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Als Melina Klein ihre Mutter auf einen 81. Geburtstag begleitet, ahnt sie noch nicht, dass es sich hierbei um eine coole Musiksession handelt, bei der sie Benjamin Müller begegnen wird, dem singenden Arzt mit dem schönsten Lächeln der Welt. Als Amor auch noch mit einem VERGIFTETEN Liebespfeil auf sie schießt, ist es um sie geschehen: Sie verliebt sich Hals über Kopf in Benjamin. Zu dumm, dass der Liebesgott keine Kontaktdaten auf den Pfeil geklebt hat, denn Melina ist recht erfolglos bei ihrer Suche nach Mr. Umwerfend. Benjamin Müller ist leider nicht nur Ehemann und Familienvater - und damit 'besetzt' -, er ist auch ein (eineiiger) Zwilling. Vollkommen fasziniert von Melina, berichtet er seinem Bruder Henri brühwarm von seiner Begegnung mit dem 'Schneewittchen' namens Melina Klein. Und wie das Schicksal es so will, trifft Henri, der Benjamin natürlich zum Verwechseln ähnlich sieht, Melina im Supermarkt und ist vollkommen hingerissen von ihr. Da Melina keine Ahnung hat, dass sie es mit Benjamins Zwilling zu tun hat, besorgt sie sich auch kein Gegengift für Amors Liebespfeil und verabredet sich mit Henri, den sie für Benjamin hält. Doch was passiert, wenn man mit dem Feuer spielt und Amors Opfer verwirrt? Bringt das den Kosmos durcheinander? Bricht das Liebeschaos aus? Oder hat der Sachbearbeiter im Universum mit diesem Schachzug den ganz großen Coup geplant?
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Seitenzahl: 317
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Für Christian
und
alle Zwillinge,
die die Menschheit mit ihrem Charme beglücken
Unverhofft kommt oft
Zwillingsspiele
Vertrauen ist gut
Zu alt
Verheiratet
Doch kein Tausch?
Ungezügelt
Verflixt noch eins!
Nicht getroffen?
Blödes Kissen
Rettung in letzter Sekunde
Komische Marie
Das Alibi-Buch
Herrje, ich seh doppelt!
Ich könnte, wenn ich dürfte
Der Notfallknopf
Nochmal auf Anfang
Harte Nuss
Mann oder Job?
Schwein gehabt
Ende gut, alles gut?
Voller Vorfreude packte ich meine neueste Errungenschaft aus: Strapse - oder vielmehr ein ganzes Unterwäscheset. Ich hatte es extra gekauft, um mich endlich mal wieder sexy zu fühlen, auch wenn ich davon ausging, dass niemand in den Genuss des Anblicks kommen würde.
Zumindest nicht heute.
Meine Mom wollte mich heute nämlich mit auf einen 81. Geburtstag mitnehmen. Da ich noch nicht einmal halb so alt war, hielt sich meine Lust in Grenzen. Meiner Mom zuliebe hatte ich jedoch zugesagt, vor der Präsentation meines neuesten Buches über die aufregende Welt des Strafrechts, mitzugehen.
»Also, das kannst du gleich wieder wegpacken, mein Schatz«, hörte ich meine Mom sagen, noch während ich meine Schnäppchenbeute vom Black Friday in die Höhe hielt.
Verwundert blickte ich erst auf meine Mom, dann auf das neue, samtig weiche Unterwäscheset. »Warum? Ich habe es extra gekauft, um mich heute so richtig gut zu fühlen bei der Präsentation. Ich bin jetzt schon fast zwei Jahre geschieden und es wird langsam mal Zeit, dass ich jemanden kennenlerne, der weder verheiratet ist, noch irgendwelche bescheuerten Obermacken hat.«
Meine Mom lächelte zaghaft. »Das ist an sich auch eine gute Idee. Aber es kann sein, dass es in der Hütte RICHTIG kalt ist. Und dann frierst du den ganzen Nachmittag.« »Hütte? Kalt? Haben die keine Heizung?«
(FRIEREN alte Leute etwa nicht?)
Voller Entsetzen schaute ich meine Mom an. Sie warf meine Pläne durcheinander und ich war so wahnsinnig schlecht im Aufgeben meiner Vorsätze.
»Nun«, druckste meine Mom herum, »wenn sie es nicht vergessen, haben sie die Heizung eingeschaltet. Aber wir hatten auch schon Nachmittage, an denen wir entsetzlich gefroren haben. Und bei den Temperaturen holst du dir mit den halterlosen Strümpfen den Rest.« Ich rümpfte die Nase. »Aber ich habe die Unterwäsche extra für heute gekauft! Fahren wir nach deiner Geburtstagsfeier noch einmal zu dir?« Meine Mom schüttelte den Kopf. »Das lohnt sich nicht.
Hast du keine Strumpfhosen mit?« Ich rollte mit den Augen.
Doch, hatte ich.
Aber die hatte ich nicht geplant zu tragen.
Unnachgiebig schaute meine Mom mich an, bis ich schließlich seufzend nachgab. »In Ordnung. Ich ziehe die Strumpfhose an.«
»Die sexy Unterwäsche kannst du doch immer noch tragen, wenn du mal einen Freund hast, Schatz.« Aufmunternd lächelte meine Mom mich an.
Wenn…
Hatte ich aber nicht.
Das Thema ›Freund‹ war für mich ein klitzekleiner wunder Punkt. Mein letztes Date war ungefähr eintausend Jahre her und ich hatte nicht die geringste Ahnung, was sich nach all dieser Zeit auf dem Single-Markt so getan hatte.
»Okay, ich kriege ohnehin keinen Mann mehr ab. Die Guten sind entweder vergeben oder schwul. So war das schon vor fünfzehn Jahren und ich wette, das hat sich bis heute nicht geändert.« Ich warf die Unterwäsche zurück in meine Schrankhälfte und zog eine lange, warme Nylonstrumpfhose heraus.
Ich hatte mich nach verflixten dreizehn Ehejahren von meinem griesgrämigen Grummelgatten getrennt, nachdem ich hatte einsehen müssen, dass er mir weder Humor, noch Kinder schenken würde. Nun lebte ich übergangsweise bei meiner Mom, bis ich eine eigene Wohnung im Großstadtdschungel gefunden hatte.
(Okay, der ›Übergang‹ hielt nun schon zwei Jahre an, weil es im ›Hotel Mama‹ so wahnsinnig gemütlich war, aber ich hatte immerhin schon eine tolle Wohnung in Aussicht.)
