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Wie essen und schlafen Astronauten auf der Raumstation? Und wie gehen sie auf die Toilette? Ist Sex im Weltall möglich? Und wird es jemals Star-Trek-Warp-Antriebe geben? Wissenschaftlich fundiert und äußerst unterhaltsam geht Astronaut Ulrich Walter den Rätseln der Raumfahrt auf den Grund. Der Nachfolger des Spiegel-Bestsellers "Im Schwarzen Loch ist der Teufel los". Packende Raumfahrt aus erster Hand. Astronaut Ulrich Walter erklärt mit Sachverstand und vielen eigenen Endrücken, wie Raumfahrt funktioniert, was prinzipiell möglich ist, aber auch, was nicht. Sein letztes Buch "Im Schwarzen Loch ist der Teufel los" erklärte in gleicher Weise die Entstehung und Entwicklung unseres Universums. Das Buch wurde ein Spiegel-Bestseller. Walter zählt zu den elf Deutschen, die es ins Weltall geschafft haben. Neben seinen erfolgreichen schriftstellerischen Tätigkeiten moderiert er auf N24 die Doku-Serie "Spacetime".
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Seitenzahl: 207
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Ulrich Walter
Höllenritt
durch
Raum und Zeit
Ulrich Walter
Höllenritt
durch
Raum und Zeit
Astronaut Ulrich Walter
erklärt die Raumfahrt
Leserhinweise:
Multiplikationen:
Auch dieses Buch kommt nicht ganz ohne Formeln aus. Für die Multiplikation zweier Zahlen stellt × das Rechenzeichen dar. Beispiel: 2 × 1010. Bei Variablenprodukten hat der Autor als Rechenzeichen den Punkt genutzt. Beispiel: × · y
Erstellungszeitraum:
Dieses Buch entstand zwischen 2014 und 2017. Bis zum Redaktionsschluss des Buches haben wir die Texte an den aktuellen Stand der Wissenschaft angepasst. Da sich dieser jeden Tag ändert, sehen Sie das Buch bitte als Momentaufnahme.
Originalausgabe
Originalausgabe
2. Auflage 2017
© Verlag Komplett-Media GmbH
2017, München/Grünwald
www.komplett-media.de
ISBN E-Book: 978-3-8312-6928-0
Umschlaggestaltung: X-Design, München
Lektorat: Redaktionsbüro Diana Napolitano, Augsburg; Ulrike Klein, Berlin
Satz und Layout: Daniel Förster, Belgern
E-Book Herstellung und Auslieferung: Brockhaus Commission, Kornwestheim, www.brocom.de
Dieses Werk sowie alle darin enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen sowie für das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung.
INHALT
Höllenritt ins All – Abgeschnitten von der Welt
Wir sind Astronaut!
Warum ist man im All schwerelos?
Der Mensch und seine Probleme im All
20 Sekunden bis zum Blackout
Alltag im All
Sex in Space
Kann man die Chinesische Mauer aus dem All sehen?
Seifenblasen im Weltraum
Verkehrte Welt – Weshalb Bremsen beschleunigt und Beschleunigen bremst
Interstellare Antriebe
Raumfahrtantriebe – Was ginge wirklich?
Warp-Antrieb – So funktioniert er
Warp-Antrieb – Der Haken mit der negativen Energie
Der Todesstoß für den Warp-Antrieb
Swing-by-Manöver – Per Huckepack durchs Sonnensystem
Sind Reisen zu fernen Welten möglich?
Sind Zeitreisen in die Zukunft möglich?
Darum gibt es bei Zeitreisen nur einen Vorwärtsgang
Wie geht man mit tödlichen Missionsgefahren um?
Challenger – Warum sieben Astronauten sterben mussten
Was wir aus zwei Shuttle-Katastrophen lernen können
ExoMars-Desaster – Warum ExoMars wirklich schiefging
ESAs neuer Weltraum-Ferrari
Krieg im Weltraum?
Wie gefährlich ist Weltraummüll?
Elon Musk ist der neue Wernher von Braun!
Die Mär vom cleveren Raketen-Recycling
Die 100-Millionen-Dollar-Sternenreise
Geblitzt!
Taikonauts Go!
Space Elevator – Per Weltraumlift ins All?
