Ein Prosit auf den Mörder - Andreas Erlenkamp - E-Book
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Ein Prosit auf den Mörder E-Book

Andreas Erlenkamp

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Beschreibung

Mörderjagd im Moseltal

Die pensionierte Kommissarin Clarissa von Michel beschließt, sich in dem idyllischen Dörfchen Niedermühlenbach an der Mosel eine Auszeit zu nehmen. Aber als bei einer Weinprobe der unsympathische Witwer Gisbert Römer plötzlich tot umfällt, wird Clarissa misstrauisch. Ist der Dorfcasanova wirklich an einem Herzinfarkt gestorben? Die ehemalige Kommissarin beginnt zu ermitteln ...

"Ein Prosit auf den Mörder" ist der erste Band der unterhaltsamen Mosel-Krimi-Reihe von Andreas Erlenkamp um Clarissa von Michel und die charmanten Mitglieder des Krimi-Clubs Niedermühlenbach.

Ein spannender Kriminal-Fall, humorvolle Charaktere und eine unglaublich sympathische Ermittlerin: Die perfekte Sommer-Lektüre für Krimi-Leser, Mosel-Fans und Weintrinker!

Alle bisherigen Bände der charmanten Krimi-Reihe:

Ein Prosit auf den Mörder
Zwei Blüten für den Mörder
Ein dreifaches Hoch auf den Mörder
Vier Leichen und ein Todesfall

Das sagen waschechte Krimi-Fans zur Reihe:

»Clarissa und die Niedermühlenbachler haben mein Herz im Sturm erobert. Die Truppe ist eigenwillig und auch ein wenig skurril, hat aber das Herz am rechten Fleck. Solche Freunde wünscht man sich, da wird einem nicht langweilig.« (Redrose, Lesejury)


»Für Cosy-Crime-Fans und solche, die es werden wollen.« (Stein2203, Lesejury)

»Das Buch ist ein wirklich sehr guter und humorvoller Krimi. Der Schreibstil hat mir super gut gefallen. Die Charaktere sind sehr sympathisch und gut beschrieben, genau wie der Örtlichkeit. Ich komme von der Mosel und bin begeistert.« (Alex1208, Lesejury)

»Der Autor hat die Atmosphäre in diesem Buch gut umgesetzt. Mosel, Wein, Mord und Zwiebelkuchen, dies sind die Zutaten für diesen erfrischenden Regionalkrimi. Für mich ist es ein Wohlfühlkrimi für gemütliche Lesestunden.« (UlrikesBuecherschrank, Lesejury)

Für Leserinnen und Leser von Susanne Hanika, Ellen Barksdale oder Jessica Müller - und alle, die gerne unblutige Cosy Crimes und Provinz-Krimis lesen, die zum Miträtseln einladen.

ebooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!


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Ähnliche


Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Widmung

Zitat

Prolog

Willkommen in Niedermühlenbach

Das Goethe-Haus

Wohnen mit Jagdambiente

Mister Tweed

Ein unerwarteter Besuch

Idylle mit kleinen Macken

In der Nacht

Im Polizeipräsidium

Die graue Maus

Der Krimi-Club

Zum Sterben schön

Das Universalgenie

Raus aus dem Stadtleben

Ein Plan

Der Angeber

Hotel Moselkrug

Weinprobe mit Schuss

Das Ende eines netten Abends

Home, sweet home

Kriminachhilfe

Im Zweifelsfall – Mord

Ermittlung bei Zwiebelkuchen

Ein protziges Haus

Spurensuche

Nachtgedanken

Das neue Ehrenmitglied

Akim

Zicke trifft Schnulzenschreiber

Eine Warnung

Falten-Tintling, lateinischer Name Coprinus atramentarius

Ein Dutzend Anrufe und eine neue Erkenntnis

Das fehlende Puzzleteilchen

Ein Prosit auf den Mörder

Sonntagsspaziergang

Kein Ende, ein neuer Anfang

Anmerkung

Danksagung

Über dieses Buch

Die pensionierte Kommissarin Clarissa von Michel beschließt, sich in dem idyllischen Dörfchen Niedermühlenbach an der Mosel eine Auszeit zu nehmen. Aber als bei einer Weinprobe der unsympathische Witwer Gisbert Römer plötzlich tot umfällt, wird Clarissa misstrauisch. Ist der Dorfcasanova wirklich an einem Herzinfarkt gestorben? Die ehemalige Kommissarin beginnt zu ermitteln ...

Über den Autor

Andreas Erlenkamp ist das Pseudonym des erfolgreichen deutschen Krimiautors Andreas J. Schulte. Zusammen mit seiner Frau Christine schreibt er als Barbara Erlenkamp unterhaltsame Frauenromane. Mit seiner neuen Mosel-Krimi-Reihe um die ehemalige Kommissarin Clarissa von Michel und die Mitglieder des Krimi-Lese-Clubs in Niedermühlenbach verbindet er seinen Erfolg als Krimischriftsteller mit den Erlenkamp-Wohlfühlromanen. Der Autor wohnt mit seiner Familie am Rande der Osteifel.

Andreas Erlenkamp

Deutsche Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Clarissa Czöppan

Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer

Covergestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de unter Verwendung von Motiven © Getty Images: ah_fotobox | phatthanit_r | Michael Burrell | elnavegante | JJKH | ErikSkov | urfinguss | Miiicha | Thomas_Renz

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-0232-4

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Für Tine.

Das Leben mit Dir ist wie guter Wein, es wird immer besser.

»Ein gutes Glas Wein ist geeignet, den Verstand zu wecken.«

Konrad Adenauer

Prolog

Weit unten floss die Mosel träge dahin. Ein blaugrauer Strom mit kleinen Wellen, auf denen die Morgensonne helle Lichtpunkte funkeln ließ.

Der Fluss hatte sich über Jahrtausende seinen Weg durch die steilen Berge rechts und links gegraben. Weinberge, die schon in wenigen Monaten wieder sattgrün im Sonnenlicht glänzen würden.

Die kleine Ortschaft am Rand einer der zahlreichen Moselschleifen lag zwischen dem Wasser und den alten grauen Felsen, die hoch über allen Schieferdächern emporragten. Dicht drängten sich die Häuser aneinander.

Oben im Wingert auf einer Holzbank sitzend vergaß er bei diesem Anblick für einen Moment seine Probleme. Er hatte extra ein Sitzkissen gegen die Kälte mitgenommen, so konnte er entspannt warten.