»So ein Blödsinn! Sieh dich an! Du bist Schneewittchen’s Abbild. Die Männer werden sich um dich reißen! Und sieh mich an! Ich bin zweiundsechzig und habe auch noch einen netten Mann kennengelernt.« Meine Mom lächelte aufmunternd.
»Wenn du meinst.«
»Du darfst das nicht so negativ sehen, Melina! Natürlich ist der Großteil der brauchbaren Männer in deinem Alter verheiratet. Aber es gibt auch einige Scheidungsopfer, die ganz passabel sind.«
Na, super!
Ich konnte ja eine Anzeige aufgeben: ›Suche kinderliebes, passables Scheidungsopfer mit Humor‹.
»Du meinst also, ich soll darauf hoffen, dass sich die Männer nach einem oder mehreren Jahrzehnten ebenfalls von ihren Partnern getrennt haben und ich damit eine minimale Chance auf einen gutgebauten, vollhaarigen Mann zwischen dreißig und fünfzig habe?« Ich ließ mich auf den Schaukelstuhl plumpsen und zog mir die Nylonstrumpfhose mit der größten Vorsicht an, die ich aufbringen konnte.
(Die Dinger rissen ja schneller, als man für gewöhnlich blinzeln konnte.)
Aber dieses Mal hatte ich den Schönheitsgott ausgetrickst:
Ich hatte REISSFESTE Strumpfhosen gekauft, die natürlich auch entsprechend ein Vermögen gekostet hatten.
(Ob die wirklich reißfest waren, würde sich ja heute noch zeigen.)
Nach dem erfolgreichen Hineinschlüpfen zog ich mir meinen khakifarbenen, kurzen Rock und meinen schwarzen Pullover mit sexy V-Ausschnitt an. Dann holte ich meine legendären Designer-Lederstiefel aus dem Koffer.
»Die Stiefel sind wirklich der Renner«, bewunderte meine Mom meinen Kauf von anno dazumal.
Ich lächelte und streichelte das Leder. »Sie sind phantastisch. Jeden Cent wert.« Ich kramte im Koffer herum und zog noch ein Paar Ministulpen über, die ich an den oberen Schaft der Stiefel zog.
»Wahnsinn! Du siehst umwerfend aus, Melina! Also, wenn du HEUTE niemanden kennenlernst, weiß ich auch nicht weiter«, sagte meine Mom.
»Ich präsentiere heute mein neues Buch, Mama. Strafrecht. Das ist für viele so trocken wie die Mojave-Wüste. Was meinst du, was da für Typen hinkommen? Die werden ähnlich verstaubt sein, wie der Rest der Juristensippschaft. Von denen hatte ich bereits ein Exemplar. Ich brauche frischen Wind und am besten keinen Juristen.
Denen mangelt es an Humor!«
Meine Mom zuckte mit den Schultern. »Hm. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man meistens exakt dann jemanden kennenlernt, wenn man gar nicht damit rechnet. Wer weiß, wer heute dort auftauchen wird! Und wer weiß, ob es nicht auch lustige Juristen gibt. Dein Ex-Mann war zwar ein verknöcherter, miesepetriger Richter, aber doch kein Paradebeispiel.« Sie musterte meine Stulpen. »Solche Strickdinger brauche ich auch. Die sind richtig genial!«
»Kein Problem. Stricke ich dir zu Weihnachten. Habe ich wenigstens gleich ein Geschenk.«
Kurz darauf saßen wir im Auto, etwas später erreichten wir die Hütte, die gefüllt war mit gutem Essen und vielen Menschen. Das Beste aber war: Sie war geheizt.
Und noch etwas überraschte mich: Hatte ich doch mit einem Haufen sabbernder, alter Altenheimbewohner gerechnet, nicht jedoch mit einer fetzigen Ansammlung uriger, musizierender Gestalten fortgeschrittenen Alters.
»Wow! Es sind ja richtig viele Leute gekommen«, freute sich meine Mom.
»Hattest du nicht gesagt, das wird ein 81. Geburtstag?«, fragte ich leise.
Meine Mom nickte. »Ja. Aber da wir alle Musiker sind, feiern wir in Form einer Session. Jeder geht mal auf die Bühne und spielt mal mit jedem.«
»Das ist richtig cool, Mom«, sagte ich anerkennend.
(Warum hatte sie das nicht gleich gesagt?
Ich hatte mich mental schon auf Bingo und Co. eingestellt.)
Wir begrüßten ein paar Leute, dann gingen wir in die Küche, um uns einen Kaffee zu holen.
Bewaffnet mit unseren Bechern betraten wir schließlich den Hauptraum der großen Barracke, die wohl irgendwann mal zu einer Schule gehört haben musste.
Wir begrüßten noch mehr Leute und suchten uns Sitzplätze. Mein Blick wanderte durch den Raum und scannte die Gesichter. Eine Person kannte ich tatsächlich - den Ex-Freund meiner Mom. Er winkte, kam herüber und absolvierte einen kurzen, höflichen Smalltalk.
Als er sich zu seiner Verlobten zurückgezogen hatte, wanderte mein Blick weiter in die vordere Ecke des Raumes.
Unverhofft blieb mein Blick an einem Tisch hängen, an dem mehrere Personen saßen.
»Die kenne ich ja gar nicht«, wisperte meine Mom, die mich beobachtet hatte, mir zu.
Es saß nur ein einziger Mann unter sechzig an dem Frauentisch. (Abgesehen von einem Teenager mit Eierschale hinter den Ohren, aber den hätte ich noch nicht als ›Mann‹ bezeichnet.)
Der Mann, der mir sofort ins Auge gesprungen war, hatte die schönsten blauen Augen, die ich je gesehen hatte und trug - ganz wie die Mode es momentan wohl verlangte - einen sexy Vollbart; seine männliche Nase zierte eine schwarze Hornbrille, die noch vor zwanzig Jahren voll out gewesen wäre, aber heute ein echter Trendsetter war. Er trug dazu einen Bauch, der der Aussage beleibter Männer wie ›ein Mann ohne Bauch ist wie ein Haus ohne Balkon‹ irgendwie eine neue, ja, sinnvolle Bedeutung gab.
