunterrollten, sahen sie vor sich eingetaucht in silbern schimmerndes Mondlicht, Coombe Castle liegen.
Grau und nackt ragten die Zinnen bewehrten Türme in den Himmel. Ein imposantes Bauwerk, das die Würde des Alters und die Vollkommenheit normannischer Architektur ausströmte. In keinem der Fenster brannte ein Licht, und es stieg düster und trotzig aus dem Baumgürtel empor, der es umgab.
Jacinda starrte durch die Windschutzscheibe. Keinen Moment lang ließ sie die Augen von dem faszinierenden Bild. Dann verstellten die Bäume, die die Straße säumten, ihr den Blick.
Auch das Manor lag im Dunkeln, als sie in seiner Nähe anhielten. Sie küsste Terry zum Abschied. Eine letzte, schmerzlich lange Umarmung, dann war sie ausgestiegen und verschwand zwischen den hohen Fichten. Der weiche Waldboden verschluckte ihre eiligen Schritte. Kurze Zeit später hatte sie eine Seitentür des Hauses erreicht und schlüpfte hinein.
Lauschend verharrte sie, zog vorsichtig die Schuhe aus und schlich auf Zehenspitzen in die Halle. Die Bodendielen ächzten und knarrten unter ihren Schritten, aber dem schenkte niemand Beachtung in einem so alten Haus. Die Standuhr in der Halle tickte laut. Ein Blick auf die Zeiger sagte Jacinda, dass es fast halb zwei war.
Langsam stieg sie die breite Eichentreppe hinauf zu ihrem Schlafzimmer.
Auf dem Podest angelangt, stellte sie fest, dass sie sehr müde und unglücklich war, erfüllt von einer Niedergeschlagenheit, die sich zu einer fast panikartigen Verzweiflung steigerte.
Sir Buckingham Coombe betrat die Halle. Er warf Reitpeitsche und Handschuhe auf den Tisch und rief nach Jacinda.
Sie antwortete sofort, als hatte sie schon darauf gewartet, denn es war selten, dass ihr Vater von der Jagd nach Hause kam, ohne ihren Namen zu rufen.
Im Herbst, wenn die Jagd begann, war Buck in Hochform. Im Sommer, den er hasste, erlebte Jacinda ihn schweigsam, mürrisch und schlecht gelaunt, bereit, bei der geringsten Kleinigkeit, die ihn ärgerte, in die Luft zu gehen.
Doch sowie er dann wieder auf die Jagd gehen konnte, war er in seinem Element und ließ seinen ganzen Charme spielen. Nicht von ungefähr nannte man ihn als Knaben schon ‚Prinz Charming‘, denn bei seinem unverschämt guten Aussehen brauchte er nur ein wenig nett zu sein, und alle Welt schmolz dahin.
Buckingham Coombe hatte die Baronetswürde und Coombe Castle geerbt, als er achtzehn war.
Sein Vater war im Burenkrieg getötet worden, genau eine Woche, nachdem sich Bucks älterer Bruder beim Grand National durch einen Sturz vom Pferd das Genick gebrochen hatte. Bucks Bruder war gescheit, pflichtbewusst und rechtschaffen, jedoch von unscheinbarem Äußeren gewesen.
Buck jedoch hatte von frühester Jugend an nie mehr gebraucht als seinen Charme und sein schönes Gesicht um alles zu bekommen, was er sieh wünschte.
Nachdem die Baronetswürde und Coombe Castle auf ihn übergegangen waren, pflegten die Bauern der Umgebung zu sagen, dass er schon mit einem silbernen Löffel im Mund zur Welt gekommen sei.
Ein Vierteljahrhundert lang schienen sie mit ihrer Meinung recht zu behalten.
Doch das Einzige, was Buck von Anfang an nicht besaß, war Geld. Deshalb heiratete er es. Aber die schönste Frau, die es je in Worcestershire gegeben hatte, konnte ihm keinen Erben schenken.
Bei der Geburt seines ersten Kindes war Buck enttäuscht. Jeder Mann wünscht sich einen Sohn, und Buck erging es ebenso. Schließlich brauchte er einen Stammhalter, der Namen „und Tradition der Coombes fortführte. Als seine Frau ihr zweites Kind erwartete, war Buck fest davon überzeugt, dass es ein Junge sein würde.
Er machte Pläne für die Tauffeierlichkeiten. Die Glocken sollten läuten, ein Feuerwerk würde veranstaltet werden, und er bestellte bereits das berühmte Fass Portwein das die Coombes gemäß alter Tradition bei der Geburt des ältesten Sohnes auflegten.
Als dann Jacinda geboren wurde und man ihm mitteilte, dass er wieder eine Tochter bekommen habe, traute Buck seinen Ohren nicht.
