Eine andere Sicht auf die Welt! - Ulrich Walter - E-Book

Eine andere Sicht auf die Welt! E-Book

Ulrich Walter

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Beschreibung

Ulrich Walter ist einer von elf Deutschen, die bereits den Overview-Effekt erlebt haben - den Moment, wenn der Raumfahrer zum ersten Mal den Planeten Erde aus dem Weltall sieht. Dieses Phänomen beschreiben viele als Erfahrung, die die Perspektive auf unserer Erde und auf die darauf lebende Menschheit verändert - so auch Ulrich Walter. Der Astronaut verstand, dass Ländergrenzen nur auf der Karte, aber nicht auf der Erde eingezeichnet sind, und dass wir Menschen uns oftmals viel zu wichtig nehmen.Dieses Erlebnis brachte ihn dazu, ein Bucher über das Leben zu schreiben. Darin beschäftigt er sich gewohnt wissenschaftlich und trotzdem im Plauderton mit den Fragen "Was ist Glück?", "Hilft Beten?", "Sind Zufälle nur verkappte Schicksale?" oder "Was ist der Sinn des Lebens?".

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Ulrich Walter

Eine andere Sicht auf die Welt

Ulrich Walter

Eine andere Sicht auf die Welt

Astronaut Ulrich Walter erklärt das Leben

Originalausgabe

1. Auflage 2018

Verlag Komplett-Media GmbH

2018, München/Grünwald

www.komplett-media.de

E-Book ISBN: 978-3-8312-6978-5

Lektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg

Korrektorat: Korrektorat & Lektorat Judith Bingel M.A.

Umschlaggestaltung: X-Design, München

Satz: Daniel Förster, Belgern

E-Book-Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de

Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.

INHALT

Vorwort: Die Welt anders sehen

Beten hilft nicht!

Ockhams Rasiermesser

Ist Gott ein Mathematiker?

Gott würfelt nicht! Wirklich?

Das Leib-Seele-Problem – Die Ursprünge

Das Leib-Seele-Problem – In der Neuzeit

Ewiges Leben – Lade mich herunter!

Beeinflussen uns die Himmelskörper?

Lässt sich Zukunft vorhersagen?

Sind Zufälle nur verkappte Schicksale?

Urknall und Unendlichkeit – Big Bang im Kopf

Halt’s Maul!?

Die Uhrmacher-Analogie

Eleganter Unsinn

Die Wissenschaft von Frauen – Sex gegen Essen

Die Wissenschaft von Frauen – Eisprung-Blackout

So alt werden Sie

Das Ende der Menschheit, berechnet

Die Menschheit ist am Ende – mal wieder

Ist der Klimawandel menschengemacht?

Klimaforschung – Klimaforscher sind Einäugige unter Blinden

Klimaforschung – Shit in, Shit out!

Habitable Exoplaneten entdeckt – Was ist da dran?

RATAN-600 – Signal von Außerirdischen entdeckt?

Zivilisationen im All – Ist unsere Erde einzigartig?

Bewohnbare Exoplaneten – Warum wir sie finden müssen

So werden wir die zweite Erde finden

Fleisch macht Krebs – Was ist da dran?

Ich bin doch nicht blöd!

Was ist Zeit? – Teil I

Was ist Zeit? – Teil II

Emergenz – Mehr ist anders!

Wann ist Gleiches gleich?

Das Undenkbare denken

Anleitung zum Glücklichsein – Was ist Glück?

Anleitung zum Glücklichsein – Macht Geld glücklich?

Anleitung für ein glückliches Leben

Was ist der Sinn des Lebens?

Über den Autor

VORWORT DIE WELT ANDERS SEHEN

 

Was waren die drei beeindruckendsten Erlebnisse Ihrer Mission?« Dies ist wohl die meistgestellte Frage zu meiner Mission. Da brauche ich nicht lange überlegen: Der Start, der Blick auf die Erde und das Gefühl der Schwerelosigkeit. In dieser Reihenfolge. Kein Zweifel, der Start, bei dem 2200 Tonnen Schub innerhalb von nur 8½ Minuten das Shuttle in den Weltraum wuchten, mit körperlichen Belastungen, bei denen viele Astronauten einfach vergessen zu atmen, lässt einen bis ins Knochenmark spüren, welchen Mächten man hier hilflos ausgesetzt ist.