NewSpace – Das Geschäft mit dem Weltraum
Weltraumbestattung im Frühbucherrabatt
NASAs Pläne für die nächsten 20 Jahre
Die Zukunft der Raumfahrt nach 2020
Aphorismen der Raumfahrt
Über den Autor
HÖLLENRITT INS ALL –ABGESCHNITTENVON DER WELT
1
Kennedy Space Center, Florida/USA, Shuttle Launch Pad 39A,26. April 1993, 9:50h EST (Eastern Standard Time,Standardzeit an der Ostküste der USA)
Da liege ich nun, auf dem Rücken, die Beine angewinkelt nach oben, etwa 60 Meter über der Erde im Middeck unserer 2000 Tonnen schweren Columbia, eine der amerikanischen Raumfähren, die uns sieben Astronauten in wenigen Sekunden in den Weltraum bringen soll. Dies ist der Ort und der Zeitpunkt, auf den ich jahrelang hingearbeitet habe. Ich schließe das Visier und … höre nichts mehr! Nur noch den aufs Notwendigste reduzierten, stakkatoartigen Funkverkehr des Air-to-Ground kann ich wahrnehmen. Man ist wie von der Außenwelt abgeschnitten. Man hört nichts mehr, und im Middeck, wo mein Platz beim Start ist, sieht man auch nichts, bis auf die Schubladenwand vor, beziehungsweise über einem, auf die man dauernd starren muss und von der man hofft, dass sie beim Start nicht zufälligerweise eine ihrer Schubladen entlässt.
WIR SINDASTRONAUT!
2
WARUMIST MAN IM ALLSCHWERELOS?
3
DER MENSCHUND SEINE PROBLEMEIM ALL
4
Ist der Weltraum ein Problem für denmenschlichen Körper? Es gibt da kleine undgrößere und ein ganz dickes Problem.
Wenn man bedenkt, dass sich die Lebewesen über Jahrmilliarden Jahre an irdische Lebensverhältnisse angepasst haben, dann wäre es schon ein Wunder, wenn es gar keine Probleme bei den doch so ziemlich anderen Verhältnissen dort draußen geben würde. Die größten Probleme entstehen durch veränderten Umgebungsdruck und -temperatur, Strahlung und Gravitation. Die Atmosphäre, die es dort draußen nicht gibt, ist auf der Erde entscheidend für die ersten drei Größen. Gravitation gibt es im Weltraum, aber sie wird in jedem Punkt unseres Körpers durch Trägheitskräfte ausgeglichen (siehe voriges Kapitel »Warum ist man im All schwerelos?«), was nicht ganz korrekt als Schwerelosigkeit bezeichnet wird.
SCHWERELOSIGKEIT IST EINFACH ZUM KOTZEN
Schwerelosigkeit ist für den menschlichen Körper übel – im wahrsten Sinne des Wortes. Die sogenannte Makula in unserem Gleichgewichtsorgan, dem Ort an dem die Schwere Nervenimpulse auslöst, wird dadurch außer Kraft gesetzt. Das Signal, wo ist oben und wo unten, fehlt. Das Gehirn glaubt, der Grund sei ein Gift, aufgenommen über die Nahrung, und übergibt sich. Dasselbe passiert, wenn man zu viel Alkohol trinkt. Auch Alkohol beeinträchtigt bekanntlich das Gleichgewichtsorgan, und der Körper versucht, ihn per Erbrechen möglichst schnell wieder loszuwerden.
In der Schwerelosigkeit passiert das relativ schnell, schon innerhalb weniger Minuten benutzen anfällige Raumfahrer die dafür vorgesehenen Plastiktüten. Etwa 70–80% aller Raumfahrer leiden unter dieser sogenannten Weltraumkrankheit. Nach spätestens 36 Stunden ist dem Körper allerdings klar, dass das Problem nicht am Essen liegt und er stellt die Übelkeitssymptome ein. Es bleiben manchmal jedoch Kopfschmerzen, weil schwerelosigkeitsbedingt die Verschiebung der Körperflüssigkeiten in den Oberkörper den Wasserdruck im Kopf ansteigen lässt und Rückenschmerzen, weil sich die Wirbelsäule in der Schwerelosigkeit ausdehnt und etwas anders krümmt. Diese Dauerdehnung finden die Rückenmuskeln gar nicht gut, aber nach einigen Tagen hat sich der Körper auch daran gewöhnt.