Später am Tag würden sich die Wohnmobilplätze am Ufer füllen, würden Touristen die engen Gassen im Ort und die Spazierwege in den Weinbergen bevölkern. Ein sonniger kalter Wintertag, das lockte viele an die Mosel. Von alldem war jetzt noch nichts zu sehen. Aber warum an diesem Ort? Fast eine Stunde hatte er gebraucht, um über Niedermühlenbach hierherzuwandern. Hoffentlich hatte sich der Weg gelohnt. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, das Laufen hatte ihn mehr angestrengt, als er selber zugeben wollte. Ich muss wieder mehr für meine Fitness tun, dachte er. Mitte vierzig ist kein Alter, um außer Atem zu kommen. Dann aber lachte er verbittert auf. Wenn kein Wunder geschah, hatte er ganz andere Sorgen am Hals als seine mangelnde Fitness.

Er sah die massige Gestalt den schmalen Weg entlangschreiten, selbstbewusst, herrisch, als würde der Trampelpfad dieser Person allein gehören. In dem Moment keimte in ihm der Verdacht auf, dass dieses Treffen von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Der andere hatte ihn demütigen wollen, hatte ihn auf diesen langen Weg geschickt, um ihm ein weiteres Mal vor Augen zu führen, wer von ihnen der Bittsteller war, derjenige, der sich absonderlichen Wünschen beugen musste.

Ja, in diesem einen Moment, in dem er das amüsierte Gesicht des anderen in der Morgensonne sah, wurde ihm klar, dass er hier mit Bitten keinen Erfolg haben würde. Er musste schwerere Geschütze auffahren. Nicht zum ersten Mal dachte er an Mord. Es wäre nicht der erste, den der Fluss dort unten in seiner Geschichte miterleben würde, und sicher nicht der letzte.

Willkommen in Niedermühlenbach

Willkommen in Niedermühlenbach! Nur wenige Meter hinter dem Ortseingangsschild stand ein großer Basaltstein mit dem eingravierten Willkommensgruß. Clarissa bremste; nicht, weil sie den Wunsch hatte, die weiteren Inschriften auf dem Stein zu entziffern, sondern weil keine zehn Meter vor ihrem Auto eine Kuhherde die Straße passierte. Gemächlich trotteten die Tiere vorwärts. Clarissa schaltete den Motor aus und ließ vorsichtig die ewig verspannte rechte Schulter kreisen. Die Zwangspause gab ihr immerhin die Gelegenheit weiterzulesen. Schönstes Dorf des Jahres 2001 und 2002 –na, das klingt ja vielversprechend, dachte sie.

Dicht an dicht schoben sich die schweren braunen Leiber über die Straße. Die letzten Nachzügler waren endlich auf der anderen Seite angekommen. Was Clarissa irritierte, war, dass den Kühen niemand folgte. Kein Landwirt, kein Kuhhirte, niemand. Mussten solche Tiere nicht zusammengehalten werden? Anscheinend wussten die Kühe auch ohne Begleitung genau, wohin sie gehen mussten. Clarissa schüttelte verwundert den Kopf. »Willkommen in Niedermühlenbach«, murmelte sie, startete die Zündung und fuhr weiter.

Nach dem Ortsschild war erst mal nichts mehr, keine Höfe mit Ställen, keine Wohnhäuser, nur eine gewundene, steil ansteigende Landstraße. Das machte das plötzliche Auftauchen der Kuhherde noch mysteriöser. Sie fragte sich gerade, ob sie irgendeine Abzweigung verpasst hatte, als die Straße eine scharfe Rechtskurve machte – und da lag vor ihr in einem kleinen Tal Niedermühlenbach. Clarissa bremste erneut, lenkte das Auto rechts auf den Grünstreifen und hielt an, um das Dorf zu betrachten. Normalerweise wäre sie nie auf die Idee gekommen, im laufenden Verkehr zu halten, um sich etwas anzusehen, aber hier sollte das wohl kein Problem sein. In den letzten zehn Minuten war sie mutterseelenallein auf der Landstraße gewesen, abgesehen von der Kuhherde natürlich. Das Moseltal lag nur wenige Kilometer entfernt, sie befand sich sozusagen im Hinterland, oberhalb der Mosel, da gab es augenscheinlich deutlich weniger Verkehr. Weniger Verkehr, dafür mehr herrenlose Kühe.

Niedermühlenbach war ein altes Dorf. Die meisten Häuser waren aus Bruchstein erbaut und besaßen schiefergedeckte Dächer. Hier und da gab es altes Fachwerk, einzelne Nebengebäude aus grau verwittertem Holz und am Dorfrand einige wenige moderne Einfamilienhäuser. Ein Bach schlängelte sich zwischen den Häusern hindurch. Soweit Clarissa das erkennen konnte, gab es zwei kleinere Brücken über diesen Bach. Mittelpunkt des Dorfes war ein Marktplatz, der auf der einen Seite von dem Bach begrenzt wurde. Ein Teil der Straßen rund um den Marktplatz und zwischen den Häusern schien noch mit Kopfsteinpflaster versehen zu sein. Oberhalb des Marktplatzes, auf einer kleinen Anhöhe, stand eine weiß verputzte Kirche. Das Ganze machte in der Märzsonne einen so friedlichen und idyllischen Eindruck, dass Clarissa die Auszeichnung »Dorf des Jahres« durchaus nachvollziehen konnte. Jede Wette, dass später im Frühling an den meisten Bruchsteinhäusern große Blumenkästen zusätzliche Farben ins Bild bringen würden. Clarissa fuhr wieder los. Während sie gemächlich in Richtung Dorf weiterfuhr, wanderten ihre Gedanken zurück. Vor drei Tagen hätte sie nicht einmal im Traum daran gedacht hierherzukommen. Das Einzige, woran sie damals gedacht hatte, war der Wunsch gewesen, sich eine Auszeit zu gönnen. Doch das war leichter gesagt als getan. Eine geschlagene Stunde lang hatte sie nach dem Frühstück damit zugebracht, diverse Internetseiten von Ferienhausanbietern durchzusehen. Im Grunde hatte sie gar nicht weit weggewollt. Sie hatte das Bedürfnis nach Ruhe, sauberer Luft und möglichst langen Wegen für ihre geliebten Spaziergänge gehabt – dafür musste sie doch nicht Stunden im Auto sitzen. Häuser in Dänemark, in den Alpen, in Südfrankreich oder auf einer friesischen Insel – alles wunderschön, aber wenn sie ehrlich war für einen mehrwöchigen Aufenthalt viel zu teuer. Zumal die meisten Häuser sich erst dann rechneten, wenn man nicht als Single dort wohnte. Resigniert hatte sie dann ihren Laptop zugeklappt.

