Ein Spaziergang in Dichters Garten - Erich Reißig - E-Book

Ein Spaziergang in Dichters Garten E-Book

Erich Reißig

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Beschreibung

Der Roman "Ein Spaziergang in Dichters Garten" erzählt Geschichten aus naher Vergangenheit. Ein Blick auf das Dasein im Malstrom der Zeit. Ernst. Ironisch. Humorvoll zuweilen. Da wo Wirklichkeit und Traum ineinander gleiten bilden sich Zonen der Fantasie. Vernünftig und schön. Flüchtig wie Feen.

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Das Buch ist ein Gedankenspiel. Handlung und Personen, wenn auch zuweilen der Wirklichkeit entnommen, folgen den Gesetzen der Fantasie.

Dank an Ania und Josi

Er war ihr erster Mann, die große Liebe. Es war gut, dass sie ihn verließ. Er verdiente sie nicht. Auch mit Vierzig ist man Revolutionär. Man bleibt es ein Leben lang. Es bedeutet nicht, dass man mit Steinen wirft oder Bomben zündet, wie sie sagen, sondern für das eintritt, was man als gerecht erkannt hat. Dass man dem Herzen folgt. Mörder sind nicht nur jene, die Waffen einsetzen, sondern auch jene, die sie herstellen, damit Geschäfte machen und damit Handel treiben. Handel, welch friedvolles Wort für schändliches Tun. Sie konnte die Typen nicht mehr sehen, die mit dem Bundesverdienstkreuz behängt wurden. Nein, sie lässt sich nicht einreden, dass der Aufstieg des Menschen mit der Waffe begann. Sie wird jeden verlassen, der so spricht, denkt oder handelt. Mörder sind alle, die ihre Träume verraten, vergessen und als Kinderkram abtun. Träume sind ebenso wichtig wie das, was die Augen sehen, die Sinne ertasten. Sie begleiten uns ein Leben lang. Träume sind Geschichten der Seele, die Seele ist wirklich wie der Leib. Ihre Verletzung gleichermaßen tödlich. Viele, denen der Leib nur zur Last gegeben worden ist, können ihr Dasein ertragen, weil die Seele sie am Leben erhält und Augenblicke des Glücks alle Schmerzen vergessen lassen. Regina braucht ihr Wissen, damit sie es aushalten kann auf dieser Welt, auf diesem Planeten, der ihr so grausam scheint.

Der Weg vom Hafen hinauf zur Ebene an brüllenden Büschen vorbei. Kraut. Erde. Zehntausend Vögel in ihrem Laubversteck. Mächtig, betörend fiel ihr Gesang über ihn her. Er lief durch ihr Lied, durch den Geruch dampfenden Grüns zur Sonne empor. Ein paar Häuser im Tau zwischen den Hecken. Unten am Meer war noch Nacht. Hier der Morgen prall. Über wie viel Rosen gehst du hinweg? Der entsetzliche Lärm eines Austin huschte an ihm vorbei. Tief im Dunkel der Scheiben blitzte neugierig ein helles Gesicht, das er zuvor auf der Fähre gesehen hatte, schlafend auf einer der Bänke, auf denen auch andere lagen. Leise gezupfte Saiten einer Gitarre strichen über sie hin. Die Band hatte auf dem Festland getourt. Müde und froh kehrten sie heim. Dylan Thomas und Joyce. Das irische Tagebuch. Wölfe, die Muscheln zerreißen, bevor sie sich von der Steilküste hinabstürzen ins aufschäumende Meer. Er suchte nach Leben im Grün. Von fern zu ihm her drang ein Hammerschlag. So lebten sie noch immer verborgen in ihrer Welt, wie seit Jahrhunderten. Rätselhaft blieb dieses Volk. Die tiefe Angst vor dem Hunger. Die Wehmut beim Trinken. Die großen Augen der Frauen, wenn sie die Männer in den Kampf ziehen ließen. Die Inbrunst, mit der sie gegen die Gebote aufbegehrten. Und doch hatten sie einst Missionare in die Tiefen des Kontinentes geschickt, damit sie die Heiden zum rechten Glauben führten. Geteert strebte der Weg über Schlaglöcher hinweg um die nächste Ecke aus unbehauenem Stein. Kiesel lagen in dem schmalen Zwischenraum zwischen Asphalt und Gras. Die überwucherten Mauern folgten der Straße, liefen quer und nicht endend über Weide und Feld durchs Hügelland. Überall soll es sie geben. Eine Handvoll Steine für einen Löffel Suppe. Die Sprache der Herren. Ihnen gehörten das Recht und das Leben. Sie waren die letzte Instanz.

Roman kämpfte, ob er sich ein Gläschen genehmigen sollte. Lydia hatte ihn nicht angeschaut am Morgen, hatte Teetasse und Teller in die Spüle geräumt und war grußlos zur Arbeit gegangen. Seine Erklärung am Abend, dass am Tscheremosch ein Ufo gelandet sei und Wodka verteilt habe, hing noch im Raum. Im Bett hatte sie nach ihm geschlagen als er ihren Leib berühren wollte und sich weggedreht. Grübelnd war er wach gelegen, hatte auf ihr Atmen gelauscht. Auch sie schlief lange nicht ein. Natürlich wusste er, dass es kein Ufo gewesen war, aber was hätte er ihr erzählen sollen? Sie würde auch nicht geglaubt haben, dass ein blauer VW-Bus am Bänkchen gehalten hatte, auf dem sie saßen und nachdachten, wo sich noch ein Fläschchen auftreiben lasse. Aus dem Bus sprangen vier Männer. Während drei zur Hängebrücke rannten und sie sich anschauten, holte der vierte Kamera und Stativ aus dem Heck des Wagens und schleppte die Gerätschaften zu den anderen. Roman und seine Kumpel betrachteten verwundert den jähen Einbruch in ihre Nachmittagsstille. Offensichtlich waren die vier nicht recht zufrieden mit dem, was sie sahen. Ein weißhaariger Dicker und ein Vollbärtiger diskutierten lautstark, während die beiden anderen wartend neben ihnen standen. Schließlich redete der Weißhaarige auf den Jüngsten der Gruppe ein, der sich gerade eine Zigarette anzünden wollte, und schickte ihn zu ihnen her. Der junge Mann, vermutlich ein Student aus Kiew, erklärte den Bauerntölpeln, sie würden hier einen Dokumentarfilm drehen und wollten die Hängebrücke fotografieren, aber ohne Menschen, die darüber liefen, bringe das nichts. Ob sie vielleicht einmal hin und her gehen könnten? Roman schaute die anderen an und zuckte fragend mit den Schultern. Keiner hatte Lust sich von der Bank zu erheben. Sollten sie selber drüber laufen. Was würde Lydia sagen, wenn sie ihn zufällig in einem Film sähe? Er war nicht passend angezogen um die Region oder sogar sein Land zu repräsentieren. Das waren Ausländer, er erkannte dies an den Schriftzügen auf ihrem blauen Bus. Lydia nahm dergleichen sehr genau. Sie nahm alles sehr genau. Er hatte noch ihre spitzen Kommentare zu der entblößten Rocksängerin im Ohr, die beim Eurovision Song Contest für die Ukraine aufgetreten war. Die hatte sich durchaus und drastisch von den Frauen unterschieden, die sie kannte. Lydia war hübsch. So würde sie sich nie zeigen. Das gehört sich nicht. Allerdings stellte der junge Mann ein kleines Honorar in Aussicht, das änderte die Sachlage, so dass sie sich schließlich aufrafften und auf Kommando des Weißhaarigen einmal die schmale Brücke hin und her liefen. Selbst Hund schloss sich ihnen an, der sonst jeden Fremden kläffend umwetzte. Er trottete still hinter ihnen her und kroch dann in den Schatten der Bank zurück, auf der sie sich nach dem Marsch erschöpft niederließen. Der Weißhaarige schien mit ihnen zufrieden zu sein. Er trug seine Kamera zum Bus zurück. Der Bärtige kramte in einer Tasche auf der Rückbank und kam mit drei Flaschen Wodka zu ihnen her. Er verbeugte sich sogar, während er diese ihnen überreichte. Dann knallten die Autotüren und der blaue Bus brauste davon. Rund zehn Minuten hatte alles gedauert. Was war da anderes zu erzählen, als dass ein Ufo am Tscheremosch gelandet war und sie mit Wodka versorgt hatte, den sie an diesem heißen Nachmittag bitter nötig hatten. Nach einem kleinen Schläfchen hatten sie sich dann am Abend vergnügt auf den Heimweg gemacht.