Die Erfahrung beim Start eines Raumfahrzeugs und die Schwerelosigkeit sind ganz besondere Gefühlserfahrungen, die so ganz anders sind als alles, was man auf der Erde erlebt. Wenn Sie dazu mehr wissen wollen, dann lesen Sie den ersten Artikel meines Buchs Höllenritt durch Raum und Zeit.

DER BLICK AUF DIE ERDE

Kaum ist man nach dem 8½ Minuten dauernden Flug im All und hat wenige freie Minuten zur Verfügung, beeilt sich jeder Astronaut, wenigstens einen kurzen Blick durch das nächstbeste Fenster zu erhaschen. Ich kann mich noch gut an meinen ersten Erdanblick erinnern. Ich schaute schräg auf das schier endlose Blau des Pazifiks, über den sich filigrane Wolken wie geklöppelte Spitzendeckchen gelegt hatten. Gleichzeitig schien sich das Ganze wie eine riesige Rolle unter mir hindurchzuwälzen, obwohl es natürlich genau andersherum war: Wir rasten mit dem Shuttle mit 28.000 Kilometern pro Stunde über die Erdoberfläche hinweg.

Keine Frage, dieser Blick auf die Erde ist einfach faszinierend. Ich habe mich immer gefragt, was und vor allem warum dieser Anblick einen so gefangen nimmt. Eigentlich ist er bei einer Raumfahrtmission die reinste Nebensache. Denn eigentlich ist es als Wissenschaftler an Bord meine Aufgabe, faszinierende Experimente in der Schwerelosigkeit durchzuführen. Diese führen zu einem Wissensgewinn für die Wissenschaft, der schließlich der ganzen Menschheit zugutekommt, und das ist es, was die Menschheit von der Raumfahrt hat.

So dachte ich jedenfalls, bis ich von meiner Mission zurückkam. Aber danach fragte mich kaum jemand nach den wissenschaftlichen Ergebnissen meiner Mission. Die Fragen drehten sich vielmehr und stets um die menschlichen Aspekte der Raumfahrt: Was für ein Gefühl ist das in der Schwerelosigkeit? Wie isst man im All? Wie schläft man? Und natürlich: Wie ist der Anblick der Erde? Das passte nicht zusammen. Es wurde viel Geld für Spitzenwissenschaft ausgegeben, aber letztendlich interessierten sich die Menschen nur für den Blick auf die Erde und ob man sich dadurch verändert hat.

Mit dieser Zerrissenheit im Kopf las ich irgendwann einmal die Worte des Astronauten Alfred Worden, der im Juli 1971 auf dem Mond stand, seine wissenschaftlichen Arbeiten am Mondgestein durchführte, dabei aber ab und zu aufsah, um die Erde zu betrachten, und die bemerkenswerten Worte sprach:

»Jetzt weiß ich, warum ich hier bin.

Nicht um den Mond genauer zu betrachten,

sondern um zurückzuschauen,

auf unser Zuhause,

die Erde!«

Das ist es! Natürlich trägt die Raumfahrtwissenschaft mit neuem Wissen und Erkenntnissen zum Fortschritt der Menschheit bei. Ich bin aber inzwischen davon überzeugt, der viel größere Nutzen liegt ganz woanders, dort, wo ihn die Menschen zwar intuitiv wahrnehmen, ihn sich aber bisher nie bewusst gemacht haben: Der Blick auf die Erde verändert das Denken. Der Mensch erfährt durch ihn ein ganz anderes und neues Verständnis über seinen Heimatplaneten und damit auch über sich selbst. Er erkennt dabei sein Leben aus einer ganz anderen Distanz und einem anderen Blickwinkel heraus, und genau das führt zu einem tieferen Verständnis der Natur und damit auch seiner selbst.