Clarissa spürte jetzt noch den Frust. Sie war es einfach gewohnt, mit Gründlichkeit und Geduld ans Ziel zu kommen. Nicht umsonst hatte sie als Erste Kriminalhauptkommissarin und Leiterin der Mordkommission auf diese Weise jahrelang Erfolge gefeiert. Meistens jedenfalls waren es Erfolge gewesen. Die Fehlschläge dagegen ... nun ja, auch das Kapitel hatte sie abgeschlossen. Und die Zeit bei der Kriminalpolizei lag hinter ihr. Clarissa seufzte und hätte, so tief in der eigenen Vergangenheit versunken, fast die Zufahrt zum Dorfplatz übersehen. Sie verdrängte alle trüben Gedanken. Am Ende hatte sie, was die Haussuche betraf, doch Erfolg gehabt.

Auf dem Marktplatz gab es unmittelbar am Bachufer einige Parkplätze. Clarissa stieg aus, ging um ihren Kombi herum und holte ihre Sachen vom Beifahrersitz. Ein weißer Audi TT mit Koblenzer Kennzeichen war das einzige andere Auto, das hier stand.

Es war fast Mittag, und sie bekam plötzlich Appetit auf eine Tasse Tee oder Kaffee und ein Stück Kuchen. Heute früh hatte es nur ein hastiges Frühstück gegeben. Gestern hatte sie einen ganzen Tag lang gepackt und die Wohnung aufgeräumt. Frau Krause aus dem dritten Stock würde ab und zu in der Wohnung nach dem Rechten sehen, da sollten die Zimmer einen ordentlichen Eindruck machen.

Die Chancen auf Kuchen standen durchaus gut, denn Frau Adenau, die die Schlüssel für das Ferienhaus bereithielt, war die Besitzerin der Bäckerei und Konditorei Adenau. Kirschstreusel wäre jetzt großartig, dachte Clarissa, und bei dem Gedanken knurrte ihr Magen.

Heute früh in der Stadt war es noch empfindlich kühl gewesen, aber jetzt, in der Mittagssonne, nahm Clarissa ihre geliebte Barbourjacke über den Arm, anstatt sie anzuziehen. Sogar der Wollpulli über der Bluse war eigentlich schon zu warm. Herrlich! Sie drehte ihr Gesicht zur Sonne, schloss die Augen und genoss die Wärme.

Mitten auf dem Dorfplatz stand ein großes Denkmal, umgeben von einem runden Blumenbeet. Clarissa schmunzelte, als sie die Figur auf dem Sockel näher betrachtete. Ein Mann in Knickerbockern, Sakko und mit einer Schirmmütze auf dem Kopf. Auf den ersten Blick sah das Denkmal aus wie das genaue Abbild von Nick Knatterton. Wie sehr hatte sie diese Zeichentrickserie im Fernsehen geliebt. Damals hatte sie ganz am Anfang ihrer Laufbahn als Polizistin gestanden. Hatte Niedermühlenbach etwa dem berühmten Comic-Detektiv ein Denkmal gesetzt? Wohl kaum. Wer war wohl der Unbekannte mit der riesigen Nase? Clarissa suchte nach einer Inschrift und entdeckte schließlich eine Messingtafel. Oskar Leander Höhlbein-Bröhmke der Ältere –Clarissas Lächeln wurde noch eine Idee breiter. Was für ein Name. Sie hatte keine Ahnung, wer dieser Höhlbein-Bröhmke war. In der einen Hand hielt er einen Stift, in der anderen ein aufgeschlagenes Buch. Ein zu Recht vergessener Dichter? Clarissa nahm sich vor, in den nächsten Tagen herauszufinden, um wen es sich hier handelte. Jetzt aber gewann doch der Kuchenappetit die Oberhand. In gerader Linie am Denkmal vorbei erblickte Clarissa ein Schaufenster, auf dem in geschwungener Schreibschrift Bäckerei & Konditorei Adenau stand.

Als Clarissa den Laden betrat, ertönte ein melodisches Doppelklingeln. Zwei altmodische Messingglöckchen hingen am Türrahmen und bimmelten jedes Mal leise, wenn sich die Tür öffnete oder schloss.

»Bin gleich da, Augenblick noch«, rief eine Stimme aus dem Hintergrund. In der Luft hing der Duft von frisch gebackenem Brot mit einem Hauch Kaffee und etwas Süßem, das Clarissa nicht einordnen konnte. Vielleicht Kuchen oder Zuckerguss. Ohne Umwege steuerte Clarissa direkt auf die gläserne Theke zu und betrachtete neugierig die Auslage. Schon beim Anblick der Plunderteilchen lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Zu ihrer großen Freude entdeckte sie weiter links ein ganzes Blech Kirschstreuselkuchen.

»Ich habe dich gestern Abend dreimal angerufen, und du bist nicht ans Telefon gegangen. Also: Was war los?«

Die Stimme klang vorwurfsvoll und ein wenig schrill. Sie gehörte einer jungen Frau, die an einem Zweiertisch zusammen mit einem Mann saß. Erst jetzt bemerkte Clarissa, dass sie nicht allein im Laden war, und drehte sich um. Sie sah das selbstgefällige Lächeln im Gesicht des Mannes, der zurückgelehnt die Vorwürfe seiner Begleiterin über sich ergehen ließ. Man sagt, dass man nur wenige Sekunden benötigt, um einen Menschen einzuschätzen und zu wissen, ob man ihn sympathisch findet oder nicht. Clarissa musste lediglich dieses Lächeln sehen und wusste, dass ihr dieser Typ von Herzen zuwider war.

»Mach mal halblang, Tanja, ich hab dir doch schon gesagt, dass ich gestern Abend Überstunden geschoben habe. Ich habe eine extrem wichtige Präsentation im Büro zusammengestellt, weißt du doch. Deine ganzen Eifersuchtsdramen sind so was von ungerechtfertigt.«

Die herablassende Stimme hielt, was das Lächeln versprach: Clarissa fühlte sich in ihrer ersten Einschätzung bestätigt.

