Ein Traummann kommt selten allein - Jutta Profijt - E-Book

Ein Traummann kommt selten allein E-Book

Jutta Profijt

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ist Liebe eigentlich biologisch abbaubar? Die rasante Liebeskomödie »Ein Traummann kommt selten allein« von Jutta Profijt jetzt als eBook bei dotbooks. Jede Frau weiß, dass schon ein einzelner Mann dazu neigt, Probleme zu machen – und nun muss sich Leonie gleich mit dreien herumschlagen! Da ist zum einen Philip, der unglaublich attraktive Juniorchef der Firma, bei der sie gerade ihren ersten Job ergattert hat … und so eine Ablenkung kann Leonie wirklich nicht gebrauchen. Für die sorgt nämlich schon ihr bisher so karrierebewusster Bruder Daniel, der frisch verliebt ist in eine Frau, die von »Big Business« nichts wissen will. Aber muss er darum gleich zum glühenden Öko-Aktivisten und »Möhrchenprinzen« mutieren … und versuchen, Leonies neuen Job zu torpedieren, wo er nur kann? Außerdem gibt es da noch Daniels neuen besten Kumpel, der plötzlich irgendwie immer und überall aufzutauchen scheint: Führt Thomas etwas im Schilde, was Leonies Leben endgültig ins Chaos stürzen könnte? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der humorvolle Liebesroman »Ein Traummann kommt selten allein« von Jutta Profijt, auch bekannt unter dem Titel »Möhrchenprinz«, wird alle Fans von Sophie Kinsella und Alexandra Potter begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 411

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Jede Frau weiß, dass schon ein einzelner Mann dazu neigt, Probleme zu machen – und nun muss sich Leonie gleich mit dreien herumschlagen! Da ist zum einen Philip, der unglaublich attraktive Juniorchef der Firma, bei der sie gerade ihren ersten Job ergattert hat … und so eine Ablenkung kann Leonie wirklich nicht gebrauchen. Für die sorgt nämlich schon ihr bisher so karrierebewusster Bruder Daniel, der frisch verliebt ist in eine Frau, die von »Big Business« nichts wissen will. Aber muss er darum gleich zum glühenden Öko-Aktivisten und »Möhrchenprinzen« mutieren … und versuchen, Leonies neuen Job zu torpedieren, wo er nur kann? Außerdem gibt es da noch Daniels neuen besten Kumpel, der plötzlich irgendwie immer und überall aufzutauchen scheint: Führt Thomas etwas im Schilde, was Leonies Leben endgültig ins Chaos stürzen könnte?

Über die Autorin:

Jutta Profijt wurde 1967 in NRW geboren. Direkt nach ihrem Abitur zog es sie nach Frankreich, wo sie erste Erfahrungen in der Arbeitswelt sammelte, bis sie schließlich Ausbildungen als Exportkauffrau und Übersetzerin machte. Nach einigen Jahren als Exportmanagerin und schließlich als freie Dozentin packte sie die Lust am Schreiben. Heute ist Jutta Profijt erfolgreiche Autorin. Ihr Kriminalroman »Unter Fremden« wurde mit dem Friedrich-Glauser-Preis 2018 als Bester Kriminalroman des Jahres ausgezeichnet.

Die Website der Autorin: https://juttaprofijt.de/

Bei dotbooks erschienen ihre Romane »Schmutzengel: Chaos ist das halbe Leben«, »Ein Traummann kommt selten allein« und »Blogging Queen: Liebe und andere Notlügen«.

***

eBook-Neuausgabe August 2023

Dieses Buch erschien bereits 2013 unter dem Titel »Möhrchenprinz« bei dtv, München.

Copyright © der Originalausgabe 2013 Deutscher Taschenbuchverlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, München, unter Verwendung von Bildmotiven von Adobe Stock/nadzeya26

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-98690-765-5

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Ein Traummann kommt selten allein«an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Jutta Profijt

Ein Traummann kommt selten allein

Roman

dotbooks.

Für Carina und Tine

Kapitel 1

»Kommst du?«, fragte ich. Genauer gesagt brüllte ich es, denn die Verbindung war schlecht. Nicht verwunderlich, da das Handy, das ich angerufen hatte, vermutlich gerade im U-Bahn-Tunnel irgendeines aufstrebenden asiatischen Finanzzentrums steckte.

»Zu deiner WG -Party?«, kam es, von Störgeräuschen unterbrochen, zurück.

»Das ist DIE Party des Jahres, Daniel. Und nachdem ich vier Jahre in dieser WG gewohnt habe, solltest du sie kennenlernen, bevor es vorbei ist.«

»Wie gut, dass du endlich aus dem Einflussbereich dieser weichgespülten Ökotante rauskommst«, schrie mein Bruder ins Telefon. »Dann kannst du dich demnächst auch wie ein ganz normaler, erwachsener Mensch benehmen. Kannst Fleisch essen, Auto fahren und Flugreisen machen. Vielleicht besuchst du mich dann ja endlich mal in New York.«

Das Angebot machte er mir seit Jahren, aber es lag nicht nur an meiner Flugverweigerung, dass bisher nichts daraus geworden war. Daniel war einfach nie lange genug an einem Ort, um dort Besuch zu empfangen – und wenn doch, dann hatte er es vorher nicht gewusst, musste seinen Aufenthalt spontan verlängern, ohne zu wissen, wann er den nächsten Flieger besteigen würde. Hauptsächlich deshalb hatte ich seine Einladung seit Jahren nicht angenommen. Die katastrophale Klimabilanz von Transatlantikflügen war dann nur noch ein weiterer Grund.

»Svenja ist keine Ökotante. Sie ist … Na ja, du wirst sie ja kennenlernen.«

»Ich versuche es einzurichten, okay? Aber wenn sich die Situation in Japan verschärft, werde ich wohl …«

Den Rest verschluckte eine technische Störung, aber ich konnte mir schon denken, wie es weiterging. Daniel, mein großer Bruder, war in einem Finanzinstitut für ein Portfolio von mehreren Milliarden Euro verantwortlich und düste um die Welt, wie andere Leute Joggingrunden im Park drehten. Es wäre ein Wunder, wenn er käme.

Es wurde ein Wunder.

Allerdings wünschte ich die nächsten sechs Monate, er wäre nach Japan geflogen, statt zu meiner Party zu kommen.

Und mit diesem Wunsch war ich beileibe nicht allein.

Meine Party fand aus mehreren Anlässen statt. Erstens hatte ich meinen Studienabschluss in der Tasche, genauer gesagt: den zweiten der beiden Abschlüsse in Design und Kommunikationswissenschaft, für die ich in den vergangenen Jahren geschuftet hatte wie ein Straßenkicker, der in die Nationalelf will. Nicht, dass ich ein Fan von Fußball war – der Vergleich stammte von meinem Kumpel Federico, der Fußball liebte, und er gefiel mir. Der Vergleich. Federico gefiel mir auch, seit wir in der Grundschule in der gleichen Bank gesessen hatten, allerdings rein platonisch. Er arbeitete seit vier Wochen in Barcelona, kam aber pünktlich am Tag vor der großen Party in Düsseldorf an und rollte seine Isomatte in meinem Zimmer aus. Damit war auch der letzte Zentimeter des Kämmerleins, das ich in der Vierer-WG bewohnte, belegt.

Der zweite Grund zum Feiern war mein unbefristeter Arbeitsvertrag, den ich als stolze Berufsanfängerin ergattert hatte. Ein ungewöhnlicher Glücksfall, denn die meisten meiner Freunde absolvierten schlecht oder gar nicht bezahlte Praktika oder saßen im Lebensmitteldiscounter an der Kasse. Ich hingegen war zum ersten Februar im Produktmarketing eines mittelständischen Unternehmens gelandet, in dem ich bereits zwei Praktika absolviert hatte. Alle Welt sagte mir, dass ich mich glücklich schätzen dürfe, und das tat ich – sogar mehr, als die meisten Menschen ahnten, denn der Juniorchef des Unternehmens gefiel mir nicht nur in professioneller Hinsicht. Allerdings machte ich mir keine Hoffnungen, denn ein so gut aussehender, intelligenter, erfolgreicher Mann wie er bekam sicher weit attraktivere Angebote als solche von einer pummeligen rothaarigen Berufsanfängerin mit Sommersprossen vom Scheitel bis zum Zeh.