SICH SELBST ANDERS VERSTEHEN

Tatsächlich wird Raumfahrt so zu einer zweiten kopernikanischen Revolution. Seit Kopernikus wissen wir zwar, dass der Mensch nicht das Zentrum des Universums ist. Doch dank Raumfahrt kann er heute auf sich herabsehen und diese entrückte Position mit eigenen Augen wahrnehmen. In diesem Sinne waren der wirkliche Erfolg der Apollo-Missionen nicht die vielen wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Zusammensetzung des Mondes und seinen Ursprung, sondern die wenigen, aber immer wieder gezeigten Bilder der Erde aus der Ferne des Mondes, auf denen sie wie eine Christbaumkugel aussah. Sie machten uns eindringlich klar: Unser Heimatplanet ist zwar eine wunderschöne, aber einsame Perle des Lebens in den Weiten des Kosmos. Über die historische Dimension dieser Bilder sagte einst der dänische Wissenschaftsjournalist Tor Nørretranders:

»Auf diesen aufrüttelnden Anblick des Planeten von außen folgte ein Bewusstwerdungsprozess, der sich in seiner Intensität durchaus mit jenem messen lässt, der einsetzte, als die Menschen sich selbst im Spiegel zu betrachten begannen.«

Der Blick aus dem All auf die Erde ist also ein Blick auf uns. Er erzählt von den Zusammenhängen unseres Daseins auf der Erde und über unseren Stellenwert im Universum. Genau das macht einen Großteil der Faszination der Raumfahrt aus, und genau deshalb wird der kommende Weltraumtourismus unser Denken über uns und die Erde mehr verändern als alle großen literarischen Werke der Weltgeschichte zusammengenommen. Er wird uns alle so verändern wie einst den saudi-arabischen Sultan bin Salman Al Saud, der als Gast an Bord des Shuttles (tatsächlich als erster Weltraumtourist) im Juni 1985 die berühmten Worte sprach:

»Am ersten Tag deutete jeder von uns auf sein Land.

»Am dritten oder vierten Tag zeigte jeder auf seinen Kontinent. Ab dem fünften Tag gab es für uns nur noch eine Erde.«

Genau diesen Wandel der Perspektive erfährt jeder beim Anblick der Erde aus dem Erdorbit.

ABSTAND GEWINNEN

Diese Änderung der Perspektive hat wohl jeder bereits in einer etwas anderen Form hier auf der Erde erfahren. Man wächst irgendwo auf dem Land, in einem Dorf oder Kleinstadt auf, so auch ich. Eine wunderbare Kindheit: Felder, Wiesen, Bauernhöfe und Wälder zum Herumstöbern und zu Hause der vertraute, immer gleiche Ablauf des Tages. Das ist die wohlbehaltene Welt, von der man als Kind meint, so müsse es wohl überall auf der Welt sein.

Aber irgendwann zieht man zu einer Berufsausbildung oder einem Studium in eine Großstadt. Hier brodelt das Leben, insbesondere das Nachtleben. Genau das Richtige für Jugendliche. Diese Welt verändert, man interessiert sich für andere Themen und andere Kulturen und lernt ganz andere Menschen kennen, andere Meinungen und Ansichtsweisen. Jeden Tag.

Aber nach Jahren des Austobens kommt man irgendwann wieder zurück nach Hause, das eigentliche Zuhause. Und alles sieht scheinbar so anders aus, als es in der Erinnerung war. Die Straßen sind enger, der Weg von der elterlichen Wohnung in die Schule war gar nicht so weit wie gedacht. Alles wirkt wie in einer Puppenstube, aber alles ist »da«, als sei es erst gestern gewesen.

Was ist geschehen? Man hat Abstand gewonnen. Abstand gewinnen ändert Ansichten. Man sieht die Welt anders, weil man nun die größeren Zusammenhänge erkennt und weiß, dass die Welt woanders ganz anders ist.

Diese Veränderung verstärkt sich sogar noch, wenn man für mehrere Jahre in anderen Ländern mit anderer Kultur gelebt hat. Wer einmal viele Jahre in den USA gewohnt hat, der entwickelt ein leichtes Verständnis dafür, dass diese Menschen auf ihr Recht, Waffen zu besitzen und nicht zwangsweise einer Krankenversicherung anzugehören, bestehen. Für uns Deutsche unvorstellbar.