»Hallo, Sie müssen mir verzeihen, dass ich Sie habe warten lassen, aber der Käsekuchen ist ja eine solche Mimose, den musste ich noch schnell aus dem Ofen holen.«

Die Stimme, die Clarissa aus der Betrachtung des jungen Mannes herausholte, gehörte einer kleinen, rundlichen Frau, die Clarissa anstrahlte, als wäre sie eine lang verloren geglaubte Verwandte. Clarissa hatte keinerlei Zweifel, dass sie Frau Adenau selbst gegenüberstand. Die Konditorin war ein paar Jahre jünger als sie, schätzungsweise Anfang bis Mitte fünfzig, trug die welligen schulterlangen braunen Haare zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden und eine runde Hornbrille auf der Nase. Überhaupt war alles ziemlich rundlich an ihr: die kleine, stämmige Figur, die vollen Wangen. Beim Anblick von Frau Adenau musste Clarissa unwillkürlich an einen barocken Puttenengel denken. Einen Puttenengel, der ständig gute Laune verbreitete.

»Guten Tag! Ich habe noch nicht lange gewartet, kein Problem. Sie sind bestimmt Frau Adenau?«, fragte Clarissa. Die Frau nickte freundlich. »Mein Name ist Clarissa von Michel. Meine Kusine Elli Stockmann hat Sie sicher informiert, dass ich für eine Weile in das Ferienhaus einziehen werde.«

»Willkommen! Willkommen in Niedermühlenbach! Ja, Frau Stockmann hat mich angerufen. Ich bin ja so froh, dass jemand in das alte Haus einziehen will. Es ist doch eine Schande, dass das alles so lange leer steht. Natürlich schaue ich regelmäßig nach dem Rechten. Alle zwei Wochen, oder wenn sich Gäste ankündigen, mache ich dort auch sauber, aber es ist doch etwas ganz anderes, wenn ein Haus auch mit Leben gefüllt ist.«

Clarissa hatte nicht den Eindruck, dass die Konditorin eine konkrete Antwort auf ihren Wortschwall erwartete – also nickte sie lediglich zustimmend.

Frau Adenau schaute auf eine Wanduhr.

»Ach herrje, das ist jetzt aber ärgerlich. Ich möchte Sie am liebsten zum Haus begleiten, dann kann ich Ihnen vor Ort alles Notwendige zeigen. Aber ich habe zwei Apfelkuchen im Ofen, die brauchen noch eine Viertelstunde. Ausgerechnet heute bin ich allein im Laden. Mein Mann musste nach Gerolstein, und unsere Auszubildende ist in der Berufsschule. Darf ich Sie vielleicht zu einer Tasse Kaffee einladen, während Sie auf mich warten?«

»Eine Tasse Milchkaffee hätte ich sowieso gleich bei Ihnen bestellt, und ein Stück Kirschstreuselkuchen dazu wäre himmlisch. Machen Sie sich überhaupt keine Gedanken, ich habe Zeit.«

»Da bin ich aber beruhigt. Kaffee und Kuchen kommen sofort, und natürlich lade ich Sie gerne auch auf ein Stück Kuchen ein. Wir Profis sprechen da von ›anfixen‹«, Frau Adenau zwinkerte Clarissa zu. »Der Adenau'sche Streuselkuchen ist hier in der Gegend berühmt. Wenn man den einmal probiert hat, wird man ihn immer kaufen. Suchen Sie doch bitte aus, wo Sie sitzen möchten, ich bringe Ihnen gleich alles an den Tisch.«

Clarissa wählte einen Platz in der Mittagssonne, von dem sie freie Sicht nach draußen hatte, gleichzeitig aber eine Wand hinter sich und den Raum im Blick hatte.

»Boah, probier mal den Latte. Haben die dafür Instantkaffee genommen? Der ist ja unterste Kategorie.«

Mister Unsympath hatte so laut gesprochen, dass Frau Adenau an der Espressomaschine erschrocken zusammenzuckte.

»Hör auf, Dennis«, wisperte seine Begleitung. »Das ist peinlich. Mein Cappuccino schmeckt super. Tu doch nicht so, als wärst du der Kaffeeexperte. Außerdem hast du mir meine Frage noch nicht beantwortet.«

Clarissa sah, dass die junge Frau vor lauter Verlegenheit rote Flecken am Hals bekommen hatte.

»Nerv nicht rum. Ich hab keinen Bock mehr auf dein Gezicke.« Der Mann, den die Frau mit Dennis angesprochen hatte, griff in seine Hemdtasche, holte mit großer Geste einen Zwanzigeuroschein heraus und warf ihn achtlos auf den Tisch. Er nahm seinen Autoschlüssel vom Tisch. Clarissa erkannte ein silbernes Logo am Schlüsselbund. Offenbar waren die beiden mit dem weißen Audi TT gekommen.

»Ich erklär der Dicken nur noch eben, wie man einen richtigen Latte zubereitet«, sagte er lässig im Aufstehen.

Clarissa sah mit einem raschen Seitenblick, dass Frau Adenau, obwohl sie vorgab, nichts zu hören, stocksteif wurde. Ihre ganze Körperhaltung drückte Zorn und Unbehagen aus.

Jetzt konnte Clarissa nicht länger tatenlos zuhören, es wurde Zeit einzuschreiten. Sie blickte ihn direkt an und sagte: »Junger Mann, Sie werden sich jetzt hübsch wieder hinsetzen oder meinetwegen auch diese Konditorei verlassen, aber ganz sicher werden Sie hier nicht weiter unhöflich herumpöbeln und andere Leute beleidigen. Es ist schon schlimm genug, dass Sie Ihre Freundin anlügen.« Clarissa hatte noch nicht einmal die Stimme erhoben, aber ihr Tonfall war unmissverständlich und der Effekt beeindruckend.

Dennis, der Unsympath, blieb wie angewurzelt stehen und schaute sie verdutzt an.

Er brauchte tatsächlich ein paar Atemzüge, um sich wieder zu fangen. Wahrscheinlich hatte das letzte Mal vor fünfzehn oder zwanzig Jahren jemand in diesem Tonfall mit ihm gesprochen.

