Ein MORDs-Team - Band 18: Die Maske fällt - Andreas Suchanek - E-Book

Ein MORDs-Team - Band 18: Die Maske fällt E-Book

Andreas Suchanek

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Beschreibung

Mason, Olivia, Randy und Danielle wollen die Identität des Grafen endgültig aufklären. Ihre Recherche führt sie weit in die Vergangenheit. Stück für Stück kommen sie der Wahrheit näher. Doch als die Maske fällt, ist der Preis hoch. Unterdessen steuert die Bürgermeisterwahl auf einen Höhepunkt zu. Und die Mächte im Schatten machen ihre finalen Züge. Dies ist der 18. Roman aus der Reihe "Ein MORDs-Team".

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Seitenzahl: 130

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Table of Contents

»Die Maske fällt«

Was bisher geschah

Prolog

Gegenwart, Barrington Cove

Im alten Leuchtturm

Am Pinehearst College

Barrington Cove, Pinewood Oaks

Im Archiv der Gazette

Die Barrington Cove Vintage Society

In den Favelas, das ehemalige Gebäude des Konsortiums

Im Gebäude der Barrington Cove Vintage Society

Im alten Leuchtturm

Die Barrington Cove Highschool

Pinehearst College

Redaktion der Freie Stimme Barrington Cove

Am Pinehearst College

Im alten Büro der Kanzlei Lebovitz

Am Pinehearst College

Maple Peaks, hinter dem Haus der Familie Miller

Barrington Cove, der alte Leuchtturm

Barrington Cove Hospital

In der Innenstadt von Barrington Cove

Im Villenviertel

Epilog I – Die Maske fällt

Epilog II – In den Trümmern

Epilog III – Der Preis der Macht

Vorschau

Seriennews

Impressum

Ein MORDs-Team

Band 18

»Die Maske fällt«

von Andreas Suchanek

 

 

 

Was bisher geschah

 

1985: Die Jugendlichen Harrison, Jamie, Shannon und Billy besuchen den Zirkusrummel auf Angel Island. Ein entspannter Tag verwandelt sich in ein Inferno. Zwischen Feuer und Rauch, Trümmern und Panik treffen die Mächtigen von Barrington Cove aufeinander. Pläne werden zunichtegemacht, geheime Identitäten enthüllt, ein Mord geschieht. Doch es soll dreißig Jahre dauern, bis endlich jemand die Frage stellt: Wer tötete Corey Parker?

Gegenwart: Sonja Walker erinnert sich zurück an ihre Kindheit, als die Katastrophe auf Angel Island ihr einen Teil der Familie nahm. Sie möchte einen Blick in die Vergangenheit werfen, um eine Reportage zu drehen. Dabei entdecken Randy, Olivia und sie einen toten Jungen in der Geisterbahn. Anscheinend wurde er erschossen.

Die Ermittlungen ergeben, dass das Opfer Corey Parker heißt und am Tag der Zirkuskatastrophe 1985 mit seiner Schwester auf dem Rummel unterwegs war. Auch Sonjas Bruder starb an diesem verheerenden Tag. Um endlich die Wahrheit hinter den Ereignissen aufzudecken, die viele Leben kostete, beginnen die Freunde zu ermitteln. Im alten Gefängnis der Dynastien finden sie einen weiteren Wachraum und stoßen nicht nur auf Bilder der alten Direktoren – sie werden auch mit einer maskierten Frau konfrontiert, die sich als Wendy Parker entpuppt. Coreys von Hass zerfressene Schwester will die Gründungsfamilien auslöschen, um sich für den Mord an ihrem Bruder zu rächen.

Die Freunde wollen im Geheimen weiterermitteln, um die Dynastien nicht auf sich aufmerksam zu machen.

Doch da ist auch noch der Graf. Billy kommt dem maskierten Moriarty von Barrington Cove gefährlich nahe und wird entführt. Bei der Suche nach ihm finden Sonja und Kenneth in einer Schmugglerhöhle unter Angel Island eine Leiche, deren Identität ungeklärt bleibt. Schlussendlich gelingt Billys Rettung, der ins Krankenhaus gebracht wird.

Gleichzeitig stellen sich Mason, Danielle und Olivia Thompkins und seinen Leuten. Das Tarnowsky-Haus brennt ab, der Geheime Raum übersteht das Inferno jedoch. Nach einer dramatischen Verfolgungsjagd stürzt Thompkins in Olivias Auto in den Crest Point und stirbt.