Der dritte Anlass für die Party war einer, der eigentlich noch gar nicht aktuell war, nämlich die Auflösung unserer WG. Ich war auf Wohnungssuche, Svenja war auf dem Weg nach Indien und Conny und Mike maulten rum, dass sie sich die Wohnung zu zweit nicht leisten konnten, aber auch keine Lust auf neue Mitbewohner hatten. Ich konnte ihren Unwillen verstehen, denn es war schon sehr unwahrscheinlich, dass Conny, die Bohnenstange mit der Schlafkrankheit, und Mike, der Macho aus dem Mittleren Westen der USA, noch mal zwei Idioten wie Svenja und mich fänden, die die Bude putzten, den Kühlschrank füllten und den Müll rausbrachten.

Die Vorbereitungen für die Party nahmen Svenja und mich eine ganze Woche in Anspruch, denn wir hatten keine Lust, Fertigfraß minderer Qualität zu kaufen, und kein Geld für Convenienceprodukte aus dem Biomarkt. Also kochten, schnippelten, brutzelten und buken wir wie die Weltmeister, was uns großen Spaß machte. Einige Gäste würden weitere vegetarische oder vegane Salate und Desserts mitbringen. Alles gesund, alles bio und genau das, was mein Bruder Daniel verächtlich als Kaninchenfutter bezeichnete. Das war auch der Grund, weshalb er sich nie bemüht hatte, meine Partys in seinem Terminkalender unterzubringen. Wir lebten einfach in verschiedenen Welten. Trotzdem liebten wir uns heiß und innig, und deshalb war ich optimistisch, dass er dieses Mal kommen würde.

»Leo, Bier ist alle.«

»Leo, gibt’s noch Kartoffelsalat?«

»Leo, wo ist der Aschenbecher?«

Ich seufzte. Die Party war in vollem Gange und wie immer legte jeder, der einen Fuß über unsere Türschwelle setzte, sein ganzes Wohlergehen in meine Hände. Warum nicht in Svenjas? Es war ihre Party ebenso wie meine. Aber die Antwort lag auf der Hand: Svenja war viel zu ätherisch für Kartoffelsalat, Bier oder Aschenbecher. Sie trug ein langes, weißes Kleid aus Leinen und Baumwollspitze, ihre zarten Finger waren mit Ringen geschmückt, bunte Bänder betonten die schmalen Handgelenke. Das blonde Haar fiel ihr lose auf die Schultern und sie war, obwohl unsere Wohnung im Winter zugig war, barfuß.

Svenja konnte durchaus zupacken, aber das sah man ihr nicht an und deshalb würde auch niemand sie darum bitten. Sie war ebenso praktisch und lebenstüchtig wie ich, hatte aber zusätzlich diesen Drang nach spiritueller Erfüllung – oder wie immer man das nennen sollte. Seit etlichen Jahren machte sie Yoga und transzendentale Meditation, malte Mandalas und studierte die Lehren Buddhas. Sie war überzeugte Veganerin, dankte Mutter Erde, dass diese sie trug und nährte, und fing Fliegen und Mücken in der Wohnung mit einem kleinen Kescher, um die Viecher dann draußen freizulassen. Sie gehörte zu den verrücktesten Menschen, die ich kannte, und ich würde sie vermissen.

Dachte ich.

Das Vibrieren des Handys riss mich aus meinen Gedanken. Daniels Nummer. Aha, der Herr steckte bestimmt mitten in einem Milliardendeal und rief nur an, um mir mitzuteilen, dass er es selbst mit dem nächsten Flug nicht mehr um die halbe Welt schaffen würde.

»Wo steckst du?«, fragte ich ihn statt einer Begrüßung.

»Kopf noch halb in Hongkong, Füße auf einer grauen Granitstufe, Finger auf deinem Klingelknopf, Sweetie.«

Ich grinste. Wenn Daniel mich Sweetie nannte, hatte er gute Laune. Ich drängelte mich durch den Flur voller Gäste und drückte die Tür auf.

Vegetarische Gemüsesuppe, veganer Kartoffelsalat, panierte Tofuschnitzel mit Walnusspaste, Krautsalat, Sauerkrautsuppe, Vollkornbrötchen und Grünkernfrikadellen, Spinattaschen und Nudelauflauf mit Lauch und Rosenkohl. Bier, Linsensalat, Hummus, Muhammara, Mousse au Chocolat und Tiramisù – Schüsseln und Gläser wurden leer und mussten aufgefüllt werden, Aschenbecher wurden voll und mussten geleert werden und dazwischen wünschten mir Freundinnen und Freunde alles Gute. Leute, die ich nicht kannte, fragten, wo das Klo sei, und zwischendurch grinsten Daniel und ich uns gelegentlich zu.

Mein Bruder sah verdammt gut aus. Sein schwarzes Haar, das er von unserem Vater geerbt hat, war etwas länger als bei unserem letzten Treffen und fiel ihm in einer akkurat verstrubbelten Locke in die Stirn. Seine Haut war wie immer dezent gebräunt und seine breiten Schultern verschafften ihm einen bemerkenswerten ästhetischen Vorteil gegenüber den schmalbrüstigen Jüngelchen, die sich in unserer Wohnung drängten. Dabei war Daniel unverdientermaßen vom Glück begünstigt, denn er trieb niemals Sport und tat außer dem regelmäßigen Besuch des Solariums und seines Hairstylisten in New York nichts für sein Aussehen oder seine Gesundheit. Im Gegenteil. Er lebte von Champagner und Kaviar, Kaffee, Steaks und Junkfood, hetzte für haufenweise Geld in der Businessclass durchs Leben und würde eines nicht allzu fernen Tages vermutlich am Herzinfarkt sterben – aber bis dahin war er ein Bild von einem Mann. Kein Mensch mit weniger als zehn Dioptrien Fehlsichtigkeit würde uns für Geschwister halten.

Gegen Mitternacht wurde es leerer. Diejenigen, die nur hatten satt werden wollen, waren vermutlich auf dem Weg ins Kino oder zu einer anderen Party mit schlechterem Buffet. Zum ersten Mal sah ich die Gelegenheit, mich mit Daniel zu unterhalten. Ich suchte ihn in der Küche, denn Daniel stand grundsätzlich im Zentrum des Universums und das war in einer WG im Allgemeinen und bei einer Party im Besonderen die Küche – aber dort fand ich ihn nicht. Auch in meinem Zimmer hatte ich kein Glück, im Flur war er ebenso wenig. War er zwischendurch ein ordentliches Steak essen gegangen? Ich unterdrückte ein Grinsen. Zuzutrauen wäre es ihm. Ein großes Stück Fleisch, ein Glas Schampus und wenn er standesgemäß satt wäre, käme er wieder. Aber noch gab ich die Suche nicht auf. Nach einer Runde durch die anderen Zimmer fand ich ihn auf dem Balkon.

Der Balkon unserer Wohnung war ein schmales Betonband von etwa zwei Metern Breite, das sich vor Svenjas Zimmer befand. Die Glastür, die hinausführte, klemmte während mindestens neun Monaten des Jahres so fest im Rahmen, dass der Balkon nicht zugänglich war. Irgendjemand hatte es in den letzten Stunden offenbar geschafft, die Tür zu öffnen. Irgendjemand hatte Daniel aus dem Partytrubel auf den bröckeligen Balkon gelockt. Irgendjemand hatte seit mehr als dreißig Sekunden Daniels ungeteilte Aufmerksamkeit. Irgendjemand hatte also hier mehrere Wunder vollbracht. Und dieser Jemand war Svenja.

»Ach, hier seid ihr!«, rief ich erleichtert.