Je länger er auf der Insel unterwegs war, desto mehr wurde ihm klar, dass verwehte Träume nicht mehr aufzufinden sind. Als Student war er vor fast vierzig Jahren ein paar Mal in Irland gewesen, und später, als er Dokumentarfilme machte, wollte er immer auch hier einmal drehen. Es gelang nicht. Nach England und Schottland war er gekommen, nie auf die grüne Insel. Vielleicht deshalb hatte sie sich so eingefressen in sein Denken, dass er sich einzubilden begann, er könne auf ihr seinen Lebensabend verbringen. So wurde die Insel das erste Ziel, als er nach einer Bleibe zu suchen anfing. Von Rosslare über Wexford bis Cork hatte er nichts gefunden, was Dauer versprach. Lebensabend, wie das klang? Er fühlte sich jung, viel zu jung für einen Abend mit Goldrand. Zu früh war der große Schriftsteller der erwachenden Bundesrepublik verstorben. Er hatte seine ersten Bücher von Stahlberg, dann Fischer als Schüler von seinem Taschengeld erstanden, sie wie seine Augapfel gehütet und aufgeregt gewartet, bis ein neues Taschenbuch angekündigt wurde. „Seelandschaft mit Pocahontas“, wer außer ihm ersann solche Titel in dieser Zeit? Auch „Zettels Traum“ hatte er sich beschafft. Rund 500 Mark, viel Geld, weswegen er zunächst die billigere, geleimte Ausgabe in den neun Bändchen erwarb, die er aber schon am nächsten Tag zu seinem Buchhändler zurück brachte um stattdessen den gebundenen Koloss zu kaufen. Das Buch wartete in seiner Bibliothek, er hatte es immer noch nicht ganz gelesen. Er wollte es allein schaffen, ohne die Erläuterungen und Kommentare, die inzwischen erschienen waren. Verdienstvoll mochte die Haffmansausgabe sein, doch für ihn hatte sie keine Aura mehr. Einmal in Warschau, als es das DDR-Kulturinstitut in der Innenstadt noch gab, mit der großen Buchhandlung im Erdgeschoss, hatte er dort im Regal die dreibändige Berliner Ausgabe entdeckt. Noch einmal versank er in der Zeichen- und Buchstabenwelt des Wortmetz, und die Tage mit ihren Pflichten hielten geboten Distanz. Unvergessen auch, wie er den Fouque während der seinerzeit üblichen Berlinfahrt in der vorletzten Oberschulklasse in einem Buchladen im Europacenter fand. Den ganzen Abend lang hatte er einem Mädchen, das er in einem Café angeredet hatte, von diesen und anderen Büchern vorgeschwärmt. Er hörte damit auch nicht auf, als sie später am Kudamm saßen, Rücken an Rücken mit Rex Gildo, der ihm wie ein drahtig winziger Zwerg erschien, und nicht als der Superstar, den er aus dem Fernsehen und aus der Bravo kannte. Petra war hübsch und hundert Jahre älter als er. Sie wusste und verstand was er wollte, ihr aber nicht zu sagen traute. Sie ließ sich irgendwann zur U-Bahn bringen und verschwand, während er die Stufen hinauf zur Straße lief und den langen Weg in sein Hotel zurück. Doch hatte er den Fouque in der Tasche und die Erinnerung. Auf der langen Zugfahrt nach München las er in dem Band und schaute ab und an aus dem Abteilfenster auf das vorbeiziehende Land.

In Wexford, als die Männer im Pub zu singen anfingen, blitze Früheres auf, wie vorher schon, wenn er die gewundenen Straßen entlang wanderte und Landschaft und Himmel in sich aufnahm und das wunderbare Licht, das keiner vergisst, der einmal auf der Insel war. Doch dann röchelte ein Lkw vorbei oder ein schwarzes Suvmonster zwang ihn an den Straßenrand. Schönheit tritt ein ohne zu fragen, hatte der Pole Cyprian Norwid geschrieben, sie kehrt schweigend ins Dunkel zurück. Sie sangen wie seinerzeit. Rauchten, tranken, gestikulierten und redeten aufeinander ein, bis zum letzten Pint geläutet wurde. Auch damals war er ein Fremder und doch fühlte er sich aufgenommen. Diesmal fand er die Schwelle nicht, die es zu queren galt. Er betrachtete den Priester, der mit seinem Glas in der Hand in der Menge stand, und dachte an die zahlreichen Kinder, die missbraucht worden waren, und wie die katholische Kirche sich wand und weigerte, diese dunkle Seite ihrer Geschichte wahrzunehmen. Vor ein paar Wochen hatte er von den jungen Frauen gelesen. Die Magdalenerinnen waren in Frauenklöster weggesperrt worden und mussten Sklavinnen gleich in Wäschereien arbeiten. Ihre unehelich geborenen Kinder wurden ihnen genommen und in fremde Familien gegeben. Erst 1996 hatte die letzte solcher Anstalten ihre Tore geschlossen. Ähnliches war in allen europäischen Ländern geschehen. Viel blieb im Dunkel, weil die Betroffenen aus Scham schwiegen oder gewaltsam am Reden gehindert wurden. Auch die Verdingkinder der Schweiz fanden lange kein Gehör.

