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Jeder hat seine Leichen im Keller: Der humorvolle Liebesroman »Schmutzengel – Chaos ist das halbe Leben« von Jutta Profijt jetzt als eBook bei dotbooks. Wieso ist das Universum eigentlich so ein Vollidiot? Diese Frage stellt sich Corinna, nachdem ihr Leben gerade wie ein Kartenhaus zusammengefallen ist: Job weg, Freund weg, und die Wohnung noch dazu. Aber statt sich wochenlang bei ihrer besten Freundin auszuheulen, beschließt Corinna, endlich ihr Leben in die Hand zu nehmen: Voll Tatendrang gründet sie die Agentur »Schmutzengel« und entpuppt sich schon bald als perfekte Haushälterin für alle überarbeiteten Businessmänner. Doch gerade als ihr Geschäft im Höhenflug ist, findet sie im Haus des überaus sympathischen Herrn Lauenstein … eine Leiche! Es wird sie doch niemand für die Täterin halten? Kurz entschlossen, sich von diesem ungelegenen Fund nicht ihr Leben noch weiter durcheinanderbringen zu lassen, beschließt Corinna: Der Tote muss weg. Aber wie und wohin … und was wird Lauenstein dazu sagen? Jetzt als eBook kaufen und genießen: Die spritzige Liebeskomödie »Schmutzengel – Chaos ist das halbe Leben« von Jutta Profijt wird alle Fans der Bestseller von Sophie Kinsella und Alexandra Potter begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 340
Über dieses Buch:
Wieso ist das Universum eigentlich so ein Vollidiot? Diese Frage stellt sich Corinna, nachdem ihr Leben gerade wie ein Kartenhaus zusammengefallen ist: Job weg, Freund weg, und die Wohnung noch dazu. Aber statt sich wochenlang bei ihrer besten Freundin auszuheulen, beschließt Corinna, endlich ihr Leben in die Hand zu nehmen: Voll Tatendrang gründet sie die Agentur »Schmutzengel« und entpuppt sich schon bald als perfekte Haushälterin für alle überarbeiteten Businessmänner. Doch gerade als ihr Geschäft im Höhenflug ist, findet sie im Haus des überaus sympathischen Herrn Lauenstein … eine Leiche! Es wird sie doch niemand für die Täterin halten? Kurz entschlossen, sich von diesem ungelegenen Fund nicht ihr Leben noch weiter durcheinanderbringen zu lassen, beschließt Corinna: Der Tote muss weg. Aber wie und wohin … und was wird Lauenstein dazu sagen?
Über die Autorin:
Jutta Profijt wurde 1967 in NRW geboren. Direkt nach ihrem Abitur zog es sie nach Frankreich, wo sie erste Erfahrungen in der Arbeitswelt sammelte, bis sie schließlich Ausbildungen als Exportkauffrau und Übersetzerin für Englisch und Französisch machte. Nach einigen Jahren als Exportmanagerin und schließlich als freie Dozentin packte sie die Lust am Schreiben. Heute ist Jutta Profijt erfolgreiche Autorin, für ihre zahlreichen Romane erhielt sie den Friedrich-Glauser-Preis.
Die Website der Autorin: www.juttaprofijt.de/
Bei dotbooks erschienen ihre Romane »Schmutzengel: Chaos ist das halbe Leben«, »Möhrchenprinz: Ein Traummann auf den dritten Blick« und »Blogging Queen: Liebe und andere Notlügen«.
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eBook-Neuausgabe Februar 2023
Dieses Buch erschien bereits 2010 unter dem Titel »Schmutzengel« bei dtv.
Copyright © der Originalausgabe 2010 Deutscher Taschenbuchverlag GmbH & Co. KG, München
Copyright © der Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, München, unter Verwendung von Bildmotiven von Adobe Stock/nadzeya26
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)
ISBN 978-3-98690-581-1
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Jutta Profijt
Schmutzengel – Chaos ist das halbe Leben
Roman
dotbooks.
Der Tag, an dem sich mein bis dahin weitgehend ereignisloses Leben von Grund auf und für immer veränderte, begann wie ein ganz normaler Tag. Damals dachte ich, dass dieser Tag, der mir drei Katastrophen auf einmal bescherte, der schwärzeste Tag meines Lebens sein müsste. Rückblickend kann ich sagen, dass jene Katastrophen nur kleine Ärgernisse und jener Tag nur ein lächerlicher Vorgeschmack auf das sein sollten, was mich wirklich aus der Fassung brachte. Aber lesen Sie selbst.
Noch etwas: Ich werde diese Niederschrift bei Lisbeth hinterlegen, die sie im Fall meiner Verhaftung einem Anwalt übergeben kann.
Alles begann also im Oktober des vergangenen Jahres. Nach Wochen voller Regen und Wind war zum ersten Mal der Himmel wieder zu sehen. Über Nacht waren die Wolken verschwunden, wärmere Luftmassen strömten aus dem Süden Europas zu uns und brachten angenehme Temperaturen mit sich. So hatte es der Wetterfrosch im Fernsehen formuliert. Mir war egal, woher die Luftmassen strömten. Hauptsache, der Regen hörte endlich auf.
In dem windgeschützten Balkonkasten vor meinem, damals noch unserem, südlichen Wohnzimmerfenster entfaltete die letzte, nicht verfaulte Cosmeablüte ihre zarten Blätter. Ich bin eine geborene Optimistin und empfand daher den Anblick der strahlend violetten Blüte als gutes Zeichen für den Tag und als Aufforderung, einen weiteren Blumenkasten mit Spätblühern zu bepflanzen. Das nahm ich mir beschwingt für den Feierabend vor.
Ich konnte ja nicht ahnen, dass es niemals dazu kommen sollte.
Mein Tagesablauf damals war einfach. Um halb acht aufstehen, während Greg noch schlief, eine schnelle Tasse Kaffee, die die Maschine in den zehn Minuten aufbrühte, die ich unter der Dusche verbrachte. Den normalen Filterkaffee kochte ich nur für mich, Greg bereitete sich später einen Espresso mit seinem sündhaft teuren Marken-Espresso-Vollautomaten zu. Die erste Tasse Kaffee trank ich im Bad, während ich mir die Haare föhnte, die zweite begleitete das Anziehen und Blumengießen. Ein richtiges Frühstück nahm ich schon lange nicht mehr zu mir, sehr zum Missfallen meiner Oma. Das ist so ziemlich der einzige Punkt, in dem wir nicht einer Meinung sind. Im Sturmschritt ging es dann zur Straßenbahnhaltestelle, beim Bäcker unterwegs kaufte ich ein überteuertes Brötchen, das ich in der Bahn aß und dann, um halb neun, begann mein Arbeitstag bei AIQ. Das spricht man »aikju«, also wie IQ auf Englisch. Sollte wohl witzig sein. Oder hip. Oder beides, keine Ahnung. AIQ jedenfalls war damals eine der wichtigen, angesagten Werbeagenturen in Düsseldorf, der Hauptstadt der wichtigen, angesagten Werbeagenturen. Und ich war stolz darauf, dabei zu sein.