Svenja drehte sich zu mir um und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Hi, Leo. Alles klar? Brauchst du Hilfe?«

Daniel blieb stumm und rührte sich nicht. Seine Augen ließen Svenja nicht eine Millisekunde los.

»Nein, danke. Ich suchte Daniel. Da kommt er schon zu meiner Party und dann habe ich nicht einmal die Zeit, ein paar Worte mit ihm zu wechseln.«

Daniel reagierte auf seinen Namen wie ein Hund, dessen Futter mit Valium versetzt worden war, drehte den Kopf, sah mich an, als hätte er eine Wildfremde vor sich und sagte: »Schon okay«.

Ich starrte noch ein paar Mal von Svenja zu Daniel und zurück, aber niemand interessierte sich für mich. Svenja hielt ihr feengleiches Gesicht mit geschlossenen Augen zum Mond, als könne sie sein silbriges Licht in sich aufnehmen und für schlechte Zeiten speichern, und Daniel glotzte Svenja mit einem triefäugigen Blick an, als sei er ein Rindviech und sie ein ganzer Sack Rüben. Ich verkniff mir ein Grinsen und ging zurück zu meiner Party.

Hätte ich geahnt, welche Auswirkungen dieser Augenblick auf mein Leben haben sollte, hätte ich Daniel etwas von Mikes Marihuana untergeschoben und ihn umgehend verhaften lassen. Ohne Gewissensbisse. Aber damals dachte ich ja noch, dass die elfische Anziehungskraft auf meinen Finanzhai-Bruder einen magischen Moment im Mondschein wirken würde und spätestens mit der Morgendämmerung wie Tau in der Sonne für immer verschwände. Dass dies eine krasse Fehleinschätzung war, bemerkte ich leider viel zu spät.

»Dein Bruder liegt in der Diele und schnarcht«, war das Erste, was ich morgens gegen neun Uhr hörte.

»Hmm?«, antwortete ich wenig eloquent.

»Vor Svenjas Tür, um genau zu sein.«

Federico streckte sich, gähnte, fiel über seine Luftmatratze und landete halb auf meinem Bett.

»Du solltest mal aufräumen«, brummte er. »Hier kann man ja nicht treten.«

»Ich kann treten«, nuschelte ich und beförderte ihn mit einem Tritt auf seine Luftmatratze.

»Miststück!«

Innerhalb von Sekunden war Federico wieder eingeschlafen. Nur ich war jetzt hellwach. Was hatte er über Daniel gesagt? Er schlief hier? In meiner Wohnung? Auf dem Fußboden? Vor Svenjas Tür? Schwachsinn!

Daniel besaß mehrere Apartments auf der ganzen Welt, darunter eins in New York mit Blick auf den Central Park. Sein Hauptwohnsitz allerdings befand sich in Düsseldorf. Genau genommen war sein hiesiges Domizil das Penthouse einer kernsanierten Villa in Oberkassel, deren untere Etagen zwei Steuerberatungsbüros und ein gerade sehr angesagter Architekt als Büroräume nutzten. Daniel hingegen leistete sich das Sahnehäubchen ganz privat. Es erstreckte sich über die zwei oberen Etagen, hatte eine umlaufende Terrasse im Bootsdeckstil und war letztes Jahr in einem Lifestylemagazin als besonders gelungene Verbindung von denkmalgeschützten Jugendstilelementen mit minimalistischem Wohntrend aus Edelstahl und Glas vorgestellt worden.

Warum also sollte er in einer dreckigen, nach Rauch stinkenden Studenten-WG pennen? Noch dazu auf dem Boden.

Ich stand auf, hüpfte vorsichtig um Federicos Luftmatratze herum und öffnete die Tür zur Diele. Tatsächlich. Daniel lag wie ein Hund auf der Schwelle zu Svenjas Zimmer. Ich stürzte zu ihm.

Wenn Daniel sein Luxuspenthouse und sein Dreitausend-Euro-Luxus-Seidenbett gegen ein Nachtlager auf abgewetzten Bodendielen tauscht, musste etwas passiert sein. Etwas Schlimmes. Mindestens ein Schwächeanfall, wenn nicht der bereits erwähnte Herzinfarkt. Ich fühlte seine Stirn. Sie war weder heiß noch kalt noch nass. Ich suchte den Puls am Handgelenk neben der Uhr für siebentausend Dollar, die es nur in ausgewählten Juweliergeschäften in New York, Zürich und Tokio gab, fand ihn aber nicht. Am Hals war er gleich zu spüren: Sechsundsechzig kräftige Schläge pro Minute. Daniels Atem war regelmäßig, seine Gesichtsfarbe gesund, soweit sich das im Dämmerlicht unserer Diele beurteilen ließ.

»Daniel, wach auf. Was ist los?«

Er regte sich. Blinzelte. Fokussierte seinen Blick auf mich und runzelte die Stirn.

»Svenja?«

»Bist du gesund?«, fragte ich besorgt.

»Was ist mit ihr?«

»Mit wem?«, fragte ich zurück.

Er rappelte sich auf, strich sein Tausend-Euro-Jackett glatt und legte das Ohr an Svenjas Tür.

»Ist sie schon wach?«, flüsterte er.

»Sieh mich an!«, verlangte ich in strengem Tonfall.

Daniel blinzelte mich an. Seine Pupillen waren nicht geweitet, die Augen nicht gerötet, auch ansonsten zeigte er keine Anzeichen von Drogenmissbrauch. Ich konnte das beurteilen, denn seit Mike in unserer WG wohnte, war ich Expertin auf diesem Gebiet. Mein Bruder schien also völlig gesund und normal – bis auf die Sache mit dem Dielenlager und der Fixierung auf Svenja.

»Was ist gestern Abend passiert?«, fragte ich.

»Ich habe mich verliebt«, hauchte er.

Das haute mich um.

Mein Bruder Daniel ist acht Jahre älter als ich, also vierunddreißig. Meine einzige Erinnerung an einen verliebten Daniel geht zurück in die Zeit, als ich in die Schule kam. Seit die rotwangige, aber vollbusige Cordula ihm im zarten Alter von vierzehn Jahren das Herz brach, war Daniel nie wieder gefühlsmäßig involviert, wie er selbst das gern nennt. Natürlich hat er immer mal wieder heiße Deals (seine Formulierung, nicht meine!) mit Kolleginnen oder Finanzweltgroupies. Er schwärmt mir gelegentlich von einer taffen Traderin oder einem langbeinigen Model vor, das er in irgendeinem angesagten Club aufgabelt, aber Gefühle sind da nicht im Spiel.

Jedenfalls nicht über der Gürtellinie.

»In Svenja?«, vergewisserte ich mich.

Er nickte.

»Das beruht wohl nicht auf Gegenseitigkeit?«

»Wie kommst du darauf?«

Ich warf einen aussagekräftigen Blick auf den von Daniels Jackett blank gewischten Abschnitt unseres gammeligen Dielenbodens.

»Nein.« Das folgende Seufzen brach mir das Herz. So hatte ich meinen Bruder noch nie erlebt.

»Komm Brüderchen, ich mache dir einen Kaffee.«

»Er hat überhaupt keinen Bezug zum echten Leben«, sagte Svenja vier Stunden später.

Federico war bereits auf dem Weg zu seinen Eltern, Daniel unterwegs nach New York und unsere Mitbewohner Conny und Mike schliefen wie üblich, wenn es etwas zu tun gab. Svenja und ich saßen am Küchentisch und sammelten Mut und Kraft für die notwendige Kernsanierung unserer Wohnung. Ich schüttete die sechste Tasse Kaffee in mich hinein, sie trank heißes Wasser. Svenja hielt nichts von Koffein, Alkohol und anderen Drogen, was zum endgültigen Zerwürfnis zwischen ihr und Marihuana-Mike geführt hatte.

»Er ist ein wirklich netter Kerl«, pries ich Daniel an, der in diesem Moment vermutlich die Sicherheitsinstruktionen des Kabinenpersonals desinteressiert an sich vorbeirauschen ließ und stattdessen unerlaubterweise noch auf seinem Handy oder Laptop ein paar Börsenkurse checkte, bevor er es nach wiederholter Aufforderung als Allerletzter abschaltete.