ACHTUNG STRAHLUNG
Strahlung ist ein größeres Problem, denn da draußen gibt es verdammt unangenehme Strahlungen, die die Atmosphäre für uns zurückhält, einerseits von der Sonne und andererseits die sogenannten HZE-Ionen aus den Tiefen des Alls. Beides sind Teilchenstrahlungen, mit denen nicht zu spaßen ist. Die Sonne sendet konstant einen Sonnenwind aus, bestehend aus geladenen Protonen. Bei starken koronalen Massenauswürfen der Sonne und außerhalb des die Erde umgebenden Strahlungsgürtels (Van-Allen-Gürtel) wird dieser Sonnenwind so stark, dass Astronauten ohne Schutz innerhalb etwa einer Woche sterben. Ein kleiner Schutzraum mit Wänden aus Wasser hilft dagegen. Die Apollo-Astronauten von damals hatten wegen Gewichtsproblemen so einen Schutz nicht. Damals gab es aber auch keine koronalen Massenauswürfe. Glück gehabt.
Die ISS liegt innerhalb der Van-Allen-Gürtel, weshalb Astronauten hier nicht viel zu befürchten haben. Die Strahlungsdosis ist dort oben im sogenannten erdnahem Raum im Mittel etwa 20-mal höher als auf der Erde. Nach einem halben Jahr dort oben hat man die für beruflich strahlenexponierte Personen – und dazu zählen Astronauten – zulässige Strahlendosis pro Jahr erreicht, was der Grund ist, warum Astronauten typischerweise sechs Monate dort oben bleiben.
DER BARBECUE-MODE
Wie warm ist es im Weltraum? Auf diese mir gerade von Jugendlichen gestellte Frage könnte man antworten: Ohne Atmosphäre keine Raumtemperatur. Das würde einiges erklären, aber auch ohne Atmosphäre nehmen Körperoberflächen ein sogenanntes Strahlungsgleichgewicht ein. Die Gleichgewichtstemperatur hängt davon ab, ob der Körper von der Sonne beschienen wird oder nicht. Bin ich mit einem Raumanzug auf einem Raumspaziergang und bewege mich nicht, dann wird nach etwa 30 Minuten die sonnenbeschienene Seite ca. 100 °C heiß und die sonnenabgewandte Seite −100 °C. Gut, dass es gut isolierte Raumanzüge gibt!
Es gibt einen Trick, die Temperaturunterschiede nicht zu groß werden zu lassen. Man geht in den Barbecue-Mode (so nennt man den bei der NASA wirklich), bei dem man sich langsam in der Sonne dreht. Das war zum Beispiel beim Shuttle sehr wichtig. Kurz vor der Rückkehr zur Erde wurde das Shuttle wie beim Grillen langsam gedreht, wodurch seine Aluminium-Struktur gleichmäßig warm wurde. Machte man keinen Barbecue-Mode, dann verzog sich das Shuttle wegen der großen Temperaturunterschiede und die Ladebuchtluken ließen sich manchmal nicht schließen.
NUR KLEINE PROBLEMCHEN AUF DER ISS
Die Verhältnisse im Innern der ISS sind exakt so wie auf der Erde, also Standardatmosphäre mit 1 bar Luftdruck und etwa 24 °C Raumtemperatur (in der Schwerelosigkeit ist einem eher leicht kühler). Die Astronauten auf der ISS tragen daher Kleidung wie beim Training auf der Erde.
Das Luftwiederaufbereitungssystem (Air Revitalization System) der NASA auf der ISS. (Bild: NASA)
Wegen der fehlenden Schwerkraft gibt es keine natürliche Luftzirkulation. Die Luft wird über eine Zwangszirkulation in Bewegung gehalten, weniger wegen Schimmelbildung, sondern weil sich sonst CO2-Blasen von ausgeatmeter Luft bilden können. Das wäre besonders beim Schlafen sehr unangenehm, weil Astronauten dann ersticken könnten.
Die zirkulierende Luft wird über Kohlefilter im Luftwiederaufbereitungssystem von organischen Stoffen gereinigt und das überschüssige CO2 wird mithilfe aufwendiger Verfahren beseitigt. Danach wird wieder entsprechend O2 aus Sauerstofftanks und/oder Wasserelektrolyse zugegeben. Der Stickstoffanteil bleibt dabei immer konstant.