Er betrachtete die rotglänzenden Gesichter der Männer und sah sie daheim betrunken über Frau und Kinder herfallen. Auch dies geschah nicht nur hier auf der Insel. Es fand in den Höfen der Eifel statt, in Schwedens Norden, wo zur Winterszeit die Sonne kaum über die Baumwipfel stieg, und in den Blockhütten des amerikanischen Westens, wohin so viele aufgebrochen waren, ein besseres Leben zu finden. Vergangene, verschwiegene Geschichten, die keine Frage des Standes waren, sondern sich in allen Schichten der Gesellschaft vollzogen. Seinerzeit nach der Wende, als die Sachsen August den Starken wieder aus der Schublade hervorkramten, wollte er einen Dokumentarfilm über diesen König drehen, der bedenkenlos die eigene Tochter nahm. Doch, was wog das Leid des Kindes gegen die prachtvollen Bauten des Elbflorenz? Den Tourismusstrategen und den anderen, die diesen König vergötterten, nichts. Nur, wer erbaute das siebentorige Theben? Machtbesessen trat der Sachsenaugust zum Katholizismus über, damit er die polnische Krone erhielt. Er fraß, soff und kopulierte und willfährige Günstlinge und Chronisten nannten ihn den Starken.

Das alte Cork auf gab es nicht mehr. In den vierzig Jahren und nachdem Irland entschieden hatte, alle internationalen Steuerbetrüger einzuladen, hatte sich auch diese Stadt verändert. Den Lyriker, den er seinerzeit besucht hatte, weil er ein paar Monate an seiner Oberschule Englisch lehrte, wohnte nicht mehr unter seiner alten Anschrift. Vielleicht war er auch Unternehmensberater geworden wie Jerry Rubin, der einst „Do it! – Scenarios of the Revolution“ geschrieben hatte, oder er war vom Dichter zum Softwareexperten mutiert. Er brach seine Irlandreise ab und lief zum Hafen um sich über die nächste Fährte zum europäischen Festland zu erkundigen. Ein Schiff nach Frankreich ging am Abend. Er buchte eine Kabine. Bye, bye grüne Insel, kein Lebensraum für ihn!

Eines Abends, als ich heimkam, hing ein Transparent an der Front des Mietshauses, in dem wir seit rund 30 Jahren wohnten. Vertrieb und irgendwas von hochfeldstrasse.de. Oben schauten wir im Internet nach. Erst nach drei Tagen stand dort zu lesen, dass unser Haus den Besitzer gewechselt hatte und die Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewandelt und verkauft werden sollten. Nach hundert Jahren hatte damit das Haus seine einstige Bestimmung verloren und war zum Spekulationsobjekt geworden. Obszön flatterte das Transparent im Sommerwind und gab unsere Privatheit der Straße preis. Bald lag auch ein Booklet im Briefkasten. Darin wurde das Objekt mit raffinierten Bildern angepriesen. Beispiel der Veränderungen der Fotographie, die in der Nazizeit durch den Wechsel der Perspektive ihre Unschuld verlor und sich emanzipierte, was im Totentanz von „Triumph des Willens“ kulminierte und im Booklet fernen Widerhall fand. Fassade, Eingang, Treppenhaus und selbst der Hof mit seiner kümmerlichen Spielplatzecke gaukelten Herrschaftlichkeit vor, die mit großen Worten beschrieben wurde. Rund 500 000 sollten die Wohnungen kosten. Wir rieben uns die Augen, hatten wir in den vergangenen Jahren doch gar nicht wahrgenommen, in welcher Pretiose wir wohnten. Vergangenheitstreu rechnete ich aus, dass jede Wohnung den Wert von einer Million Mark besaß und machte mir klar, dass in den zehn Jahren seit Einführung des Euro die Teuerung offensichtlich Purzelbäume schlug. Zwei Wochen vergingen mit Sonne, Regen und Wind. Ein Münchner Sommer ohne Beständigkeit. Schließlich meldete sich ein Vertreter des neuen Eigentümers. Ein Cowboy im dunklen Businessanzug. Jeans und Sporen hatte er im Auto gelassen. Forsch durchschritt er den langen Gang und nahm im Wohnzimmer Platz. Anstelle des Colts zog er Papiere aus seinem Diplomatenkoffer und fing zu reden an. Offensichtlich war er davon ausgegangen, dass wir aufgrund der neuen Besitzverhältnisse und der beabsichtigten Umwandlung postwendend aus dem Fenster sprängen und in die Weiten der Prärie davonrannten. Das machten wir nicht, konnten es auch nicht. Wie auch, wenn man im vierten Stock wohnt? So begann er uns seine Pläne für das Haus und insbesondere unsere Wohnung herablassend kurz zu erläutern. Ein Fahrstuhl sollte ins Haus, ein langer Balkon über zwei Zimmer gezogen der Wohnung zugefügt werden. Keine Ahnung mehr, was noch. Meine Frau ärgerte sich über Benehmen und Tonfall und meinte, die Balkonzimmer hätten jeweils schon zwei Türen und eine weitere am Fenster würde gar keine Möbel mehr erlauben. Tatsächlich zeigte der Aufriss eher Puppenmöbel, denn solche mit denen Menschen wohnen. Ihren Einwand nahm er nicht zur Kenntnis und sagte nur, wir könnten in die Paulanerstraße gehen, auch dort hätten sie ein Haus umgebaut und uns anschauen, wie wunderbar dies nun dastehe. Das werde auch hier gelingen, der Umbau werde sofort beginnen. Nun wusste ich, dass so rasch weder eine Umbaugenehmigung – das Haus stand unter Denkmalschutz – noch Handwerker zu bekommen waren und erlaubte mir um die Situation zu entspannen die scherzhafte Bemerkung, wenn sich alles vielleicht doch verzögere, hätten wir den Umbau ungern in der Weihnachtswoche und eine Hotelunterkunft während der Arbeiten empfänden wir als angemessen. Er stutzte, grinste verwirrt, stopfte seine Pläne in den Koffer und verabschiedete sich rasch. Den Duft von Boss Rasierwasser ließ er zurück. Höchst seltsam! Er würde doch nicht gleich die Hotelzimmer reservieren? Wir schalteten den Fernseher ein, obgleich wir wussten, dass dort meistens nur noch Schrott zu sehen war. Nach zwei Wochen polterte eine Um- und Ausbauankündigung ins Haus. Geschätzte Mieterhöhung für uns rund 600 Euro. Als Termin für die Arbeiten in unserer Wohnung war die Weihnachtswoche angegeben. Der Irre hatte meine Anregung missverstanden.

Wir gingen zum Anwalt, organisierten eine Mieterversammlung, zu der fast alle erschienen, und Vertrieb erhielt eine vielstimmige Antwort. Wieder zog Stille ein. Nur manchmal huschten Leute durchs Haus, die etwas begutachteten, vermaßen oder einfach geschäftig und fremd herumliefen. Eines Tages läutete es an der Tür. Ein junger Mann stand dort und fragte, ob er rasch die Räume ansehen könnte. Meine Frau war gerade einkaufen, also ließ ich ihn herein. Er sagte er sei Architekt und dies sei sein erster großer Auftrag. Ich wollte seiner Karriere nicht im Wege stehen, schließlich wusste ich, dass auch in seinem Gewerbe nicht alles so einfach war. Jüngst hatte ich davon gehört, dass sein berühmter Kollege Liebeskind in Warschau ein Hochhaus neben den Kulturpalast, den die Polen partout nicht abreißen lassen wollten, gestellt hatte, das keine Mieter noch Käufer fand, weil alles zu teuer war und seitdem leer und verlassen in den Himmel ragte. Der junge Mann schritt rasch durch die Räume, machte sich ein paar Notizen in ein schwarzes Heft und verabschiedete sich freundlich. Ich kehrte an meinen Schreibtisch zurück und schrieb weiter an meiner Verbesserung der Welt. Der Termin des Beginns der Umbauarbeiten verstrich, war ja klar, wir hatten inzwischen herausgefunden, dass weder Bauamt noch Denkmalbehörde Anträge vorliegen hatten.