Die Freunde haben genug. Die Maske des Grafen soll fallen und seine Identität endlich offengelegt werden.

Gleichzeitig steht die Wahl zur Bürgermeisterin von Barrington Cove kurz bevor.

Prolog

1985

 

Im Gesicht des Mannes, der soeben einen Mord begangen hatte – im Gesicht des Grafen –, erschien ein Ausdruck der Verblüffung. »Shannon Jenkins.«

Sie zitterte. Fahrig wischte sie die Tränen beiseite. Dann flüsterte sie seinen Namen. Er war von diesem Zeitpunkt an der neue König der Unterwelt.

Das Lachen aus seiner Kehle klang wie das Grollen eines Dämons, das sich an den Felswänden brach und in der Dunkelheit widerhallte. »Wer hätte das gedacht? Ausgerechnet du.«

Sie taumelte, stürzte, knallte auf die Bodendielen des Salons. Nur wenige Meter entfernt lag der Leichnam. Jener Mann, der eigentlich der Graf war – oder hätte sein sollen. Doch er war tot. Ermordet von der Person, die ihr gegenüberstand, eine Pistole mit aufgeschraubtem Schalldämpfer in der rechten Hand.

»Dir ist klar, wie das hier enden muss«, sagte er. »Bedauerlich, aber notwendig. Es gibt Geheimnisse, die dürfen einfach nicht ans Licht kommen.«

»Ich werde nichts sagen.« Die Worte klangen hohl und leer. Er wusste so gut wie sie, dass sie keinesfalls den Mund halten würde.

»Beleidige doch nicht meine Intelligenz, Mädchen. Es wird schnell gehen. Du wirst zusammen mit dieser Leiche verschwinden und in ein paar Jahren wirst du zur Legende. Wie Marietta King.«

Der Gedanke, dass sie nur eine Krümmung des Zeigefingers von einem abrupten Ende ihres Lebens entfernt war, jagte ihr einen Schock durch den Leib. Tot. Genau wie Marietta. Begraben. Sie würde nicht länger mit den anderen im Geheimen Raum abhängen, Popsongs hören oder die Disco besuchen. Es war einfach vorbei.

»Ich werde mich um deine Mum kümmern.« Er grinste schmierig. »Jemand muss sie ja trösten.«

Ein Knall ertönte.

Für eine gnadenlose, ewig währende Sekunde glaubte sie, den Einschlag der Kugel spüren zu können. Dann begriff sie die Wahrheit.

Die Decke erzitterte. Steine rieselten herab, es roch nach Erde, Feuchtigkeit und – noch mehr Rauch?

Der Graf schaute nach oben.

Shannon wusste nicht, was genau auf dem Zirkusrummel geschah, doch sie erkannte eine Chance, wenn sie sich ihr bot. Sie sprang auf und rammte dem Grafen ihre Schulter in die Seite.

Er taumelte.

Sie rannte.

Unter Stalaktiten entlang, an Stalakmiten vorbei, zwischen den Holzhäusern hindurch. Mehrmals rutschte sie auf dem glitschigen Untergrund aus, doch sie fing sich stets aufs Neue.

Ein Schuss hallte durch die Dunkelheit.

»Du kannst mir nicht entkommen!«, brüllte der Graf. »Es gibt keinen Ort in Barrington Cove, an dem du vor mir sicher bist.«

Shannon schaute sich fahrig um.

Dann rannte sie zu dem Durchgang, der in den Tunnel führte. Tief unter dem Meer schlängelte er sich hindurch, hinüber nach Barrington Cove.

Shannon floh vor der Gefahr und tauchte ein in die Dunkelheit. Ihre Flucht sollte mehr als dreißig Jahre dauern.

 

 

 

 

~ Drei Tage bis zur Wahl ~

 

 

 

 

 

Gegenwart, Barrington Cove

Ein Donnerstagmittag

 

Randy schüttelte den Kopf. »Kommt mir immer noch total komisch vor.«

Mason schlürfte seine Cola durch den Strohhalm. »Einfach genial. Stell dir das nur vor: keine Lehrer mehr, sondern Professoren.« Er nahm einen Stock von dem Stapel, den er auf dem Terrassentisch aufgebaut hatte, und warf ihn in den Garten. »Hohl das Stöckchen, Socke.«

Der weißbraun-gescheckte Basset sah kurz auf, kratzte sich am Hals und sackte wieder auf die kühlen Steine.