Und noch ein Problem: Nicht alle Geruchsstoffe lassen sich vollständig beseitigen, dadurch bleibt immer ein geringer Restduft, den man aber auf die Dauer nicht wahrnimmt. Erst wenn man wieder auf die Erde zurückkommt und frische Luft schnuppert, merkt man den Unterschied. Nach vielen Jahren kann die Luft aber etwas modrig riechen, weil sich auf schwitzigen und unzugänglichen Metalloberflächen ein Biofilm mit Pilzen bildet, ein echtes Problem auf Raumstationen.
… UND DANN IST DA NOCH DAS DICKE PROBLEM
Die wohl meistgestellte Frage und das wirklich dicke, dafür extrem seltene Problem »Wie lange kann der ungeschütze menschliche Körper im All unbeschadet überleben?« kläre ich im nächsten Kapitel.
20 SEKUNDENBIS ZUMBLACKOUT
5
Wie lange kann der ungeschützte menschlicheKörper im All unbeschadet überleben?
Die Frage, wie lange ein ungeschützter menschlicher Körper im All überleben könnte, wird immer wieder an mich gestellt. Über die vergangenen Jahre habe ich diese Frage immer wieder bekommen, weil es nirgendwo eine genaue Antwort gibt. Man findet meist nur ungenaue Vermutungen, aber nichts Verlässliches. Vor 20 Jahren interessierte mich die Frage selbst, und ich fand in der Bibliothek des Deutschen Museums medizinische Berichte der Deutschen Luftwaffe von Versuchen an Menschen aus dem Zweiten Weltkrieg. Das damalige Interesse galt den Auswirkungen vom plötzlichen Druckverlust in der Kabine eines Kampfjets, aber die Erfahrungen sind natürlich ebenso auf ähnliche Situation im All übertragbar.
DAMIT RECHNET DIE NASA
Was passiert also, wenn ein menschlicher Körper dem Vakuum des Weltraums ausgesetzt ist? Das hängt davon ab, wie genau der Übergang in diesen ungeschützten Zustand aussieht. Nehmen wir an, ich mache einen Raumspaziergang und werde von Mikro-Meteoriden, nur wenige Millimeter groß, getroffen – ein Szenario, das die NASA durchaus erwägt. So ein Meteorid schlägt wegen seiner extrem hohen Geschwindigkeit von etwa 30.000 km/h den Anzug und meinen Körper glatt durch und hinterlässt ein ebenso großes Loch. Wenn ich Glück habe, sind meine Extremitäten getroffen, also kein größeres Problem. Ein bisschen Blut und eventuell Knochendurchschuss – wird schon wieder. Wichtiger ist, dass das Leck im Anzug so klein ist, dass das Lebenserhaltungssystem den Druckverlust ausgleichen kann und man etwa 30 Minuten Zeit hat, wieder zurück in die ISS zu kommen.
Glatter Durchschlag eines kleinen Mikro-Meteoriden durch die Thermalisolierung des Zarya-Moduls auf der ISS. (Bild: NASA)
DER ABSOLUTE WORST CASE
Nehmen wir den schlimmsten denkbaren Fall: Ein größerer Asteroid reißt mir einen Arm ab. Der Anzug ist nun komplett offen, und der Druck sackt innerhalb von ein bis zwei Sekunden auf nahezu null ab. Das ist für meinen Körper eine Katastrophe. Noch bin ich aber bei vollem Bewusstsein und weiß, ich habe etwa 60 Sekunden, bevor ich sterbe. Innerhalb dieser einen Minute passiert Folgendes: Der Druckverlust führt zur schlagartigen Ausdehnung aller Luftkammern des Körpers. Davon hat der Körper drei Stück. Zwei Mittelohren und die Lunge. Damit mir alle drei nicht platzen, muss ich wie beim Auftauchen aus großen Wassertiefen sofort den Mund öffnen, also nicht versuchen, die Luft anzuhalten! Der Luftdruck im Mittelohr entlädt sich dann über die Eustachi-Röhre und der Lungendruck über die Luftröhre. Ansonsten passiert äußerlich erst einmal nichts, denn der Körper besteht ansonsten aus Wasser und festen Stoffen, und die können sich nicht ausdehnen.
HILFE, MEIN KÖRPER KOCHT!