Anfang November fuhr ich in den Hof und sah den jungen Architekten wieder. Auf Anweisung eines älteren Mannes vermaß er die Fenstergröße der Lagerräume im Rückgebäude, die zu Freds Laden gehörten. Diensteifrig hielt der Architekt den Zollstock an jede Stelle, die ihm der andere wies. Ich schaute eine Zeit lang zu, doch weil es leicht regnete und weil sie ihr schwarzes Monster quer vor meiner Garage geparkt hatten, rief ich ihnen zu, dass sie Platz machen sollten. Keine Reaktion, so dass ich mich gezwungen sah, nun etwas lauter zu werden. Der Ältere drehte sich um und blaffte ob ich nicht sähe, dass sie beschäftigt seien und ich nicht solange warten könne. Wollte ich aber nicht, also stieg ich aus und sagte noch etwas lauter, sie möchten sich mit ihrer Rostlaube unverzüglich schleichen, schließlich hätte ich die Garage gemietet. Ich schaute die beiden böse an. Offensichtlich wollte der Ältere keinen Streit, er hieß den Architekten einsteigen, setzte sich selbst ans Steuer, wendete und fuhr an mir vorbei, aus der Einfahrt und draußen mit quietschenden Reifen davon. Ging doch! Fred hatte alles mitbekommen und sagte zu mir, das sei der neue Hausbesitzer gewesen. Ob ich das nicht wisse? Wusste ich nicht, war mir auch egal. Ich öffnete die Garagentür und fuhr meinen Daimler hinein. Der Regen war stärker geworden.

Der Präsident sitzt an seinem Schreibtisch, der ordentlich und aufgeräumt ist, so wie er es mag. Die Fotos von Frau und Kindern. Ein Stift vor leerem Papier. Spät in der Nacht, wenn Stille einkehrt, liebt er das Zimmer. Der Blick geht hinüber zur Wand. Eine Kopie der Auszeichnung hängt dort. Wunderbar gerahmt. Als er sie erhielt, wollte er daran glauben, dass er seinem Land und der Welt Frieden schenken könnte. Ein verwehter Traum. Er lächelt, weiß, dass er keine Ruhe mehr finden wird und schenkt sich ein Glas Wasser ein. Trinkt. Ohnmacht und Selbstzweifel lassen sich nicht fortspülen.

Der November verging, auch der Dezember. Die Anwälte schrieben einander Briefe. Wir zechten im Wirtshaus an der Ecke und feierten unsere neue Hausgemeinschaft. Es wurde ein Münchner Winter mit wenig Schnee. Ein paar Mal fuhr ich zum Langlaufen nach Dietramszell. Daheim tropfte die Ungewissheit von den Wänden. Eine neue Umwandlungsankündigung trudelte ein mit anderen Terminen, denen wir zustimmen sollten. Diesmal sollten die Arbeiten im Februar beginnen und sich bis Ostern hinziehen. Janin, die unter dem Dach wohnte, hatte die Osterwochenkarte gezogen. Als gute Katholikin legte sie sofort Widerspruch ein. Wussten die Pfeifen nicht, dass Ostern ein höherer Feiertag war als Weihnachten? Was war los im katholischen Bayern? Dass die Bauern dem Krummstab mit Misstrauen begegneten und verstockt und allerorten am Heidentum hingen, war mir bekannt. Doch die Oberklasse? Hatte die sich nicht so eine lieblich christliche Partei geformt? Trug die etwa den Glauben nur noch als hübsches Kleid, das man abstreifte, wenn es aus lauter Raffgier zerschlissen war? Auch wir lehnten auf Anraten unseres Anwalts ab, so lange unsere Einwände und Nachfragen nicht berücksichtigt wurden.

Ein Makler polterte mit Kunden durchs Haus, aber niemand wollte kaufen, weil die besichtigten Wohnungen wohl zu teuer waren und auch nicht recht einladend wirkten, nachdem jahrelang nichts renoviert worden war. Einmal hörte ich ihn, wie er sich vor unserer Wohnungstür bei den Interessenten bitterlich darüber beklagte, dass die Mieter alle Verbesserungen hintertrieben und ausziehen wolle auch keiner. War eine glatte Lüge, denn zwei Wohnungen standen leer. Ein junges Paar war ins Oberland gezogen, ein anderes hatte in Leipzig Arbeit und eine große Wohnung in der Altstadt gefunden, deren Miete zu bezahlen war, was in München, nachdem die alten Hausbesitzer allmählich wegstarben und Erben und einheimische oder internationale Gesellschaften das Regiment auf dem Wohnungsmarkt übernahmen, nicht mehr der Fall war. Wenn wir abends zuweilen durchs Viertel schlenderten, nahmen wir manches mit anderen Augen wahr, als noch vor einem Jahr. Baugerüste, Container mit Schutt, Paletten voller Dämmstoffe und anderem, die hier und da auf dem Bürgersteig standen, wirkten bedrohlich, und wir redeten darüber, dass den Bewohnern dieser Gebäude vermutlich Ähnliches widerfuhr wie uns. Natürlich waren Renovierungen notwendig um den Erhalt eines Hauses zu sichern und meine Frau hatte sich auch schon bei der Hausverwaltung darüber beschwert, dass Fenster nicht dicht seien, die Eingangstür spaltbreit offen stünde, dass nur mit einem Vorhang im Winter die Wärme zu halten sei und die Stufen im Treppenhaus knarrten gotterbärmlich und seien ausgetreten. Nur die notwendigsten Reparaturen wurden ausgeführt, für mehr sei kein Geld da. Das wunderte mich nicht, wurden Immobilien doch als Kapitalanlage gesehen, die möglichst hohe Rendite abwerfen sollten, und Rücklagen für den Unterhalt gekürzt. War ein Objekt heruntergewirtschaftet, wurde es verkauft oder in Eigentumswohnungen umgewandelt.