»Ich sag dir, dieser Hund ist so faul, es ist ein Wunder, dass er kein Mops ist.«

Randy kicherte. »Sei froh. Stell dir vor, deine Eltern hätten dir einen Jack Russell geschenkt. Dann müsstest du jeden Tag einen hyperaktiven Hund sitten.«

»Ich würde ihm einfach ein Laufband kaufen.« Mason verschlang einen der Kekse, die sein Dad gebacken hatte. Die letzte gute Tat, bevor er sich gänzlich dem Wahlkampf widmete.

Mason spähte durch das Fenster ins Wohnzimmer. Überall wuselten Wahlhelfer herum, fertigten Schilder an, begutachteten Flyer oder tätigten Telefonate. Die eigentliche Wahlkampfzentrale seiner Mum war ihr Reisebüro. Da es dort mittlerweile aber recht eng geworden war, wurde das Wohnzimmer zum Ausweichquartier. Mason hatte vorgeschlagen, die billigen Arbeitskräfte nach Indien auszulagern, worauf seine Mum kreidebleich angelaufen war.

»Mach im Wahlkampf keine solchen Witze«, hatte sie ihn angezischt. »Wenn das ein Reporter hört, kommst du schon wieder auf die Titelseite.«

Zugegeben, die Gazette hatte einen Narren an ihm gefressen. Erst Drogenjunge, dann einer von vieren, die den Mord an Marietta King aufgeklärt hatten, suizidgefährdeter Jugendlicher, der von einer Klippe springen wollte und Schlussendlich Retter eines Bassets, als der Corvus Tower einstürzte.

»Schau nicht zu auffällig hin, aber ich könnte schwören, dass die Kleine da vorne ein Auge auf dich geworfen hat«, flüsterte Randy. »Sie beobachtet uns.«

Mason folgte seinem Blick. »Ach die, nee. Das ist die Praktikantin. Sie muss mich im Auge behalten, damit ich auf den letzten Metern keine Dummheiten anstelle. Ich soll mich bis zur Wahl wie ein normaler Jugendlicher verhalten. Was immer Mum damit auch meint.« Er nahm einen Bissen von seinem Sandwich und warf noch ein Stöckchen. Wieder ignorierte Socke ihn. »Sinnlos.«

»Du kannst ja mal dein Sandwich werfen.«

»Bist du verrückt? Darüber macht man keine Scherze.« Sicherheitshalber aß er noch einen Keks, man konnte nie wissen, wann eine Essensknappheit ausbrach. Im Wahlkampf vergaß seine Mum schon mal, den Kühlschrank aufzufüllen.

»Ms Stone ist in den letzten Tagen total wehmütig. Sie wird uns vermissen.«

»Ha. Mich nicht. Vermutlich stellt sie zur Feier des Tages überall im Klassenzimmer Vasen auf. Jetzt, wo ich nicht mehr da bin.«

Sie kicherten.

»Noch vier Monate und das College wartet.« Randy seufzte. »Und davor lange Sommerferien.«

»Ich überlege schon die ganze Zeit, was wir machen könnten.«

»Da fällt uns was ein.« Randy nahm sich einen Keks und knabberte daran herum. Dann legte er ihn zurück auf den Teller.

»Alter, du bist dünn wie ein Blatt Papier, iss den Keks wenigstens auf.«

Randy grinste und mampfte den armen Keks tatsächlich. Zum Glück. »Hat Sonja sich gemeldet?«

Masons Stimmung veränderte sich abrupt, als schoben sich Wolken vor die Sonne. »Nein. Kenneth aktiviert seine Kontakte, um die DNA abgleichen zu lassen.«

»Wenigstens konnte sie eine Probe entnehmen, bevor die Leiche verschwunden ist. Immerhin bleibt dem Zirkus damit eine katastrophale Presse erspart.«

Dorian und Luca hatten aufgeatmet, doch es machte die Ermittlungen noch schwerer. Sie wussten, dass eine Person den Graf damals umgebracht hatte, um seinen Platz einzunehmen. Shannon war unter Angel Island zur Zeugin der Tat geworden.

Doch daraus ergaben sich viele Fragen. Wie hatte der Unbekannte von der geheimen Identität des Unterweltbosses erfahren? Angeblich wusste nur der Chronist davon.