»Sag mal, Omi, wer hat dich denn nach deiner Meinung gefragt? Und was soll das heißen, ich würde Tanja anlügen?«

»Die Omi lass ich Ihnen mal durchgehen, weil ich heute einen wirklich netten Tag habe. Sie haben laut genug gesprochen, dass wir alle zuhören mussten, wie Sie Ihre Freundin gerade angelogen haben. Wie ich darauf komme? Es ist doch wohl offensichtlich, dass Sie keineswegs gestern im Büro waren, um irgendeine Präsentation zu erstellen. Sie haben nach einundzwanzig Uhr an der Bar getrunken – und zwar in Begleitung einer schwarzhaarigen Dame, mit der Sie dann noch ziemlich eng getanzt haben.«

»Dennis, ist das wahr?«

Die Frage seiner Freundin tat der Angesprochene mit einer unwirschen Handbewegung ab. »Woher wollen Sie das alles wissen? Ich meine, Sie waren doch nicht ...«

»Ob ich dabei war, wie Sie im Café Zero den Abend verbracht haben? Nein.«

Dennis wurde bei der Erwähnung des Koblenzer Tanzclubs ganz blass um die Nase. In der Konditorei hätte man jetzt eine Feldmaus fiepsen hören können.

»Sie haben in Sachen Betrug noch eine Menge zu lernen, wobei ich befürchte, dass bei Ihnen wahrscheinlich schon die Grenze des Machbaren erreicht ist.« Ohne zu lächeln, zählte Clarissa an den Fingern die Fakten auf. Solche Details wahrzunehmen war ihr im Laufe der Jahre zur zweiten Natur geworden. Reine Routine, Routine gepaart mit einem nahezu fotografischen Gedächtnis. Eine unschlagbare Kombination, wie etliche Insassen diverser Haftanstalten bestätigen konnten. »Also: Den Rest des Stempels mit dem Zero-Logo kann ich sogar aus drei Metern Entfernung auf Ihrem Handrücken sehen. Mich wundert, dass Ihre Freundin – Tanja, nicht wahr? – ihn noch nicht bemerkt hat. Gestern war Donnerstag, da öffnet die Bar immer um einundzwanzig Uhr, die meisten trinken dort erst mal was – zumindest war das bei meinem letzten Besuch dort noch so üblich. Tanja ist blond und der Frühlingstyp, der Lippenstiftrest an Ihrem Jackettkragen ist pink. Eine Freundin von mir ist Visagistin, die könnte Ihnen das auch bestätigen: Kein Frühlingstyp mit Verstand würde einen pinken Lippenstift verwenden, höchstens ein ganz helles Rosa. Ein kräftiges, kaltes Pink passt zu Frauen mit schwarzen Haaren, dem Wintertyp. Sie sollten aufpassen, wem Sie zu nahe kommen. Und Stempelfarbe bekommt man übrigens leicht mit Deo ab.«

»Das ... das ... so einen Scheiß muss ich mir doch nicht anhören!« Dennis stürmte nach draußen und warf die Ladentür hinter sich zu. Tanja folgte ihm widerwillig, und ihr wütendes Gesicht sprach Bände. Als sie die Türklinke schon in der Hand hielt, drehte sie sich noch einmal um. »Entschuldigen Sie bitte den Auftritt! Der Kuchen und der Cappuccino waren erstklassig«, sagte sie in Richtung Ladentheke. Zu Clarissa gewandt ergänzte sie: »Danke! Ich ahne das schon seit Wochen.«

»Sie haben etwas Besseres verdient«, erwiderte Clarissa.

Die junge Frau schenkte ihr dafür ein zaghaftes Lächeln und nickte zustimmend, bevor sie den Laden verließ.

»Das war ... was soll ich sagen? Das war ja wie im Krimi.« Frau Adenau kam hinter der Ladentheke hervor. »So etwas habe ich noch nie erlebt. Wie Sie mit dem Kerl fertiggeworden sind.«

Clarissa zuckte mit den Schultern. »Ich kann Lügen einfach nicht ausstehen.«

Frau Adenau stellte den Teller mit Kuchen und die Tasse Milchkaffee vor Clarissa ab, hielt ihr die Hand entgegen und sagte freundlich: »Ich bin Vera, und jetzt noch mal ganz offiziell: Ich freue mich, dich kennenzulernen.«

»Clarissa, meine Freunde sagen Clarissa, niemals Clara, zu mir.«

Vera schüttelte Clarissa feierlich die Hand.

»Danke, dass du dich um diesen Flegel gekümmert hast, Clarissa. In Niedermühlenbach haben wir so was nicht oft. Das hier ist ein nettes Dorf.«

»Die menschliche Natur ist sich überall mehr oder weniger gleich, und natürlich bietet ein Dorf die Gelegenheit, sie aus der Nähe zu beobachten.«

»Oh, das kenne ich, das ist ein Zitat von Agatha Christie.«

»Erwischt. Miss Marple, Der Daumenabdruck ...«

»... des heiligen Petrus, natürlich. Oh, Clarissa, du magst Krimis? Das ist ja großartig. Du musst am Sonntag unbedingt zum KC-Treffen kommen. Ich bestehe drauf.«

»KC-Treffen?«

»KC: Der Krimi-Club. Wir treffen uns alle zwei Wochen und tauschen uns über Krimis aus, wir organisieren Dorffeste und einmal im Jahr eine große Dorffahrt, zu der auch alle Nicht-Krimifans eingeladen sind. Und dann gibt es natürlich die Krimileckerbissen: Vor drei Jahren waren wir in England, und im letzten Jahr haben wir ein Krimidinner in Hillesheim im Krimihotel besucht. Und für die diesjährige Dorffahrt haben wir uns wieder ein absolutes Highlight ausgesucht, aber das darf ich noch nicht verraten.«

Veras Augen leuchteten, sie schien vor Stolz und Begeisterung beinah zu platzen – Clarissa konnte unmöglich Nein sagen. Trotzdem verspürte sie einen leichten Unwillen. Sie tauschte sich gern über Krimis aus, und eine gewisse Realitätsferne in manchen Büchern störte sie nicht. Darin war sie ganz anders als viele ihrer Kollegen, die bei Krimis immer nur die Augen verdrehten. Aber sie wollte erst einmal in Ruhe ankommen und die Gegend kennenlernen. Die Freiheit genießen, keinerlei Verpflichtungen zu haben. Nun war sie seit nicht einmal dreißig Minuten in Niedermühlenbach und hatte schon den ersten Termin.