Im Nachbarhaus hatte dieser Prozess drei Jahre gedauert. Begonnen hatte es damit, dass der Besitzer ankündigte, das Haus werde modernisiert. Als erstes sollten die alten Ölöfen verschwinden, das Gebäude werde an das städtische Fernheizungsnetz angeschlossen. Die Mieter wurden angewiesen, die Öfen insbesondere aber die zum Teil noch gefüllten Tanks im Keller auf ihre Kosten zu entsorgen. Das machten sie brav. Doch die neuen Heizkörper ließen auf sich warten. Der Herbst kam, ihm folgte der Winter, und nichts geschah. Der Hausbesitzer ließ verlauten, dies läge an fehlerhafter städtischer Planung. Irgendwer brachte das Gerücht auf, dass die Wohnungen später als Eigentumswohnungen verkauft werden sollten, sobald die Renovierung abgeschlossen sei. Ende Januar setzte sehr scharfer Frost ein und die Mieter behalfen sich mit Radiatoren und saßen in der Küche ihrer sonst kalten Wohnungen. Sie protestierten nicht, wie die alte Hausmeisterin meiner Frau erzählte, minderten nicht einmal die Miete. Alle hofften, dass der Hausbesitzer von seinen Plänen ablasse und sie in ihren vier Wänden bleiben dürften, wenn sie sich ruhig verhielten. Viele waren ältere Leute, langjährige Mieter, die aus dem Viertel nicht weg wollten, kein Geld für einen Umzug hatten, noch Geld für gewiss höhere Mieten anderswo. Fast dreißig Grad minus zeigte das Thermometer in manchen Nächten. Dann wich der Frost, es wurde wieder wärmer. Der Frühling kam und dann der Sommer. Ins Haus strömten Handwerker. Türen und Fester wurden ausgetauscht und die neuen Heizkörper gesetzt. Das Treppenhaus erhielt einen neuen Anstrich. Der Anschluss an die Fernheizung freilich erfolgte nicht und ein weiterer Radiatorenherbst zog ins Land. Irgendwann im Januar tuckerte eine mobile Heizung auf dem Parkstreifen. Sie lieferte notdürftig Wärme ins geschundene Haus. Im folgenden Sommer endlich wurden Straße und Bürgersteig aufgerissen und das Gebäude wurde an die Fernheizung angeschlossen. Handwerker arbeiteten wie besessen. Bald stand der erste Umzugswagen vor der Tür. Die alten Mieter zogen aus, neue besetzten ihren Platz. Die Hausmeisterin war im Frühjahr verstorben. Im Nachbarhaus herrschte Stille. Die Wohnungsbesitzer bevorzugten die Anonymität der Münchnerstadt.

Wir im Haus ließen uns nichts einreden noch gefallen und siehe da, als draußen die Bäume zu blühen begannen, verschwand nächtens klammheimlich das Vertriebstransparent von der Fassade. Im Internet wurden die Wohnungen nicht mehr angeboten, dort stand jetzt das ganze Haus zum Verkauf. Anarchie ist machbar, Herr Nachbar!

Halb Zehn. Roman verließ die Wohnung. Die Post lag schon im Briefkasten. Sie hatten ihn angenommen! Die Arbeit sollte in einer Woche beginnen. Er wollte gleich Lydia anrufen, hatte aber sein Mobil oben liegen lassen. Umso besser, dann konnte er sie mit der Nachricht überraschen, wenn sie heim kam. Im Büro war sie eh nicht ansprechbar. Drei Monate lang hatte er auf diese Nachricht gewartet, nachdem er im Winter das Studium hingeworfen hatte, das heißt, sein Studienleiter hatte es ihm nahegelegt. Er sei nicht geeignet für diesen Beruf, wenn er nicht schwindelfrei sei, Restauratoren müssten oft auf dem Gerüst arbeiten und nicht bloß vor dem Computer hocken. Seine theoretischen Kenntnisse ließen nichts zu wünschen übrig, an der Praxis hapere es. Vielleicht könne er zur Kunstgeschichte wechseln, aber in seinem Institut sei kein Platz mehr für ihn. Roman hatte ihn nur wütend angestarrt. Bloß weil er nach ähnlichen Wochenenden wie dem eben vergangenen am Montag nur mühsam aufs Gerüst gekrochen war und schon auf der zweiten Etage von Panikattacken geschüttelt sich hingesetzt hatte, einmal mussten ihm seine Kollegen sogar hinabhelfen, als er sich gar nicht mehr regen hatte können, brauchte der Herr Professor keinen Aufstand zu veranstalten. Dergleichen Ängste hatte er früher überhaupt nicht gekannt. Er erinnerte sich, wie sie sich als Halbwüchsige in der alten Klostergasse von Zinne zu Zinne gehangelt hatten, den Schauspielern des Musketierfilms nachzueifern, der dort gedreht worden war. Und an manchen Tagen ging es ja auch, da konnte er die Angst halbwegs kontrollieren. Außerdem würde er ja einmal Chef sein und brauchte nicht selber Hand anlegen, sondern konnte seinen Leuten sagen, was und wo sie etwas zu machen hätten. Aber der Typ war unerbittlich. Theorie und Praxis gehörten zusammen. Dabei war der Fettsack selber nicht schwindelfrei, obwohl, das stimmte nicht ganz, denn sooft er sich auf dem Gerüst blicken ließ, turnte er derart herum, dass man sich eher um die Balken Sorgen machen musste, denn um den Herrn Professor. Doch wolle er ihm die Zukunft nicht ganz verbauen, meinte er, als Roman davonstürzen wollte. Er habe gute Kontakte zu der Grabungsfirma, die den Lemberger Untergrund erforsche, da könne er ihn unterbringen, bis er sich etwas Anderes überlegt habe. Roman wusste, dass dies ein Prestigeprojekt der Stadtväter, insbesondere der Tourismusleute war. Nicht nur der Fluss, der dem Styx gleich unterirdisch Lemberg durchquerte, sollte begehbar gemacht werden, auch die uralten Keller, die vielgeschossig unter der Altstadt lagen, sollten erkundet und zu Touristenrouten verbunden werden.

Eigentlich hatte Romans Vater den Anstoß zu diesem Projekt gegeben, als er in den neunziger Jahren seine Kunstaktion „Nicht zu den Sternen sollt ihr greifen, geht in den Untergrund“ durchgeführt hatte. Im gesamten Altstadtbereich hatte er in diversen Kellern Bilder, Graphiken und Plastiken versteckt, die am 1. Jahrestag der neuen Selbstständigkeit der Ukraine von Kunstliebhabern gesucht und behalten werden konnten. Dazu hatte er am Theaterplatz ein Zelt aufgestellt, in dem für ein paar Griwna ein Plan mit den geöffneten Eingängen zu den Kellern verteilt wurde, der zugleich Ausweis war und den Ordnern vorgezeigt werden musste. Rund hundert Kunstbegeisterte machten sich pünktlich um zehn auf die Suche und hofften bis sechzehn Uhr ihren Schatz zu finden. Schon um halb Elf kehrte freudestrahlend eine junge Frau ins Zelt zurück und präsentierte eine Plastik, die sie nun heimtragen durfte. Doch dann trafen Meldungen in der Zentrale ein, dass nicht alles mit rechten Dingen zugehe und schließlich brach Chaos aus. Diverse Kleinkriminelle und neugierige Passanten hatten von der Aktion Wind bekommen. Sie nutzten die Gelegenheit der offenen Zugänge, stürmten mit kopierten Plänen einfach so in den Lemberger Untergrund und durchstöberten die Keller nicht nur nach Kunst, sondern nach allem, was brauchbar schien und sich verkaufen ließ. Weder Ordner noch Hausmeister, die zum Teil gar nicht wussten, welche Räume und Schätze sich in ihrem vielgeschossigen und verwinkelten Kellergeflecht verbargen, konnten ihrer Herr werden, allzumal einige gar nicht erst in den Keller hinabstiegen, sondern gleich die Treppen zu den Speichern hinaufkletterten, weil sie sich dort bessere Beute versprachen, so dass schließlich die Miliz gerufen werden musste. Die fuhr mit zwei Mannschaftswagen und quietschenden Reifen auf den Theaterplatz, verhaftete erst einmal den Vater und seine drei Mitorganisatoren und schwärmte dann aus die Ordnung in ihrer Stadt wieder herzustellen. Am nächsten Tag kehrte der Vater aus dem Gefängnis nach Hause zurück und präsentierte aufgeräumt die zahlreichen Zeitungsberichte. Sogar Kiewer Blätter hatten seine Kunstaktion zur Kenntnis genommen und Radio und Fernsehen warteten auf ein Gespräch mit dem Initiator. Im Nachhall dieses Erfolges sammelte er alle Dokumente, publizierte ein Bildband und mietete einen Keller an, in dem er seine Untergrundgalerie aufmachte, der er den Namen „Sternenstaub“ gab.