»Das Einzige, was ihn interessiert, ist Geld«, sagte Svenja.

Diese Einschätzung war leider vollkommen zutreffend, also hatte ich dem nichts entgegenzusetzen.

Es klingelte an der Tür und ich schlurfte in die Diele, drückte mechanisch den Türöffner und ließ mich wieder vor meinem Kaffeebecher nieder. Sicher hatte ein Partylöwe etwas vergessen – zum Helfen jedenfalls war noch nie jemand an den Ort des Geschehens zurückgekehrt.

»Ich muss dich wiedersehen«, erklang eine bekannte Stimme hinter mir im Türrahmen. Daniel!

»Bist du nicht in New York?«, fragte ich fassungslos.

Er stürzte an mir vorbei und sank vor Svenja auf die Knie. »Bitte!«

Daniel hatte geduscht, trug nun eine Designer-Jeans und ein hellblaues Designer-Hemd, handgenähte Lederschuhe und eine andere Uhr als gestern Abend. Vermutlich hätte ich von dem Gegenwert seiner Ausstattung ein ganzes Jahr leben können.

Svenja warf ihm einen halb erstaunten, halb desinteressierten Blick zu.

»Ach, Daniel, du lebst doch auf einem ganz anderen Stern.«

»Ich ziehe um. Auf deinen Stern.«

Wie bitte? War das jetzt romantisch oder lächerlich oder was? Ich starrte Daniel fassungslos an.

»Ich gehe Ende Februar nach Indien in ein Karma-Kagyu-Kloster, um die buddhistische Ethik der ökologischen und sozialen Verantwortung zu lernen.«

»Ich bin regelmäßig in Indien, da kann ich dich besuchen kommen.«

»Das Kloster liegt nicht im Finanzdistrikt.«

»Ich komme, wohin du willst.«

»Dort ist kein Besuch erwünscht.«

»Dann lass mich wenigstens diese vier Wochen an deiner Seite sein. Zeig mir deine Welt. Ich bin lernfähig.«

Zum ersten Mal blickte Svenja Daniel mit echtem Interesse an. »Müsstest du nicht gerade auf dem Weg zu einem neuen Milliardendeal sein?«

»Ich habe den Flug auf morgen früh verschoben. Bitte lass mich bis dahin bei dir sein.«

»Prima«, sagte ich. »Wir können gut noch Hilfe beim Aufräumen gebrauchen.«

Wenn ich mich gefreut hatte, meinen Bruder nun häufiger zu sehen, so wurde ich enttäuscht. Zwar sah ich ihn, aber er mich nicht. Er nahm mich überhaupt nicht wahr, wenn er in unserer Küche saß. Er bemerkte mich nicht, wenn ich ihm Kaffee anbot, was aber nicht weiter schlimm war, da er dem Kaffeegenuss gleich am Sonntag nach unserer Fete abgeschworen hatte. Kaffee sei Gift für den Körper, hatte Svenja ihm erklärt, und Daniel hatte genickt und die Tasse, die ich gerade vor ihn hingestellt hatte, in den Ausguss gekippt. Seitdem trank er Wasser, wahlweise heiß oder kalt, selten als Tee aufgebrüht oder mit einem Pfefferminzblatt aromatisiert. Er behauptete, auch auf seinen Reisen, die er auf die absolut notwenige Dauer reduzierte, keinen Kaffee mehr zu sich zu nehmen, und ich glaubte ihm. Wenn Daniel nämlich eines bereits frühzeitig bewiesen hatte, dann war das seine Fähigkeit zur Disziplin.

Seit seinem sechzehnten Lebensjahr wusste mein Bruder, dass er in die internationale Finanzwelt einsteigen wollte. Er begann über Derivate, Optionen, Zinsswaps, Futures, Credit Default Swaps und Forward Rate Agreements zu fabulieren, was mich wenig beeindruckte. Ich wollte weiter Tierärztin werden, spezialisiert auf Frösche, denn die liebte ich besonders. Daniels Notendurchschnitt lag zum Zeitpunkt seiner Zukunftsplanung bei einer gemütlichen Vier. Als meine Mutter ihn darauf hinwies, dass seine schulischen Leistungen ein Hindernis auf dem Weg zum gewählten Berufsziel darstellen könnten, überdachte er seine Entscheidung, wollte aber nicht davon abrücken und begann zu lernen. Das Abitur machte er mit Eins Komma fünf. Hätte er Sport rechtzeitig abgewählt, wäre das Ergebnis noch besser geworden.

Diese Verbissenheit (er selbst würde sicher das Wort Zielorientierung benutzen) bewies er nun wieder. In jeder möglichen Sekunde hing Daniel an Svenjas Rockzipfel und ließ sich von ihr beschimpfen.

»Geld ist ein System der Unterdrückung und du bist Teil dieser lebensverachtenden Macht.«

Daniel nickte.

»Deine ständigen Flugreisen heizen den Klimawandel erst so richtig an.«

Daniel nickte.

»Ihr Finanzspekulanten stürzt ganze Staaten, ach, was sage ich, ganze Kontinente in Armut und Verzweiflung.«

Daniel nickte.

»Sag mir, was ich tun soll«, forderte er sie dann auf.

Svenja seufzte. »Mein Gott, wo soll ich da anfangen?«

Ich ließ die beiden allein und ging shoppen. Als designierte PR-Managerin des Marketingleiters der Firma Siebendt GmbH, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit einer exklusiven Produktlinie, musste ich schließlich präsentabel aussehen.

Kapitel 2

»Frau Tutz, wie schön, Sie wiederzusehen!«

Dieses Willkommen ließ mein Herz höher schlagen, obwohl ich wusste, dass es nicht so gemeint war, wie ich es gern gehabt hätte. Philip Steffen Siebendt war einfach ein Mann, der wusste, was sich gehört. Und was die Menschen gern hörten. Und er war ein Meister darin, jedem Gegenüber das Gefühl zu geben, willkommen zu sein, respektiert und geschätzt zu werden – und sogar gemocht. Er war nicht nur grundsätzlich verbindlich, sondern von Natur aus charmant und damit genau der Richtige für seinen Job: Leiter Unternehmenskommunikation und Marketing.

Außerdem war Philip Steffen Siebendt der Juniorchef der Siebendt GmbH, was jedem Wort, das er äußerte, zusätzliches Gewicht verlieh. Und er sah genau so aus, wie der Mann, den ich mir selbst machen würde, wenn ich könnte: Einen Meter siebenundachtzig groß, mittelblond, sportlich. Sein sportliches Aussehen täuschte, im Gegensatz zu dem meines Bruder, nicht. Siebendt war mit seinem Club deutscher Meister im Tennis gewesen, bevor er den Leistungssport aufgab, um den Job in der Firma seines Vaters anzutreten. Er lief zwei Marathons im Jahr und segelte Rennen auf der Familienjacht. Die Weihnachts- und die Osterfeiertage verbrachte er auf der Skipiste und jeden Morgen vor der Arbeit schwamm er tausend Meter im eigenen Pool. Seit einigen Jahren spielte er außerdem noch Polo. Auf eigenen Pferden natürlich.

Seine blaugrünen Augen strahlten, seine schlanke Hand, die nach jedem Segelrennen zerschunden war von der harten Arbeit, drückte meine kleine Hand fest aber vorsichtig, als er mich an meinem ersten Arbeitstag als fest angestellte Mitarbeiterin der Siebendt GmbH willkommen hieß. Meine Hand war nicht feucht, aber damit das auch so blieb, zog ich sie schneller zurück, als ich eigentlich wollte. Handbäder in Salbeitee waren hilfreich, konnten aber keine Wunder wirken.

Ich freue mich, dich wiederzusehen, Liebster, dachte ich.

»Ich freue mich auch, wieder da zu sein«, sagte ich.