Sogar als seine Frau nach der Niederkunft zwei Wochen lang zwischen Leben und Tod schwebte, vermochten Angst und Sorge um sie das Bewusstsein, dass sie ihn schrecklich enttäuscht hatte, nicht zu verdrängen.
Helen Coombe überlebte, und ihr Mann freute sich darüber, denn er liebte sie. Aber dann erfuhr er, dass sie keine weiteren Kinder mehr haben konnte. Die Erkenntnis traf ihn bis ins Mark, dass für das Geschlecht der Coombes die Totenglocken gelautet hatten.
Lange Zeit konnte Buck beim Anblick seiner jüngeren Tochter ein Gefühl des Grolls und des Vorwurfs nicht unterdrücken.
Schließlich, da er von Natur aus phlegmatisch und zu einem tiefen Gefühl nicht fähig war, fand er sich mit der Situation ab, zeigte jedoch kaum ein Interesse an dem Baby.
Es war eine Ironie des Schicksals, denn Jacinda zeigte, je grösser sie wurde, sehr viele Eigenschaften, die normalerweise einem Jungen zukamen. Jedenfalls ähnelte sie ganz offensichtlich ihrem Vater, während ihre Schwester Fleur ganz und gar das Kind ihrer Mutter war.
Jacinda besaß keinerlei Sinn für Kleider, für die sanften, kunstvollen und koketten Neigungen der Frauen. Sie zeigte nur an einer Sache Interesse am Reiten. Von dem Augenblick an, da sie dem Kinderwagen entwachsen war, liebte sie Pferde. Sie allein waren ihre Liebe und ihr ganzes Glück.
Allmählich wuchs in Buck ein gewisser Stolz auf sie. Er mochte ihre gerade Haltung, ihre sanften Hände und vor allem die bewundernswerte Kühnheit, mit der sie als Zwölfjährige schon mit den ungebärdigsten Pferden in seinen Ställen zurechtkam.
Wenn sich ihre Mutter wegen des wenig mädchenhaften Verhaltens aufregte, ergriff Buck Partei für Jacinda. Er half ihr, die Erzieherin auszutricksen, die Unterrichtsstunden zu schwänzen, die sie nicht mochte, und, wann immer sich die Gelegenheit bot, die Ställe aufzusuchen.
Jacinda revanchierte sich mit abgöttischer Bewunderung für Buck. Von dem Augenblick an, da sie laufen konnte, folgte sie ihm mit ihren kleinen trippelnden Schritten wie ein junger Hund. Sie ahmte ihn nach, und sogar seine kleinen Eigenheiten übernahm sie verblüffend echt. Die Leute lächelten darüber, allerdings nicht in Bucks Gegenwart.
Als der Zusammenbruch kam und der silberne Löffel, der seit frühester Kindheit Bucks Erkennungszeichen gewesen war, zerbrach, war Jacinda der einzige Mensch, dem er sich anvertraute. Der einzige Mensch, der ihn aus seiner Verzweiflung und Depression herauszuholen vermochte.
Buck war für Tragödien nicht geschaffen. Er brauchte einen Platz auf der Sonnenseite des Lebens.
Er gehörte zu einer Generation, die sich ein Dasein ohne Geld nicht vorstellen konnte. Ein
Glück ohne Pferde, ohne Besitz und ohne Frau gab es nicht für ihn. Das Wort Lebenskampf fehlte in seinem Wortschatz.
Nur Jacinda wusste, wie nahe er in dieser Zeit dem Freitod gewesen war. Nur Jacinda wusste, was sie alles angestellt hatte, um ihn vor diesem Schritt zu bewahren.
»Jacinda« brüllte Buck erneut.
Sekunden später erschien sie in der Halle.
Auch sie trug Reithosen. Darüber ein altes, mehrfach geflicktes Khakihemd, das am Hals offenstand und dessen Ärmel über die Ellbogen hochgekrempelt waren.
Das Haar hing ihr unordentlich um den Kopf, und eine dicke blonde Locke fiel ihr tief in die Augen. Mit dem Arm wischte sie die Locke aus der Stirn, da ihre Hände voller Seifenschaum waren.
»Ich wasche die Hunde«, erklärte sie kurz.
»Guter Himmel! Welchen Sinn soll das haben bei diesem Wetter?« fragte er und schüttelte den Kopf.
Während er sprach, blickte er auf seine lehmbespritzten Stiefel und die Hosen, die nichts mehr von der blütenweißen Frische ahnen ließen, die sie besaßen, als er am Morgen das Haus verließ.
»Hattest du einen angenehmen Tag« fragte Jacinda.