(Hatte ich das blöde Gelaber beleibter Männer stets für eine faule Ausrede gehalten, etwas disziplinierter zu leben, so musste ich jetzt lächeln. Just in diesem Moment hätte ich wirklich ALLES gegeben, um DIESES Exemplar Mann - MIT Balkon - auf meine Bettkante zu setzen, von der ich ihn ganz gewiss NICHT weggestoßen hätte.)
Der Mann lächelte und entblößte eine Reihe gerader, weißer Zähne. Aber er lächelte nicht einfach nur so vor sich hin, nein, er lächelte, als wollte er eine Meisterschaft der Zahnreihenpräsentation gewinnen.
(Gott, war der Typ sexy!)
Ich war so fasziniert, dass ich gar nicht mehr weggucken konnte. Er unterhielt sich mit dem Teenager, der sein Sohn zu sein schien. Neben dem Jungen saß eine Frau, die ich Mr Zahnpasta-Lächeln gleich als Ehefrau andichtete.
Ich verdrehte innerlich die Augen.
(War ja klar, dass DIESES Prachtexemplar von Mann besetzt war!)
Ich hätte am liebsten laut geseufzt.
Mr Perfect mit dem VOLLEN Haar blickte lachend zu mir rüber und ich hatte das Gefühl, er zwinkerte mir zu. Für den Bruchteil einer Sekunde hielten unsere Augen Blickkontakt.
(Und exakt JETZT wusste ich, dass mir Amor im Nacken saß, obwohl er sich seit gut fünfzehn Jahren nicht mehr bei mir hatte blicken lassen.)
Derweil musterten mich die Frauen an dem Tisch neugierig.
(Ich musste dringend woanders hingucken!
Was leichter gesagt war, als getan, denn Mr Sexy war wie ein Magnet.)
Siedendheiß fiel mir dabei ein, dass ich für den Anlass der Session vielleicht falsch gekleidet sein könnte.
Ich blickte unauffällig an mir herunter.
(Okay, ich war wirklich LEICHT overdressed.
Aber schließlich hatte ich heute noch einen wichtigen Termin, bei dem ich NICHT in Jeans und T-Shirt erscheinen konnte.)
Ich blickte nach vorne zur Bühne, wo sich bereits die ersten Musiker platzierten. Aber meine Ausdauer hielt nicht lange an. Mit einem möglichst unauffälligen Seitenblick musterte ich Mr Hot erneut.
Ich war unglaublich schlecht im Schätzen, aber ich nahm an, dass er so zwischen fünfunddreißig und fünfundvierzig sein musste. Ob er Sport trieb, konnte ich überhaupt nicht sagen, denn sein Bauch erinnerte ein wenig an den fünften oder sechsten Schwangerschaftsmonat.
(Und das wiederum ließ darauf schließen, dass er gutes Essen einer Fitnessstunde vorzog.)
Obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, den nächsten Mann nach meinen (sehr hoch angesetzten) Schönheitsidealen auszusuchen, war ich vollkommen entrückt von diesem humorvollen Exemplar der männlichen Spezies.
›Melina‹, meldete sich mein pingeliger Verstand, ›DIESER Mann hat zwar das schönste Lächeln im ganzen Universum UND er hat KEINE Glatze, ABER er scheint verheiratet zu sein und hat noch dazu einen Sohn! Schlag ihn dir am besten gleich aus dem Kopf! Damit vermeidest du unnötigen Herzschmerz.‹
(Ich wusste, es war ABSOLUT oberflächlich, einen Mann nach der Quantität seiner Kopfhaare einzuschätzen, dennoch war es ein EXTREM wichtiges Kriterium auf meiner Liste des zu findenden Auserwählten - noch VOR irgendwelchen figürlichen Anforderungen.
Vielleicht war das auch dem misslichen Umstand geschuldet, dass mein Verflossener kaum noch Haare auf dem Kopf gehabt hatte. Und so assoziierte ich diese Tatsache mit seinem sehr, SEHR schwierigen Charakter, auch wenn es sicherlich keine Studien darüber gab, ob glatzköpfige Männer weniger Humor und einen anstrengenderen Charakter hatten als Männer mit vollem Haar.)
Aber zurück zur Session…
Die Musiker fiedelten auf ihren Instrumenten herum, bis sie einsatzbereit waren und die ersten Songs spielten, die noch weit vor meiner Kindheit Hits waren. Es war trotzdem ›coole Mucke‹ und ich genoss den Nachmittag mit vielen, SEHR VIELEN Seitenblicken in Richtung meines Traumobjektes.
Der Teenager hatte sich mit der ›Ehefrau‹, die schätzungsweise eher nicht zu Mr Perfect gehörte, aus dem Staub gemacht und ich jubelte bereits innerlich, dass Prinz Charming vielleicht doch noch zu haben war.
Hin und hergerissen zwischen der Performance auf der Bühne und Mr Humor in der vorderen Ecke des Raumes, dessen tiefe Stimme gelegentlich durch den ganzen Saal dröhnte, spürte ich, wie sich Amor immer weiter näherte und mittlerweile mit seinem Pfeil höhnisch grinsend auf mich zielte. Bevor er mich jedoch zielsicher anvisieren konnte, drückte der Kaffee und ich huschte nach draußen zur Toilette.
Als ich sie wieder verließ, stand meine Mom am Buffet und quatschte mit Mr Umwerfend.
Ich hielt die Luft an und beobachtete die zwei für einen kurzen Augenblick.
»Ich bin Linda«, hörte ich meine Mom sagen. »Warum gehst du denn nicht auch auf die Bühne? Ich hörte, du bist ein begnadeter Sänger«, fuhr sie fort.
»Ach nein, um Gottes Willen! Ich bin nur ein kleiner Hobby-Musiker«, versuchte sich Mr Gesangstalent herauszureden.
Melina, carpe horas - nutze die Stunde!
Sag etwas!
IRGENDetwas!
Schmeiß dich in die Nähe seiner Aura und lass die Wimpern wallen! Hauptsache, er nimmt Notiz von dir und du kannst mit ihm reden!
Aus den Augenwinkeln sah ich wieder Amor auf mich zielen. Der Kerl war mir gefolgt wie eine lästige Fliege.
Hatte er etwa vor, mich HIER und JETZT mit seinem Pfeil zu treffen? Der hatte wohl einen Vogel, zu viel Sonne getankt oder was den Liebesgott sonst noch so ritt!
Ich ging leicht in die Hocke und preschte dann vor. So unauffällig wie möglich gesellte ich mich zu den beiden ans Buffet.