»Frau Tutz wird ab jetzt fest hier arbeiten, Josef, Sie werden sie also täglich sehen.«

Der Pförtner, den die Firma Siebendt GmbH sich noch leistete, lächelte mich freundlich an. Josef und ich kannten uns schon von meinem Praktikum. Er hatte in den Achtzigern im Lager gearbeitet und nach einem Unfall in die Pförtnerloge gewechselt. Da Josef alles, was in der Firma geschah, bereits lang vor den Betroffenen erfuhr, war auch diese Information für ihn mit Sicherheit nicht neu.

Frau Wildenroth, die Abteilungssekretärin, begrüßte mich ebenfalls, allerdings deutlich weniger freundlich. Sie musste das Rentenalter inzwischen überschritten haben, aber niemand wagte, ihr den wohlverdienten Ruhestand nahezulegen. Sie war die persönliche Assistentin des Seniorchefs gewesen und hatte, wenn Not am Mann war, ihre Dienste für den Unternehmer auch in die Abendstunden ausgedehnt und gelegentlich auf den damals noch sehr kleinen Philip aufgepasst. Als der Junior dann ins Unternehmen eintrat, bekam er Frau Wildenroth zur Seite gestellt – ob als Assistentin oder Aufpasserin war mir nicht ganz klar. Sicher wusste ich nur, dass sie beides tat, also assistieren und aufpassen, und im Moment überwog eindeutig die zweite Tätigkeit.

Ich war ihr zwar nach meinen beiden Praktika nicht gänzlich unbekannt, hatte aber als Studierende nicht die Wichtigkeit besessen, die Frau Wildenroth zu einer genaueren Inspektion veranlasst hätte. Als fest angestellte Mitarbeiterin allerdings und in meinem professionellen Outfit war ich ihr nun offenbar doch intensivere Aufmerksamkeit wert, und so betrachtete sie mich über ihre Lesebrille hinweg mit kritischem Blick. Als dieser auf dem Weg vom Scheitel abwärts bei meinen Füßen ankam, zuckte ihr großer Busen heftig.

Das Zucken von Frau Wildenroths Busen war ihre Art, Missfallen auszudrücken, und so seufzte ich lautlos und ohne das in mein Gesicht gemeißelte Lächeln auch nur eine Sekunde unbeaufsichtigt zu lassen. Meine brandneuen Schuhe mit den schwarz-goldenen Stilettoabsätzen, die meine zu kurz geratenen Beine streckten und die Knöchel schlanker aussehen ließen, würde ich mir von ihr nicht verbieten lassen, da konnte ihr Busen ganze Morsealphabete hoch und runter zucken.

»Die Herren sind gerade angekommen«, informierte Frau Wildenroth den von ihr vergötterten Philip.

Siebendt lächelte mich an. »Etwas früher als geplant, aber das macht Ihnen hoffentlich nichts aus. Diese Gelegenheit, eine unserer wichtigsten Kundengruppen kennenzulernen, sollten Sie sich jedenfalls nicht entgehen lassen. Kommen Sie.«

Ich eilte in mein Büro, freute mich über den Blumenstrauß auf dem Schreibtisch, legte Jacke und Handtasche ab und folgte Siebendt.

Die Gruppe, um deren Ankunft es ging, bestand aus zwölf Spitzengastronomen, die den wichtigsten Fachgroßhändler für Fleischwaren aus aller Welt persönlich kennenlernen wollten. Als PR-Managerin für die Produktlinie der exotischen Fleischsorten wie Kudu, Antilope und Bison würde ich in Zukunft genau diesen Leuten unsere Spezialitäten schmackhaft machen müssen. Ich schluckte und bemühte mich, meine Aufregung niederzukämpfen, während ich eilig hinter Siebendt herstöckelte.

Philip Steffen Siebendt führte die Herren und mich durch den ganzen Betrieb, einschließlich Kühlhaus. Geschlachtet wurde hier natürlich nicht, denn die Firma Siebendt GmbH war ein Großhändler, kein Produzent, aber das Kühlhaus war beeindruckend. Nur fertig abgepacktes Fleisch wurde hier gelagert und kommissioniert. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter trugen rote Daunenjacken mit Firmenlogo sowie Mützen und Handschuhe, während ich in meinen dünnen Strümpfen und den Pumps fror, was das Zeug hielt. Ich hätte mich über einen Tipp von Siebendt gefreut, bevor wir die Herren am Empfang abholen gingen, dann hätte ich meine Winterjacke gar nicht erst auf den Kleiderständer im Büro gehängt, aber der Juniorchef hatte wohl nicht daran gedacht, weil er selbst nicht fror. Seine Unempfindlichkeit gegen die Temperatur nahe dem Gefrierpunkt veranlasste auch einen der Besucher zu einer entsprechenden Bemerkung.

Siebendt lachte. »Wissen Sie, ich habe an Silvester an der berühmten Frozen-Trousers-Segel-Regatta rund um Helgoland teilgenommen, das war kalt. Dagegen ist unser Kühlhaus der Vorraum einer finnischen Sauna.«

Ich hoffte, dass meine Lippen nicht vor Kälte aufplatzten, als ich seine Bemerkung mit einem breiten Lächeln quittierte.

Nach nur zwei Stunden wäre ich bereit gewesen, mein gesamtes erstes Monatsgehalt für ein paar flache Schuhe zu geben. Um elf Uhr konnte ich dann endlich vom Klo aus Svenja anrufen.

»Kannst du mir meine blauen Schuhe mit den flachen Absätzen in die Firma bringen?«

Svenja lachte.

»Gib sie beim Pförtner ab. Spätestens um zwölf, sonst überstehe ich den Tag nicht«, jammerte ich.

»Wird erledigt«, versprach sie. Ich dankte ihr im Stillen dafür, dass sie auf ein mehr als berechtigtes ›Hab ich’s dir doch gesagt‹ verzichtete, denn noch vor wenigen Stunden hatte Svenja mein Schuhwerk mit einem halb ungläubigen, halb entsetzten Blick betrachtet und für eine zweifellos angemessene Bemerkung Luft geholt, die ich mir allerdings mit einer genervten Geste verbeten hatte. Dann war ich stolz wie Oskar und vorsichtig wie ein Fakir auf dem Nagelbrett zur Tür hinausgestöckelt.

»Hier ist ein Paket für Sie«, rief Josef, als ich nach der Mittagspause bei ihm vorbeischaute. »Muss nur kurz in mein Büro«, hatte ich Siebendt nach dem Dessert in der Kantine zugeraunt und seine hochgezogenen Augenbrauen mit einer laienhaften Pantomime beantwortet, die einen Interpretationsspielraum vom Nachziehen des Lippenstifts bis zum Verschließen der Lippen mittels eines imaginären Reißverschlusses zuließ. Er hatte irritiert geschaut, dann aber gnädig genickt.

»Was ist denn mit Ihnen los, Kindchen?«, fragte Josef gleich darauf, als er mein Hinken und die Tränen im Augenwinkel bemerkte.

»Endlich«, quetschte ich hervor und stieg aus den Pumps.

»Ach so.« Sein besorgter Gesichtsausdruck wechselte zu gutmütigem Spott. »Das hätte mich auch gewundert, wenn Sie das überstehen. Der gnädige Herr hat Sie wohl nicht vorgewarnt, was?«

Ich blickte in den Karton, den Svenja als neutrales Kurierstück getarnt hatte, und hätte vor lauter Dankbarkeit fast noch mehr Tränen verdrückt. Eine Großpackung Blasenpflaster und eine Tafel Bitterschokolade lagen neben meinen alten Schuhen. »Halt durch!«, stand auf einem Zettelchen, das im linken Treter steckte.

Auch Josef hatte es geschafft, einen Blick in den Karton zu erhaschen. Ein zahnlückiges Grinsen erhellte sein fülliges Gesicht.

»Soll ich das hier aufbewahren?«, fragte er.