Mein Arbeitstag in der Agentur begann üblicherweise damit, etwa zehn Liter Kaffee zu kochen. Nicht irgendeinen Kaffee, sondern ein unglaublich teures Zeug aus ausgesuchten, mit Monsun-Regenwasser gewaschenen Hochlandbohnen, nach einem speziellen Verfahren geröstet und in unserer elektrischen, extra Aroma schonenden Kaffeemühle frisch gemahlen. Für mich schmeckte auch dieser Kaffee nur nach Kaffee, daher konnte ich das Aufheben, das darum gemacht wurde, nicht verstehen. Musste ich aber auch nicht, ich musste ihn nur zubereiten. Meine nächste Aufgabe war es, die Post zu öffnen und sie ungelesen auf den Tisch der Direktionsassistentin zu legen. Danach kümmerte ich mich um die Pflanzen.
Da AIQ eine hippe Agentur und keine miefige Behörde war, gab es in den lichtdurchfluteten Räumen nicht das übliche Bürogrün wie Palmen oder Gummibäume, das in dunklen Ecken auf großen Blättern Staub sammelt, sondern ausgeflipptes Zeug wie Sonnenöffner, Flamingoblumen, Froschlöffel, Flohkraut, Papyrus und Fleisch fressende Pflanzen. Zu der zweifelhaften Ehre der Verantwortlichkeit für das agentureigene Grünzeug war ich gekommen, weil ich vom Land kam. Direkt von den windigen Höhen der Schneeeifel, wo meine Großeltern einen Bauernhof hatten. Vor nunmehr zwölf Jahren war ich zur Ausbildung als Werbekauffrau nach Düsseldorf gegangen. Seitdem nannte man mich Däumling, die Frau mit dem grünen Daumen.
Damals war ich blöd genug, mich geschmeichelt zu fühlen. Mehr aufgrund der Tatsache, dass ich wichtig genug war, überhaupt einen Spitznamen zu haben, als aufgrund des Namens an sich. Der passte auch gar nicht zu mir, denn ich bin groß gewachsen. Jedenfalls war ich die erste Grünzeug-Verantwortliche, die die teuren botanischen Lieblinge des Chefs nicht innerhalb von drei Monaten in den welken Tod trieb, und so blieb der Job an mir hängen. Ich wusste genau, welches Gewächs viel und welches wenig Wasser brauchte, ob das Wasser warm oder kalt, mineralienreich oder regenweich sein musste und wie oft am Tag, in der Woche oder im Monat überhaupt Flüssigkeit verabreicht wurde. Ich verfügte über ein eigenes Budget, aus dem ich die nicht unerheblichen Wasserkosten bestritt. Mineralwasser für die Kalkbodenspezialisten, saures, basisches oder Meerwasser für Moorpflanzen, neuseeländische Vulkanseeflechten oder nordeuropäische Salzwiesengräser. Mein grüner Daumen sicherte mir eine lobende Erwähnung auf jeder Weihnachtsfeier und eine lebenslange Anstellung in einer der angesagtesten, hippsten und kreativsten Agenturen der Stadt.
Dachte ich.
Bis zu eben jenem sonnigen Tag, an dem die warmen Luftmassen nicht nur die erwähnte Blüte mit sich brachten, sondern auch eine Überraschung für mich:
Meine Kündigung.
Dass es Zeiten gab, in denen es der IT-Branche schlecht ging und sie riesige Populationen an kommunikationsgestörten Binärcodeschreibern und Flash-Banner-Programmierern aus der Gruppe der Aktienblasenmillionäre zurück in die Spülküchen der Erfolgstraumwelten schickte, ist hinlänglich bekannt. Dass es in der Werbebranche eine ähnliche Welle gab, blieb der Öffentlichkeit weitgehend verborgen. Eine der Ersten, die von dieser Welle aus den kreativen Räumen der mehrfach ausgezeichneten Agentur AIQ gespült wurden, war ich.
Jörgen Haukwit empfing mich ganz in Violett. Jörgen Haukwit ist Gründer und Chef von AIQ. Hinter seinem Rücken wird spekuliert, ob sein Vorname Ausdruck eines überzogenen Individualitätsbedürfnisses seiner Eltern oder schlicht das Resultat eines Tippfehlers des diensthabenden Standesbeamten bei der Anmeldung des neuen Erdenbürgers ist. Besonders böse Zungen behaupten, Jörgens Vater sei durch übermäßigen Alkoholgenuss vielleicht nicht in der Lage gewesen, den Namen seines Sohnes angemessen zu artikulieren. Jörgen jedenfalls hat sich so sehr mit diesem Namen identifiziert, dass er sich weigert, Post entgegenzunehmen, die an Jürgen Haukwit adressiert ist.
Jörgen rasiert sich dreimal am Tag den Schädel, weil Glatze einfach cooler ist. Er ist ohne Sehhilfe blind wie ein bestochener Zöllner, verträgt aber keine Kontaktlinsen. Also hat er das Brille-Tragen zum modischen Statement erhoben, damit niemand auf die Idee kommt, es handele sich um eine medizinische Notwendigkeit. Ich habe immer vermutet, dass er allein mindestens drei Optiker auf der Kö finanziert. Seine Brillen sind unzählbar, ich kann mich kaum erinnern, ihn zweimal mit demselben Gestell, Pardon, derselben Fassung auf der Nase gesehen zu haben. Nun könnte man meinen, dass bereits die Wahl der Brille Jörgens Tagesform ausreichend darstellte, sodass er sich ansonsten den modisch offenbar zwingenden Vorgaben der Branchengrößen unterwerfen konnte, die grundsätzlich Kleidung in existenzialistischem Schwarz meinten. Doch weit gefehlt. Jörgen kleidete sich zwar stets von Kopf bis Fuß in nur eine einzige Farbe, insofern zeigte er eine gewisse Konformität mit dem Dresscode der Werbewelt. Nur ist diese Farbe eben nicht immer Schwarz. Sie variiert je nach Stimmung, und am Tag meiner Kündigung trug er Violett. Die Farbe tiefster Verzweiflung.