»Wir müssen nur das Muster erkennen«, sagte Randy. »Es gibt immer eins. Das hat Professor Illemaier in der Vorlesung ›Digitale Forensik‹ gesagt.« Auf Masons fragenden Blick hin ergänzte der Freund: »Gastvorlesungen.«

»Du bist so ein Streber.«

»Du Muskeln, ich Hirn.« Randy grinste frech, weshalb Mason ihn kurzerhand mit einem Keks bewarf. Der flog allerdings vorbei, glitt elegant durch die offene Terrassentür und landete im Wohnzimmer.

Socke verwandelte sich in eine Rakete und schoss dem Stück überlebenswichtiger Nahrung hinterher. Schreie erklangen, etwas klirrte. Die Flyer flogen zu Boden, als der Bassett mit einem Satz auf den Tisch sprang und den Keks förmlich einatmete.

Im Wohnzimmer brach hektische Betriebsamkeit aus.

Die Praktikantin schaute gepeinigt zu ihnen herüber. »Das werden lange drei Tage«, sagte ihr Blick.

»Stellungswechsel?«, fragte Randy.

»Unbedingt.«

 

*

 

Die Tür wurde schwungvoll aufgerissen. Eine energiegeladene Erna Brewster, gekleidet in den typischen grauen Rock und die Blümchenbluse, lachte Danielle freundlich an. »Wusste ich es doch.«

»Wie bitte?«

»Mittlerweile kann ich euch an den Schritten unterscheiden«, erklärte die Besitzerin des BUCHstaben-Ladens. »Deine Mum ist eher zaghaft-schwungvoll, bei dir erkennt man sofort die Energie der Jugend.«

»Da-Danke. Glaub ich.« Danielle zog ein Kuvert aus der Gesäßtasche ihrer Jeans. »Das ist die Miete für den Monat.«

»Oh, vielen Dank. Aber komm doch rein.«

Ms Brewster bot Danielle einen Platz an und verschwand in der Küche, um einen Tee aufzubrühen.

»Dein neuer Look steht dir gut«, erklang ihre Stimme.

Danielle sah an sich hinab. Sie trug einfache Jeans, ein unifarbenes Shirt und Sandalen. »Ist doch nichts Besonderes.«

»Eben.« Ms Brewster stellte die Tasse neben ihr ab. »Vorsicht, noch heiß.«

»Danke.«

»Ich habe mich wirklich darüber gefreut, als deine Mum mir von der bevorstehenden Scheidung erzählt hat.« Sie schlug sich die Hand vor den Mund, machte dann aber eine wegwerfende Handbewegung. »Was soll’s. Man soll so etwas zwar nicht sagen, aber ich habe nie verstanden, weshalb deine Mum diesen Tyrannen geheiratet hat.«

Danielle nickte langsam. »Es hat ein wenig gedauert. Aber jetzt will sie auf und davon. Sie hätte übrigens gerne selbst das Geld vorbeigebracht, aber der Anwalt hatte etwas Dringendes mit ihr zu besprechen.«

»Kein Problem. Hauptsache, euch geht es gut.« Erna erhob sich. »Ich werde mal nach einem Quittungsblock suchen. Einen Moment.« Die alte Dame begann in ihrem Schreibtisch zu kramen. Schließlich sah sie frustriert auf. »Ich finde ihn nicht. Er muss noch unten an der Kasse liegen. Wärst du so nett, ihn mir zu bringen?«

Sie reichte Danielle die Schüssel.

»Klar.«

Die Treppe knarzte, als Danielle die Stufen hinabsprang.

Sie betrat den Verkaufsraum im Erdgeschoss. Der Geruch nach Holzkohle lag noch immer in der Luft, obgleich der Brandanschlag von Bürgermeister Tyler Monate zurücklag. Der gesamte Bereich im rückwärtigen Teil, in dem sich zuvor das Antiquariat befunden hatte, war zerstört. Mittlerweile war das breite Fenster, das einen Blick auf den verwilderten Garten gewährte, wieder eingesetzt worden. Frische Holzbohlen kleideten den Boden aus, die Wand leuchtete in reinem Weiß. Neue Regale waren aufgestellt worden. Keine billig produzierte Stangenware. Jedes etwas Besonderes.