DER OVERVIEW-EFFEKT

Um wie viel mehr muss sich die Sichtweise verändern, wenn der Abstand noch größer wird? Wenn man aus mehreren Hundert Kilometern Abstand fast ganze Kontinente überblickt? Wenn man sieht, dass es keine Grenzen zwischen Ländern gibt, sondern nur in unseren Köpfen? Wenn man erkennt, dass dieses Denken in dörflichen, ländlichen und nationalen Grenzen im Erdkundeunterricht geprägt wurde, wo solche Grenzen im Diercke-Atlas eingezeichnet waren und man fortan glaubte, diese Grenzen seien real? Nein, diese Grenzen gibt es nicht! Man schaut wie Sultan bin Salman Al Saud aus der Umlauf bahn oder Alfred Worden vom Mond auf die Erde und sieht nur Kontinente und viel, viel Wasser – unsere gigantischen Ozeane. Erst dieser Blick macht klar, dass Dinge, die wir miteinander teilen, wertvoller sind als jene, die uns trennen. Wir leben alle auf einem Boot, auf unserem Heimatplaneten Erde, das führerlos durch die Weiten des Weltraums treibt. Es gibt nichts, was uns bei dem Überleben auf diesem Boot hilft. Wir müssen uns selbst helfen, weil wir alle aufeinander angewiesen sind – und wenn das Boot kentert, ist es aus. Keiner und nichts wird uns vermissen. Es würde so sein wie in den 23 Stunden, 59 Minuten und 50 Sekunden auf der Erdgeschichtsuhr davor: einfach keine Menschen mehr. Damit kam unsere Erde gut zurecht, und so würde es in Zukunft auch ohne uns sein.

Solches Nachdenken und die damit einhergehenden Änderungen des Denkens vollziehen sich aber meist erst, wenn man von der Missionsreise wieder zurück ist. Wenn ich gefragt werde: »Was hat Sie bei Ihrer Mission am meisten verändert?«, dann ist es dieser Perspektivwechsel. Dafür gibt es im Englischen einen schönen Ausdruck: Overview-Effekt. Der Übersichts-Effekt.

Mit der Änderung der Ansicht über unsere Erde kommt irgendwann auch die Frage: Mit dem Wissen, dass sich Ansichten mit zunehmendem Abstand verändern können, sollte man nicht auch versuchen, allein durch klares Denken Abstand zu gewinnen, um somit alltägliche Dinge des Lebens anders zu sehen? Selbst wenn es ungemütlich oder gar lästig ist? So jedenfalls ging es mir. Seitdem nehme ich manchmal zu meinem Denken bewusst gegensätzliche Standpunkte ein, anfangs, weil es Spaß machte, später, weil man merkte, so ganz andere Standpunkte aus einer ganz anderen Perspektive können manchmal auch ihren Reiz haben, selbst wenn man sich nicht ganz damit identifizieren kann. Aber dann versteht man wenigstens, dass dieses Denken kulturell geprägt und tief in uns verankert ist.

Dieses Buch ist ein Sammelsurium von solchem Andersdenken. Bewusst anders denken. Sich nicht durch eingetretene Vorurteile leiten lassen, sondern versuchen, objektiv zu denken. Dabei hilft Wissenschaft. Sie ist mein treuer Begleiter, seitdem ich Naturwissenschaft studiert habe. Sie schafft manchmal Abstand vom Herumkrebsen in eingefahrenen Überzeugungen. Ein guter Freund und Kollege nannte Wissenschaft die »Leitplanken für unser Denken«. Aber keine Sorge, es geht in diesem Buch nicht um Naturwissenschaft, sondern um die Frage, warum die Welt so ist, wie sie ist, und ob wir mit objektivem Wissen und Denken vielleicht Abstand gewinnen und so manchmal einen klareren Überblick und somit eine andere Perspektive auf unsere Welt gewinnen können.

Seien Sie also bereit, Abstand zu gewinnen und vielleicht Ihre Perspektive zu wechseln.

1 – BETEN HILFT NICHT!

Haben Sie schon einmal gebetet? Ich meine, als jemand in Not war und Sie keinen anderen Ausweg mehr wussten. Wer hätte das nicht schon einmal getan und gehofft, es würde helfen! Hat es geholfen?

Wahrscheinlich erinnern Sie sich nicht mehr daran. Ist auch egal, denn das Beten hat zumindest Ihnen geholfen, die kritische Situation psychisch zu bewältigen. Das ist ein wichtiger Grund, warum wir beten, weil es UNS hilft. Aber hilft es auch den anderen, für die wir beten?