»Vera, ich komme liebend gern zu einem Treffen des Clubs. Nur nicht gleich übermorgen. Ich möchte erst einmal ankommen und verschnaufen.« Enttäuschung schlich sich in Veras Lächeln. Clarissa schob schnell nach: »Wenn ihr euch alle zwei Wochen trefft, könnte ich stattdessen beim nächsten Treffen dabei sein.«

»Das wäre schön. Ich dummes Huhn muss ja auch gleich vorpreschen und dich mit meiner Einladung überfallen.«

Jetzt sah Vera so zerknirscht aus, dass Clarissa ihre Absage fast schon wieder bedauerte. Aber nein, sie wünschte sich Ruhe, und von diesem Plan würde sie nicht abrücken.

»Wir schließen gleich, hier in Niedermühlenbach machen alle Geschäfte eine Mittagspause. Dafür arbeiten wir dann aber auch bis achtzehn Uhr, also zumindest donnerstags und freitags. Ja, bei uns wird Dienstleistung am Kunden noch großgeschrieben. Daran wirst du dich auch erst einmal gewöhnen müssen.«

Clarissa hatte Mühe, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen. Zum Glück erwartete Vera keine Antwort. Im Gegenteil, Clarissa hätte Probleme gehabt, den Wortschwall zu unterbrechen.

»Also wie gesagt, wir machen gleich Mittagspause. Während der Zeit könnten wir zum Haus fahren, das heißt, wenn es dir nichts ausmacht, mich mitzunehmen. Wolfgang, mein Mann, hat den Wagen. Zurück würde ich dann laufen.«

»Unfug, wir fahren zusammen, und danach bringe ich dich zurück, ich muss ja auch noch ein paar Dinge fürs Abendessen einkaufen«, sagte Clarissa. »Wo wir schon mal dabei sind, ein Roggenbrot würde ich gleich bei dir mitnehmen.«

»Bekommst du, ich hol nur noch schnell die Kuchen raus.«

Vera verschwand wieder im hinteren Teil des Geschäfts, wo Clarissa die Backstube vermutete. Jetzt hatte sie endlich Gelegenheit, in aller Ruhe ihren Kuchen zu genießen. Vera hatte nicht zu viel versprochen: Der Kirschstreusel war der beste Streuselkuchen, den sie seit Jahren gegessen hatte. Jetzt weiß ich, was Vera mit »anfixen« gemeint hat, dachte sie zufrieden und nahm sich vor, hier regelmäßig Kuchen zu kaufen.

Das Goethe-Haus

»Und Elli Stockmann ist also deine Kusine. Ich finde, es toll, dass du das Goethehaus mietest.« Vera gelang mühelos das Kunststück, mit knappen Handbewegungen Clarissa durch den Ort zu dirigieren und trotzdem über etwas ganz anderes zu reden.

Zum Glück herrscht hier kaum Verkehr, dachte Clarissa, bevor sie laut antwortete.

»Das Goethehaus? Der Dichterfürst hat mal an der Mosel gelebt? Das wusste ich ja gar nicht.«

Bei Clarissas Frage kicherte Vera. »Das war meine Idee, ich habe sie damals Frau Stockmann vorgeschlagen. Ich hatte gehofft, ein paar Touristen aus dem Ausland für das Haus zu interessieren, Engländer vielleicht. Und Goethehaus hat doch Klang. Weißt du, der letzte Besitzer war ein alter Förster, Gregor Goethe. Man muss ja nicht erwähnen, welcher Goethe dort mal gewohnt hat.« Vera kicherte wieder los.

»Wenn man bedenkt, dass in England an jedem dritten alten Haus ein Schild hängt, dass dort mal Maria Stuart auf der Flucht übernachtet hat, ist die Idee wirklich nicht übel«, stimmte Clarissa zu, »aber ist der Plan aufgegangen?«

»Überhaupt nicht! Leider gibt es kaum Interessenten. In den letzten dreizehn Monaten ist das Goethehaus lediglich einmal vermietet worden.«

Vera sagte das so betrübt, als wäre sie selbst dafür verantwortlich.

»Nun, ich habe es jetzt jedenfalls gemietet und bin schon sehr gespannt. Ist es eigentlich noch weit?«

»Nein, nur noch die Straße ein Stück geradeaus. Hier ist ja schon der Ortsausgang. Wir fahren noch einen halben Kilometer, da hinten bei der Baumgruppe, da müssen wir links rein.«

Vera deutete auf ein paar Bäume. Und trotz des Hinweises hätte Clarissa fast den schmalen Feldweg übersehen. Gerade noch rechtzeitig bog sie ab und folgte dem Weg, der sich durch einen kleinen Wald schlängelte. Ein Forsthaus liegt nicht am Marktplatz, schon klar, überlegte Clarissa.

»Halt gleich mal kurz an, den Anblick mag ich besonders«, bat Vera. Einen Moment später wusste Clarissa genau, was sie meinte. Rechts und links der Straße waren jetzt schmale Wiesenstreifen zu sehen, die Bäume waren lichter und kleiner. Am Waldrand, wenige Hundert Meter vor ihnen, lag ein eingeschossiges Haus, weiß verputzt mit einer Giebelverkleidung aus dunklem Holz und einem Sockel aus hellbraunen Bruchsteinen. Vor dem Haus gab es einen Kiesplatz, und neben dem Haus konnte Clarissa eine hüfthohe Steinmauer ausmachen. Wahrscheinlich der Küchengarten, dachte sie.

»Sieht das nicht aus wie auf einer dieser Postkarten?«, fragte Vera, und in ihrer Stimme schwang Stolz mit, als wäre sie für diesen Anblick verantwortlich.

»Ja, es ist wirklich schön hier.«

»Noch besser wird es hinter dem Haus. Da gibt es dieses lang gezogene Tal zwischen den Wäldern. Das Grundstück geht praktisch in dieses Tal über, und man hat den Eindruck, dass einem ein riesiges Stück Land gehört.«

Elli hatte ihr per Mail ein paar Fotos geschickt, aber in Wirklichkeit sah das Haus noch viel hübscher aus. Kein Foto konnte die Weiden, den Wald, die Sonne und vor allem die Atmosphäre von Ruhe und Frieden einfangen.

Sie setzten sich erneut in Bewegung. Plötzlich fiel Clarissa wieder die Kuhherde ein, die ihr am Ortseingang begegnet war.