»Ein Dreivierteistundenritt zum Anger. Von dort links runter bis Hanley Cross. Dort verloren wir die Spur. Die Hunde sind neuerdings zu langsam und der alte Leighton ist zu klapprig für seinen Job.«
Diese Klagen hörte Jacinda nun schon seit Jahren. Sie wich ihnen aus, indem sie fragte
»Jemanden gesehen?«
»Die üblichen Leute«, erwiderte Buck. »Ist der Tee fertig?«
»Schon unterwegs.«
»Wright, dieser verdammte Kerl, war auch draußen. Es macht mich krank, wenn ich zusehen muss, wie er den großen Mann spielt. Das neue Pferd, auf dem er heute ankam, muss gut und gerne seine tausend Guinees gekostet haben.«
Jacinda seufzte.
»Hast du jemand eingeladen?« fragte sie.
Es war ratsam, bei Bucks Heimkehr diese Frage zu stellen, denn er besaß die Angewohnheit, alle möglichen Leute zu sich einzuladen und diese Einladungen anschließend gleich wieder zu vergessen.
Mehr als einmal war Jacinda von Gästen überrascht worden, die zum Dinner erschienen, obwohl sie von deren Kommen nicht die kleinste Ahnung gehabt hatte.
»Oh, natürlich, Wilton wird morgen reinschauen.«
Jacinda verzog das Gesicht.
»Nicht schon wieder,« stöhnte sie.
Sie mochte Tom Wilton nicht. Ein grober, ungehobelter Mann, der zu Lebzeiten ihrer Mutter niemals nach Coombe Castle eingeladen worden war. Wilton kannte nur zwei Interessen Frauen und Alkohol. Ein Abend, den er bei Buck verbrachte, endete immer damit, dass beide sich sinnlos betranken.
Buck hatte sich in der letzten Zeit immer stärker dem Trinken hingegeben, und alles, was Jacinda tun konnte, war, ihn einigermaßen in Grenzen zu halten. Wenn nun Tom Wilton zum Dinner kam, waren all ihre Anstrengungen umsonst gewesen. Und das wusste sie.
»Sonst noch jemand?« fragte sie forschend.
»Himmel, nein«, entgegnete Buck. »Denkst du, dies ist ein Haus der offenen Tür. Außerdem haben wir nicht das Geld, um Gesellschaften zu geben.«
Jacinda beachtete seine Gereiztheit nicht.
»Da kommt unser Tee«, sagte sie.
Der Tee wurde in die große Halle gebracht und vor dem prasselnden Kammfeuer serviert. Es gab Eier mit Speck, Hörnchen und mit Butter bestrichene Toastbrotscheiben.
»Ich wasche mir eben noch die Hände «, sagte Jacinda »Es dauert nur eine Sekunde. Dann gieße ich dir ein.«
»Kem Grund zur Eile«, meinte Buck beiläufig. »Ich bediene mich schon.«
Er wandte sich zu dem Diener um, der dabei war, Tassen und Untertassen aufzustellen.
»Oakley, ich brauche ein paar neue Reitstocke«, sagte Buck. »Heute morgen musste ich drei davon in die Hand nehmen, bis ich einen fand, der nicht ausgefranst war. Wieso, zum Teufel, legst du mir ständig diese lädierten Dinger hin.«
»Es sind keine anderen mehr da, Sir Buckingham«, erwiderte Oakley »Es mussten neue angeschafft werden.«
»Das sage ich ja, du Narr. Bestell mir also welche. Warum lässt du zu, dass man uns so knapp damit halt.«
»Sie beliefern uns nicht mehr, bevor wir nicht die alten Rechnungen bezahlt haben«, antwortete Oakley.
»Zur Hölle mit diesen Krämerseelen«, stieß Buck hervor. »Ich weiß nicht, was auf einmal mit ihnen los ist. Jammern ständig nach Geld, und kein Wort der Dankbarkeit, wenn man ihre Rechnungen bezahlt. Nun, sag Miss Jacinda Bescheid, dass sie sich darum kümmert. Bis zum Ende der Woche brauche ich unbedingt neue Reitstöcke.«
»Sehr wohl, Sir«, antwortete Oakley.
Jacinda hatte den letzten Teil der Unterhaltung mitbekommen, während sie die Treppe hinunterstieg.
Es tat ihr leid, dass es wieder einmal um das leidige Thema Geld ging.
Augenblicklich war Geld knapp bei ihnen. Sie hatte die größten Schwierigkeiten, die Lebensmittelrechnungen zu begleichen. Und Bucks Schneiderausgaben hatten astronomische Zahlen erreicht was allerdings nichts Neues war. Er lebte im Wahn ewiger Jugend und besaß immer noch den Ehrgeiz, der bestangezogene Mann der Grafschaft zu sein.
Und in irgendeiner Weise stimmte das auch. Buck konnte sich immer noch sehen lassen. Jacinda war stolz auf ihn, und sie war nur zu bereit, alles zu tun, damit er sich unter den Leuten sehen lassen konnte. Aber gleichzeitig musste die Dienerschaft entlohnt werden, und die Gas- und Wasserrechnungen warteten darauf, bezahlt zu werden.