Nun könnte man meinen, die Farbe hätte mich warnen sollen, aber die Häufigkeit, mit der Jörgen in Verzweiflungsviolett erschien, hatte uns abstumpfen lassen. Zumal kleinste Anlässe bei ihm zu tiefster Verzweiflung führten. Beispielsweise ein Pickel auf der Nase. Oder die Tatsache, dass er seine Mutter telefonisch nicht erreichte, ein unfreundlicher Nachbar, ein schlechter Traum oder ein Hautfetzchen am Fingernagelbett. Ich dachte mir also nichts dabei.
Erst in dem Moment, in dem er mich mit beiden Armen fest an sich drückte, schrillten alle Alarmglocken in meinem Kopf los. Jörgen hasst Körperkontakt.
»Däumling, Darling, es tut mir soooooo leid, du kannst es dir gar nicht vorstellen. Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen.«
Mit diesen Worten ließ er mich genau so abrupt, wie er mich umarmt hatte, wieder los. Ich stand immer noch so da, wie vor und während der unerwarteten Umarmung: mit locker am Körper herunterhängenden Armen, leicht eingezogenem Kopf und einschließlich des kleinen Absatzes meiner ausgetretenen Schuhe ungefähr einen Meter zweiundachtzig groß. Jörgen misst, wenn er sich ganz lang macht, einen Meter fünfundsechzig. Er blickte mit Tränen in den Augen zu mir auf. Dann drehte er sich abrupt um, schnappte nach einem auf dem Schreibtisch liegenden Umschlag, drückte ihn mir in die Hand und schob mich zur Tür hinaus. »Bitte lass mich allein, ich muss weinen, ich will dir die Sache nicht noch schwerer machen, als sie es ohnehin schon ist. Alles Gute.«
Ich stand verwirrt vor seiner Bürotür, öffnete den Umschlag und las das Kündigungsschreiben.
Ich konnte es nicht fassen. Dies musste eine Verwechslung sein. Ich war normal zur Arbeit gekommen, hatte Kaffee gekocht, die Post vorbereitet und die Pflanzen gegossen. Alle Gewächse waren gesund, keines hatte gelbe Blätter oder war eingegangen. Wieso sollte Jörgen mir also kündigen?
Christine, Jörgens rechte Hand und linke Hirnhälfte, holte mich in ihr Büro und schloss die Tür.
»Es tut mir leid«, sagte sie. Es klang ehrlich.
Ich schwieg.
»Du hast noch Überstunden und Urlaub«, fuhr sie fort. »Wenn du willst, kannst du direkt verschwinden.«
Ich starrte sie an. Sofort verschwinden? Aber ich musste doch noch die Nachkalkulation der letzten Anzeigenkampagne machen, die Mediaplanung für den Lippenstift mit Vitamin-C-Zusatz … Ich konnte nicht einfach verschwinden. Wer würde dann meine Arbeit machen? Und was sollte ich tun, wenn ich morgens um zehn Uhr wieder auf der Straße stand? Wo sollte ich hin? Mitten am Tag in der Wohnung herumsitzen? Shoppen? Mich zu den Pennern unter die Brücke legen?
»Nein«, stammelte ich. »Warum sollte ich?«
Sie legte den Kopf ein wenig schief, wie sie es immer tat, wenn ihr etwas unangenehm war. »Jörgen will es so.«
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass man mir nicht die Wahl ließ, sofort zu gehen, sondern den Befehl dazu gab. Das machte mich völlig fassungslos.
»Er schmeißt mich direkt und ohne Umschweife hinaus?«, fragte ich.
»Du weißt, wie er unter schlechter Stimmung leidet«, sagte Christine, die von allen außer mir Chris genannt wurde. Englisch ausgesprochen, versteht sich.
»Aber warum …«, brachte ich mühsam hervor.
»Ach, Däumling«, sagte sie mit ihrem verständnisvollsten Gesichtsausdruck und milder Nachsicht in der Stimme. »Die Zeiten sind schlecht. Die Kunden bilden sich ein, dass sie auf die klassische Werbung verzichten können, weil sie ja schöne, bunte Internetseiten haben. Es gibt wenig Geld in der Branche und um diese Budgets kämpfen alle Agenturen, die großen etwas erfolgreicher als die kleinen. Wir stehen finanziell nicht so gut da und am Kreativpersonal können wir ja schlecht sparen, nicht wahr? Wer würde dann die Kampagnen machen?«
Damals nickte ich, weil ich ihre Argumentation für die einzig sinnvolle hielt. Kreativagenturen brauchen Kreative. Ich war nur eine langweilige Werbekauffrau. Die Kreativen, das waren die wirklichen Helden. Sie entwarfen Logos, Slogans, Fernsehspots, ganze Kampagnen. Anzeigenserien, Preisausschreiben, Plakate und Goodies. Sie kümmerten sich zwar nicht um Geld, um Termine nur ungern, und waren projektorganisatorisch auf dem Niveau von Neandertalern, aber sie waren eben kreativ.
Wir, das heißt meine Kollegin Susanne und ich, waren die Ordnungshüter. Wir kalkulierten, korrespondierten, organisierten, stimmten Termine ab und pochten auf deren Einhaltung.
Wir sammelten Entwürfe aus den Papierkörben und legten sie in ein Fach, aus dem sie später unter großem Hallo wieder hervorgezogen und dann doch verwendet wurden. Wir schrieben Rechnungen und ordneten Spesenquittungen, wir buchten Flüge, Leihwagen und Hotelzimmer. Wir führten die Projektdaten zusammen und stellten in der Nachkalkulation fest, ob Budgets eingehalten oder überschritten worden waren. Wir hielten einen Haufen übermütiger Hippies in Schach und organisierten den Kindergarten so, dass er – zumindest entfernt – einem gewinnorientierten Unternehmen glich. Kurz: Wir waren natürlich abkömmlich. Zumindest eine von uns, nämlich ich.
Ich packte meine persönlichen Sachen, verabschiedete mich von Susanne, die ehrlich traurig war, und von ein paar Kolleginnen und Kollegen, die peinlich berührt eine starke Arbeitsbelastung vortäuschten, um mich schnell wieder loszuwerden. Ich ging wie betäubt zur Straßenbahnhaltestelle und sehnte mich nach Gregs starken Armen.
An dieser Stelle überkommt mich wieder einmal, wie bereits mehrfach in den letzten Tagen, ein hysterisches Kichern. Starke Arme, ha! Ja, damals hatte ich mich nach starken Armen gesehnt, damit sie mich festhielten und mir den Eindruck gaben, geliebt und gebraucht zu werden. Heute bräuchte ich auch ein paar starke Arme – allerdings nicht, um mich zu halten, sondern um das steif gefrorene Problem aus meinem Kofferraum zu entfernen. Aber davon später.