»Hör mal, als ich angekommen bin, hat eine Kuhherde die Straße überquert, direkt am Ortseingangsschild, nur dass niemand in der Nähe war. Ist das bei euch normal?«

»Ach du meine Güte! Augenblick, fahr einfach weiter, wir können direkt vor dem Haus halten. Entschuldige, ich muss mal schnell jemanden anrufen.«

Vera zog ihr Handy aus der Tasche und wählte auswendig eine Nummer.

»Bartel? Vera hier ... ja, die Vera!«

Bei der Lautstärke, mit der Vera gerade in ihr Handy brüllte, wäre Clarissa vor Schreck fast in den Graben gefahren.

»Deine Kühe sind wieder ausgebrochen! Nein, ich habe nichts versprochen, ich sagte ausgebrochen! Ja, deine Kühe! Was in der Frühe? Quatsch, Bartel, kauf dir endlich ein Hörgerät. Deine Viecher sind draußen, ja, sag ich doch. Gut.«

Vera steckte das Telefon zurück in die Tasche und seufzte.

»Der alte Bartel, stocktaub, wenn du mich fragst. Aber das will er nicht wahrhaben. Er würde noch einen Floh husten hören, hat er letztens behauptet – dass ich nicht lache. Die Posaunen von Jericho würde er verschlafen. Ah, gut, wir sind da – komm, wir gehen rein, und ich zeig dir das Haus.«

Clarissa schwirrte der Kopf. Insgeheim freute sie sich schon auf den Moment, wo sie allein im Haus sein konnte.

»Vera, um ehrlich zu sein, wäre es mir sehr lieb, wenn ich das Haus alleine anschauen könnte. Sozusagen, um ganz in Ruhe anzukommen. Würdest du es mir sehr übel nehmen, wenn ich auf die große Hausführung verzichte?«

Vera wirkte weniger verstimmt als erstaunt. Wahrscheinlich kam es in ihrem Kosmos nicht vor, dass jemand auf ihre Erklärungen bei einem Rundgang durchs Haus verzichten mochte.

»Wenn du darauf bestehst«, erwiderte Vera, »dann verschwinde ich nur kurz in der Waschküche, um den Hauptwasserhahn aufzudrehen.« Die flüchtigen Anzeichen von Unmut in ihrem Gesicht verschwanden ebenso schnell, wie sie gekommen waren. Vera war augenscheinlich kein Mensch, der schnell etwas übel nahm. Sie ging zu einer niedrigen, tannengrün gestrichenen Holztür und öffnete ein Vorhängeschloss. »Sekunde, bin gleich wieder da.«

Als sie wieder herauskam, klopfte sie sich ein paar Spinnweben von der Hose.

»So, erledigt. Der blöde Hahn ist ganz hinten in einer Nische.« Sie drückte Clarissa den Schlüsselbund in die Hand. »Hier sind die Schlüssel. Der Kleine ist für die Vorhängeschlösser der Waschküche und des Gartenschuppens. Der große für den alten Weinkeller, die beiden übrigen fürs Haus und die Hintertür. Ach ja, fast hätte ich das vergessen!« Vera kramte aus ihrer Jackentasche noch einen Umschlag hervor. »Deine Kusine hat mir noch eine E-Mail für dich geschrieben. Hier, den soll ich dir mit den Schlüsseln geben. Sie wollte dich damit überraschen.«

»Lieben Dank!« Clarissa nahm die Schlüssel und den Umschlag. Die Mail würde sie später in Ruhe lesen. »Komm, ich fahre dich rasch ins Dorf zurück.«

Die Rückfahrt erschien viel kürzer als die Hinfahrt, aber das lag nur daran, dass Clarissa den Weg nun schon im Kopf hatte und dass Vera gleich zwei Telefonate nacheinander mit ihrem Mann führte.

Clarissa setzte die Bäckerin auf dem Marktplatz ab, versprach noch einmal, wirklich regelmäßig vorbeizukommen und auch das Treffen des Krimi-Clubs nicht aus den Augen zu verlieren.

»Und melde dich, wenn dir noch etwas fehlt. Meine Telefonnummer steht auf der Küchentafel«, sagte Vera. Die freundliche Fürsorge machte die letzte halbe Stunde mehr als wett. Vera als Gesellschaft war recht anstrengend, aber sie war wirklich nett. Clarissa nickte und fuhr dann zurück. Ja, sie musste nachher noch einkaufen, und sie hatte auch die Öffnungszeiten nicht vergessen, aber jetzt wollte sie erst einmal ganz allein und nur für sich das Haus, den Garten und das Grundstück erkunden.

Wohnen mit Jagdambiente

Mit einem leisen Seufzen schloss Clarissa hinter sich die Tür. Im Flur roch die Luft ein wenig abgestanden und staubig. Vera hatte unterwegs im Auto mehrfach bedauert, dass sie das Haus nicht gründlicher hatte lüften können. Kein Problem, dachte Clarissa. Sie nahm sich vor, später alle Fenster und Türen weit zu öffnen, um Frühlingswind und Sonnenschein hereinzulassen. Wahrscheinlich spürte man auch, dass die Heizung nicht optimal lief. So ein altes Haus mit dicken Wänden konnte im Winter schnell muffig und feucht werden. Gut, dass Elli schon einen Handwerker organisiert hatte, der in den nächsten Tagen nach der Gastherme sehen würde.

Still war es hier, viel stiller als in Clarissas Stadtwohnung. Dort waren selbst nachts noch Geräusche aus den anderen Wohnungen oder die Züge von der gegenüberliegenden Rheinseite zu hören. Hier aber gab es nichts außer ihrem eigenen Atem und einem fernen Knacken in den alten Balken des Hauses. Wunderbar!

Gleich hinter der Haustür blieb Clarissa stehen und musterte die Einrichtung. Elli hatte offenbar großen Wert darauf gelegt, die ursprüngliche Atmosphäre beizubehalten. Das war die wohlwollende Auslegung. Böse Zungen hätten auch behaupten können, dass Elli sich nicht die Mühe gemacht hatte, irgendetwas zu renovieren. Ein Foto des Flurs hätte im Lexikon neben dem Stichwort »Forsthaus, traditionell« stehen können. Gegen die Terrakottafliesen am Boden gab es nichts zu sagen, die waren schön. Die Wände waren hüfthoch mit dunkelbraun gebeizten Holzkassetten verkleidet und darüber pastellgrün gestrichen. Ein Grün, das Clarissa entfernt an die Erbsensuppe ihrer Mutter erinnerte. Scheußlich – sowohl die Suppe als auch die Farbe. Clarissa schüttelte sich unwillkürlich. Offenbar hatte Gregor Goethe diesen Farbton als optimalen Hintergrund für seine zahlreichen Jagdtrophäen angesehen. An den Wänden hingen knapp unter der Decke mehr als ein Dutzend gelblich schimmernde Schädel, alle ordentlich auf Eichenholzbrettchen montiert.