Jüngst nun hatte ein findiger Jungunternehmen damit begonnen in einigen Kellern Kneipen und Cafés einzurichten. Das beliebteste Café wurde bald der „Partisan“. Durch einen unscheinbaren Hauseingang, um mehrere Ecken, treppauf und treppab, gelangten die Gäste in einen Vorraum, in dem unter Tarnnetzen zwei Bewaffnete saßen und jedem ein Glas Wodka einschenkten. War dies nach dem Ruf „Tod allen Russen“ geleert, durften sie passieren und kamen in weitläufige Gewölbe, die als Partisanenunterstand ausgebaut waren, in dem an einfach gezimmerten Tischen auf Bänken und Stühlen unter einer Glocke von Hard Rock getrunken und gegessen wurde.

„Dort unten brauchen Sie sich nicht vor Schwindelgefühlen zu fürchten. höchstens vor den Geistern der Vergangenheit und unter Beklemmung leiden Sie ja nicht. Einige Örtlichkeiten sind Ihnen bestens vertraut, wenn ich mich nicht täusche, sind Sie ein eifriger Besucher der Cafés, die sich in den Kellern breit gemacht haben.“ Die Spitze hätte der Sack sich sparen können, denn beim letztjährigen Semesterfest mussten sie den Herrn Studienleiter wieder an die Oberfläche schleppen, weil er allein die verwinkelten Treppen in seinem Zustand nicht hinaufkrabbeln konnte. Erschwerend kam hinzu, dass er meinte auf jeder Treppenstufe einen Vortrag über spezielle Restaurationstechniken zu halten und über alles, was er offensichtlich glaubte während seiner Vorlesungen vergessen zu haben und jetzt unbedingt noch an den Mann bringen wollte. Roman verkniff sich eine entsprechende Bemerkung, außerdem war die Arbeit gut bezahlt. Der Typ wollte ihn also tatsächlich loswerden. Mit diesem Angebot konnte er Lydia beschwichtigen, sie würde ihn umbringen, wenn er ihr sagte, dass er das Studium geschmissen habe, respektive gefeuert worden war. Tatsächlich hatte sie seine Erklärung recht gelassen aufgenommen, lediglich als er ihr von der guten Bezahlung vorgeschwärmt hatte, bemerkte er eine gewisse Skepsis in ihren Mundwinkeln. Sie sollte Recht behalten, denn bald hörte er und es gab sogar eine kleine Notiz in der Zeitung, dass das Geld für die Ausgrabung verschwunden sei. An sich nichts Besonderes oder Aufregendes. In der Ukraine verschwand immer Geld, das war normal, ihn ärgerte nur, dass es sein Geld war. Das Geld musste gesucht werden oder neues aufgetrieben, dabei saß Julia doch im Knast, konnte es also diesmal nicht gewesen sein. Aber es gab ja noch andere. „Das ganze Land ist voller Langfinger“, hatte er der Mutter lautstark erklärt: „Und der Gipfel ist, dass die schlimmsten von Ihnen im Parlament sitzen.“ Eigentlich hatte sie sich nach seinem Studium erkundigt, aber weil er davon nicht reden wollte, hatte er von dem Projekt erzählt und sich in Rage geredet: „Es gibt keine Demokratie in der Ukraine. Das ist eine Oligarchie. Die Menschen werden an der Nase herumgeführt. Das ist schlimmer, als es in der Sowjetunion war.“ Sie blickte von ihrer Stickerei auf und sagte: „Was weißt du von dieser Zeit.“ „Genug! In Russland nennt man solche Leute „Diebe nach dem Gesetz“, und bei uns sind sie Gesetzgeber.“ Nun mischte sich der Vater ein, der in der Ecke gelesen hatte. Er legte sein Buch beiseite und sagte; „Mein Sohn!“ Roman wusste, was die Stunde geschlagen hatte: „Aber das ist doch wahr“ zischte er in seine Richtung: „Die scheren sich doch keinen Deut um Recht und Gesetz. Die gehören alle ins Gefängnis oder glaubst du, dass nur eure Freiheitsikone Julia sich hemmungslos bereichert hat?“ „Mein Sohn!“ wiederholte der Vater nun schärfer: „Du magst zwar verheiratet sein und hast eine wohlverdienende Frau, aber du bist nach wie vor ein Kindskopf.“ Er stand auf und lief aufgebracht im Zimmer herum: „Die Frau war für mich niemals ein Vorbild. Ich wusste immer, wie das Spiel gespielt wird und was von ihr zu halten ist. Sie hat raffiniert mitgemacht, bis sie zu übermütig wurde und verlor. Das ist der Lauf der Welt. Was jetzt im Land geschieht, ist höchst einfach: Die Oligarchen brauchen Gesetze und eine Ordnung, denn sie wollen ihren Reichtum, den sie im Chaos zusammengestohlen haben, nicht verlieren.“ Und diese Ordnung stellen sie jetzt her?“ „Mehr oder weniger.“ „Und wir, du, ich?“ „Wir sind das Volk und schauen zu.“ „Dann ist es ja gut und ich kann gehen.“ Roman wollte wütend aufstehen. Der Vater legte versöhnend die Hand auf seine Schulter und sagte: „Du kannst auch noch bleiben und deinen Tee austrinken. Wir wissen nämlich schon längst, dass du dein Studium, wie soll ich sagen, unterbrochen hast. Lemberg ist eine kleine Stadt, mein Sohn.“

Die Suche nach dem verschwundenen Geld hatte sich monatelang hingezogen. Ohne Ergebnis. Nun war offensichtlich neues aufgetrieben worden, und Roman beschloss rasch am Büro vorbeizugehen, bevor auch dieses wieder verschwand. In den Räumen herrschte emsiges Treiben. Endlich konnten sie loslegen. Er ging auf den zufriedenen Grabungsleiter zu. Der umarmte ihn und sagte: „Montag um acht und dann kein freier Tag mehr bis Weihnachten. Gehen Sie gleich und holen sich ihr Geld ab für Kleidung, Schuhe usw. Die Arbeitsgeräte werden am Freitag im Depot zusammengestellt und verteilt. Sie sind schon geliefert worden.“ Nach einer halben Stunde war Roman wieder draußen mit ein paar tausend Griwna in der Tasche. Die waren zwar abzurechnen, doch erst nach der ersten Arbeitsphase. Ein Wunder war geschehen, anders war das alles nicht zu erklären. Lydia würde kein Wort glauben. Sie hatte ihm ja schon die Geschichte mit dem Ufo nicht abgenommen. Er musste sich etwas Besonderes ausdenken, ihr etwas schenken. Sie hasste Blumen seit, sie bei Oscar Wilde gelesen hatte, dass die Natur blöde und langweilig sei oder so ähnlich. Zuerst einmal wollte er ein Gläschen trinken. Das hatte er sich verdient. Er machte sich auf den Weg zum Markt.