Es gibt leider kaum Situationen, wo wir wissenschaftlich nachweisen können, ob Gott Einfluss auf unsere Welt ausübt. Aber Beten ist eine solche. Denn wenn Gott allgut, allwissend und allmächtig ist, dann sollte er uns helfen, wenn wir ihn darum inständig bitten. So sagen es jedenfalls die christlichen Kirchen und fordern uns deshalb immer wieder zum Gebet auf. Ob Beten tatsächlich hilft, lässt sich wissenschaftlich nachweisen. Selbst wenn es nicht in jedem einzelnen Fall funktionieren sollte (weil gewisse Übel Strafe Gottes seien, so die Kirchen), so sollte sich Beten doch wenigstens insgesamt irgendwie positiv auswirken. Genau das haben mehrere Mediziner in zwei groß angelegten Blindtest-Studien untersucht und in den angesehenen Fachzeitschriften The Lancet, doi:10.1016/S0140-6736(05)67718-5 (Mantra-II-Studie), im Jahr 2005 und American Heart Journal, doi: 10.1016/j. ahj.2005.05.028 (STEP-Studie), im Jahr 2006 veröffentlicht. Sie unterteilten Patienten, die eine Herzkranz-Bypass-Operation erhielten, in drei Gruppen zu jeweils etwa 600 Personen. Außerdem gab es drei Gruppen kirchlich-christlicher Gruppen, die die Namen der Patienten der ersten beiden Gruppen erfuhren und für die sie beten sollten, dass sie ohne Komplikationen gesunden sollten. Die Patienten der ersten Gruppe wurden informiert, dass für sie gebetet würde; die zweite Gruppe wurden, für die gebetet wurde, wurde informiert, dass für sie vielleicht gebetet würde; und die dritte Gruppe, für die nicht gebetet wurde, wurde darüber informiert, dass für sie vielleicht gebetet würde.

War die Komplikationsrate jener Patienten, für die gebetet wurde, geringer als bei denen, für die nicht gebetet wurde? Das Ergebnis: Die Komplikationsrate der letzten beiden Gruppen, die nicht wussten, ob für sie tatsächlich gebetet wurde (wovon für eine tatsächlich gebetet wurde und für die andere nicht), war mit 51 % und 52 % statistisch gesehen gleich. Lediglich die Patienten der ersten Gruppe, für die gebetet wurde und die davon wussten, hatten mit 59 % eine signifikant höhere Komplikationsrate! Der Grund für dieses letztere unerwartete Ergebnis war wahrscheinlich, so die Mediziner, der geringere Lebensmut und damit die körperliche Widerstandskraft, die sich einstellt, wenn man erfährt, dass es wohl sehr schlecht um einen stehen muss, wenn andere für einen beten. Ansonsten ist das Ergebnis eindeutig: Das Beten der drei kirchlich-christlichen Gruppen hatte keinen positiven Einfluss auf die Gesundung der Herzpatienten. Beten hat einfach nicht geholfen.

Allein daraus den Schluss zu ziehen, es gäbe keinen Gott, ist heikel und mit Recht umstritten. Auf jeden Fall lässt sich Folgendes sagen: Wenn es keinen Gott gibt, dann lässt sich das Ergebnis zwanglos erklären. Wenn es einen Gott gibt, dann lässt er sich durch Beten offensichtlich nicht dazu überreden, das Gute in unserer Welt zu fördern und dem Bösen Einhalt zu gebieten. Angesichts der Eigenschaften Gottes, allgut, allwissend und allmächtig zu sein, einerseits, und andererseits der unsäglichen Gräuel auf dieser Welt, für die gebetet wird und von dem wir nun wissen, dass es nichts nützt, sind starke Zweifel an seiner Existenz sicherlich angebracht. Und ich habe Verständnis für so manchen schicksalsgebeutelten Menschen, den ich getroffen habe, der sich fragt, ob er so einen Gott in seinem Leben wirklich noch braucht.

2 – OCKHAMS RASIERMESSER

Was ist in unserer Welt wahr, was ist falsch? Im Dickicht unzähliger Meinungen im Internet hilft oft nur eines, Ockhams Rasiermesser.