Ich brauchte einen Moment, um zu kapieren, dass er auf Frau Wildenroth anspielte, der es sicher eine großartige Genugtuung verschaffen würde, mich in meinen alten, flachen Latschen zu sehen. Ich wollte ihr lieber nicht in die Arme laufen, ging stattdessen in die Damentoilette, zog die Strumpfhose aus, versorgte meine blutenden Füße, wechselte die Schuhe, teilte die Schokolade mit Josef und ließ den gut verpackten Beweis meiner Schmach in der Pförtnerloge zurück in der Hoffnung, dem zuckenden Busen für den Rest des Tages aus dem Weg gehen zu können.

Daniel verbrachte drei Tage in New York, zwei in Tokyo und drei in London, bevor er wieder in Düsseldorf landete. Ich erfuhr davon durch Svenja, die mir regelmäßig Grüße von ihm ausrichtete. Regelmäßig bedeutete zwei Mal täglich, nämlich morgens und abends.

»Was läuft da zwischen euch?«, fragte ich, nachdem ich meine erste Arbeitswoche überstanden hatte und wieder in der Lage war, mich für meine Umwelt zu interessieren.

»Er bildet sich ein, dass ich die Frau seines Lebens bin«, erklärte Svenja in ihrer unnachahmlichen Art, als ginge sie all das nichts an. Als sei sie ein Wesen von einem anderen Stern, das unter Menschen gestrandet war und diese zwar wohlwollend aber distanziert betrachtete. Dabei wirkte sie weder hochnäsig noch unfreundlich, sondern einfach – entrückt.

»Und jetzt versucht er, dich davon zu überzeugen?«, fragte ich.

Sie zuckte mit den Schultern.

»Was hältst du von ihm?«

Svenja sah mich halb spöttisch halb ungläubig an. »Er repräsentiert alles, was in dieser Welt falsch läuft. Sein ganzes Leben dreht sich um Geld. Er scheffelt es als Selbstzweck und verprasst es für Dinge, die absolut wertlos sind. Für Klamotten, Uhren, Wohnungen, die er nicht bewohnt, und ein Auto, das an dreihundertfünfzig Tagen im Jahr auf seinem teuer bezahlten Platz in der Tiefgarage steht. Er …«

»Schon gut«, sagte ich. Grundsatzdiskussionen mit Svenja konnten ermüdend sein.

»Leute wie Daniel sind der Grund dafür, dass ich diese sogenannte zivilisierte, westliche Welt verlasse und nach Indien gehe. Leute wie er geben hier den Ton an. Dein Bruder steht für einen Lebensstil, der immer noch als erstrebenswert gilt. Er steht für die vollkommene Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz.«

»Er ist der Antichrist«, schlug ich vor.

»Das Christentum ist genauso fatal wie alle anderen monotheistischen Religionen mit ihrem Absolutheitsanspruch.«

Svenja wirkte weiterhin heiter und gelassen, während sie ihre Weltanschauung darlegte, in der mein Bruder eine wichtige Rolle im Reich des Bösen spielte.

»Gibt es gar nichts, was dir an ihm gefällt?«, fragte ich neugierig.

»Doch.« Svenja lächelte. »Er ist charmant.«

Der so Gelobte stand wenige Tage später in unserer Diele und bat um eine Audienz bei Svenja. Er trug eine schlichte Jeans, ein einfaches Hemd und ein paar Chucks, die ich seit Jahren nicht an ihm gesehen hatte. Aber es waren seine, das erkannte ich an den Graffitis, die ich im zarten Alter von zwölf Jahren auf die Schuhe gemalt hatte, damit mein Bruder ein bisschen cooler wirkte. Ich war geschockt, dass er die alten Dinger überhaupt noch besaß.

Ich musste wohl vorübergehend einen leicht katatonischen Eindruck gemacht haben, denn er schnippte mit den Fingern vor meiner Nase herum und erkundigte sich besorgt, ob mir nicht gut sei.

»Alles prima«, erklärte ich. »Klopf ruhig bei Svenja, sie schläft noch. Ich muss zur Arbeit.«

Vielleicht wäre die Katastrophe abwendbar gewesen, wenn Svenja geblieben wäre. Daniel wäre ihr noch eine Zeit lang wie ein Hündchen nachgelaufen, aber irgendwann hätte er festgestellt, dass auch die schönste Liebe nichts taugt, wenn sie nicht erwidert wird. Abwesende Geliebte allerdings können nicht enttäuschen. Sie können nicht langweilen und müssen sich nicht im Alltag bewähren. Stattdessen bieten sie Projektionsmöglichkeiten für alles, was das liebende Herz sich wünscht und idealistisch überhöht. Insofern besiegelte der Tag, an dem Svenja nach Indien aufbrach, mein Schicksal.

Um neun Uhr klingelte Daniel an der Haustür und Svenja beendete die Meditation in ihrem nun fast leeren Zimmer. Daniel umarmte mich, ohne mich wirklich wahrzunehmen, und griff dann nach Svenjas Gepäck. Ein großer Koffer und ein Trekkingrucksack enthielten ihre Garderobe nebst Klangschalen und Gebetsmühlen. Zwei Kartons mit weiteren Habseligkeiten warteten im Keller auf ihre Rückkehr, ihre Möbel hatte sie in den letzten Tagen an Selbstabholer verschenkt, nur ein Regal und einen Sessel hatte sie mir vermacht.

Svenja blickte sich noch einmal aufmerksam um, dann umarmte sie mich.

»Pass auf deine Füße auf«, sagte sie mit ihrem überirdischen Lächeln, dann schritt sie leichtfüßig hinter Daniel her.

Daniel lud Svenjas Gepäck in den Kofferraum seines citytauglichen Geländewagens, dessen Anschaffungspreis weit über dem lag, was ich für eine Eigentumswohnung zu zahlen bereit gewesen wäre, und half ihr auf den Beifahrersitz.

»So kommt das gute Stück doch mal zu einem sinnvollen Einsatz«, sagte er, während er sich in den fließenden Verkehr drängelte. Auf eine Lücke zwischen zwei Autos zu warten gehörte nicht zu seinem Fahrstil.

Ich verkürze die Darstellung der folgenden eineinhalb Stunden, obwohl Daniel sie mir in allen Details schilderte, wie er überhaupt ab diesem Zeitpunkt sehr mitteilsam wurde, weshalb ich die Geschehnisse verhältnismäßig umfassend darstellen kann – auch solche, die ich nicht selbst miterlebt habe. Allerdings nehme ich mir die Freiheit, meine persönliche Sicht der Dinge in die Erzählung einfließen zu lassen. Schließlich ist dies mein Buch und nicht Daniels.

Svenja gestattete Daniel, ihr noch ein Glas heißes Wasser zu besorgen, und so zog er los zu der Kaffeebar, in der er als Geschäftsflieger Stammgast war. Svenja hatte erst Bedenken wegen der Ausrichtung der Theke gehabt, die nach Feng-Shui-Kriterien das Unglück anzog, aber dann hatte sie Daniel angewiesen, sich der Bar nur von der rechten Seite zu nähern und mit den Getränken nicht unter dem darüberhängenden Werbebanner durchzugehen. Daniel hielt sich an die Vorschriften und verlangte zwei Becher heißes Wasser.

»Nanu, heute keinen dreifachen Espresso?«, fragte die hübsche Frau an der Theke.

Daniel zwinkerte ihr zu. »Nein, nie mehr.«

Sie starrte ihn an.

»Kaffee ist eine Droge, sie sollte genauso verboten werden wie Alkohol und Nikotin.«

Daniel suchte nach Kleingeld.

»Was ist denn mit Ihnen passiert?«, fragte die Bedienung. »Früher konnten Sie nicht genug davon bekommen. Zweioder drei Dreifache hintereinander waren doch üblich, bevor Sie in den Flieger gestiegen sind.«

»Jetzt weiß ich es besser. Ich habe erkannt, wie schlecht mein Leben war.«

»Schlecht?«, fragte die Bedienung fassungslos und mit gerunzelter Stirn. »Sie sind in der ganzen Welt unterwegs, haben die tollsten Klamotten und Uhren und erzählen mir, dass Ihr Leben schlecht war? Wollen Sie mich verarschen?«

Daniel legte fünf Euro auf die Theke und griff nach den Bechern. »Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Suchen Sie sich einen neuen Job. Die Abflughalle ist eine Katastrophe, was die Lebensenergie angeht und speziell diese Bar ist nach Feng-Shui-Kriterien äußerst gefährlich. Hoffentlich werden Sie nicht krank!«

»Danke für den Tipp«, entgegnete die Bedienung ätzend. »Dann suche ich mir eben einfach einen neuen Job. Kein Problem, die Angebote stapeln sich ja in meinem Briefkasten.«

Und während Daniel sich von der Bar entfernte, hörte er noch, wie sie »arrogantes Arschloch« murmelte.