Danielle ließ ihre Finger über die Figuren gleiten, die am Ende jeder Reihe ins Holz geschnitzt worden waren. Fantastische geflügelte Wesen streckten ihre Arme in Richtung Laden. Nachbildungen fernöstlicher Paläste ragten daneben empor.

Noch waren die Regalbretter nahezu leer, doch das sollte sich ändern. Erna Brewster wollte ihre Bibliothek neu errichten. Immer wieder flitzte sie mit ihrem quietschgelben Käfer durch das Land und erwarb Erstausgaben von Büchern, Fehldrucke und seltene Kunstbände.

Danielle zog einen davon hervor. Einen Bildband. Das Barrington Cove der Sechziger- und Siebzigerjahre war darin abgebildet. Der Fotograf hatte sich jedoch nicht darauf verlegt, die architektonisch besonders wertvollen Häuser abzulichten. Nein, er entriss das wahre Antlitz der Stadt den Schatten. Was heute die Favelas waren, war damals das Künstlervierte gewesen. Jugendliche saßen an Hausecken, Graffiti zierte die Wände. Aber es standen auch bebrillte Männer hinter Leinwänden, und Frauen bemalten die Gehsteige.

»Warum wirkt im Rückblick immer alles einfacher und überschaubarer?«

Sie stellte den Band zurück und fischte den Quittungsblock aus der Thekenschublade.

Ms Brewster wartete.

 

*

 

»Mittlerweile schwappt Koffein durch deine Adern.« Olivia reichte Sonja den Kaffeebecher.

»Verrate es nicht Kenneth«, bat Sonja. »Er will mich auf eine Tasse pro Tag herunterhandeln.« Sie kicherte. »Er hat Humor. Aber ihm zuliebe trinke ich nur, wenn er es nicht sieht.«

Olivia fiel in das Kichern ein. »Wie ich ihn kenne, hat er die Zeichen längst richtig gedeutet.«

Es waren jene kleinen Spielchen, die es in jeder Beziehung gab. Sie kannte das. Chris behauptete auch immer, dass er jeden Tag einen Salat aß. In Wahrheit zog er sich meist Burger rein.

Jeder hatte seine kleinen harmlosen Geheimnisse. So lange es nichts Großes war, kam sie damit zurecht. Wenn es ihm über die Sorgen hinweghalf, war es in Ordnung.

»Wo ist er denn?«

»Frag mich was Leichteres«, antwortete Sonja. »Er hat heute Morgen einen Anruf bekommen und ist dann aus dem Haus geflitzt.« Sie schloss die Augen, sog das Aroma des Kaffees ein – frisch gemahlen – und nippte vorsichtig. »Seit er wieder laufen kann, ist er erpicht darauf, so oft es geht aus dem Büro zu fliehen.«

Olivia schaute sich um.

Das Büro der Freie Stimme Barrington Cove wirkte wie eines jener alten Chicagoer Altbaubüros, die frisch renoviert worden waren. Die Fenster reichten vom Boden bis zur Decke, die Raumfluchten waren lichtdurchflutet. Der Boden bestand aus edlen Holzdielen.

Nachdem die Gazette neue Räumlichkeiten bezogen hatte, war es Sonja gestattet worden, hier auf dem Gelände des Colleges einzuziehen. Erst Monate später hatten sie herausgefunden, dass dies mit Billigung der Direktorin geschehen war. Jennifer Corvus. Vermutlich wollte das Dynastieratsmitglied Sonja im Blick behalten.

»Hast du es deinen Eltern mittlerweile gesagt?«, fragte Sonja.

Olivias Magen zog sich schmerzhaft zusammen. »Nein. Ich kann nicht. Sie wissen nur, dass ich die Zusage habe.«

»Das du aber nicht bezahlen kannst.«

»Es würde ihnen das Herz brechen. Das Stipendium hätte alle Probleme gelöst.«

Sonja stellte ihre Kaffeetasse ab. »Was willst du tun? Den Job hier bei mir hast du in der Tasche, und damit bekommst du pro Semester bestimmt die Hälfte der Gebühren zusammen. Aber der Rest …«

Olivia hatte sich längst den Kopf darüber zerbrochen. Sonja zahlte ihr das Maximum des Möglichen, sobald der Job begann. Damit half sie ihr immens, doch das erste Semester musste Olivia anders finanzieren. Und danach blieb immer noch die Frage nach der halben Semestersumme. »Mir wird etwas einfallen.«