Zu Beginn der Saison hatte Buck ein neues Pferd gekauft. Die Anschaffung hatte sie finanziell lahmgelegt, aber sie hatte es nicht übers Herz gebracht, seiner Begeisterung einen Dämpfer aufzusetzen.
Der Preis war noch nicht einmal sehr hoch gewesen günstig sogar, wenn man es genau sah. Günstig allerdings nicht für sie, denn im Augenblick konnten sie sich einfach keine zweihundert Guinees für ein Pferd leisten.
Jacinda goss den Tee ein. Nachdem sie ihren Imbiss beendet hatten, zündete sich Buck eine Zigarette an Jacinda benutzte die Gelegenheit, zum Thema zurückzukommen.
»Buck, ich fürchte, wir werden eine der Miniaturen verkaufen müssen.«
Ihr Vater schaute überrascht auf.
»Bist du noch bei Trost« sagte er.
Jacinda schüttelte den Kopf.
»Wir benötigen umgehend fünfhundert Pfund. Wenn du eine andere Möglichkeit siehst, an Geld zu kommen oder Einsparungen vorzunehmen, wäre ich froh, Genaueres darüber zu höre. «
»Wann ist die Summe fällig« fragte er.
»Am dritten November. Am Quartalstag können wir mit hundert Pfund rechnen. Das ist der fünfundzwanzigste Dezember. Danach versiegen unsere Einkunftsquellen wieder bis zum Maerz. Es ist unmöglich, Buck. Ich habe hin und her überlegt, aber unsere Wege, an Geld zu kommen, sind beschränkt. Ich weiß, ich bin nicht besonders gut im Rechnen, aber selbst ein Kind kann einsehen. Wenn man fünfhundert Pfund von null abzieht, bleibt immer ein Minus von fünfhundert Pfund.«
Buck erhob sich.
»Ich will die Miniaturen nicht verkaufen«, sagte er. »Ich will verdammt sein, wenn ich das tue. Alles sonst ist verschwunden die Gemälde, das Familiensilber, alles, wofür meine Vorfahren gekämpft haben und gestorben sind. Und wohin ist alles verschwunden. Ein junger Spund, der es verstanden hat, den Leuten einzureden, sie müssten neuerdings Kleider von der Stange tragen, hat es sich unter den Nagel gerissen, verdammt.«
»Hör zu, Buck.« unterbrach ihn Jacinda.
»Nein, das werde ich nicht tun«, gab er trotzig zur Antwort. »Du wirst jetzt natürlich sagen, du habest das alles schon mal gehört. Ich weiß, mir geht es nicht anders, und dennoch bleibe ich dabei. Glaubst du, ich gehe auch nur ein einziges Mal aus dem Haus, ohne zum Schloss hinüberzuschauen? Glaubst du, ich komme jemals am Tor vorbei und blicke in die Ulmenallee, ohne den Mann zu verfluchen und ihm die Krätze an den Hals zu wünschen, der dort wohnt, wo zu wohnen er kein Recht hat?«
»Er hat ein Recht«, erwiderte Jacinda ruhig. »Er hat das Schloss gekauft und dafür gezahlt. Und man muss es ihm lassen, dass er uns nichts übers Ohr gehauen hat bei diesem Kauf. Wir könnten bequem und ohne uns einzuschränken hier leben, wenn du nur vernünftig wärst.«
»Was nennst du vernünftig?« fragte Buck »Herum zu vegetieren ohne Pferde?«
»Wenigstens ohne Spiel- und Wettschulden«, erwiderte Jacinda scharf.
Ihr Vater wandte ihr den Rücken zu und stieß mit der Stiefelspitze ein Holzscheit ins Feuer. Jacinda tat ihre Bemerkung schon wieder leid. Aber immer, wenn die Sprache auf dieses Thema kam, musste sie Buck daran erinnern, dass er im vergangenen Jahr über tausend Pfund beim Flachrennen verloren hatte.
Dabei hatte er für Rennen nicht einmal besonders viel übrig. Die Jagd war sein wahres und einziges Vergnügen. Aber außerhalb der Saison brauchte er eine Beschäftigung, und die musste etwas mit Pferden zu tun haben.
Er war an eine wüste, ausgelassene Clique geraten, allesamt trink- und sattelfeste Kerle, die es auf ihn abgesehen hatten und es verstanden, ihm Honig um den Bart zu schmieren. Diese Männer mochten seine Gesellschaft, Jacinda war davon überzeugt. Aber Buck konnte es nicht ertragen, einfach einer unter vielen zu sein. Er musste sich hervortun, brauchte Bewunderung und das Gefühl, Mittelpunkt zu sein, die Achse, um die sich alles drehte.