»Hallo!«, hörte ich mich sagen. »Ich würde dich auch gerne singen hören.«
(Hatte ich das wirklich gerade gesagt?
Und hatte ich ihn WIRKLICH gerade GEDUZT, obwohl wir noch NIE gemeinsam Schafe gehütet hatten?
Wie würde er reagieren?
Der eiserne Griff meiner guten Erziehung packte mich an der Kehle und schnürte mir die Luft ab.
Normalerweise duzte ich keine Menschen, die älter sein konnten als ich - und anhand der Anzahl der grauen Haare auf seinem Kopf ging ich davon aus, dass er älter war als ich.)
»Was? Noch jemand? Unglaublich! Was ist nur heute los?« Mr Obersexy lachte. Dabei entblößte er wieder seine phantastischen weißen Zähne. »Warum wollen mich bloß alle singen hören?«
»Was bedeutet es eigentlich, dass du nur hobbymäßig singst?«, fragte meine Mom neugierig.
»Ich habe mal im Rahmen einer Veranstaltung in der Klinik gesungen. Und dabei den Spaß am Singen entdeckt.
Seitdem singe ich hobbymäßig mal hier, mal da. Und in der Band von Heinrich«, erklärte Mr Überwältigend.
»Du könntest doch jetzt gleich auf die Bühne gehen«, schlug ich mit einem Blick auf die Wanduhr vor. Es war bereits halb sechs und ich musste in einer halben Stunde abrauschen.
»Jetzt singen die Profis«, bemerkte meine Mom fast ein wenig schnippisch.
Sie spielte auf die vierköpfige Band an, die erst fünf Millionen Stunden zu spät eingetrudelt war und sich dann auch noch bei erstbester Gelegenheit die Bühne unter den Nagel gerissen hatte. Nun sangen sich die vier Profis die Arroganz aus dem Leib.
Mr Atemberaubend lachte.
(Was mich einen weiteren schwärmerischen Blick kostete.)
»Dann müssen wir wohl noch etwas warten. Du hast doch keinen Termin mehr heute, oder?« Er zwinkerte mir zu und brachte mein Herz zum Schmelzen.
(Nicht, dass es irgendwie eingefroren war in den dreizehn Jahren meiner wenig amüsanten Beziehung. Aber ich merkte, dass ich langsam aber sicher zu einem sabbernden Groupie mutierte und mein Herz verräterisch schnell galoppierte.)
»Leider ja«, gab ich zu.
»Ach echt?« Mein Gegenüber war total überrascht. »Wie schade!«
»Ja, das ist absolut schade. Aber leider kann ich den Termin nicht absagen.«
»Was hast du denn für einen Termin?« Mr Oberinteressant lächelte mich an.
Obwohl ich als Strafrechtsdozentin an der Polizeiakademie sonst für einen kühlen Kopf bekannt war, die in jeder Stresssituation die Nerven behielt, fühlte ich mich mit einem Mal wie ein Teenager: Ich hatte Herzklopfen, konnte rein gar nichts gegen das dämliche Dauergrinsen tun und versuchte den Schwarm Schmetterlinge tunlichst zu ignorieren, der sich unaufhaltsam in meinem Innern bemerkbar machte. Mein Denkzentrum war so was von lahmgelegt, dass ich Schwierigkeiten hatte, keinen Blödsinn zu reden.
»Ich habe eine Lesung. Ich muss mein neuestes Buch präsentieren.« Das für viele doch eher trockene Thema des Strafrechts ließ ich lieber unter den Tisch fallen. Damit konnte ich sicherlich NICHT punkten.
»Was? Ehrlich? Du bist Schriftstellerin?« Mr Zauberhaft blickte mich fast bewundernd an.
(Oder bildete ich mir das nur ein?)
»Ja.«
»Wahnsinn! Unglaublich, was man hier alles für interessant Menschen trifft! Eine ECHTE Schriftstellerin!« Er lächelte und dieses Mal war ich mir sicher, dass sich Bewunderung in seinen Blick mischte.
(Gott, wenn er nicht bald aufhörte, mich so anzulächeln, werde ich dahinschmelzen wie Butter in der Sonne!)
Heinrich, das Geburtstagskind (der in einem Jungbrunnen gebadet haben musste, denn er sah glatt zehn Jahre jünger aus) kam zum Buffet.
Mr Sexy-Voice fasste an seinen Arm. »Heinrich, die junge Dame hier ist Schriftstellerin. Die zwei Ladies wollten tatsächlich, dass ich mal singe! Was sagst du dazu?«
»Tolle Idee! Allerdings müsst ihr euch noch etwas gedulden. Die Band wird noch etwas brauchen, bis sie sich genug präsentiert hat«, erwiderte Heinrich schmunzelnd.
Offenbar war meine Mom nicht die einzige, die sich über die überhebliche Art der Profiband mokierte.
Heinrich und meine Mom lächelten sich wohlwissend an.
»Allerdings hat Lindas Tochter gleich eine Lesung«, fügte Mr Hinreißend hinzu.
»Gehst du denn mit zur Lesung, Linda?«, fragte Heinrich.
»Ja«, erwiderte meine Mom, »da Norman heute geschwächelt und mich alleine gelassen hat, habe ich ohnehin keinen Partner auf der Bühne. Ich mache beim nächsten Mal wieder mit.«
»Du kannst doch auch mit uns spielen«, schlug Heinrich vor, doch meine Mom winkte ab. »Ich begleite meine Tochter zur Lesung. Als seelischer Beistand. Wir müssen unser Bühnendate also verschieben. Leider.« Ja, leider.
Mittlerweile arbeitete mein Großhirn auf Hochtouren, wie ich mich um die Lesung drücken konnte, zu der sicherlich schon einige Leute unterwegs waren.
»Ich wünschte, ich könnte meinen Termin verschieben«, sagte ich bedauernd und erntete erneut einen lächelnden Blick von Mr Traumhaft.
(Herr im Himmel, der Typ brauchte einen Waffenschein für sein Lächeln! DEN würde ich als Ehefrau NICHT ohne Leine - dafür aber ganz sicher mit GPS-Signal - auf die Weiblichkeit loslassen!)
Ich sah Amor, der noch immer grinsend auf mich zielte.
(Dabei spielten meine Gefühle bereits total verrückt, obwohl ich rein gar nichts von Mr Entzückend wusste.)