Sollten die Eustachi-Röhren wegen einer Halsentzündung geschwollen sein, dann kann die Luft aus dem Mittelohr nicht entweichen, und bei schnellem Druckverlust platzen mir die beiden Trommelfelle. Nun ja, das tut zwar sauweh, aber in der Situation gibt es Schlimmeres und zwar Folgendes: Nach etwa sechs Sekunden beginnen die Körperflüssigkeiten, also im Wesentlichen mein Blut, zu kochen, denn der Siedepunkt von Wasser hängt stark vom Umgebungsdruck ab. Bei 1 bar ist er bekanntermaßen 100 °C, und bei den 0,32 bar auf dem Mount Everest 71 °C. Blut bei 37 °C Körpertemperatur kocht daher unterhalb von 0,060 bar. Die entstehenden Bläschen in den Adern stoppen den Blutfluss, der Körper erleidet also einen instantanen Kreislaufkollaps. Davon merke ich zunächst lediglich ein Kribbeln im Körper. Die ersten kleinen Äderchen beginnen zu platzen und später langsam auch die größeren. Wegen der ausbleibenden Sauerstoffversorgung verwirren sich nach 15 Sekunden meine Sinne, und nach 20 Sekunden tritt der Blackout, also Bewusstlosigkeit, ein. Die Schmerzen, die nun durch die zunehmende Blasenentwicklung von Stickstoff in den Gelenken auftreten würden, merke ich dann schon nicht mehr.
RECOVERY … ODER AUCH NICHT
Wenn spätestens nach 60 Sekunden der Druck wieder auf normale Werte ansteigt, rekollabieren die Blasen, der Körper nimmt wieder seine normalen Funktionen auf, und es bleiben angeblich keine Langzeitschäden zurück. Ist die Sauerstoffversorgung länger als zwei bis drei Minuten unterbrochen, treten zunehmend irreparable Hirnschädigungen ein. Diese Erkenntnisse stammen von Herzinfarktopfern.
ALLTAGIM ALL
6
Der Klassiker aller Fragen an einen Astronauten:»Wie geht man im All auf die Toilette,wie schläft man, wie isst man?«Hier ein für alle Mal die ultimativen Antworten.
Da wird man als Wissenschafts-Astronaut jahrelang für seine Mission im Weltraumlabor ausgebildet, rackert sich wie ein Eichhörnchen, wie mein inzwischen verstorbener Astronauten-Kollege Reinhard Furrer es einmal formulierte, dort oben ab, ist stolz, wenn alles so geklappt hat, wie man es geplant hat, und was wird man von den Leuten gefragt, wenn man wieder zurück ist: »Wie ist das Erlebnis beim Start?« (typische Männerfrage), »Wie geht man dort oben auf die Toilette, wie isst man, wie schläft man?« und schließlich: »Hat man sich verändert?« (typische Frauenfragen).
Grob gesagt, der Alltag dort oben ist ähnlich wie auf der Erde. Acht Stunden schlafen, acht Stunden arbeiten, acht Stunden für anderes (davon 2½ Stunden Laufband für die Muskeln). Samstags ist Wartung der Raumstation, am Sonntag ist frei.
DER KLASSIKER: DIE TOILETTE AUF DER ISS
Die Unterschiede liegen nur im Detail. Sollte man in der Schwerelosigkeit eine Toilette mit Wasserspülung betreiben? Selbst kleinen Kindern ist sofort klar, das gäbe ein riesiges Malheur. Klar ist auch gleich: »Wenn keine Wasserspülung, warum dann nicht Luftspülung?« Das Problem liegt dann nur noch in der Frage, wie eine Luftspülung technisch konkret umgesetzt werden soll. Dabei ist noch das kleinste Problem, dass die logischerweise bereits zu Beginn des großen Geschäfts aktiv sein muss und nicht erst, wenn man fertig ist, wie auf der Erde, sonst schwebt alles durch die Gegend. Außerdem muss alles schön in Flüssiges und Festes getrennt werden. Für Flüssiges gibt es einen kleinen Plastiktrichter – jeder Astronaut hat einen eigenen – den er auf einen langen Schlauch steckt. Ein Unterdruck saugt durch Trichter und Schlauch den Urin in einen großen 20-Liter-Container. Für Festes muss man sich wie auf der Erde setzen. Ein Luftzug zieht alles durch einen Plastikbeutel mit vielen Löchern. Die Luft geht durch die Löcher, alles andere nicht. Danach wird der Beutel zugezogen und in einen Aluminium-Container geschoben.