So auch beim Spiel. Wenn die anderen spielten, spielte er auch. Und ein unsinniger Ehrgeiz trieb ihn an, auch hier der Beste zu sein oder wenigstens mit Riesensummen, um sich zu werfen.
Eine Lektion im Leben hatte eigentlich genügen müssen es waren seine Spielschulden gewesen, die den Verkauf von Coombe Castle nötig gemacht hatten -, aber Buck war einfach nicht der Mensch, der aus Erfahrungen lernte.
Jetzt war ihnen nur das Manor, das ursprünglich einmal der Witwensitz des Schlosses gewesen war, geblieben. Überdies erhielten sie ein festes Einkommen, das aus einem treuhänderisch verwalteten Kapital stammte, zu dem Buck keinen Zugang besaß, aus dem ihm jedoch eine lebenslange Leibrente zustand. Das Kapital selbst gehörte Jacinda und ihrer Schwester zu gleichen Teilen. Normalerweise hätten sie also ihr Auskommen gehabt, wenn er weniger verschwenderisch und vernünftiger mit den verbliebenen Möglichkeiten umgegangen wäre.
Während sich Jacinda dies alles immer wieder vor Augen hielt, wusste sie gleichzeitig, dass sie ihren Vater nicht ändern konnte, ihn in Wirklichkeit auch gar nicht andern wollte.
Wäre er imstande gewesen, ein ruhiges, beständiges Leben zu führen, wäre Buck nicht Buck gewesen. Und das gewisse Etwas in seiner Persönlichkeit, das ihn so anziehend und einmalig machte, hatte es nicht gegeben.
Er war wie ein Kind in seiner Selbstgefälligkeit, ein Kind mit seiner Prahlerei und seinen Extravaganzen, und es war unausweichlich, dass ihm eines Tages die Rechnung dafür präsentiert werden wurde.
»Die Frage ist nur, welche der Miniaturen wir nehmen sollen«, sagte Jacinda und nahm das leidige Thema wieder auf.
Die Miniaturen waren die einzigen Erbstücke, die sie aus dem Schloss entfernt hatten, bevor dieses mit der gesamten Inneneinrichtung in den Besitz von Mr Morgan Wright übergegangen war.
Im Ganzen waren es zwölf Miniaturen mit Bildnissen von Bucks Vorfahren. Für Buck und auch für Jacinda bildeten sie das letzte Bindeglied mit der Vergangenheit. Der Verlust auch nur eines dieser kleinen Kunstwerke war für Vater und Tochter wie der Verlust eines Armes oder eines Auges.
Dennoch Sie hatten keine andere Wahl.
Diese Erkenntnis bedrückte Jacinda vielleicht noch mehr als ihren Vater, doch sie war entschlossen, ihm dies nicht zu zeigen.
Manchmal machte auch Buck sich Vorwürfe, weil er den Besitz zerschlagen hatte und sich dazu überreden ließ, das Schloss zu veräußern. Aber diese Vorwürfe endeten stets auf die gleiche Weise.
»Wenn du nur ein Junge geworden wärest, Jacinda«, sagte er, »glaub mir, all das wäre nie passiert.«
Ab und zu kam Jacinda der Gedanke, dass Buck besser noch ein zweites Mal geheiratet hätte. Mit einer neuen Frau hatte er vielleicht ohne Schwierigkeiten einen Sohn haben können. Aber die Coombes waren ein Geschlecht, die dem Skandal fremd waren.
In der langen Familiengeschichte gab es keinen dunklen Punkt, und auf den Einfall, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, wäre Buck nie gekommen.
Jacinda war sich klar darüber, wie lächerlich dies vielen ihrer Bekannten erscheinen musste, denn die Zeiten hatten sich geändert. Nur wenige hätten Buck eine Scheidung aus den vorliegenden Gründen verübelt. Man hatte schließlich einen Weltkrieg hinter sich. Die alten Werte und Maßstäbe waren ins Wanken geraten. Einzig Buck war von diesen Umwälzungen unberührt geblieben.
Für ihn hatte sich Worcestershire nicht verändert. Die Familie war zwar ärmer geworden, bei der Jagd gab es ein paar neue Gesichter, doch darüber hinaus war seine Welt noch die gleiche, die er als Knabe gekannt hatte.
Einzig das Schloss, einst ein Teil seines Lebens, den er mehr geliebt hatte als Vater und Mutter, gehörte ihm nicht mehr.
Doch das Manor oder Dower House hatte ebenfalls zu Bucks Leben gehört. Solange seine Großmutter lebte, hatte er sie fast täglich dort besucht.
Nun hatte er selbst Einzug darin gehalten. Die Veränderung war jedoch nicht so schmerzhaft für ihn, weil er in ein Haus zog, das ihm von frühester Kindheit an vertraut war.