Warum ist es zur neueren Weltwirtschaftskrise gekommen? 1000 Experten, 1000 Meinungen. Welche ist die richtige? Was soll man glauben, wenn sich selbst die Experten uneins sind? Eine gute Antwort auf diese uralte Frage stammt von dem Philosophen und Mathematiker René Descartes (1596–1650): »Als ich überlegte, wie viel verschiedene Ansichten über die gleiche Sache es geben kann, deren jede einzelne ihren Verteidiger unter den Gelehrten findet, und wie doch nur eine einzige davon wahr sein kann, da stand für mich fest: Alles, was lediglich wahrscheinlich ist, ist wahrscheinlich falsch.«

WURDE DIE WELT AM 23. OKTOBER 4004 V. CHR. GESCHAFFEN?

Ein guter Anfang, aber meist ist die Situation so, dass die Verfechter einer Theorie die ihre nicht nur als wahrscheinlich, sondern als absolut glaubwürdig darstellen, sogar mit Beweisen. Was dann? Hier ein Beispiel. Die Bibel behauptet, die Welt sei in sieben Tagen erschaffen worden. Findige Gläubige haben versucht, das genaue Datum des ersten Tages der Erschaffung der Welt auszurechnen, indem sie all die Jahre, die zwischen der Erschaffung der Welt und Christi Geburt, wie sie angeblich aus den Geschichten im Alten Testament folgen, zusammenzählten. Einer, der es nach eigener Aussage ganz genau machte, war der Erzbischof von Armagh in Irland, James Ussher, im Jahr 1658. Er behauptete: »Der Beginn der Zeit fiel auf den Beginn der Nacht, die dem 23. Tag des Oktobers im Jahr 4004 v. Chr. vorausging.« Damit würde sich das Jahr der Erschaffung der Welt im Jahr 2018 zum 6021. Mal jähren (für alle, die meinen, es wäre das 6022. Mal: Es gibt kein Jahr 0 unserer Zeitrechnung! Auf das Jahr 1 v. Chr. folgte das Jahr 1 n. Chr.).

Damit wüssten wir es also ganz genau, wenn es nicht diese penetranten Paläontologen gäbe (das sind die, die alte Knochen vergangener Lebewesen studieren), die der Kirche die Knochen von Dinosauriern und unseren Vorfahren präsentieren und behaupten: Diese Knochen sind weit älter als 6021 Jahre, und das ist der Beweis, dass die Bibel nicht recht hat. Ist das ein Beweis? Kein unumstößlicher, denn man könnte einwenden und fragen: Woher wisst ihr, dass die Knochen wirklich älter als 6021 Jahre sind? Dann würden die Paläontologen komplizierte Gründe vorbringen, wie die Radiokarbonmethode und geologische Bestimmung usw. Das alles könnte richtig sein. Ist das aber ein zweifelsfreier Beweis? Nein, sagen die religiösen Fundamentalisten in den USA, die sogenannten Kreationisten, denn ihr Argument lautet: Gott hat diese alten Knochen mit genau diesen Eigenschaften und genau so an den Fundorten platziert, dass die Paläontologen verführt werden anzunehmen, die Tatsachen wären so, wie sie sagen. Tatsächlich existierte aber nichts vor dem 23. Oktober 4004 v. Chr. Man mag über dieses kirchliche Argument schmunzeln. Doch Schmunzeln ist kein Gegenbeweis. Das Argument der Paläontologen ist für die meisten von uns zwar sehr plausibel, aber eben nicht unumstößlich. Also: Wo ist der zweifelsfreie Beweis, dass die Welt älter als 6021 Jahre ist? Nun, den gibt es nicht. Genauso wenig, wie die Kirche zweifelsfrei beweisen könnte, dass die Welt nur 6021 Jahre alt ist.