… UND HOPP
Wohin damit? Nun, beide Container werden als Abfall in das Progress-Versorgungsschiff gestopft. Bei der Ankunft der Progress auf der ISS ist im Progress alles drin, was man auf der ISS so braucht, also Lebensmittel, neue Kleidung und eben auch neue Toiletten-Container. Wenn Progress nach dem Ausräumen leer ist, dient er als Abfall-Container unter anderem für die Toilette. Bevor ein neuer Progress kommt, wird der alte abgedockt und in die Erdatmosphäre geschubst, wo er beim Eintritt mit 28.000 km/h komplett verglüht. Keine Sorge, da ist bisher niemandem etwas auf den Kopf gefallen.
Die Toilette auf der ISS, mit der der separate Urinierstutzen (rechtes Bild) über einen langen Schlauch verbunden ist. (Bild: NASA)
SICHER IST SICHER
Die oben beschriebene Toilette ist zwar einfach, aber eine seit Jahrzehnten erprobte und sichere Technik der Russen. Sie war bis 2008 die Grundausstattung im Zvezda-Modul der ISS, also im Wohnmodul der Astronauten, gleich neben dem Esstisch (im Weltraum darf man nicht zimperlich sein). Im Jahre 2008 kaufte die NASA eine weitere Toilette mit derselben Technik von den Russen und installierte sie auf der anderen Seite der ISS im Tranquility-Modul. Damit braucht man, wenn’s pressiert, nun nicht mehr von einem Ende, etwa dem europäischen Columbus-Labor, zur anderen Seite der ISS schweben, sondern kann gleich »nebenan« sein Geschäft verrichten. Außerdem gibt es so immer eine funktionierende Toilette, falls die andere ausfällt. Die Systeme sind gleich. Man braucht sich also nicht umgewöhnen und Ersatzteile passen hier wie dort – gaaaanz wichtig!
DER KAFFEE VON GESTERN IST DER KAFFEE VON MORGEN
Der Urin dieser neuen Toilette wird aber zusammen mit anderem Schmutzwasser dem amerikanischen WRS (Water Recovery System) zugeführt, das daraus wieder Trinkwasser gewinnt. Ein Verfahren, gegen das sich die Astronauten verständlicherweise jahrelang gewehrt hatten. In einem nachgeschalteten OGA (Oxygen Generator Assembly) kann über ein Elektrolyseverfahren aus Teilen des Trinkwassers auch Sauerstoff für die Atmung und Wasserstoff hergestellt werden, wobei Letzteres entweder über Bord geht oder als Ausgangsstoff für einen sogenannten Sabatier-Reaktor dient, in dem aus dem Kohlendioxid der ausgeatmeten Luft Wasser hergestellt wird, was man dann wieder zum Trinken nutzen kann. Wie man sieht, alles raffinierte aber auch komplizierte Technik.
SO ISST UND TRINKT MAN
Das Essen auf der ISS ist einfach erzählt. Alles wird auf der Erde vorgekocht und entweder in Alu-Beuteln sterilisiert und abgepackt oder für lange Haltbarkeit gefriergetrocknet und in durchsichtigen Plastikbeuteln luftdicht eingeschweißt. Zum Essen gibt man einfach nur wieder das Wasser hinzu, und knetet alles etwas durch, damit sich das Wasser schön verteilt. Wenn man das Essen warm serviert haben möchte, steckt man die Beutel in einen klassischen Konvektionsofen (Mikrowelle gibt’s nicht, wegen eventueller Störung der Elektronik an Bord).
Wegen der Beutel gehört zum Besteck immer eine Schere zum Aufschneiden. Nudeln und auch Steaks sind kein Problem. Gabel rein und weg damit. Nur Soßen und Suppen bedürfen einer vorsichtigen Handhabung. Den Löffel in den Beutel geschoben und langsam, gaaanz langsam, wieder herausziehen, sonst löst sich die Flüssigkeit vom Löffel und schwebt unkontrolliert in die nächste Elektronik. Alte Hasen machen es umgekehrt, sie ziehen den Löffel ganz schnell weg, sodass die Flüssigkeit nicht mitkommt und vor der Nase schweben bleibt. Erst wabert sie herum, und dann kann man sie einfach mit dem Mund aufsaugen. Achtung: Das will gekonnt sein!