Greg, der Typ mit den starken Armen, war mein persönlicher Kreativer. Angestellter bei AIQ wie ich, aber einer von der coolen Sorte. Assistant Art Director. Auf dem Weg nach oben, weshalb er leider relativ wenig Zeit für mich hatte. Zumal unsere Arbeitszeiten, wie bereits kurz erwähnt, unterschiedlich waren. Ich begann früh und machte gegen sieben Uhr Feierabend, Greg fuhr später ins Büro und kam dafür oft erst nachts heim. Manchmal sahen wir uns tagelang kaum. Aber ich fühlte mich ihm immer nah, immerhin wohnten wir zusammen. Ich machte seine Wäsche, bügelte, kaufte seine Zahncreme, sein Duschgel und den Rasierschaum und sorgte auch sonst dafür, dass er alles hatte, was er brauchte. Nur sein Aftershave kaufte er während seiner zahlreichen Reisen im Duty-Free-Shop selbst. Kochen musste ich selten, Greg aß meist auswärts, oft mit Kollegen oder Kunden. Zu seiner normalen beruflichen Belastung kamen die bereits erwähnten, häufigen Reisen. Am Tag der Kündigung war er vier Tage auf Dienstreise, Entschuldigung, Business Trip, gewesen und musste, laut Plan, irgendwann innerhalb der letzten beiden Stunden zurückgekommen sein. Zumindest hoffte ich das.
Manche Hoffnungen bleiben besser unerfüllt.
Greg war tatsächlich zu Hause, und er starrte mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an, als ich die Tür hinter mir schloss. Es war ja auch ungewöhnlich, dass ich mitten am Tag nach Hause kam. Tränen schossen mir in die Augen, meine mühsam aufgebaute Selbstbeherrschung schmolz dahin wie Eiswürfel im Hochsommer und ich stürzte in seine Arme.
Greg ist der schönste Mann auf der ganzen Welt und – hier kommt ein nicht unwichtiger Faktor für eine Frau von einem Meter achtzig ins Spiel – er ist groß. Einsneunundachtzig mindestens. Das reicht, ich trage Schuhe mit flachen Absätzen. Außerdem ist er zur Hälfte Amerikaner und zu einem Viertel Spanier. Er sieht ein bisschen aus wie eine größere Ausgabe von Antonio Banderas, finde ich. Greg findet das auch. Er ist sehr eitel, aber das darf er bei all seinen Vorzügen natürlich auch sein.
Er schloss seine starken Arme um mich, vielleicht mit einer kleinen Verzögerung, aber das bemerkte ich damals in meiner Aufregung nicht. Es fiel mir erst später wieder ein, als ich mir die tragischen Momente des Tages wieder und wieder vor Augen führte und mich in masochistischen Anwandlungen fragte, an welcher Stelle ich die Notbremse hätte ziehen können. An keiner Stelle, weiß ich heute.
Greg also hielt mich in seinen hanteltrainierten Armen und murmelte so unsinnige Dinge wie »schschsch… wer wird denn gleich weinen?« in mein Haar. Mein langes, blondes Haar, das eigentlich zu fein war, um es wirklich lang zu tragen. Greg allerdings liebte langes Haar, deshalb hatte ich es wachsen lassen. Als wir so eng umschlungen mitten im Wohnzimmer unserer Wohnung standen, wickelte er eine Strähne um seine Finger.
Vermutlich nahm er Abschied. Von meinem Haar.
Der Abschied von mir kam geschätzte siebzehn Sekunden später, als eine mir unbekannte Person weiblichen Geschlechts aus unserem Schlafzimmer kam und nuschelte: »Wann kommst du denn endlich, ich bin schon fast …«
… eingeschlafen, vollendete ich automatisch den Satz in Gedanken.
Und als Zweites sagte mir mein grundsätzlich pragmatisch denkendes Hirn: Ich muss Oma anrufen und fragen, wie ich die Make-up-Spuren aus meinem Kopfkissenbezug entfernen kann.
Greg stellte uns charmant vor, besser gesagt stellte er mich vor. Er sagte: »Sue, das ist Corinna, von der ich dir erzählt habe.« Andersherum hätte es auch nicht so gut geklungen: »Corinna, das ist Sue, von der ich dir bisher noch nichts erzählt habe.«
Ich sagte nichts, starrte die Erscheinung einfach nur an. Sprachlos, gefühllos, fassungslos.
Sue sah zum Anbeißen aus. Sie trug nur ein Hemd, und zwar ausgerechnet Gregs Lieblingshemd, das ich zu einem obszönen Preis in einer angesagten Boutique erstanden und ihm zu seinem Geburtstag im vergangenen Mai geschenkt hatte. Ein schwarzes Hemd mit rosa Nadelstreifen von einer deutschen Hemdenmanufaktur. Er liebte diese Marke, Entschuldigung, dieses Label, und trug das Hemd mit derselben Hingabe, mit der ich es für ihn bügelte. Sue sah darin einfach süß aus. Ein bisschen wie rosa Zuckerwatte im Zartbitter-Schokoladenmantel. Sie steckte die Spitze ihres rechten Zeigefingers in den Mund, murmelte »ups, ich lasse euch dann mal allein«, drehte sich um und stelzte auf ihren langen, schlanken, haarlosen Beinen zurück ins Bett.
»So sorry, Corinn«, sagte Greg und legte seine Hand an meine Wange. »Es war love at first sight.«Als ob die englische Sprache die Geschichte von der Liebe auf den ersten Blick erträglicher machte.
»Ich wollte dir wirklich nicht wehtun, du hast so gut für mich gesorgt, aber …«
Ich stand immer noch mit hängenden Armen vor Greg, stocksteif und sprachlos. Ich hatte gut für ihn gesorgt, das stimmt. Aber war das alles gewesen?
»Sue wird in Düsseldorf wohnen und es wäre ja lächerlich, wenn sie sich jetzt auf die Schnelle eine eigene Wohnung suchen müsste«, erklärte Greg mir beiläufig. »Deshalb dachten wir, dass es besser wäre, wenn du …«
So schnell wird man nicht nur arbeits- sondern auch obdachlos. Und Single. Übergewichtig war ich ja schon. Innerhalb weniger Stunden hatte ich alle Merkmale der perspektivlosen Unterschicht, die es für mich bisher nur in sozialkritischen Aussagen populistischer Politiker gegeben hatte, in meiner Person versammelt. Zum Glück neige ich nicht zur Hysterie. Jedenfalls damals nicht. Eine geradezu unheimliche Ruhe hatte von mir Besitz ergriffen. Ich ließ einfach alles geschehen, so wie ich als kleines Mädchen auf dem Bauernhof meiner Oma manchmal bei strömendem Regen in meinem roten Regenmäntelchen unter dem Überlauf der Dachrinne stand und bewegungslos dem harten Platschen auf der Kapuze und den Schultern lauschte.