Wir gingen noch einmal in den Musiksaal zurück und tranken unseren Tee aus. Die Musik genoss ich NICHT mehr. Ich hätte lieber Mr Großartig bewundert und mich weiter mit ihm unterhalten. Ich spürte seine Anwesenheit links neben mir wie ein überwältigendes Druckgefühl in meiner Brust, was mich wiederum ganz hibbelig machte.
Um Punkt achtzehn Uhr drängte meine Mom zum Aufbruch. Wir erhoben uns also von unseren Plätzen und ich schlüpfte widerwillig in meine Jacke.
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Mr Supersüß ebenfalls aufsprang und in den Vorraum lief.
(Tat er das etwa, um mir auf Wiedersehen zu sagen?)
Ich verließ den Saal mit einem strahlenden Lächeln und steuerte direkt auf mein Objekt der Begierde zu, dessen Namen ich noch nicht einmal erfragt hatte.
Er streckte mir gleich die Hand entgegen, als hätte er meine Gedanken erraten. »Ich bin übrigens Benjamin Müller«, stellte er sich mir mit seiner beeindruckend tiefen Stimme auf den letzten Drücker vor und lächelte sein Prinz-Charming-Lächeln, welches meine Knie in Pudding verwandelte.
Ich lächelte zurück und ergriff seine Hand. »Melina Klein.«
»Freut mich sehr.«
(Und mich erst!)
Ich war kurz davor, seufzend in Ohnmacht zu fallen.
Aber ich hatte nicht mit dem hinterlistigen Überfall von Amor gerechnet!
(Den ich natürlich längst vergessen hatte.)
Wusch!
Kracks!
OMG - er hatte auf mich GESCHOSSEN!
DAS war Amors Pfeil in meiner Brust!
Ich hatte nicht mehr aufgepasst.
Sein Pfeil steckte mitten in meinem Körper!
DAS war jawohl NICHT Amors Ernst, oder?
WAS sollte ich mit einem Mann, der so sexy war, dass er tausendprozentig NICHT mehr zu haben war?
»Ich hätte dich wirklich gerne singen gehört«, läutete ich die Verabschiedung ein.
Amors Pfeil benebelte so langsam meine Hirnwindungen.
Ich spürte, wie meine Herzklappen an Geschwindigkeit zunahmen und mir so leicht, aber sicher der Schweiß ausbrach. Meine Stimmbänder klebten irgendwo im Hals fest und meine Augen wurden langsam feucht.
Eilig blinzelte ich die lästigen Glückstränen weg.
Halleluja!
Ich war vollkommen überwältigt von diesem Mann!
(Oder hatte mich einer von Amors seltenen Giftpfeilen getroffen?)
Benjamin blickte mir in die Augen. Ich war kurz davor, ihm um den Hals zu fallen und das ewige Liebesgelübte abzulegen.
(Amors Liebeselixier leistete wirklich ganze Arbeit!
Was hatte der Kerl bloß an seinen Pfeil rangeschmiert?
Ich erkannte mich selbst nicht wieder.)
Am liebsten hätte ich meine Füße in der Hütte festtackern lassen, damit ich eine Ausrede hatte, weshalb ich sie nicht verlassen konnte.
Ich ahnte bereits, dass ich den besten Auftritt des Tages verpassen würde, doch es half alles nichts.
Ich war eine wahnsinnig pflichtbewusste Person und ich hatte die Lesung zugesagt. Das Buch wurde von einigen Juristen schon heiß erwartet und somit musste ich nun in den sauren Jura-Apfel beißen.
»Es hat mich sehr gefreut, dich kennenzulernen«, sagte Mr Obersüß und reichte mir erneut die Hand.
Sie war warm und trocken.
Sie war… …unser Kontaktinstrument , eine Einladung , eine Herausforderung , ein Liebesbeweis ?
(Na gut, sie war eigentlich nur eine Hand.
Aber ich glaube, ich hatte leichte Halluzinationen von dem Giftpfeil, der noch immer in meiner Brust steckte.
Und Amor saß da oben unterm Dach und lachte sich eins ins Götterfäustchen, weil er mal wieder einer einsamen Seele schlaflose Nächte bescheren würde.)
Ich hatte Mühe, seine Hand wieder freiwillig herzugeben.
»Mich hat es auch sehr gefreut. Zu dumm, dass wir nicht bleiben können«, sagte ich zerknirscht.
»Die zwei können doch auch mal zur Bandprobe kommen. Oder wenn wir einen Auftritt haben«, schlug Heinrich vor, der uns gefolgt war.
(Hallooooo!
Ich war taufrisch von Amors Pfeil vergiftet worden.
Ich würde ÜBERALL hinkommen, nur um diesen Mann noch einmal sehen zu können.)
»Tolle Idee, Heinrich.« Benjamin wandte sich wieder an mich. »Ich hoffe, wir sehen uns wieder. Viel Spaß bei der Lesung!«
»Danke! Das hoffe ich auch. Bis zum nächsten Mal!« Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke zu und verließ gemeinsam mit meiner Mom die Holzhütte. Als hätte mir der Sachbearbeiter im Universum Blei an die Füße geschraubt, ging ich ultra-schweren Schrittes (allerdings mit einem mindestens doppelt so beschwingten Herzen) zum Auto und ließ mich auf den viel zu kalten Sitz fallen.
»OH MEIN GOTT!«, sagte ich nur und grinste bis über beide Ohren. »Mama!«
Verwirrt schaute meine Mom mich an.
»Ich MUSS diesen Mann wiedersehen! Ich MUSS ihn kennenlernen. Er ist PERFEKT!«
»Er ist ganz niedlich«, gab meine Mom zu.
»GANZ NIEDLICH? Er ist UMWERFEND!« Ich lehnte mich gegen die Sitzlehne. »Hast du gesehen, wie oft er gelacht hat? Das ist endlich mal ein Mann mit Humor!
Und er hat das traumhafteste Lächeln aller Zeiten.« Meine Mom startete grinsend den Motor. »Ich hätte ihn gerne mal singen gehört.«
»Ich auch. Ein Jammer, dass wir jetzt noch einen Termin haben. Ich werde mich bestimmt kaum konzentrieren können. Wieso habe ich auch AUSGERECHNET HEUTE die Präsentation?«
Meine Mom klopfte mir auf den Oberschenkel. »Wenn es so sein soll, wirst du ihn wiedersehen.«
»Warte!«
»Was ist?« Erschrocken ließ meine Mom den Blinker wieder zurückschnappen.