Marsha Ivins posiert mit ihrer beindruckenden Haarpracht auf ihrer Mission auf der ISS im Jahre 2001. (Bild: NASA)
Getrunken wird aus Alu-Beuteln. Die haben nur das Pulver drin (Fruchtpulver für O-Saft oder Kaffeepulver). Wasser dazu, Plastikstrohhalm rein und trinken. Wenn man nicht alles trinken möchte, kann man mit einer Quetsche den Plastikstrohhalm verschließen und den Beutel per Klettverschluss (alle Teile, ohne Ausnahme, haben auf der ISS ein Stück Klettverschluss) irgendwo hinhängen, damit er nicht auf Nimmerwiedersehen wegschwebt – was nicht ganz stimmt, sie landen meist im Ansaugstutzen der Umluftanlage.
… UND SO SCHLÄFT MAN
Zum Schlafen gibt’s einen Schlafsack. Arme durch die seitlichen Schlitze, Reißverschluss über den Bauch zugezogen und das war’s. Der Sack hat nur eine Aufgabe: Er verhindert das Wegschweben. Dazu wird der Sack mit Klettverschluss entweder an die Wand in einer Schlafkoje angebracht, oder jeder kann ihn auch irgendwo in der ISS »aufhängen« wo Platz ist.
Das Problem beim Schlafen ist das Schlafen. Auf der Erde liegt man irgendwo kuschelig in einem Bett in einer Zimmerecke oder fühlt eine Decke auf dem Körper. In der ungewohnten Schwerelosigkeit spürt man gar nichts am Körper und hat so das Gefühl, der Umwelt hilflos ausgesetzt zu sein. Deswegen schlafen viele Astronauten schlecht. Schlafpillen sind auf einer Raumstation gang und gäbe. Es sei denn, man ist nach der schweren und vielen Arbeit am Tage so müde, dass einem alles egal ist, man todmüde »umfällt« und schläft wie ein Murmeltier. So erging es mir.
Zähneputzen geht wie auf der Erde. Danach nur in ein Handtuch spucken oder runterschlucken.
Haareschneiden mit Opas Elektro-Schermaschine, jedoch mit Absaugschlauch für die Haarschnipsel. Auch die mag die Elektronik an Bord nicht.
SEX IN SPACE
7
Alles was Sie schon immer über Sex im Weltraumwissen wollten. Eine Trilogie.
1. TYPISCH AMERIKANER
Als Astronaut kommt man an diesem Thema einfach nicht vorbei. Es ist, neben der Toilette im Weltraum, das Thema, was die Öffentlichkeit an der Raumfahrt am meisten fasziniert. Wenn ich hier stattdessen über Wissenschaft in der Schwerelosigkeit, den Grund für all den Aufwand einer Raumstation, referieren würde, würden Sie gleich weiterblättern. Stimmt’s? Dabei gibt es da soooo schöne Ergebnisse … Aber ich weiß, Sie wollen dieses Gequatsche jetzt nicht, sondern nur das Eine. Also los geht’s.
Die NASA-Studie
Schon im Jahr 1996, also zwei Jahre vor Baubeginn der Internationalen Raumstation, soll die NASA eine Studie zum Thema Sex in der Schwerelosigkeit durchgeführt haben, um »den Bedürfnissen der Astronauten bei Langzeitmissionen gerecht zu werden«, so zu lesen im Buch La Dernière Mission (Die letzte Mission, Calmann-Levy, 2000) des französischen Astronomen und Autors Pierre Kohler. Seine Fakten hat der Autor aus dem NASA-Report Nummer 12-5713570, der einige Jahre auf den Websites im Internet zu finden war, aber von der NASA schnell wieder aus dem Verkehr gezogen wurde. Wen wundert’s.
Die Ziele und Ergebnisse der Studie lauteten zusammengefasst: »Der Zweck dieses Experiments waren Vorbereitungen für Ehepartner-Teams, die an Langzeitaufenthalten im All teilnehmen werden, sobald die US-Weltraumstation im Orbit ist. Um das zu erreichen, probierten die Teilnehmer eine Reihe von möglichen Stellungen aus, die es den Ehepartnern ermöglichen, auch in der Schwerelosigkeit ihren ehelichen Pflichten nachzukommen. Die Schwerelosigkeit während der Shuttle-Mission STS-75 sorgte für die richtigen Rahmenbedingungen. Unser erster Schluss ist, dass zufriedenstellende eheliche Beziehungen in ‚Zero-G’ (Fachbegriff für Schwerelosigkeit) durchaus im Bereich des Möglichen liegen, viele Paare aber ihre Schwierigkeiten haben werden, sich an die Stellungen zu gewöhnen, die wir für am besten geeignet befanden.« So weit der angeblich offizielle Befund.