Über dem halbrunden Durchgang, der zum Rest des Hauses führte, prangte ein großer ausgestopfter Hirschkopf, der Clarissa mit starrem, kaltem Blick zu mustern schien. Irgendwie sieht der Hirsch, wenn das bei einem Tier überhaupt möglich ist, vorwurfsvoll aus, dachte Clarissa. Wahrscheinlich hat er sich sein Ende anders vorgestellt. »Ich glaub, ich nenn dich Hubertus. Na, guck nicht so grimmig, ich bleib eine Weile«, murmelte sie.

Rechter Hand führte eine breite Holztreppe in die obere Etage. Rechts und links von der Treppe gab es zwei Türen aus dunklem Eichenholz. Die eine wies ein kleines Sprossenfenster auf, das mit einem bräunlichen Antikglas versehen war. Entschlossen drückte Clarissa die Messingtürklinke herunter und fand sich in einem schmalen Zimmer wieder. Der Raum war fast leer, nur an einer Wand stand ein großer Stahlschrank mit zwei Schlössern, fast schon ein Tresor. Clarissa kannte solche Schränke, eine kleinere Ausgabe gab es in ihrem Schlafzimmer zu Hause: ein Waffenschrank.

Dieses Monstrum hier ließ vermuten, dass der ehemalige Hausbesitzer ein leidenschaftlicher Waffenliebhaber gewesen sein musste. An der Wand sah Clarissa noch ein paar längliche Schatten auf der Tapete, die ihr sagten, dass dort weitere Gewehre gehangen hatten, Zierstücke wahrscheinlich. Offensichtlich hat dieser Raum dem Förster zur Lagerung und Pflege seiner Waffen gedient, dachte sie und schloss die Tür wieder. Hinter der anderen Tür befand sich ein schmales Gäste-WC, dessen Tür Clarissa mit einem kurzen Schaudern schnell wieder zudrückte. Sandfarbene Fliesen mit einem Muster aus kleinen Bäumen. Ein erbsengrünes Waschbecken, gepflegt und sauber ... aber trotzdem. Wie viele Braun- und Naturtöne konnte ein Haus vertragen? Und mussten auch noch die Badezimmer in diesen Farben gestaltet sein?

Clarissa wandte sich zu dem Durchgang und zwinkerte noch einmal kurz dem ausgestopften Hirsch zu, bevor sie hindurchging. Ein paar Minuten später hatte sie sich mit den Räumen im Erdgeschoss vertraut gemacht: ein großes Wohnzimmer mit einem strapazierfähigen beigen Teppichboden, einem hübschen gemauerten Kachelofen und zwei großen Fenstern. Schwere Eichenmöbel und klobige dunkelbraune Ledersessel, die jedem Londoner Herrenclub zur Ehre gereicht hätten, verliehen dem Raum etwas durchaus Behagliches. Die Fenster boten einen atemberaubenden Blick auf das weite Tal hinter dem Haus. Neben dem Wohnzimmer lagen die geräumige Küche, die gleichzeitig auch als Esszimmer diente, eine Abstellkammer und das ehemalige Arbeitszimmer des Försters. Als Clarissa diesen Raum, der früher als Büro diente, sah, holte sie einmal tief Luft und lächelte glücklich. Gott, sah das gemütlich aus. Der Flur und die Badezimmerfarben ... geschenkt, das war nicht ihr Geschmack. Hier aber, in diesem Raum, stimmte alles. In einer Ecke gab es einen gusseisernen Kaminofen, darüber hing ein Ölgemälde, ein Tannenwald an einem Sommertag. Auf dem Bild schien das Sonnenlicht zu flirren, Clarissa meinte sogar, das Summen von Insekten hören zu können.

Vor dem Kaminofen standen zwei alte Ohrensessel, die herrlich bequem aussahen. Die übrigen Wände waren mit dunkel gebeizten viktorianischen Bücherregalen belegt, die bis an die Decke reichten. Eine Bücherleiter ließ sich an einer Führungsschiene vor den Regalen hin und her schieben. Beim Anblick der gut gefüllten Bücherregale fiel Clarissa wieder ein, dass sie ein kleines Messingschild mit der Aufschrift Bibliothek außen an der Tür gesehen hatte. Na klar, dachte Clarissa, ein Goethehaus braucht auch eine Bibliothek. Nur dass sich dieser Goethe – das bewies ihr ein rascher Blick auf die Buchrücken – mehr mit Forstverwaltungsrecht, Baumpflege und Schädlingsbekämpfung als mit Literatur beschäftigt hatte. Immerhin gab es aber auch mehrere Buchmeter Kriminalromane. Alte britische Schule: Agatha Christie, Edgar Wallace, Francis Durbridge – sehr gut. Die meisten Titel kannte Clarissa bereits, aber das sollte sie nicht davon abhalten, sie ein weiteres Mal mit Genuss zu lesen. Das wird mein neues Lieblingszimmer, dachte sie.

Während die meisten Räume eher rustikal eingerichtet waren, hatte Elli zumindest in der Küche Funktionalität großgeschrieben. Typisch Elli! Sie war schon immer ein Fan von modernen Küchenmaschinen gewesen. Soweit Clarissa auf den ersten Blick erkennen konnte, hatte Elli ihrem Hang zur Technik keine Zügel angelegt. Es gab eine elektrische Kaffeemühle, eine Espressomaschine und gleich daneben noch eine Filter-Kaffeemaschine. Toaster, Standmixer, Küchen- und Aufschnittmaschine. Die Kochinsel besaß zwei Gasflammen, ein Ceranfeld und eine gusseiserne Grillstation – Clarissa hatte eine Kochstelle in diesen Ausmaßen das letzte Mal bei der polizeilichen Durchsuchung einer Restaurantküche gesehen.