»Ach, Darling, Kopf hoch, du bist doch so ein nettes Mädchen, du wirst schon einen anständigen Kerl finden«, sagte Greg.
Darling hatte Jörgen mich eben auch genannt, dann überreichte er mir die Kündigung. Dem nächsten Mann, der mich mit Darling anredete, würde ich den Hals umdrehen.
»Hast du eine Freundin, bei der du unterkommen kannst?«, fragte Greg.
Ich erwachte aus meiner Lähmung und starrte ihn an.
»Übergangsweise?«, schob er hinterher.
Wir hatten fast zwei Jahre zusammengelebt und er fragte mich, ob ich eine Freundin hätte? Ich hatte keine. Nie gehabt. Ich war ja immer beschäftigt gewesen, ins Büro gehen, Gregs Anzüge in die Reinigung bringen, die Schuhe putzen, seine Koffer für die Reisen ein- und nachher wieder auspacken, auf Greg warten und unsere Wohnung in Ordnung halten. Eine Freundin, nein, damit konnte ich nicht dienen. Aber ich hatte eine Idee, die die Leere in meinem Kopf wie ein Blitz aus heiterem Himmel mit feiner, für mich ganz untypischer Gehässigkeit gefüllt hatte.
»Ich ziehe in dein Arbeitszimmer«, sagte ich.
Das würde ihm wehtun. Sein Arbeitszimmer war sein heiliger Rückzugsort in unserer Wohnung. Ich hatte Zutrittsverbot, solange er sich darin aufhielt, und durfte es nur betreten, um dort zu putzen und Staub zu wischen. Das allerdings durfte ich oft, denn Greg hat es gern sauber.
Natürlich hätte ich lieber meinen Koffer gepackt und wäre Türen schlagend aus der Wohnung gestürmt, aber wo sollte ich denn hin? Das Arbeitszimmer war der einzige Zufluchtsort, der mir einfiel.
Greg schluckte, wollte etwas sagen, presste aber die Lippen zusammen und nickte. Er half mir, meine Sachen in sein Arbeitszimmer zu räumen. Ich richtete mich ein so gut es ging, aber natürlich ging es nicht gut. Dann verließ ich die Wohnung, ging zur Bank, stoppte den Dauerauftrag für die Mietanteilzahlung und streunte durch die Stadt wie ein geprügelter Hund. Ich bemitleidete mich selbst nach Strich und Faden und beschloss, mir etwas Gutes zu tun. Und jedes Kind weiß, was gut für Frauen mit Liebeskummer ist: Sie setzen sich in ein Café und essen tonnenweise Torten.
Ich setzte mich in ein Café, bestellte einen Cappuccino und ein großes Stück der dunkelsten Schokoladentorte, die irgendeinen italienischen Namen trug, den ich nicht richtig aussprechen konnte. Ich schlürfte den Schaum vom Cappuccino, wie ich es, sehr zu Gregs Missfallen, immer getan habe. Die Torte kam, ich spießte ein Stück von beachtlichem Ausmaß auf die filigrane Kuchengabel, hob sie zum Mund und – presste die Lippen zusammen.
Das hatte ich ja völlig vergessen. Ich kann nichts essen, wenn es mir schlecht geht. Trauer und Stress verschließen meinen Magen zuverlässiger, als jede Operation es könnte. Das hatte mir im zarten Alter von fünfzehn Jahren einen mehrtägigen Krankenhausaufenthalt eingebracht, der der intravenösen Aufpäppelung meiner abgemagerten Gestalt diente. Ich war damals unglücklich verliebt und nicht in der Lage gewesen, zu essen. Drei Wochen lang. Drei Wochen totales Fasten sind eine lange Zeit für eine pubertierende und noch im Wachstum befindliche Göre von einhundertvierundsiebzig Zentimetern Körpergröße, also wurde ich im Krankenhaus zwangsernährt. Zum Glück verliebte ich mich bald auf das Heftigste in den Assistenzarzt, sodass ich am achten Tag selbstständig aß und wenige Tage später, sehr zu meinem Leidwesen, entlassen wurde.
Jetzt saß ich also vor einer vermutlich himmlischen Torte, bekam kein Stück davon herunter und kämpfte mit den Tränen. Ob vor Kündigungs- und Liebeskummer oder wegen der Unfähigkeit, dieses Kleinod der Konditorkunst angemessen zu würdigen, war mir nicht klar, im Grunde aber auch egal.
Damals brachten mich noch Kleinigkeiten aus der Fassung.
Natürlich ärgerte ich mich auch darüber, dass ich das Feld meiner Nachfolgerin überlassen hatte, statt um meinen Platz an Gregs Seite zu kämpfen.
»Mir ist egal, wo sie wohnt, ich jedenfalls wohne hier«, wäre ein guter Satz gewesen.
Auch der Spruch: »Wenn ihr beide zusammen sein wollt, dann sucht euch doch eine gemeinsame Wohnung. Ich bleibe hier«, hatte einen gewissen Reiz, war aber leider ganz unpassend, denn für mich allein war die große Wohnung viel zu teuer.
Aber alle Gedankenspiele halfen nicht mehr, denn ich hatte in dieser Auseinandersetzung kläglich versagt, so wie ich in den meisten Konflikten versage.
Um mich gedanklich etwas abzulenken, richtete ich mein Augenmerk auf die Zukunft und stellte mir einige wichtige Fragen: Wo sollte ich wohnen? Das Arbeitszimmer bei Greg und Sue konnte keine dauerhafte Lösung sein. Ich musste mir also entweder eine eigene, kleine, bezahlbare Wohnung suchen oder Greg und meine Seite unseres Bettes zurückerobern. Mir gefiel die Vorstellung eines Umzugs ganz und gar nicht, außerdem erwachte langsam mein Kampfgeist. Ich wollte Greg zurück. Und dann gab es noch das Problem mit meiner Kündigung. Wo sollte ich arbeiten? Wenn es einer ganzen Branche schlecht geht, haben Arbeitskräfte, deren Berufsbild nur in diesem Wirtschaftszweig existiert, schlechte Karten. Und meine Attraktivität für Greg hatte durch die Kündigung gelitten. Arbeitslose sind nicht sexy. Arbeitslose bekommen auch keine Wohnung. Ein Teufelskreis.
Während ich das hier schreibe, sitze ich übrigens in meiner neuen Wohnung. Nicht, dass ich vor lauter Langeweile Tagebuch schreibe. Ich mache das für den Anwalt, den Lisbeth sicher früher oder später für mich engagieren muss. Er soll meine Version der Geschehnisse aus erster Hand erfahren, bevor die Presse mich mit wenig schmeichelhaften Spitznamen bedenkt und öffentlich als Bestie darstellt.