Auch die alten Diener waren mit ihnen umgezogen. Und die Einrichtung bildete eine Ansammlung von Dingen, die sich seit dreihundert Jahren im Besitz der Coombes befunden hatte.
»Ich glaube, es wird der Admiral sein, den wir verkaufen«, sagte Jacinda ruhig »Ihn mag ich am wenigsten von allen.«
»Mein Urgroßvater,« stieß Buck heftig hervor.
»Sie sind alle mit uns verwandt, Darling«, gab Jacinda zu bedenken. »Ein solcher Einwand ist also sinnlos. Ich könnte mich allerdings nicht so leicht von der Lady mit den Engellocken trennen oder von dem Mann, der wie George IV aussieht.«
»Nun, mach, was du für richtig hältst«, sagte Buck aufbrausend. »Aber behalte für dich, was du tust. Ich will nichts davon wissen. Hörst du?«
Er wandte sich zum Gehen und stieg die Treppe hinauf. Die schwere Eichentür, die in sein Zimmer führte, fiel krachend ins Schloss.
Jacinda seufzte. Dann überlegte sie, wem sie die Miniaturen zum Kauf anbieten sollte.
»Ist das alles?«
»Ja, Sir, bis auf die Berichte, die Sie aus Amerika angefordert haben«, antwortete Curtis.
»Oh, die werde ich übers Wochenende mitnehmen und zu Hause studieren.«
Morgan Wright legte den Füllhalter hin und blickte auf die Uhr.
»Gütiger Himmel, schon so spät.«
»Ja, Sir.«
»Dann muss ich los, oder ich verpasse meinen Zug. Legen Sie die Papiere in meine Aktentasche.« Er zog seinen Mantel an und setzte den Hut auf. »Wiedersehen, Curtis, wir sehen uns Montag.«
»Auf Wiedersehen, Sir. Ich hoffe, Sie erreichen Ihren Zug noch frühzeitig.«
»Das hoffe ich auch.«
Er eilte durch die Glastür und die Treppe hinunter in die Eingangshalle. Der Portier grüßte ihn respektvoll und hielt ihm den Wagenschlag auf.
»Wir sind etwas in Zeitdruck, Stevens«, sagte er dem Chauffeur beim Einsteigen.
»Sehr wohl, Sir.«
Der Wagen glitt davon. Am Ende der Seitenstraße warteten sie auf eine Lücke im vorbeiflutenden Verkehr und bogen nach links ein. Morgan Wright beugte sich vor und betrachtete prüfend die Vorderseite seines kürzlich renovierten Geschäftshauses.
‚Wright's World-Wide Cheap Tailors‘ verkündete eine Schrift in riesigen Leuchtbuchstaben den Vorübergehenden.
Die großen Schaufenster, strahlend hell erleuchtet, waren fachmännisch dekoriert, und moderne Schaufensterpuppen zeigten Kleider und Anzüge für jede Gelegenheit.
Wright musterte die Auslagen mit kritischen Augen. Im Großen und Ganzen war er mit dem, was er sah, zufrieden. Der Direktor hatte sich anfänglich ungewöhnlich schwer damit getan, die neuen Ideen, die sein Arbeitgeber aus Amerika mitgebracht hatte, in die Praxis umzusetzen.
Jedenfalls war die Kunst der Schaufensterdekoration noch verbesserungsfähig. Das britische Talent zur effektvollen Darbietung des Warenangebotes war längst noch nicht voll entwickelt. Wie so oft hinkte man auf der Insel den Leistungen anderer Länder weit hinterher. Und im Vergleich mit New York stand London in Sachen Produktwerbung und Reklame noch ganz am Anfang.
Wright unterbrach seine Gedanken. Er zog die Uhr hervor und warf einen Blick auf das Zifferblatt. Dreizehn Minuten nach sechs.
Der Zug fuhr 6 25 Uhr. Er würde es schaffen, falls es vor dem Marble Arch nicht zu einem Stau kam.
Wenn er den Zug verpasste, bedeutete das er müsste mit dem Wagen nach Coombe Castle fahren. Am nächsten Tag war Samstag, und er dachte nicht daran, auf seinen Jagdtag zu verzichten. Und das neue Pferd wollte er auch ausprobieren. Paddington. Endlich. Die Uhr über dem Eingang zeigte noch eine Minute bis zur Abfahrt.
Er sprang aus dem Wagen, bevor dieser noch richtig zum Stillstand gekommen war. Mit einem Knall warf er den Schlag hinter sich zu und rannte los.
Der Schaffner stand bereits am Ende des Zuges, das Signal in der Hand.
Morgan riss die Tür des letzten Wagens auf und stieg ein.