»Ich gehe noch einmal rein und frage ihn nach seiner Telefonnummer.« Ein mehr als breites Lächeln suchte mich heim. Ich war zu allem entschlossen.
»NEIN, das macht man nicht«, sagte meine Mom mit Bestimmtheit und legte eine Hand auf mein Bein.
»Was? Nicht? Warum nicht? Also vor fünfzehn Jahren war das noch erlaubt.« Plötzlich fühlte ich mich wie ein Schulkind, das etwas Verbotenes tun wollte.
»Das gehört sich nicht. Du wirst ihn wiedersehen, wenn es so sein soll«, beharrte meine Mom.
»Na, dein Wort im Gehörgang des Sachbearbeiters im Universum!«
***
»Ich finde, man sollte ALLE Eltern bestrafen, die nicht nur einen Allerwelts-NACHNAMEN haben, sondern ihrem Kind dann auch noch einen Allerwelts-VORNAMEN geben«, beschwerte ich mich eine Woche später bei meiner besten Freundin Emma.
Emma schaute mich grinsend an. »Erzähl! Wer ist der Glückliche, dessen Pfeil dich getroffen hat?«
Seufzend warf ich meine langen, fast ebenholzschwarzen Haare zurück. Dann hob ich meine Hände, als wollte ich die Götter beschwören. »Wie kommst du darauf, dass es sich um einen Mann handelt? Gott, ich bin soooo verzweifelt!«
Emma grinste noch breiter. »Weil du aussiehst, als wenn dich Amors Pfeil getroffen hat. Außerdem bist du beruflich als Strafrechtsdozentin gut aufgestellt. Du hast deinen Traumjob gefunden. Es würde mich wundern, wenn sich da etwas Neues aufgetan hätte.«
Ich sackte in mich zusammen und raufte mir die Haare.
»Stimmt. Es ist ein Mann.«
(Der schönste, bezauberndste, perfekteste Mann wohlgemerkt.)
»Und, ist er Polizist? Oder Jurist? Wie ist er? Wie sieht er aus? Was macht er? Ist er noch zu haben?« Aufgeregt hopste Emma auf dem Sofa herum, als ginge es um ihre Zukunft.
»Oh Gott, er ist soo umwerfend! Und nein, ich glaube, er ist eher kein Polizist. Auch kein Jurist. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was er beruflich macht. Aber das ist mir auch so was von herzlich egal, weil er die schönsten blauen Augen hat, die ich je gesehen habe.« Ich blickte gen Zimmerdecke. »Und ich habe eine Menge blaue Augen gesehen«, fügte ich eilig hinzu. »Gott, er kann LACHEN!
Ich meine, so RICHTIG lachen! Herzhaft und aus tiefster Seele.«
»So etwas gibt es?« Emma rutschte auf dem Polster vor und schob mir eine Tasse Tee über den Glastisch. »Bist du sicher, dass es sich um einen Mann handelt«, witzelte sie.
»Tee? Hast du nix Stärkeres?« Unwillig schaute ich zu Emma.
»Verliebte dürfen keinen Alkohol trinken«, entgegnete meine Freundin mit ernster Miene.
»Willst du mich verarschen?«, platzte ich heraus.
Emma lachte lauthals auf. Dann streichelte sie meine Schulter. »Süße, du bist bereits liebestrunken. Wenn ich dir jetzt noch Alkohol serviere, dann landest du heute Abend noch an einem Baum. Don’t drink an drive!«
Grunzend warf ich mich in die Kissen. »Ich bin mit der Bahn da. Außerdem kann ich gut auf dieses Gefühl verzichten. Ich meine, wer will denn bitteschön ›liebestrunken‹ sein? Es gibt wohl kaum etwas Blöderes, vor allem, wenn die Liebe unerwidert ist.«
»Wieso unerwidert? Du bist UNGLÜCKLICH verliebt?
Ach manno, nun lass dir nicht alles aus der Nase ziehen!« Emma schnitt etwas vom Schokoladenkuchen ab und hielt ihn mir unter die Nase.
»Ich bin frustriert. Aber so was von! Gib mir also am besten gleich fünfhundert Gramm von deinem sündhaft kalorienreichen Kuchen! Ich fresse mir jetzt Kummerspeck an!«
Emma kicherte. »Echt? Du siehst eigentlich ganz glücklich aus und nicht frustriert. Aber gut, dann berichte erst einmal! Ich halte es kaum noch aus vor Neugier!«
Ich setzte mich wieder aufrecht hin und holte tief Luft.
»Er hat das schönste Lächeln, welches ich je bei einem Mann gesehen habe. Ehrlich, ungelogen! Und seine Zähne sind toll! Gott, da möchte man Zahnarzt sein!«
Emma hielt mitten in der Bewegung inne und musterte mich kritisch. »Und weiter?«
Ein sanftes Lächeln zierte meine Lippen und breitete sich schließlich bis zu den Ohren aus. »Er hat Humor! Ich habe noch nie einen Mann so viel lachen gesehen. Ich konnte gar nicht mehr wegsehen.«
»Wenn sie saufen, sind sie alle lustig«, tat Emma ab.
Ich hob den Zeigefinger. »Äh-äh! Benjamin war absolut nüchtern! Soweit ich das beobachten konnte, hatte er nur Kaffee im Becher. Und eine Fahne hatte er auch nicht. Er ist einer von DEN Männern, die auch lachen und lustig sind, wenn nur Blut durch ihre Adern rauscht.«
»So nahe bist du ihm gekommen?«, feixte Emma.
»Leider nicht noch näher.« Ich wackelte grinsend mit den Augenbrauen. »Wobei ich meine Reizunterwäsche an dem Abend ohnehin nur zur Hälfte getragen habe. Meine Mutter meinte nämlich, wir fahren auf einen 81. Geburtstag, bei dem die Heizung ausgefallen sein könnte. Ich habe also meine heißen Strapse weggelassen.«
»Ein Geburtstag mit alten Leuten OHNE Heizung? Geht das?«, fragte Emma perplex.
Ich lachte leise. »Das habe ich mich auch gefragt. Tatsache war, dass es bullig heiß dort war und ich meine halterlosen Strümpfe durchaus hätte tragen können.«
»Wie neckisch! So etwas habe ich auch noch irgendwo ganz hinten im Kleiderschrank. Aber als Hausfrau und Mutter lohnt sich das nicht.« Emma biss in ihren Kuchen.