Das NASA-Experiment Nummer 8
Das letzte Ergebnis dieser Zusammenfassung ist nicht weiter verwunderlich, soll doch während des »Experimentes 8« der Shuttle-Mission STS-75 ohne elastische Gurte und Kunststofftunnel, in die die Probanden schlüpfen mussten, oder krampfhaftes Sich-Aneinanderklammern gar nichts gegangen sein. Zehn verschiedene Stellungen hätten Astronautinnen und Astronauten ausprobiert. Die auf der Erde so beliebte Missionarsstellung habe dabei besonders schlecht abgeschnitten, dafür sei die Gravitation unbedingt nötig. Besser klappt es, so der Bericht, wenn die Frau kopfüber an den Mann gegurtet ist, ihren Kopf auf seinen Knien und ihre Knie auf seiner Brust.
Erstaunlich eigentlich, dass die sonst so prüden Amerikaner derart delikate Experimente nicht nur durchführten – und das auch noch über die stets so blitzsaubere Weltraumbehörde NASA – sondern zu allem Überfluss auch noch eine recht detailreiche Zusammenfassung der Öffentlichkeit zur Verfügung stellten. Noch erstaunlicher wird die ganze Sache, wenn man sich die Missionsdaten der Shuttle-Mission STS-75 anschaut und feststellt, dass bei den Untersuchungen zu »ehelichen Aktivitäten« nur Männer teilgenommen haben können. Hatte die NASA vielleicht von der Öffentlichkeit unerkannt eine Frau an Bord geschmuggelt? Unmöglich, denn seit der Challenger-Katastrophe im Januar 1986 dürfen aus Sicherheitsgründen nur noch maximal sieben Astronauten fliegen. Mit den sieben Männern war das Limit also erreicht. Eine Frau war damit definitiv nicht an Bord. Zweifel am angeblichen NASA-Report kommen auch deshalb auf, weil er in ähnlicher Version bereits schon in der Newsgroup »alt.sex« vom 28. November 1989 zu finden war, die STS-75 Mission aber im Februar/März 1996 flog. Da stimmt was nicht!
Zu prüde, um wahr zu sein
Die NASA selbst hält des Rätsels Lösung parat: »Es hat nie ein derartiges Experiment gegeben«, stellte seinerzeit NASA-Sprecher Brian Welch fest. Frustriert fügt er hinzu: »Unglaublich ist, dass verschiedene Nachrichtenagenturen nie auch nur daran gedacht haben, bei der NASA nachzufragen, ob da ein Körnchen Wahrheit dran ist.« Dass es möglicherweise bereits Sex im All gegeben hat, bestreitet die NASA zwar nicht, jedoch sei dies dann Privatsache der Astronautinnen und Astronauten und keinesfalls Fragestellung von Experimenten gewesen. NASA-Sprecher Ed Campion äußerte sich entrüstet: »Wir haben weder irgendwelche Sex-Experimente durchgeführt, noch tun wir das zurzeit oder planen das für irgendeinen Zeitpunkt in der Zukunft!«
Wie also hält es die NASA mit Sex im All? Der NASA-Report 12-571-3570 ist ohne Zweifel eine Fälschung. Überhaupt fürchtet die NASA das Thema Sex im All wie der Teufel das Weihwasser, nicht nur weil die Amerikaner im Umgang mir solcher »Materie« ziemlich prüde sind, sondern auch, so einer mit dieser Thematik befasste NASA-Mitarbeiter, damit »die Öffentlichkeit nicht den Eindruck erhält, wir installierten mit der Raumstation ein von amerikanischen Steuerzahlern finanziertes intergalaktisches Bordell.«
Das Ehepaar Jan Davis und Mark Lee, die gemeinsam auf der Shuttlemission STS-47 flogen, aber in unterschiedlichen Schichten arbeiteten. (Bild: NASA)