»Vielen Dank für deine Hilfe, Daniel«, sagte Svenja vor der Sicherheitsschleuse. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.

»Für dich tue ich alles«, quetschte Daniel um den Kloß in seinem Hals herum. »Sag mir einfach, was du willst.«

Svenja blickte ihn aus ihren Feenaugen ernst an. »Sei vorsichtig mit dem, was du versprichst.«

»Ich meine es ernst.«

Svenja legte den Kopf schief, dann erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht und sie nickte. »Gut, dann habe ich einen Wunsch: Schwöre dem Geld ab und richte dein Leben an echten Werten aus. An Fairness, Mitgefühl und, ja, obwohl das Wort abgenutzt ist, an Nachhaltigkeit. Übernimm Verantwortung für dein Tun.«

Daniel fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und hielt die Luft an. Dann stieß er sie heftig aus. »Okay«, sagte er und legte die rechte Hand auf sein Herz. »Ich schwöre, dass ich ab sofort nachhaltig handeln und leben werde.«

Svenja runzelte die Stirn. »Das ist ein Schwur, der dein Leben von Grund auf verändern wird.«

Daniel nickte. »Das ist mir klar.«

»Du wirst viele Menschen vor den Kopf stoßen, wenn du dich so fundamental änderst.«

Daniel nickte. »Die sind mir egal.«

Svenja zuckte zusammen. »Aber genau diese Die-anderen-sind-mir-egal-Haltung ist nicht gut, Daniel. Dadurch ist unsere Welt in diese Schieflage gekommen.«

»So meinte ich das auch nicht«, stammelte Daniel. »Ich meinte, dass ich jetzt ein Ziel habe, das den Konflikt wert ist.«

Svenja nickte.

»Wenn du wiederkommst, werde ich deiner würdig sein.«

»Du solltest das nicht für mich tun, sondern für dich, Daniel.«

Mein Bruder nickte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er mit Sicherheit noch keinerlei Ahnung, worauf er sich einließ.

»Leb wohl«, sagte Svenja, drehte sich um und ging.

Daniel stand noch so lange vor dem Durchgang zur Sicherheitsschleuse, bis Svenjas leuchtendes Haar im Strom der Reisenden um die nächste Ecke verschwand. Sie drehte sich nicht ein einziges Mal zu ihm um.

Eine Stunde später saß Daniel in meiner Küche und nahm einen Becher heißes Wasser entgegen. Für mich hatte ich einen Kaffee gekocht.

»Sag mal, ist der fair gehandelt?«, fragte er.

»Klar«, murmelte ich.

Im Geiste erstellte ich bereits eine ganze Liste von Dingen, die ich dringend erledigen wollte. Das Kostüm musste in die Reinigung, ich brauchte mehr Blusen, neue Schuhe, musste waschen und bügeln, und zu essen war auch nichts mehr im Haus. Conny und Mike hatten meine Einkäufe der letzten Tage aus dem Kühlschrank gemopst, während ich arbeiten war, und abends hatte ich keine Kraft mehr gehabt, die beiden Schmarotzer zur Rede zu stellen oder Nachschub zu kaufen.

»Ich werde nämlich ab sofort Verantwortung für mein Handeln übernehmen.«

»Bisher hast du völlig verantwortungslos gehandelt?«, fragte ich überrascht.

»Nein, ich meine – ja. Irgendwie schon.«

»Komisch. Ich erinnere mich daran, dass dich gerade die Verantwortung für die Milliardendeals so an deinem Job gereizt hat.«

Daniel schüttelte den Kopf. »Nein, das meine ich nicht. Das ist ja nur Geld.«

Dieser Spruch aus dem Mund meines Bruders jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich betrachtete ihn besorgt. »Hast du Fieber?«

»Was ich jetzt meine, ist Verantwortung im echten Leben. Für die Umwelt und meine Mitmenschen. Sowohl die jetzigen als auch die nachfolgenden Generationen.«

Das klang verdächtig nach dem Untertitel eines beliebigen Lehrbuches aus Svenjas Studium der Sozialen Ökologie. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, den Mann, der mir an meinem Küchentisch gegenübersaß, völlig unvoreingenommen und sachlich zu analysieren.

»Du hast den Verstand verloren«, lautete meine Diagnose.

»Das Herz, nicht den Verstand.« Der Feststellung folgte ein langer Seufzer. »Hätte ich sie doch früher kennengelernt! Ich hätte sie von dieser Reise abhalten können und wir hätten mehr Zeit miteinander gehabt.«

Diesen Daniel, der sich selbst für den Mittelpunkt des Universums hielt und davon ausging, dass alle anderen Planeten, Monde oder sonstiger Weltraumschrott nur um ihn kreisten, erkannte ich nicht wieder.

»Wenn du sie so sehr liebst, solltest du nicht danach streben, sie von der Verwirklichung ihrer Träume abzuhalten«, neckte ich ihn.

»Du hast recht«, gab Daniel nach einer Weile zu.

Der Schauer kroch jetzt auch die Arme empor.

»Ach, ich muss so viel Neues bedenken. Als Erstes wollen wir mal feststellen, wie das mit dem Kaffee ist.«

»Woher weißt du überhaupt, dass es fair gehandelten Kaffee gibt?«, fragte ich.

»Glaubst du vielleicht, ich lebe hinter dem Mond?«

»Schlimmer«, sagte ich. »Ich glaube, du lebst in einem Paralleluniversum, in dem die Erde keine Kugel sondern eine Goldmünze ist, von deren Rand man heruntergestoßen wird, wenn man nicht genug Kohle hat.«

Daniel schien mich gar nicht zu hören, denn er stand kommentarlos auf und studierte die klein gedruckten Informationen des Kaffeepäckchens. »Fair gehandelt, aber nicht bio. Das solltest du unbedingt ändern. Ab sofort gibt es nur noch Bio-Kaffee.«

Er warf das noch halb volle Päckchen in den Mülleimer.

Mühsam kontrollierte ich meine Schnappatmung. »Wenn du dein Leben ändern willst, tu es von Herzen gern, liebstes Brüderlein«, flötete ich mit einem zugegebenermaßen leicht ätzenden Unterton. »Aber lass mich damit in Frieden.«

»Verantwortung übernehmen«, murmelte Daniel, während er seine Jacke vom Stuhl nahm und zur Tür ging. »Für sich und andere.«

Kapitel 3

Ich holte den Kaffee aus dem Müll und räumte meinen Tisch und einige Regale in Svenjas Zimmer, für das ich anteilig die Miete übernahm. Alleine mit Conny und Mike in der Wohnung fühlte ich mich wie eine Zoowärterin, die dafür sorgte, dass die Faultiere zu fressen und ein sauberes Klo hatten, und hoffte, dass der Zustand nicht lange andauern würde. Mit dem zusätzlichen Raum hatte ich immerhin etwas mehr Platz. Da Svenjas Zimmer nach Westen ging, schien abends nach der Arbeit noch ein bisschen Sonne hinein und – sofern die Tür nicht klemmte – würde ich, sobald das Wetter sich besserte, sogar den Balkon nutzen können. Wenn ich nicht bis zum Frühjahr bereits eine eigene Wohnung hatte, was ich schwer hoffte.

Zunächst arbeitete ich allerdings abends so lang, dass die Sonne das leere Zimmer beschien und schon lang untergegangen war, bis ich zu Hause ankam.