»Und was weißt du noch von Mr Humor?«
»Er war richtig gut drauf. Ruhte quasi in seiner Mitte.«
»Wenn Mr Perfect in seiner Mitte ruhte, ist er hundertpro auch vergeben. KEIN Mann ist ein in sich ruhender Single. Zumindest bin ICH noch keinem begegnet.«
»Süße, entschuldige! Aber das ist kein Maßstab. Du bist seit über zehn Jahren Hausfrau. Es gibt kaum Männer, denen du begegnest.« Ich biss von dem Kuchen ab. »Aber ich befürchte trotzdem, dass du Recht hast.«
»Einen Mann mit Humor würde ich dir wirklich wünschen, nachdem du so lange mit Mr Griesgram verheiratet warst.«
»Danke! Rate mal, warum ich mich nach dreizehn Ehejahren von Nils getrennt habe?«, erinnerte ich an meinen humorlosen Ex. »Nichts ist schlimmer als ein Mann, der zum Lachen in den Keller geht.«
»Nils war auch wirklich nichts für dich«, bemerkte Emma. »Ich habe mich all die Jahre gewundert, was du von ihm wolltest. Dein Strafrichter war ungesellig, ständig schlecht gelaunt und sooo toll sah er nun auch wieder nicht aus. Außerdem gehörte er zu den Männern, bei denen die Haare vom Kopf auf den Rücken wandern. Wirklich unsexy!«
»Vielen Dank für die Zusammenfassung. Du hättest mal seine Eltern sehen sollen, als ich ihnen eröffnet habe, dass ich mich getrennt habe, wo ihr Sohn doch so eine gute Partie ist! Danach war ich die böse Schwiegertochter schlechthin.«
Emma winkte ab. »Das warst du auch vorher schon.«
»Ja, leider.«
»Sieh es positiv! JEDE Frau wäre in ihre Ungnade gefallen. Du hast ihren einzigen Sohn geehelicht, ohne ihnen Enkelkinder zu schenken. Dass ER partout keine Kinder wollte, wissen sie ja nicht.« Emma biss von ihrem Kuchenstück ab und verteilte die Hälfte der Schokoladenmasse auf dem weißen Sofa. »Ups!«
»DAS«, ich zeigte auf das dreckige Polster, »hätte bei mir zuhause ein mega-riesiges Donnerwetter gegeben! Essen auf dem Sofa? Geht gar nicht. Und dann auch noch Schokoladenkuchen! Emma, Emma, was wird dein Göttergatte nur dazu sagen?«
»Er wird toben«, gestand Emma und wackelte mit den Augenbrauen.
»Und das lässt dich kalt?«, fragte ich erschrocken.
Emma grinste von einem Ohr zum anderen. »Nö. Aber jedes Mal, wenn Till schimpft, halte ich ihn so lange kurz, bis er sich kleinlaut bei mir entschuldigt.«
»Du bestrafst ihn mit Sexentzug?«, fragte ich entgeistert. Emma lachte beim Anblick meiner Grimasse. »Ja. Das wirkt wahre Wunder.«
Ungläubig schüttelte ich den Kopf. »Vielleicht hätte ich diese Methode auch öfters mal einsetzen sollen. Dann wäre mein Ex bestimmt handzahmer gewesen.«
»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.« Emma zuckte mit den Schultern. »Und nun erzähle mir mehr von deiner Eroberung!«
Ich warf die Beine in die Luft und strampelte kreischend vor Verzweiflung. »Er - ist - ja - gar - keine - Eroberung!«
»Wie jetzt? Ich dachte, Amors Pfeil hat dich getroffen?«, fragte Emma perplex.
Ich schnaufte. »Das hat er auch. Aber leider standen keine Kontaktdaten meines Auserwählten auf Amors Pfeil. Ich meine, können diese Liebesgötter nicht gleich einen Zettel an ihren Liebespfeil pinnen, auf dem Name, Alter, Wohnort und Telefonnummer draufstehen? Oh«, ich hob einen Finger, »und am besten noch der Beziehungsstatus, der Name des Facebook-, Instagram- und Twitter-Accounts.«
»Warum nicht gleich noch LinkedIn und Xing?«, witzelte Emma.
»Guuuute Idee! Hätte von mir sein können!« Ich lächelte, dann wurde ich wieder ernst. »Ich bin diesem sagenumwobenen, phantastischen Mann auf dem 81. Geburtstag begegnet und ich habe weder seine Kontaktdaten, noch weiß ich, wo ich ihn erwischen kann. Ich habe ihn auf jeder nur erdenklichen Social Media Plattform gesucht!«
»Auf jeder? Warte, das haben wir gleich!« Emma schlug ihren Laptop auf, der, wie immer, achtlos auf dem Sofa schlummerte. »Deine Mutter kannte ihn nicht?«
»Nein. Er war wohl zum ersten Mal bei einer der Musiksessions.«
»Also, wie heißt dein Wunderknabe?«
»Benjamin Müller«, antwortete ich wie aus der Pistole geschossen.
(DIESER Name war GANZ FEST auf meiner Festplatte eingebrannt.)
Emma hackte auf ihren Laptop ein und ließ ihn ratternd nach meinem Objekt der Begierde suchen. »Wäre doch gelacht, wenn wir ihn nicht finden!« Plötzlich riss sie erschrocken die Augen auf. »Boah, ist das deren Ernst?«
Ich grinste, wohlwissend, was jetzt kommen würde.
(War ja nicht so, als hätte ich es nicht auch schon versucht. Aber finde mal einen Typen, der so hieß, wie ungefähr einhunderttausend andere Männer!)
»Siehst du! Das ist es, was ich meinte. Er hat einen beschissenen Allerweltsnamen. Und zwar Vor- sowie Nachname. Es gibt eine Million Menschen, die ›Müller‹ heißen, wenn nicht sogar noch mehr. Und die Hälfte davon musste ihrem Sprössling so einen außergewöhnlichen Namen wie ›Benjamin‹ geben«, fügte ich schnippisch hinzu.
Emma blickt von ihrem Computer auf. »Süße, ich sage es nicht gerne, aber es dürfte JAHRE dauern, bis wir deinen Benjamin gefunden haben.«
»Ich weiß«, rief ich hoffnungslos. »Ist das nicht entsetzlich?«
Emma ging bei Facebook rein. »Hast du hier schon geguckt?«
»Ja.«
»Twitter?«
»Ja.«
»Instagram?«
»Ja. Keine Chance. Außerdem nutzen da doch die wenigsten ihren echten Namen.«
Entmutigt klappte Emma den Laptop zu. »Tja, dann gibt es nur noch zwei Möglichkeiten…«
»Die da wären?« Fragend blickte ich meine Freundin an.