Als die Fähre ablegte, lehnte er an der Reling und schaute auf Cork zurück. Die Stadt ruhte im weichen Frühabendlicht und er fragte sich, ob es richtig war, die Reise abzubrechen. Er fühlte eine seltsame Wehmut, ahnte, dass er wohl kaum wieder in dieses Land zurückkehren würde. In seinem Alter! Wieso fraß sich solches Denken in sein Hirn hinein? Zu den wunderbaren Erfahrungen seines Lebens gehörte, dass er das Altern nicht als Last wahrnahm, und eigentlich erst dann einmal kurz darüber nachgedacht hatte, als die neue Redakteurin seiner Stammredaktion bei seiner Frage nach einem neuen Auftrag ihn anblaffte, dass er ihr sein Alter verschwiegen habe. Es gäbe eine Anweisung des Hörfunkdirektors, kurz, er wunderte sich, dass sie oder wer auch immer nach seinen mehr als vierzig Jahren in diesem Haus und mehr als ein Jahr und vier Sendungen später, festgestellt hatte, dass er älter und offensichtlich für die wichtigen Aufgaben eben zu alt geworden war. Und darauf hatte er nicht selber hingewiesen, also wirklich! Offensichtlich hatte der kollektive Schwachsinn jetzt auch das Radio erreicht, beim Fernsehen war er schon länger festzustellen gewesen. Er legte den Hörer auf die Gabel und freute sich, die hehre Schwelle klammheimlich überschritten zu haben.

Neben ihm standen nur ein paar Passagiere auf dem Oberdeck, die meisten waren noch mit Einchecken beschäftigt. Die Fähre war nicht ausgebucht. Viele Lkw, Wohnwagen, wenige Pkw. Die Businessmen und -ladies bevorzugten die Airlines. Zeit ist Geld und billiger war Fliegen auch. Zu schnell für die Seele. Er musste den Wechsel der Umgebung spüren, wollte nicht von einem Ort in den nächsten hineingeworfen werden. Eine dunkle Gestalt in einem Kapuzenmantel starrte ein paar Meter von ihm entfernt statuenhaft auf die Insel. Als spüre sie seinen Blick, drehte die Frau den Kopf und musterte ihn ein paar Sekunden lang, bevor sie sich unwirsch wieder dem Ufer zudrehte. Er liebte die Atmosphäre auf den unterschiedlichen Linien, mit deren Schiffen er in den vergangenen Jahren unterwegs gewesen war, und auch diesmal wollte er zunächst einmal durch die Decks schlendern. Am Empfang schimpften zwei Ehepaare Deutsch und Englisch auf einen armen Angestellten ein, weil die Reederei, aber gewiss nicht sie selbst, einen Fehler bei der Belegung der Kabinen gemacht hatte, und er drückte sich verschämt an ihnen vorbei. Auf keinen Fall wollte er als Landsmann erkannt werden.

Einmal als er mit seinem Team im polnischen Stalowa Wola übernachtete, sah er nach dem Dreh den Kameraassistenten, der dem Mädchen am Empfang wütend zwei Handtücher hinknallte, die offensichtlich nicht ausgewechselt worden waren, große flauschige Tücher, die, soweit er erkennen konnte, kaum benutzt waren. Das Mädchen, amüsiert vom Ausbruch des jungen Mannes, ging zum Telefon, redete ein paar Worte, sagte dann, dass er gleich neue Handtücher aufs Zimmer gelegt bekomme und kümmerte sich nicht weiter um den Schnösel, der sich umdrehte und zum Fahrstuhl rannte, wo er wütend auf die Knöpfe drosch. Auf dem Weg zum Restaurant überlegte er, wie oft sein Kollege wohl daheim seine Handtücher wechselte und kam zu dem Schluss, einmal im Vierteljahr wahrscheinlich, soweit kannte er ihn inzwischen. Während der Reise hatten sie eigentlich stets in hübschen Hotels gewohnt, darauf hatte er bei der Recherche geachtet, schließlich hatte er schon lange verstanden, dass in den Augen der meisten Fernsehteams die Recherche nicht dazu diente gute Drehmotive zu suchen, sondern erstklassige Hotels, was 1992, nach den tollen Aussagen, die daheim in München die Runde machten, in Polen kaum möglich sein sollte. Es war ihm dennoch gelungen, auch in der Arbeiterstadt Stalowa Wola, in der sie große, saubere und freundliche Zimmer, eben für Westgäste, wie man damals noch unterschied, beziehen konnten, die hier, wie auch an den anderen Orten weit unter dem Spesensatz lagen, weswegen auch keiner über Rechnung abrechnen würde, sondern eben pauschal. Die Reise sollte sich lohnen. Kein Wunder, dass er lieber und lange schon Radio machte, weil er da allein unterwegs sein konnte. Als er später beim Bier dem Kameramann erzählte, was er beim Radio an einer Sendung verdiene, hatte dieser nur gemeint, dafür würde er nicht aufstehen. Seitdem hatten sich Honorare und Arbeitsbedingungen vor allen Dingen für die jungen Kollegen, die sogenannten Freien, nicht verbessert, im Gegenteil, die Sender mussten sparen und die festangestellten Redakteure erfüllten brav alle Vorgaben, die Ihnen der Herrgott empfahl; vielleicht war es gut, dass er aufhören musste, durfte, konnte, was auch immer.

Die Bar hatte bereits geöffnet und er überlegte, ob er sich in einen der Sessel am Fenster setzen sollte und ein Bier trinken. Zu früh. Erst nach dem Abendbrot, das in einer Stunde stattfinden würde. Ein paar Trucker standen an den Spielautomaten. Müde Gesichter in buntblinkendem Licht und ratternd quäkenden Melodien. Er lief in den Duty-free-Shop hinein. Frauen belagerten die Parfümabteilung. Alles da, was das Herz begehrt und auch nicht billiger als an Land. Er besorgte sich ein Sixpack Guinness, Zigaretten und stiefelte die Treppe zu seiner Kabine hinab. Die Deutschen kämpften immer noch am Empfang um ihr Recht.