VERGANGENHEIT IST NICHT BEWEISBAR

Damit haben wir eine wichtige Erkenntnis gewonnen: Es gibt keinen hundertprozentigen, zweifelsfreien Beweis für Tatsachen, die in der Vergangenheit liegen. Das sollte uns nicht überraschen, denn Vergangenheit existiert nicht, nirgendwo, weshalb wir nie Reisen in die Vergangenheit machen werden können (siehe den Artikel Darum gibt es bei Zeitreisen nur einen Vorwärtsgang in meinem Buch Höllenritt durch Raum und Zeit). Sie existiert nur in unserem Kopf. Das Einzige, was existiert und beweisbar ist, ist die Gegenwart. Denn wenn ich beispielsweise beweisen muss, dass der Himmel blau ist, brauche ich nur zum Himmel zeigen und sagen: »Da, blau.« Wie beweist man aber Tatsachen, die in der Vergangenheit liegen und inzwischen vergangen sind? Man kann dann versuchen, mittels einer argumentativen Kette einen Kausalzusammenhang zwischen den jetzigen Tatsachen und den vermeintlichen Tatsachen in der Vergangenheit möglichst plausibel herzustellen. Zu zeigen, dass diese Kette zweifelsfrei wahr ist, ist aber schier unmöglich. Genau das ist der Haken.

Bedeutet das, wir können keine glaubwürdigen Aussagen über unsere Vergangenheit machen? Doch, das können wir. Dazu müssen wir aber ein wenig in den Wissenschaften stöbern. Die Wissenschaftler haben nämlich ein ähnliches, grundlegendes Problem: Wissenschaftliche Theorien lassen sich nicht beweisen. Sie sind nur mehr oder weniger wahrscheinlich. Trotzdem waren die Wissenschaften in den vergangenen Jahrhunderten sehr erfolgreich, die Wahrheiten in der Natur aufzuspüren. Es muss also Verfahren geben, Wahres von Falschem zu unterscheiden.

Es gibt in der Tat zwei grundlegende Verfahren. Da ist zunächst der Falsifikationismus, das Verfahren zum Beweis sogenannter All-Aussagen, also von Theorien über unsere Welt, die für sich beanspruchen, ausnahmslos wahr zu sein. Dieses Verfahren wurde von dem Philosophen Karl Popper (1902–1994) genauestens beschrieben und basiert auf dem Prinzip der Falsifizierbarkeit von Theorien. Dieses Prinzip untersucht die Frage »Was ist eine gute Theorie, und wann ist sie wahr?«. Das ist für unsere Alltagsprobleme aber meist irrelevant. Was wir suchen, ist ein Prinzip, das die wahrscheinlich wahre Theorie aus dem Heuhaufen unwahrer oder lediglich wahrscheinlicher Theorien herausfischt. Das Verfahren, das man in den Wissenschaften dazu anwendet, ist berühmt geworden unter dem Namen »Ockhams Rasiermesser«. Manchmal nennt man es aber auch einfach nur das »beauty principle«.

WAHRSCHEINLICHES VOM UNWAHRSCHEINLICHEN RASIERMESSERSCHARF TRENNEN

Natürlich handelt es sich hier nicht um ein wirkliches Rasiermesser. Gemeint ist ein Verfahren eines Gelehrten namens Ockham, das es erlaubt, Wahres von Falschem (selbst wenn es logisch klingt) haarscharf, wie mit einem Rasiermesser, zu trennen. Wilhelm von Ockham (lateinisch: Occam), 1285–1347, war ein englischer Franziskaner, der sich als scholastischer Naturphilosoph betätigte. Ihm schreibt man die Worte zu: »Eine Vielheitdarf nicht gesetzt werden, ohne dass es notwendig ist« (»Pluralitas non est ponenda sine necessitate«) und: »Dinge sollten nicht vervielfacht werden, ohne dass es notwendig ist« (»Entia non sunt multiplicanda sine necessitate«). Tatsächlich hat er diese Worte so nie gesagt, sondern nur etwas Ähnliches. Aber darum geht es hier nicht. Das, was diese Worte ausdrücken sollen, hat der Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889–1951) einmal so ausgedrückt: »Suche das einfachste Gesetz, das mit den Fakten harmoniert.« Oder Einstein mit seinem unnachahmlichen Sprachwitz: »Eine Theorie sollte so einfach wie möglich sein, jedoch nicht einfacher.« Was ist damit gemeint? Nun, es ist diejenige Erklärung zu favorisieren, die die Fakten am einfachsten erklärt. Dabei ist »einfach« nicht so zu verstehen, dass die Theorie einfach erscheint, sondern, dass sie die wenigsten unbeweisbaren Annahmen macht.