»Entweder vergisst du ihn ganz schnell«, schlug Emma vor, doch ich winkte ab. »Geht nicht. Schon probiert. Er turnt ja sogar schon durch meine Träume!«
»Warum kannst du ihn nicht vergessen? Das geht doch eigentlich recht flott. Du denkst einfach nicht mehr an ihn. Und mit der Zeit verblassen die Erinnerungen.«
Ich schnaufte verächtlich. »Das geht nur bei denjenigen von Amors Opfern, die von einem NORMALEN Liebespfeil getroffen wurden. Aber ICH wurde von Amors Pfeil VERGIFTET.«
»Wie bitte?« Emma bekam ganz große Augen und wusste nicht, ob sie lachen oder den Kopf schütteln sollte.
»Okay, hör zu! Es gibt diejenigen, die nur von Amors Pfeil ohne Liebesgift getroffen werden. Die sind dann zwar verliebt, aber eher so, als würden sie in einem ruhigen Liebesfahrwasser vor sich hinplätschern. DIE können natürlich auch den von Amor Auserwählten irgendwann wieder vergessen. Und dann«, ich holte tief Luft, »gibt es diejenigen, zu denen ich jetzt auch zähle, die von einem VERGIFTETEN Liebespfeil getroffen wurden. Das sind die armen Schweine, die sich so sehr nach ihrem Liebsten verzehren, dass sie kaum essen und schlafen können. Sie werden fast wahnsinnig vor Sehnsucht, vor allem, wenn die Liebe unerfüllt bleibt.«
»Und nach welchen Kriterien sucht sich Amor seine Opfer aus? Alter, Familienstand, Aussehen, Geschlecht? Wann nutzt er sein LiebesGIFT und wann nimmt er normale Liebespfeile?«, sprang Emma auf den Zug auf.
Ich dachte kurz nach. »Normale Liebespfeile nimmt er so gut wie immer. Da kann er nicht viel falsch machen. Aber manchmal juckt ihn das Götterfell und wenn er dann zwei Menschen sieht, die nach seiner Meinung UNBEDINGT zusammengehören, DANN nutzt er sein unüberwindbares Pfeilgift.«
»Man lernt nie aus. Und wie lange hält die Wirkung des Giftes an?«
»Wer einmal von einem vergifteten Pfeil getroffen wurde, der ist seinem Auserkorenen bis an sein Lebensende verfallen. Es hält also EWIG! Der Vergiftete hat gar keine Chance, als seinem Objekt der Begierde jahrelang hinterher zu hecheln.« Ich rollte theatralisch mit den Augen. Emma lachte leise. »Du wurdest also VERGIFTET?«
Ich nickte und bemühte mich um ein ernstes Gesicht.
»Und nun musst du deinem Benjamin bis an dein Lebensende hinterher trauern?« Emma war kurz vorm Platzen. Wieder nickte ich. »Wenn ich ihn nicht wiederfinde.«
Emma blies die Backen auf und lachte schließlich laut auf. »Halleluja! MELINA! Was machst du, wenn er verheiratet ist und Kinder hat? Ich meine, wie alt schätzt du ihn ein? Er ist doch bestimmt im besten Familienalter.«
FAMILIENALTER?
VERHEIRATET?
KINDER?
Oh Gott, das wäre mein Untergang!
Mein Tod!
»Das Herz fragt leider nicht, ob es passt«, entwich es mir. Voller Entsetzen verdrehte ich die Augen. »Oh Mann, ich würde ihn sogar verheiratet nehmen! Was ist nur mit mir los?« Ich dachte kurz nach. »Ich würde sagen, er ist so Mitte dreißig bis Ende vierzig. Ich bin wahnsinnig schlecht im Schätzen. Oooooh Gott, was mache ich, wenn er wirklich verheiratet ist?«
Emma grunzte. »In dem Alter ist es sehr, SEHR wahrscheinlich, dass er vergeben ist. Wenn er tatsächlich so ein Prachtexemplar von Mann ist, werden die Damen der Fruchtbarkeit bei ihm Schlange gestanden haben und eine hat den Zuschlag bekommen. Gute Männer sind NIEMALS frei! Merk dir das!«
Ich rümpfte die Nase. »Danke, dass du mich daran erinnerst! Meine Mutter hat in einer sehr rührseligen Stunde versucht mich zu überreden, wieder mit Nils zusammenzukommen. Sie meinte ›Kind, du bist Anfang dreißig, dich nimmt nie wieder ein Kerl. Und wenn da einer ist, der dich nehmen würde, dann hat der nicht alle Tassen im Schrank. Schließlich sind die Guten in deinem Alter ALLE vergeben. Bequem eigelagert im Ehehafen. Überlege dir also, ob du nicht doch lieber Nils nimmst. Da weißt du zumindest, was du hast. Er ist Richter und hat ein gutes, sicheres Einkommen.‹ Ein paar Tage später hat sie sich dafür entschuldigt, denn sie hat schließlich selbst noch einmal von vorn angefangen und auch einen netten Mann erwischt.«
»Das ist nicht sehr ermutigend und auch ziemlich direkt, aber ich befürchte, deine Mutter hat in gewisser Weise Recht. In unserem Alter kriegst du nur noch Kerle ab, die eine oder mehrere Schrauben locker haben. Warte noch zwanzig Jahre, dann sieht der Markt vielleicht besser aus.«
Ich rollte mit den Augen. »Boah! Was? Zwanzig Jahre? Na, super! Das sind ja rosige Aussichten! Das hättest du mir mal vor fünfzehn Jahren sagen sollen! Es heißt doch auch immer ›Augen auf, beim Autokauf!‹. Vielleicht sollten die Standesbeamten so eine Warnung vor JEDER Eheschließung abgeben. Dann könnte man sich VORHER überlegen, ob man mit dem Mann auch alt werden will. Jetzt bin ich über dreißig und damit in einem Alter, in dem kein vernünftiger Mann mehr frei ist. Ich kann quasi einpacken.«
»Quatsch! Bevor du ins Altenheim kommst, findest du bestimmt noch einen netten Skatpartner«, feixte Emma.