Im Oktober letzten Jahres also saß ich im Café vor dem Tortenstück und hing meinen trübsinnigen Gedanken nach. Vermutlich haben neunundneunzig Prozent aller einunddreißigjährigen Frauen in einer ähnlichen Situation eine Freundin, bei der sie übergangsweise Unterschlupf finden können. Ich hatte, wie bereits gesagt, keine.
Ich war nach dem Abitur nach Düsseldorf zur Ausbildung in eine Werbeagentur gekommen, weil mein damaliger Schwarm das auch tat. Zu Hause hatte er nicht viel von mir wissen wollen, aber als wir beiden Dörfler dann plötzlich in der fernen Großstadt eine Art Schicksalsgemeinschaft waren, klammerte er sich förmlich an mich. Offenbar war ich an diesem Ort der einzige Halt in seinem Leben. Hat aber nicht lange funktioniert. Der Arme floh zurück in die Eifler Berge und verbringt seine Tage heute als stellvertretender Filialleiter an der Kasse eines Drogeriemarktes. Immerhin ist er mit einer ehemaligen Schulkameradin verheiratet und inzwischen dreifacher Vater.
Ich blieb in Düsseldorf, schloss meine Ausbildung ab und machte das, was die meisten jungen Mitarbeiter in Werbeagenturen tun: Überstunden. Hunderte. Mein Privatleben fand ausschließlich am Wochenende statt und bestand meist aus Ausschlafen, Einkaufen, Saubermachen und am Rhein Spazierengehen. Das Nachtleben liegt mir nicht, ich gehe nicht allein in Kneipen, schon gar nicht in Discos. Dazu bin ich viel zu schüchtern. Gelegentlich bin ich ins Kino gegangen, aber das ist natürlich auch kein Ort, an dem man Leute kennenlernt. Sportkurse konnte ich nicht belegen, weil ich keinen geregelten Feierabend hatte. Wie sollte ich so eine Freundin finden?
Und dann, nach acht Jahren Single-Dasein, kam Greg.
Ich verdrängte den Gedanken an ihn, denn mir schossen wieder die Tränen in die Augen. Andererseits waren die Tränen ganz gut, denn sie verhinderten den Blick auf den langsam antrocknenden Kuchen auf dem Tisch vor mir.
Also doch zurück zu Greg. Als er in die Agentur kam, wurde ich von Jörgen beauftragt, dem frisch aus Amerika eingetroffenen Assistant Art Director bei der Wohnungssuche zu helfen. Daraus ergab sich zwangsläufig ein Kontakt, der neben der Arbeit auch am Wochenende fortgesetzt wurde. Ich suchte Wohnungsanzeigen aus der Zeitung heraus, rief die Vermieter an, vereinbarte Termine und besichtigte samstags und sonntags mit Greg die angebotenen Objekte. Währenddessen wohnte er auf Agenturkosten im Hotel, schien sich dort, dank ausgezeichneter Rundumversorgung, sehr wohl zu fühlen und hatte es daher nicht eilig, in die eigenen vier Wände zu kommen. Als ich ganz unerwartet die Kündigung für mein Ein-Zimmer-Apartment erhielt, nahm ich all meinen Mut zusammen und schlug mit klopfendem Herzen vor, zusammenzuziehen. Zwar war unsere Beziehung bis dahin nicht über eher sporadische Intimitäten hinausgekommen, aber zu meiner großen Überraschung willigte Greg ein. Die Zicken aus der Mediaplanung zischelten den Begriff »betreutes Wohnen« durch die Flure, aber das entsprang nur ihrer Eifersucht, denn Greg war nun einmal der schönste Mann im Büro.
»Darf’s noch was sein?«
Ich tauchte aus meinen tränenumflorten Erinnerungen auf, erkannte die Bedienung, die mich mit besorgtem Gesichtsausdruck anblickte, und schüttelte den Kopf.
»Sie können den Kuchen abräumen«, murmelte ich.
»Ist er nicht gut?«, fragte sie.
»Doch, doch«, beeilte ich mich zu antworten. »Aber ich kann jetzt nicht …« Der Rest des Satzes wurde unhörbar, als mir die Stimme wegrutschte.
Sie nickte schnell, griff nach dem Teller, gab sich dabei sichtliche Mühe, mich nicht weiter anzusehen, und verschwand.
Jedenfalls hatte ich, nachdem ich mit Greg zusammenlebte, erst recht keine Freundin mehr gesucht, obwohl Greg abends so oft weg war, dass ich eine Freundschaft durchaus hätte pflegen können. Aber es hat sich einfach nie ergeben. Und jetzt hatte ich also gleich drei Probleme an der Backe: Job weg, Freund weg, Wohnung weg. Eine Rückkehr nach Hause auf die Eifeler Höhen kam trotzdem nicht infrage. Nach all den Jahren war ich eine Stadtpflanze geworden.
Der Antrittsbesuch auf dem Arbeitsamt, das natürlich nicht mehr so heißt, sich aber immer noch so anfühlt, verlief angenehmer, als ich erwartet hatte, stellte meine Geduld aber trotzdem auf eine harte Probe.
»Ausbildung zur Werbekauffrau?«
»Ja.«
»Sie sind ja schon über dreißig!«
»Ja.«
»Hm. Das ist in der Werbung natürlich ein Problem.«
Darauf antwortete ich lieber nicht.
»Führerschein?«
»Ja.«
»Pkw?«
»Nein.«
»Fortbildungen? Zusatzausbildungen? Weitere nennenswerte Fähigkeiten?«
»Nein.«
Oder vielleicht doch? Sollte ich erwähnen, dass ich die agentureigenen Pflanzen pflegte? Nein, lieber doch nicht.
»Also nicht viel«, sagte die gelangweilte Dame mittleren Alters mit dem schlecht gefärbten und toupierten Haar. »Nur eine Ausbildung, nur ein Arbeitgeber, keine Fortbildungen, kein Studium, keine Auslandserfahrung und schon über dreißig. Naja, wenn Sie sich Mühe geben, finden Sie vielleicht wieder was in dem Bereich.«
»Davon gehe ich aus«, sagte ich, obwohl ich mir nicht mehr so sicher war. So, wie die Sachbearbeiterin meinen Fall geschildert hatte, bestand wohl wenig Hoffnung.
»Lesen Sie das alles aufmerksam durch«, sagte die Frau und drückte mir einen ganzen Stapel Broschüren, Faltblätter und weitere Formulare in die Hand.
»Und in vier Wochen sehen wir uns wieder.«
Sie schrieb ein Datum und eine Uhrzeit auf einen vorgedruckten Terminzettel und reichte ihn mir herüber.