Der Wagen war voller Frauen und kleiner Kinder, die erschreckt zu ihm aufschauten. Er entschuldigte sich und ging durch den Mitteleingang zum anderen Wagenende.
Es waren keine drei Sekunden vergangen, als sich der Zug auch schon in Bewegung setzte.
Der Kurswagen nach Worcester befand sich gleich hinter der Lokomotive, und Morgan musste den ganzen Zug durchqueren, um dorthin zu gelangen. Er erreichte den Speisewagen und nahm an einem der Tische Platz. Er bestellte einen Whisky Soda.
Der Kellner, der ihn kannte, begrüßte ihn freundlich lächelnd.
»Wieder mal geschafft heute Abend, Sir« fragte er.
Morgans Kampf um die Abfahrtszeit war auf der Strecke bekannt.
»Ja, um Haaresbreite«, antwortete Morgan.
»Wir werden bald Wetten auf Sie abschließen, Sir.«
»Die Chancen dürften nicht allzu hoch sein«, erwiderte Morgan »Schließlich habe ich den Zug in der ganzen Zeit erst zweimal verpasst.«
Er gab dem Mann ein großzügiges Trinkgeld, und zehn Minuten später setzte er seine Wanderung durch den Zug fort.
Im Kurswagen nach Worcester fand er ein Abteil, in dem nur ein Fensterplatz besetzt war. Ein älterer Gentleman saß in der Ecke und schlief. Morgan setzte sich ihm gegenüber und vertiefte sich in die Abendzeitungen.
Vor dem Bahnhof wartete bereits der Wagen auf ihn. Morgan nahm im Fond Platz und legte sich eine Wolldecke über die Knie. Vor ihm lag eine Fünfzehn-Meilen-Fahrt bis zum Schloss, und es war empfindlich kalt.
Sie fuhren durch die schmalen Straßen von Worcester und erreichten kurze Zeit später das offene Land. In der Feme sah Morgan die langgestreckte Silhouette der Malvern-Berge vor dem verblassenden Himmel.
Es wurde schnell dunkel, am Himmel blitzten die ersten Sterne.
Sie durchfuhren das Dörfchen Coombe-on-Avon. Die Scheinwerfer beleuchteten die niedrigen, strohgedeckten Fachwerkhäuser, die um den Dorfanger kauerten.
Dann ging es die Anhöhe hinauf auf das schmiedeeiserne Tor zu, dessen graue Steinpfeiler von sitzenden Marmor Löwen gekrönt wurden. Die beiden mächtigen Flügel waren bereits weit geöffnet.
Immer, wenn er das Tor passierte, empfand Morgan eine Art von Glücksgefühl. Sein Herz schlug schneller. Es war die Freude, wieder zu Hause zu sein.
Von dem Augenblick an, da er Coombe Castle zum ersten Mal gesehen hatte, war es um ihn geschehen gewesen. Der Wunsch, das Schloss zu besitzen, hatte ihn mit einer Macht überfallen, die ihm bis dahin unbekannt gewesen war. Und von dieser Stunde an hatte er sich der Faszination und Schönheit des Bauwerks nicht mehr entziehen können.
Zum ersten Mal sah er es im Frühling. Das Grau seiner Mauern leuchtete silbern vor dem klaren, tiefen Blau eines wolkenlosen Aprilhimmels. Es ging eine solche Würde von ihm aus, seine Architektur erschien ihm so ausgewogen und zugleich großartig, dass der Anblick ihn fast zu Tränen rührte.
Er fand keine Erklärung dafür, aber Coombe Castle stand in seinen Augen für alles, was er als erstrebenswert und sinnvoll ansah. Für all das, was ihm bis zu jener Stunde unerreichbar gewesen war.
Dieses Bauwerk versinnbildlichte für ihn jene Lebensweisheit, die dem Menschen die Kraft verleiht, die Vergänglichkeit der Dinge und das unaufhaltsame Dahinströmen der Zeit gelassen hinzunehmen.
Er hatte damals das Cheltenham Rennen besucht und in der Nähe von Coombe gewohnt. Es war reiner Zufall gewesen, dass er Buck Coombe auf der Rennbahn begegnete.
»Sie kennen Buck nicht« hatte ihn jemand gefragt. »Dann muss ich Sie unbedingt mit ihm bekannt machen. Er hat mehr Pferdeverstand als die meisten Gestütsbesitzer zusammengenommen.«
»Coombe« sagte Morgan nachdenklich. »Ist das der Besitzer von Coombe Castle, das wir gestern gesehen haben.«
»Genau der Sir Buckingham Coombe, Baronet, verarmt, aber ein Edelmann, wie er im Buche steht.«
»Ein wundervoller Platz. Nie im Leben habe ich etwas Schöneres gesehen«, erwiderte Morgan.