Das herausragende Büroereignis dieser ersten Märzwoche hatte nichts mit der Marketingkampagne für exotische Fleischsorten zu tun, sondern hieß Martina.

»Cooles Büro«, sagte eine Stimme von der offenen Tür her. Es war Viertel nach sieben und ich wollte gerade Feierabend machen.

Im Türrahmen lehnte ein Mensch, so viel konnte selbst ich erkennen. Viel mehr aber auch nicht.

»Ich bin Tin-Tin«, sagte sie. »Eigentlich Martina, aber so nennt mich nur mein Opa.«

»Leonie«, entgegnete ich. Zu mehr war ich einfach nicht in der Lage.

»Er hat gesagt, dass ich mal Hallo sagen könnte. Ist das okay für dich?«

»Klar.«

Ich war überfordert. Das Mädchen war vielleicht zehn, obwohl sich das wirklich kaum schätzen ließ. Es hatte porzellanweiße Haut, mandelförmige Augen, blauschwarzes Haar und einen klapperdürren Körper. Die Augen waren schwarz umrandet, die Haare standen in Stacheln vom Kopf ab und an den schwarzen, löchrigen Klamotten baumelte kiloweise Metall. Ich fragte mich, ob sie den Metalldetektor, der jedes eingehende Stück Wildfleisch untersuchte, unbehelligt passieren könnte – oder ob das Ding wegen Überlastung in spontane Selbstentzündung übergehen würde.

»Du bist neu hier«, sagte sie.

»Seit Anfang des Monats. Ich habe aber schon mal ein Praktikum gemacht.«

»Ich weiß.«

Sie stand immer noch in der Tür und starrte mich eindringlich an.

»Wer ist denn dein Opa?«

»Wie geht es deinen Füßen?«

Ich grinste. »Josef.«

Mit dem Grinsen, das sie erwiderte, ging die Sonne auf. Erst im direkten Vergleich fiel mir auf, wie ernst ihr Blick bisher gewesen war.

»Isst du auch Tiere?«, fragte Tin-Tin.

»Manchmal.« Das war die Wahrheit. Ich lebte nicht konsequent vegetarisch, aß aber auch nicht viel Fleisch.

»Ich hatte mal ein Meerschweinchen«, sagte sie.

»Hamster«, hielt ich dagegen.

»Hast du den auch gegessen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Gut.« Sie drehte sich um und verließ mein Büro.

Als ich an der Pförtnerloge vorbei nach Hause ging, saß sie in ein Buch vertieft hinter Josefs Stuhl auf einem Hocker und blickte nicht auf.

Der Vorteil bei einer Fleischgroßhandlung war, dass man es nur mit keimfrei abgepackten Delikatessen zu tun hatte und keine toten Tiere zu Gesicht bekam. Trotzdem verlangte Siebendt senior von jedem Mitarbeiter einen Besuch im Schlachthof. Mir wurde die Ehre zuteil, von PS, wie der Juniorchef intern genannt wurde, höchstpersönlich zu diesem Ausflug eingeladen zu werden.

»Der Schlachthof steht auf jeden Fall während der Probezeit auf dem Plan, am liebsten ist es meinem Vater, wenn wir den Punkt innerhalb des ersten Monats abhaken. Dann können die Mitarbeiter, die ein Problem damit haben, sich frühzeitig überlegen, ob sie das Unternehmen doch lieber wieder verlassen.«

Ich schluckte.

PS grinste. »Machen Sie sich mal keine Sorgen, so schlimm wird es nicht.«

Zum Glück hatte er mich dieses Mal am Vortag informiert, sodass ich mit langen Hosen und festen Schuhen angemessen gekleidet war. Wir fuhren in seinem Auto nach Norden, dorthin, wo das Land flacher und der Rhein breiter wurde. Schlachthöfe standen schon lange nicht mehr in Innenstädten, nicht einmal mehr in Randbezirken. Die Massen an Tieren, die täglich lebend hin und tot wieder weggeschafft wurden, waren umliegenden Anwohnern nicht mehr zuzumuten. Ehemalige Schlachthöfe wurden zu denkmalgeschützten Gewerbegebieten aufgehübscht oder als Theater genutzt, neue Schlachthöfe entstanden auf der grünen Wiese.

Diesen Termin hatte ich gefürchtet wie der Teufel das Weihwasser und daher nicht gut geschlafen. Natürlich war mir, als ich die Stelle bei Siebendt annahm, klar gewesen, dass die Firma mit Fleisch handelte. Und wer Fleisch essen will, muss vorher ein Tier schlachten, auch das war mir klar. Aus genau diesem Grund aß ich ja so wenig Fleisch. Meine Mutter hatte mich schon in frühester Jugend immer wieder ermahnt, mehr Fleisch zu essen, das sei für ein gesundes Wachstum nötig, aber ich musste immer an die Tiere denken, die ich lebend doch so viel lieber mochte. Nur ab und zu kaufte ich Biofleisch, von dem ich wusste, dass die Tiere vor ihrem frühzeitigen Tod zumindest einigermaßen artgerecht gehalten wurden.

Vor PS allerdings wollte ich nicht wie eine Heulsuse dastehen, deshalb hatte ich mich gewappnet. Ja, ich würde tote Tiere sehen, aber ich würde kein Mitleid empfinden. Nur die technischen Fragen würden mich interessieren. Wie viele Tiere wie schnell getötet werden konnten, wie schnell die zerlegten Teile vakuumiert und steril verpackt in unserem Kühlhaus landeten. Geschäftliche Details zu dem Produkt, das wir verkauften. Dieses Mantra sagte ich mir vor, seit ich heute Morgen um halb sechs verschwitzt aus einem Albtraum erwacht war, in dem ich inmitten Hunderter toter Schweine auf einer abschüssigen Rampe Richtung Fleischwolf rutschte.

Wir wurden an der Pforte in Empfang genommen, bekamen Überschuhe, Kittel und Hauben, die wie Duschhauben aussahen und sich ähnlich unangenehm anfühlten.

Ein groß gewachsener Mann von Mitte fünfzig, dessen Namensschild ihn gleich als Betriebsleiter Ernst Daubinger kenntlich machte, begrüßte PS mit einem verschwörerischen Grinsen und mich mit einem prüfenden Blick.

»Hält sie durch?«, fragte er PS.

»Keine Frage.«

PS zwinkerte mir zu und ich zwang mich zu einem Lächeln, das hoffentlich zuversichtlicher aussah, als es sich anfühlte.

Daubinger führte uns um das riesige, weiße Gebäude herum zur Abladerampe. Drei Sattelzüge standen an den hermetisch abgeriegelten Rampen und nur an den rot blinkenden Warnlampen war zu erkennen, dass sie offenbar gerade entladen wurden. Ich hätte erwartet, die Schweine quieken zu hören, aber es war gespenstisch still.

»Fünfzehntausend Schweine machen wir am Tag, damit sind wir die zweitgrößte Schlachtung in Deutschland.«

Fünfzehntausend am Tag machte sechshundertfünfundzwanzig pro Stunde, machte mehr als zehn Schweine pro Minute, kalkulierte ich heimlich. Was als Rechenaufgabe zur Ablenkung vom Geschäft des Tötens gedacht war, machte mir die Ungeheuerlichkeit des Massenmordes erst recht deutlich. Vielleicht sollte ich den grausigen Erläuterungen des bulligen Herrn Daubinger ab sofort gar nicht mehr zuhören. Ich ahnte allerdings schon, dass mir das nicht gelingen würde.

Er öffnete eine Tür, durch die wir in die Halle traten, genauer gesagt in einen Gang, von dem aus wir einen hervorragenden Blick auf die weiteren Stationen des Schlachtbetriebs hatten. Zunächst blickten wir in eine große Halle voller Schweine.

»Hier ist die Ruhezone, damit sich die Tiere nach der Aufregung des Transports etwas erholen können.«

Ich wusste, dass die Erholung nicht der Beruhigung der Tiere sondern der Fleischqualität diente, denn zu viel Adrenalin im Blut führte zu einem strengen Geschmack.