Eine Stunde danach wurde er von einer uniformierten Dame an einen Tisch geführt. Obgleich das Schiff nur halb ausgebucht war, wurden die Restaurantplätze zugewiesen. Die Frau von der Reling löffelte bereits ihre Suppe. Na toll! Er grüßte, legte sein Buch auf den Tisch und machte sich auf zum Büffet. Er hatte Hunger und kehrte mit vollbeladenem Teller und zwei Gläsern Saft an seinen Platz zurück. Eigentlich spottete er über Gäste, die bei all-inklusive sich vollfraßen und soffen, bis sie unter den Tisch fielen, doch hatte er selbst diese Neigung. Der Mensch ist unvollkommen, und heute wollte er sich das erlauben, es war ja noch nicht einmal Sieben und die Nacht in der Kabine war lang. Sie grinste und sagte: „Ich hole mir noch ein paar Melonenscheiben mit Schinken“ und ging. So konnte er auf dem Teller unbeobachtet ein wenig Ordnung schaffen. Ordnung war das halbe Leben, dabei musste ihm niemand zusehen. Als sie zurückkehrte, die Melonen waren wohl ausgegangen oder Nachschub ließ auf sich warten, obgleich unzählige dienstbare Geister in der Küche und an den Tischen herumwuselten, war er bereit für eine zweite Portion und erhob sich, während sie sich setzte. „Sie verlassen mich bereits?“ „Ich brauche noch was.“ „Na dann.“ Nun wählte er leichtere Speisen und bestellte ein Bier. Draußen ging die Sonne unter. „Draußen geht die Sonne unter“, sagte er, als er zum Tisch zurückkehrte. Sie blickte auf: „Jetzt schon?“ „Naja, sieht so aus“, er zeigte in Richtung des Fensters und widmete sich seiner Nachspeise. „Sie trauen sich aber auch gar nichts“, sagte sie dann, weil er beharrlich schwieg. „Ihre Schönheit macht mich sprachlos.“ „Dann ist es ja gut“, erhielt er zur Antwort. Er blickte vom Essen auf: „Ich weiß, die meisten Männer verlieren beim Anblick hübscher Frauen den Verstand. Ich verliere die Sprache und verwandle mich in einen stummen Fisch.“ Sie lächelte „Dabei wüssten Sie sicherlich viel zu sagen.“ „Aber das fällt mir stets erst hinterher ein.“ „Das ist schade.“ Er nickte: „Als Student kam ich mal am Rosenmontag in Ludwigshafen in eine Kneipe und setzte mich an die Bar. Drei Stunden lang saß ich versteinert dort, während um mich herum gelacht, getanzt und gesungen wurde und die anderen alles Mögliche versuchten mich in ihre Feier einzubinden. Mag sein, dass ich am Anfang mein Glas hob, wenn sie mir zuprosteten, doch bald reagierte ich nicht mehr. Ob es einen Anlass für diese Stimmung gegeben hatte, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich sie nicht brechen konnte. Ich ging dann blicklos zurück in mein Hotel und schlief traumlos und schwer in dieser Nacht.“ Sie schaute ihn nachdenklich an. Schob dann ihren Stuhl zurück und erhob sich. „Ich muss noch ein paar Mails anschauen. Man sieht sich vielleicht nachher “, sagte sie und ging an dem Stewart vorbei, der ihm das Bier brachte. Stella Artois, es schmeckte grauenhaft. Als nächstes würde er sich ein Guinness bestellen, koste es, was es wolle. Er hatte gute Laune. Das war doch schon mal ein Anfang für diesen angebrochenen Abend.

Zwei Stunden später saß er in der Lounge. Während er zusah, wie die Musikanten ihren ersten Auftritt auf der kleinen Bühne vorbereiteten, tauchte sie wieder auf und kam zielstrebig an seinen Tisch. Sie trug ein langes blaues Kleid, um die Vierzig mochte sie sein. Das Alter von jemandem schätzen konnte er nie. Er hatte sich schon zum Einduseln einrichten wollen und setzte sich jetzt wieder aufrecht hin. Zur Ruhe kommt der Baum des Menschen nie. „Was trinken Sie denn?“ „Na Bier“, das sah sie doch. „Gibt es hier auch Wein?“ Er reichte ihr die Getränkekarte: „Wir reisen nach Frankreich, da wird es auch Wein geben. Darf ich sie einladen?“ „Sie dürfen.“ Als der Kellner kam, verhandelte sie mit ihm und er zeigte auf sein leeres Glas. Viel würde er nicht mehr trinken können. Er musste es wohl, denn sie strahlte ihn an: „Normalerweise setze ich mich nicht zu fremden Männern an den Tisch, aber ich habe gelesen, dass sie Balladen im Programm haben und die liebe ich“ und zeigte auf die drei Musikanten, die endlich soweit waren. Sie begannen mit einem Stück der Rolling Stones „Blinded by rainbows“ und verblüfften ihre Zuhörerschaft und auch ihn, denn er hatte geglaubt, dass dieses Lied längst vergessen sei. Er saß und betrachtete seine Nachbarin, lauschte den Musikanten und wachte am nächsten Morgen auf, als die Tür zu seiner Kabine ins Schloss fiel. Vielleicht war es ein Traum. Der Abschied von der grünen Insel. Als er zum Frühstück kam, fand er sie nicht. Auch nirgendwo sonst in den endlos schmalen Gängen der unterschiedlichen Decks. Die Fähre legte an und er wartete, verließ als Letzter das Schiff. Er kannte noch nicht einmal ihren Namen und machte sich zum Bahnhof auf. Er war noch müde und wollte nur heim.

Leider war unser Sieg nur von kurzer Dauer. Den Bankern, Tradern und Brokern wuchsen die Kosten für Alkohol, Drogen und Sex derart über den Kopf, dass sie immer tollwütiger spekulierten und mit steigender Raffgier ihre Banken und bald ganze Staaten an und in den Abgrund rissen. Jene Mitmenschen, die noch ein wenig Kapital besaßen, wollten dieses verzweifelt retten und ließen sich einreden, Immobilien seien eine sichere Geldanlage. Vertrieb witterte Morgenluft, bot unsere Wohnungen erneut an und die Leute kauften. Auch durch unsere Wohnung stolperten ein paar Interessierte. Doch als sie die rund fünftausend Bücher im langen Flur sahen und auch noch hörten, dass wir wohnen bleiben wollten, trotteten sie davon. Bald rissen Bauarbeiter in anderen Etagen Wände ein, setzten neue und Handwerker hämmerten, sägten, schliffen, bohrten, tapezierten und weißelten, wohin man nur blickte, denn die neuen Wohnungsbesitzer hatten nicht bloß die, im Vergleich zum Anfang zwar geringeren, aber immer noch hohen Preise bezahlt, sondern es auch übernommen ihre Räume auf eigene Kosten zu renovieren. Sehr vernünftig schien mir dies, so wussten sie wenigsten, wo ihr Geld blieb.

Wir erhielten neue Nachbarn, einen Dichter mit seinem Lebensgefährten. Bald stellte sich heraus, dass die beiden offenbar die einzigen vernünftigen und auch freundlichen Leute waren. Außerdem hatte der Dichter ein sehr gutes und lesenswertes Buch geschrieben, wie ich mich überzeugen konnte. Die anderen Wohnungsbesitzer hielten sich eher bedeckt. Die Bürde des Besitzes und die Last der Kredite ließen sie verstohlen über die Treppenstufen huschen und hinter die Türen ihrer Festung aus geborgtem Geld sich verbarrikadieren. Keiner auch bedankte sich bei mir oder den anderen fünf verbliebenen Mietern, dass unser wackerer Kampf gegen Vertrieb ihnen zwar nicht zu billigen aber immerhin billigeren Wohnungen verholfen hatte. Die Welt war einfach ungerecht und töricht waren ihre Bewohner. Aber vielleicht platzte bald auch in unserem Land die Immobilienblase und alles renkte sich wieder ein.