»Ab sofort müssen Sie erreichbar sein, bei Abwesenheit ist sicherzustellen, dass jemand Ihre Post entgegennimmt, einem eventuell zwischendurch angesetzten Termin ist Folge zu leisten, sonst gibt es kein Geld.«
Mein Einwand, dass ich aber noch gar nicht arbeitslos sei, weil ich eine Kündigungsfrist von zwei Monaten hatte, rührte sie nicht. »Sobald Sie im System erfasst sind, müssen Sie zur Verfügung stehen.«
Ich fühlte mich zwangsverwaltet, wie ein altes, staubiges Blatt Papier, das man in einen Ordner heftet und dann in ein Regal stellt. In das Regal mit der Aufschrift »Hoffnungslose Fälle«.
»Sie können gleich unten im Computer nach Stellenangeboten suchen, wir erwarten von Ihnen Nachweise, dass Sie sich bewerben.«
»Sind denn so viele Stellen da, auf die ich mich bewerben kann?«, fragte ich mit einem kleinen Funken Hoffnung.
»Glaube ich nicht.« Der Funke erstarb. »Bewerben müssen Sie sich aber auf jeden Fall.«
Gut zu wissen.
Es gab zwei Stellenangebote für Werbekauffrauen, die Namen der Agenturen waren mir bekannt. Ich druckte die Anzeigen aus, kaufte auf dem Rückweg Qualitätspapier, Umschläge, Bewerbungsmappen und Briefmarken und verzog mich in mein Arbeitszimmer. Der Rest der Wohnung war leer, die Turteltäubchen waren ausgeflogen.
Ich arbeitete an der Erstellung meines Lebenslaufes, als es klingelte.
Ich erwartete niemanden. Wenn es Besuch für Greg war, wollte ich nichts damit zu tun haben. Wenn es Sue war, die schon mal in eins von Gregs Hemden gehüllt das Bett vorwärmen wollte, wollte ich erst recht nichts damit zu tun haben. Ich tat so, als hörte ich nichts.
Es klingelte wieder. Und noch mal.
Ich war einsam und neugierig, also öffnete ich.
Vor mir stand ein Troll.
»Hi«, sagte das Wesen. »Du hast etwas im Büro vergessen.«
Ich starrte die Figur an. Sie kam mir bekannt vor. Knapp einen Meter sechzig groß, extrem breit gebaut, in eine schlabbernde Jeans und eine gefütterte Cordjacke gekleidet und mit einer knallroten Fellmütze auf dem Kopf.
Nein, keine Mütze. Knallrote Haare, die gestern noch gelb gewesen waren. Natürlich, Troll!
»Hi«, stammelte ich. »Mit dir habe ich ja nun überhaupt nicht gerechnet.«
Ich trat von der Tür zurück und ließ das Wesen eintreten. Es entledigte sich seiner Cordjacke und war eindeutig weiblich. Es strich sich die Haare aus dem Gesicht und grinste mich an.
»Schöne Bude.«
»Gregs Bude«, zischte ich.
»Hab schon gehört, dass der Latino-Chico eine Neue hat«, sagte das Wesen, während es in einer der zahlreichen Taschen der Jeans kramte. »Hier.«
Sie hielt mir meine Muschel entgegen. Genauer gesagt das Haus einer Wellhornschnecke, graublau und vollkommen unversehrt. Ich hatte es vor einigen Jahren an der Nordsee gefunden und es, um beiden Seiten eine Freude zu machen, in den Topf mit dem Salzwiesengras gelegt.
»Danke«, sagte ich. »Woher wusstest du, dass das mir gehört?«
Tabea Trollinger, die aus offensichtlichen Gründen Troll genannt wurde, grinste, wie sie es immer tat. Ein bisschen schief. Ihr rechter Mundwinkel zog weiter und höher hinauf als der linke, was ihr Grinsen etwas spöttisch wirken ließ. Tabea Trollinger war damals Praktikantin bei AIQ im Bereich Text und gehörte somit zu den Kreativen, zu denen ich wenig Kontakt pflegte. Immerhin wusste ich, dass das Praktikum bei AIQ bereits ihr siebzehntes oder achtzehntes war, dass sie zwei Studienabschlüsse hatte, davon einen in irgendeinem Designbereich. Sie war so alt wie ich, tingelte aber als ewige Praktikantin durchs Leben. Ob gewollt oder ungewollt, wusste ich nicht. Jedenfalls hielten die Kollegen viel von ihrem geradezu enzyklopädischen Wissen, aber wenig von ihrer kratzigen Art. Die ehemaligen Kollegen, sollte ich wohl sagen.
»Ich wollte die Muschel klauen«, antwortete Troll auf meine Frage, »da hat Susanne sie verteidigt – mit Zähnen und …?«
Nun grinste ich auch. »Klauen.«
Die Fingernägel meiner Kollegin Susanne sind legendär.
»Yep.« Sie nickte dazu und blickte neugierig an mir vorbei in die Wohnung.
»Danke.«
»Schon ok.«
Ich zögerte nur einen Moment. »Willst du reinkommen? Ich mache uns einen sauteuren Espresso mit Gregs sauteurer Espressomaschine.«
»Teuersten Dank«, entgegnete sie.
»Brauchst du was?«, fragte Troll beim Espresso, den sie mit vier Löffeln Zucker in einen dampfenden Sirup verwandelte. Wir hockten in meinem Zimmer, ich auf dem Schreibtischstuhl, Troll im Ledersessel, den Greg immer zum Nachdenken genutzt hatte. Behauptete er zumindest.
»Eine Wohnung, einen Job und einen neuen Freund«, sprudelte ich hervor. Oder meine Bettseite und meinen alten Freund zurück, dachte ich bei mir, sagte es aber nicht, weil ich noch keine Strategie hatte, wie ich Sue hinaus- und mich wieder hineintricksen sollte. Ins Bett, meine ich.
Irgendetwas an meiner Aufzählung schien Troll nicht zu gefallen, denn sie rümpfte missbilligend die Stupsnase.
»Du kannst zu mir ziehen«, bot sie an.
Ihr Angebot hatte beiläufig geklungen. Dabei kannten wir uns doch praktisch gar nicht. Ich starrte sie überrascht an.
Vor ein paar Stunden hatte ich noch mit mir und der Welt gehadert, weil ich genau diese Möglichkeit nicht hatte, und jetzt bot mir diese Frau, mit der ich bisher in der Agentur höchstens zehn Sätze gesprochen hatte, eine Mitwohngelegenheit an. Ich war verwirrt. Sollte ich wirklich … Aber dann fiel mir siedend heiß ein, was die Kolleginnen in der Agentur über Troll erzählt hatten. Dass sie den Frauen zugetan sei. In jeder Hinsicht. Es ist nicht so, dass ich ein Problem damit habe, nur fehlt mir die Übung im Umgang mit solchen Leuten. Ich war mir absolut nicht sicher, ob es ratsam sei, unter diesen Umständen gerade mit Troll eine WG zu gründen.