Wenden wir nun dieses Rasiermesser auf das Problem des Weltalters an. Die Kirche bietet dazu eine durchaus mögliche Erklärung an, die aber von der nicht beweisbaren Annahme ausgeht, es gäbe einen Gott, der die Paläontologen hinters Licht führen will. Im Sinne Ockhams ist dies eine nicht notwendige, vervielfachende Annahme. Denn es gibt eine Theorie der Paläontologen, die ohne diese zusätzliche Annahme auskommt und in diesem Sinne einfacher ist. Damit ist die Theorie der Paläontologen zu bevorzugen und daher diejenige, die man bevorzugen sollte. Wohlgemerkt, Ockhams Rasiermesser ist kein Beweismittel, sondern nur ein Argument, wenn auch ein starkes, für die Auswahl der richtigen Theorie aus vielen, wenn es keine weiteren Argumente gibt. Doch selbst wenn es tiefergehende fachliche Argumente für oder gegen andere Theorien gibt: Wer möchte sich schon die Mühe machen, in die Untiefen logischer Beweise hinabzusteigen? Für eine schnelle Orientierung hilft Ockhams Rasiermesser, und das liefert zumeist sogar auch die richtige Antwort. Was will man mehr?

3 – IST GOTT EIN MATHEMATIKER?

Ist das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben? Wenn man sich die Wissenschaften so anschaut, könnte man das glauben. Ganz so ist es aber nicht.

WAS MANCHE SO DENKEN

Die Mathematik spaltet die menschlichen Lager. Diejenigen, die sie nicht mögen, halten sie für Teufelswerk, bestenfalls Menschenwerk. Umgekehrt halten ihre Liebhaber sie für die Krone der Wissenschaften. Der alte Platon (ca. 428 v. Chr. – 348 v. Chr.), ein Zahlenfetischist, ging sogar noch einen Schritt weiter. Für ihn war unsere Mathematik lediglich ein mattes Abbild einer höheren Realität. Mathematische Zahlen bildeten in seiner Ideenlehre eine eigene Welt, nämlich die Zahlenwelt als Ideenkonzept, die unabhängig von unserer Welt existiert. Unsere Zahlen sind sozusagen Konkretisierungen dieser Zahlenkonzepte in unserer Welt. Jedes Mal wenn ich eine Zahl auf ein Blatt Papier schreibe, wird aus einer abstrakten Zahlenidee in der Überwelt eine konkrete Zahl in der unseren. In der objektorientierten Programmierung würde man heute sagen: Es gibt einen Objekttyp »Zahl« und eine Instanz »Zahl«. Diese Behauptung ist starker Tobak. Erstens lässt sich diese Annahme durch nichts beweisen (genauer: Gemäß Poppers Wissenschaftstheorie lässt sie sich nicht falsifizieren). Solche Gedankenklimmzüge sind nach unserem wissenschaftstheoretischen Verständnis auch nicht notwendig, und wendet man Ockhams Rasiermesser (siehe vorherigen Artikel) darauf an, ist Platons Ideenwelt sowieso falsch.

Und dann gibt es noch diejenigen, für die Mathematik ein Buch mit sieben Siegeln ist, dem man einfach nicht trauen darf. So interpretiere ich einen Leser, der mir schrieb: »Ach hört doch endlich auf mit der Mathematik! Die Mathematik wurde von Menschen erfunden, und sie glauben, dadurch alles erklären zu können. Ja sogar das Universum zu verstehen. Das ist das Absurde dabei.« Selbst mancher Mathematiker steht dem ganzen Zahlenzauber skeptisch gegenüber. So soll der berühmte deutsche Mathematiker Leopold Kronecker (1823–1891) im Jahr 1886 gesagt haben: »Die natürlichen Zahlen hat der liebe Gott gemacht. Der Rest ist Menschenwerk.« Ein sehr beliebter Aphorismus in unserer Gesellschaft, den wohl auch der zitierte Leser im Sinn hatte.

Die Wissenschaftler sind sich ansonsten aber einig. Ohne Mathematik geht in den Wissenschaften gar nichts. Bereits Galileo Galilei (1564–1642) meinte Anfang des 17. Jahrhunderts: »Die Mathematik ist das Alphabet, mit dem Gott die Welt geschrieben hat.«