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mehrbuch-Weltliteratur! eBooks, die nie in Vergessenheit geraten sollten. Robert Kraft wurde in Leipzig als Sohn eines Weinhändlers geboren. Die Eltern ließen sich früh scheiden, und der Sohn riss infolge der strengen Atmosphäre im Elternhaus oft aus. Vom Gymnasium wurde er infolge seiner Fehlstunden relegiert. Anschließend absolvierte er auf Anordnung seines Vaters eine Lehre als Schlosser und besuchte ab 1887 die Königliche Höhere Gewerbeschule in Chemnitz. Ein stummes Opfer zählt zu seinen bekanntesten Werken. #lestmalbittemehrbuch #wenigeristmehrbuch
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Seitenzahl: 27
Ein stummes Opfer
Erzählung aus dem indischen Aufstande
von
Robert Kraft
Emil Robert Kraft war ein deutscher Schriftsteller.
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Sir John Murrim verwünschte sein Unglück, daß er gerade jetzt, da sich seine Nachbarn bei dem prächtigen Herbstwetter an Fuchsjagden ergötzten, als Patient das Zimmer hüten mußte. Vor einigen Wochen war sein Pferd beim Nehmen einer Hecke gestürzt und hatte als es sich aufzurichten versuchte, dem neben ihm liegenden Reiter stark das Knie gequetscht. Es konnten abermals Wochen vergehen, ehe der vorläufig am Stock hinkende Gutsbesitzer wieder ein Pferd besteigen durfte, und so lange dies nicht möglich war, fühlte er sich als ein unglücklicher Mensch.
Seine Nachbarn lud er nicht ein, ihm die langweiligen Stunden verkürzen zu helfen. Er wußte, daß sie seiner Aufforderung nachgekommen wären, um ihn nicht zu beleidigen, aber er war zu rücksichtsvoll, um sie jetzt, da alle freie Zeit dem Sport gewidmet wurde, diesem zu entziehen. Seine Tochter Isabel versuchte zwar so gut als möglich dem murrenden und knurrenden Vater die Zeit durch Vorlesen und Plaudern zu vertreiben, aber sie war doch eben nur ein Weib, und ein vernünftiges Gespräch mit ihr über Jagd und Rennen nicht möglich.
Welche Freude daher, als eines Nachmittags unvermutet fünf benachbarte Gutsbesitzer, den im Lehnstuhl sitzenden Kranken besuchten! Zwei von ihnen waren spezielle Freunde des Wirtes, mit denen er in Indien als Offizier gestanden hatte. Bis zum Nachtessen drehte sich das Gespräch natürlich nur um die stattgefundenen Fuchsjagden um neu gekaufte Pferde und Ähnliches, erst die bei Tisch erscheinende Isabel nötigte die Herren zu anderer Unterhaltung
Nach der Mahlzeit als die Gesellschaft gemütlich bei Wein und Porter am Kamin saß, in welchem bereits des kühlen Wetters wegen bereits ein Holzfeuer brannte, ereignete sich ein Vorfall, der ein neues Gesprächsthema anregte. Einer der Gäste warf durch eine ungeschickte Armbewegung eine brennende Lampe vom Seitentisch herab, worüber die junge Tochter des Hauses laut aufschrie und, obgleich die Sache ganz ungefährlich verlief, noch lange mit blassem Gesicht dasaß. Sie mußte den gutmütigen Spott der Herren über ihre Schreckhaftigkeit erdulden, und der Hauswirt machte Bemerkungen, wie sehr das weibliche Geschlecht dem männlichen doch an Mut nachstünde.
Jener Herr jedoch, welchem das Missgeschick mit der Lampe passiert war, und dessen ganze Erscheinung den ehemaligen Offizier verriet, schien anderer Meinung zu sein.
»Mut?« fragte er. »Was verstehen Sie unter Mut, Sir John?«
»Nun, eben — Mut — Tapferkeit, Unerschrockenheit.«
»Nun wohl, ich behaupte, daß die meisten Frauen ein ebenso tapferes Herz besitzen als die Männer, nur daß ihnen weniger Gelegenheit geboten ist, es zu zeigen.«
»Bravo, bravo!« rief Isabel erfreut und klatschte in die Hände. »Brechen Sie eine Lanze für mich und meine Schwestern.«