»Und so altmodisch«, sagte sein Freund. »Ich glaube, in dem alten Gemäuer gibt's kein einziges Badezimmer. Es sei denn, Lady Coombe hatte eins einbauen lassen. Doch wenn das der Fall ist, bin ich sicher, dass es im Moment als Pferdetränke dient. Nein, Spaß beiseite Das Einzige, was dort im Augenblick einigermaßen in Ordnung sein dürfte, sind die Ställe. Aber kommen Sie, ich mache Sie mit Buck bekannt, wenn Sie möchten.«
Als sie einander die Hände schüttelten, dachte Morgan unwillkürlich, dass Buck ein Mensch war, den man einfach mögen musste. Ein Strom von Unbefangenheit und Ehrlichkeit ging von diesem Mann aus, ein Charme und eine Herzlichkeit, die einfach nicht vorgetäuscht sein konnten.
Sie unterhielten sich über Pferde.
Morgan hatte zwei oder drei im Training, und diese Tatsache schuf eine Verbindung zwischen ihnen. Sie nahmen einen Drink zusammen. Während er eine der Zigarren nahm, die Morgan ihm anbot, sagte Buck.
»Ich beneide Sie. Zigarren kann ich mir im Augenblick nicht leisten. Mein Gut verschlingt jeden Penny, den ich besitze, und noch einiges mehr.«
»Ich sah das Schloss gestern«, sagte Morgan. »Für mich ist es der schönste Platz, den ich je gesehen habe.«
»Ja, es sieht prächtig aus«, sagte Buck und lachte. »Nur schlecht, wenn man für den Unterhalt nur so viel Geld zur Verfügung hat, wie man für den Kauf von zwei guten Rennpferden benötigt.«
»Sie denken nicht daran, das Schloss zu verkaufen.«
Morgan hatte den Satz noch nicht beendet, als er sich bewusst wurde, wie anmaßend seine Worte wirken mussten. Woher hatte er nur den Mut genommen, eine solche Frage zu stellen.
Er sah, wie Buck zusammenzuckte, sah, dass er den Mund zu einer ablehnenden Antwort öffnete. Doch dann zögerte sein Gegenüber, währender das Zigarrenende befeuchtete und ein Streichholz anriss.
Als die Zigarre brannte, blickte Buck auf und sagte.
»Nun, ich weiß es nicht. Hab' eigentlich noch nie darüber nachgedacht. Aber vielleicht sollten wir mal in Ruhe darüber reden.«
Es war ein sonniger Morgen.
Morgan hatte sich früh wecken lassen, während der Nebel noch grau über dem Land hing und die flachen Bodenwellen des Parks verhüllte. Doch als er sich am Frühstückstisch niederließ, lichteten sich plötzlich die grauen Schwaden, und heller Sonnenschein flutete durch die Fenster
Morgan aß mit großem Appetit, während die Times aufgeschlagen vor ihm auf dem Tisch lag Im Kamin brannte ein Feuer, und auf dem Kammvorleger lagen zwei Locker, die er vor einiger Zeit gekauft hatte, um ein wenig Leben ins Haus zu holen, das ihm bisweilen doch irgendwie leer vorkam
Er hatte das Schloss erstanden mit allem, was dazugehörte, danach jedoch auf alle für ihn wertlosen Dinge verzichtet. Nur die alten, kostbaren Stücke, die schon seit Jahrhunderten zum Haus gehörten, hatte er behalten.
Die wenigen bewohnbaren Räume waren groß und weit. Die Türme standen leer, und die hohe Umfassungsmauer, die das Schloss von weitem so imponierend erscheinen ließ, umgab den Hof, in dem einst die Schlosskapelle gestanden hatte, bevor sie von den Söldnern Cromwells niedergebrannt worden war.
Das Morgenzimmer führte, wie alle Haupträume, auf den Park hinaus.
Morgan erhob sich vom Tisch und trat ans Fenster. Unter sich hörte er das Klappern von Pferdehufen. Er beugte sich vor, bis er den zweiten Stallmann sah, der sein Reitpferd am Zügel hielt und mit ihm die Auffahrt hinunterging.
Die Jagdveranstaltung begann an einem Ort, der etwa zwei Meilen vom Schloss entfernt lag. Ein Blick auf die Uhr zeigte Morgan, dass er noch eine Viertelstunde Zeit hatte, bis der Wagen, der ihn hinbringen sollte, vor dem Eingang vorfahren würde.
Morgan wandte sich ab und trat vor den Spiegel über dem Kaminsims. Er betrachtete sich mit einem zufriedenen Blick.
Sein pinkfarbenes Jackett war neu und saß wie angegossen. Die Halsbinde war korrekt gebunden. Vielleicht saß sie ein wenig fest, aber im Laufe des Tages wurde sie sich von selbst etwas lockern.
Der Butler unterbrach ihn in seiner Betrachtung.