Vermutlich interpretierte sie mein Schweigen richtig, denn sie zuckte mit den Schultern und sagte: »Du kannst es dir ja überlegen, das Angebot steht.«
Ich hatte den Eindruck, dass sie enttäuscht war. Allerdings war das schwierig festzustellen, denn sie war bereits um den Schreibtisch herumgegangen und hatte einen ausführlichen Blick auf meinen Lebenslauf geworfen.
»Das klingt so blutleer wie die mumifizierte Leiche von Tante Hildegard, die ein Jahr verschollen war und dann mit einem Strick um den Hals auf dem Dachboden baumelnd gefunden wurde«, erklärte sie in ihrem weichen Schwäbisch.
Damals brachte mich bereits die Erwähnung einer Leiche aus der Fassung, daher starrte ich sie entsetzt an, was sie aber entweder absichtlich oder aufgrund totaler Konzentration auf meinen Lebenslauf nicht zur Kenntnis nahm. Diese bildhafte Sprache hat sie echt drauf, deshalb war sie bei AIQ ja auch eine sehr angesehene Texterin.
»Mein Leben ist blutleer und langweilig«, seufzte ich, nachdem ich das Bild von Tante Hildegards mumifizierter Leiche vor meinem inneren Auge erfolgreich verdrängt und mich geistig wieder in meine eigene nicht ganz unproblematische Situation zurückversetzt hatte. »Ich war auf der Schule, habe eine Ausbildung gemacht, niemals den Job gewechselt und gehöre ab sofort zum Heer der Arbeitslosen.«
Troll überlegte, wobei sie die Unterlippe zwischen die Zähne zog.
»Du bist in der Werbebranche, meine Süße, und diese Branche ist weder blutleer noch langweilig. Sie ist peppig, hip, kreativ und voller Farben. Wir erschaffen Träume, handeln mit der Sehnsucht, betören die Menschen und führen sie in Versuchung. Wir entfachen Leidenschaft und bieten Befriedigung selbst des niedersten Triebs. Dein Lebenslauf hingegen liest sich, als seist du behördlich bestellte Teilzeit-Archivarin im Stricknadelmuseum.«
Ich war einen Moment sprachlos. Niemals während meiner Zeit bei AIQ hatte ich mit Sehnsucht gehandelt, Leidenschaften entfacht oder Träume erschaffen. Das entsprach auch gar nicht meinem eher nüchternen Naturell. Im Gegenteil. Ich hatte einfach nur meine Arbeit getan und zwar sorgfältig und gewissenhaft. Mir war, als spräche Troll von einem Paralleluniversum.
»Ich gehöre nicht zu den Kreativen. Ich bin die, die sachlich bleibt und Ordnung hält«, entgegnete ich trotzig. Ich hatte keine Lust auf Pep, auf Hip oder auf sonstigen Quatsch, ich wollte einfach einen neuen Job.
»Versteck deine Telefonnummer in einem Zahlenrätsel, mach aus deinem Namen eine Scrabbel-Aufgabe oder schreib das Anschreiben in Spiegelschrift, dann kommst du interessant rüber«, schlug Troll vor.
Ich verschränkte die Arme vor dem Körper und lehnte mich zurück. Mit solchem Kinderkram wollte ich nichts zu tun haben.
»Hast du schon ein Zeugnis bekommen?«, fragte Troll.
Ich schüttelte den Kopf. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Bevor ich mich überhaupt bewerben konnte, benötigte ich ein Arbeitszeugnis.
»Ich regle das«, sagte sie, während sie nach ihrer Cordjacke griff. »Schreib du solange deinen Lebenslauf neu. Benutze positive, kraftvolle Worte, die Energie ausstrahlen, und schreib mindestens ein Hobby dazu. Menschen ohne Hobbys sind Zombies, und Zombies bekommen keinen neuen Job, schon gar nicht in der Werbung.«
Die Tür fiel mit einem lauten Knall hinter ihr ins Schloss, während ich am Schreibtisch saß und überlegte, was sie mit Energie ausstrahlenden Worten meinte und wo ich so ganz auf die Schnelle ein hippes Hobby hernehmen sollte. Denn von der Aufzucht und Pflege anspruchsloser Pflanzen in Balkonkästen aus grünem Plastik hatte Troll sicher nicht gesprochen.
Nach etlichen Stunden abendlicher Auseinandersetzungen mit meiner ausgesprochen dominanten persönlichen Bewerbungsberaterin Troll hielt ich endlich einen genehmigten Lebenslauf und ein zugegebenermaßen erstklassiges Zeugnis von meinem ersten und einzigen Arbeitgeber in der Hand. In dem Zeugnis hätte ich mich, wenn mein Name nicht draufgestanden hätte, nicht wiedererkannt. Mein »jederzeit herausragendes Engagement«, meine »ausgezeichnete Beherrschung aller im kaufmännischen Bereich eingesetzten EDV-Programme«, meine »vorbildliche Kompetenz sowohl in externer wie interner Kommunikation« und ähnliche Fähigkeiten mussten einfach eine der anderen neunhundertneunundneunzig Werbeagenturen der Stadt davon überzeugen, dass ich genau die Richtige für sie war.
Ich tippte Bewerbungsschreiben. Hunderte, wie mir schien. Die Anschreiben steckte ich mit Lebenslauf und Zeugniskopie in große Umschläge, die ich paketeweise bei der Post aufgab. Ich schrieb nicht nur an solche Agenturen, die Stellenanzeigen geschaltet hatten, sondern auch an die, die einen besonders guten Ruf genossen und für mich als Arbeitgeber infrage kamen.
Einige Bewerbungsmappen kamen postwendend zurück, aber nach zehn Tagen war es endlich so weit. Ich war den ganzen Tag unterwegs gewesen, erst beim Arbeitsamt, dann im Copyshop, bei der Bank, der Post und schließlich noch einige Einkäufe erledigen. Ich kam völlig erschöpft nach Hause und freute mich auf einen Linseneintopf aus der Dose, den ich vor dem Computer essen wollte. Als nette Unterhaltung hatte ich mir einen Film auf DVD ausgeliehen, denn der superteure Riesenflachbildschirm von Gregs Computer eignet sich hervorragend zum Filmeschauen. Aus dem völlig entspannten Linseneintopf-Kino-Abend wurde leider nichts, denn ich fand im Briefkasten die Einladung zu meinem ersten Vorstellungsgespräch, das gleich am nächsten Tag stattfinden sollte.
Sofort verging mir jeglicher Appetit.